Ziel dieser Arbeit ist es, die Rahmenbedingungen und Praxis zweier Europäischer Betriebsräte im Einzelnen zu betrachten und miteinander in Vergleich zu setzen.
Das Projekt „Europa“ und die Öffnung des EU- Binnenmarktes haben für die innereuropäischen Arbeitsbeziehungen neue Bedingungen geschaffen. Bis zum Maastrichter Vertrag sind allerdings „alle Versuche fehlgeschlagen, ein System prozeduraler Regeln der kollektiven Arbeitsbeziehungen […] zu schaffen“ (Armingeon 1994: 207). Mit „Maastricht“ kam es endlich zur Verankerung und Aufwertung des „Sozialen Dialogs“ sowie zur qualifizierten Mehrheitsentscheidung im Europarat, was letztendlich auch zur Verabschiedung der lang umkämpften Richtlinie über „die Einsetzung europäischer Betriebsräte“ führte.
Die Europäischen Betriebsräte (EBR) sollen zu einer verbesserten sozialen Integration in der Europäischen Union beitragen, indem sie sich für einen grenzübergreifenden „betrieblichen sozialen Dialog“ einsetzen und diesen innerhalb der multinationalen Konzerne (MNK) fördern.
Inhaltsverzeichnis
TABELLENVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
1.1 Der Hintergrund zur Entstehung grenzübergreifender Interessenvertretung in multinationalen Konzernen
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
1.3 Methodik
2 RECHTLICHER RAHMEN UND ERKENNTNISSE AUS DER EBR- PRAXIS
2.1 Die EBR-Richtlinie 94/45/EG des Rates der EU
2.1.1 Geltungsbereich der Richtlinie
2.1.2 Voraussetzungen für die Einsetzung eines EBR
2.2 EBR-Vereinbarungen nach Art. 13 und Art. 6 der EBR-Richtlinie im Vergleich
2.3 Information und Konsultation der Europäischen Betriebsräte
2.4 Transnationalität - Was bedeutet das für einen EBR?
2.5 Engere Ausschüsse
2.6 Forderungen der EBR und Gewerkschaften bezüglich der Revision der EBR- Richtlinie
3 DER EBR EINES BRITISCHEN TEXTIL-KONZERNS
3.1 Strukturentwicklung des Textil-Konzerns
3.2 Konstituierung und Entwicklung des freiwilligen EBR
3.3 Die EBR-Vereinbarung im Vergleich mit der Praxis
3.3.1 Zusammensetzung des EBR
3.3.2 Das Select Committee
3.3.3 Information und Konsultation - Themen und Praxis
3.3.4 EBR-Sitzungen
3.4 Interaktionsfelder und informelle Informations- und Kommunikationspraktiken .
3.4.1 Interaktion und Kommunikation mit dem Management
3.4.2 EBR-interne Interaktion
3.4.3 Austausch mit den jeweils nationalen Arbeitnehmervertretungen und Belegschaften ..
3.4.4 Interaktion mit den Gewerkschaften
3.5 Resümee
4 DER EBR EINES DEUTSCHEN KUNSTSTOFF- KONZERNS
4.1 Strukturentwicklung des Kunststoff- Konzerns
4.2 Konstituierung des Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG)
4.3 Die EBR-Vereinbarung im Vergleich mit der Praxis
4.3.1 Zusammensetzung des EBR
4.3.2 Mandatsdauer und Schutz der Mitglieder
4.3.3 Der Lenkungsausschuss
4.3.4 Unterrichtung und Anhörung
4.3.5 EBR-Sitzungen und externe Berater
4.4 Interaktionsfelder und informelle Informations- und Kommunikationspraktiken .
4.4.1 Interaktion mit dem Management
4.4.2 EBR-interne Interaktion
4.4.3 Austausch mit den jeweils nationalen Arbeitnehmervertretungen und Belegschaften ..
4.4.4 Interaktion mit den Gewerkschaften
4.5 Resümee
5 VERGLEICH DER ZWEI UNTERSUCHTEN EUROPÄISCHEN BETRIEBSRÄTE - BEZUG NEHMEND AUF BESTIMMTE INTERAKTIONSFELDER UND EBR-TYPEN
5.1 Interaktionsfelder des Europäischen Betriebsrats
5.2 Vergleich und Zuordnung der zwei EBR-Beispiele zu unterschiedlichen EBR-Typen auf Grundlage von zwei Studien
5.2.1 Der „beteiligungsorientierte“ und der „mitgestaltende“ EBR
5.2.2 Der „Projektorientierte EBR“
5.2.3 Der deutsche EBR-Vorsitzende als „Fürsprecher der Diaspora“ und der „dienstleistende EBR“
5.2.4 Der EBR im Leerlauf: der zahnlose Tiger
5.2.5 Der EBR als Informationsanalytiker: das Florettfechten
5.2.6 Der „symbolische“ bzw. „marginalisierte“ EBR
5.3 Resümee
6 SCHLUSSBETRACHTUNG
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG:
LEITFADEN FÜR DIE QUALITATIVEN INTERVIEWS MIT
QUANTITATIVER ORIENTIERUNG
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Interviewpartner
Tabelle 2: Beispiel einer Schwellenwertberechnung nach deutschen und britischen Kriterien im Vergleich
Tabelle 3: a) Stammsitz der Konzerne mit EBR-Vereinbarungen nach Art. 6 16 oder Art. 13
Tabelle 4: b) Branchenzugehörigkeit der Konzerne mit EBR-Vereinbarungen nach Art. 6 oder Art. 13
Tabelle 5: Zahl der EBR-Mitglieder je Standort in Europa
Tabelle 6: Zuständigkeitsverteilung der Mitglieder des Select Committee
Tabelle 7: Standortstruktur in Europa im Jahr 2005
Tabelle 8: Entwicklung der Konzern-Struktur von 2003 bis 2006
Tabelle 9: Entwicklung der EBR-Zusammensetzung und Größe
Tabelle 10: Die äußeren Merkmale der untersuchten EBR
Abbildungsverzeichnis
Abbildung1: Interaktionsfelder des EBR….72
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Der Hintergrund zur Entstehung grenzübergreifender Interes- senvertretung in multinationalen Konzernen
Das Projekt „Europa“ und die Öffnung des EU- Binnenmarktes haben für die in- nereuropäischen Arbeitsbeziehungen neue Bedingungen geschaffen. Bis zum Maastrichter Vertrag sind allerdings „alle Versuche fehlgeschlagen, ein System prozeduraler Regeln der kollektiven Arbeitsbeziehungen […] zu schaffen“ (Ar- mingeon 1994: 207). Mit „Maastricht“ kam es endlich zur Verankerung und Auf- wertung des „Sozialen Dialogs“ sowie zur qualifizierten Mehrheitsentscheidung im Europarat, was letztendlich auch zur Verabschiedung der lang umkämpften Richtlinie über „die Einsetzung europäischer Betriebsräte“ führte. (Platzer 2002:
1) Die Europäischen Betriebsräte (EBR) sollen zu einer verbesserten sozialen Integration in der Europäischen Union beitragen, indem sie sich für einen grenz- übergreifenden „betrieblichen sozialen Dialog“ einsetzen und diesen innerhalb der multinationalen Konzerne (MNK) fördern. Die Internationalisierung von Un- ternehmen und die Erschließung neuer Märkte lässt Unternehmen immer mehr zu globalen Unternehmensnetzwerken („global players“) werden. (Schulten 1995: 337) Entscheidungen über Investitionen, Standorte, Arbeitszeitmodelle, allge- meine Umstrukturierungsmaßnahmen, etc. werden von den zentralen Konzern- leitungen (ZL) getroffen und werden nur noch dezentral umgesetzt. Strategische Allianzen und (grenzübergreifende) Fusionen, mit den entsprechenden Einspa- rungseffekten bei der Beschäftigung, gehören inzwischen in allen Branchen zur „normalen“ Entwicklung des Unternehmens (Benz-Overhage 2000). Die Arbeit- nehmervertreter1 werden dadurch zunehmend mit Unternehmensentscheidungen konfrontiert, die in erster Linie in den Konzernzentralen getroffen wurden, und somit jenseits der nationalen Mitbestimmungs- und Informationsgrenze liegen. (Greif 2002: 5) Als Konsequenz auf diese Entwicklungen wurde 1994, nach lan- ger Blockadehaltung der europäischen Arbeitgeberverbände, die Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte verabschiedet. Bis dahin gab es keine bzw. nur sehr spezifische rechtliche Regelungen über Information und Konsulta- tion der Arbeitnehmervertretungen und Belegschaften bezüglich transnationaler Entscheidungen der ZL. Die Notwendigkeit grenzüberschreitender Arbeitnehmer- information und Konsultation für einen betrieblichen sozialen Dialog begründet die Kommission in der EBR-Richtlinie folgendermaßen:
„Die Vollendung des Binnenmarktes wird zwangsläufig einen Prozess der grenzüberschreitenden Fusionen, Übernahmen und Joint-Ventures und damit einhergehend eine transnationale Strukturierung von Unternehmen und Unternehmensgruppen auslösen. Wenn die wirtschaftlichen Aktivitä- ten sich in harmonischer Weise entwickeln sollen, so müssen Unterneh- men und Unternehmensgruppen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, die Vertreter ihrer von den Unternehmensentscheidungen betroffe- nen Arbeitnehmer unterrichten und anhören“ (Richtlinie 94/45/EG).
Verglichen mit dem Betriebsrat eines deutschen Unternehmens, muss der EBR eines MNK ohne das Recht auf Mitbestimmung über Entscheidungen der Unternehmens-/Konzernleitung auskommen. Aus diesem Grund ist er eher mit dem deutschen Wirtschaftsausschuss vergleichbar.
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
Die politischen und wissenschaftlichen Einschätzungen bezüglich der EBR- Wirklichkeit gehen weit auseinander. Vor allem in den Fragen der europa- und integrationspolitischen Bedeutung des EBR-Prozesses und inwieweit die EBR die Entwicklung grenzübergreifender Arbeitsbeziehungen vorantreiben, herrscht keine Einigkeit zwischen den Experten (Lecher et al. 2001). Die Lager teilen sich in die Gruppe der Europa-Optimisten und die Gruppe der Europa-Pessimisten, wobei die Debatte konträr und oft rein spekulativ geführt wird. Der Grund hierfür ist: Die transnationale Struktur betrieblicher Arbeitsbeziehungen im europäischen Rahmen ist ein noch sehr junges Feld und die Transformation der EBR-Richtlinie in jeweils nationales Recht ist aufgrund der diversen europäischen Arbeitsbezie- hungssysteme in den Einzelstaaten sehr unterschiedlich. Diagnosen der Wissen- schaftler über die Entwicklung der EBR reichen von „Weder Betriebsrat noch europäisch“ (Streeck 1997) bis hin zu Untersuchungsergebnissen, die eine dy- namische, aber uneinheitliche Entwicklung von EBR herausstellen, woraus un- terschiedliche EBR-Typen und Profile unterschiedlicher Akteursqualitäten gene- riert werden. Wie weit die Handlungs- und Einflussmöglichkeiten eines EBR in der Praxis im Einzelfall gehen bzw. gehen können und welche verschiedenen EBR-Typen sich in der Praxis bisher herausgestellt haben, muss auch in Zukunft weiter untersucht werden. Die Studien von Lecher et al. aus 1998 und 1999 so- wie von Kotthoff aus 2005 haben bereits unterschiedliche EBR-Typen beschrei- ben können. Sie untersuchten eine Auswahl von EBR-Gremien verschiedener Konzerne aus unterschiedlichen Branchen verschiedener Staaten. Hierzu entwickelten sie zielgerichtete Fragebögen und führten Interviews mit den Akteuren. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Einzelfall-Studien, die aber sehr spezi- fisch sind und keine Vergleiche zu den Ergebnissen anderer Studien ziehen. Laut Kotthoff (2005) reicht es zur Erforschung der Entwicklung der EBR-Praxis nicht aus, viele EBR einzeln zu untersuchen. Es muss auch einen Vergleich zwischen diesen Einzelfällen stattfinden und es sollte zu einer Typisierung kommen. Ver- gleichende qualitative Untersuchungen, in denen die Einzelfall-Untersuchungen gegenüber gestellt werden, um im Ergebnis zu Typisierungen zu gelangen, sind für die Erforschung eines noch recht jungen Gremiums wie den EBR notwendig (Kotthoff 2005).
Diese Arbeit unterstützt die These der „uneinheitlichen Entwicklung“ der Europäischen Betriebsräte. Die Typisierung stellt eine geeignete Möglichkeit dar, die einzelnen Entwicklungsstufen der EBR und ihr Potenzial als europa- und integrationspolitischer Akteur zu beschreiben.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Rahmenbedingungen und Praxis zweier Europäischer Betriebsräte im Einzelnen zu betrachten und miteinander in Vergleich zu setzen. Untersuchungsgegenstände sind Rahmenbedingungen und das „Innenleben“ der beiden Gremien. Die Untersuchung des „Innenlebens“ meint die qualitative Erforschung der Kommunikationsstrukturen und Interaktionsfelder. Die Rahmenbedingungen sind vielfältig und reichen von den Bestimmungen der EBR-Richtlinie über die EBR-Vereinbarungen, über die Persönlichkeit der Akteure bis hin zur Herkunft, Kultur und Strategie der Konzerne.
Es handelt sich bei den untersuchten Beispielen zum einen um den EBR eines deutschen Konzerns der Kunststoffindustrie und zum anderen um den EBR eines britischen Konzerns der Textilindustrie.
In Kapitel 2 wird der rechtliche Rahmen durch die Regelungen der EBR-Richtlinie mit ihren möglichen Auswirkungen auf die EBR-Praxis beschrieben. Angesichts der Revision der Richtlinie bietet sich an, abschließend den Forderungskatalog der Akteure der Arbeitnehmerseite darzustellen, der über die letzten elf Jahre der EBR-Praxis entstand.
Die Kapitel 3, 4 und 5 bilden den empirischen Teil der Arbeit. Abschnitt 3 enthält die Untersuchungsergebnisse über den EBR des britischen Textil-Konzerns. Ab- schnitt 4 enthält die Untersuchungsergebnisse über den EBR des deutschen Kunststoff-Konzerns. Dazu ist jeweils eine kurze Darstellung der zugehörigen Konzerne unerlässlich, denn Existenz und Arbeit eines EBR wird unmittelbar von der Konzernstruktur, Konzernkultur und vom Stammsitz beeinflusst. Danach folgt ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte der EBR, wobei der Prozess bis hin zur Konstituierung besonders hervorgehoben wird. Anschließend wird der Inhalt der einzelnen EBR-Vereinbarungen mit der tatsächlichen Praxis der zwei EBR ver- glichen. Dabei soll zum einen geprüft werden, ob die Regelungspunkte der Ver- einbarungen entsprechend umgesetzt werden und zum anderen, welche infor- mellen Regelungen tatsächlich praktiziert werden, ohne dass dies schriftlich ver- einbart wurde.
Hierauf aufbauend folgt die Untersuchung der interaktiven und kommunikativen Ebene. Dieser Teil stellt das eingangs beschriebene „Innenleben“ des EBR dar. Die Entwicklung eines EBR wird nicht nur von den rechtlichen Rahmenbedingun- gen geprägt, sondern ist vor allem von den Haltungen, Handlungen, der Aktivität oder Passivität der Akteure abhängig. Aus diesem Grund werden die Interakti- onsfelder und Kommunikationsstrukturen zwischen EBR und Management, den EBR-Mitgliedern intern, zwischen EBR und den nationalen Arbeitnehmervertre- tungen und zwischen EBR und Gewerkschaften dieser beiden EBR untersucht und dargestellt, sofern von aktiver Interaktion gesprochen werden kann.
Abschnitt 5 beinhaltet einen direkten Vergleich der zwei EBR-Beispiele. Zur Ge- genüberstellung werden im ersten Teil die Interaktionsfelder Lechers et al. (1998) aufgegriffen, welche bereits hintergründig in den Abschnitten drei und vier zur Untersuchung der Praxis-Beispiele herangezogen worden sind. Hier werden die Parallelen und Unterschiede zwischen den zwei EBR herausgestellt. Zur abschließenden Analyse der zwei EBR-Profile werden sie anhand der gene- rierten EBR-Typen Kotthoffs und Lechers miteinander verglichen. Auf diese Wei- se soll festgestellt werden, ob sie einem dieser Typologien zuzuordnen sind, ob sie in der Praxis eine Mischform darstellen oder ganz aus den generierten Profi- len herausfallen.
1.3 Methodik
Zur Durchführung dieser Studie wurde die Methode des qualitativen Interviews genutzt. Es wurde jeweils zwei leitfadengestützte2, qualitative Interviews durch- geführtgeführt, in denen höchstens richtungweisende Rückfragen gestellt wur- den, ansonsten die Akteure aber frei aus der Welt der EBR-Praxis berichteten.
Der Grund für die Entscheidung zur Entwicklung eines Interview-Leitfadens und somit eines quantitativ orientierten, aber qualitativ geführten Interviews, war der Erhalt der Vergleichbarkeit der Gesprächsergebnisse, um die individuellen Merkmale der Gremien eindeutiger miteinander in Vergleich setzen zu können. Es liegt auf der Hand, dass die interviewten Personen zur Gruppe der feldinter- nen Reflexionsexpertise gehören. Als EBR-Mitglieder agieren sie an der Schnitt- stelle zu den relevanten Akteuren, die zusätzlichen Einfluss auf die Praxis des Gremiums haben. Sie sind die Personen, die die Teilperspektiven zu einem Gan- zen zusammenfügen können, was ihr Wissen tendenziell relational prägt. Prob- lematisch ist, dass die Informationen, die grundsätzlich durch diese Personen zu erfahren wären, oft Thematisierungsschranken unterliegen. (vgl. Froschau- er/Lueger 2003)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Interviewpartner
Für den Kunststoff-EBR fand das Interview mit dem zum damaligen Zeitpunkt (04. April 2005) gerade aus dem Amt scheidenden EBR-Vorsitzenden statt. Er war von Beginn an, über insgesamt vier Jahre, als Vorsitzender des EBR aktiv und war Mitglied im Besonderen Verhandlungsgremium (BVG). Die Erlaubnis zur Tonaufnahme des Gesprächs auf Kassette wurde gegeben. Im Anschluss wurde das Interview wortwörtlich schriftlich verfasst
Für den Textil-EBR fand das örtliche qualitative Interview mit einem EBR-Mitglied statt, das keine weitere Position im bestehenden Lenkungsausschuss innehat. Seine Erfahrungen und Bezugspunkte innerhalb des Gremiums sind dadurch vergleichsweise begrenzt. Von ihm wurde keine Aufnahmeerlaubnis gegeben. In diesem Fall sind die Informationen handschriftlich erfasst und auf dem Leitfaden notiert worden. Im Anschluss an dieses Interview fanden einige Kurztelefonate zur Klärung offener Fragen statt.
Aus Gründen der räumlichen Entfernung mussten weitere qualitative Interviews am Telefon geführt werden. Die Methodik war entsprechend der örtlichen Interviews. Die erhaltenen Informationen wurden notiert. Auch den Telefon-Interviews folgten weitere Telefonate, um Informationen zu ergänzen.
Durch die mehrfache Kontaktaufnahme per Telefon und E-Mail fand ein hilfreiches Kennenlernen statt, was nach und nach dazu führte, dass offener über die Situation des EBR sowie über die Entwicklungen des Konzerns gesprochen wurde. Dadurch konnten weitergehende Informationen über interne Kommunikationspraxis und Kommunikationsprobleme verwertet werden.
2 Rechtlicher Rahmen und Erkenntnisse aus der EBR-Praxis
2.1 Die EBR-Richtlinie 94/45/EG des Rates der EU
Die europäische Richtlinie 94/45/EG des Rates der EU vom 22.09.1994 über „die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates oder die Schaffung eines Verfah- rens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen“ ist die europarechtliche Grundlage für einen „betrieblichen sozialen Dialog“ zwischen den Akteuren ge- meinschaftsweit tätiger Unternehmen. Bis zum 22. September 1996 sollten die EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie in ihr nationales Recht umgesetzt haben. In Deutschland erfolgte dies fristgemäß in einem eigenen „Gesetz über Europäi- sche Betriebsräte“ und nicht innerhalb des deutschen Betriebsverfassungsgeset- zes (BetrVG) (Lecher et al. 1998: 44).
Das Thema EBR ist als Kommissionsinitiative ins Leben gerufen worden und sollte mit dem Ziel einer sozialpartner-initiierten Richtlinie im Rahmen des euro- päischen Sozialen Dialogs auf branchenübergreifender Ebene verhandelt wer- den. Dieser Versuch, die Frage der Interessenvertretung im Rahmen dieses eu- ropäischen Sozialdialogs zu klären, scheiterte aus letztlich nicht im Detail zu er- mittelnden Gründen. Allgemein wurde festgestellt, dass die politischen Zielset- zungen der Sozialpartner (UNICE, CEEP und EGB) zu gegensätzlich waren, um in dieser Phase zu einem Konsens zu gelangen. Die Arbeitgeberseite sah ihre Rolle am Status Quo3 orientiert, während der EGB durchaus regulierende Rah- menabkommen schaffen wollte. Bis zum endgültigen Erlass der Richtlinie 1994 folgten weitere Entwürfe, da alle Vorschläge lange Zeit am Widerstand der Ar- beitgeber sowie am Veto Großbritanniens scheiterten (Jacobi 1995: 277). Es gingen eine Reihe von Stellungnahmen bei der Kommission ein, aber es fanden keine Verhandlungen unter den Sozialpartnern statt. Nach der zweiten Anhörung und nach Ablauf der neunmonatigen Frist setzte die Kommission das Gesetzge- bungsverfahren eigenständig wieder in Gang, was am 22. September 1994 zur Verabschiedung der EBR-Richtlinie auf Grundlage des Kommissionsentwurfes führte. Portugal stimmte der EBR-Richtlinie als einziger EU-Mitgliedsstaat nicht zu. GB lehnte die Unterzeichnung des Abkommens über die Sozialpolitik ab und erhielt eine „opt-out“-Klausel, die den Staat zunächst von Verpflichtungen aus diesem EU-Abkommen befreite. 1997 unterzeichnete auch GB das Abkommen. Die Richtlinie 94/45/EG des Rates wurde am 15.12.1997 durch die Richtlinie 97/74/EG auf GB und Nordirland ausgeweitet (Keller 2001).
Die EBR-Richtlinie ist die erste Richtlinie, die auf der Grundlage des Abkommens über die Sozialpolitik erlassen wurde und stellt einen ersten Schritt in Richtung eines kollektiven Arbeitsrechts auf europäischer Ebene dar. Lecher spricht zu recht von einem Paradigmenwechsel in der sozial- und arbeitspolitischen Regu- lierung durch die EU. (Lecher et al. 2001:15) Und auch Platzer kommt zu dem Schluss, dass es neben der im Maastrichter Vertrag für die Regelungsmaterien der Information und Konsultation von Arbeitnehmern in transnationalen Unter- nehmen sowie die Mitbestimmung in der europäischen Aktiengesellschaft (SE) eingeführten Mehrheitsentscheidung, vor allem den von der EU-Kommission for- cierten Paradigmenwechsel im Regulierungsansatz bedurfte, um diese europäi- schen Gesetzgebungsvorhaben Mitte-Ende der 90er Jahre durchzusetzen (Plat- zer 2001).
Es ist nicht so, dass es nicht schon vor Inkrafttreten der Richtlinie einige europäi- sche Gremien im Sinne eines EBR gab. Bereits am 07. Oktober 1985 wurde bei- spielsweise bei Thomson die erste EBR-Vereinbarung unterzeichnet. Damit wur- de ein Grundstein für die Entwicklung der heutigen EBR-Richtlinie gelegt. Grund- konzept und Herangehensweise aus dieser Vereinbarung fanden sich 1990 in einem ersten Entwurf zur EBR-Richtlinie wieder. (int.unity 2004: 13) Der Inhalt und Aufbau der EBR-Richtlinie spiegelt die historischen Erfahrungen aus den damals bereits konstituierten europäischen Gremien wider. Durch Unterstützung der Kommission, indem sie im Jahre 1990 eine Haushaltslinie einrichtete, konn- ten noch vor Verabschiedung der EBR-Richtlinie hunderte von Betriebsrätekonfe- renzen ermöglicht werden. Auf diesem Wege kam es zu den ersten freiwilligen Vereinbarungen. Damit wurde - supranational politisch gesteuert - ein auf die Schaffung von Legitimation durch Präzedenzfälle zielender Prozess weitergetrie- ben, der Mitte der 80er Jahre mit „Pionierprojekten“ auf nationaler Ebene begon- nen hatte. Zunächst in französischen (Staats-) Konzernen, dann (auf der Basis eines Rahmenabkommens der Tarifverbände) in deutschen Chemiekonzernen (Platzer 2001: 11).
Die EBR-Richtlinie schafft erstmals eine Institution des kollektiven Arbeitsrechts auf europäischer Ebene. Der Regulierungsmodus der EBR-Richtlinie ist beson- ders dadurch gekennzeichnet, dass an die Stelle substanzieller Normen und ma- terieller Regeln, detaillierte Verfahrensregeln treten und eine harmonisierende Rahmenregelung durch das Prinzip der unternehmensspezifischen Aushand- lungsprozesse ersetzt wird. Dieser, lediglich an Mindestvorschriften gebundene, Autonomiespielraum der sozialen Akteure über Regelungen bezüglich einer europäischen Arbeitnehmervertretung in betroffenen MNK, lässt die Komplexität aller europäisch nationalen Mitbestimmungskulturen weiter zu und bedient somit klar das Subsidiaritätsprinzip der EU. Wo vorher ausschließlich das Prinzip überstaatlicher Normierung durch formalisierten Rechtszwang galt, haben die Akteure nun die Möglichkeit, grenzübergreifende rechtsgültige Regulierungen eigenständig zu verhandeln (Lecher et al. 2001: 15).
Als Vorgänger der EBR-Richtlinie kann die Richtlinie 75/129/EWG vom 17.02.1975 über Massenentlassungen gesehen werden. In ihr ist die Informie- rung und Konsultierung der Arbeitnehmer speziell vor einer Massenentlassung geregelt. Auch die dann folgenden Richtlinien 77/187/EWG vom 14.02.1977 über die Wahrung erworbener Ansprüche beim Betriebs- und Unternehmensübergang (heutige RL 2001/23/EG vom 12.03.2001) und die Rahmenrichtlinie 89/391/EWG vom 12.06.1989 über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz regeln in diesen jeweils speziellen Fällen die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerver- tretungen. Mit der EBR-Richtlinie wurde erstmals eine allgemeine Regelung zur Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmervertretern bezüglich aller europä- isch grenzübergreifenden Management-Entscheidungen festgelegt, die mindes- tens zwei Unternehmen in zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten betreffen. Verstärkend und ergänzend auf die EBR-Richtlinie wirkte die RL 2002/14/EG vom 11.03.2002 zur „Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrich- tung und Anhörung der Arbeitnehmer auf einzelstaatlicher Ebene“ (Blanke 2003: 48 ff.).
Quantitativ betrachtet sind mit den rund 600 EBR, die bis Ende des Jahres 2000 etabliert waren, weniger als die Hälfte der nach den Kriterien der Richtlinie mögli- chen Fälle abgedeckt. Die eingerichteten EBR erreichen jedoch, in Belegschafts- zahlen gerechnet, bereits einen Repräsentationsgrad von über sechzig Prozent (Platzer 2001: 12). Bis Dezember 2004 hatten von 2169 transnationalen EBR- pflichtigen Unternehmen erst 737 einen EBR bzw. ein Verfahren zur Unterrich- tung und Anhörung der Arbeitnehmer in grenzübergreifenden Angelegenheiten geschaffen (Altmeyer 2005a). Im April 2005 ist die Gesamtzahl der EBR bereits auf 762 angewachsen (European works councils - database 2005) Die Gesamt- zahl wurde allerdings zusätzlich aus einem strukturellen Grund vermindert. Un- ternehmensfusionen führen oft zu „EBR-Fusionen“, was die zahlenmäßige Ent- wicklung der EBR-Gremien verlangsamte. Eine Studie des EGI berichtete, dass es bereits im Mai 2004 ca. 923 EBR hätte geben müssen, aber in der Zeit von 1999 bis 2001 über 167 EBR von grenzübergreifenden Fusionen und Übernah- men betroffen waren, was die Anzahl von ca. 737 EBR im Jahr 2004 erklärt (Alt- meyer 2004b).
2.1.1 Geltungsbereich der Richtlinie
Nach zweijähriger Implementierungsfrist trat die EBR-Richtlinie am 22. Septem- ber 1996 für zunächst 14 EU-Staaten in Kraft. Bis dahin sollten alle EU- Mitgliedstaaten die Richtlinie in ihr nationales Recht umgesetzt haben. Norwe- gen, Liechtenstein und Island setzten sie im Rahmen der Assoziierungsabkom- men zwischen EU und Europäischen Wirtschaftsraum um. Am 15. Dezember 1997 unterschrieb im Rahmen des Amsterdamer Vertrags auch GB das Maast- richter Sozialprotokoll und die Richtline 97/74/EG des Rates dehnte den Gel- tungsbereich auf Großbritannien (GB) und Nordirland aus (KOM(2000)188 endg.). Am 15. Januar 2000 transformierte GB die Richtlinie ebenfalls in nationa- les Recht. In Westeuropa blieben zum damaligen Zeitpunkt alleine die schweize- rischen Arbeitnehmer (AN) ohne Anspruch auf Vertretung in einem europäischen Arbeitnehmergremium (Marginson et al. 2000).
Ergänzend muss hier erwähnt werden, dass in EBR-Vereinbarungen Regelungen getroffen werden können, die über die Rahmenbedingungen der Richtlinie hi- nausgehen. Zum Beispiel kann schriftlich festgelegt werden, dass die AN von Nicht-EU-Staaten mit einzubeziehen sind. Dieses Thema war besonders in der Zeit vor der Osterweiterung im Mai 2004 interessant. Hellmut Gohde untersuchte verschiedene EBR-Vereinbarungen und stellte fest, dass die Einbeziehung be- stimmter EU-Staaten schriftlich in ihnen verankert ist. Hier muss zwischen zwei Beteiligungsstatuten unterschieden werden: Die eine Art von Vereinbarung ge- währt Voll-Status für die AN der Nicht-EU-Länder im EBR, die andere Art gewährt lediglich einen Beobachterstatus mit sehr eingeschränkten Beteiligungsmöglich- keiten (Gohde 2004).
2.1.2 Voraussetzungen für die Einsetzung eines EBR
Die Einsetzung eines EBR geschieht seit September 1996 auf Grundlage der EBR-Richtlinie und erschließt sich ausschließlich hinsichtlich der Mitarbeiterzah- len des jeweiligen MNK innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Hiernach wird be- stimmt, ob ein transnationales Unternehmen EBR-pflichtig ist oder nicht. Nach den Schwellenwerten der Richtlinie sollte ein EBR konstituiert werden, „wenn das Unternehmen ein „gemeinschaftsweit operierendes Unternehmen“ mit mindes- tens 1000 Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten und mit jeweils mindestens 150 Arbeitnehmern in mindestens 2 Mitgliedstaaten ist“ (EBR-Richtlinie Art. 2). Diese Regelung ist im deutschen EBRG in den §§ 2 und 3 in diesem Sinne übernom- men worden. Auch Teilzeitbeschäftigte werden voll mit gezählt. Im Vergleich stellt das umgesetzte EBR-Gesetz in GB gerade in diesem Punkt eine Besonderheit dar. Der Schwellenwert der Arbeitnehmerzahlen verschiebt sich bei britischen MNK durch die besondere Bewertung der Teilzeitbeschäftigten nach oben. In Teil II Punkt 6 Abschnitt 3 des britischen EBR-Gesetzes ist abweichend vom deut- schen EBRG festegelegt, dass Teilzeitbeschäftigte mit weniger als 75 Arbeits- stunden pro Monat als 0,5 Personen gewertet werden.
Das führt zu folgendem Beispiel:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Beispiel einer Schwellenwertberechnung nach deutschen und briti- schen Kriterien im Vergleich
Die ZL eines Konzerns muss ihren Sitz aber nicht unbedingt in einem der EU- Mitgliedstaaten haben. Es können ebenso außereuropäische Konzerne sein, die nach den Bestimmungen der RL durch ihre Tochterunternehmen in Europa EBR- pflichtig werden (Altmeyer 2004b). In Art. 3 Abs. 6 der EBR-Richtlinie sind diese Bestimmungen schriftlich geregelt: „[…] Unterliegt das Unternehmen nicht dem Recht eines Mitgliedstaates, so ist das Recht des Mitgliedstaates maßgebend, in dem […] die zentrale Leitung desjenigen Unternehmens innerhalb einer Unter- nehmensgruppe ansässig ist, das die höchste Anzahl von Arbeitnehmern auf- weist“. Dementsprechend findet auch das nationale EBR-Gesetz des zuständi- gen Standortes Anwendung. Zum Zwecke der Verantwortungszuweisung für die Einrichtung eines EBR wird diese Regelung in Art. 4 Abs. 2 der EBR-Richtlinie nochmals genau formuliert. Die nach diesen Kriterien zuständige ZL ist demnach für die Schaffung der Voraussetzungen zur Einsetzung eines EBR verantwortlich.
Die Grundvoraussetzung ist jedoch seit 19964 laut Gesetz ein schriftlicher Antrag
auf Einrichtung eines BVG. Sei es durch die ZL oder „von mindestens 100 Ar- beitnehmern oder ihrer Vertreter aus mindestens zwei Betrieben oder Unterneh- men in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten […]“ (EBR-Richtlinie Art.
5 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1).
Um eine Repräsentanz der einzelnen nationalen Unternehmensstandorte inner- halb dieses Verhandlungsgremiums zu gewährleisten, sieht die Richtlinie in Art. 5 Abs. 2c vor, dass jedes EU-Land, in dem der Konzern mindestens ein abhängi- ges Unternehmen hat, mindestens einen Vertreter von dort in das BVG zu ent- senden hat. Das BVG sollte dann aus mindestens 3 und maximal aus 17 Perso- nen bestehen (vgl. EBR-Richtlinie Art. 5 Abs. 2b). Sind in einem Mitgliedstaat keine offiziellen Arbeitnehmervertreter vorhanden, so können die AN dieser Un- ternehmen oder Betriebe selbst Mitglieder wählen oder benennen. (vgl. EBR- Richtlinie Art. 5 Abs. 2a). Auf diese Weise soll gewährleistet sein, dass alle dem Konzern angehörenden Betriebe und Unternehmen mit ihren unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Arbeitsbeziehungssystemen an ihren nationalen EU- Standorten, die Vereinbarung tatsächlich konzernspezifisch mitgestalten können. Zusätzliche Mitglieder werden entsprechend nach dem nationalen EBR-Recht wo die ZL ihren Sitz hat prozentual im Verhältnis zu der Arbeitnehmeranzahl der Unternehmen und/oder Betriebe der einzelnen Länder ermittelt (vgl. EBR- Richtlinie Art. 5 Abs. 2c). Die Auswahl und Zusammensetzung des BVG ge- schieht in jedem Fall unabhängig von der ZL, wobei das Ergebnis der ZL und allen regionalen Unternehmensleitungen mitgeteilt wird (vgl. EBR-Richtlinie Art. 5 Abs. 2d).
Alle Kosten, die im Zusammenhang mit der Einsetzung des EBR entstehen, hat laut Richtlinie die ZL zu tragen. Regelungen für die Übernahme entstehender Kosten während der Zusammensetzung des BVG, also im Vorfeld zur Konstituie- rung, sind in der EBR-Richtlinie nicht geregelt. Die EU-Kommission hat hierfür einen Fonds eingerichtet, der vom EGB verwaltet und nach Bedarf eingesetzt wird (EU-Haushaltsrichtlinie 4004) (Lecher et al. 1998: 230). Gerade Gewerk- schaften der europäischen Ebene spielen bei der Unterstützung und Motivation aller notwendigen Aktionen zur Konstituierung eines EBR eine zentrale Rolle.
Das BVG hat die Aufgabe, mit der ZL über die Ausgestaltung einer schriftlichen EBR-Vereinbarung über die grenzübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter in Verhandlung zu treten. Ist der Wille auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite beidseitig nicht vorhanden und der Antrag auf Einsetzung eines BVG bleibt aus, wird es keine Verhandlungen über eine EBR-Vereinbarung geben. Ansonsten hat ein BVG laut Art. 5 Abs. 5 auch die Möglichkeit, mit zwei Drittel Mehrheit den Abbruch der Verhandlungen zu beschließen. In diesem Fall finden auch die Subsidiären Vorschriften der EBR-Richtlinie keine Anwendung. Die Kriterien für die Einsetzung eines BVG finden sich im Art. 5 Abs. 2 der EBR- Richtlinie.
In Art. 7 der EBR-Richtlinie sind die so genannten Subsidiären Vorschriften fest- gehalten, die als Vereinbarungsersatz gelten, falls es nach dreijähriger Verhand- lung zu keiner individuellen Vereinbarung zwischen BVG und ZL gekommen ist. In diesem Fall wird auf Grundlage dieser Subsidiären Vorschriften ein „EBR kraft Gesetz“ gegründet. Die Subsidiären Vorschriften des Anhangs der Richtlinie stel- len allerdings keine Mindestvorschriften dar. Die Bedingungen können in ge- schlossenen Vereinbarungen, wie die Beispiele aus der Praxis zeigen, durchaus schlechter ausfallen als es Art. 7 der Richtlinie vorgibt (Gohde 2004: 95). Es kommt also letztlich auch auf das Zielportfolio und das Verhandlungsgeschick der Akteure an, welche Qualität eine Vereinbarung haben wird oder ob es über- haupt zur Unterzeichnung kommt.
Erfahrungen vieler EBR haben gezeigt, dass die effektive Zusammenarbeit und Solidarität im BVG die besten Startvoraussetzungen für einen aktiven EBR sind. Im Vergleich wurde deutlich, dass gerade in ausgewogen international zusammengesetzten BVG die späteren Grundlagen zur kreativen Zusammenarbeit in Verbindung mit der Berücksichtigung der verschiedenen für den Konzern relevanten Arbeitsbeziehungssysteme besteht (Altmeyer 2004a).
2.2 EBR-Vereinbarungen nach Art. 13 und Art. 6 der EBR-Richtlinie im Vergleich
Je nachdem in welchem Zeitraum ein EBR gegründet wurde, sind die Vereinba- rungen entweder nach Art. 13 oder Art. 6 der EBR-Richtlinie geschlossen wor- den. Art. 13-Vereinbarungen vor Ablauf der Frist bis zum 22.09.1996 und Art. 6- Vereinbarungen zu einem Zeitpunkt danach. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Vereinbarungsarten liegt darin, dass Art. 13-Vereinbarungen ohne und Art. 6-Vereinbarungen mit einem rechtlichen Rahmen geschlossen wurden. Der rechtliche Rahmen für Art. 6-Vereinbarungen gestaltet sich auf Grundlage der EBR-Richtlinie bzw. der je nationalen EBR-Gesetze, während Art. 13-Vereinbarungen bis zum 15. September 1996 unabhängig von diesen Bestim- mungen geschlossen werden konnten.
In der ersten Phase vor der Richtlinie (bis 22.09.1994) gab es nur knapp 40 EBR- Gründungen. Ein Großteil der Art. 13-Vereinbarungen entstand in den letzten Tagen vor Inkrafttreten der Richtlinie 1996. Aktuell betrachtet fallen hierunter zwei Drittel aller bestehenden EBR-Gremien (Kerckhofs 2003: 24). Da die Bedin- gungen und Inhalte der ohne Zweifel kommenden EBR-Richtlinie den Konzern- managements (nicht zuletzt durch den branchenübergreifenden Sozialdialog) hinreichend bekannt waren, reichte dies als „sanft ansteigender rechtlicher Druck“ (Blanke 1999) aus, dass in der zweijährigen Übergangszeit von 1994 bis 1996 allein ca. 450 freiwillige EBR-Vereinbarungen geschlossen wurden. Diese Phase wird deswegen auch die Phase der „erzwungenen Freiwilligkeit“ genannt. Die zentralen Managements der betroffenen Konzerne nutzten die Option der bestandsgeschützten Art.- 13- Vereinbarungen, um durch ein „going early“ be- stimmte Interessen zu realisieren. Hierunter fallen in erster Linie ein vermutlicher Imagegewinn, flexible und maßgeschneiderte Ausgestaltung des Gremiums ohne sich an die Grundsätze der EU- Richtlinie halten zu müssen. Auf der anderen Seite hatten Belegschaften und Gewerkschaften das Interesse, zu einem mög- lichst frühen Zeitpunkt möglichst viele EBR zu gründen, um den Prozess dyna- misch in Gang zu setzen. Seit September 1996 gilt das Normalverfahren einer verbindlichen Prozedur für erzwingbare Verhandlungen, die dann zu einer Ver- einbarung nach Art. 6 der Richtlinie führen (Lecher et al. 1998).
Die Art. 13-Vereinbarungen konnten mit einem beliebig zusammen gesetzten Arbeitnehmervertretungs-Gremium verhandelt werden, ohne zuvor ein BVG nach festen Kriterien eingerichtet zu haben. In den meisten Fällen repräsentierte die Arbeitnehmerseite als Verhandlungsgremium aber nicht annähernd die spezifi- schen europäischen Konzernstrukturen bzw. die geographischen Gegebenheiten der Unternehmensgruppe, was in diesen Fällen zu einer Arbeitnehmerunterrep- räsentanz von EU-Ländern kleinerer Standorte des jeweiligen Konzerns führte (Lecher et al. 1998). Die Verhandlungsgremien waren oft mit hauptamtlichen Gewerkschaftsvertretern besetzt, was zwar sinnvoll für den Inhalt der Vereinba- rung und die Praxis der Verhandlungen war, aber es verhinderte zugleich, dass die Personen der Arbeitnehmervertretungen ihre zukünftige Rolle und Zusam- menarbeit als europäisches Informations- und Konsultationsgremium bereits im Vorfeld „einüben“ konnten. Dadurch fehlte den gewählten EBR-Mitgliedern der Art. 13-Vereinbarungen häufig ein dynamischer Einstieg in die transnationale EBR-Praxis sowie eine Vertrauensbasis untereinander, die durch aktivere Beteiligung am Verhandlungsprozess besser hätte gedeihen können. (Altmeyer 2004b) Im Vergleich zu dieser Situation spiegelten die Personen der BVG meist die spätere Zusammensetzung des EBR wider, was ihren Start in die EBR-Praxis sicher erleichterte. Marginson und Carley verglichen in ihrer Studie von 2000 insgesamt 457 EBR-Vereinbarungen nach Art. 13 und nach Art. 6. Sie nutzten dabei eine Datenbank, die zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 71 Vereinbarun- gen nach Art. 6 und 386 Vereinbarungen nach Art. 13 enthielt. Auf dieser Grund- lage stellten sie beispielsweise fest, dass Art. 13-Vereinbarungen in 45% der untersuchten Fälle von nationalen oder internationalen Gewerkschaftsvertretern unterschrieben wurden, 34% von Betriebsräten (BR) eines oder mehrerer Länder und 45% von anderen Arbeitnehmervertretern (Marginson/Carley 2000: 11). In 25% der untersuchten Art. 6-Vereinbarungen unterschrieben zusätzlich nationale oder internationale Gewerkschaftsvertreter, wobei das BVG von Rechtswegen ansonsten von Konzern-Arbeitnehmern zusammengesetzt war.
Die vereinbarten Strukturen der EBR wurde untersucht und es zeigte sich, dass in Art. 6-Vereinbarungen in 89% der Fälle ein EBR auf Konzernebene vorgese- hen ist und nur in 11% auf Divisionsebene. Im Vergleich hierzu sehen 78% der Art. 13-Vereinbarungen einen EBR auf Konzernebene vor, 7% auf Divisionsebe- ne und interessanterweise ist in 15% eine Kombination aus beiden festgelegt. Es gibt dort 1 EBR pro Division aus deren Vertretern sich der Konzern-EBR zusam- mensetzt. Dabei sehen ca. 31% der Art. 13-Vereinbarungen und ca. 45% der Art. 6-Vereinbarungen ein reines Arbeitnehmergremium („deutsches Modell“) vor. Ein gemischtes Gremium aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen („französi- sches Modell“ mit EBR-Vorsitz beim Arbeitgeber) gab es in ca. 79% der Art. 13- Vereinbarungen und in ca. 55% der Art. 6-Vereinbarungen. Insgesamt betrachtet wurden 63% der untersuchten Vereinbarungen nach dem „französischen Modell“ abgeschlossen, wobei in 45% der untersuchten Vereinbarungen ein Arbeitgeber- Vorsitz formuliert wurde. 37% folgten dem „deutschen Modell“, das die EBR- Richtlinie vorsieht. Die Häufigkeit der EBR nach „deutschem Modell“ ist bei Art. 6- Vereinbarungen deutlich höher als bei Art. 13-Vereinbarungen. Das hat damit zu tun, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten die Richtlinienbestimmungen für ihr nationales EBR-Gesetz übernahmen und somit das reine Arbeitnehmergremium Grundsatz wurde. Eine Ausnahme bildet hierbei Frankreich, - daher auch „fran- zösisches Modell“. Aber auch in Konzernen mit Hauptsitz in Belgien und GB wurden überwiegend gemischte Gremien eingesetzt (Marginson/Carley 2000).
Die Art. 6-Vereinbarungen weisen hinsichtlich ihrer Ressourcen, Infrastruktur,
multinationaler Zusammensetzung und Verfahrensregeln ein im Vergleich zu Art. 13-Vereinbarungen insgesamt höheres Abschlussniveau auf. Die freiwilligen Vereinbarungen erfüllen zwar bestimmte Mindestanforderungen, doch die inhalt- liche Qualität unterscheidet sich deutlich von der in Art. 6-Vereinbarungen. Die Art. 6-Vereinbarungen müssen eine Reihe in der EBR-Richtlinie festgelegter Fra- gen regeln, wobei es für Art. 13-Vereinbarungen im Grunde keinerlei Bestim- mungen gibt. In die schriftliche Vereinbarung nach Art. 6 sind nunmehr alle be- troffenen Unternehmen und Betriebe des MNK mit aufzunehmen sowie die An- zahl, Zusammensetzung und Sitzverteilung der EBR-Mitglieder, die Mandats- dauer, die Befugnisse und das Informations- und Konsultationsverfahren des EBR. Weiterhin müssen Finanzierungsregeln des EBR, Ortsauswahl, Häufigkeit und Dauer der EBR-Sitzungen, die Laufzeit der Vereinbarung und das bei Neu- aushandlung entsprechend anzuwendende Verfahren festegelegt werden. Diese Bestimmungen sind größtenteils in den Art. 6-Vereinbarungen zu finden, wobei der Richtlinieninhalt oft als Maßstab genommen wurde. Insgesamt betrachtet lehnt sich aber auch der Inhalt der Art. 13-Vereinbarungen stark an den Inhalt der EBR-Richtlinie an (Marginson/Carley 2000).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: a) Stammsitz der Konzerne mit EBR-Vereinbarungen nach Art. 6 oder Art. 13
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Quelle: Marginson/Carley 2000, Art. 13- V.: N=386; Art.- 6- V.: N=71
Tabelle 4: b) Branchenzugehörigkeit der Konzerne mit EBR-Vereinbarungen nach Art. 6 oder Art. 13
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Quelle: Marginson/Carley 2000, Art. 13- V.: N=386; Art.- 6- V.: N=71
Auf Grundlage der Datenbank des EGI von 2002 mit einer Grundgesamtheit von 639 Unternehmen, die bereits eine EBR-Vereinbarung abgeschlossen haben, die Kerckhofs (2003) für seine Auswertungen heranzog, zeigte sich, dass im Jahre 2002 von 98 EBR-pflichtigen Textil-Konzernen erst insgesamt 31 von ihnen einen EBR auf Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung eingesetzt hatten. In der Chemie-Branche waren in 199 von 451 EBR-pflichtigen Konzernen ein EBR ein- gesetzt. Leider kann auf dieser Datengrundlage kein Vergleich zwischen Art. 6 und Art. 13-Vereinbarungen gezogen werden.
Ein Vergleich der formulierten EBR-Aufgabenbereiche der Art. 13- und 6- Ver- einbarungen in der Studie von Marginson und Carley ist besonders interessant. Zum Beispiel ist erstaunlich, dass in Art. 13-Vereinbarungen in 14% der Fälle ein über die Bestimmungen der heutigen Richtlinie hinaus gehender Anhörungs- und Verhandlungsanspruch formuliert ist, während dies nur auf 11% der Vereinba- rungen nach Art. 6 zutrifft. Nur die Regelung der „Aushandlung gemeinsamer Vereinbarungsentwürfe“ ist in Art. 6-Vereinbarungen häufiger zu finden (Margin- son/Carley 2002: 19). Auf der anderen Seite sind in 28% der Art. 6- Vereinbarungen Bestimmungen zur Rechtzeitigkeit der Information und Konsulta- tion des EBR zu finden, während in Art. 13-Vereinbarungen in keinem untersuch- ten Fall die Rechtzeitigkeit schriftlich geregelt wurde.
Ausklammerungsbereiche nach dem Subsidiaritätsprinzip, wie Regelungen für ausdrücklich nicht vom EBR zu behandelnde Themengebiete, fanden sich deut- lich häufiger in Art. 13-Vereinbarungen. Hierbei handelt es sich um Themen, die in den je nationalen Zuständigkeitsbereich, z.B. in den der Tarifparteien, fallen und dort verhandelt werden. Beide Vereinbarungsarten orientieren sich haupt- sächlich an die Bestimmungen der RL. In 14% der untersuchten Art- 13- Verein- barungen sind darüber hinaus gehende Themen festgelegt. Im Vergleich sind es nur 11% der Art. 6-Vereinbarungen. Hauptsächlich beziehen sich diese Themen auf die Abgabe gemeinsamer Stellungnahmen (Art. 13: 14% der Fälle; Art. 6: 11% der Fälle). Das in der Vereinbarung festgelegte Thema der Aushandlung gemeinsamer grenzübergreifender Vereinbarungen kommt seltener vor (Art. 13: 2% der Fälle; Art. 6: 6% der Fälle). Hier ist zu erkennen, dass sich in Art. 6- Vereinbarungen durchaus ein Trend in Richtung einer entstehenden Verhand- lungskultur abzeichnet. In 10% aller untersuchten Vereinbarungen wird ihnen dieses Recht ausdrücklich untersagt. Marginson und Carley fanden im Vergleich gesehen in den untersuchten Art. 13-Vereinbarungen keine Beispiele für ein aus- drückliches Verhandlungsverbot, was nicht heißt, dass dies nicht grundsätzlich auch vorkommt (Marginson/Carley 2000: 19 ff.).
Sonstige thematische Zuständigkeitsgebiete sind in beiden Vereinbarungsarten nahezu gleich stark vertreten. Es wurde sich meist, wie bereits erwähnt, an den Bestimmungen der EBR-Richtlinie orientiert. Allerdings weichen die Themen der Unternehmensstruktur und der Produktionsverlagerung und Standortschließung voneinander ab. Hierbei ist auch ein Vergleich der Themen Chancengleichheit und Umwelt als Nicht-Richtlinien-Themen ebenso interessant. Hierbei sei er- wähnt, dass diese beiden Themen weniger oft in den Vereinbarungen vorkom- men, als die oben genannten (Umwelt: Art. 13: 26% der Fälle; Art. 6: 41% der Fälle und Chancengleichheit: Art. 13: 5% der Fälle; Art. 6: 20% der Fälle). Aller- dings ist hier ein deutlicher Aufwärtstrend zu erkennen. Das Thema Unterneh- mensstruktur kommt in 82% der Art. 6-Vereinbarungen vor, in Art. 13- Vereinbarungen in 61%. Produktionsverlagerung und Standortschließung fanden Marginson und Carley in 76% der Art. 6-Vereinbarungen und in 54% der Art. 13- Vereinbarungen (Marginson/Carley 2000:21). Damit hat sich eine in den Verein- barungen festgelegte ausgeweitete Zuständigkeit für EBR entwickelt.
Auch bei der Sitzungshäufigkeit orientieren sich beide Vereinbarungsarten glei- chermaßen an der Richtlinie, die eine jährliche Plenarsitzung mit der ZL vor- schreibt. Doch auch hier gibt es Ausnahmen mit einer Festlegung von zwei Sit- zungen pro Jahr. Die quantitative Entwicklung dieser Ausnahmefälle gibt einen Hinweis auf eine mögliche zukünftige Entwicklung. Während 12% der untersuch- ten Art. 13-Vereinbarungen insgesamt zwei jährliche Sitzungen festlegten, so sind bereits in 17% der Art. 6-Vereinbarungen zwei oder mehr Sitzungen pro Jahr vereinbart. Das zeigt einen Trend, der sich durch die Praxis- Erfahrungen der EBR entwickelte. Den Gremien wurde schnell klar, dass eine Sitzung pro Jahr nicht reicht, um angemessen informiert und angehört zu werden. Es reicht auch nicht, um EBR-intern eine effektive Kommunikation und Zusammenarbeit zu entwickeln (Marginson/Carley 2000: 35). Die Erfahrungswerte älterer Gremien flossen also in die EBR-Verhandlungen neu gegründeter Art. 6-Vereinbarungen mit ein und konnten in einigen Fällen durchgesetzt werden.
2.3 Information und Konsultation der Europäischen Betriebsräte
Die grundlegenden Themen der Unterrichtung und Anhörung sind in den subsidiären Bestimmungen im Anhang der EBR-Richtlinie zu finden:
„Der Europäische Betriebsrat ist befugt, einmal jährlich mit der zentralen Leitung zum Zwecke der Unterrichtung und Anhörung, auf der Grundlage eines von der zentralen Leitung vorgelegten Berichts, über die Entwicklung der Geschäftslage und die Perspektiven des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe zusammenzutreten. Die örtlichen Unternehmensleitungen werden hiervon in Kenntnis gesetzt.
Diese Unterrichtung bezieht sich insbesondere auf die Struktur des Un- ternehmens, seine wirtschaftliche und finanzielle Situation, die voraus- sichtliche Entwicklung der Geschäfts-, Produktions- und Absatzlage sowie auf die Beschäftigungslage und ihre voraussichtliche Entwicklung, auf die Investitionen, auf grundlegende Änderungen der Organisation, auf die Einführung neuer Arbeits- und Fertigungsverfahren, auf Verlagerungen der Produktion, auf Fusionen, Verkleinerungen oder Schließungen von Unternehmen, Betrieben oder wichtigen Teilen dieser Einheiten und auf Massenentlassungen.“
Durch die Transformierung der Richtlinie in nationales Recht gelten die Bestimmungen der je nationalen EBR-Vorschriften oder Gesetze. Die Studie von Marginson und Carley (2000) ergab, dass der Inhalt vieler Art. 13-Vereinbarungen den Bestimmungen der EBR-Richtlinie sehr nahe kamen. In beiden Vereinbarungstypen wurden die Themen der Subsidiären Vorschriften der RL am häufigsten genannt (Marginson/Carley 2000: 20).
Die Information und Konsultation sind die Hauptaufgabengebiete des EBR. Es werden hierfür unterschiedliche Begriffe verwendet, die in der EBR-Richtlinie sowie in den nationalen Umsetzungen zu finden sind und unterschiedlich ausge- legt werden können. Von „Unterrichtung und Anhörung“ ist bereits im Eingangs- text der EBR-Richtlinie die Rede. Der Begriff „Unterrichtung“ wird hier allerdings nicht näher definiert. Im EBRG §19, Satz 1 spricht man in diesem Zusammen- hang von der „Übermittlung von Informationen“. In juristischen Fachkommentaren ist beschrieben, dass der EBR das Recht auf so weit gehende „Informationen“ der ZL hat, dass keine eigenen Nachforschungen nötig sind, um eine sachge- rechte Betrachtung der Lage vornehmen zu können. An das Recht auf Unterrich- tung schließt sich das Recht auf Anhörung, denn dem EBR muss Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Entscheidungen und Entwicklungen im Unterneh- men zu äußern bzw. es muss die Möglichkeit für einen aktiven Dialog geschaffen werden (Zimmer 2003: 621).
Interessant ist nun die Frage, zu welchen Ergebnissen eine Anhörung bzw. der Dialog mit der ZL führen kann. In der RL wird von „Meinungsaustausch und der Einrichtung eines Dialogs zwischen ArbeitnehmerInnenvertretung und der Zent- ralen Leitung“ gesprochen. Aber es wird nicht formuliert, welche Qualität die Er- gebnisse dieser Dialoge haben sollten und ob die Ergebnisse der besprochenen Themen Auswirkungen auf die Entscheidungen der ZL haben sollten. Der Begriff „Anhörung“ wird oft durch den Begriff der „Konsultation“ ersetzt. Die Definition von „Konsultation“, im Sinne von „Beratung“, wird in den meisten EU- Rechtssystemen als Prozess beschrieben, der am Ende eine Einigung der Par- teien vorsieht. Es gehört zur gesetzlichen Praxis, dass bis zur Entscheidungsfin- dung eine zeitliche Frist gesetzt wird, innerhalb der die Information und Konsulta- tion stattfinden muss. Allerdings ließen sich innerhalb der bisher untersuchten Vereinbarungen bisher keinerlei Mitbestimmungsrechte finden (Gohde 2004).
Demnach orientiert man sich in der Praxis eher an der Formulierung „Unterrich- tung und Anhörung“ obgleich der Begriff „Konsultation“ durchaus häufig zu finden ist. Aus diesem Grund wird dem EBR als konzernpolitischer Akteur oftmals nur geringe Bedeutung beigemessen. Vor allem in Deutschland wird über diesen Punkt häufig diskutiert, denn die Mitbestimmungsrechte der deutschen Betriebs- räte verführen zu der Zielsetzung, dies auch auf den EBR übertragen zu wollen. Lecher et al. 1998 betrachtet diesen Punkt in seiner Studie aus der Sicht der EBR-Praxis und ist der Meinung, dass der Stellenwert der momentan zur Verfü- gung stehenden EBR-Rechte einerseits überschätzt wird. Andererseits wird aber der Stellenwert von Informationen unterschätzt, da Interessenauseinanderset- zungen in erster Linie durch und mit Informationen geführt werden, was zu wis- sensbasierten Verhandlungen führen kann (Lecher 1998: 87).
Wenn der EBR im Rahmen des betrieblichen sozialen Dialogs die Möglichkeit der Einflussnahme auf die letztendlichen Entscheidungen der ZL haben soll, müsste der EBR konsultiert werden, bevor die Entscheidungen von der ZL gefällt werden. Innerhalb der EBR-Richtlinie sind für den Zeitpunkt der Unterrichtung und Anhörung aber keinerlei Vorgaben gemacht worden. Auch in den nationalen Umsetzungen finden sich keine zeitlichen Konkretisierungen. So wurden in den meisten Vereinbarungen ebenfalls höchstens vage Begriffe wie „zeitnah“ ver- wandt oder es erfolgte gar keine Formulierung bezüglich des Zeitpunktes. Empi- rische Studien belegen, dass der EBR in den überwiegenden Fällen erst dann informiert und konsultiert bzw. angehört wird, wenn an den Entscheidungen der ZL kaum noch zu rütteln ist, was sich im Folgenden in den Praxis-Beispielen die- ser Arbeit bestätigen wird. Da diese Situation nicht im Sinne der verabschiedeten EBR-Richtlinie ist, hat die Kommission in verschiedenen EBR-Vereinbarungs- Neuverhandlungen oder Anpassungen bestehender Vereinbarungen eine nähere Bestimmung des Zeitpunkts durchgesetzt. In der Praxis führte die Auslegung des Anspruchs auf rechtzeitige Information und Konsultation im Rahmen von zusätz- lichen außerordentlichen Sitzungen, zu erheblichen Auseinandersetzungen. Der berühmteste Fall ist der Streit um die Schließung eines Renault-Automobil- Werkes in Vilvoorde bei Brüssel. Das Unternehmen wurde zu Strafzahlungen verurteilt, da der EBR nicht vor Entscheidung und Umsetzung von der ZL konsul- tiert wurde. Als Präzedenzfall hatte er Einfluss auf die schriftliche Gestaltung vie- ler nachfolgender EBR-Vereinbarungen. Es wurden nun Kriterien für außeror- dentliche Sitzungen formuliert, die einen Streit hierüber zukünftig verhindern soll- ten (Gohde 2004a: 43). Dazu muss gesagt werden, dass die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung nicht in der damaligen EBR-Vereinbarung von Renault verzeichnet war (Marginson/Carley 2000: 36).
Themen der Information und Konsultation
Nahezu standardisierte Themen der Information und Konsultation als SitzungsAgenda- Punkte sind (Buschak 2004: 30):
- Struktur des Unternehmens
- Wirtschaftliche und finanzielle Situation des Unternehmens
- Produkt- und Absatzlage
- Strategien des Unternehmens
- Restrukturierungsvorhaben
- Produktionsverlagerungen, Schließungen, Fusionen
- Massenentlassungen
- Investitionen
- Arbeitsorganisation
Sie lehnen sich an die Themen der Subsidiären Vorschriften der Richtlinie an. Während der Sitzungen werden durchaus weitere Themen außerhalb der Agenda angesprochen. Es gibt allerdings auch Vereinbarungs-Beispiele, in denen Themen schriftlich festgelegt wurden, die weit über den standardisierten Rahmen der Richtlinie hinausgehen. Buschak stellte einige heraus:
- Arbeitssicherheit und Gesundheit der Beschäftigten
- Betriebsrente
- Schulungen der EBR-Mitglieder
- Rahmenvereinbarungen über die soziale Verantwortung des Kon- zerns und „Code of Conduct“
- Sektor-spezifische Themen
2.4 Transnationalität - Was bedeutet das für einen EBR?
In vielen MNK werden die Zuständigkeitsbereiche des EBR häufig diskutiert, denn oft geht aus der Vereinbarung nicht ganz eindeutig hervor, in welchen Fäl- len der EBR zusätzlich eingeschaltet werden muss oder nicht. In den meisten Vereinbarungen ist die Zuständigkeit auf ausschließlich „transnationale“ Angele- genheiten festgelegt. Die Arbeitnehmervertretungen argumentieren diesbezüg- lich, dass es im Zeichen der Globalisierung prinzipiell keine rein nationalen Ange- legenheiten mehr gäbe. Sondern, dass viele Entscheidungen des Konzernmanagements, auch wenn sie augenscheinlich, z.B. bei Werksschließung, einen Standort eines EU-Staates betreffen, vielmehr die Auswirkungen des internatio- nalen Wettbewerbs um Marktanteile und Investitionen sind. Die Management- ebene vertritt hingegen die Meinung, dass Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Beschäftigung haben, in erster Linie in rein nationaler Verantwortung lä- gen, und somit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des EBR (Gohde 2004b). Und es ist tatsächlich so, dass bei Entscheidungen, die national getroffen wer- den, der EBR zunächst keinen Anspruch auf Information und Konsultation hat. Letztlich kommt es in diesem Punkt auf die individuelle EBR-Vereinbarung an, in der BVG und ZL durchaus eine Erweiterung der Zuständigkeiten vereinbaren können. Dies ist aber in den wenigsten bekannten Fällen in die Tat umgesetzt worden. Im Gegenteil - es gibt Vereinbarungsbeispiele, die ausdrücklich eine Formulierung wählen, welche die Zuständigkeiten des EBR auf rein transnationa- le Angelegenheiten manifestieren.
Ein Beispiel aus der EBR-Vereinbarung von Otis: „Grenzüberschreitende Prob- lemfragen meint Problemfragen, die eine vom Management zu treffende Ent- scheidung beinhalten und die aller Wahrscheinlichkeit nach die Beschäftigten in zwei oder mehr Ländern der EU und des EWR wesentlich berühren.“ Da man sich hier auf die Beschäftigten bezieht und nicht auf die Unternehmen, müssen in diesem Fall in der Tat abhängig Beschäftigte in mindestens zwei Ländern von der Entscheidung betroffen sein, damit der EBR einen Anspruch auf Information und Konsultation hat. Die EBR-Richtlinie und die je nationalen Umsetzungen ha- ben allerdings keine in diesem Maße einschränkende Formulierung gewählt, denn sie banden die Betroffenheit nicht an den Begriff Beschäftigter oder Arbeit- nehmer in mindestens zwei Ländern, sondern an die Betriebe in mindestens zwei Ländern. Somit handelt es sich bereits um eine transnationale Angelegenheit, wenn die ZL an ihrem Hauptsitz in der EU eine Entscheidung bezüglich eines ihrer Tochterunternehmen in einem anderen EU- Land trifft (Gohde 2004b).
2.5 Engere Ausschüsse
Es bietet sich für große EBR-Gremien an, einen „Engeren Ausschuss“ zu wäh- len. Die EBR-Richtlinie weist in den Subsidiären Vorschriften auf diese Option hin, „sofern es die Zahl seiner Mitglieder rechtfertigt“. Das deutsche EBRG kon- kretisiert dies in § 26 Abs. 1, nach dem ein EBR ab 9 Mitgliedern einen „Engeren Ausschuss“ zu bilden hat. In den britischen EBR-Bestimmungen ist eine EBR- Mindestgröße zur Wahl eines „Consultative Committee“ nicht vorgegeben. We- gen der Aufwändigkeit der Organisation von Plenarsitzungen kann ein großer
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werde ich mich im Folgenden auf die männliche Ausdrucksform beschränken.
2 Der Leitfaden befindet sich im Anhang der Arbeit
3 Status Quo bedeutet in diesem Zusammenhang, dass UNICE und CEEP die Rolle der „Verhinderer“ von Regulierung auf europäischer Ebene einnehmen, indem sie nicht zu Verhandlungen mit dem EGB bereit sind, solange sie nicht Gefahr laufen, einen noch arbeitnehmerfreundlicheren Richtlinienentwurf der Kommission akzeptieren zu müssen.
4 In GB seit dem 16.12.1999
- Arbeit zitieren
- Christiane Niemann (Autor:in), 2006, Betrieblicher sozialer Dialog in der Praxis. Zwei Europäische Betriebsräte im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88839
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