Diese Arbeit geht der Frage nach, inwiefern die demokratischen Defizite in der EU ein gemeinsames Volksempfinden verhindert. Einige Autoren vertreten die Meinung, dass ein Defizit in der Europäischen Union (EU) vorhanden ist, andere wiederum lehnen diese Haltung ab. So argumentieren Bang et. al., dass die Debatte über das Demokratiedefizit in erster Linie eine Debatte über unterschiedliche demokratische Überzeugungen sei. Dabei wird kritisiert, dass die in der gesamten Debatte angeführten Lösungsansätze darauf basieren, wie dem Volk im Sinne der input-Legitimität, mehr Mitspracherecht gewährt werden kann. Dies stehe jedoch konträr zu der institutionellen Verfasstheit der EU, welche output-orientiert agiert. Daher fokussiert sich der Text weitestgehend darauf, wie die Legitimität der EU erhöht werden kann.
Andrew Moravcsik, welcher aus liberaler zwischenstaatlicher Sicht schreibt, ist der Ansicht, dass das Demokratiedefizit kein Problem für die EU ist, solange die Arbeitsteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten es erfordert, dass diese sich auf genau die Bereiche spezialisieren, die tendenziell eine geringere direkte politische Beteiligung erfordern.
Prüfungsleistung Textanalyse/Essay „Demokratiedefizit der EU“
Student : König, Julian
Kursname: Zur Zukunftsfähigkeit des Europäischen Projekts: Recht und Politik in der EU
Kursnr.: 24-103.22
Inwiefernverhindern die demokratischen Defizite in der EU ein gemeinsames
Volksempfinden?
In den behandelten Texten wird auf unterschiedliche Art und Weise auf das Problem des „democratic deficit“ eingegangen. Einige Autoren vertreten die Meinung, dass ein Defizit in der Europäischen Union (EU) vorhanden ist, andere wiederum lehnen diese Haltung ab. So argumentieren Bang et. al., dass die Debatte über das Demokratiedefizit in erster Linie eine Debatte über unterschiedliche demokratische Überzeugungen sei. Dabei wird kritisiert, dass die in der gesamten Debatte angeführten Lösungsansätze darauf basieren, wie dem Volk im Sinne der input-Legitimität, mehr Mitspracherecht gewährt werden kann. Dies stehe jedoch konträr zu der institutionellen Verfasstheit der EU, welche output-orientiert agiert (Vgl. Bang et. al., 2015, S. 196). Daher fokussiert sich der Text weitestgehend darauf, wie die Legitimität der EU erhöht werden kann.
Andrew Moravcsik, welcher aus liberaler zwischenstaatlicher Sicht schreibt, ist der Ansicht, dass das Demokratiedefizit kein Problem für die EU ist, solange die Arbeitsteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten es erfordert, dass diese sich auf genau die Bereiche spezialisieren, die tendenziell eine geringere direkte politische Beteiligung erfordern.
Der Text von Hix und Follesdal versteht sich als kritische Antwort auf die These von Moravscik. So betonen sie das Fehlen eines Wahlkampfes für die EU-Agenda, insbesondere für die Wahlen zum Europäischen Parlament (EP). Das bedeutet, dass diese sich von nationalen Wahlen der Mitgliedstaaten in dem Sinne unterscheiden, dass die Wahlbeteiligung geringer ist, die nationalen Regierungen in der Regel verlieren und kleinere Parteien bei den Wahlen zum Europäischen Parlament besser abschneiden. Des Weiteren weisen Hix und Follesdal auf das Problem der demokratischen politics innerhalb der EU-Institution hin. Genauer gesagt im EP und im EU-Rat in Bezug auf die Ansichten der Wähler. Sie behaupten, dass EU-Politiker zwar entsprechend der Ansichten der Öffentlichkeit handeln könnten, die Wähler ihre Vertreter im Parlament aber wegen des fehlenden Wahlkampfes nicht abstrafen können. Follesdal und Hix kommen zu dem Schluss, dass die von der EU verfolgte Politik möglicherweise nicht die gleiche ist wie die von einer politischen Mehrheit gewünschte.
Auch wenn verschiedene Standpunkte in der Debatte vertreten werden, werden jedoch Argumente angeführt, welche von den Autoren Bang et al., Moravcsik, Hix und Follesdal unabhängig von ihrer Haltung und ihrem Ergebnis, im Grunde geteilt werden. Es gibt Aspekte, die darauf schließen lassen, dass die EU-Bürger sich nicht komplett mit der EU identifizieren können. Die Autoren antworten auf die Frage, ob die EU unter einem demokratischen Defizit leidet, in verschiedenster Weise. Moravcsik streitet trotz seiner Schlussfolgerung für ein Defizit es nicht komplett ab, dass es kein Grund zur Sorge gibt (Vgl. Moravscik, 2002, S. 621). Dennoch kristallisiert sich eine gewisse Antipathie gegenüber der EU seitens der Bevölkerung heraus. Die Gründe dafür sind jedoch nicht einschlägig, sondern befinden sich auf verschiedenen Ebenen. Daher soll sich diese Arbeit mit der Frage beschäftigen, inwiefern die demokratischen Defizite in der EU ein gemeinsames Volksempfinden verhindern.
Dies ist unter anderem darin begründet, dass die meisten Politiker und Bürger die EU-Politik als abhängige Ergänzung zu den politischen Prozessen in dem jeweiligem Nationalstaat sehen (Vgl. Bang et al., 2015, S. 199). So wird auch angeführt, dass die Identifikation mit der EU vielen Bürgern schwer fällt, da zum einen das Europäische Parlament zu wenig Kontrolle über die Exekutivorgane der EU hat (z.B. der Europäischen Kommission oder dem Europäischen Rat) zum anderen die institutionelle Struktur der EU zu sehr von den jeweiligem Mitgliedsstaaten abweicht, welche die Bürger gewöhnt sind (Vgl. Follesdal & Hix, 2006, S. 536). Die Bürger der EU identifizieren sich tendenziell eher mit ihrem Nationalstaat, an deren Politik sie direkt oder indirekt partizipieren und dessen institutionelle Struktur ihnen geläufig ist. In Deutschland wählen die wahlberechtigten Bürger ihre Abgeordneten in den Bundestag, welcher zusammen mit dem Bundesrat, der sich wiederum durch die Landtagswahlen konstituiert, die Gesetzgebung darstellt. Auf EU-Ebene wählt die europäische Bevölkerung zwar das Europäische Parlament (EP), jedoch bestehen daneben weit mehrere Institutionen, deren Zusammenschluss nicht direkt von den Bürgern mitbestimmt wird (Vgl. Moravcsik, 2002, S. 604). Darunter zählt zum einen die Europäische Kommission als mächtige Exekutive, aber auch der durchaus mächtigere Rat der Europäischen Union bzw. Ministerrat, welcher außerdem noch oft im Geheimen tagt (Vgl. ebd. S. 604). Ähnlich wie der Europäische Rat, der auch viele Entscheidung unter Ausschluss der Öffentlichkeit trifft (Vgl. Follesdal & Hix, 2006, S. 536). So ist es auch wenig verwunderlich, dass die Behauptung, dass das EP im Vergleich zum EU-Rat schwächer sei, auf Zustimmung stößt (Vgl. ebd. S 535). Das führt dazu, dass die EU-Bürger schon allein aufgrund der institutionellen Verfasstheit der EU nicht nachvollziehen können wie politische Entscheidungen getroffen werden oder wer sie eigentlich trifft. Auch wenn das EP in den letzten Jahrzehnten einen Machtzuwachs verzeichnen konnte, ist es diesbezüglich noch nicht auf die gleiche Stufe mit dem EU-Rat zu stellen (Vgl. ebd., S 535).
Ebenfalls wenig nachvollziehen können die Bürger die Inhalte, mit denen sich die EU-Politik befasst. So betrachten z.B. sozial benachteiligte Europäer die EU mit Skepsis, da sie ihrer Aufgabe nicht gerecht wird, die Lebenschancen zu verbessern und soziale Standards zu schaffen (Vgl. Moravcsik, 2002, S.605). Die für den Bürger relevanten Themen, sind jene, welche ihren Alltag beeinflussen bzw. welche greifbare Auswirkungen haben. Die wichtigsten Rubriken sind daher in den meisten Mitgliedstaaten Gesundheitsversorgung, Bildung, Recht und Ordnung, Renten- und Sicherheitspolitik sowie Steuern. Von diesen fällt jedoch keines in erster Linie in die Zuständigkeit der EU Politik. Diese beschäftigt sich vorrangig mit ökonomischen Aspekten wie mit der Liberalisierung des Handels oder der Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse (Vgl. ebd., S. 615 f). Da aber die Interessen der allgemeinen Bevölkerung, welchen ein Großteil der Wählerschaft ausmacht, nicht auf diesen Themengebieten liegt, zumal diese eher den Handel zwischen Unternehmen umfassen, fühlt sich der Wähler mit der EU-Politik eher weniger verbunden. Dies erklärt ebenfalls, warum der Bürger die begrenzten Möglichkeiten zur Partizipation, nicht wahrnimmt (Vgl. ebd. S. 616). Darüber hinaus, wird der europäischen Bevölkerung nicht wirklich vermittelt, dass sie die Macht haben die Politik in der EU zu bestimmen. Dies liegt zum einen daran, dass laut den europäischen Verträgen mit Europa weniger die Menschen des Staatenverbundes gemeint sind, sondern die politischen Instanzen bzw. Behörden der EU. Die Verträge sind weitestgehend darauf ausgelegt, wie die EU mit anderen privaten, öffentlichen und auch freiwilligen Interessengruppen die politischen Herausforderungen zu bewältigen versucht (Vgl. Bang et al. 2015, S. 205). Dies wird auch schon anhand der Verfassung bzw. der verfassungsähnlichen Verträge der EU deutlich. Im Gegensatz zu der amerikanischen Verfassung, wo die einleitenden Sätze mit „Wir das Volk“ beginnen, ist in dem Vertrag von Lissabon von „Wir die Staatschefs“ die Rede (Vgl. ebd. S. 204). Die in den Verträgen gesetzten Ziele, lassen zweifelsfrei darauf schließen, dass die EU Politik für das Volk betreibt, jedoch fehlt der Aspekt, dass es auch die Politik des Volkes ist.
Daraus folgt, dass sich die europäische Bevölkerung nicht mit der EU identifizieren kann, wodurch sie sich letztendlich doch eher als Regulierungsstaat versteht. Das Fehlen eins gemeinsamen Volksempfindens, ist somit unter anderem auf die institutionelle Verfasstheit der EU, die inhaltliche Ausrichtung der Politik sowie die unzureichende Stimme des Volkes in den EU-Verträgen zurückzuführen. Für eine europäische Demokratie wäre aber gerade dieses Volksempfinden eine Grundvoraussetzung, damit sich daraus eine gemeinsame Öffentlichkeit bilden kann, in welcher politische Debatten auf gesamteuropäischer Ebene geführt werden können. Ferner würde es dazu beitragen, dass die Wähler die Europawahlen nicht als nationalen Wettbewerb zweiter Ordnung sehen. Die Entstehung einer gemeinsamen europäischen Identität ist wohl noch nicht ganz abzusehen, könnte sich aber langfristig entwickeln, wenn z.B. das EP sein Einfluss weiter ausbauen kann. So könnte auch auf Dauer die Wahlbeteiligung zu der Europawahl steigen, was zusätzlich auch den Legitimitätsglauben an das Parlament bzw. die ganze EU bekräftigen würde.
Literaturverzeichnis:
Bang et al. (2015), „‘We the people‘ versus ‚We the Head of States‘: the debate on the democratic deficit oft he European Union “, Policy Studies, Vol. 36, No. 2, pp. 196- Hix, Simon, and Follesda, Andreas (2006), “Why There Is a Democratic Deficit an the EU: A Response to Majone and Moravcsik”, Journal Of Common Market Studies, Vol. 44, No. 3, September, pp. 533-562.
Moravcsik, Andrew (2002), “In Defence of the ‘Democratic Deficit’: Reassessing Legitimacy in the European Union”. Journal of Common Market Studies 40, no. 4 (2002): 603- 624.
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- Citar trabajo
- Julian König (Autor), 2019, Demokratiedefizit in der EU und gemeinsames "Volksempfinden", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/889251