Das Ziel der folgenden Arbeit ist es die politischen Ideale der Protagonisten aus Schillers Werken Don Karlos, Maria Stuart und Die Jungfrau von Orleans zu analysieren: welche politischen Ideale sind enthalten, wo stoßen die Handelnden an die Grenzen des Machbaren? Warum und auf welche Weise scheitern sie? Außerdem sollen Schillers persönliche politische Vorstellungen aufgezeigt werden und wie sich diese in den Dramen des schwäbischen Dichters und Denkers wiederspiegeln. Zu diesem Zweck gehe ich anfangs auf Schillers Lebensumstände ein. Im Anschluss daran werde ich die politischen Leitbilder von den Hauptpersonen der drei genannten Dramen differenziert betrachten und dabei ihre Entfaltung sowie die Art und Weise ihres Scheiterns untersuchen. Dabei werde ich darauf eingehen, inwiefern sich Schillers politische Orientierung und die ihm bewussten Machbarkeitsgrenzen seiner persönlichen Idealvorstellungen in den Dramen wiederfinden und wie er die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit in seinen Werken verarbeitet. Im Schlussteil soll geklärt werden, ob für Schiller ein Nicht-Scheitern der Ideale überhaupt theaterfähig ist.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1. Schillers Lebenssituation
1.1 Situation in Württemberg
1.2 Direkte Einflüsse auf Schillers politische Einstellung
1.2.1 Zeit auf Karlsschule
1.2.2 Der Einfluss politischer Philosophen auf Friedrich Schiller
1.3 Schillers politische Einstellung
2. Don Karlos
2.1 Die politischen Ideale
2.1.1 Posa
2.1.2 König Philipp II
2.1.3 Großinquisitor
2.2 Das Scheitern der politischen Ideale
2.2.1 Das Scheitern des aufgeklärten Ideals an Posa
2.2.2 Das Scheitern der Ideale an König Philipp II. und der Kirche
2.3 Zwischenbilanz
3. Maria Stuart
3.1 Entstehungsgeschichte und historische Hintergründe
3.2 Elisabeth
3.2.1 Elisabeths Rollenverständnis
3.2.2 Elisabeths Kampf um Machterhalt
3.3 Das Scheitern aufklärerischer Ideale an Elisabeth I
3.4 Zwischenbilanz
4. Die Jungfrau von Orleans
4.1 Entstehungsgeschichte und historischer Hintergrund
4.2 Johannas politische Ideale und ihr Scheitern
4.2.1 Johannas Sendungsbewusstsein
4.2.2 Johannas Schuldbewusstsein
4.2.3 Johannas Katharsis
4.3 Zwischenbilanz
5. Fazit
5.1 Die Unvereinbarkeit von Ideal und Individuum
5.2 Warum die Ideale scheitern müssen
6. Primärliteratur
6.1 Sekundärliteratur
6.2 Online-Quellen
Zitate aus dem Drama Don Karlos erfolgen nach der letzten Fassung von 1805.
Schiller Texte werden zitiert nach der Nationalausgabe, begr. von Julius Petersen. Fortgeführt von Lieselotte Blumenthal und Benno v. Wiese. Hrsg. im Auftr. der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums in Marbach von Norbert Oellers. Weimar 1943ff.
Nachweise erfolgen bei Versdramen und Lyrik unter Angabe des Bandes und des Verses, bei Prosatexten und Briefen unter Angabe des Bandes und der Seitenzahl.
0 Einleitung
„So willst du treulos von mir scheiden / Mit deinen holen Phantasien, / Mit deinen Schmerzen, deinen Freuden, / Mit allen unerbittlich fliehen? / Kann nichts dich, Fliehende! Verweilen, / O! meines Lebens goldne Zeit? / Vergebens, deine Wellen eilen / Hinab ins Meer der Ewigkeit.
Erloschen sind die heitern Sonnen, / Die meiner Jugend Pfad erhellt, / Die Ideale sind zerronnen, / Die einst das trunkne Herz geschwellt, / Er ist dahin, der süße Glaube / An Wesen, die mein Traum gebahr, / Der rauhen Wirklichkeit zum Raube, / Was einst so schön, so göttlich war.“[1]
Diese Verse entstammen Friedrich Schillers Gedicht Die Ideale aus dem Jahre 1795. Das lyrische Ich lässt nach dem Scheitern der französischen Revolution sein Leben und seine Ideale Revue passieren. Resignativ erkennt es deren Scheitern, fragt nach ihrem Verbleiben und ob es nicht doch einen Weg gibt, sie zu realisieren.
Politische Ideale scheitern auch in Schillers Dramen, deshalb ist es das Ziel der folgenden Arbeit die der Protagonisten aus Schillers Werken Don Karlos, Maria Stuart und Die Jungfrau von Orleans zu analysieren: welche politischen Ideale sind enthalten, wo stoßen die Handelnden an die Grenzen des Machbaren? Warum und auf welche Weise scheitern sie? Außerdem sollen Schillers persönliche politische Vorstellungen aufgezeigt werden und wie sich diese in den Dramen des schwäbischen Dichters und Denkers wiederspiegeln. Zu diesem Zweck gehe ich anfangs auf Schillers Lebensumstände ein. Im Anschluss daran werde ich die politischen Leitbilder von den Hauptpersonen der drei genannten Dramen differenziert betrachten und dabei ihre Entfaltung sowie die Art und Weise ihres Scheiterns untersuchen. Dabei werde ich darauf eingehen, inwiefern sich Schillers politische Orientierung und die ihm bewussten Machbarkeitsgrenzen seiner persönlichen Idealvorstellungen in den Dramen wiederfinden und wie er die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit in seinen Werken verarbeitet. Im Schlussteil soll geklärt werden, ob für Schiller ein Nicht-Scheitern der Ideale überhaupt theaterfähig ist.
1. Schillers Lebenssituation
Um Schillers politische Einstellung und somit seine eigenen politischen Ideale verstehen zu können, ist einleitend eine vereinfachte Darstellung der äußeren Umstände zu Schillers Biographie hilfreich. Dabei werde ich zuerst auf die allgemeine Situation in Deutschland beziehungsweise im Herzogtum Württemberg und darauf folgend auf die spezifisch auf Schiller Einfluss nehmenden Umstände eingehen.
Zur Zeit des 18. Jahrhunderts ist der deutsche Raum von einer starken Zerklüftung geprägt, politische, soziale oder kulturelle Einheit nicht gegeben. Neben einem stark ausgeprägten Materialismus existiert der höchste Idealismus.[2] Die damalige Gesellschaftsstruktur gliederte sich in drei Stände: Adel, Bürgertum und Bauern, wobei etwa 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten. Der Adel versuchte dem prunkvollen Lebensstil Ludwig XIV. nachzueifern, weshalb die öffentlichen Kassen stets leer, die Länder meist hoch verschuldet waren. Die Schuldenlast führte zu steigenden Steuerbelastungen für das Volk und damit zu einer zunehmenden Verelendung. Massenarmut, der Pauperismus, stellte das größte gesellschaftliche Problem dieser Zeit dar.[3]
Im Gegensatz zum französischen Absolutismus hatten die deutschen Fürsten nicht mehr die absolute Macht inne. Friedrich II. hatte das politische System Preußens auf seine persönliche Herrschaft zentralisiert, anerkannte aber dennoch die Menschen- und Bürgerrechte seiner Bevölkerung. Er sah sich als der „erste Diener seines Staates“. Die geistige Freiheit des Einzelnen wurde respektiert, wenngleich der einzelne Bürger nicht politisch aktiv sein und schon gar nicht an der ständisch-sozialen Ordnung rütteln durfte.[4] Der sogenannte aufgeklärte Absolutismus sprach sich für die Unterwerfung des Adels unter die allgemeingültigen Gesetze aus. Folter und Hexenprozesse wurden abgeschafft, Einwanderern und anderen Religionen mit Toleranz begegnet und eine Schulpflicht eingeführt.[5]
Mit der Zeit entwickelte das Bürgertum ein bürgerlich-sittliches Bewusstsein gegen die Sittenlosigkeit des Adels. Zentrale Orte für diese geistige Neuorientierung waren Universitäts- und Handelsstädte. Um den Theologen und Pädagogen August Hermann Francke entwickelte sich eine sittlich-religiöse Bewegung. Francke sah sich als Erneuerer des religiösen und sittlichen Lebens in Europa und gründete in diesem Zuge die Franckschen Stiftungen.[6] Die Wissenschaft wandte sich vermehrt den lebensnahen Fragen zu und die Bevölkerung hatte ein erstarktes Interesse für Literatur, Dichtkunst, Philosophie sowie moralische Fragen.[7]
1.1 Situation in Württemberg
Als Friedrich Schiller am 10. November 1759 in Marbach am Neckar geboren wurde, herrschte Herzog Carl Eugen von Württemberg bereits seit 15 Jahren über das Land.[8] Der Landesfürst absolvierte seine Ausbildung am Hof Friedrich des Großen in Berlin. Zum Regierungsantritt Carl Eugens verfasste König Friedrich II. die Schrift: Fürstenspiegel oder Belehrung des Königs für den jungen Herzog Karl Eugen von Württemberg. Darin wird betont, Vorsicht und Verantwortung im Umgang mit den Finanzen walten zu lassen und das Wohl des Volkes stets über das eigene Wohlergehen zu stellen.[9]
Die Regierungszeit von Carl Eugen ist in drei Hauptphasen gliederbar und von vielen Widersprüchen geprägt. Die erste Phase von 1744 bis 1752 war eine Zeit der Orientierung. Zunächst schien sich der Herzog an die Empfehlungen Friedrich II. zu halten. Er arbeitete diszipliniert, half seinen Untertanen nach Überschwemmungen und Bränden, versuchte bei Auseinandersetzungen zu vermitteln und bemühte sich um den Kontakt mit der Bevölkerung.[10]
Zu Beginn der zweiten Regierungsphase fand Carl Eugen entsprechend dem Vorbild Ludwig XIV. Gefallen an dekadenten Ausschweifungen. Er hielt opulente Bälle, Feste, italienische Opern, Theateraufführungen, Konzerte und französische Ballette ab. Kosten von mehr als 50.000 Gulden, für etwa ein Feuerwerk, waren keine Seltenheit.
Zeitgleich mangelte es dem Volk an der Versorgung mit den nötigsten Grundnahrungsmitteln. Carl Eugen inszenierte riesige Treibjagden. Die Bauern, deren Äcker und Felder durch solche Jagden in Mitleidenschaft gezogen wurden, blieben unentschädigt. In dieser zweiten Regierungsphase Carl Eugens von 1752 bis 1770 gab der Landesherr ferner Unsummen für Prachtbauten in Stuttgart, Ludwigsburg und Hohenheim aus.[11] Ständige Steuer- und Abgabenerhöhungen prägten die Finanzpolitik des Landes. Um seine finanzielle Situation zu verbessern, schreckte Carl Eugen weder vor Erpressung und Bestechung, noch vor Missachtung der Bürger- und Kirchenrechte zurück. Seine politisch eher bedeutungslose und faktisch zum Privatvergnügen ausgehobene Armee setzte der württembergische Herzog durch Subsidienverträge mit Frankreich und Holland gewinnbringend ein. Er „verkaufte seine Soldaten zur Teilnahme am Siebenjährigen Krieg gegen [seinen früheren Mentor] Friedrich den Großen und in die ostindischen Kolonien.“[12]. Damit nicht genug, veräußerte er zudem selbst einfache Untertanen gegen Kopfgeld an britische Söldnerheere.[13] Schiller beschreibt in seinem Stück Kabale und Liebe eine typische Szene des Soldatenhandels jener Zeit:
„Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch vor die Front heraus, und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufte? – aber unser gnädigster Landesherr ließ [...] die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe! Nach Amerika!“[14]
Kritik an seiner verschwenderischen und tyrannischen Herrschaft duldete CarlEugen nicht. Der Publizist Christian Friedrich Schubart wurde wegen kritischen Äußerungen über den deutschen Fürstenstaat in seiner Deutschen Chronik auf Befehl des Herzogs für zehn Jahre inhaftiert.[15] Ein ähnliches Schicksal erfuhr der Jurist Johann Jacob Moser, der die Finanzpolitik des Herzogs tadelte.[16] Auch Schiller hätte es so
ergehen können. Der Regent tyrannisierte seine Untertanen. Entgegen den Empfehlungen Friedrichs II. gewährte er keine „Gedankenfreiheit“, wie es Marquis von Posa später von König Philipp in Schillers Drama Don Karlos fordert.
Nach Ende des Siebenjährigen Krieges kehrte Carl Eugen zu den aufklärerischen Ideen Friedrich II. zurück. 1770 zwang ihn ein Urteil des Reichshofrates zur Anerkennung des Landtages. Dies kennzeichnet den Beginn der dritten und letzten Regierungsphase. Der Herzog von Württemberg wandelte sich zu einem aufgeklärten Absolutisten und der tyrannische Herrscher tritt in den Hintergrund. Dennoch bleiben die beiden Rollenbilder Carl Eugens bestehen, so dass Schiller durchaus noch dessen despotischen Züge erleben muss.[17] Schubart beschreibt die Wandlung des „Schwabenkönigs“ folgendermaßen:
„Als Dionys von Syrakus / Aufhören muss Tyrann zu sein, / Da ward er ein Schulmeisterlein.“[18]
Unter dem Eindruck seiner Mätresse Franziska von Leutrum setzte er sich eingehend mit den Themen Bildung und Erziehung auseinander. Es entstanden Schulen und Bibliotheken. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Hohen Karlsschule, der späteren Militärakademie, welche von Friedrich Schiller besucht werden wird. Die ausschweifenden Zügellosigkeiten fanden ein Ende und Carl Eugen besann sich auf jene Tugenden zurück, welche ihm einst Friedrich II. mit auf den Weg gegeben hatte.[19]
Carl Eugen spielte ein wichtige Rolle im Leben Schillers und prägte seine politische Einstellung entscheidend mit. Der Neukantianer Kuno Fischer schrieb treffend:
„Jeder Dichter, bedarf eines mythologischen Stoffes, den er erlebt, von dem er sich nährt und wächst. In dem Mittelpunkt der mythischen Welt, von der die keimende Phantasie Schillers befruchtet wurde, stand der Herzog Karl.“[20]
1.2 Direkte Einflüsse auf Schillers politische Einstellung
Vor diesem Hintergrund entwickelten sich Schillers politisches Bewusstsein und seine Ideale. Im Folgenden sollen einige Einflüsse aufgezeigt werden, die für diesen Prozess von großer Bedeutung waren.
1.2.1 Zeit auf Karlsschule
Friedrich Schillers Vater, Johann Caspar Schiller, war Wundarzt, Offizier und Hofgärtner von Herzog Carl Eugen von Württemberg.[21] Er zeichnete sich durch ein eisernes Wesen aus und war ein sehr autoritäres Familienoberhaupt. Als Mitglied des Militärs hatte er Eigenschaften wie Disziplin und Gehorsam internalisiert. Dies forderte er auch von seiner Familie, sowohl bei seinen Kindern als auch bei seiner Frau. Schillers Mutter Elisabetha Dorothea Schiller war die gefühlvollere der beiden Elternteile. Oft verbarg sie Regelwidrigkeiten ihres Sohnes vor dem Gatten. Man kann sagen, sie schenkte ihren Kindern Geborgenheit und gab ihnen Zärtlichkeit, was zu jener Zeit noch nicht selbstverständlich war.[22] Bevor Schiller 1773 auf Befehl Carl Eugens in die Militärakademie eintrat, genoss er von 1767 an eine strenge Erziehung an einer Lateinschule.
Der Charakter der Hohen Karlsschule ist zwiespältig. Einerseits gingen aus der Akademie viele bedeutende und anerkannte Persönlichkeiten hervor. Neben Friedrich Schiller sind die Maler Joseph Anton Koch und Christian Gottlieb Schick, die Komponisten Johann Rudolf Zumsteeg und Johann Christian Ludwig Abeille, wie auch die Architekten Christian Zais oder Nikolaus Friedrich von Thouret zu nennen.[23] Andererseits war die Militärakademie von einem ambivalenten Landesherrn geformt. Auf die Erziehungsmethoden nahm Carl Eugen direkten Einfluss und unterstellte sie allein den Maßstäben einer militärischen Ausbildung. Dabei ließ er einen oft menschenverachtenden, brutalen, von Drill und Unfreiheit geprägten Erziehungsstil walten. Diese Form von Erziehung hat das weitere Leben sowie die politische Einstellung des schöngeistigen Schillers entscheidend beeinflusst.
Die Jahre an der Militärakademie waren wohl eine der schwersten Zeiten für Friedrich Schiller. Später schreibt er in der Zeitschrift Rheinische Thalia über die Akademie:
„Neigung für Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre rang mein Enthusiasmus mit der militärischen
Regel; aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe. [...] Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mein Herz in eine Idealenwelt aus [...].“[24]
Der Tagesablauf der Schüler an der Akademie war streng gegliedert. Für die Eleven, wie die Schüler hier genannt wurden, gab es keine Freiheiten.[25] Es darf nicht unterschlagen werden, dass eine militärische Ausbildung nie eine liberale Erziehung darstellt. Eine Armee konnte und kann noch heute nur auf Basis von Disziplin funktionieren. Allerdings ist sehr gut vorstellbar, dass derartiger Drill bei einen Knaben wie Friedrich Schiller deutliche Spuren hinterlässt. Selbst der persönliche Kontakt mit dem Elternhaus war untersagt, so dass Schiller nicht einmal an der Beerdigung seiner eigenen Schwester teilnehmen durfte.[26] Mit dem Eintritt in die Akademie wurde der Herzog der Vater der Kinder. Die Eltern hatten keinen Einfluss mehr auf ihren Nachwuchs. Dieses Erlebnis stellte für Schiller eine schockierende Erfahrung dar. Ein Aspekt, den er später auch in seinem Drama Don Karlos verarbeiten wird, wenn er das strenge Hofzeremoniell am spanischen Königshof beschreibt. Der Herzog stellte somit die öffentliche über die private Erziehung der Kinder.[27] Auf diese Weise mochten sie vielleicht eine erstklassige Bildung erhalten, litten aber unter emotionaler Kälte und konnten leichter für die Ziele des Herzogs instrumentalisiert werden. Briefe der Schüler wurden vom Aufsichtspersonal kontrolliert, gelesen und oft auch zensiert. Unmenschlicher, militärischer Drill zeigte sich auch in den strengen Bestrafungen. Diese bestanden nicht nur aus körperlicher Züchtigung, sonder auch aus psychischen Druck.[28]
Schiller versucht sich dem Druck und den strengen Regeln zu widersetzen. Das ist durch die Anzahl seiner Vergehen dokumentiert. Diese Disziplinbrüche bestehen meist in dem Versuch, sich mehr Freiräume zu schaffen. Schiller wird psychisch und physisch labil, auch lassen seine anfangs guten schulischen Leistungen zwischenzeitlich rapide nach. Schiller lernte die Demütigungen und Unterdrückung geduldig zu ertragen.[29]
Unter diesem brutalen, unmenschlichen Zwang litt der freiheitsliebende Schiller sehr. Seine persönlichen Erfahrungen mit dem despotischen Herzog verarbeitete Schiller in mehreren Werken. Darunter sein Drama Die Räuber, in dem er Maximilian von Moor, der für den Staat steht, kritisiert, weil er durch die fehlgeschlagene Erziehung seiner Söhne für die abnormen Verhaltensweisen seiner Kinder verantwortlich ist. Durch den alten Moor wirft Schiller seinem Landesvater Carl Eugen verfehlte Erziehungsmethoden, falsche Erziehungsziele und vor allem den Verlust seiner Kindheit und Jugend vor. Aber auch in seinem Gedicht Die schlimmen Monarchen klagt er die absolutistischen Fürsten an. Dabei rechnet Schiller wohl auch mit Carl Eugen, der seine Untaten unter „Majestätsrechts Nachtgewande“ verbarg[30] und den Methoden der Hohen Karlsschule ab. Des Weiteren finden sich in Kabale und Liebe sowie in Die Verschwörung des Fiesco zu Genua Anspielungen auf die fürstliche Willkür des Herzogs.
Schiller hat von frühester Kindheit an eine sehr strenge Erziehung erhalten. Anfangs väterlicherseits, später auf der Militärakademie von Carl Eugen. In der Akademie litt Schillers Freiheitsdrang sehr. Er lernte sich zu fügen. Die Erziehungsmethoden des Herzogs und die Unfreiheit an der Schule beschäftigten ihn aber sein ganzes Leben.
1.2.2 Der Einfluss politischer Philosophen auf Friedrich Schiller
Ungeheuer prägend und interessant war für den jungen Schiller der Unterricht bei dem Philosophen und Mitglied des Illuminatenordens Jakob Friedrich Abel, der nach dem Umzug nach Stuttgart an der Hohen Karlssschule lehrte. Abel bot Schiller die Möglichkeit, sich mit politischen Schriften auseinanderzusetzen.[31] Hier sind Niccolò Machiavelli, der Verfasser des Il Principe, und Montesquieu, Autor der De L‘esprit des lois zu erwähnen. Auch Thomas Hobbes Leviathan blieb ihm wohl nicht unbekannt.[32] Besonders intensiv beschäftigte er sich jedoch mit den Schriften Rousseaus, die er vorwiegend außerhalb der Unterrichtszeit las.[33] Neben dem C ontrat social rezipierte er den Briefroman Julie oder Die neue Héloïse und das pädagogisches Hauptwerk, den Erziehungsroman Émile – oder über die Erziehung. Rousseau kann als das große Vorbild in Schillers Jugendzeit bezeichnet werden. Ihm widmete er das Huldigungsgedicht Rousseau.[34] Schiller verfasste dieses unter dem Eindruck der Verfolgung, die Rousseau wegen seiner Werke Émile und Contrat social seitens der Kirche erlitt:
Mag es, Rousseau! Mag das Ungeheuer / Vorurteil ein tümendes Gemäuer / Gegen kühne Reformanten stehn, / Nacht und Dummheit boshaft sich versammeln, / Deinem Licht die Pfade zu verrammeln, / Himmelstürmend Dir entgegen gehen.[35]
Rousseau antwortete verneinend auf die Preisfrage der Akademie von Dijon, ob der Fortschritt der Kultur die Menschen gebessert habe, mit dem Discours sur les sciences et les arts. Hier konstruierte er einen glücklichen, naturhaften Urzustand der Menschheit (amour de soi), aus dem diese durch Vergesellschaftung ins Verderben gefallen sei. 1754 setzte Rousseau diese Gedanken in seinem Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes fort. Obwohl er auch in dieser Schrift Kultur und Aufklärung der reinen Vernunft verurteilte, lehnte er nun nicht mehr grundsätzlich die Vergesellschaftung ab, sondern nur die Entwicklung von einem glücklichen Gesellschafts- beziehungsweise Naturzustand zu einer Gesellschaft, in der die Menschen unfrei, selbstsüchtig (amour propre) und abhängig sind. Die Schrift fordert die Wiederherstellung der natürlichen Rechtsgleichheit aller. In seinem Contrat social nimmt er nicht mehr den „wilden“ Naturmenschen als Vorbild, sondern den politisch mündigen Bürger, der sich durch bewusste Abtretung seiner Naturfreiheit an einen Gemeinwillen (volonté générale) den idealen Staat schafft. Mit diesen Schriften setzte er sich in schroffen Gegensatz zum Ancien régime. Rousseau sah die Aufgabe eines Staates also in der Sicherung der Freiheit des Einzelnen. Allerdings bedingt diese Freiheit die Mitarbeit jedes Gesellschaftsmitgliedes. Dieses muss etwas von seinen Rechten dem Gemeinwohl aushändigen und sich dann auch dem Gemeinwillen unterstellen.[36]
Die genannten Autoren, vor allem aber Rousseau und später auch Immanuel Kant, werden Schiller im Laufe seines Lebens immer wieder beschäftigen. Indiz für das Ausmaß des Einflusses der heute als Klassiker geltenden Schriften der politischen Philosophie auf Schiller ist die Verarbeitung der darin enthaltenen Ideen in Schillers Dramen. Schon im ersten Stück Die Räuber, welches er während seiner Jahre auf der Militärakademie verfasst hatte, sind zentrale rousseausche Werte wie Menschenwürde, Seelenadel, Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit tief verankert.[37] Hier sieht man, wie Rousseau auf die Bewegung des Sturm und Drang gewirkt hat, deren Geist sehr deutlich wird. Im Mittelpunkt dieser Epoche steht das geniale, unabhängige Individuum. Dieses Genie ist leidenschaftlich, aufbrausend, maßlos, unvorsichtig und von Gefühlen gelenkt, erkennbar am Tatendrang eines Räuber Moor. Er möchte alles aus eigener Kraft erschaffen und meint, sich jedem Schicksal entgegenstellen zu können. Die Stürmer und Dränger fordern Gerechtigkeit und Freiheit für den Einzelnen und die Gemeinschaft. Sie wandten sich gegen rücksichtslose Herrschsucht und repressiven Absolutismus.[38]
Im Drama Wilhelm Tell tritt ebenfalls eine Anspielung auf Rousseau zu Tage. In der Rütliszene erklärt Werner Stauffacher den Weg von der untergeordneten Rolle der Bürger im Staatsgebilde des Leviathan von Thomas Hobbes zum Gesellschaftsvertrag Rousseaus, der jedem die Freiheit sowie das Recht auf politische Partizipation einräumt:[39]
„Der alte Urzustand der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Menschen gegenüber steht.“[40]
Über Die Verschwörung des Fiesco zu Genua schreibt Schiller, nachdem er trotz Überarbeitung der Bühnenfassung einen Misserfolg für das Stück vorausahnt, in seiner Erinnerung an das Publikum:
„Fiesko, von dem ich vorläufig nichts Empfehlenderes weiß, als daß ihn J. J. Rousseau im Herzen trug.“[41]
Schiller möchte damit zum Ausdruck bringen, dass auch dieses Stück im Zeichen des Contrat social steht. An diesem Beispiel ist sehr gut ersichtlich, welchen großen Eindruck der schweizer Philosoph bei Schiller hinterlassen hat. Nichts desto trotz kann Schiller nicht ein schlichtes Übernehmen der Werte Jean-Jacques Rousseaus unterstellt werden. Es fand durchaus eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Gedankengut statt. Während etwa Rousseau die Kultur und Gesellschaft als Ausgangspunkt allen Übels darstellt, betrachtet der schwäbische Dichter und Denker Kultur als eine wichtige Bereicherung für die geistige Entwicklung. So fordert er in seiner Schrift Etwas über die Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde zwar, wie Rousseau, „zurück zur Natur“, allerdings nicht unter dem Verzicht auf Vernunft, sondern im Gegenteil unter deren Zuhilfenahme.[42]
Schiller entwickelte Immanuel Kants kategorischen Imperativ insofern weiter, als dass er über das kantsche Pflichtdenken hinaus fordert, richtiges Handeln solle instinktiv aus „moralischer Freiheit“, ergo in Übereinstimmung von Pflicht und Neigung, Sinnlichkeit und Vernunft erfolgen. Kants Werk Kritik der Urteilskraft veranlasste Schiller seine eigene Theorie des Schönen zu entwickeln. Es entstehen Schriften wie Ueber das Pathetische (1793), Uber Anmuth und Würde (1793), Ueber das Erhabene (nach 1797).[43]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Einfluss politischer Philosophen auf Schiller sehr bedeutend war. Besonders Rousseaus Ideale bezüglich Menschenwürde, Seelenadel, Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit haben ihn in seinen Bann gezogen. Der Gesellschaftsvertrag, den Rousseau in seinem Contrat social beschreibt, vertritt die Idealvorstellung einer Demokratie, die Schiller für erstrebenswert hielt. Rousseau steht für die Kritik am Absolutismus, dessen Herrscher Schiller so schmerzlich wahrnehmen musste.
1.3 Schillers politische Einstellung
Die durch die absolutistische Politik des Herzogs Carl Eugen gezeichnete Gesellschaftsstruktur Württembergs, die Zeit auf der Militärakademie sowie die Schriften Kants und Rousseaus hatten großen Einfluss auf Schillers politische Einstellung. Im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus setzt er Freiheit, Würde und Wert der Menschen an erste Stelle. Der Herrscher darf seine Untertanen nicht für seine Ziele instrumentalisieren, nein, er muss für deren Wohl sorgen. Diese Aufgabe legitimiert die Existenz seiner Herrschaft. Für Schiller ist der ideale Fürst ein Landesvater, der sein Volk als seine Kinder betrachtet und, indem er Menschenrechte und „Gedankenfreiheit“ achtet, Glück unter ihnen verbreiten muss:
„Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein andrer, als Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung.“[44]
Durch Politik sollen die Menschen- und Individualrechte so gut wie möglich gegen Missbrauch gesichert werden.[45] Nach dem Scheitern der französischen Revolution erstrebt Schiller einen freien Rechtsstaat. Er setzt sich in seinen ästhetischen Schriften nicht nur mit Kant auseinander, sondern verarbeitet darin auch die Ereignisse der französischen Revolution. Schiller betrachtete die Erhebungen in Frankreich zunächst mit Sympathie. Nach dem Ausbruch des Terrors und mit Beginn des Prozesses gegen Ludwig XVI. kam er allerdings zu dem Schluss, dass die Menschheit für die rein politische Freiheit noch nicht reif sei. Gesetze sollten nicht durch Gewalt, sondern durch Vernunft verwirklicht werden. Freiheit soll die Grundlage dieses Staates sein.[46] In seiner Jenaer Antrittsvorlesung über Universalgeschichte macht Schiller deutlich, dass die Menschen eine Existenz in Freiheit anstreben. Der Mensch kann sich aus wiederholten historischen Rückschlägen selbst befreien, er strebt ein „Kultur- und Vernunftniveau“ an, das ihn letztlich zur Freiheit führen wird.[47] In dieser Überzeugung klingt Immanuel Kant an, dessen Ideal die Vernunft ist:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude.“[48]
Wage zu wissen. Aufklärung bedeutet also, die Vernunft im Dienste der Mündigkeit zu gebrauchen. Somit sind alle Menschen gleich. Auch in ihren Rechten. Der Mensch kann entscheiden, was wahr und was falsch ist und die Welt mit Hilfe der Wissenschaften in ihrer Gesamtheit erkennen. Allerdings kritisiert Schiller nach dem Scheitern der Revolution in Frankreich an der Aufklärung, dass sie sich zu sehr nur der Vernunft und dem Verstand verschreibt und somit die ungebildete sinnliche „Triebnatur“ des Menschen fördert.[49] Im dritten und fünften Brief Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen stellt Schiller fest, dass sich Egoismus ausgebreitet habe, und dass der Charakter des Menschen selbstsüchtig und gewalttätig sei. Er habe eher die Zersplitterung und Verwilderung als den Erhalt der gesellschaftlichen Situation zum Ziel.[50] Deshalb ist es laut Schiller notwendig, dem Menschen eine ästhetische, veredelnde Erziehung als Korrektiv angedeihen zu lassen, damit er sich in seiner Ganzheit entwickeln kann. Er fordert also im Sinne Wilhelm von Humboldts eine Totalität aller Kräfte, um so für das Ideal der Freiheit fähig werden zu können.[51] Ratio und Natur, Körper und Geist dürfen in keinem Dualismus stehen, sondern sie sollen zusammen existieren können und eine Synthese bilden, denn nur so kann einmal ein ästhetisches Staatsgebilde entstehen.[52]
2. Don Karlos
Friedrich Schiller hat am Don Karlos beinahe 23 Jahre lang gearbeitet. Noch bevor er die erste Seite niederschrieb, betrieb er ein eingehendes Quellenstudium. Schiller nutzte dabei vor allem die Oeuvres de Montesieur l'Abbé Saint-Réal und Brantomes Geschichte Philipp ІІ.. Ferner beschäftigte er sich mit der History of Phillip ІІ. des Engländers Watson und der Historia de España des Spaniers Ferreras.[53] Während seiner Genese durchlief das Stück zahlreiche Veränderungen.
Im Jahre 1782 machte der Mannheimer Theaterintendant von Dalberg Schiller erstmals auf den Don-Karlos-Stoff aufmerksam. Ein Jahr später beschließt er die Arbeit an dem Drama aufzunehmen:
„Der Karakter eines feurigen, grosen und empfindenden Jünglings, [...] einer Königin, die durch den Zwang ihrer Empfindung bei allen Vorurtheilen ihres Schicksals verunglükt, - eines eifersüchtigen Vaters und Gemals – eines grausamen heuchlerischen Inquisitors, und barbarischen Herzogs von Alba und so fort solten mir, dächte ich, nicht wol mislingen.“[54]
„Außerdem will ich es mir [...] zur Pflicht machen in Darstellung der Inquisition die prostituierte Menschheit zu rächen, und ihre Schandflecken fürchterlich an den Pranger zu stellen.“[55]
In dieser Aussage wird ein gewichtiger Gedanke der Aufklärung deutlich: die antikirchliche und antispanische Haltung. Schiller wollte an der Organisation „katholische Kirche“, insbesondere an der Inquisition, Kritik üben.[56] Wie eingangs erwähnt befasste er sich eingehend mit der historischen Person König Philipp II. und so entstand der erste, der sogenannte Bauerbacher Entwurf. Entsprechend war diese Version des historischen Dramas nur wenig politisch motiviert. Vielmehr stellte es eine Familien- und Liebestragödie dar. Erst im Anschluss an Schillers Umzug nach Mannheim gewinnt der politische Aspekt verstärkt Einfluss und der eigentliche Held, der Infant von Spanien, tritt zugunsten des Marquis von Posa in den Hintergrund, wie der Autor selbst in seinen Briefen über Don Karlos anmerkt.[57] Aus dem ersten Entwurf entsteht dabei die sogenannte Thalia-Fassung, in der die großen Themen wie „Freiheitssinn und Despotismus“, „Menschenrechte“ und „republikanische Tugenden“ bedeutsam werden.[58] Eine letzte geistige Verwandlung erfährt das Stück durch die Freundschaft mit Gottfried Körner, dem Sohn des Freiheitsdichters Theodor Körner. Nun tritt die Politik in Form starker politischer Überzeugung und das Ideal eines neuen Staates in den Vordergrund, gleichzeitig aber auch „der Zweifel am unbedingten Wert eines leidenschaftlichen Idealismus.“[59] Hier zeigt sich bereits eine erste Andeutung von Schillers Realismus. Er glaubt durchaus nicht daran, dass sich die wünschenswerten Ideale einfach und unumschränkt realisieren lassen. Auch nach der Fertigstellung des Don Karlos hat Schiller das Drama noch einige Male umgearbeitet, bis es schließlich 1805, wenige Monate vor seinem Tod, in der nunmehr endgültigen Fassung erschien.[60] Die vielen Wendungen im Entstehungsprozess des Dramas führt Hans-Jürgen Schings unter anderem auf den Einfluss des Illuminatenordens zurück. Entgegen der verbreiteten allgemeinen Alltagsauffassung trat Friedrich Schiller dem Orden trotz vieler Werbungsversuche und Kontakte zu Angehörigen niemals bei. Allerdingsdeckt sich die Geschichte des im bayrischen Ingolstadt gegründeten Ordens mit der Entstehungszeit des Don Karlos und trotz seiner Beitrittsablehnung rückt Schiller die Figur des Marquis von Posa in die Nähe des Geheimbundes.[61] Schiller möchte, wie er im achten Brief über Don Karlos schreibt, die vorrevolutionäre Situation des 18. Jahrhunderts in seinem Drama darstellen:
„Alles fand sich mir, wie durch einen dienstbaren Geist, dabei in die Hände gearbeitet; Freiheitssinn mit Despotismus im Kampfe, die Fesseln der Dummheit zerbrochen, tausendjährige Vorurteile erschüttert, eine Nation, die ihre Menschenrechte wieder fordert, republikanische Tugenden in Ausübung gebracht, hellere Begriffe im Umlauf, die Köpfe in Gärung, die Gemüter von begeistern Interesse gehoben.“[62]
2.1 Die politischen Ideale
Mit diesem Zitat stellt Schiller bereits die Haupt-Topoi des Dramas dar. Im Folgenden werden Person und Ideale des Malteserritters Marquis von Posa, sowie seiner Gegenpositionen König Philipp II. und des Großinquisitors vor dem Hintergrund von Schillers Biographie erläutert. Auf Basis dieser Darstellung soll erörtert werden, aus welchen Gründen Posas Vorstellungen am Ende des historischen Dramas scheitern müssen.
2.1.1 Posa
Eine der zentralen Figuren des Dramas Don Karlos und Gegenpart von König Philipp II. ist der Marquis von Posa. Dass es sich bei der Figur um einen Malteserritter handelt, ist besagter Ausdruck Schillers geistiger Nähe zu den Illuminaten. Sie gelten als Förderer des Malteserordens.[63] Ebenso erkennbar sind Einflüsse klassischer Philosophen der Politikgeschichte, beispielsweise Rousseaus und Montesquieus.
Posa erscheint als eine von aufklärerischen, modern-politischen Idealen geprägte Person, die sich selbst in der Rolle eines Anwaltes der Menschenrechte sieht. Dieses Selbstbild stellt Posa direkt in seinem ersten Auftritt klar. Er fühlt sich als „abgeordneter der ganzen Menschheit.“[64] Don Karlos, seinem Freund aus Kindertagen und
Thronfolger Spaniens, berichtet er, dass es sein Ziel sei, „die Flandrischen Provinzen“[65] von der Knechtschaft der spanischen Krone zu befreien.
Posa spricht sich gegen jegliche Form von Despotismus aus, den er schon in frühen Kindertagen durch Spaniens Herrscher König Philipp II. erfahren hat. Während eines Federballspiels traf ein fehlgeleiteter Ball die Königin von Böhmen versehentlich im Gesicht. Der König sanktionierte diese Tat an seinem eigenen Sohn Karlos, der, um Posa zu schützen, die Schuld auf sich nahm, auf grausamste Art und Weise.[66] Dieses Erlebnis mit dem Tyrannen Philipp könnte bereits der erste Grundstein für Posas künftige Staatsauffassung gewesen sein. „Gewalt [ist] für den Schwachen jederzeit ein Riese.“[67] Absolutistische Macht birgt nach Auffassung Posas die Gefahr, den Herrscher zu einem gottähnlichen, unmenschlichen, egoistischen und keine Widersprüche duldenden Wesen ohne Schwächen werden zu lassen. Der Fürst wäre in diesem Fall lediglich darauf bedacht, seine Untertanen möglichst klein zu halten.[68] Posas Kritik zielt hier gegen das Prinzip des Gottesgnadentums in absolutistischen Systemen.
Das politische Denken des Marquis steht ganz im Zeichen der Ideale der Aufklärung und wird in der zentralen Audienzszene des Stücks, im zehnten Aufzug des dritten Aktes, während der Unterredung mit König Philipp II. am deutlichsten ausgebreitet. Posa stellt in diesem Gespräch mit dem spanischen König klar:
„Ich kann nicht Fürstendiener seyn.“[69]
Jenes Bekenntnis ist eine der Kernaussagen des Textes und akzentuierter Ausdruck, wie wenig konform Posas liberale Vorstellungen und Philipps Herrschaftsweise sind. Posa habe über sein Handeln im Dienste der Krone, nachgedacht und wäre zu der Folgerung gelangt, der König würdige nur seine Taten und deren Resultate, nicht aber den Menschen und seine Ideen. Er wolle nicht „Meißel“[70] eines absolutistischen Herrschers sein, der seine Untertanen nur als abhängige Werkzeuge ansehe.
„Ich liebe die Menschheit, und in Monarchieen darf ich niemand lieben als mich selbst.“[71]
Posa möchte aus seiner eigenen Überzeugung und Weltanschauung heraus für die Bevölkerung, nicht für das leere Herrschaftssymbol einer Krone handeln. Von rein äußerlichen, monarchischen Ehren hält er nichts.[72] Der Marquis stellt hier dem „Meißel“ und dem „Maschinenglück“, also der Ehre, die der König willkürlich verteilt, die Liebe zur „Menschheit“ entgegen. Kurz gesagt die Tugend. Posa sieht sich als freier Mensch, der Liebe unter den Menschen verteilen möchte. Er wirft dem König vor, in seinem Reich herrsche keine freie Entfaltung und keine Meinungsfreiheit.[73] Damit macht er auch deutlich, wie gefährlich er selbst für die Herrschaft Philipps sein könnte, indem er „über“ sich „gedacht“ hat.[74] Diesen Einwand scheint Posa vorläufig zu
[...]
[1] NA 1,1-16
[2] Löhde, Walter: Friedrich Schiller im politischen Geschehen seiner Zeit, Pähl 1959, S. 59
[3] Mickel, Wolfgang W.: Geschichte Politik und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1988, S. 103
[4] Mickel, S. 55 und Conrad, Hermann: Staatsgedanke und Staatspraxis des aufgeklärten
Absolutismus. Opladen. 1971, S. 24
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Aufgekl%C3%A4rter_Absolutismus. Stand: 27.07.06 und
Mickel, S. 55
[6] März, Fritz: Personengeschichte der Pädagogik, Bad Heilbrunn 2003, S. 303 ff.
[7] http://www.bis.uni-oldenburg.de/bisverlag/browei94/kap2.pdf. Stand: 27.07.06
[8] Meyers Taschenlexikon, Band 5, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 1992, S. 142
[9] Löhde, S. 35
[10] Alt, Peter-André: Schiller. Leben, Werk, Zeit Band I, München 2004, S. 33
[11] Ebd., S. 33-36
[12] Löhde, S. 40
[13] Alt, Band I, S. 28
[14] NA 5, S. 28 V 31-35 und S. 29 V 1f.
[15] Alt, Band I, S. 29
[16] http://geschichtsverein-koengen.de/Gesch1750-1806.htm, Stand: 28.07.2006
[17] Alt, Band I, S. 30
[18] Ebd., S. 42
[19] Ebd., S. 41 ff.
[20] Nohl, Herman: Friedrich Schiller. Frankfurt am Main 1954, S. 32
[21] Alt, Peter-André: Friedrich Schiller. München 2004, S. 19
[22] Alt, Band I, S. 69
[23] http://de.wikipedia.org/wiki/Hohe_Karlsschule, Stand 03.08.2006 und Alt, Band I, S. 43
[24] Oellers, Norbert: Die Aktualität eines Idealisten. In: APuZ, Bonn, 9-10/2005, S. 6
[25] Stade, Heinz: Unterwegs zu Schiller, Berlin, 2005, S. 34
[26] Alt, Band I, S. 135
[27] Ebd., S. 137
[28] Ebd., S. 86
[29] Ebd., S. 90
[30] Nohl, S. 23 und Schafarschik, Walter: Friedrich Schiller, Stuttgart 1999, S. 15
[31] Alt, Band I, S. 141
[32] Alt, Friedrich Schiller, S. 21 und Schafarschik, S. 18
[33] Alt, Band I, S. 132 und S. 473
[34] Löhde, S. 72
[35] NA 1, 67-72
[36] Tenorth, Heinz-Elmar: Klassiker der Pädagogik, München 2003, S. 72-87 und Sturma, Dieter: Jean-Jacques Rousseau, München 2001, S. 54-70
[37] Löhde, S. 61
[38] Axel, SanJosé: Die Deutschen Klassiker, CD-ROM, X·Libris, München 1995
[39] Alt, Friedrich Schiller, S. 114
[40] NA 10, 128f.
[41] Löhde, S. 84
[42] Alt, Band I, S. 133, 182 und 617
[43] Alt, Friedrich Schiller, S. 68ff.
[44] zitiert nach: Hinderer, Walter: Von der Idee des Menschen – Über Friedrich Schiller, Würzburg 1998, S. 337
[45] Bohnen, Klaus: Politik im Drama, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, 24. Jahrgang, Stuttgart, 1980, S. 21
[46] Löhde, S. 288f., 294f. und Alt, Peter-André: Schiller – Leben-Werk-Zeit, Band II, München, 2004, S. 113 und Bohnen, S. 16
[47] Alt, Band I, S. 609
[48] Schmid, Pia: Pädagogik im Zeitalter der Aufklärung. In Harney, K./ Krüger, H.H. (Hrsg.) Einführung in die Geschichte von Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit, 2., durchges. Auflage, Opladen 1999, S. 19f.
[49] NA 26, 263
[50] NA 20, 313ff. und 319ff. und Hinderer, S. 339
[51] Alt, Friedrich Schiller S. 75f.
[52] Hinderer, S. 339
[53] Alt, Band I, S. 437
[54] NA 23, 74f.
[55] NA 23, 81
[56] Becker-Cantarino, Bärbel: Die „Schwarze Legende“ – Ideal und Ideologie in Schillers „Don Carlos“, in: Lüders, Detlev (Hrsg.): Jahrbuch des Freien deutschen Hochstifts, Tübingen 1975,
S. 157
[57] NA 22, 138
[58] Ebd. 162, und Nohl, S.37 und Storz, Gerhard: Die Struktur des Don Karlos, in: Jahrbuch der
deutschen Schillergesellschaft, Stuttgart, 1960. S. 122-125
[59] Strich, Fritz: Schiller, Sein Leben und Werk, Leipzig, 1927, S. 150
[60] Gerber, Harald: Erläuterungen zu Friedrich Schiller, Don Karlos, Hollfeld, 1988, S. 11-18
[61] Schings, Hans-Jürgen: Die Brüder des Marquis Posa, Tübingen, 1996, S. 4, 11 und 101
[62] NA 22, 162
[63] Schings, S. 6
[64] NA 7.1, 157
[65] Ebd., 158f.
[66] Ebd., 204-260
[67] Ebd., 541
[68] Ebd., 3059f.
[69] Ebd., 3022
[70] Ebd., 3036
[71] Ebd., 3037ff.
[72] Ebd., 985ff. und 2848
[73] Ebd., 3046-3064
[74] Ebd., 3073
- Citation du texte
- Beate Sewald (Auteur), 2006, „Ich kann nicht Fürstendiener seyn“ - Politische Ideale und ihr Scheitern in Schillers Dramen , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87885
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