Diese Arbeit basiert auf dem Seminar Romane der Aufklärung, welches im Sommersemester 2006 statt fand. Die Romane wurden hinsichtlich ihrer Erzählstruktur und anderen Besonderheiten, so zum Beispiel der Vermittlung aufklärerischer Postulate untersucht. So trat die Frage nach der Funktion der Anfänge des modernen Erzählens zutage.
So sind die Romane der Aufklärung gekennzeichnet durch die Lust an der Imagination, das Spiel mit Realität und Fiktion. Eine spezielle Konstellation einer Autor-Imagination stellt der Roman „Leben der schwedischen Gräfin von G***“ von Christian Fürchtegott Gellert dar. Hier schlüpft der männliche Autor in die Rolle einer weiblichen Ich-Erzählerin. Diese berichtet aus der Rückschau ihr Leben, welches durch tugendhaftes Verhalten zum wahren Glück, zum Ideal der Gelassenheit, geführt hat.
Die Konstellation eines männlichen Autors, welcher sich in die Rolle einer Frau hineinversetzt, eine Identität imaginiert, war zur Zeit der Aufklärung nicht ungewöhnlich. Schon Gottsched gab in der Ausgabe der „Vernünfftigen Tadlerinnen“ vor, dass diese von drei Frauen geschrieben und verlegt würde. Das Spiel mit einer imaginierten Weiblichkeit war den Leserinnen bewusst.
Angesichts weitgehend fehlender Autorinnen waren die Leserinnen jedoch auf die männlichen Projektionen, Vorstellungen von Frauen, als Lesestoff angewiesen. Gleichzeitig war es den Autoren auf diese Weise möglich, den Frauen ein von ihnen entworfenes Selbstverständnis zu präsentieren und zu vermitteln. Ein weiblicher Entwurf oder ein Einspruch bezüglich männlicher Vorstellungen war den Frauen nicht gegeben, da diese kein öffentliches Forum besaßen.
Die Arbeit möchte anhand von Gellerts Leben der schwedischen Gräfin von G*** eine Vorstellung von Weiblichkeit zur Zeit der Aufklärung rekonstruieren. Gellert wird der frühaufklärerischen Phase zugeordnet, dem von Johann Christian Wolff’s Philosophie geprägten Rationalismus. Sein Werk war didaktisch-belehrend ausgerichtet. Aus diesem Grund entspringt hier die Frage, was er durch sein Frauenbild den Leserinnen vermitteln wollte.
Inhalt
1. Einleitung: Frage und Forschungsstand
2. Vorgehen
3. Die imaginierte Weiblichkeit
4. Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen: Die „empfindsame“ Frau
5. Die Weiblichkeit der Schwedischen Gräfin von G***: Die „tugendhafte“ Frau
6. Entwürfe von Weiblichkeit: Die „empfindsame“ und die „tugendhafte“ Frau
7. Ausblick
Literaturliste
1. Einleitung: Frage und Forschungsstand
Diese Arbeit basiert auf dem Seminar Romane der Aufklärung, welches im Sommersemester 2006 statt fand. Die Romane wurden hinsichtlich ihrer Erzählstruktur und anderen Besonderheiten, so zum Beispiel der Vermittlung aufklärerischer Postulate untersucht. So trat die Frage nach der Funktion der Anfänge des modernen Erzählens zutage.
So sind die Romane der Aufklärung gekennzeichnet durch die Lust an der Imagination, das Spiel mit Realität und Fiktion. Eine spezielle Konstellation einer Autor-Imagination stellt der Roman „Leben der schwedischen Gräfin von G***“ von Christian Fürchtegott Gellert dar. Hier schlüpft der männliche Autor in die Rolle einer weiblichen Ich-Erzählerin. Diese berichtet aus der Rückschau ihr Leben, welches durch tugendhaftes Verhalten zum wahren Glück, zum Ideal der Gelassenheit, geführt hat.
Die Konstellation eines männlichen Autors, welcher sich in die Rolle einer Frau hineinversetzt, eine Identität imaginiert, war zur Zeit der Aufklärung nicht ungewöhnlich. Schon Gottsched gab in der Ausgabe der „Vernünfftigen Tadlerinnen“ vor, dass diese von drei Frauen geschrieben und verlegt würde. Das Spiel mit einer imaginierten Weiblichkeit war den Leserinnen bewusst.[1]
Angesichts weitgehend fehlender Autorinnen waren die Leserinnen jedoch auf die männlichen Projektionen, Vorstellungen von Frauen, als Lesestoff angewiesen. Gleichzeitig war es den Autoren auf diese Weise möglich, den Frauen ein von ihnen entworfenes Selbstverständnis zu präsentieren und zu vermitteln. Ein weiblicher Entwurf oder ein Einspruch bezüglich männlicher Vorstellungen war den Frauen nicht gegeben, da diese kein öffentliches Forum besaßen.
Die Arbeit möchte anhand von Gellerts Leben der schwedischen Gräfin von G*** eine Vorstellung von Weiblichkeit zur Zeit der Aufklärung rekonstruieren. Gellert wird der frühaufklärerischen Phase zugeordnet, dem von Johann Christian Wolff’s Philosophie geprägten Rationalismus. Sein Werk war didaktisch-belehrend ausgerichtet. Aus diesem Grund entspringt hier die Frage, was er durch sein Frauenbild den Leserinnen vermitteln wollte.
Im Unterschied zu weiblichen Autorinnen späterer Zeit, wie zum Beispiel Sophie De La Roche mit dem „Fräulein von Sternheim“, wurde bisher der Roman von Gellert kaum auf die darin enthaltenen Vorstellungen von Weiblichkeit untersucht. So hat Thomas Pago ausführlich die in beiden Romanen enthaltenen Tugendideale analysiert, - die Funktion dieser Vorstellungen für die weibliche Leserschaft jedoch weitgehend ausgespart.
Als Kontrast zum fiktiven Entwurf von Weiblichkeit in Gellerts Roman Leben der schwedischen Gräfin von G*** sollen die Abhandlungen von dem guten Geschmacke in Briefen dienen. Diese wurden bisher, wie auch der Roman, sozial- und geistesgeschichtlich untersucht. So versucht Claudia Kaiser in ihrer Analyse zwar „sozialkritischen Implikationen innerhalb der Metaphorik von Gellerts Brieflehre nachzugehen“, bemerkt jedoch nur eine „Aufwertung“ ungelehrter Literaturrezipienten.[2] Die Funktion, welche Gellerts Konzept von „Weiblichkeit“ innerhalb seiner Argumentation erhält, wird nicht erwähnt. In der Betrachtung von den Abhandlungen wird daher eine solche Zuordnung erfolgen.
2. Vorgehen
Zunächst soll der Begriff der „imaginierten Weiblichkeit“ nach Silvia Bovenschen genauer gefasst und die Produktionsbedingungen von Literatur in der Aufklärungszeit aus weiblicher Perspektive beleuchtet werden. Daraus entwickelt sich eine Methodik der Rekonstruktion männlicher Vorstellungen zum Weiblichen.
Gellerts Imagination der Weiblichkeit soll durch den wechselseitigen Vergleich des Romans mit der Abhandlung zum „Guten Geschmacke in Briefen“[3] gedeutet werden. So entwirft Gellert in Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen ein Frauenbild, welches empfindsame Züge trägt und von ihm als für die Frauen erstrebenswert dargestellt wird. Hingegen widerspricht seine Imagination der Ich-Erzählerin in der Schwedischen Gräfin der Empfindsamkeit. Hier herrscht die Vermittlung eines weiblichen Tugendideals vor, welches die zuvor gepriesene weibliche Komponente der Empfindung zugunsten einer Normierung des Verhaltens tilgt.
So lässt sich aus der Imagination des Weiblichen eine Funktion für den männlichen Autor ableiten, die sich auch auf gesellschaftlicher Ebene deuten lässt. Die These zur „Schwedischen Gräfin“ ist, dass der Roman zur Belehrung der weiblichen Leserschaft beitragen sollte, wie sie eine patriarchalisch dominierte Gesellschaft stützen können.[4]
3. Die imaginierte Weiblichkeit
Die von Silvia Bovenschen 1976 veröffentlichte Studie über die Imaginationen von Weiblichkeit ist eine der ersten kulturwissenschaftlichen Untersuchungen mit einem feministischen Ansatz. Dieser beinhaltet dekonstruktivistische Methoden wie sie unter anderem von Michel Foucault durchgeführt werden, - hier allerdings um männliche Herrschaftsstrategien offen zu legen. Dieser Ansatz feministischer Literaturwissenschaft kritisiert eine Kulturgeschichtsschreibung, welche als hegemonial im Sinne einer „männlichen Ordnung“ identifiziert wurde. Daher zielt die
[...] feministische Revision auf strukturelle Analysen, die Figuren kultureller Identität, zu denen Autor, Werk sowie ein Kanon von Formen, Gattungen und Inhalten bzw. Topoi gehören, daraufhin untersuchen, inwiefern sie an Ausgrenzungen und Hierarchien im Hinblick auf die Geschlechterdifferenz geknüpft sind.[5]
Wie Bovenschen bemerkt, sind in der Literatur kaum Überlieferungen von Frauen aufzufinden, die ein „reales“ Bild von Frauenleben vermitteln. Vorherrschend sind Imaginationen der Frau als Muse, deren Idealisierung oder Erziehung der Frau durch den Mann. So kann die feministische Literaturwissenschaft nicht durch eine Umkehrung das nicht erzählte Leben rekonstruieren, wohl aber männliche Vorgehensweisen des Ausschlusses von Frauen aus den literarischen Produktionen nachvollziehen:
Die „weibliche Natur“ kann nicht für sich bestehen, sie ist nicht vermittelt mit den zentralen geschichtsphilosophischen Kategorien, sie ist nur indirekt erkennbar über die männlichen Gebote.[6]
So ist es laut Bovenschen nicht möglich, Eigenschaften die als „männlich“ oder „weiblich“ gelten festzuschreiben. Eine solche Festlegung geschlechtsspezifischer Prinzipien ist eine Zuschreibung, die Anschauung in eine Erkenntnis transformiert. Der Begriff der Imagination ist bei Bovenschen daher eine Objektivität, die auf dem eben beschriebenen Prozess beruht. Für Bovenschen dient diese Umformung der Abstraktion (Imagination) in das Objektive (also Reale) als Strategie der Unterdrückung von Frauen.[7]
So ist laut Bovenschen die Funktion des poetologischen Diskurses im 18. Jahrhundert die „Domestikation der Imaginationen“ des Weiblichen. Das Verfahren dazu bildet die Gleichsetzung moralphilosophischer und ästhetischer Kategorien – wie es sich auch an den Schriften Christian Fürchtegott Gellerts nachweisen lässt.
Die weibliche Literaturproduktion der Aufklärungszeit sind für Bovenschen ebenfalls kein Zeugnis von „Frauenleben“, da die Voraussetzung für die Veröffentlichung eine Anpassung an männliche Postulate war.[8] Ein Beispiel dafür sind die schriftstellerischen Arbeiten von Sophie De La Roche. Zunächst von Christoph Martin Wieland mit dem „Fräulein von Sternheim“ zum Publikumserfolg gefördert, lässt er seinen Schützling fallen, als dieser sich durch Bestrebungen im Zeitungswesen zu emanzipieren sucht.[9]
Bovenschen unterscheidet in ihrer Untersuchung der Vorstellungen von Weiblichkeit den ab Mitte des 18. Jahrhunderts schwindenden literarischen Typus der „Gelehrten“, welcher zunehmend durch den der „Empfindsamen“ verdrängt wird.[10] Beide literarischen Typen werden in den von Bovenschen untersuchten Schriften durch eine willkürliche Argumentation begründet.[11] Die philosophische Abstraktion dient in den Argumentationen der Vorgabe von Objektivität. So obliegt der unter anderem von Gottsched präferierte Typus der Gelehrten einer funktionalen Zuschreibung, welcher der Frau gleiche Fähigkeiten einräumt – was der „Funktionsgemeinschaft Familie“ zugute kommt:
Die neue Größe der Frauen sollte sich in ihrer Tugend, für die das Wissen moralphilosophisch als Grundbedingung erachtet wurde, bekunden. In dieser Kopplung von Vernunft und Moral suchte man den neuen Typus gegen den niedrigen Spott und die theologische Schelte abzusichern.[12]
Der Typus der Gelehrten war demnach an die Bedingung gekoppelt, dass das akademische Wissen nicht die Tugend beeinflusst. Ohne diese Kopplung war die Gelehrte nicht akzeptiert, wie sich unter anderem noch bei Lessing in der Gestalt der Orsina in „Emilia Galotti“ zeigt.
Diese im Ansatz egalitäre, wenngleich zweckrationale Begründung wird schließlich ab den 1750er Jahren durch den Entwurf des „Geschlechtscharakters“ ersetzt. Prägend für die deutsche Aufklärung hinsichtlich eines solchen Entwurfes werden die Schriften von Jean-Jacques Rousseau. Dieser schreibt 1761 in „Julie“:
[...] männliche Klugheit, Verschämtheit der Frauen beruhen nicht, wie Deine Philosophen meinen, auf willkürlicher Übereinkunft, sondern auf Einrichtungen der Natur, deren Ursachen sich leicht angeben und von denen sich ebenso leicht alle andern sittlichen Unterscheidungen ableiten lassen.[13]
Die hier von Rousseau entworfene Kategorie des Geschlechtscharakters ist für diese Arbeit insofern von Bedeutung, als der Begriff des „gender“ nicht diskutiert werden soll. So hat sich im deutschen Sprachraum die Analysekategorie „gender“ zur neutralen Bezeichnung von „Geschlecht“ durchgesetzt.[14] Da es jedoch bei der Untersuchung von Gellert gerade um den geschlechtsspezifischen Rollenentwurf geht, bleiben die Begriffe des „Männlichen“ und „Weiblichen“ als stereotype Projektion vorhanden. Dabei wird besonders die Zuweisung bestimmter Eigenschaften der „Weiblichkeit“ hervortreten.
Der Entwurf des „Geschlechtscharakters“ diente ab etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Untermauerung spezifischer Ansichten über die Weiblichkeit, wie Bovenschen schreibt:
Der Geschlechtscharakter wird als eine Kombination von Biologie und Bestimmung aus der Natur abgeleitet und zugleich als Wesensmerkmal in das Innere des Menschen verlegt.[15]
[...]
[1] Vgl. Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979. S. 93 ff.
[2] Vgl. Claudia Kaiser: Geschmack als Basis der Verständigung. Chr. F. Gellerts Brieftheorie. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1996. S. 93 ff.
[3] Gellert: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. In: Christian Fürchtegott Gellert: Werke. Hrg. Gottfried Honnefelder. 2. Band. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1979.
[4] Karin Hansen schreibt: „Die bloße Tatsache der Konstatierung von Mann und Frau ist historisch zunächst wenig aufschlussreich, waren doch in patriarchalischen Gesellschaften seit eh und je Aussagen über das „andere Geschlecht“ gängige Muster der männlichen Selbstdefinition.“ In: Silvia Bovenschen (1979): Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979. S. 141.
[5] Doerte Bischoff: Neuere deutsche Literaturwissenschaft. „Gender“ als Kategorie der Kulturwissenschaft. In: Claudia Benthien, Hans Rudolf Velten (Hrg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Rowohlt 2002. S. 299.
[6] Bovenschen (1979), S. 177.
[7] Vgl. Bovenschen (1979), S. 74.
[8] Vgl. Bovenschen (1979), S. 123.
[9] Vgl. Nachwort von Barbara Becker-Cantarino zu Sophie De La Roche: Fräulein von Sternheim. Reclam 1983. S. 399 ff.
[10] Vgl. Bovenschen (1979), S. 189 ff.
[11] Willkürlich meint die fehlende Notwendigkeit der Argumentation. Vgl. Bovenschen (1979), S. 74.
[12] Bovenschen (1979), S. 92.
[13] Bovenschen (1979), S. 164.
[14] Vgl. Benthien (2002), S. 300.
[15] Bovenschen (1979), S. 141.