Die Erkenntnisse der Rechtfertigungslehre sollten eigentlich für alle Christen von Bedeutung sein. Aber wie gut weiß man darüber eigentlich Bescheid und wie stark nimmt man diese Lehre in seinem Leben an? Schnell stellt sich im Alltag das schlechte Gewissen ein, wenn man falsch gehandelt oder das gute Handeln unterlassen hat und man stellt sich die Frage, ob man damit vor Gott bestehen kann. Es fehlt häufig das Bewusstsein darüber, was uns mit der Rechtfertigungslehre genommen ist, nämlich der ständige Zweifel, ob unsere Taten und unser Leben gut genug sind, um uns für das ewige Seelenheil zu qualifizieren. Diese Hausarbeit möchte deshalb die Rechtfertigungslehre Luthers in ihren wichtigsten Punkten darstellen und sich mit den Fragen beschäftigen, die sich bei der Auseinandersetzung ergeben.
2. Ausgangspunkt
2.1. Allgemeine Heilsgedanken
Um die Entstehung und Ausbildung der Rechtfertigungslehre zu verstehen, ist es unerlässlich, die Verhältnisse zu schildern, in denen die Menschen um 1500 lebten und glaubten.
Das geistliche Leben, der Glaube, Gott und alle kirchliche Lehre nahmen einen erheblich größeren Raum ein, als dies heute der Fall ist. Der Glaube war eine die gesamte Lebenswelt durchdringende Angelegenheit und lief nicht, wie man es in unserer Zeit häufig antrifft, nur als „Sonntags- und Feiertagssache“ nebenher. Im diesseitigen Leben war doch im Glauben alles auf das Jenseits ausgerichtet und oberstes Ziel musste sein, beim Jüngsten Gericht nicht zu den zur Hölle verdammten Sündern zu gehören, sondern als Seliger ins Paradies einziehen zu können. Dazu bedurfte es eines gottesfürchtigen und gottwohlgefälligen Lebens. Allgegenwärtig war dabei die Angst vor der Verfehlung und vor den Strafen, welche schon zu Lebzeiten vollzogen wurden. Zu solchen Grausamkeiten wie Brandmarkung, Vierteilung, Rädern und dergleichen mehr, kam die Deutung von Unglück als Zeichen von Gottes Zorn, der mit ausbleibender Ernte, Unwettern und ähnlichem auf die Sündhaftigkeit der Menschheit antwortet.[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ausgangspunkt
2.1. Allgemeine Heilsgedanken
2.2. Zweifel Luthers
3. Kurze Erläuterung der Rechtfertigungslehre
4. Fragen an die Rechtfertigungslehre
4.1. Wollen wir guter Dinge sein und nichts tun?
4.2. Muss man und wie kann man gut handeln vor Gott?
4.3. Welche Probleme birgt die Rechtfertigungslehre für den Glaubenden?
4.4. Wie verhält es sich mit den Ungläubigen?
4.5. Wie können wir die Rechtfertigungslehre wertschätzen und für uns fruchtbar machen?
5. Schluss
1. Einleitung
Die Erkenntnisse der Rechtfertigungslehre sollten eigentlich für alle Christen von Bedeutung sein. Aber wie gut weiß man darüber eigentlich Bescheid und wie stark nimmt man diese Lehre in seinem Leben an? Schnell stellt sich im Alltag das schlechte Gewissen ein, wenn man falsch gehandelt oder das gute Handeln unterlassen hat und man stellt sich die Frage, ob man damit vor Gott bestehen kann. Paul Tillich beklagt, dass die „Gebete um Vergebung [...] für viele Menschen keine andere Funktion [haben], als die, ihr unruhiges Gewissen zu erleichtern, das die Folge ihres Verstoßes gegen traditionelle und oft lächerliche Vorschriften, meist in Form von Verboten, ist.“[1] Es fehlt häufig das Bewusstsein darüber, was uns mit der Rechtfertigungslehre genommen ist, nämlich der ständige Zweifel, ob unsere Taten und unser Leben gut genug sind, um uns für das ewige Seelenheil zu qualifizieren. Diese Hausarbeit möchte deshalb die Rechtfertigungslehre Luthers in ihren wichtigsten Punkten darstellen und sich mit den Fragen beschäftigen, die sich bei der Auseinandersetzung ergeben.
2. Ausgangspunkt
2.1. Allgemeine Heilsgedanken
Um die Entstehung und Ausbildung der Rechtfertigungslehre zu verstehen, ist es unerlässlich, die Verhältnisse zu schildern, in denen die Menschen um 1500 lebten und glaubten.
Das geistliche Leben, der Glaube, Gott und alle kirchliche Lehre nahmen einen erheblich größeren Raum ein, als dies heute der Fall ist. Der Glaube war eine die gesamte Lebenswelt durchdringende Angelegenheit und lief nicht, wie man es in unserer Zeit häufig antrifft, nur als „Sonntags- und Feiertagssache“[2] nebenher. Im diesseitigen Leben war doch im Glauben alles auf das Jenseits ausgerichtet und oberstes Ziel musste sein, beim Jüngsten Gericht nicht zu den zur Hölle verdammten Sündern zu gehören, sondern als Seliger ins Paradies einziehen zu können. Dazu bedurfte es eines gottesfürchtigen und gottwohlgefälligen Lebens. Allgegenwärtig war dabei die Angst vor der Verfehlung und vor den Strafen, welche schon zu Lebzeiten vollzogen wurden. Zu solchen Grausamkeiten wie Brandmarkung, Vierteilung, Rädern und dergleichen mehr, kam die Deutung von Unglück als Zeichen von Gottes Zorn, der mit ausbleibender Ernte, Unwettern und ähnlichem auf die Sündhaftigkeit der Menschheit antwortet.[3]
Weiterhin ist eine starke Dinglichkeit des Glaubens auszumachen. Diese äußerte sich nicht nur in einer starken Bindung zur Kirche als Ort der Gottesdienste, sondern auch in Passionsspielen oder der Reliquienverehrung. Die Heiligengläubigkeit spiegelt wieder, wie sehr die Menschen eines bestimmten Bezugspunktes bedurften, um mit ihren Sorgen nicht ganz hilflos dazustehen. Obwohl in erster Linie Gott Gnadenspender war, beruhigte es, für ein bestimmtes Problem auch einen bestimmten ‚Ansprechpartner’ zu haben. So wurde der Heilige Bartholomäus wegen seines Martyriums der Häutung als Schutzpatron der Gerber angesehen, und die Hilfe des Christopherus bei der Flussüberquerung Jesu machte ihn zum Nothelfer und Schutzheiligen der Reisenden.
Bei dieser Bindung an Stoffliches oder heilige Personen wird deutlich, wie wichtig fassbare Dinge für den Glauben waren. Die Menschen benötigten etwas, woran nicht nur der Glaube festzumachen war. Auch das Heil der eigenen Seele im Jenseits musste von bestimmten Regeln und fassbaren Anweisungen abhängig und dadurch für den Einzelnen bestimmbar und vor allem beeinflussbar sein. Es herrschte die Vorstellung von einer Werkgerechtigkeit, welche die Menschen dazu antrieb, schlechte Taten möglichst zu vermeiden und gute Taten anzuhäufen, sodass bei der Aufrechnung am Ende der Tage das Gute das Böse aufzuwiegen vermochte und man sich die Rechtfertigung verdient hatte. Diese Vorstellung von einer Art „Buchhaltergott“[4], der säuberlich gute von schlechten Taten trennt und gegeneinander aufrechnet, trieb im mittelalterlichen Streben nach einer Schadensminimierung nicht nur gute Blüten. Neben der Entscheidung zwischen Hölle und Paradies war die Bestrafung der Sünden, beziehungsweise die Läuterung der Seele im Fegefeuer von Interesse. Der Gnadenschatz, den die Kirche durch die Heiligen angehäuft hatte, ermöglichte es ihr, Ablässe zu verwalten. Damit ist der Erlass oder die Verminderung der Strafzeit auch im Fegefeuer gemeint. Diese Zeitstrafe war Teil des Beichtsystems. Einer Sünde hatte demnach zuerst die Reue des Herzens, dann das mündliche Bekenntnis und zuletzt auch die Genugtuung des Werkes zu folgen.[5] Letzteres wurde durch eine diesseitige Bestrafung und/oder eine bestimmte Zeit im Fegefeuer abgeleistet. Einen Ablass konnte man zum Beispiel durch die Teilnahme an einem Kreuzzug oder – wie beim Jubelablass im Jahre 1300 – durch einen Besuch Roms und die dortige Ausübung von Andachtsübungen erwerben.
Die Kirche erkannte aber bald den wirtschaftlichen Nutzen, den man aus dem Verkauf von sogenannten Ablassbriefen ziehen konnte. Diese konnte man nicht nur als direkte Reaktion auf eine Sünde erwerben, sondern auch im Voraus, um den Brief im Notfall wie einen Scheck einlösen zu können oder sogar für bereits Verstorbene, um deren Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Auf die Spitze getrieben wurde dieser Handel durch den Ablassprediger Johann Tetzel, aus dessen Predigten sich wohl das geflügelte Wort „Sobald das Geld im Kasten springt, die Seele aus dem Fegfeuer springt“ entwickelte.
Abschließend kann also gesagt werden, dass die Menschen auf das Jenseits hin lebten und dadurch unter dem stetigen Druck standen, durch gute Taten und eben auch Erwerbung von Ablässen ihre Chance auf eine kurze Fegefeuerzeit und den Einzug ins Paradies zu verbessern. Bei alledem ist zu bedenken, dass es sich beim Seelenheil um einen äußerst dringlichen Wunsch handelt. „Ohne ihre Höllenangst (und andererseits ihre Heilsbesessenheit) wird man die Wesenart dieser Menschen von damals kaum ganz begreifen können.“[6]
2.2. Zweifel Luthers
In der oben geschilderten Gedankenwelt war auch Luther gefangen. Mit seinem Klostereintritt im Jahre 1505 war nicht nur das Versprechen eingelöst, dass er der Heiligen Anna bei einem schweren Gewitter gegeben hatte, auch das Erlangen der Seligkeit spielte eine Rolle. Er befolgte gewissenhaft die Regeln, um dieses Ziel zu erreichen. „Ich war ein heiliger Mönch und wollte Gott zwingen, daß er mich rechtfertigte um meiner Werke und meines harten Lebens willen.“[7] Aber dieser Plan schien nicht aufzugehen, stattdessen geriet Luther in einen ständig nagenden Zweifel an sich und seinen Taten. Er befürchtete, nicht gut genug zu sein, etwas Falsches zu tun und jede begangene Sünde machte ihm schwer zu schaffen. „Und dennoch konnte mein Gewissen niemals sicher gemacht werden, sondern zweifelte immer und sprach: Das hast du nicht recht gemacht, bist nicht reuig gewesen, hast das in der Beichte weggelassen usw.“[8]
Er bemerkte bei der strengen Selbstbeobachtung, dass er weniger für Gott, als vielmehr für sich selbst fromm war. Das Martern von Körper und Geist durch Fasten, Beten, Arbeiten, Beichten und die Liebe zum Nächsten – so musste Luther feststellen – geschah nicht aus Liebe zu Gott, sondern vielmehr aus dem Verlangen heraus, dadurch das eigene Seelenheil zu bewirken. Statt der Gottesliebe war der Beweggrund allen frommen Handelns die Selbstliebe.
Die Vorstellung des gerechten Gottes versetzte ihn geradezu in Angst und Schrecken. „Ich war der elendste Mensch auf Erden, Tag und Nacht war lauter Heulen und Verzweiflung, daß mir niemand wehren konnte. [...] Denn ich kannte Christus nicht anders als einen strengen Richter, vor dem ich fliehen wollte und doch nicht fliehen konnte.“[9] Die Erlösung durch Christus und Gottes Barmherzigkeit schien Luther vollständig aus den Augen verloren zu haben. Beim Gedanken an die Gerechtigkeit hatte er nur im Sinn, dass er einem Gnadenangebot nie gerecht werden könne, da seine Verdienste einer Frömmigkeit der Seele nicht genügen würden.
Die Beschäftigung mit der Lehre Augustins stürzte Luther in noch tiefere Zweifel. In der Prädestinationslehre stellte Augustin fest, dass es ein „Werk der Gerechtigkeit Gottes [ist], dass er einigen Sündern durch die Verdammnis das ihnen zukommende Schicksal bereitet; dass er daneben anderen sein Erbarmen schenkt, ist ein wunderbarer Erweis seiner Güte.“[10] Mit dieser Vorstellung eines Gottes, der mit einem für uns unerforschlichen Ratschluss und ohne Berücksichtigung der Verdienste entscheidet, welcher Mensch der Verdammnis und welcher dem Heil zugeführt wird, konnte Luther sich nicht anfreunden. Ihm war unverständlich, wie Gott so handeln kann, und entwickelte einen regelrechten Hass auf ihn. „Ich vergesse alles, was Christus und Gott ist, wenn ich in diese Gedanken (über die Prädestination) komme, und komme wohl dahin, daß Gott ein Bösewicht sei.“[11]
Wie oben schon beschrieben, war das Bild des gerechten Gottes für Luther ein besonderes Hindernis, und so war es bei der Lektüre des Römerbriefes gerade der Ausdruck „Gerechtigkeit Gottes“ (Röm. 1,17), der ihm das Verständnis schwer machte. Bei der wissenschaftlichen Exegese des Römerbriefes gelang es Luther, eine Lösung zu diesem und somit zu seinem gesamten Problem zu finden. Das sogenannte „Turmerlebnis“, also Luthers Erkenntnis, dass für die Seligkeit nicht die Werke und Taten des Einzelnen ausschlaggebend sind, sondern allein der Glaube und die Gnade Gottes zu diesem Ziel führen, lässt sich zeitlich nicht genau bestimmen, kann aber auf die Zeit zwischen 1515 und 1518 angesetzt werden, in der Luther sich mit der Exegese des Römerbriefes beschäftigte.[12] Im folgenden Kapitel soll dieses neue Verständnis Luthers kurz umrissen werden, bevor ich mich der Rechtfertigungslehre im Einzelnen mit Fragen nähern möchte.
[...]
[1] Tillich, S. 14.
[2] Borst, S. 588.
[3] Vgl. Borst, S. 582f.
[4] Schäfer (Internetlink, Katholische Sicht auf Rechtfertigungslehre)
[5] Vgl. Loewenich, S. 104.
[6] Borst, S. 585.
[7] Loewenich, S. 69.
[8] Ebd., S. 72f.
[9] Ebd., S. 73.
[10] Moeller, S. 113.
[11] Loewenich, S. 75.
[12] Vgl. Schorn-Schütte, S. 29.
- Arbeit zitieren
- Caroline Dorn (Autor:in), 2007, "...und vergib uns unsere Schuld" - Fragen an die Rechtfertigungslehre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88080
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