Die Hauptseminararbeit untersucht die Darstellung des Streiks der Bananenarbeiter der United Fruit Company und die Niederschlagung dessen durch das kolumbianische Militär in Gabriel García Márquez bekanntesten Buches "Hundert Jahre Einsamkeit". Seine fiktionale Darstellung - die für viele als wahrheitsgetreu gilt - wird mit den wahren Ereignissen des Jahres 1928 verglichen.
Im Laufe der Untersuchung wird klar, dass die Darstellung Márquez' in seinem Roman übertrieben ist, tatsächlich bewirkte seine Darstellung aber überhaupt erst eine Behandlung des Themas.
Die Arbeit untersucht nicht nur den Ausgang des Streiks, sondern zudem auch die Forderungen der Arbeiter, den Verlauf und die Organisation des Streiks, sowie seine unmittelbaren sozio-politischen Folgen für Arbeiter, Bevölkerung und die beiden politischen Parteien Kolumbiens. Die realen Ereignisse von 1928 werden den fiktiven Geschehnissen in "Hundert Jahre Einsamkeit" gegenübergestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die United Fruit Company in Kolumbien
2.1 Anfänge
2.2 Erste Protestbewegungen und Bildung von Arbeitnehmerorganisationen
3. Realität: Der Streik der Bananenarbeiter von 1928
3.1 Gründe für den Streik
3.2 Forderungen der Arbeiter
3.3 Das Massaker in Ciénaga
3.4 Konsequenzen
4. Fiktion: Darstellung des Streiks in Gabriel Garcia Márquez: Cien años de soledad
4.1 Perzeption von Hundert Jahre Einsamkeit
4.2 Gründe für den Streik
4.3 Entwicklung des Streiks
4.4 Ausgang des Streiks
4.4.1 Das Massaker in Macondo
4.4.2 Die Opferzahlen
4.5 Konsequenzen
5. Resumée
Literatur
1. Einleitung
Einer der außergewöhnlichen Aspekte des Romans von García Márquez ist der, daß seine Struktur mit der der profunden Geschichtlichkeit Spanisch-Amerikas übereinstimmt: dieser Spannung zwischen Utopie, Epos und Mythos.[1]
Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes bezieht sich bei seiner Aussage auf das wichtigste Werk des kolumbianischen Autors Gabriel García Márquez: Cien años de soledad. Fuentes erhebt hier einen Anspruch, der seine Gültigkeit in ganz Lateinamerika zu besitzen scheint: die fiktive Geschichte Márquez’ ist gefüllt mit historischen Fakten der kolumbianischen Geschichte. Besondere Einigkeit unter denen, die Hundert Jahre Einsamkeit gelesen haben, herrscht darüber, dass Márquez in seinem Buch das Wirken der United Fruit Company (UFC) in Kolumbien thematisiert und den Streik der Bananenarbeiter von Magdalena im Jahr 1928, die gegen die Behandlung von United Fruit protestierten, literarisch verarbeitet hat. Speziell in Kolumbien, aber auch in ganz Lateinamerika, ist die Akzeptanz darüber, dass die Darstellung des Streiks durchweg wahrheitsgetreu sei, überaus groß.
Ziel dieser Arbeit wird es sein, die wahren Ereignisse des Streiks in Magdalena mit der künstlerischen Ausarbeitung Márquez’ zu vergleichen und den Roman im Hinblick auf realitätstreue Wiedergabe der historischen Fakten zu untersuchen.
Dabei werden unter 2. zunächst Beginn und Entwicklung der Tätigkeit der UFC in Kolumbien, sowie die Unzufriedenheiten der Arbeiter mit den von United Fruit angebotenen Arbeitsbedingungen dargestellt. Anfang der 20er Jahre entwickelten sich die ersten Arbeitnehmerorganisationen in Kolumbien (2.2) und es wurde versucht, durch Proteste eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen.
Punkt 3.1 stellt die Gründe des Streiks der Bananenarbeiter von UFC dar, die alle auf unzureichender Versorgung der Arbeiter und einer arbeitspolitischen Entrechtung gegenüber der amerikanischen Bananenfirma fußten. Der folgende Punkt befasst sich mit den Forderungen der Arbeitnehmer an United Fruit. Im weiteren werden die Ereignisse und Entwicklungen des Streiks vom November und Dezember 1928 in der Bananenregion Kolumbiens aufgezeigt, der letztlich in dem Massaker von Ciénaga mündet (3.3). Streikende wurden in der Stadt durch die Armee, welche die Regierung auf Drängen der UFC entsandt hatte, erschossen. Punkt 3.4 zeigt sowohl die politischen, als auch die gewerkschaftlichen und persönlichen Konsequenzen des Vorfalls.
In 4. wird diesen historischen Fakten dann die Fiktion Gabriel García Márquez gegenübergestellt. Die Darstellung des Streiks in seinem Roman Hundert Jahre Einsamkeit wird mit der historischen Realität verglichen. Große Bedeutung findet dabei zunächst die Perzeption des Buches (4.1) in Lateinamerika und der Welt. Mit dem Erscheinen des Werkes waren viele Menschen in Lateinamerika bereit, die literarische Vorgabe Márquez’ als historisch gesichert anzunehmen. Und tatsächlich hält sich der Autor bei der Darstellung sehr eng an den historischen Ereignissen von 1928. Gerade die Gründe, die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen und mit der Behandlung seitens der United Fruit, und die Forderungen der Arbeiter im Roman entsprechen den wahren Ursachen und Petitionen der Bananenarbeiter von Magdalena. Im Folgenden werden das Massaker von Macondo (4.4.1), dem Ort des Geschehens im Roman, und die von Márquez angegebenen Opferzahlen untersucht und an den wahren Ereignissen gemessen. Insbesondere die Zahl der Opfer durch die Aktion der Armee – in Hundert Jahre Einsamkeit sind es mehr als 3.000 – erregte seit Erscheinen des Buches die Gemüter und unterteilt Autoren zu dem Thema in zwei Lager: jene, die die Opferzahlen des Romans als historisch korrekt halten und jene, die sie als unhistorisch, weil fiktional, zurückweisen. In 4.4.2 sollen beide Parteien dargestellt werden und es soll dargelegt werden, dass die Opferzahlen in dem Buch nicht der Wahrheit entsprechen. Punkt 4.5 befasst sich mit den Konsequenzen des Massakers und stellt die Andersartigkeit der Darstellung gegenüber der geschichtlichen Entwicklung nach dem 6.12.1928 dar.
Am Ende (5.) werden die Punkte noch einmal kurz zusammengefasst und ich will aufzeigen, dass die Besonderheit von Cien años de soledad nicht nur in der teilweise sehr genauen Darstellung der Ereignisse von 1928 allein liegt. Zweifellos ist das Werk an vielen Stellen mit einer großen Reihe von historisch korrekten Begebenheiten gespickt, denen aber an anderer Stelle die reine Fiktion weicht. Stattdessen liegt ein weiterer großer Verdienst des Buches darin, dass sich mit seinem Erscheinen Historiker und Philologen gleichermaßen, mit dem Handeln der United Fruit Company in Kolumbien und den Ereignissen des Arbeiteraufstandes von 1928 beschäftigt haben. Somit wurde das Auftreten der amerikanischen Bananengesellschaft und ihr Verhalten gegenüber kolumbianischen Arbeitern und dem Staat, bzw. ihre Verantwortung an dem Ausgang des Streiks, zum Thema internationaler Studien. Márquez trug mit seinem Roman dazu bei, dass sich die Menschen kritisch mit diesem Kapitel der kolumbianischen Geschichte auseinander setzten.
2. Die United Fruit Company in Kolumbien
2.1 Anfänge
Am 30. März 1899 schlossen sich die von Lorenzo Dow Baker und Andrew Preston gegründete Boston Fruit und die Tropical Trading and Transport Company von Minor C. Keith zusammen und gründeten die United Fruit Company (UFC). 1899 begann die UFC ihre Unternehmungen in Kolumbien. Mit dem Ende des Tausendtägigen Krieges (1899-1902), der zwischen den beiden verstrittenen Parteien des Landes – Konservativen und Liberalen – ausgefochten wurde, kamen für die nächsten 30 Jahre die Konservativen an die Macht. 1904 wurde General Rafael Reyes zum Präsidenten Kolumbiens ernannt. Dieser versuchte die nach dem Krieg darniederliegende kolumbianische Wirtschaft anzukurbeln, indem er ausländische Investoren, insbesondere für den Bananenanbau in der Magdalena Region im Nordwesten des Landes, suchte. Davon profitierte v.a. die UFC.
Reyes und die konservative Regierung Kolumbiens bewilligten der nordamerikanischen Firma bis 1929 Steuerbefreiungen auf den Bananenexport. Von den großzügigen Landverschenkungen profitierte die UFC ebenso sehr wie von der 1909 vereinbarten Steuerbefreiung für die Santa Marta Eisenbahn, die zunächst auf 20 Jahre begrenzt werden sollte. Dadurch waren die beiden wichtigsten Interessen der Fruit Company saturiert: Land für den Anbau von Bananen und Transportmöglichkeiten für eine schnelle Umverteilung. Wie auch in den anderen Ländern Lateinamerikas in denen die UFC ansässig war, bemühte sich die Firma um eine „vertikale Integration“, d.h. die United Fruit Company war zunächst sowohl für die Produktion im Land, als auch für den Export und den Verkauf in den jeweiligen Abnahmeländern selbst verantwortlich. Die Bananenproduktion in Kolumbien expandierte rasant und schnell entwickelten sich kleine Städte in der Magdalena-Region, wie etwa Aracataca und Ciénaga, zu urbanen Zentren. Die steigende Produktion und somit immer höhere Exportzahlen für Bananen aus Kolumbien, die von 1910 bis zum Arbeiteraufstand von 1928 fast kontinuierlich anhielten, bewirkte eine immer größer werdende Nachfrage nach Arbeitskräften. Folglich war eine Großzahl von Kolumbianern an der Bananenproduktion beteiligt.
Anfang des 20. Jahrhunderts war United Fruit bereits in ganz Lateinamerika „[…] an economic and political force in the region.“[2] Sie wurde Sinnbild der amerikanischen Wirtschaftskraft und des Kapitalismus der USA. Trotz aller Erfolge erreichte der Bananenexport aus Kolumbien jedoch nicht den Umfang wie in anderen Anbaugebieten der UFC in Lateinamerika, wie beispielsweise Honduras oder Panama. Die Bananenproduktion von United Fruit in Kolumbien bildete einen wesentlich kleineren Bestandteil der einheimischen Wirtschaft als in den Ländern Zentralamerikas. In einer Studie der National Planning Association über die Arbeit und Entwicklung der UFC in Honduras, Panama, Guatemala, Ecuador und Kolumbien von 1958 heißt es: „[…] the company’s operations are smaller in relation to the total economy than in any of the nations studied in this report.“[3] Auch war die politische Einflussnahme auf die kolumbianische Regierung geringer als in Zentralamerika, z.B. in Guatemala.
2.2 Erste Protestbewegungen und Bildung von Arbeitnehmerorganisationen
Bereits vor dem Aufstand der Bananenarbeiter im Jahr 1928 musste sich die United Fruit Compny in Kolumbien mit der Unzufriedenheit ihrer Arbeiter auseinandersetzen. Im Januar 1918 kam es zum ersten großen Streik der Mitarbeiter der amerikanischen Bananenfirma. Sie forderten eine Gehaltserhöhung, die der Inflation im Lande angemessen sein sollte, und eine Aufhebung des von der UFC praktizierten Systems, Arbeiter nicht direkt bei United Fruit zu beschäftigen, sondern sie über Arbeitsvermittler zu engagieren (ein Kernpunkt der Forderungen von 1928, siehe 3.1). Bei diesem ersten Streik gab es zwar noch keine strukturelle Organisation der Arbeiter, dennoch erreichten sie eine Anhebung der Gehälter um 20-30%. Ein weiterer Streik im folgenden Jahr korrigierte die Gehälter der Hafenarbeiter ebenfalls nach oben.
Anfang der 20er bildeten sich sogenannte sociedades obreras, kommunale Arbeitergesellschaften, deren bedeutendste das 1921 gegründete Sindicato General de Obreros de la Sociedad Unión war. Diese Gesellschaften bereiteten den Boden für die wesentlich stärkeren und organisierteren Arbeitnehmerorganisationen der späten 20er Jahre. 1924 forderten die Arbeiter der UFC erneut direkte Verträge mit der UFC, sowie Sozialabgaben seitens der Bananenfirma und einen acht Stunden Tag, konnten diese jedoch nicht durchbringen. Da sich die Sociedad Unión mit ihren Forderungen nicht hatte durchsetzen können, wurde 1926 die Unión Sindical de Trabajadores del Magdalena (USTM) gegründet. Aus Angst vor radikalen Forderungen der USTM gliederte United Fruit die Sociedad Unión in ihrem Unternehmen ein. Im Januar 1928 erreichte die USTM jedoch einen Gehaltsanstieg der Hafenarbeiter, was ihr einen deutlichen Popularitäts- und Mitgliederzuwachs bescherte. Anfängliche Zerstrittenheit innerhalb der USTM wichen nun einer strukturierten Organisation. Ziel war es von da an, einen wesentlich größeren Streik zu organisieren. Die führenden Personen der Arbeiterbewegungen in Kolumbien mit umfassender Streikerfahrung, wie etwa Ignacio Torres Giraldo oder Alberto Castrillón, reisten Anfang 1928 durch die Region, um die Ansässigen darüber zu informieren, wie ein größerer Streik zu organisieren sei. Mit deren Hilfe entwickelte sich die USTM zu einer disziplinierten und straff organisierten Arbeitnehmerorganisation, welche die Forderungen der Arbeiter von United Fruit gegenüber ihrem Arbeitgeber durchsetzen sollte.
[...]
[1] Fuentes, Carlos: „García Márquez : Das zweite Lesen ‘Hundert Jahre Einsamkeit.’“, in: Ansichten zu Gabriel García Márquez und Einmischungen des Autors. (Dokumentation) Berlin 1989. S. 42.
[2] Norton, Mary Beth (Ed.): A people and a Nation. Boston 2001. S. 627.
[3] May, Stacy und Plaza, Galo: The United Fruit Company in Latin America. Seventh Case Study in an NPA Series on United States Business Performance Abroad. Washington 1958. S. 175.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Florian Jetzlsperger (Autor:in), 2007, Realität und Fiktion: Der Aufstand der Arbeiter der United Fruit Company in Kolumbien 1928 und die Darstellung in Gabriel García Márquez: "Cien años de soledad", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88895
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.