Im Zuge meiner universitären Ausbildung zum Deutschlehrer absolvierte ich ein allgemeines Schulpraktikum an einem Gymnasium. Während dieses Praktikums hielt ich eine Deutschstunde in einem Grundkurs der Jahrgangsstufe 11. Das Thema der Stunde lautete „Warum verändert sich Sprache?“. Als ich der Klasse die Frage stellte, wieso man mit Gewissheit sagen könne, ob ein Satz grammatisch oder ungrammatisch ist, da waren sich alle Schüler einig. Man verwies darauf, dass schließlich alle Regeln der deutschen Sprache in der Dudengrammatik verankert seien. Ganz falsch war diese Aussage natürlich nicht. Doch konnte mir niemand sagen, wer diese Regeln denn aufgestellt hatte.
Das grundlegende Problem lag in der Annahme, dass Sprache ein starres System sei, in dem die einzelnen Elemente und die Relationen zwischen den Elementen eine feste zeitlose Position einnehmen. Den Jugendlichen war gar nicht bewusst, dass Sprache von ihnen nicht bloß „konsumiert“, sondern auch mitgestaltet wird. Wenn ich mich jedoch an den Grammatikunterricht meiner eigenen Schulzeit zurückerinnere, dann fällt es nicht schwer zu verstehen, warum Schüler, aber auch Lehrer so denken. Linke (2001, S. 45) schreibt in diesem Zusammenhang:
Zu unserem von der Schule (…) geprägten Alltagskonzept von Grammatik gehört wohl sehr stark die Vorstellung, dass dies ein Lehrgebäude ist, das im Prinzip genauso fest und indiskutabel ist, wie die Urteile fest und indiskutabel scheinen, die man unter Abstützung auf grammatische Regeln über sprachliche Ausdrücke fällen zu glaubt: „Das ist Regel-gerecht, also richtig. – Das verstößt wider die Regel, ist also falsch.“
Aus didaktischer Sicht ist ein solches Verständnis von Grammatik jedoch kaum tragbar. Seit den hessischen Rahmenrichtlinien Deutsch Sekundarstufe I von 1972 bildet „Reflexion über Sprache“ bzw. „Nachdenken über Sprache“ einen wichtigen eigenständigen Bereich in allen Lehrplänen. Schüler sollten damit nicht bloß zum angemessnen Gebrauch von Sprache befähigt werden, sondern diese auch kritisch reflektieren können (vgl. Steets 2003, S. 211). Letztendlich geht es auch darum, in den Schülern ein Sprachbewusstsein zu wecken und dadurch emanzipierte Schreiber und Leser zu gewinnen. Leider konnten „die Ansprüche an einen aufgeklärten, reflektierten Sprachunterricht bisher in der Praxis nicht realisiert werden (…)“ (Steets 2003, S. 211).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Grammatikbegriff
2.1 Präskriptiv oder Deskriptiv?
2.2 Wie ‚adäquat’ ist eine Grammatik?
3. Die ‚Generative Grammatik’ nach Noam Chomsky
3.1 Von Prinzipien und Parametern
3.1.1 Was macht uns zu Experten?
3.1.2 Primärer Spracherwerb
3.2 Syntaktische Beschreibung von Sprache
3.2.1 Die Konstituentenstruktur
3.2.2 Wörter und ihre Selektionseigenschaften
3.2.3 Die Phrase als Mittel syntaktischer Beschreibung
3.3 Zwei Modelle zur syntaktischen Beschreibung
3.3.1 Das ‚Topologische Feldermodell’
3.3.2 Das X’-Schema
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Zuge meiner universitären Ausbildung zum Deutschlehrer absolvierte ich ein allgemeines Schulpraktikum an einem Gymnasium. Während dieses Praktikums hielt ich eine Deutschstunde in einem Grundkurs der Jahrgangsstufe 11. Das Thema der Stunde lautete „Warum verändert sich Sprache?“. Als ich der Klasse die Frage stellte, wieso man mit Gewissheit sagen könne, ob ein Satz grammatisch oder ungrammatisch ist, da waren sich alle Schüler einig. Man verwies darauf, dass schließlich alle Regeln der deutschen Sprache in der Dudengrammatik verankert seien. Ganz falsch war diese Aussage natürlich nicht. Doch konnte mir niemand sagen, wer diese Regeln denn aufgestellt hatte.
Das grundlegende Problem lag in der Annahme, dass Sprache ein starres System sei, in dem die einzelnen Elemente und die Relationen zwischen den Elementen eine feste zeitlose Position einnehmen. Den Jugendlichen war gar nicht bewusst, dass Sprache von ihnen nicht bloß „konsumiert“, sondern auch mitgestaltet wird. Wenn ich mich jedoch an den Grammatikunterricht meiner eigenen Schulzeit zurückerinnere, dann fällt es nicht schwer zu verstehen, warum Schüler, aber auch Lehrer so denken. Linke (2001, S. 45) schreibt in diesem Zusammenhang:
Zu unserem von der Schule (…) geprägten Alltagskonzept von Grammatik gehört wohl sehr stark die Vorstellung, dass dies ein Lehrgebäude ist, das im Prinzip genauso fest und indiskutabel ist, wie die Urteile fest und indiskutabel scheinen, die man unter Abstützung auf grammatische Regeln über sprachliche Ausdrücke fällen zu glaubt: „Das ist Regel-gerecht, also richtig. – Das verstößt wider die Regel, ist also falsch.“
Aus didaktischer Sicht ist ein solches Verständnis von Grammatik jedoch kaum tragbar. Seit den hessischen Rahmenrichtlinien Deutsch Sekundarstufe I von 1972 bildet „Reflexion über Sprache“ bzw. „Nachdenken über Sprache“ einen wichtigen eigenständigen Bereich in allen Lehrplänen. Schüler sollten damit nicht bloß zum angemessnen Gebrauch von Sprache befähigt werden, sondern diese auch kritisch reflektieren können (vgl. Steets 2003, S. 211). Letztendlich geht es auch darum, in den Schülern ein Sprachbewusstsein zu wecken und dadurch emanzipierte Schreiber und Leser zu gewinnen. Leider konnten „die Ansprüche an einen aufgeklärten, reflektierten Sprachunterricht bisher in der Praxis nicht realisiert werden (…)“ (Steets 2003, S. 211). Der Deutschunterricht an unseren Schulen ist bis heute überwiegend eine formale Grammatikunterweisung mit der Konzentration auf die Wortarten- und Satzlehre. Nach Ludwig (2002, S. 82) stehlen „sich die Verantwortlichen von Schulstufe zu Schulstufe zunehmend aus ihrer Verantwortung“ und die Anteile des Sprachunterrichts werden zu Gunsten des Literaturunterrichts immer kleiner. Mitverantwortlich für diese Tendenz macht Steets (2003, S. 211) unter anderem die Lehrerausbildung, in der unangefochten die Literaturwissenschaft dominiert. Als Folge ist zu erkennen, dass die Lücken im grammatischen Wissen der Lehrenden und Studierenden immer offensichtlicher werden (vgl. Ivo/Neuland 1991).
Ich möchte im Folgenden eine Grammatik vorstellen, die die Sprache in ihrer Komplexität behandelt und den Zugang zu einer kritischen Reflexion des Gegenstandes nicht im Vorhinein durch ‚präskriptive Fesseln“ verhindert. Dazu werde ich zunächst klären, wie der Ausdruck Grammatik überhaupt zu verstehen ist, um eine begriffliche Basis für die vorliegende Arbeit zu schaffen. Anschließend stelle ich in zwei Schritten Noam Chomskys linguistisches Modell der ‚Generativen Grammatik’ (im Folgenden abgekürzt mit GG) vor:
1. Im ersten Schritt geht es um die sprachtheoretische Fundierung der GG.
2. In einem zweiten Schritt erläutere ich in Ansätzen den technischen Apparat der GG zur konkreten syntaktischen Beschreibung einer Sprache.
Aufgrund des komplexen theoretischen Rahmens der GG kann es in der vorliegenden Arbeit nur darum gehen, Noam Chomskys linguistisches Konstrukt zu umreißen und damit zu zeigen, dass Grammatik mehr ist, als die formale Unterweisung in ein institutionalisiertes Sprachsystem. Auch wenn diese Erkenntnisse nicht 1:1 in den Deutschunterricht übertragen werden können, geben sie doch hilfreiche Hinweise, um grammatische Fakten angemessen zu vermitteln.
2. Der Grammatikbegriff
Nimmt man das eingangs beschriebene Verständnis von Grammatik, das sich in unseren Schulen weitestgehend durchgesetzt hat, so mag es für viele erstaunlich wirken, dass es trotz aller Verbindlichkeit linguistischer Regeln für ein und dieselbe Sprache eine Vielzahl von Grammatiken gibt. Dieser Sachverhalt signalisiert uns jedoch, dass unterschiedliche linguistische Zugänge existieren, die sich aus differierenden grammatiktheoretischen Ansätzen ergeben[1]. Die besagten Ansätze stehen jedoch nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander. Oft finden sich entscheidende Grundgedanken von grammatischen Konzepten in anderen Theorien wieder. Ein zentraler Teil der GG wurde zum Beispiel, wie wir später sehen werden, von der in den fünfziger Jahren entwickelten Valenz- bzw. Dependenzgrammatik stark inspiriert. Trotz aller Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Forschung bleibt ein unbestrittener Kern der Grammatik mit der ‚Lehre vom Wort’ bzw. mit der ‚Lehre vom Satz’ bestehen (vgl. Linke 2001, S. 47).
2.1 Präskriptiv oder Deskriptiv?
Viel entscheidender für die vorliegende Arbeit ist jedoch die Frage nach der Einstellung zum Gegenstand oder auch zur Zweckbestimmung einer Grammatik. Während nämlich präskriptive bzw. normative Grammatiken zur Durchsetzung sprachlicher Normen konzipiert wurden, wollen deskriptive Grammatiken eine möglichst umfassende Beschreibung einer Sprache vornehmen. Dazu gehört auch das Aufdecken von Grauzonen und möglichen Alternativen im Sprachgebrauch. Normative Grammatiken „werden in erster Linie bei der Vermittlung von Fremdsprachen oder als Regelsammlung der Hoch/Standardsprache für Sprecher einer bestimmten Varietät (etwa eines Dialekts), die die Standardsprache ‚fehlerfrei’ erlernen möchten“ (Volmert 2001, S. 12), gebraucht. Dabei muss man jedoch einräumen, dass auch deskriptiv konzipierte Grammatiken nicht selten präskriptiv gebraucht werden. Was also als regelhafte Erscheinung beobachtet wurde, wird zum Beispiel in der Schule als einzig gültige Norm weitervermittelt und vom unbefangenen Benutzer unreflektiert übernommen (vgl. Volmert 2001, S. 12 und Einleitung). Die meisten wissenschaftlichen Werke verstehen sich heute als beschreibende Grammatiken, die vorrangig einen Ist-Zustand aufdecken und weniger einen Soll-Zustand propagieren wollen. Dieses Ziel verfolgt auch die GG.
2.2 Wie ‚adäquat’ ist eine Grammatik?
Grammatiken können sich nach typologischen Gesichtspunkten auch dadurch unterscheiden, ob sie nur ein bestimmtes Sprachsystem beschreiben oder aber zwei und mehr Sprachsysteme in kontrastiver Absicht vergleichen. Eine weitere für diese Arbeit entscheidende Möglichkeit besteht darin, die universalen Gemeinsamkeiten aller natürlichen Sprachen dieser Welt zu untersuchen.
Der im Folgenden verwendete Grammatikbergriff schließt also neben dem oben erwähnten traditionellen Kern linguistischer Untersuchungen auch das dem Menschen spezifische kognitive Vermögen mit ein, Ausdrücke gemäß der entsprechenden Regeln einer Sprache zu bilden und zu verstehen. Das Ergebnis ist damit in Ansätzen eine umfassende Sprachtheorie (vgl. Linke 2001, S. 86). Chomsky entwickelte in diesem Zusammenhang bestimmte Bewertungskriterien für Grammatikbeschreibungen natürlicher Sprachen, die zu folgenden qualitativen Abstufungen führen:
Adäquatheitsebenen
- Beobachtungsadäquatheit erfüllen demnach Grammatiken, die die primären sprachlichen Daten korrekt und vollständig erfassen.
- Legt eine Grammatik zusätzlich Rechenschaft über die Intuition bzw. Kompetenz eines Sprachteilnehmers hinsichtlich der Regularitäten seiner Sprache ab, so erfüllt sie den Anspruch der Beschreibungsadäquatheit.
- Die umfassendste Forderung der Erklärungsadäquatheit ist dann erfüllt, wenn die grammatische Beschreibung im Einklang mit einer Sprachtheorie vorgenommen wird, die die linguistischen Universalien spezifiziert und zugleich eine Theorie des Spracherwerbs begründet. (Bußmann 2002, S. 46f)
Folgerichtig versucht Chomsky mit seiner GG die Forderung der Erklärungsadäquatheit zu erfüllen.
Ich werde mich im nächsten Kapitel zuerst der theoretischen Fundierung Chomskys GG widmen, um das Grundgerüst sichtbar zu machen, auf das der technische Apparat aufgebaut wurde.
3. Die ‚Generative Grammatik’ nach Noam Chomsky
3.1 Von Prinzipien und Parametern
Kaiser Friedrich II, so wird berichtet, war ein wissenschaftlich hoch interessierter Mann, der die Natur des menschlichen Körpers sowie seines Geistes untersuchte. Im Zuge eines seiner Experimente wurden Kinder der Obhut von Ammen übergeben, denen strikt untersagt wurde mit ihren Schützlingen zu sprechen (vgl. Fanselow & Felix 1993, S.10). Ziel dieses Experiments war es, die „biogenetische Grundlage der menschlichen Sprachfähigkeit“ (Fanselow & Felix 1993, S.10) zu ermitteln. Der Kaiser vermutete also, dass es eine bestimmte Sprache ist, die der Mensch von Natur aus beherrscht. Auch wenn die durchgeführten Experimente aus heutiger Sicht moralisch betrachtet kaum zu vertreten sind,
... so stand doch Friedrich II mit der seinen Versuchen zugrunde liegenden Logik der modernen Wissenschaft erheblich näher als viele Forscher, die sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts Gedanken über die Grundlagen der menschlichen Sprachfähigkeit machten (vgl. Fanselow & Felix 1993, S.10).
Nach neueren Erkenntnissen kann man jedoch davon ausgehen, dass dem Menschen weniger eine bestimmte Einzelsprache angeboren ist als vielmehr ein System vom abstrakten Prinzipien, dass jedem Kind ermöglicht, grundsätzlich alle natürlichen Sprache dieser Welt im Zuge des primären Spracherwerbs zu erlernen, eine so genannte Universalgrammatik.
Dieser Sachverhalt wird deutlicher, wenn man sich anschaut, was uns als ‚Nativ Speaker’ zu ‚Experten’ unserer Muttersprache macht.
3.1.1 Was macht uns zu Experten?
Betrachten wir die folgenden sieben Wörter „die, gern, Katze, auf, Sofa, liegt, dem“, die sich auf verschiedene Weise anordnen lassen.[2]
(i) die Katze liegt gern auf dem Sofa
(ii) auf dem Sofa liegt gern die Katze
(iii) *auf gern dem liegt Sofa Katze die[3]
(iv) *Sofa die gern liegt Katze dem auf
Als ‚Kenner’ der deutschen Sprache fällt es uns nicht schwer zu sehen, dass mit den Abfolgen in (i) und (ii) grammatisch wohlgeformte Sätze vorliegen, während die Anordnungen in (iii) und (iv) zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Mathematisch betrachtet lassen sich die sieben Wörter aber zu 5040 (1 x 2 x 3 x 4 x 5 x 6 x 7 lies: sieben Fakultät) unterschiedlichen Kombinationen zusammenstellen, wobei nur zwölf dieser möglichen Kombinationen ein grammatisch korrektes Konstrukt ergeben (vgl. Lohnstein 2006, Kapitel: Allgemeines).
[...]
[1] Linke (2001, S. 52ff) bietet eine knappe aber übersichtliche Aufstellung wichtiger heutiger grammatiktheoretischer Ansätze.
[2] Die Beispielsätze habe ich dem Einführungsseminar in die Sprachwissenschaft, Abschnitt ‚Syntax’, von Horst Lohnstein, an der Universität Köln entnommen.
[3] Ein ‚*’ vor einem Satz verweist grundsätzlich auf eine ungrammatische Konstruktion.
- Citar trabajo
- Björn Sengutta (Autor), 2007, Die Tür zum emanzipierten Sprachunterricht - Noam Chomskys generative Grammatik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88459
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.