Das Ziel meiner Arbeit ist zu beweisen, dass zwischen vielen allgemein bekannten Stereotypen und dem tatsächlichen Bild eines fremden Landes eine große Diskrepanz besteht. Es wird gezeigt, dass Stereotype nach der unmittelbaren Konfrontation mit einem fremden Land an Bedeutung verlieren und Vorurteile abgebaut werden. Diese Arbeit stellt dar, wie Polen und seine Einwohner von den Personen, die eine gewisse Zeit in Polen verbracht haben, wahrgenommen werden.
Außerdem dienen die in dieser Arbeit zusammengefassten Forschungsergebnisse dem Vergleich deutscher und spanischer Stereotypen, Meinungen und Urteile bezüglich Polen.
Im interkulturellen Diskurs dient diese Arbeit der Förderung der polnischen Landeskunde und Vertiefung des Verständnisses zwischen den Menschen verschiedener Herkunft. Sie soll zu einem aufgeklärten Umgang mit Stereotypen und Vorurteilen anregen. Eine kritisch-reflektierende Haltung gegenüber Stereotypen kann der erste Schritt in Richtung ihrer Relativierung und Abschwächung sein.
Den Ausgangspunkt meiner Ausführungen bilden zwei Thesen:
1. Auf Grund seiner psychischen Beschaffenheit ist es unmöglich, den Menschen als ein stereotyp- und vorurteilsfreies Objekt zu betrachten.
2. Durch die unmittelbare Konfrontation mit einem fremden Land können ethnische Vorurteile und Klischees ihre Bedeutung verlieren.
Obwohl die Termini „Stereotyp“ und „Vorurteil“ im alltäglichen Verbrauch meistens beinahe synonymisch verwendet werden, zeigt sich bei einer genaueren semantischen Betrachtung, dass sie sich doch voreinander abheben. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Stereotyp als ein Element des Orientierungswissens der Gesellschaft verstanden. Es ist ein Urteil über eine soziale bzw. ethnische Gruppe, das eine positive, negative oder neutrale Bedeutung vornimmt. Mit dem Vorurteil ist dagegen ein gefühlsmäßig unterbautes Urteil gemeint, das eindeutig negative Züge hat.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1.1. Das Konzept der empirischen Forschung und Auswahlkriterien der Probanden
1.2. Das Konzept des zweiten Teils der empirischen Forschung
II. Einführung in die Problematik der Stereotype und Vorurteile
2.1. Terminologische Abgrenzung: „Stereotyp“ und „Vorurteil“
2.2.1. Vorurteil. Begriffserklärung
2.2.2. Analyse des Vorurteils
2.2.3. Funktionen von Vorurteilen
2.3.1. Stereotyp. Begriffserklärung
2.3.2. Analyse des Stereotyps. Der Lippmann’sche Stereotypenansatz
2.3.3. Funktionen von Stereotypen.
III. Erster Teil der empirischen Forschung: Umfragen
3.1. Umfrage Nr. 1: Aspekte des Lebens in Polen (freie Antworten)
3.2.1. Erläuterung zu den Umfragekategorien
3.2.2. Assoziationskategorie 1: Stereotype und Vorurteile
3.2.3. Assoziationskategorie 2: Geschichte
3.2.4. Assoziationskategorie 3: Alltagsleben
3.2.5. Assoziationskategorie 4: Charaktereigenschaften
3.2.6. Assoziationskategorie 5: politische Situation
3.2.7. Assoziationskategorie 6: Religion
3.2.8. Assoziationskategorie 7: Universitätssystem
3.2.9. Zusammenfassung
3.3.1. Umfrage Nr. 2: polnische Charaktereigenschaften
3.4.1. Umfrage Nr. 3: Aspekte des Lebens in Polen (standarisierter Fragebogen)
IV. Zweiter Teil der empirischen Forschung: Interviews
4.1. Interviews mit Deutschen.51
4.1.1. Interview 1: Corina Ludwig
4.1.2. Interview 2: Susanne Kramer-Drużycka
4.1.3. Interview 3: Claudia Frehse
4.2. Interviews mit Spaniern.59
4.2.1. Interview 1: Roberto Gonzalez
4.2.2. Interview 2: Alberto Cerezo Soto
4.2.3. Interview 3: Conchi Martinez Soto
4.2.4. Interview 4: Oliver Alba
4.2.5. Erläuterung zu den durchgeführten Interviews
V. Fazit
Benutzte Literatur
I. Einleitung
Das Ziel meiner Arbeit ist zu beweisen, dass zwischen vielen allgemein bekannten Stereotypen und dem tatsächlichen Bild eines fremden Landes eine große Diskrepanz besteht. Es wird gezeigt, dass Stereotype nach der unmittelbaren Konfrontation mit einem fremden Land an Bedeutung verlieren und Vorurteile abgebaut werden. Diese Arbeit stellt dar, wie Polen und seine Einwohner von den Personen, die eine gewisse Zeit in Polen verbracht haben, wahrgenommen werden.
Außerdem dienen die in dieser Arbeit zusammengefassten Forschungsergebnisse dem Vergleich deutscher und spanischer Stereotypen, Meinungen und Urteile bezüglich Polen.
Im interkulturellen Diskurs dient diese Arbeit der Förderung der polnischen Landeskunde und Vertiefung des Verständnisses zwischen den Menschen verschiedener Herkunft. Sie soll zu einem aufgeklärten Umgang mit Stereotypen und Vorurteilen anregen. Eine kritisch-reflektierende Haltung gegenüber Stereotypen kann der erste Schritt in Richtung ihrer Relativierung und Abschwächung sein.
1.1. Das Konzept des ersten Teils der empirischen Forschung und Auswahlkriterien der Probanden
Den Ausgangspunkt meiner Ausführungen bilden zwei Thesen:
1. Auf Grund seiner psychischen Beschaffenheit ist es unmöglich, den Menschen als ein stereotyp- und vorurteilsfreies Objekt zu betrachten.
2. Durch die unmittelbare Konfrontation mit einem fremden Land können ethnische Vorurteile und Klischees ihre Bedeutung verlieren.
Obwohl die Termini „Stereotyp“ und „Vorurteil“ im alltäglichen Verbrauch meistens beinahe synonymisch verwendet werden, zeigt sich bei einer genaueren semantischen Betrachtung, dass sie sich doch voreinander abheben. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Stereotyp als ein Element des Orientierungswissens der Gesellschaft verstanden. Es ist ein Urteil über eine soziale bzw. ethnische Gruppe, das eine positive, negative oder neutrale Bedeutung vornimmt. Mit dem Vorurteil ist dagegen ein gefühlsmäßig unterbautes Urteil gemeint, das eindeutig negative Züge hat.
Eine genaue Erklärung dieser Begriffe, ihrer Etymologie und Funktionen, wird in dem Kapitel „Einführung in die Problematik der Stereotype und Vorurteile“ dargestellt. Ich habe mich bei der theoretischen Besprechung der beiden Termini auf die Untersuchungsergebnisse der Soziologen und Psychoanalytiker (wie Lippman, Manz, Dąbrowska, Mitscherlich, Hillmann, Kleinstreuber, Quasthof u.a.) berufen. Da die erste These dieser Arbeit auf die unvermeidliche Verwendung von Stereotypen und Vorurteilen hinweist, bediene ich mich der Psychoanalyse, die das Wesen der unbewussten psychischen Vorgänge des Menschen zu erklären versucht. Um die erste These zu beweisen, muss man die Ursachen des Zustandekommens der Stereotype und Vorurteile erforschen.
Die in dieser Arbeit dargestellte Forschung ist eine qualitative Forschung, die die Erörterung der zweiten These zum Ziel hat. Die empirische Forschung besteht aus zwei Teilen. Den ersten Teil bilden Untersuchungen, die in Form anonymer Umfragen durchgeführt wurden. Die Durchführung der Umfragen erfolgte gemäß den wissenschaftlichen Grundlagen der empirischen Sozialforschung, die der Schrift: „Polen und Deutschland. Gegenseitige Wahrnehmung vor der Osterweiterung der Europäischen Union“[1] und dem Buch: „Qualitative Forschung. Ein Handbuch“[2] entnommen wurden.
Mich interessierte hauptsächlich, wie Polen in den Augen der jüngeren Generation aussieht. Zu den befragten Personen gehörten deutsche und spanische Studenten, die in Wrocław[3] (Polen) das Wintersemester 2001/2002 als Erasmus-Stipediaten verbracht haben. Die Untersuchung wurde im Februar 2002 nach fünf Monaten des Aufenthalts in Polen durchgeführt. Insgesamt haben 15 Studenten aus Deutschland und 15 aus Spanien ihre Meinung geäußert.[4] Es muss die Tatsache erwähnt werden, dass es innerhalb der von mir befragten deutschen und spanischen Studentengruppe vor allem Personen gab, die das Interesse an Polen und zum Studienaufenthalt in Polen charakterisierte. Dies weist darauf hin, dass die Meinungen der ausländischen Studenten in Polen nicht unbedingt mit den Meinungen anderer Studenten - und bestimmt nicht mit Meinungen der Mehrheit der deutschen oder spanischen Bevölkerung - übereinstimmen müssen. Daher soll in Betracht gezogen werden, dass diese Forschung nur einen kleinen Ausschnitt der möglichen Darstellung kultureller Verhältnisse zwischen den ausgewählten Völkern darstellt.
Die Wahl der deutschen und spanischen Studenten als Probanden der Untersuchung hat mehrere Gründe. Erstens handelt es sich hier um den Kontrast, der in der einerseits geographischen Lage der beiden Länder, anderseits in der Unterschiedlichkeit gegenseitiger Kontakte, besteht. Während Polen und Deutsche eine über tausendjährige Geschichte enger Nachbarschaft verbindet, ist die Intensität der Kontakte zwischen Polen und Spanien viel geringer. Deutschland ist eines der westeuropäischen Länder, welches in unmittelbarer Nachbarschaft zu Polen gelegen ist. Im Gegensatz dazu ist Spanien sehr weit von Polen entfernt. Daher wird mittels der Forschungsergebnisse gezeigt, inwiefern die Stereotypen von der geographischen Lage abhängen.
Mit der geographischen Lage ist auch der klimatologische Faktor verbunden. Es ist offensichtlich, dass das Klima verschiedene Erscheinungen des Alltagslebens
determiniert. Viele alltägliche Tätigkeiten und damit verbundene Gewohnheiten und Sitten müssen oft an das herrschende Klima angepasst werden. Demnach wird mittels des Vergleichs der Meinungen der Deutschen und Spanier die Frage erörtert, wie bestimmte Aspekte der Wahrnehmung eines fremden Landes durch den klimatologischen Faktor beeinflusst werden.
Der andere Grund, aus dem sich die Auswahl der deutschen und spanischen Studenten ergibt, ist die Tatsache, dass die Repräsentanten der beiden Gruppen ihren Aufenthalt in Polen in ähnlichen Umständen verbracht haben. Alle diese ausländischen Studenten haben in dem selben Studentenwohnheim („Ołówek“) gewohnt. Außerdem haben alle von ihnen während des Stipendiums das selbe Fach, nämlich, „Politikwissenschaft“ an der Breslauer Universität studiert.
Diese Tatsache entscheidet über die Möglichkeit, die Urteile der beiden analysierten Gruppen vergleichen zu können.
1.2. Das Konzept des zweiten Teils der empirischen Forschung
Den zweiten Teil der empirischen Forschung bilden Interviews, die mit einigen Deutschen und Spaniern durchgeführt wurden. Diesmal wurde das Spektrum der befragten Personen um andere Repräsentantengruppen erweitert. Dadurch wird die Darstellung der erörterten Prozesse der Veränderung der Stereotype und Vorurteile vollständiger. In den Interviews haben sich nicht nur deutsche und spanische Studenten geäußert, sondern auch einige Lektoren, die die Gelegenheit hatten, in Polen an der Breslauer Universität zu unterrichten. Außerdem habe ich auch ein Interview mit der Mutter eines Erasmus – Stipendiaten aus Spanien durchgeführt.
Die Interviews belegen die Schlüsse, die sich aus den Umfragen ziehen lassen, sie sind jedoch durch ihre Struktur und die individualisierte Form der Äußerungen viel anschaulicher als die dargestellten Umfragen. Unter den gestellten Fragen lassen sich zwar gewisse Unterschiede bemerken, was aber nicht bedeutet, dass die Auswahl der Fragen unerheblich ist. Die Verschiedenheit ist die logische Konsequenz der Kategorie der befragten Person und des Konversationsverlaufs, der bei jeder Person anders war. Das allgemeine Schema der durchgeführten Interviews stützte sich auf die folgenden Fragen:
- Aus welchem Grund hast du für das Stipendium gerade Polen gewählt?
- Wie ist das im Bewusstsein der meisten Deutschen/Spanier geprägte Bild Polens und seiner Bevölkerung?
- Ist die Realität, die du in Polen erfahren hast, deinen Erwartungen, die du gehabt hattest, bevor du nach Polen gekommen bist, ähnlich?
- Wie würdest du die Polen beschreiben?
- Wie findest du das polnische Universitätssystem?
- Was hältst du von der besonderen Beziehung der Polen zur katholischen Kirche?
- Wie war deine Erfahrung während des Aufenthalts in Polen?
- Findest du, dass Polen für den EU-Beitritt gut vorbereitet ist?
II. Stereotype und Vorurteile aus der psychoanalytischen Perspektive
2.1. Terminologische Abgrenzung: „Stereotyp“ und „Vorurteil“
Der Terminus des Stereotyps wird oft synonym mit dem des Vorurteils verwendet. Obwohl zwischen den beiden Begriffen gewisse Unterschiede bestehen, ist es ganz schwer, ihre Semantik voneinander zu trennen: „Eine Trennung der Geltungsbereiche beider Begriffe wird dadurch erschwert, dass auch der Begriff ’Vorurteil’ in der Sozialpsychologie – implizit oder explizit – im Sinne von ’sozialem Vorurteil’ verstanden wird, das auf menschliche Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichtet ist. Beim ’Stereotyp’ ist der wissenschaftliche Gebrauch mit Bezug auf soziale Gruppen fast durchgängig. Nach dem Bezugsobjekt lässt sich also keine Unterscheidung zwischen Vorurteilen und Stereotypen treffen.“[5]
Bei Vorurteilen handelt es sich immer um negative Urteile und Einstellungen über Gruppen von Menschen, besonders über die ethnischen Gruppen. Walter Peters definiert den Terminus „Vorurteil“ als „eine ablehnende oder feindselige Stellungnahme gegen eine Person, die zu einer bestimmten Gruppe gehört, nur weil sie zu dieser Gruppe gehört und weil deshalb von ihr vorausgesetzt wird, dass sie die anfechtbaren Eigenschaften hat, welche der Gruppe zugeschrieben werden.“[6] Das Vorurteil soll daher als negative Stellungsnahme verstanden werden, die „gefühlsmäßig unterbaut“[7] ist.
Dagegen sind bei den Stereotypen auch positive Eigenschaftszuweisungen gegenüber anderen ethnischen Gruppen, Nationen etc. möglich. Im Gegensatz zu Vorurteilen sind Stereotype keine Stellungnahmen gegenüber einer bestimmten Gruppe, sondern sie sind eher Urteile über eine bestimmte Gruppe.
2.2.1. Vorurteil. Begriffserklärung
Nach der Definition des Dudens ist das Vorurteil: „[mhd. vorurteil für (m)lat. praeiudicium]: ohne Prüfung der objektiven Tatsachen voreilig gefasste od. übernommene, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung“[8]
In Reinholds Soziologielexikon findet man folgende Definition des Vorurteils: „eine relativ starre und meist von zahlreichen Menschen positive oder negative Meinung ohne objektive Prüfung (z.B. Vorurteile gegenüber Ausländern, Juden, Frauen usw.)[9]
Ein anderes Lexikon der Soziologie[10] erklärt den Begriff des Vorurteils als: „Globalurteil, Pauschalurteil, ein verfestigtes, vorgefasstes, durch neue Erfahrungen oder Informationen schwer veränderbares Urteil über Personen, Gruppen, Sachverhalte usw. Es ist emotional gefärbt und enthält meist positive (vor allem gegenüber der eigenen Person und Gruppe) oder negative (vor allem gegenüber Fremden und Fremdgruppen) moralische Wertungen. Die Informationen, auf die sich ein Vorurteil stützt, sind in der Regel lückenhaft, verzerrt oder sogar falsch.“[11]
Anitra Karsten, ein deutscher Psychologe, hat den Begriff des Vorurteils folgendermaßen definiert: „Ein Vorurteil ist ein vorgefasstes Urteil über Gruppen von Menschen (oder Objekten, oder über ein Verhalten, über einen Zustand, eine Situation, eine Idee, [...]), das (..) gefühlsmäßig unterbaut ist, das nicht unbedingt mit der Wirklichkeit übereinstimmen muss, und an dem ungeachtet aller Möglichkeiten der Korrektur festgehalten wird.“[12]
2.2.2. Analyse des Vorurteils
Nach Alexander Mitscherlich [deutscher Arzt und Psychoanalytiker, Direktor des Sigmund-Freud-Instituts (Frankfurt1959-1976)] lassen sich die Vorurteile als Teil des psychischen Vorgangs verstehen, in dem die Triebe ihre Befriedigung finden: „In den psychodynamischen Vorgängen sind Vorurteile dadurch ausgezeichnet, dass die in ihnen vermittelten Vorstellungen Besetzungsenergie auf Dauer an sich binden vermögen.“[13] Ein zentraler psychodynamischer Vorgang bei der Entstehung und Fixierung von Vorurteilen besteht darin, dass mit Hilfe der Fremderniedrigung eine Selbstidealisierung vorgenommen wird.[14] Dabei ist der libidinöse Triebanteil stark beteiligt.
Für Mitscherlich ist also die Entstehung der Vorurteile ein psychischer Vorgang, in dem die libidinösen Triebanteile stark beteiligt sind: „Mit Vorurteilen wird die passive Anpassung nach der sozialen Umwelt hin in den von ihr geschrieenen Formen der Triebäußerung vollzogen.“[15] Mitscherlich analysiert hier das Wesen der Anpassungsform, bei der man sich meistens auf Konventionen, Sitten und Erfahrungen der andern Personen beruft, ohne sie in Frage zu stellen. Dies ist mit einem inneren Bedürfnis verbunden, das den Menschen dazu zwingt, die Realität als überzeugend und evident zu erleben. Mit der Annahme und Übernahme von Einstellungen, die von Vorurteilen bestimmt sind, erreicht man das vereinfachte Bild der komplexen Realität als „eine Welt mit Evidenzcharakter.“[16] Das Verdrängen des primären Narzismus und die im Menschen heraustretenden Triebe zwingen ihn dazu, sich an soziale Normen und Werturteile anzupassen. In diesem Prozess wird das Ich des Individuums mit Kontrollfunktionen über die Triebwünsche belastet.
Bei dem Anpassungsprozess muss die Position des Stärkeren dem Schwächeren gegenüber berücksichtigt werden. Der Stärkere ist derjenige, der über die Machtherrschaft verfügt. Mitscherlich stellt fest, dass während der Erziehung (die Erziehung nennt er dabei „klassische Situation der soziale(n) Ungleichheit“) der Stärkere dem Schwächeren nicht erlauben wird, den Herrschaftsanspruch in Frage zu stellen. Dabei werden zur Formung des jungen Menschen nach dem Vorbild sozialer Rollenmuster einzelne Vorurteile übermittelt. Es erweist sich, dass die Vorurteile oft haltbarer als staatliche Gebilde sind. Gelungene Versöhnungsversuche, Friedensgebote, Annäherungsabsichten zeigen, dass sich die Vorurteile nicht unbedingt ändern, auch dann nicht, wenn die staatlichen Konflikte bereits abgelöst worden sind. Gegenseitige Vorurteile von Nationen oder Religionen halten sich dann besonders hartnäckig, wenn mit ihnen Schuldgefühle verdeckt werden müssen.[17] Außerdem können die Vorurteile in extremen Fällen in aggressive Verhaltungsweisen führen: „Das Objekt, dem ein Vorurteil angehaftet wird, kann dann für den Hass, für überschiessende, nach Entladung suchende Aggressivität leichter erreichbar werden. Wenn man die narzisstische Triebbefriedigung im Auge hat, so erweist sich das Benutzen von Vorurteilen oft als eine geradezu ideale Lösung, in der beide Triebanteile Befriedigung finden“[18]
Jeder Mensch unterliegt mehr oder weniger weitgehend Vorurteilen, von denen er begleitet wird. Da Vorurteile hauptsächlich unbewussten psychischen Vorgängen unterliegen, hat der Mensch nahezu keine andere Wahl, sich ihrem Einfluss zu entziehen.
2.2.3. Funktionen von Vorurteilen
Vorurteile erfüllen mit speziellen Akzentsetzungen folgende Einstellungsfunktionen:
- Wissensfunktion
Rascher, sehr prägnanter stabiler Kenntnisgewinn, der der Abwehr von Unsicherheit und Angst dient. „[Wir] definieren, ohne zu sehen und sehen nicht, ehe wir definieren“[19]
- Anpassungsfunktion
Das Vorurteil ist ein Mittel, sich als Angehöriger einer Gruppe von „Anderen“ günstig, deutlich positiv abzusetzen. Damit ist ein Wertgewinn für die eigene Person erreichbar.
- Selbstdarstellungsfunktion
Mit der Bildung von Vorurteilen, d.h. der deutlichen, negativirenden Absetzung gegen andere, lässt sich leicht ein evidenter Wertgewinn für die eigene Person erzielen.[20]
- Selbstbehauptungsfunktion (defensiv)
Rasche, effiziente Ausschaltung alternativer und risikanter Erlebnis- und Verhaltensweisen für die eigene Person.[21] Teilhaben an den in der eigenen Gruppe herrschenden Vorurteilen vermag einer Person eine scheinbare soziale Geborgenheit zu vermitteln.
2.3.1. Stereotyp. Begriffserklärung
Das Lexem Stereotyp geht auf zwei griechische Wörter zurück: stereos - `starr, hart, fest` und typos - `Form, Gestalt, Modell`[22] Es wurde Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Französischen Stéréotype ins Deutsche entlehnt.[23] Nach der Definition von Duden heißt Stereotyp: „vereinfachtes, verallgemeinerndes, stereotypes Urteil; Vorurteil, festes klischeehaftes Bild“. [24]
Als Fachwort stammt das Lexem aus der Duckersprache, in der es die fest miteinander verbundenen Druckzeilen bezeichnet.[25] Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff des Stereotyps von dem französischen Buchdrucker Didot geprägt und stand als „Bezeichnung für die gegossene Form einer Druckplatte, mit der beliebig viele Abzüge gemacht werden können.“[26]
Der Terminus des aus der Druckersprache entlehnten Wortes Stereotyp wurde 1922 von Walter Lippman, einem US-Journalist und Medienwissenschaftler, in die sozialwissenschaftliche Forschung eingeführt. Er konnte mit diesem Terminus – laut W. Manz[27] - verschiedenartige Phänomene wie individuelle Voreingenommenheiten und Irrationalismen, historisch gewachsene Ideologien und kulturelle Traditionen, das Wirken von Normen in kleinen Gruppen und die Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen großen Institutionen auf ein einheitliches Wirkungsprinzip zurückführen, ohne dabei trivial zu reduzieren.[28]
In der Übersetzung des Lippmann’schen Stereotyp- Begriffs von Schaff heißt es: „Das ist das perfekte Stereotyp. Sein kennzeichnendes Merkmal besteht darin, dass es der Anwendung der Vernunft vorausgeht; die Sozialwissenschaftler verwenden den Begriff des Stereotyps meistens im Sinne feststehender, stark verfestigter, durch Emotionen geprägter Urteile. Wahrnehmung, prägt den Mitteilungen unserer Sinne einen bestimmten Charakter auf, bevor diese Mitteilungen unsere Vernunft erreichen.“[29]
Nach Lippmann ist das Stereotyp ein Denkmuster, mit dem vieles interpretiert wird: „Meistens schauen wir nicht zuerst und definieren dann, wir definieren erst und schauen dann. In dem großen, blühenden, summenden Durcheinander der äußeren Welt wählen wir aus, was unsere Kultur bereits für uns definiert hat, und wir neigen dazu, nur das wahrzunehmen, was wir in der Gestalt ausgewählt haben, die unsere Kultur für uns stereotypisiert hat.“[30]
In Hillmanns „Wörterbuch der Soziologie“ wird das Stereotyp als „schematisierte, auf relativ wenige Orientierungspunkte reduzierte, längerfristig unveränderte und trotz neuer oder sogar gegenteiliger Erfahrungen starre, verfestigte Vorstellung über spezifische Wesens- und Verhaltensmerkmale anderer Menschen oder Menschengruppen, Organisations- und sonstiger sozialer Beziehungsformen, Zusammenhänge oder Verursachungsfaktoren“[31] verstanden.
Im deutschsprachigen Sprachraum wurde das Konzept des Stereotyps vor allem von Peter Hofstätter auf der Grundlage amerikanischer Quellen eingeführt.[32] Er spricht über „stereotype Bilder von karikaturhafter Überdeutlichkeit“.[33]
Olaf Kühne betont bei der Untersuchung von Stereotypen die Notwendigkeit der Erforschung der Frage, inwiefern gesellschaftliches und individuelles Wissen das Verhalten von Personen und Personengruppen im Alltag steuert. Die Alltagswelt wird von der Mehrzahl der Mitglieder der Gesellschaft für die gesicherte Wirklichkeit gehalten. Diese Wirklichkeit der Alltagswelt „verfügt über Typisierungen, mit deren Hilfe ich den Anderen erfassen und behandeln kann.“[34] Bei einem genauen Definierungsversuch des Begriffs Stereotyp bedient sich Kühne der Prinzipien der Universalität und der mit ihr in einem unmittelbaren Zusammenhang stehenden Systemtheorie.[35] Aus der Sicht der Systemtheorie sind Stereotype „Subsysteme des soziokulturellen Systems, die eine Orientierungshilfe im Alltagsleben geben, allerdings unter dem Nachteil von Verallgemeinerungen und unzutreffenden Annahmen, die den Handlungs- und Interaktionsrahmen von Akteuren erheblich einschränken können.“[36]
Bei Stereotypen lassen sich Auto- und Hetero-Stereotype unterscheiden. Die ersten sind Selbstbilder, Entwürfe, wie sich Bürger eines Staates sehen und wodurch sie sich von ihren Nachbarn meinen abzugrenzen.[37] Dagegen sind Hetero-Stereotype Vorstellungen, die Angehörige einer Kultur von einer anderen entwickeln.[38]
2.3.2. Analyse des Stereotyps. Der Lippmann’sche Stereotypenansatz
Die Umwelt, in der das Individuum lebt, bietet ihm verschiedene Möglichkeiten der Welterkenntnis. Heutzutage, im Zeitalter weltumspannender Kommunikationsnetze, wird besonders viel mittels der Massenmedien erfahren. Sie sind eine der wichtigsten Quellen, denen das Wissen über andere Länder und fremde Kulturen entnommen wird. Es wird jedoch nur von wenigen in Betracht gezogen, dass die Informationen, die durch die Medien vermittelt werden, nicht immer einen realen Sachverhalt darstellen. Der Neigung der Massenmedien zu sensationeller Berichterstattung sind sich die meisten Zuschauer überhaupt nicht bewusst. Da die Urteilskraft des Menschen sowie auch sein Erkenntnisvermögen begrenzt sind, wird von vielen Personen die komplexe Realität mit Hilfe der vereinfachten Bilder zu kleinen Andeutungen reduziert.[39] Im menschlichen Bewusstsein entstehen vereinfachte und oft auch verfälschte Bilder über die Welt, die dann in alltäglichen Gesprächen weiter verbreitet werden.
[...]
[1] X. Dolińska, M. Fałkowski, Polen und Deutschland. Gegenseitige Wahrnehmung von der Osterweiterung der Europäischen Union, Warszawa 2000.
[2] S. Flick, von Kardoff (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 2000.
[3] Wrocław (deutsch Breslau), Stadt an der Oder, im Südwesten Polens; eine der größten Städte Polens; die Einwohnerzahl beträgt ca. 700 000. Die Studentenzahl beträgt über 70 000 (Vgl. Obcokrajowcy na studiach we Wrocławiu, A. Ostoja-Solecki, Warszawa 2001, S.5).
[4] Die Struktur von drei Umfragen, die den ersten Teil der empirischen Forschung bilden, wird im Kapitel III der Arbeit besprochen.
[5] U. Quasthoff, Soziales Vorurteil und Kommunikation. Eine sprachwissenschaftliche Analyse des Stereotyps“, Frankfurt a. M. 1972, S. 25.
[6] W. Peters, Vorurteile: Voraussetzungen und Methoden, (in:) Psychologische Beiträge 2 (1956), S. 35 .
[7] J. Dąbrowska, Stereotype und ihr sprachlicher Ausdruck im Polenbild der deutschen Presse [in:] Studien zur deutschen Sprache Bd. 17, 1999 Tübingen, S. 77.
[8] G. Drosdowski, u.a. (Hrsg.), Duden. Deutsches Universal Wörterbuch A-Z Mannheim, 1996, S. 1699.
[9] G. Reinhold, S. Lamnek, H. Recher (Hrsg.), Lexikon der Soziologie, Wien 1991, S. 643.
[10] W. Fuchs, u.a. (Hrsg.), Lexikon der Soziologie, Opladen 1988, S. 844.
[11] Ebenda.
[12] A. Karsten (Hrsg.), Das Vorurteil. Ergebnisse psychologischer und sozialpsychologischer Forschung, Darmstadt 1978, S. 5.
[13] A. Mitscherlich, Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, München 1992, S. 316.
[14] Vgl. M. Mitscherlich , A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967, S. 151.
[15] A. Mitscherlich, Auf dem Weg (wie Anmerkung 13), S. 316.
[16] M. Mitscherlich, A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit (wie Anmerkung 14), S. 146.
[17] Vgl. M. Mitscherlich, A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit (wie Anmerkung 14) , S. 138.
[18] Vgl. A. Mitscherlich, Auf dem Weg (wie Anmerkung 13) , S.293.
[19] W. Lippmann nach A. Schaff, Stereotypen und das menschliche Handeln, Wien 1980, S.68.
[20] E. H. Bottenberg, Eine Einführung in die Sozialpsychologie, Regensburg, 1997, S. 99.
[21] Ebenda, S.100.
[22] K.H. Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1994, S. 842.
[23] J. Dąbrowska, Stereotype (wie Anmerkung 7 ), S. 53.
[24] G. Drosdowski, u.a. (Hrsg.), Duden (wie Anmerkung 8), S. 1456.
[25] Vgl. J. Dąbrowska, Stereotype (wie Anmerkung 7), S. 53.
[26] Vgl. P. Grzybek, Kulturelle Stereotype und stereotype Texte [in:] E. Walter, A. Koch (Hrsg.), Natürlichkeit der Sprache und Kultur, Bochum 1990, S. 300.
[27] W. Manz, Das Stereotyp. Zur Operationalisierung eines sozialwissenschaftlichen Begriffs, Meisenheim 1968, S. 2.
[28] Vgl. O. Kühne, Osteuropa, H. 11/12, 2001, S. 1416.
[29] W. Lippmann nach A. Schaff, Stereotype (wie Anmerkung 19) , S. 41.
[30] W. Lippmann, Die öffentliche Meinung. Reprint des Publizistik-Klasikers, Bochum 1990, S. 63.
[31] K.H. Hillmann, Wörterbuch (wie Anmerkung 22) , S. 842.
[32] Vgl. H. J. Kleinstreuber, Wie sind Feindbilder und Stereotype? Stereotype, Images und Vorurteile – Die Bilder in den Köpfen der Menschen [in:] Günter Trautmann (Hrsg.), Die hässlichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn, Darmstadt 1991, S. 63.
[33] P.R. Hofstätter, Die Psychologie der öffentlichen Meinung, Wien 1949, S. 51.
[34] P. Berger, T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a.M. 1999, S. 33 (in:) O. Kühne Osteuropa, S. 1418.
[35] „Mit Universalität ist nur behauptet, dass sich alle Tatbestände (...) systemtheoretisch interpretieren lassen. Damit ist nicht gesagt, dass Systemtheorie die einzig mögliche oder einzig richtige soziologische Theorie sei und dass alle andere Soziologen im Irrtum seien, wenn sie sich ihr nicht anschließen.“ N. Luhmann, Systemtheoretische Argumentationen. Eine Entgegnung auf Jürgen Habermas, (in:) J. Habermas, N. Luhmann (Hrsg.) Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt a.M. 1971, S. 379.
[36] O. Kühne, Osteuropa (wie Anmerkung 28) , S. 1418.
[37] Vgl. W. Manz, Der Stereotyp. Zur Operationalisierung eines sozialwissenschaftlichen Begriffs, Meisenheim 1968, S. 41 ff (in:) Günter Trautmann (Hrsg.) Die hässlichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn, Darmstadt 1991, S. 63.
[38] G. Trautmann (Hrsg.) Die hässlichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn, Darmstadt 1991, S. 63.
[39] Vgl. Ebenda, S. 60.
- Arbeit zitieren
- Edyta Monika Jarema (Autor:in), 2003, Stereotypen, Vorurteile und ihre Variabilität - Eine empirische Untersuchung zur interkulturellen Verständigung deutscher und spanischer Studenten in Polen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88856
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