Inhalt
I. Einleitung 2
II. Von der Rezeptionsästhetik zur Wirkungsästhetik 4
II.1 Die Entwicklung der Rezeptionsästhetik bis zu Iser 4
II.2 Wolfgang Isers Wirkungsästhetik 5
III Die Brücke vom Goldenen Horn 9
III.1 Inhaltliche Zusammenfassung des Romans 9
III.2 „Große Rolle, kleine Rollen – egal“ – Die Bedeutung der Rolle für Protagonistin und Leser 10
III.2.1 Die Realität der Protagonistin als entfremdendes Element 11
III.2.2 Die Szene der Defloration – Das Rollenspiel ad absurdum geführt 16
IV Fazit und Ausblick auf den aktuellen Diskurs 18
V Literaturverzeichnis 20
I. Einleitung
Der literarische Text verhält sich wie ein lebender Organismus, der mit dem Leser durch eine Rückkopplung verbunden ist und ihm Unterricht erteilt
Diese Äußerung J. M. Lotmans liefert bereits das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit. Schon mit der Begriffsbildung Bildungsroman, wie sie um 1820 durch den Literaturprofessor Karl von Morgenstern vorgenommen wurde, geht mit dem Bildungsroman eine Doppelbesetzung des Bildungsbegriffes einher. So definierte Morgenstern den Bildungsroman „als ein umfängliches Erzählwerk, […] für das nicht nur die Bildung eines Protagonisten, sondern auch die des Lesers konstitutiv ist“. Gemessen an dem Interesse jedoch, welches die Forschung der Gattung des Bildungsromans, einsetzend mit Beginn des Diskurses um Goethes (1749-1832) Wilhelm Meister – der nach wie vor als das herausragende Muster der Gattung gilt – im späten 18. Jahrhundert, entgegenbrachte, kam dem Bereich der Leserrolle vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zu.
Eben dieser Leserrolle gilt die Aufmerksamkeit der vorliegenden Arbeit. Als Gegenstand der Untersuchung wurde der Roman Die Brücke vom Goldenen Horn der türkisch-deutschen Autorin Emine Sevgi Özdamar gewählt.
Inhalt
I.. Einleitung
II Von der Rezeptionsästhetik zur Wirkungsästhetik
II.1 Die Entwicklung der Rezeptionsästhetik bis zu Iser
II.2 Wolfgang Isers Wirkungsästhetik
III... Die Brücke vom Goldenen Horn
III.1 Inhaltliche Zusammenfassung des Romans
III.2 „Große Rolle, kleine Rollen – egal“ – Die Bedeutung der Rolle für Protagonistin und Leser
III.2.1 Die Realität der Protagonistin als entfremdendes Element.
III.2.2 Die Szene der Defloration – Das Rollenspiel ad absurdum geführt
IV... Fazit und Ausblick auf den aktuellen Diskurs
V Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Der literarische Text verhält sich wie ein lebender Organismus, der mit dem Leser durch eine Rückkopplung verbunden ist und ihm Unterricht erteilt[1]
Diese Äußerung J. M. Lotmans liefert bereits das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit. Schon mit der Begriffsbildung Bildungsroman, wie sie um 1820 durch den Literaturprofessor Karl von Morgenstern vorgenommen wurde, geht mit dem Bildungsroman eine Doppelbesetzung des Bildungsbegriffes einher. So definierte Morgenstern den Bildungsroman „als ein umfängliches Erzählwerk, […] für das nicht nur die Bildung eines Protagonisten, sondern auch die des Lesers konstitutiv ist“.[2] Gemessen an dem Interesse jedoch, welches die Forschung der Gattung des Bildungsromans, einsetzend mit Beginn des Diskurses um Goethes (1749-1832) Wilhelm Meister – der nach wie vor als das herausragende Muster der Gattung gilt – im späten 18. Jahrhundert, entgegenbrachte, kam dem Bereich der Leserrolle vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zu.
Eben dieser Leserrolle gilt die Aufmerksamkeit der vorliegenden Arbeit. Als Gegenstand der Untersuchung wurde der Roman Die Brücke vom Goldenen Horn[3] der türkisch-deutschen Autorin Emine Sevgi Özdamar gewählt. Der Roman steht innerhalb der Gattung für eine neue Entwicklung: Betrachten wir die intensiv erforschten Bildungsromane des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts, stellen wir fest, dass die Romane Bildungswege nahezu ausschließlich männlicher Protagonisten zum Thema haben. Dies ist vor allem darauf zurückzuschließen, „dass die Bildungskonzepte der Zeit dezidiert auf die Phase männlicher Adoleszenz ausgerichtet waren“[4]. Erst im 20. Jahrhundert öffnet sich dieses starre Muster. Es treten Romane in den Diskurs ein, die sich als gültige weibliche Bildungsromane betrachten lassen, indem „eine Protagonistin im Zentrum des Romangeschehens steht“[5]. In den 1980er Jahren bildet sich erneut eine Varianz des Bildungsromans heraus. Mit Aufkommen der sogenannten Migrationsliteratur treten Romane in Erscheinung, welche den Bildungsweg des Protagonisten in einen interkulturellen Kontext stellen und die, wie es Ortrud Gutjahr vorschlägt, fortan als Beispiele des „interkulturelle[n] Bildungsroman[s]“[6] verstanden werden können.
Aufgrund der Tatsache, dass der interkulturelle Bildungsroman eine im wissenschaftlichen Diskurs neu eingeführte Ausprägung seiner Gattung ist, ist er bislang kaum erforscht. So liegt gerade zu der Frage nach der Leserrolle noch keine einschlägige Forschungsliteratur vor. Soll jedoch der Begriff des interkulturellen Bildungsromans seine Berechtigung haben, muss auch in seinem Fall der Bildung des Lesers, der Wirkung des Textes auf seinen Rezipienten, eine besondere Rolle zukommen.
Werfen wir einen Blick auf die interkulturelle Literaturwissenschaft, so finden wir hier Ansätze einer interkulturellen Hermeneutik. So formuliert Alois Wierlacher in Abgrenzung zur Hermeneutik Hans-Georg Gadamers eine Hermeneutik im interkulturellen Kontext, „die den Leser eines Textes in die Lage versetzt, verschiedene Rollen anzunehmen, mit ‚fremden Augen’ zu sehen und auf diese Weise die eigene Perspektive zu erweitern“[7]. Allerdings liegt noch keine Arbeit vor, die einen solchen Ansatz am Beispiel eines interkulturellen Bildungsromans fruchtbar werden ließ.
Die Annahme, dass der Rezipient verschiedene Rollen im Text annimmt, findet sich auch in der Wirkungsästhetik Wolfgang Isers wieder. Isers Konzept ist es auch, welches zur literaturtheoretischen Grundlage der nachfolgenden Untersuchung gewählt wurde. Denn anders als bei den hermeneutischen Ansätzen, schließt Iser die Leserrolle in sein Textmodell mit ein, indem er von einem „impliziten Leser“[8] ausgeht. Es findet sich so ein Anknüpfungspunkt an den Bildungsroman, der eine Wirkung des Textes am Leser, nämlich seine Bildung, bereits in seiner Gattungsbestimmung mit einschließt und so ebenfalls einen „gattungsimpliziten“ Leser vorsieht.
Bevor Özdamars Roman Die Brücke vom Goldenen Horn analysiert wird, soll in einem ersten Schritt im theoretischen Teil der Arbeit die Vorstellung der für die Untersuchung des Romans relevanten Literaturtheorien gemacht werden. Ausgehend von der Hermeneutik Georg Gadamers wird die Entwicklung der Rezeptionsästhetik bis hin zur Wirkungsästhetik Wolfgang Isers dargestellt. Auf Isers Wirkungsästhetik soll anschließend in einem eigenen Kapitel näher eingegangen werden.
Es werden im theoretischen Teil Begriffe festgelegt, mit welchen bei der Analyse des Primärtextes gearbeitet werden sollen. Im Übrigen hat die Arbeit nicht den Anspruch, die verwendeten Theorien vollständig darzustellen. Es geht vielmehr darum, einzelne, für die Analyse des Romans relevante Aspekte herauszugreifen, ohne dabei aus den logischen Gesamtzusammenhängen der einzelnen Konzepte herauszubrechen.
II. Von der Rezeptionsästhetik zur Wirkungsästhetik
II.1 Die Entwicklung der Rezeptionsästhetik bis zu Iser
Lange Zeit wurde die Rolle des Lesers von der Literaturwissenschaft unterschätzt und so handelt es sich bei der Rezeptionsästhetik um eine recht neue literaturwissenschaftliche Disziplin. Diese Hinwendung zur Betrachtung des Lesers und seiner Rezeptionsleistung fand vornehmlich in den 1960er Jahren statt. Einen entscheidenden Beitrag zu dieser Entwicklung lieferte die sogenannte „Konstanzer Schule“[9]. Der Begründer dieser Schule, Hans Robert Jauß, spricht von einem „Paradigmenwechsel in der Literaturwissenschaft“[10], da Jauß als „[…] Alternative […] zu den Paradigmen des ‚Historismus’ und der ‚werkimmanenten Ästhetik’ das rezeptionsästhetische Paradigma vorschlägt.“[11] Der Leser steht also im Mittelpunkt der Frage nach der Wirkung von literarischen Texten.
Die Bewegung fordert, wie es Jauß beschreibt, „[…] den Rezipienten als Empfänger und Vermittler, mithin als Träger aller ästhetischen Kultur, endlich in sein historisches Recht einzusetzen.“[12] Im Sinne der rezeptionsästhetischen Bewegung sollte der Rezipient und dessen „Erfahrung des literarischen Werkes“[13] Grundlage jeder literaturwissenschaftlichen Untersuchung sein. Indem Jauß von der Hermeneutik Georg Gadamers ausgeht, entwirft er eine „leserorientierte Literaturgeschichte“[14] und übernimmt hierfür den Begriff des „Erwartungshorizontes“[15]. Gadamer geht davon aus, dass dem Horizont des Textes der Erwartungshorizont des Lesers gegenüber steht. Dieser steht allerdings gegenüber ersterem in einem differenten kulturellen Kontext. Während der Lektüre verschmelzen die beiden Horizonte miteinander und indem sich der Leser mit dem Fremden des Textes vertraut macht und seinen Horizont erweitert, wird das „[…] Spannungsverhältnis zwischen vergangener und gegenwärtiger Bedeutung hermeneutisch […]“[16] ausgetragen. Jauß entwickelt Gadamers Ansatz dahingehend weiter, dass er von einer „Horizontabhebung“ spricht, welche die „produktive Rezeption“ des Lesers fordert. Er kritisiert bei Gadamer, dass dieser die Position des Lesers, sein kreatives Potential zu sehr vernachlässigt.[17] Der Text kann zwar den Lesevorgang intentional steuern, was aber aus ihm an Bedeutung hervorgeht, hebt sich vom Horizont des Textes ab. Jauß geht davon aus, dass der Leser nicht bloß das sprachlich Verfasste des Textes reproduziert, sondern dass er den Text durch seine individuelle Lektüreerfahrung aktualisiert und so eine neue, über den Text hinausgehende Bedeutung produziert.
Jauß’ Ansatz wird von den Arbeiten Wolfgang Isers weiterentwickelt, der, mit seiner Antrittsvorlesung Appellstruktur der Texte[18] aus dem Jahre 1969 ansetzend, die Grundmuster des Leseaktes weiter erforscht. Auf Isers Theorie soll im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden.
[...]
[1] Ju. M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte, München 1972, S. 42 f., Zitat nach: Iser, Wolfgang, Der Akt des Lesens, München 1994, S. 110.
[2] Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman, Darmstadt 2007, S. 9.
[3] Özdamar, Emine Sevgi: Die Brücke vom Goldenen Horn, Köln 2002.
[4] Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman, a.a.O., S. 62.
[5] Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman, ebd., S. 63.
[6] Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman, ebd., S. 69.
[7] Hofmann, Michael: Interkulturelle Literaturwissenschaft – Eine Einführung, Paderborn 2006.
[8] Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. München 1994, S. 50.
[9] Vgl. Nünning, Ansgar: Konstanzer Schule. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorien. Stuttgart 2001, S. 331: Nünning spricht von der Konstanzer Schule als „eine Gruppe von Literaturtheoretikern, Kritikern, Historikern und Philosophen, die in kritischer Fortführung der phänomenologischen Ästhetik R. Ingardens seit den späten 60er Jahren an der Universität Konstanz erforschten, wie der Prozess der Aneignung des ästhetischen Gegenstandes durch die Rezipienten sowie in der daraus entstehenden Rezeptionsgeschichte Bedeutung konstituiert wird und wie diese sich entwickelt.“
[10] Jauß, Hans Robert: Die Theorie der Rezeption – Rückschau auf ihre unterkannte Vorgeschichte. Konstanz 1987, S 5.
[11] Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main, 1970, S. 171.
[12] Jauß, Hans Robert: Der Theorie der Rezeption – Rückschau auf ihre unerkannte Vorgeschichte. Konstanz 1987, S. 5.
[13] Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft, a.a.O., S. 171.
[14] Zima, Peter: Literarische Ästhetik – Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft. Tübingen 1991, S. 224.
[15] Zima, Peter: Literarische Ästhetik, ebd., S. 224.
[16] Zima, Peter: Literarische Ästhetik, ebd., S. 224.
[17] Vgl. Zima, Peter: Literarische Ästhetik ebd., S. 225.
[18] Iser, Wolfgang, Appellstruktur der Texte – Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa, Konstanz 1970.
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2007, Die interkulturelle Wirkung des Textes am Leser in Özdamars "Die Brücke vom Goldenen Horn", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88845
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