Heute beschreiben Historiker ihn als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (Burgdorff u. Wiegrefe). Der Erste Weltkrieg sprengte alle bisher gültigen Kategorien und wurde zum Paradigma der Gewalterfahrung. Neueste Waffentechniken forderten die maximale Zerstörung. Der zermürbende Stellungs- und Grabenkrieg, der vor allem die Westfront bestimmte, verwüstete ganze Landstriche und forderte insgesamt über 3 Millionen tote Soldaten auf allen Seiten. Otto Dix, Künstler und Soldat, kehrte nach vier Jahren Kriegsdienst an der Front unversehrt zurück. Das Erleben des Krieges prägte fortan sein künstlerisches Schaffen. Diese Arbeit widmet sich seinem 1924 veröffentlichten Radierzyklus "Der Krieg", in dem er das Sterben und Vegetieren der Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges schilderte. Es wird die ideologisch geführte Debatte dargestellt, die sich seit der Veröffentlichung 1924 um die Radierungen entspann und der Bogen bis zum gegenwärtige Stand der Forschung gespannt. Die Analyse legt u.a. die künstlerischen Strategien dar, die Dix entwickelte, um dem Betrachter glaubhaft zu vermitteln, hier die Wirklichkeit, wie er sie erfahren hatte, zu schildern. So integrierte Dix beispielsweise in seine Bildkompositionen charakteristische Ästhetiken von Reportagefotografien, um den Authentizitäteindruck des Dargestellten zu verstärken. Aber auch der Vergleich mit zeitgenössischer Kriegsliteratur spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Letztlich wird der Frage nachgegangen, inwiefern die 50 Radierungen des Zyklus eine Reflexion und Visualisierung der kriegsbedingten Traumatisierung des Künstlers sind.
Inhalt
1. Einführung
1.1. Daten und Fakten zum Radierzyklus Der Krieg
2. Vom Pazifisten zum Realisten - Otto Dix und Der Krieg (1923/24) in der kunstwissenschaftlichen Diskussion seit 1924
3. Schwerpunkte und Fragestellungen der Magisterarbeit
4. Der Krieg (1923/24) - Betrachtung des Gegenstandes
4.1. Das Spektrum der Motive
4.1.1. Soldatentod
4.1.2. Verwundung und Erschöpfung
4.1.3. Alltag an der Front
4.1.4. Landschaft
4.1.5. Zivilisten
4.1.6. Vom Zyklus ausgeschlossene Blätter
4.2. Technik und Verwirklichung
4.3. Entwürfe, Studien und zeichnerische Vorlagen
5. Kunsthistorische Einordnung
5.1. Historische Vorbilder - Urs Graf und Jacques Callot
5.2. Historisches Vorbild – Francisco de Goya
5.3. Dix’ Zeitgenossen - Reaktionen auf das Kriegsgeschehen
6. Analyse
6.1. Der Krieg (1923/24) – Ein Abbild der ‚Wirklichkeit’?
6.1.1. ‚Das Bild vom Krieg’ in den Köpfen der Menschen
6.2. Strategien der Authentizitätssuggestion
6.2.1. Die innere Struktur des Krieg -Zyklus
6.2.2. Darstellungstitel
6.2.3. Selbstbildnisse
6.2.4. Krieg -Zyklus versus zeitgenössische Kriegsliteratur
6.2.5. Das Spiel mit der Wahrnehmung – Fotoästhetiken im Zyklus
6.3. Der psychoanalytische Ansatz von Paul Fox
7. Resümee
8. Anhang
8.1. Vorwort zur Buchausgabe von „Der Krieg“, verfasst von Henri Barbusse
8.2. Brief von Otto Dix an Helene Jacob vom 12. August 1916
8.3. Kurzbiografie - Otto Dix
9. Literaturverzeichnis
9.1. Primärliteratur
9.2. Monografien
9.3. Werkverzeichnisse
9.4. Kataloge
9.5. Aufsätze und Zeitschriftenartikel
9.6. Nachschlagewerke
10. Abbildungsverzeichnis
11. Abbildungen
1. Einführung
Heute beschreiben Historiker ihn als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“.[1] Er sprengte alle bisher gültigen Kategorien und wurde zum Paradigma der Gewalterfahrung. Neueste Waffentechniken forderten die maximale Zerstörung. Der zermürbende Stellungs- und Grabenkrieg, der vor allem die Westfront bestimmte, verwüstete ganze Landstriche und forderte insgesamt über 3 Millionen tote Soldaten auf allen Seiten. Hinzu kamen Millionen Kriegsversehrte mit zum Teil schwersten Verstümmelungen, die aufgrund fortschrittlicher medizinischer Versorgung überlebt hatten.[2] Erstmals band dieser Erste Weltkrieg alle im 19. Jahrhundert entstandenen Großmächte ein und erstmals geriet auch Zivilbevölkerung in größerem Maßstab zwischen die Fronten und wurde zum Opfer militärischer Operationen.
Aus heutiger Perspektive, die uns auf zwei katastrophale Weltkriege zurückblicken lässt, ist es kaum vorstellbar, dass dieser erste weltumspannende Krieg von vielen Menschen in Europa herbeigesehnt und 1914 mit Euphorie begrüßt wurde. Nicht nur im Deutschen Kaiserreich gab es innerhalb der intellektuellen Eliten eine breite Strömung, die sich durch den Krieg eine kulturelle Erneuerung versprach und auf den Durchbruch einer neuen, besseren Weltordnung hoffte.[3] Otto Dix’ Selbstbildnis als Kriegsgott Mars (Abb. 68) von 1915 zeugt in der dynamisierenden Sprache des Futurismus beispielhaft von der bejahenden Haltung der bildenden Künstler zum Krieg, der anfänglich zwar als etwas Schreckliches, aber in gewissem Sinne als ein großartiges Geschehen wahrgenommen wurde, welches eine außerordentliche Erfahrung und Erweiterung des künstlerischen Horizonts bot. Das Erleben des Menschen in dieser extremen Grenzsituation, sollte den Malern, Bildhauern und Literaten neue Dimensionen künstlerischer Kreativität eröffnen.[4] Demgemäß meldeten sich viele Künstler freiwillig zum Militärdienst, darunter auch Otto Dix, der es kaum erwarten konnte, an die Front zu kommen, vermutlich aus Angst der Krieg könne beendet sein, bevor er ihn mitgemacht hätte.[5] Dix verbrachte vier Jahre als Soldat überwiegend an der Westfront und bewährte sich im Kampfeinsatz. Mit nur einer leichten Verletzung, mehreren Beförderungen und Auszeichnungen - darunter das Eiserne Kreuz II. Klasse - überlebte er das Inferno fast unversehrt.[6] Seiner Kreativität tat der militärische Einsatz keinen Abbruch. Im Gegenteil, sozusagen im Schützengraben und unter feindlichem Beschuss fertigte er über 600 Kreidezeichnungen und Gouachen, in denen er seine Erlebnisse reflektierte. Ganz anders erging es vielen seiner Kollegen, bei denen sich nach anfänglichem Enthusiasmus sehr schnell Ernüchterung einstellte. Vielen Künstlern war bereits die militärische Grundausbildung schwer erträglich, andere vermochten die Erlebnisse an der Front emotional nicht zu verkraften und erlitten Nervenzusammenbrüche. Die meisten zogen sich denn auch, früher oder später und soweit dies möglich war, vom Kriegsdienst zurück und wandten sich auch künstlerisch anderen Themen zu.[7] Andere verstummten ganz oder starben, wie z.B. Franz Marc, der 1916 bei Verdun fiel.[8]
Einige suchten unter dem unmittelbaren Eindruck der unbeschreiblichen Schrecknisse nach künstlerischen Formeln den Zustand dieser aus den Fugen geratenen Welt zu fassen. Es schien eine unlösbare Aufgabe zu sein. Aus diesem Dilemma heraus entwickelte sich seit 1916 die Dada-Bewegung als Ausdruck des Scheiterns eigener vor dem Krieg formulierter Hoffnungen und Überzeugungen.[9] Auch Dix experimentierte nach seiner Rückkehr 1918 mit den Ausdrucksformen des Dadaismus und arbeitete daran seine Nachkriegserkenntnisse ab. Die Prager Straße von 1920 (Abb. 99), eine Malerei-Material-Collage, zeigt beispielhaft das gesellschaftskritische Anliegen der Arbeiten und die Tendenz des Dadaismus überkommene, bürgerliche Vorstellungen ins Lächerliche zu ziehen und zu relativieren.[10]
Erst ein halbes Jahrzehnt nach Kriegsende kehrte Dix sozusagen auf das Schlachtfeld des Krieges zurück, um sich seinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu stellen. Dafür bedurfte er jedoch neuer Ausdrucksformen und die fand er im Erfassen der Realität und nackten Wirklichkeit. Der Schützengraben von 1923 (Abb. 54), in dem er den Betrachter mit dem qualvollen Sterben an der Kriegsfront konfrontierte, wurde aufgrund dieses brutalen „Verismus“, so die Bezeichnung der zeitgenössischen Kritik, von manchen Rezipienten als abstoßend empfunden.[11] In dieser Schaffensphase entstand auch der Radierzyklus Der Krieg, der in 50 Radierungen ein Panorama der schrecklichen und desolaten Zustände an der Westfront des Ersten Weltkrieges entfaltet und der von den Zeitgenossen, welche der Kriegskatastrophe nunmehr kritisch gegenüberstanden, als ein wahrhaftiges Abbild der Wirklichkeit begriffen wurde.[12]
1.1. Daten und Fakten zum Radierzyklus Der Krieg
Der Radierzyklus Der Krieg entstand in den Jahren 1923 und 1924. Er besteht aus 50 Radierungen, die in fünf Mappen à zehn Blätter verteilt sind[13]. Den Mappen ist jeweils ein Deckblatt vorangestellt, auf dem die Zählung der jeweiligen Mappe (Erste Mappe, Zweite Mappe etc. bis Fünfte Mappe) vermerkt ist. Ausserdem enthält das Deckblatt ein Verzeichnis mit den Titeln der jeweils enthaltenen Blätter. Die Titel sind von 1-10 nummeriert und damit in ihrer Reihenfolge festgelegt.[14] Jede Radierung ist vom Künstler handsigniert und nummeriert. Die Abfolge der Blätter, weder innerhalb der Mappen noch auf den gesamten Zyklus bezogen, folgt keiner inhaltlichen Chronologie und keiner kohärenten Erzählstruktur. Vielmehr erscheint ihre Anordnung diesbezüglich zufällig. Die von Dix verwandten Drucktechniken Aquatinta, Ätzung und Kaltnadelradierung variieren in ihrer Kombination von Blatt zu Blatt. Auch die Darstellungsgrößen variieren[15], während die Blattgrößen mit 353 x 475 mm gleich bleiben. Die 50 Zinkdruckplatten wurden im Juli 1924 in der Berliner Kupferdruckerei Otto Felsing abgezogen. In einer Auflage von 70 nummerierten Exemplaren erschien der Zyklus im darauffolgenden Monat im Verlag Karl Nierendorf Berlin. Er kostete komplett 1000 Mark, während die einzelnen Mappen vom Galeristen Karl Nierendorf für 300 Mark verkauft werden sollten. Fritz Löffler berichtet, dass damals lediglich ein Exemplar verkauft worden sei.[16] Gleichzeitig erschien zu Reklamezwecken eine billige Buchausgabe mit 24 Offset-Drucken für 2,40 Mark (Buchhandlungen zahlten 1,10 Mark) und einer Auflagenhöhe von 10.000 Stück. Einer weiteren kleineren Auflage des Buches und den Restbeständen der ersten, wurde ein Text des französischen Schriftstellers Henri Barbusse beigelegt (siehe Anhang 8.1.). Die originalen Radierungen wurden erstmals im August 1924 in folgenden Städten ausgestellt: Berlin, Bremen, Breslau, Dresden, Frankfurt, Hamburg, Kiel, Köln, Leipzig, Mannheim, München, Stuttgart, Ulm, Wien und Wiesbaden.
2. Vom Pazifisten zum Realisten - Otto Dix und Der Krieg (1923/24) in der kunstwissenschaftlichen Diskussion seit 1924
Er sei kein Pazifist gewesen!
So unmissverständlich äußerte sich Otto Dix im Dezember 1963 in einem Gespräch unter Freunden. Er sei Realist, ein „Wirklichkeitsmensch“, der alles mit eigenen Augen sehen müsse! ‚Sehen’, das bedeutete für Dix dasselbe, wie ‚erleben’.[17] Und entsprechend formulierte er sein künstlerisches Anliegen, die Wirklichkeit so darzustellen, wie er sie sah bzw. erlebte.
Es war wohl die Offenheit dieses Konzeptes, das seine Bilder, die sein Erleben des Ersten Weltkrieges reflektieren, zu Projektionsflächen für politische Ideologien rechter und linker Couleur werden ließ. So kam es, dass seit der ersten öffentlichen Präsentation des Gemäldes „Der Schützengraben“ 1923 (Abb. 54) im Kölner Wallraf-Richartz-Museum in der öffentlichen Diskussion und unter den Kunstwissenschaftlern die Frage dominierte, ob Dix’ Weltkriegsreflexionen pazifistisch und antinationalistisch motiviert gewesen seien oder nicht.
Seine späte Aussage, niemals Pazifist gewesen zu sein, widerspricht seinem damaligen Handeln. Denn die Publikation des Radierzyklus „Der Krieg“ durch Dix’ Verleger und Galeristen Karl Nierendorf sowie die zeitgleiche Herausgabe eines billigen Buches mit einer Auswahl von 24 Offsetdrucken aus dem Zyklus in einer Auflage von 10.000 Stück, fiel nicht zufällig in das Jahr 1924. Damals jährte sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum zehnten Mal und die politische Linke propagierte das Anti-Kriegs-Jahr.
Es war mithin die großangelegte Werbekampagne anlässlich der ersten Ausstellung der fünfzig Blätter 1924 in Berlin und 13 weiteren deutschen Großstädten, die dieses Bild vom pazifistischen Dix maßgeblich prägte. Karl Nierendorf, der den Kriegszyklus angeregt hatte[18], war sich des brisanten Gehaltes sehr wohl bewusst und belieferte gezielt Friedensgesellschaften, Menschenrechtsorganisationen und „alle linksstehenden grösseren Zeitungen“[19] mit der Buchpublikation Der Krieg. Auch die Gewerkschaften bedienten sich der Motive des Radierzyklus’ als propagandistische Unterstützung und orderten für ihren Anti-Kriegs-Tag 1500 Exemplare des Buches.[20] Otto Dix, der zwar behauptete, dass man Entrüstung nicht malen könne[21], Anklage und Abschreckung Kategorien der Moral und nicht der Kunst seien, positionierte sich damit meiner Ansicht nach, sicher nicht versehentlich an der Seite seiner Künstlerkollegen George Grosz, Käthe Kollwitz, Max Beckmann und anderer, deren Bilder in den 20er Jahren als „Antikriegskunst“ verstanden wurden.[22]
Während die einen sein Mappenwerk „Der Krieg“ als pazifistisches Manifest für den Frieden und gegen den Krieg priesen und nur verhalten kritisierten, dass die Verantwortlichen der Misere z. B. nicht benannt und angeprangert wurden, vermisste die konservative Kritik das Bild des heldenhaften deutschen Soldaten. Die ungeschönten Bilder des Frontsoldaten und seines elenden Sterbens, die Dix 1924 schuf, entsprachen in keiner Weise der Ideologie der Deutschnationalen, die in der Weimarer Zeit die Dolchstoß-Legende kolportierten und populär machten. Das deutsche Heer soll demnach „im Felde unbesiegt“ gewesen sein und aus der Heimat durch die sozialistischen und sozialdemokratischen Revolutionäre im Sommer und Herbst 1918 verraten, bzw. hinterrücks „erdolcht“ worden sein.[23]
Die Radierungen Otto Dix’ sind eine vollkommene Obstruktion dieses Wunschbildes vom heroischen Soldaten. Der Heidelberger Kunstwissenschaftler Dietrich Schubert sieht denn auch die Reaktionen der Nationalsozialisten als sicheren Indikator für den wahren Gehalt des Krieg -Zyklus. Sie titulierten Dix’ Reflexionen des Krieges als „gemalte Wehrsabotage“, verunglimpften sie seit 1935 in der Wanderausstellung Entartete Kunst und schränkten letztendlich seine künstlerische Arbeit während ihrer Diktatur drastisch ein.[24]
Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen während des Zweiten Weltkrieges bewirkten eine Zäsur im künstlerischen Schaffen Otto Dix’. Er widmete sich während dieser Zeit der politisch unverfänglicheren Landschaftsmalerei. Auch die Wahrnehmung seiner Person durch die Öffentlichkeit veränderte sich. War er zuvor ein populärer Maler gewesen, wurde er nun an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Im Nachkriegsdeutschland konnte er seine Künstlerkarriere jedoch fortsetzen. Genau genommen machte er zwei Karrieren mit unterschiedlichen Verläufen, die eine in der DDR und die andere in der Bundesrepublik. Während sich die Kulturverantwortlichen in der sowjetisch besetzten Zone recht schnell wieder an seine Kunst aus der Weimarer Zeit erinnerten und ihn 1947 erneut zum Professor an der Dresdner Kunstakademie beriefen[25], nahm man in der jungen Bundesrepublik zunächst kaum Notiz von ihm.[26] Im Westen interessierte man sich nun mehr für abstrakte Kunst und konnte mit dem Realismus eines Otto Dix nichts mehr anfangen. Im Osten dagegen wurde der ‚Sozialistische Realismus’ propagiert und man suchte nach Künstlern, die an der Entwicklung eines neuen Stils im Sinne des sozialistischen Systems mitwirken sollten. Dix hielt man dafür wegen seiner realistischen Formensprache, wegen seiner Vergangenheit als Kriegsgegner in der Weimarer Republik und als verfolgter Künstler im Dritten Reich für besonders gut geeignet. Die Erwartung jedoch, sich künstlerisch wie persönlich eindeutig zum Sozialismus zu bekennen, erfüllte er nie und blieb deshalb auch in der DDR nicht unumstritten, zumal er weiterhin in Hemmenhofen am Bodensee wohnte und nicht in seine zweite Heimat Dresden zurückkehrte.[27] Trotzdem hielt man an ihm fest und machte sich ‚seinen Dix passend’, indem man seine Kunst im Anti-Kriegs-Kontext interpretierte und sie als sozialkritische und friedensstiftende Kraft würdigte.[28]
Otto Conzelmann war in der Bundesrepublik der erste Kunstwissenschaftler, der sich dem künstlerischen Werk von Otto Dix wieder zuwandte. 1959 veröffentlichte er über ihn die für Gesamtdeutschland erste Monografie nach dem Zweiten Weltkrieg und erwähnt darin die Krieg -Mappen als eine Arbeit ganz im Geiste des Gemäldes Der Schützengraben von 1923 (Abb. 54). Hier wie dort, so Conzelmann, der mit Dix persönlich bekannt war, handele es sich um den Versuch des Künstlers, sich von dem entsetzlichen Albtraum des Krieges zu befreien.[29] Was sich im Schützengraben zu einem Gebirge der Abscheulichkeiten auftürmt, wird seines Erachtens im Radierzyklus aufgeteilt und in Einzelheiten erläutert.[30] Tod, Verstümmelung und Verwesung kennzeichneten den Krieg, den Dix dort schildere. Er ergänzt, dass sich in den Krieg -Radierungen auch etwas offenbare, das stärker sei als alle Gewalt des Krieges, nämlich der blinde Lebenswille des Menschen und sein animalischer Selbsterhaltungstrieb. Die Bordellszenen (Abb. 32, 34 u. 36) und nicht zuletzt die vom Zyklus ausgeschlossene Vergewaltigungsszene Soldat und Nonne (Abb. 51) brächten dies anschaulich zum Ausdruck. Diese Gegensätze vermitteln laut Conzelmann eine Dialektik von Leben und Tod, Verwesung und Geburt, blinder Destruktion und wucherndem Wachstum.[31]
Als Jean Cassou, der damalige Direktor des Musée National d’Art Moderne in Paris, Anfang der sechziger Jahre ein Konvolut von über 600 Zeichnungen entdeckte, die Dix während der vier Jahre an der Front (1915-1918) angefertigt hatte, wandelte sich der Blick Conzelmanns auf die Radierungen des Krieg -Zyklus.[32] In den Kriegszeichnungen offenbarte sich ihm der „andere Dix“, der von den gewaltigen Kräften des Krieges fasziniert, diese in der kraftvollen Formensprache des italienischen Futurismus und aus dem unmittelbaren Erleben heraus schildert.[33] Die Kreidezeichnung von 1917 Reihe im MG-Feuer (Abb. 57) z. B. zeigt deutlich die im Vergleich zu den Radierungen andere Herangehensweise an das Kriegsthema und das Kriegserleben. Die Reihe der Soldaten fällt in der spitzen, fächerförmigen Garbe des Maschinengewehrs. Der Mensch als Individuum spielt hier keine Rolle, er verschmilzt mit der Schützenreihe, die Teil der energetisch geladenen Kriegsmaschinerie ist, welche Dix fasziniert und focussiert. Anders als in den Radierungen wird hier das Leiden des Menschen nicht gezeigt, er blutet nicht, er verendet nicht, er verwest nicht und stinkt noch nicht. Im Gegenteil, er fungiert als Symbol imponierender Kriegsgewalt.[34] Zu geometrischen Formen abstrahiert, fallen und liegen die Soldaten fast dekorativ arrangiert, während sie in den Radierungen mit allen ihren menschlichen Regungen und Bedürfnissen detailliert geschildert werden. Conzelmann erkennt nun auch in den Radierungen dieses „Ja“ zum Krieg, das in den Zeichnungen durch die distanziert faszinierte Perspektive des Künstlers so deutlich zutage tritt. Es sei ein „Ja“ des Künstlers zum Menschen und der Welt in allen ihren Ausprägungen und dazu gehöre eben auch, dass der Krieg als Destruktionstrieb naturgegeben und unausrottbar im Menschen angelegt sei. Für Conzelmann tritt an dieser Stelle der Nietzscheaner Dix hervor. „Was Nietzsche und Dix bejahen - Die Vergänglichkeit und alles Negative, was mit ihr zusammenhängt - ist unveränderbar. Es gehört zum naturgegebenen Wesen des menschlichen Daseins. Wie jenseits von Gut und Böse, so steht es hoch und unerreichbar über allen politischen und sozialen Verbesserungs-Tendenzen (…).“[35] Die Möglichkeit den Krieg überhaupt zu bekämpfen oder einzudämmen, bestünde deshalb für Dix nicht.[36]
Auch den Vergleich der Radierungen mit Francisco de Goyas (1746-1828) Desastres de la Guerra (1808-1815) führt er letztendlich in dieselbe Richtung, nämlich Dix vom häufig geäußerten Vorwurf des gewollten Pazifismus und der politischen Agitation freizusprechen. Obwohl Goya aus einer nachweislich patriotischen Position heraus arbeitete, - er stand im Dienst des spanischen Königs als er die Gräuel des Krieges gegen Napoleon in einer Reihe von achtzig Radierungen schilderte -, gewinnen seine Darstellungen eine überzeitliche, überlokale bzw. generelle Bedeutung, so Conzelmann. Wie Dix den Destruktionstrieb im Menschen entdeckte, so entdeckte Goya den Foltertrieb, der in jedem Menschen angelegt sei.[37]
Eben jenen Anspruch der Universalität und Überzeitlichkeit formulierte bereits Ernst Kállai 1927 für Dix’ Gemälde Der Schützengraben.[38] Kállai, ein einflussreicher Kunstkritiker der Weimarer Zeit, war überzeugt, dass Dix’ Glaube an die Allmacht des Krieges es ihm ermögliche, diesen als eine Art monumentale Vision zu gestalten. Er beschwöre das Hässliche und Abscheuliche in seinem Gemälde, indem er es mit kalter Grausamkeit und einem unerbittlichen Verismus darstelle. Jedoch bleibe die Frage offen, ob es sich um eine Ablehnung des Abscheulichen handele oder um einen anbetenden Kult. Das Schützengrabenbild von Dix könne Gegenstand höchster Anbetung eines fanatischen Kriegsgottverehrers sein, so Kállai, aber ebenso gut als pazifistisches Propagandamittel dienen.[39] Diese Erörterung Kállais sei für die Krieg -Radierungen ebenso gültig, erläutert Otto Conzelmann. Denn was dieser als ‚monumentale Vision’ beschreibe, bezeichnet Conzelmann als Kriegsmythos.
Dieser Mythos speise sich aus der Anonymität, in die Dix ihn verbanne. Trotz zahlreicher dokumentarischer Ortsangaben seien die Radierungen weder örtlich noch zeitlich eingeengt. Alle wirtschaftlichen, militärischen und politischen Aspekte und Ursachen fänden keine Ansprache, findet Conzelmann. Selbst das „Ungeheuer an Kraft“, das in den Kriegszeichnungen lebendig sei, bleibe in den Radierungen verborgen.[40] Der Schützengraben und Der Krieg von 1924 sind für den Autor damit in eine andere Sphäre, außerhalb politischer Ideologien, entrückt und zeichnen eine Art „Urbild aller Kriege“.[41]
Conzelmanns Publikation von 1983 Der andere Dix. Sein Erlebnis des Krieges und des Menschen war bis dahin die ausführlichste Auseinandersetzung zur Bedeutung des Ersten Weltkrieges im Oeuvre des Künstlers. Indem der Autor das Verständnis der dixschen Kunst aus dessen Nietzscherezeption generierte, versuchte er die politische Diskussion um Dix zu überwinden und den bis dahin eng begrenzten Blick auf den Künstler zu erweitern. Es gelang ihm nur bedingt. Zunächst empörten sich nicht wenige Kunstwissenschaftler über Conzelmanns Bestreben, Otto Dix zu entpolitisieren und nachzuweisen, dass ihm nichts an einer politischen Wirkung gelegen habe.[42] Dietrich Schubert, der das dixsche Werk für „eminent politisch“ hält, wie er 1984 als Reaktion auf das Buch betonte, entzieht sich sogar demonstrativ einer detaillierten Besprechung von Conzelmanns Thesen mit dem Hinweis auf dessen „unwissenschaftliche Schimpftiraden“, seinen „unreflektierten Anti-Sozialismus und blinden Anti-Kommunismus“ sowie auf die „methodologischen und wirkungsgeschichtlichen Defizite“ des Autors.[43] Andere Wissenschaftler wiederum folgen den Thesen Conzelmanns. Rainer Beck konzipierte zum Beispiel die große Dix-Ausstellung in München 1985 ganz in dessen Sinne, sodass in folgenden Ausstellungsbesprechungen die Frage auftauchte, ob Dix den Krieg am Ende gar verherrlicht hätte?[44]
Ein Jahrzehnt später beschäftigt sich Annegret Jürgens-Kirchhoff im Rahmen ihrer Studie zu „Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert“ ausführlich mit Conzelmanns Position. Sie bemängelt, dass dieser die ästhetischen und wirkmächtigen Unterschiede zwischen den Kriegszeichnungen und den späteren Kriegsradierungen zwar richtig beschreibe, diese Widersprüche jedoch nicht ernst nehme und versuche beide Arbeiten zu harmonisieren.[45] Für Jürgens-Kirchhoff äußern sich gerade in diesem Perspektiv- und Stilwechsel die Verarbeitungs- und Erkenntnisphasen eines sich wandelbaren Künstlers, der sein Verhältnis zum Krieg überdenke und verändere. „Wie kein anderer hat Dix den Krieg später als ‚Menschenschlachthaus’ dargestellt und unmissverständlich mitgeteilt, daß er das Sterben im Krieg für sinnlos halte“, so Jürgens-Kirchhoff.[46] Conzelmann dagegen versuche, seinen antikommunistischen Ressentiments entsprechend, die von Otto Dix und anderen Künstlern nach dem Ersten Weltkrieg gewonnenen Einsichten rückgängig zu machen und negiere diese Wandlung des Künstlers schlichtweg, indem er behaupte, Dix vereine das „Scheußliche“ des Krieges mit dem „Großartigen“ des Krieges in einer dialektischen Spannung.[47] Der „andere Dix“, der den Krieg als etwas Kraftvolles und Faszinierendes beschrieben hatte, verändere Conzelmanns Argumentation zufolge sein Bewusstsein nicht. Die nach 1918 entstandenen Arbeiten, darunter auch der Krieg -Zyklus, brächten zudem lediglich das im Krieg Verdrängte zur Sprache[48] und sind demnach kein Zeugnis einer veränderten inneren Haltung des Künstlers. Außerdem sei das Interesse Conzelmanns den Krieg als etwas Unabänderliches und Naturgegebenes auszuweisen, der Versuch von der Verantwortung der kriegführenden Menschen abzulenken.[49]
Jürgens-Kirchhoff widerspricht ferner entschieden seiner Vorstellung, dass die Radierungen ein „Urbild aller Kriege“ zeichneten und einem „Mythos des Krieges“ geschuldet seien. Sie besteht darauf, dass der Zyklus ein sehr genaues Bild des Ersten Weltkrieges zeichne und auf konkrete Erfahrungen des Künstlers zurückgehe. Subskriptionen wie „Gesehen am (…)“ oder „Gefunden beim (…)“ betonten den Dokumentarwert der Bilder, so die Autorin.[50]
Kira van Lil nimmt in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2000 diesen Faden auf und prüft anhand formaler Kriterien den dokumentarischen Gehalt des Zyklus.[51] So suggeriere Dix, ihrer Meinung nach, mit der Abfolge der Bilder einen Erlebnisbericht und erhebe damit den Anspruch einer wahrhaftigen Reportage.[52] Die Orts- und Zeitangaben, die Dix den Radierungen hinzufüge, sollen dem Betrachter vermitteln, dass der „Reporter“ Dix zu jedem Zeitpunkt an den entscheidenden Orten der Westfront gewesen sei und deshalb wisse, wie der Krieg dort ausgesehen habe. Und berechtigterweise kann sie Dix eine solche Absicht unterstellen, da ihr Unstimmigkeiten zwischen einigen Zeit- bzw. Ortsangaben und den tatsächlichen Aufenthaltsorten des Künstlers auffallen.[53] Danach konnte Dix, anders als der Titel Abend in der Wijtschaete-Ebene (Nov. 1917) glauben macht, im November 1917 nicht an den Kämpfen in der Wijtschaete-Ebene teilgenommen haben, da er sich zu diesem Zeitpunkt in Russland an der Ostfront befand.[54] Aller Kritik zum Trotz, die Van Lil im Einzelnen formuliert, überwiegen in der von ihr gegebenen Gesamtschau, die Übereinstimmungen zwischen der Erinnerung des Künstlers und dessen mittels des Militärpasses rekonstruierten Aufenthaltsorte während des Ersten Weltkrieges. Einige Blätter gingen sogar auf konkrete Erlebnisse zurück, die Dix in Feldpostbriefen an Helene Jacob geschildert hatte.[55] Beides sei, der Argumentation Van Lils folgend, im Krieg -Zyklus gegenwärtig: Die konkrete Dokumentation einer wahrhaftigen Erinnerung sowie Produkte der künstlerischen Fantasie, die eine Augenzeugenschaft historisch bedeutender Schlachten suggerieren sollen.
Der amerikanischen Kunsthistorikerin Linda McGreevy, die sich in ihrer Arbeit Bitter Witness: Otto Dix and the Great War aus dem Jahr 2001 ausführlich dem Kriegsthema im dixschen Oeuvre widmet, fallen keine Unstimmigkeiten bezüglich der Aufenthaltsorte des Künstlers während des Ersten Weltkrieges auf.[56] Sie betont ausschließlich den dokumentarischen Gehalt der Folge und bettet das kriegsbezogene Werk Otto Dix’ sehr sorgfältig in den damaligen politischen, gesellschaftlichen und soziokulturellen Kontext ein. Mit großem historischen Wissen, auch um den beschwerlichen Alltag der Soldaten an den Fronten des Ersten Weltkrieges, betrachtet sie die 50 Radierungen und spürt den Ereignissen nach, die Dix tatsächlich widerfahren sein könnten und die er ihrer Meinung nach hier dokumentiere.[57] Die von Dix sicherlich bewusst hinzugefügten Orts- und Zeitangaben, die bis zur Dissertation van Lils lediglich erwähnt oder schlichtweg vernachlässigt wurden[58], geben Linda McGreevy Hinweise auf dessen Aufenthalts- und Erlebnisorte während des Krieges.[59] Außerdem ermöglichen sie ihr, seine ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse in Umrissen zu rekonstruieren und diese in einem größeren historischen Kontext zu verankern, der die konkreten militärischen und politischen Umstände sowie die Lebensbedingungen der Soldaten an der Front berücksichtigt. Beispielsweise vermittelt sie dem Betrachter anhand des Blattes Mahlzeit in der Sappe (Lorettohöhe) (Abb. 13) eine Vorstellung vom Verpflegungszustand der Truppen im Ersten Weltkrieg, der sich stetig verschlechterte. Sie macht darauf aufmerksam, dass Dix erst 1917 und 1918 auf der Lorettohöhe in Flandern stationiert wurde und zu diesem Zeitpunkt bereits die Versorgung der Soldaten mit Nahrung mehr als unzureichend gewesen sei. Ausserdem erkläre die Ortsangabe das Skelett in der Nachbarschaft des Essenden und die Mondlandschaft im Hintergrund, denn die Lorettohöhe war seit Beginn des Krieges Kampfgebiet gewesen und auf den Schlachtfeldern blieben tote Franzosen, Engländer und Deutsche zurück, die Dix, als er 1917/18 mit seiner Kompanie dort ankam, fast vollständig verwest vorfand.[60]
Linda McGreevys Leistung besteht meines Erachtens darin, den Blick von der polemischen Debatte um die Frage, ob Dix nun bewusst politisch beeinflussen wollte oder nicht, endgültig abzuwenden und dem eigentlichen Gegenstand des Interesses, nämlich dem Kunstwerk selbst, zuzuwenden. Niemand vor ihr hat so ausführlich und genau die einzelnen Radierungen beschrieben und von den Motiven ausgehend analysiert. Sie liefert fundierte historische Fakten und ermöglicht dem heutigen Rezipienten meines Erachtens, eine erweiterte Wahrnehmung der Realität des Schreckens. Das soll heißen, dass man als Betrachter nicht, wie bisher, allein durch die schonungslose Unmittelbarkeit der Schreckensdarstellung in den Bann gezogen wird, sondern dass diese Gräuel teilweise eine konkrete Rückbindung an die erlebte Wirklichkeit des Künstlers erfahren. Die Orts- und Zeitangaben sowie die Bildtitel ermöglichen diese Rückbindung. Außerdem verstärken sie nach meinem Dafürhalten den Realitäts- und Wirklichkeitseindruck und damit die Glaubwürdigkeit der dixschen Zeugenschaft, die für das zeitgenössische Publikum in der Weimarer Republik sicherlich von großer Bedeutung war.
Um den dokumentarischen Charakter des Krieg -Zyklus von 1924 noch deutlicher herauszuarbeiten, zieht McGreevy Zeitzeugenberichte heran, die sich mit den visuellen Erinnerungen von Otto Dix decken. Dabei greift sie bevorzugt auf Ernst Jüngers Buch In Stahlgewittern von 1920 und die daraus hervorgegangenen Texte Das Wäldchen 125 (1925) und Der Kampf als inneres Erlebnis (1922) zurück. Der damals 25jährige Jünger (1895-1998) schildert dort mit heroischem Impetus seine eigenen Erlebnisse als Freiwilliger an der Front und lässt die Schrecknisse des Krieges als großes Erlebnis und männliches Abenteuer erscheinen. McGreevy begründet diesen Vergleich mit der Annahme, Dix habe eine heimliche Sympathie für Jüngers kraftvolle Sprache gehegt.[61] Dabei lässt sie jedoch völlig außer acht, dass beide Werke aufgrund ihres Gehaltes sehr unterschiedliche Reaktionen innerhalb der Weimarer Gesellschaft provozierten. Während Dix’ Krieg -Radierungen und Der Schützengraben in konservativen und militaristischen Kreisen aufgrund des demoralisierenden Soldatenbildes laute Empörung hervorriefen, wurde Jünger in diesen Kreisen wegen seiner Schriften als Visionär einer neuen Kriegergeneration gefeiert, die „sich bereitwillig den unmenschlichsten Strapazen unterzieht, als handele es sich um genußreiche Abenteuer (…)“.[62] Demnach wurden zwei Vorstellungen vom Frontsoldaten konstruiert, die keine Gemeinsamkeiten aufweisen und im Grunde nicht miteinander vergleichbar sind.
Im vergangenen Jahr legte Paul Fox im Oxford Art Journal seine Überlegungen zu den dixschen Radierungen von 1924 dar und reagierte damit auf McGreevys Publikation. Er hält ihren Vergleich zwischen Jünger und Dix zwar für unglücklich, stellt aber dennoch Gemeinsamkeiten zwischen Jüngers Texten und den dixschen Kriegsreflexionen fest -allerdings auf einer völlig anderen Ebene. Er konzentriert sich nicht auf den Gehalt der Texte, bzw. Kunstwerke, sondern auf die äußere Form, die Dix und Jünger fanden, um ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten.[63] Beide bearbeiteten in obsessiver Wiederholung das selbe Thema. Während Jünger seinen Text In Stahlgewittern mehrfach und in immer neuer Fassung publizierte, kehrte auch Dix motivisch immer wieder in den Schützengraben zurück.[64] Auf diese Weise äußere sich die Traumatisierung der beiden Kriegsveteranen, so Fox.[65] Ferner folgen beide einer zyklischen Erzählweise, die sich am alltäglichen Rhythmus des Soldatenlebens an der Front orientiere. Dieser sei durch den Wechsel zwischen Kampfeinsatz an vorderster Front und der Ruhestellung in zweiter Reihe gekennzeichnet gewesen. Für die Psyche der Soldaten bedeutete dies ein immerwährender Takt von Todesangst bzw. Regeneration und Erwartung des nächsten Kampfeinsatzes.[66]
Paul Fox scheint hiermit eine Antwort auf die Frage nach der inneren Struktur des Radierzyklus’ zu geben. Während er den Kampfrhythmus der Front in der Radierfolge gespiegelt sieht, beschrieb Fritz Löffler noch 1986, alle fünf Mappen als inhaltlich gleichwertig, in denen jede Radierung ihre Gültigkeit besitzt und nicht Teil einer Folge sei.[67] Auch Conzelmann erkannte keine bestimmte Struktur und Schubert betonte lediglich das Protokollarische der Blätter aus den Krieg -Mappen, die Dix „wie in fünfzig Momentaufnahmen des Wahren“ aus dem Kopf radierte.[68] McGreevy dagegen stellt die These auf, dass der Zyklus eine narrative Form der individuellen Erinnerung sei, die Dix’ hier visualisiert habe. Sie bezieht sich dabei auf den amerikanischen Literaturwissenschaftler Samuel Hynes, der zwei Erzählformen der Erinnerung unterscheidet: Einerseits die generalisierte Erinnerung, die große politische, militärische und gesellschaftliche Zusammenhänge in epischer und chronologischer Form wiedergibt und andererseits die individuelle Erinnerung, die schlaglichtartig ganz persönliche Erfahrungen unzusammenhängend spiegelt.[69] Letztere bestimme die Struktur des Zyklus Der Krieg von 1924, so McGreevy.
Zu guter Letzt thematisiert Paul Fox in seinem Aufsatz die schwierige soziale Position der häufig psychisch traumatisierten Veteranen in der Weimarer Gesellschaft und bezieht das u. a. auf das Selbstbildnis von Dix So sah ich als Soldat aus (Abb. 53), das in engem Zusammenhang mit den Krieg -Mappen steht.[70] Der martialische Habitus, den Dix in dieser Zeichnung an den Tag lege, sei lediglich eine Fassade, so Fox, hinter der sich die seelischen Erschütterungen seiner Kriegserlebnisse verbergen. Tatsächlich hätten viele Veteranen versucht ihre kriegsbedingten Schwächen durch ein ausgesprochen „cooles Auftreten“ zu überspielen, weil die psychische Kriegsversehrung von der damaligen Weimarer Gesellschaft tabuisiert wurde.[71] Während Fox in diesem Beispiel die Traumatisierung des Veteranen Dix durchscheinen sieht und diese in den gesellschaftlichen Kontext einordnet, stellt für McGreevy dieses Porträt vorrangig die tatsächliche Zeugenschaft Dix’ heraus, im Sinne dabei gewesen und selbst im Zyklus repräsentiert zu sein.[72]
So beschreibt die eine den Zyklus als historisches Dokument eines Zeitzeugen, während der andere die psychische Verfassung des Künstlers darin visualisiert sieht.
3. Schwerpunkte und Fragestellungen der Magisterarbeit
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die kriegsbezogenen Arbeiten von Otto Dix der letzten Jahre zeigt, dass aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien innovative Impulse kommen, die die Diskussion in neue Bahnen lenken. Die Ressentiments zwischen Ost und West und ‚Rechts’ und ‚Links’, die bis in die 90er Jahre unter den Wissenschaftlern gepflegt wurden und die Diskurse bestimmten, scheinen mit ihnen überwunden zu sein. Vielleicht ist es der emotionale Abstand der amerikanischen und britischen Forscher zur politischen Geschichte Deutschlands und zur Person des Künstlers, der ihnen neue Perspektiven auf Otto Dix und dessen Kriegsreflexionen ermöglicht. In der folgenden Auseinandersetzung mit dem Radierzyklus Der Krieg möchte ich denn auch diese Diskussion nicht erneut thematisieren, zumal ich die Frage, ob Dix’ mit dem Zyklus politisch Position bezog, als ausreichend beantwortet betrachte. Er positionierte sich, indem er und sein Verleger durch ihre Werbestrategie für den Zyklus ein pazifistisches Zielpublikum definierten und die Arbeiten im Kontext des Antikriegsjahres erschienen. Meines Erachtens hielt Dix ferner die Kriegszeichnungen deshalb über Jahrzehnte verborgen, weil sie eine Haltung zum Krieg repräsentierten, die er nicht mehr vertrat. Seine nunmehr kritische Perspektive auf die Vergangenheit tat er mit der Präsentation des Krieg -Zyklus und des Gemäldes Der Schützengraben einer breiten Öffentlichkeit unmissverständlich kund.
Heute konzentriert sich die Kunstwissenschaft denn auch weniger auf die politischen Fragen der Vergangenheit, sondern wieder intensiver auf den Gegenstand selbst. Dass Dix sich politisch positionierte wird vorausgesetzt und davon ausgehend gefragt, mit welchen künstlerischen Mitteln er seine Kriegsreflexionen gestaltete, um sein Publikum anzusprechen und von seinen Schilderungen zu überzeugen.
Sowohl McGreevys Forschungsansatz, die Krieg -Radierungen stärker im historischen Kontext zu verankern und damit den dokumentarischen Charakter zu betonen, als auch Fox’ gesellschaftspsychologische Sichtweise bieten eine solide Basis für weiterführende Gedanken.
Deshalb möchte ich in meiner Analyse der Radierungen, auf McGreevys Ansatz aufbauend, genauer untersuchen, welche Strategie Dix entwickelte, um dem Rezipienten zu suggerieren, authentische Bilder zu betrachten, d. h. Bilder, die vermitteln, tatsächlich in der Vergangenheit Geschehenes zu schildern und nicht Gefahr laufen, als Fantasieprodukte des Künstlers bewertet zu werden.
In diesem Zusammenhang soll auch die von mir angezweifelte Vorgehensweise McGreevys geprüft werden, die bildnerischen Erinnerungen von Otto Dix den literarischen Erinnerungen Ernst Jüngers gegenüberzustellen. Über die geschilderten ähnlichen Erfahrungen hinaus soll auf weitere mögliche Parallelen beider Ausdrucksformen, z.B. die Erzählstruktur oder Bildstruktur betreffend, hingewiesen werden. An dieser Stelle wird die Bedeutung der Fotografie für die jeweilige Ausdrucksform erörtert werden. Denn als Dokumentation des Ersten Weltkrieges in Bildern stellte sie erstmals ein Massenphänomen dar und prägte die damalige visuelle Vorstellung vom Krieg maßgeblich. Weil die journalistische Fotografie als ein Medium wahrgenommen wird, welchem man im Allgemeinen ein hohes Maß an Authentizität und Beweiskraft zuschreibt, soll auch gefragt werden, ob und inwiefern das Bewusstsein um die von der Kriegsfotografie geprägte Wahrnehmung der Zeitgenossen, die Ausgestaltung des Krieg -Zyklus durch Otto Dix beeinflusste. Mit anderen Worten: Nutzte Otto Dix bei der Gestaltung der Krieg -Radierungen ästhetische Besonderheiten journalistischer Fotografie, um den Anspruch zu bekräftigen, in den Darstellungen die Wahrheit zu formulieren?
Bei der Betrachtung der Radierungen soll zudem immer wieder auf Besonderheiten der Motivgestaltung hingewiesen werden, die häufig darauf zielen, den Betrachter möglichst nahe an das Geschehen heranzuführen und emotional zu involvieren.
Im letzten Teil wird ferner der psychoanalytische Ansatz von Paul Fox kritisch betrachtet. Meines Erachtens widerspricht er nicht der Herangehensweise McGreevys, sondern stellt ergänzend eine andere, ebenso bedeutende Facette des Zyklus heraus.
Zunächst sollen jedoch die 50 Radierungen knapp beschrieben und hinsichtlich ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung dargestellt werden.
4. Der Krieg (1923/24) - Betrachtung des Gegenstandes
4.1. Das Spektrum der Motive
Von den Kriegszeichnungen grenzen sich die Krieg - Radierungen inhaltlich insofern ab, als dass die Perspektive hier hauptsächlich auf den Menschen gerichtet ist, der von dieser riesigen Kriegsmaschinerie zermalmt wird. Nicht mehr die Energie der kriegerischen Auseinandersetzung steht im Mittelpunkt (vgl. Abb. 59) - wie es noch innerhalb der Kriegszeichnungen der Fall war-, sondern das Dasein und Sterben der Soldaten in der von Schützengräben und Granaten zerfurchten Landschaft der Westfront. Kampfgeschehen spielt folglich eine untergeordnete Rolle und taucht nur vereinzelt auf, etwa, wenn ein Sturmtrupp unter Gas vorgeht, (Abb. 12) oder ein Maschinengewehrzug sich mit sämtlichen Waffen durch den Morast aus Schlamm und Leichen quält (Abb. 41). Die Folgen der Kampfhandlungen dagegen beherrschen einen Großteil der Radierungen.
4.1.1. Soldatentod
Der Tod als Folge des Krieges spielt in fast jeder der fünfzig Radierungen eine mehr oder minder wichtige Rolle. Dementsprechend bildet die Darstellung eines Soldatengrabes das Leitmotiv ganz am Anfang des Zyklus (Abb. 1). Es ist ein „schlechtes Grab“. Otto Dix schilderte einmal in einem Feldpostbrief an eine gute Freundin, den Zustand eines guten und eines schlechten Soldatengrabes. Letzteres beschreibt er anhand einer Zeichnung (Abb. 60) folgendermaßen:
„(…) Der liegt kaum einen Meter tief. Zufällig wurde dort später der Laufgraben vorbeigeführt, und nun streckt der Mensch seine Beine heraus in den Schützengraben. Auch liegt er nicht in gleicher Richtung mit seinem Grabhügel. Das ist weniger schön. (…) Es regnet viel und der Franzose schießt viel. Das ist alles was man sagen kann...“[73]
Seinen Grabhügel hat das hier in der Radierung gezeigte Soldatengrab zwischen den Linien bereits eingebüßt. Vermutlich haben weitere Granateinschläge diesen zerstört und die Leiche des Soldaten freigelegt. Vom silbrigen Mondlicht beschienen, streckt sie uns ein Bein entgegen. Die Erde ist aufgewühlt und das Kreuz zu ihren Füßen gekippt. Zwischen den Beinen des Toten macht sich bereits eine Ratte zu schaffen und komplettiert den entwürdigenden Anblick dieser letzten ‚Ruhestätte’ für einen Gefallenen.
Die Galerie der Toten setzt sich den ganzen Zyklus hindurch fort. Dix entwickelt ein Panorama des Kriegstodes, welches diesen in allen Facetten schildert. Da sind die gerade im Gas Vergifteten (vgl. Abb. 3), deren aufgedunsene und dunkel verfärbten Leiber aufgereiht liegen. Oder der tote Sappenposten (Abb. 18), der zwar fast schon skelettiert, aber noch wie im Augenblick seines Todes an der Grabenwand lehnt. Ein Schuss mitten ins Herz hat ihn auf der Stelle getötet und sein linkes Bein hochschnellen und in dieser grotesken Haltung erstarren lassen.[74]
Fast abstrakt wirkt da der Totentanz Anno 17 (Abb. 19), der einen Trupp im Drahtverhau verendeter Soldaten zeigt. Eine Leuchtkugel wirft für einen Moment einen hellen Schein auf die Toten. Sie starben vermutlich im Angriff auf die feindliche Stellung. Die Erregung und Dynamik des vorangegangenen Gefechtes ist in ihrer ‚lebhaften’ Totenstarre noch gegenwärtig. Es scheint tatsächlich als vollführten die Toten einen Tanz. Zwei Totenköpfe in Nahaufnahme beschließen letztlich den Zyklus (Abb. 50). Es wirkt als lache der eine über den anderen, der die Reste seines Gebisses zu einem gequälten Grinsen verzieht. Obwohl die Schädelknochen als Symbol des Todes das Todesthema in eine eher verallgemeinernde Sphäre überführen, verortet Dix es ganz konkret in der Realität des Ersten Weltkrieges, indem er dem Toten an dieser Stelle einen Namen gibt: Unteroffizier Müller aus der II. Kompanie, geb. im Mai 1894 in Köln.
4.1.2. Verwundung und Erschöpfung
Ist der Soldat nicht tot, so zeigt Dix ihn schwer verwundet und sterbend oder vollkommen erschöpft. Das durch seine klare und ausgewogene Gestaltung bestechende Blatt Ruhende Kompanie (Abb. 14) schildert, wie sich die Überlebenden einer Kompanie im Schutz der Dunkelheit niederlassen, um von den vorangegangen Kämpfen wenigstens einen Augenblick auszuruhen.
Wenn die Zurückgekehrten zum Appell antreten (Abb. 49), erschöpft, zerlumpt, verdreckt und mit hängenden Schultern, bilden sie ein Panorama von sehr individuellen Typen. Trotz aller Tragik, die sich in den Radierungen verdichtet, verzichtet Dix nicht auf seinen makabren Humor und die bittere Ironie, die in der Gegenüberstellung der abgekämpften Truppe mit ihrem steifen Kommandanten in Rückenansicht und seinen blitzblank gewichsten Stiefeln durchscheint. Auch weiß man nicht, wen Dix meint, wenn er das Blatt 7 aus Mappe V Verwundetentransport im Houthulster Wald nennt (Abb. 47). Meint er den Verwundeten, der in dem Tragetuch transportiert wird, oder die Verwundeten, die ihn transportieren. Denn auch die Sanitäter humpeln am Krückstock daher und schleppen den Verletzten ins Lazarett. Der Regen prasselt auf sie nieder und sie nehmen ihn reglos hin als spürten sie ihn nicht. Auch den hilfesuchenden Blick des Verletzten ignorieren sie. Das Elend soll nicht zu nah an ihre Seelen kommen, weshalb sie dumpf, ohne einen Blick zur Seite ihren gefährlichen Dienst verrichtend, weiterstapfen.
Andere schaffen es nicht ihre Seelen zu schützen und erleiden dort durch das Erlebte und Gesehene schwerste Verwundungen wie der wahnsinnig gewordene Soldat, der in der Nacht durch das Labyrinth aus Gräben und Ruinen irrt (Abb. 22). Er trägt seinen Tornister auf dem nackten Oberkörper und weiß nur noch durch krampfartiges Lachen, die permanenten Ängste zu vertreiben. Die qualvoll Sterbenden porträtiert Dix mit bewusster Distanzlosigkeit (vgl. Abb. 6 u.26). Auch die auf dem Schlachtfeld verwesenden Toten (vgl. Abb. 16, 23, 38 u. 42) hält er in unerbittlichen Nahaufnahmen fest. Dem Betrachter wird es dadurch unmöglich die Distanz zum Dargestellten zu wahren. Im Gegenteil, Dix macht ihn zum Augenzeugen, der das Geschehen aus nächster Nähe verfolgt. Diese distanzlose Betrachterperspektive, die bei den meisten der 50 Radierungen beobachtet werden kann, ist meines Erachtens mitverantwortlich für die enorme Suggestivkraft, die der Zyklus besitzt.
4.1.3. Alltag an der Front
Nur wenige Radierungen thematisieren den Alltag an der Front, vorausgesetzt man begreift den Tod nicht als alltäglich. Da kriechen beispielweise die Essenholer auf allen Vieren durch den eingestürzten Graben, um von der feindlichen Stellung nicht entdeckt zu werden (Abb. 43). Den blechernen Henkeltopf haben sie zwischen die Zähne geklemmt. Er soll die wahrscheinlich schon kalte und magere Ration aus der Gulaschkanone fassen, die die Frontstellungen mit Verpflegung versorgt.
Die beklemmende Enge eines Unterstandes wird dem Betrachter in Abb. 45 gegenwärtig. Während der bullige Soldat mit einem Kameraden Skat kloppt, geht der bebrillte Intellektuelle auf Läusejagt. Sein magerer Körper ist bereits von Läusebissen übersäht. Das blendende Licht und die Erschütterungen durch Granateinschläge, welche die Skatspieler auffahren lassen, stören die erschöpft Schlafenden in ihren engen Kojen nicht. Die beengte Situation des Unterstandes vermittelt Dix dem Betrachter, indem er seinen Protagonisten nur wenig Raum zur Entfaltung gibt. Die Schlafenden stapeln sich im Hintergrund und können kaum ihre Gliedmaßen ausstrecken, während der Läusejäger im Vordergrund nur in geduckter Haltung stehen kann, wenn er nicht mit dem Kopf an die Decke stoßen will. Die sichtbaren Grenzen des gezeichneten Raumes bilden zugleich die Darstellungsgrenzen und verstärken dadurch den Eindruck räumlicher Enge. Die imaginären Grenzen des Raumes verlaufen außerdem hinter dem Rücken des Betrachters und involvieren diesen dadurch im Geschehen. Dix lässt den Betrachter somit nicht als Zuschauer außen vor, sondern macht ihn zu einem Teil seiner Bildkomposition und seiner hier geschilderten Erinnerung.
4.1.4. Landschaft
Neben dem Mensch ist die Landschaft das zweite beherrschende Thema des Zyklus. Auch sie wird Opfer und gerät in das Mahlwerk des Krieges. Bei Langemarck (Februar 1918) (Abb. 7) ist sie zum Niemandsland geworden. Eine Müllhalde des Krieges türmt sich im Vordergrund auf. Aus aufgewühlten Erdmassen sprießen Eisenträger mit Stacheldraht und abgebrochene Bäume. Alte Fässer, Schädel und Tote modern dort vor sich hin. Die Zerstörung setzt sich in der Ferne endlos fort. Furor muss hier gewütete haben. Lediglich die ruinösen Überreste von Gehöften, erinnern an vergangene friedliche Zeiten, als der Boden noch Früchte trug. Nun ist er zum Massengrab für abertausende Soldaten, Tiere und Kriegsmaschinen geworden.
Als der Abend in der Wijtschaete-Ebene (Abb. 27) im November 1917 einbrach, prägten ihr Profil die unzähligen, gefallenen Kämpfer. Bis an den Horizont erstreckt sich das Leichenfeld, das Dix hier visualisiert. Im Zyklus werden Mensch und Landschaft Eins, sie verschmelzen und bilden eine Schicksalsgemeinschaft auf Gedeih und Verderb. Die Landschaft bietet Schutz, wenn sich die Armeen wie Maulwürfe in ihr vergraben, sie raubt das Leben, wenn sie die Schutzsuchenden verschüttet, die Toten versinken und verwesen in ihr und werden letztendlich eins mit ihr. Gemeinsam werden sie der Zerstörung preisgegeben.
Im Zerfallenen Kampfgraben (Abb. 9) nimmt Dix den Betrachter mit auf den schlammigen Grund des Schützengrabens, so wie er das bereits mit seinem großen und gleichnamigen Gemälde von 1923 getan hatte (Vgl. Abb.54). Hier wie dort werden Erinnerungen an die monumentalen Hochgebirgslandschaften Caspar David Friedrichs wach (vgl. Abb. 62).[75] Mag die Silhouette der radierten „Landschaft“ auch von schauriger, romantisierender Schönheit sein, so offenbaren doch die Details am Grabengrund eine desaströse und vollkommen unromantische Hoffnungslosigkeit.
Von bizarrer Schönheit präsentiert sich auch das Trichterfeld bei Dontrien (Abb. 4), das von Leuchtkugeln erhellt, nur die runden Formen der Granattrichter zeigt. Das Elend dazwischen bleibt in der Dunkelheit verborgen. Besonders in den Landschaftsmotiven deutet sich das Spannungsfeld zwischen Werden und Vergehen an, in dem sich der Zyklus bewegt. So zeichnet Dix einerseits eine vom Leben entleerte Mondlandschaft und zeigt andererseits wie sich das Leben nach schwerster Verwüstung erneut Bahn bricht und im hellen Sonnenlicht Blumen auf dem Rand eines Granattrichters ihre Blüten öffnen (Abb. 24). Er lässt beides zu, auch wenn Tod und Zerstörung die beherrschenden Motive bleiben.
4.1.5. Zivilisten
Zivilbevölkerung spielt innerhalb des Zyklus meist dort eine Rolle, wo sie innerhalb der Etappe[76] in Kontakt mit den Soldaten kommt oder zwischen die Fronten gerät und Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen wird.
Die gebrochenen Mauern eines Durch Fliegerbomben zerstörten Hauses (Tournai) (Abb. 39) geben eine ganze Familie preis, die während eines Angriffs ausgelöscht wurde. Drei Erwachsene und ein Baby wurden vermutlich aus dem Schlaf in den Tod gerissen. Im Inneren des Hauses und im Gebälk befinden sich weitere Tote und legen Zeugnis über die zerstörerische Macht der neuen Kriegstechnologie ab, welche auch vor der Zivilbevölkerung keinen Halt mehr machte. Das Blatt Lens wird mit Bomben belegt (Abb. 33) macht unmissverständlich die blanke Angst der Menschen vor dieser neuen terrorisierenden Macht deutlich. Mit seiner verzerrten Perspektive ist es wohl die expressionistischste und dynamischste Darstellung im Zyklus. Von dort, wo die Gefahr herkommt, nämlich aus der Höhe, blickt der Betrachter, sich selbst in Sicherheit wiegend, auf den Straßenzug, der für die Fliehenden zur tödlichen Falle wird. Die harte und kontrastreiche Linienführung der Radierung und die verzerrten Dimensionen sind Ausdruck der tief empfundenen Angst der Menschen. Es ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die inhaltliche Ebene die Wahl der Stilmittel bei Dix beeinflussen kann.
In der Etappe suchten viele Soldaten Ablenkung vom Dienst an der Front und fanden diese häufig in den Armen von Prostituierten. Dix widmete dem, bisher auch in der historischen Forschung kaum beachteten Thema, drei Blätter (Abb. 32, 36 u. 37). Beim Besuch bei Madame Germain in Mérincourt begegnet der Betrachter erneut dem schmalbrüstigen Intellektuellen, der sich im Unterstand entlauste (Abb. 45). Hier räkelt sich die üppige und aufgetakelte Madame auf seinen Knien und er betrachtet sie mit einer Mischung aus wissenschaftlichem Interesse am Exotischen und einem Bedürfnis nach menschlicher Nähe. Ein solches Motiv, wie der „Referendar im Puff“[77] stellte die zeitgenössische bürgerliche Moral durchaus in Frage, da man über ein solches „unmoralisches“ Verhalten, das im Ersten Weltkrieg von den Soldaten massenhaft gelebt wurde, am liebsten Stillschweigen bewahrt hätte.[78]
[...]
[1] Vgl. Burgdorff, Stephan u. Klaus Wiegrefe (Hg.): Der Erste Weltkrieg: Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, München 2004.
[2] Vgl. ebd. S. 65.
[3] Mommsen, Wolfgang J. (Hg.): Kultur und Krieg: Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 7.
[4] Ebd., S. 9.
[5] Vgl. Löffler, Fritz: Otto Dix und der Krieg, Leipzig 1986, S. 8. Löffler schildert, Dix habe sich 1915, nach der der Ausbildung in einer Maschinengewehrkompanie, freiwillig zum Fronteinsatz gemeldet.
[6] [6] Vgl. Militärpass, in Auszügen abgedruckt in: Conzelmann, Otto: Der andere Dix. Sein Erlebnis des Krieges und des Menschen, Stuttgart 1983, S. 68.
[7] Mommsen 1996, S. 9.
[8] Cork, Richard: Die Kunst der Avantgarde und der Erstae Weltkrieg, in: Rainer Rother (Hg.): Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges, Ausst.-Kat., Berlin, Deutsches Historisches Museum im Alten Museum, 10. Juni – 28. August 1994, Berlin 1994, S. 334.
[9] Segal, Joes: Krieg als erlösende Perspektive für die Kunst, in: Mommsen 1996, S. 169.
[10] Ebd., S. 169.
[11] Vgl. Schmidt, Paul F.: Die deutschen Veristen, in: Das Kunstblatt, hg. von Paul Westheim, Jg. 8, 1924, S. 367f.
[12] Vgl. Löffler 1986, S. 32.
[13] Vgl. Werkverzeichnis von Karsch, Florian (Hg.): Otto Dix. Das druckgraphische Werk, Hannover 1970 und Schubert, Dietrich: Otto Dix. Der Krieg, Marburg 2002, S. 27-34.
[14] Vgl. Blattabfolge im Abbildungsverzeichnis.
[15] Siehe Abbildungsverzeichnis
[16] Löffler, Fritz: Otto Dix. Leben und Werk, Dresden / Wien / München 1967, S. 31f.
[17] Vgl. Papies, Hans Jürgen: >Ich habe diesen Krieg längst in mir gehabt<. Selbstzeugnisse bildender Künstler, in: Kat. Berlin 1994, S. 90.
[18] Vgl. Löffler 1986, S. 24.
[19] Vgl. Brief von Karl Nierendorf an Otto Dix, verfasst ca. Mitte August 1924. Zitiert nach: Schubert, Dietrich: Otto Dix „Der Krieg“. 50 Radierungen von 1924, Marburg 2002, S. 31.
[20] Vgl. Schubert 2002, S. 31f.
[21] Vgl. Löffler 1967, S. 67.
[22] Dix schickte 1924 auch das Gemälde „Der Schützengraben“ auf die Wanderausstellung „Nie wieder Krieg“ (vom gleichnamigen Aktionsausschuss organisiert), nachdem es auf politischen Druck des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer vom Wallraf-Richartz-Museum zurückgegeben werden musste. Vgl. Jürgens-Kirchhoff, Annegret: Schreckensbilder. Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert, Berlin 1993, S. 233f und 236.
[23] Vgl. Müller, Helmut M.: Schlaglichter der deutschen Geschichte, Leipzig / Mannheim 2002, S. 239.
[24] Vgl. Schubert 2002, S. 12f. und Ausst.-Kat.: „Entartete Kunst“, München im Juli 1937, Berlin 1937, S. 15.
Dix verlor 1933 seine Professur an der Akademie der Künste in Dresden und zog mit seiner Familie an den Bodensee. Lutz Tittel weist darauf hin, dass Dix nicht, wie häufig angenommen, absolutes Berufsverbot erhielt. Er malte während der nationalsozialistischen Ära politisch unverfänglichere Landschaften und behielt dadurch seine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Vgl. Tittel, Lutz (Hg.): Otto Dix. Die Friedrichshafener Sammlung, Bestandskatalog, Zeppelin-Museum, Friedrichshafen 1992, S. 58.
[25] Der Radierzyklus „Der Krieg“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals 1963 zum 70. Geburtstag des Künstlers in Form von 50 Bildtafeln herausgegeben. Heinz Lüdecke von der Akademie der Künste der DDR war der Herausgeber. Vgl. Schubert 2002, S. 36, Anm. 23.
[26] Vgl. Zeller, Ursula: Otto Dix und die Öffentlichkeit, in: Herzogenrath, Wulf (Hg.): DIX. Otto Dix zum 100. Geburtstag. 1891-1991, Ausst.-Kat., Stuttgart, Galerie der Stadt, Sep. – Nov. 1991, Berlin, Nationalgalerie Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Nov. 1991-Febr. 1992, Berlin / Stuttgart 1991, S. 320f.
[27] Vgl. ebd. S. 320-322.
[28] Vgl. Frank, Tanja: Otto Dix und die DDR oder ein deutscher Künstler beharrlich zwischen zwei Stühlen sitzend, in: Kat. Stuttgart 1991, S. 297. Siehe auch: Uhlitzsch, Joachim: Der Soldat in der bildenden Kunst. 15. bis 20. Jahrhundert, Berlin (Ost) 1987. Der Autor schreibt als Wissenschaftler der DDR auf S. 226f. zum Kriegszyklus von Dix: „Der Ideengehalt des Kriegszyklus von Otto Dix ist pazifistisch. Indem der Künstler ‚in grellen Blitzen die apokalyptische Hölle der Wirklichkeit’ der Welt vor Augen führt und damit als Alternative lediglich Forderungen wie >Nie wieder Krieg!< oder >Frieden um jeden Preis< propagierte, stand er zwar objektiv auf verlorenem Posten (die Geschichte hat das bewiesen), doch fügte er dem imperialistischen Machtstreben empfindlichen Schaden zu.“
[29] Conzelmann, Otto: Otto Dix, Hannover 1959, S. 33.
[30] Vgl. Conzelmann 1983, S. 147.
[31] Vgl. Conzelmann, Otto: Otto Dix. Handzeichnungen, Hannover 1968, S. 22-24.
[32] Dix hatte diese Blätter über vierzig Jahre in seinem Haus in Hemmenhofen verwahrt und nie öffentlich gezeigt. Vgl. Heckmann, Stefanie: Otto Dix. Die Schlacht 1917, in: Lukatis, Christiane und Ottomeyer Hans (Hg.): Mit Pinsel, Feder und Stift. Meisterzeichnungen der Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat., Kassel, Staatlichen Museen, Kassel 2000, S. 170.
[33] Conzelmann beschreibt Dix hinsichtlich der Kriegszeichnungen als den stärksten Exponenten des „futuristischen Expressionismus“ in Deutschland. Vgl. Conzelmann 1968, S. 24.
[34] Vgl. Conzelmann 1983, S. 182
[35] Ebd., S. 237.
[36] Vgl. ebd. S. 194. Conzelmann untersucht ausführlich den Einfluss der Philosophie Nietzsches auf das Werk von Otto Dix. Otto Dix war eifriger Nietzscheleser und trug „Die Fröhliche Wissenschaft“ des Philosophen während des Weltkrieges in seinem Tornister (Vgl. S. 214.). Conzelmann hebt darauf ab, mit Nietzsche die politische Diskussion um die Kriegsreflexionen zu beenden. Dass in dieser Deutung neue Missverständnisse angelegt sind, zeigt die heftige Reaktion der Wissenschaftler. Dennoch erweitert sie den bis dahin eng begrenzten Blick auf den Künstler (Vgl. Zeller, Ursula: Otto Dix und die Öffentlichkeit, in: Kat. Stuttgart 1991, S. 317.)
[37] Vgl. Conzelmann 1983, S. 191.
[38] Kállai, Ernst: Dämonie und Satire, in: Das Kunstblatt, 11, 1927, S. 97-99.
[39] Vgl. ebd. S. 97.
[40] Vgl. Conzelmann 1983, S. 193f.
[41] Conzelmann bezieht sich hier auf Charlotte Z. Vershbow, die 1972 äußerte, Dix nutze den Ersten Weltkrieg als einen Mikrokosmos aller Kriege. Dix schuf 1924 demnach eine Art „Urbild aller Kriege“. Vgl. Conzelmann 1983, S. 194.
[42] Vgl. Jürgens-Kirchhoff, Annegret: Schreckensbilder: Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert, Berlin 1993 ( Münster / Westfalen Univ. Habil. Schr.), S. 236.
[43] Schubert, Dietrich: Betrifft: Otto Conzelmann. Der „andere“ Dix, in: Kritische Berichte, 12. Jg., 1984, Heft 1, S. 88.
[44] Vgl. Hohmeyer, Jürgen: Hiob bejaht, in: Der Spiegel, Nr. 38, 16. September 1985, S. 254f.
[45] Vgl. Jürgens-Kirchhoff 1993, S. 244.
[46] Ebd., S. 257. Die Autorin stützt sich bei dieser Aussage auf ein Gespräch Otto Dix’ mit Karl-Heinz Hagen von der DDR-Zeitung „Neues Deutschland“, welches in selbiger im Dezember 1964 abgedruckt wurde. Dort sagt Dix, ihm sei es in seinem Triptychon „Der Krieg“ darum gegangen, „Wissen um die Furchtbarkeit des Krieges zu vermitteln“ und daran zu erinnern, dass Heldentum und Heldenbegriff „in den Schützengräben längst ad absurdum geführt worden waren.“ Die Autorin macht dies für alle kriegsbezogenen Arbeiten des Künstlers gültig, die in den 20er und 30er Jahren entstanden waren. Außerdem nimmt sie keine Stellung zum Kontext, in dem die Äußerung von Dix getätigt wurde.
[47] Vgl. ebd. S. 245.
[48] Vgl. Conzelmann 1983, S. 138.
[49] Vgl. Jürgens-Kirchhoff 1993, S. 256.
[50] Vgl. ebd, S. 256.
[51] Lil, Kira van: Otto Dix und der Erste Weltkrieg. Die Natur des Menschen in der Ausnahmesituation, München 2000 (Univ. Diss.).
[52] Ebd., S. 236.
[53] Vgl. ebd., S. 240.
[54] Ebd., S. 240.
[55] Ebd., S. 237f.
[56] McGreevy, Linda F.: Bitter witness. Otto Dix and the Great War, New York / Washington D.C. / Frankfurt am Main 2001. McGreevy bezieht sich in ihrer Arbeit nicht auf Van Lils Position.
[57] Ebd., S. 5.
[58] Löffler äußerte: „Die Radierungen sind aber keine einfachen Dokumente nach jeweils einem konkreten Ereignis, sondern komponiert und komprimiert, Zusammenraffung permanenter Erlebnisse.“ Vgl. Fritz Löffler, in: Hagenlocher, Alfred (Hg.): Otto Dix, Der Krieg: Radierungen, Zeichnungen, Ausst.-Kat. Albstadt, Städtische Galerie, 18. Sept. – 13. Nov. 1977, Albstadt 1977, S. 14.
Conzelmann betont noch 1983, „daß „Der Krieg“ bei Dix (…), trotz der zahlreichen dokumentarischen Ortsangaben, in keiner Weise auf Aktualität beschränkt, d. h. weder lokal noch temporal eingeengt ist.“ Vgl. Conzelmann 1983 S. 193.
[59] Dass die Orts- und Zeitangaben teilweise nicht mit den Daten im Militärpass von Dix übereinstimmen, wie van Lil nachweist, fällt McGreevy nicht auf.
[60] Vgl. McGreevy 2001, S. 296-298.
[61] McGreevy 2001, S. 8f.: „Only the French Socialist Henri Barbusse, whose influental novel Le Feu revealed the real horrors of Flanders when it was published in 1916 during the war, managed to convey the same visual experience in word as Ernst Jünger’s postwar novels. Otto Dix was directly responsive to Barbusse (and more covertly sympathetic to Jünger’s powerful language), dedicating his last painting on the Great War, Flanders, to the Frenchman.” Barbusse formulierte zudem das Vorwort zur Buchausgabe von „Der Krieg“. Mir leuchtet es nicht ein, warum McGreevy trotz dieser offensichtlichen Verbindungen und Sympathien zwischen Barbusse und Dix, die sie ja auch selbst bemerkt, Jüngers Publikationen als Vergleichsobjekte bevorzugt und nicht Barbusse’ Le Feu verwendet.
[62] Liebchen, Gerda: Ernst Jünger. Seine literarischen Arbeiten in den zwanziger Jahren. Eine Untersuchung zur gesellschaftlichen Funktion von Literatur, Bonn 1977, S. 94. Zitiert nach: Volmert, Johannes: Ernst Jünger >In Stahlgewittern<, München 1985, S. 11.
[63] Fox, Paul: Confronting postwar shame in Weimar Germany. Trauma, heroism an the war art of Otto Dix, in: The Oxford art journal, 29, 2006, S. 249f.
[64] Vgl. Volmert, Johannes: Ernst Jünger >In Stahlgewittern<, München 1985, S. 14. Der Autor äußert: „Das Material, das den Grundstoff für die Stahlgewitter, Jüngers erste und zugleich erfolgreichste Publikation, geliefert hat, hat Jünger einer lebenslangen, fast kontinuierlichen Verarbeitung unterworfen. Es scheint, als sei das Kriegserleben zu einem Teil seiner literarischen und gesellschaftlichen Identität geworden.“ Ähnliches könnte man von Dix behaupten, der sich in mehreren monumentalen Werken (Der Schützengraben, Der Krieg 1924, Der Krieg “ 1932 und Schlachtfeld in Flandern) und fast zwei Jahrzehnte lang immer wieder diesem Thema hingab.
[65] Fox 2006, S. 259.
[66] Vgl. Fox 2006, S. 260.
[67] Löffler, Fritz, 1986, S.26.
[68] Schubert, Dietrich, 2002, S. 16.
[69] Vgl. McGreevy 2001, S. 4f.
[70] Vgl. Fox 2006, S. 254f.
[71] Fox 2006, S. 255f.
[72] McGreevy 2001, S. 284.
[73] Zit. nach Conzelmann 1983, S. 146.
Der Brief (datiert 17. Januar 1916) stammt aus dem Nachlass von Helene Jacob, der guten Freundin, der Dix während des Krieges u.a. auch sämtliche Kriegszeichnungen zur Verwahrung zusandte.
[74] Ein Treffer mitten ins Herz verursacht eine sofortige Totenstarre und häufig reflexartige Kontraktionen der Arme oder Beine. Die Toten erstarren dann oft in ungewöhnlichen Positionen, z.B. mit einem salutierend ausgestrecktem Arm oder wie im dargestellten Beispiel mit einem vorschnellenden Fuß, als wolle er dem Feind noch einen Tritt verpassen.
Vgl. McGreevy 2001, S. 300.
[75] Vgl. Conzelmann 1983, S. 142f. Der Autor bezieht sich auf die Interpretation des Schützengraben (1923) durch Ernst Kállai, der die ästhetische Verwandtschaft zwischen diesem und den friedrichschen Hochgebirgslandschaften konstatiert. Zudem sei, laut Kállai, der Schützengraben „ein Leichen- und Verwesungsgebirge, bei aller krassen Stofflichkeit in genauso phantastisch-unnahbare Bezirke des Gefühls entrückt, genauso abgrundtief durchschauert und großartig düster gesehen wie die ewigen Eisregionen bei den Romantikern.“ (Zitiert nach Conzelmann 1983, S. 142). Conzelmann macht auf die Parallelen zwischen dem Zerfallenen Kampfgraben und dem Schützengraben aufmerksam und sieht ferner die Horizontlinie bei der Leiche im Drahtverhau (Flandern) in Grünewalds Isenheimer Altar vorgebildet (vgl. Conzelmann 1983, S. 148f.).
[76] Etappe = Besonders im Ersten Weltkrieg militärische Bezeichnung für das Gebiet zwischen Kampfgebiet und Heimat (Vgl. Meyers großes Taschenlexikon , 1999, Bd. 6, S. 174.)
[77] Zitiert nach Conzelmann 1983, S. 174.
[78] Vgl. Kogelfranz, Siegfried: Schlange vorm Bordell, in: Burgdorff, Stephan (Hg.) u.a.: Der Erste Weltkrieg: Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, München 2004, S. 151.
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- M.A. Cordula Gries (Author), 2007, Authentische Kriegsreflexionen? Eine Analyse von Otto Dix’ Werk: Der Krieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88207
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