In seinem Werk „Der Wanderer“ stellt Peter Härtling fest, dass Fremdsein „die uns zeitgemäße Existenzform“ ist. Tatsächlich spielt in Zeiten der Globalisierung und vermehrter interkultureller Kontakte „Fremdsein“ eine zunehmende Rolle und bedarf einer Auseinandersetzung, wenn nicht sogar einer überarbeiteten Definition, die den interkulturellen Aspekt mit einbezieht. In den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen hat sich der Begriff der Xenologie etabliert. Relativ spät, in den 90er Jahren, erschienen Grundsätze einer kulturwissenschaftlichen Xenologie. Warum es unabdingbar ist, dass sich die Kulturwissenschaft neben anderen Disziplinen wie Soziologie, Ethnologie und Theologie mit der Xenologie befasst, welche Themenbereiche zur kulturwissenschaftlichen Xenologie gehören und was ihre Aufgaben sind, soll in diesem Essay erläutert werden.
Nach einem kurzen Überblick über die Forschungssituation folgt eine Definition der Xenologie und insbesondere der kulturwissenschaftlichen Xenologie, wobei auch auf die Frage der Abgrenzung der kulturwissenschaftlichen Fremdheitsforschung zu anderen Disziplinen und somit die Bedeutung der kulturwissenschaftlichen Herangehensweise eingegangen wird. Daraufhin werden die einzelnen Untersuchungsbereiche vorgestellt und jeweils erläutert. Hier stehen das Verhältnis des Eigenen zum Fremden bzw. Anderen sowie Leitbegriffe, die in allen Untersuchungsbereichen eine Rolle spielen, im Vordergrund. Außerdem werden Voraussetzungen und Ziele der kulturwissenschaftlichen Xenologie dargelegt.
Bevor ich auf die kulturwissenschaftliche Xenologie eingehen werde, ist es sinnvoll, einen kurzen Überblick über ihre Entwicklung zu geben. Erste entscheidende Auseinandersetzungen mit dem Begriff der kulturellen Fremde entstehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Soziologie, z.B. von Georg Simmel (1908) oder Alfred Schütz (1932). Es folgen nur vereinzelte Veröffentlichungen zum Thema Fremdheit, bis schließlich Anfang der 70er Jahre eine Fülle von Publikationen verlegt wird. Diese Phase hält bis heute an. Eine gute Übersicht über entscheidende Werke bietet beispielsweise „Kulturthema Fremdheit“ von Alois Wierlacher. Trotz der zahlreichen Publikationen gibt es keine Gesamtdarstellungen oder Forschungsberichte, wie Alois Wierlacher und Corinna Albrecht kritisieren. Des Weiteren betonen sie, dass in der bisherigen Forschung kaum Praxisprobleme aufgegriffen werden.
In seinem Werk „Der Wanderer“ stellt Peter Härtling fest, dass Fremdsein „die uns zeitgemäße Existenzform“[1] ist. Tatsächlich spielt in Zeiten der Globalisierung und vermehrter interkultureller Kontakte „Fremdsein“ eine zunehmende Rolle und bedarf einer Auseinandersetzung, wenn nicht sogar einer überarbeiteten Definition, die den interkulturellen Aspekt mit einbezieht. In den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen hat sich der Begriff der Xenologie etabliert. Relativ spät, in den 90er Jahren, erschienen Grundsätze einer kulturwissenschaftlichen Xenologie.[2] Warum es unabdingbar ist, dass sich die Kulturwissenschaft neben anderen Disziplinen wie Soziologie, Ethnologie und Theologie mit der Xenologie befasst, welche Themenbereiche zur kulturwissenschaftlichen Xenologie gehören und was ihre Aufgaben sind, soll in diesem Essay erläutert werden.
Nach einem kurzen Überblick über die Forschungssituation folgt eine Definition der Xenologie und insbesondere der kulturwissenschaftlichen Xenologie, wobei auch auf die Frage der Abgrenzung der kulturwissenschaftlichen Fremdheitsforschung zu anderen Disziplinen und somit die Bedeutung der kulturwissenschaftlichen Herangehensweise eingegangen wird. Daraufhin werden die einzelnen Untersuchungsbereiche vorgestellt und jeweils erläutert. Hier stehen das Verhältnis des Eigenen zum Fremden bzw. Anderen sowie Leitbegriffe, die in allen Untersuchungsbereichen eine Rolle spielen, im Vordergrund. Außerdem werden Voraussetzungen und Ziele der kulturwissenschaftlichen Xenologie dargelegt.
Bevor ich auf die kulturwissenschaftliche Xenologie eingehen werde, ist es sinnvoll, einen kurzen Überblick über ihre Entwicklung zu geben. Erste entscheidende Auseinandersetzungen mit dem Begriff der kulturellen Fremde entstehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Soziologie, z.B. von Georg Simmel (1908) oder Alfred Schütz (1932). Es folgen nur vereinzelte Veröffentlichungen zum Thema Fremdheit, bis schließlich Anfang der 70er Jahre eine Fülle von Publikationen verlegt wird. Diese Phase hält bis heute an. Eine gute Übersicht über entscheidende Werke bietet beispielsweise „Kulturthema Fremdheit“ von Alois Wierlacher. Trotz der zahlreichen Publikationen gibt es keine Gesamtdarstellungen oder Forschungsberichte, wie Alois Wierlacher und Corinna Albrecht kritisieren.[3] Des Weiteren betonen sie, dass in der bisherigen Forschung kaum Praxisprobleme aufgegriffen werden. Der Versuch, eine andauernde, systematische und fächerübergreifende Fremdheitslehre zu schaffen, würde nicht unternommen; oft herrsche sogar Ignoranz gegenüber bzw. Unkenntnis von Arbeiten anderer Forschungsbereiche.[4]
Der Begriff „Xenologie“ setzt sich aus den Bestandteilen „xenos“ und „logos“ zusammen. „Xenos“ bedeutet im Griechischen „fremd, Fremder“, während „logos“ für „Vernunft, Rede, Wort“, übertragen auch „Lehre“, steht. Es handelt sich somit um die Lehre des Fremden.
Die kulturwissenschaftliche Xenologie geht aus der interkulturellen Germanistik hervor, deren Hauptvertreter Alois Wierlacher ist. Sein Hauptverdienst ist das „Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache“, das seit 1974 herausgegeben wird. Er wirkte auch an der Institutionalisierung der kulturwissenschaftlichen Xenologie durch die Gründung des Instituts für internationale Kommunikation und auswärtige Kulturarbeit (IIK) in Bayreuth mit.
Die kulturwissenschaftliche Xenologie ist eine interdisziplinär und interkulturell ausgerichtete Fremdheitsforschung, wobei „Kultur“ innerhalb der Xenologie nicht als homogene Entitäten, sondern offener definiert wird:
[Kultur ist] ein sich wandelndes, auf Austausch angelegtes, kohärentes, aber nicht widerspruchsfreies und insofern offenes Regel-, Hypothesen-, Bedeutungs- und Geltungssystem, das Gemeinschaft stiftet, sichtbare und unsichtbare Phänomene einschließt und zu dem man in einem spannungsreichen Zugehörigkeitsverhältnis stehen darf.[5]
Dabei, so Wierlacher, darf nicht vergessen werden, dass die Angehörigen einer Kultur zugleich Reiter und Tragende der jeweiligen Kultur sind.
Im Zentrum des Interesses steht die Frage, was das Fremde genau ist und wie man mit ihm umgehen soll. Wierlacher definiert „fremd“ als Nichtzugehörigkeits- bzw. Nichtbesitzverhältnis. Entscheidend ist hierbei, dass „das Fremde“ nicht gleich „das Andere“ ist, sondern das „aufgefasste Andere“. Dieses „aufgefasste Andere“ ist dabei abhängig von der personalen und kulturellen Identität des Wahrnehmenden.[6] Fremdheitsforschung kann somit als kulturhermeneutische Diskursforschung bezeichnet werden. Es geht darum fest zu stellen, was in einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit unter dem Anderen als Fremdem verstanden wird.[7] Fremdheitsforschung wird auch als Alteritätsforschung bezeichnet, was soviel wie „die Erforschung des Anderen“ bedeutet. Dies ist besonders wichtig im Bereich der internationalen Forschung, da für die Ausdrücke „Xenologie“ und „fremd“ nur unzureichende Übersetzungsmöglichkeiten existieren.
Da die Xenologie bereits in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen behandelt wird, stellt sich die Frage, warum es notwendig ist, dass sich zusätzlich die Kulturwissenschaften damit beschäftigen. Schließlich könnte man vermuten, dass sich beispielsweise die Ethnologie oder die interkulturelle Soziologie mit der gleichen Fragestellung, nämlich der Definition von Xenologie sowie der Entstehung von und dem Umgang mit kulturellem Fremdsein, auseinandersetzt. Trotzdem hat jede Disziplin ihre eigene Herangehensweise und spezifische Problemstellungen. Diese Abgrenzung soll hier kurz am Beispiel der Ethnologie erläutert werden: Theo Sundermeier meint dazu, dass die Ethnologie die grundsätzliche Frage nach der Definition von kultureller Fremdheit, die eigentlich am Anfang jeder Untersuchung stehen müsste, ignoriert und direkt zur Analyse von Erscheinungsformen des Fremden übergeht. Sie beschäftigt sich somit „mit den fremdkulturlichen Phänomenen, anstatt sich über das Wesen der Fremdheit Gedanken zu machen“.[8] Ob dieses Übergehen der grundlegenden Frage ein Verdrängungsprozess ist, wie Sundermeier in Betracht zieht, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Vielmehr ist von Bedeutung, dass die Kulturwissenschaften einen wichtigen Beitrag zur interdisziplinären Forschung im Bereich der Xenologie leisten können, indem sie danach fragen, was kulturelle Fremde ist und was sie dazu befähigt, diese Fremde zu erkennen. Außerdem haben die Disziplinen, die sich direkt oder indirekt mit Xenologie beschäftigen – wie Theologie, Recht, Soziologie – einen kulturellen Bezug, man denke beispielsweise an religiöse Riten, Immigration und das Zusammenleben verschiedener kultureller Subgruppen. Somit kann die kulturwissenschaftliche Xenologie auch als Bezugspunkt für weitere wissenschaftliche Disziplinen gelten.
In der kulturwissenschaftlichen Xenologie geht es um kulturelle Fremdheit und insbesondere um deren Bedeutung nicht nur für einzelne Individuen, sondern auch für den Aufbau der Kultur(en) in Geschichte und Gegenwart.[9] Sechs Untersuchungsbereiche können als Hauptgegenstände der kulturwissenschaftlichen Xenologie definiert werden:[10]
- Erscheinungsformen und Einschätzungen kultureller Fremdheit und des Fremden
- Das Verhältnis und die Interdependenz von Fremdem und Eigenem
- Möglichkeiten und Grenzen des Fremdverstehens
- Formen und Funktionen von Stereotypen, Vorurteilen und Xenophobie
- Konstitution von Fremdheitsprofilen und Fremdheitskonstruktionen
- Interkulturelle Verständigungsprobleme (Kulturschock)
Laut Wierlacher geht es in der kulturwissenschaftlichen Xenologie nicht um eine Gegenstellung der Kulturen, sondern vielmehr um eine Interdependenz des Eigenen und des Fremden.[11] Kulturen können also nicht unabhängig von anderen kulturellen Gruppen „für sich“ betrachtet werden, sondern stehen immer im Zusammenhang mit anderen, zumindest mit der jeweiligen Kultur des Betrachters. Dadurch sind die jeweiligen Auffassungen des Anderen und Fremden immer kulturspezifisch akzentuiert.[12] Das kulturell Eigene und das kulturell Fremde sind somit keine Kontrastphänomene, sondern haben einen wechselseitigen Bezug zueinander.[13] Je nach dem, welche Werte, Normen und Verhaltensweisen einer kulturellen Gruppe vertraut sind, wird ein in einer anderen Kultur beobachtetes Phänomen von dieser Gruppe als fremd oder weniger fremd empfunden.
An dieser Stelle könnten zahlreiche Beispiele aus dem Bereich der Kulturstandards angeführt werden. Das Zeitverständnis beispielsweise ist je nach Kultur sehr unterschiedlich. In Deutschland ist ein eher monochrones Zeitverständnis verbreitet, das sich durch Pünktlichkeit, Zeitdruck und Terminplanung auszeichnet. In Frankreich und Lateinamerika beispielsweise herrscht ein polychrones Zeitverständnis vor; es können mehrere Vorgänge gleichzeitig ablaufen und auch spontan abgeändert werden. Wenn nun ein Franzose und ein Deutscher nach Lateinamerika reisen, wird dem Deutschen eher als dem Franzosen auffallen, dass es gravierende Unterschiede im Umgang mit der Zeit gibt. Für den Deutschen sind somit andere Gegebenheiten fremd als für den Franzosen oder anders gesagt haben die beiden unterschiedliche Auffassungen des Anderen. Fremdsein ist somit keine Eigenschaft des betrachteten Objektes, sondern ein Verhältnis zwischen betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt. Dieses Verhältnis zweier Kulturen ist die Grundlage der interkulturellen Xenologie. Sie untersucht, aus welchem Blickwinkel eine andere Kultur wahrgenommen wird. Dieser Blickwinkel unterliegt dabei wie oben bereits festgestellt der Selbstdefinition der betreffenden Personen und Kulturen.[14]
Das Selbstverständnis einer Kultur entwickelt sich nur im Kontakt zu anderen Kulturen. Dies ist dasselbe Prinzip wie bei der Betrachtung einer Einzelperson: Bevor man nicht Kontakt zu anderen Kulturen hatte, bestenfalls längere Zeit im Ausland verbracht hat, ist einem selbst nicht bewusst, was typisch für die eigene Kultur ist bzw. worin sie sich von anderen Kulturen unterscheidet. Dadurch, dass man innerhalb einer bestimmten Kultur aufwächst, anstatt nach einer „kulturlosen Phase“ (die es nicht geben kann) mit einer Kultur erstmals in Kontakt zu kommen, sind Normen, Werte und Verhaltensweisen selbstverständlich und scheinen omnipräsent zu sein. Das gleiche gilt für kulturelle Gemeinschaften. Bevor kein Kontakt zu anderen Kulturen besteht, kann sich die Gemeinschaft nicht selbst definieren. Theo Sundermeier ist der Meinung, dass das Interesse für das Fremde aus Unsicherheit innerhalb der eigenen Kultur entsteht.[15] Wenn Kulturen also nach einer Selbstdefinition suchen, wie es besonders in Zeiten des Umbruchs der Fall ist, beispielsweise in der Zeit der Aufklärung oder nach den Weltkriegen, suchen sie nach Anhaltspunkten in fremden Kulturen.
Die Hermeneutik einer interkulturellen Begegnung heißt jedoch nicht, das Fremde vorschnell in die eigene Kultur einzuordnen.[16] Duala M’bedy bezeichnet das Fremde als „negative Kehrseite des eigenen positiven Lebensfundaments“[17] – die eigene Kultur wird instinktiv als positiv empfunden. Wenn dann Erfahrungen in einer fremden Kultur gemacht werden, wird dieses „aufgefasste Andere“ als negativ empfunden, da es nicht in das eigene kulturelle Orientierungssystem eingeordnet werden kann. Kulturelle Fremderfahrung ist somit eine Konfrontation mit dem eigenen Leben und provoziert sozusagen einen Rückblick auf und die Auseinandersetzung mit sich selbst.
[...]
[1] Härtling 1988: 128.
[2] Siehe Assmann 1990: 26.
[3] Vgl. Wierlacher 2003: 288.
[4] Vgl. Wierlacher 1993: 39.
[5] Ebd. 2003: 292.
[6] Vgl. ebd. 1993: 45.
[7] Vgl. ebd.2003: 285.
[8] Sundermeier 1992: 19.
[9] Vgl. Wierlacher 2003: 282.
[10] Vgl. Nünning 2004: 717.
[11] Vgl. Wierlacher 2003: 281.
[12] Vgl. ebd. 1993: 66.
[13] Vgl. ebd. 2003: 284.
[14] Vgl. Wierlacher 2003: 294.
[15] Vgl. Sundermeier 1992: 13.
[16] Vgl. Wierlacher 2003: 293.
[17] M’bedy 1977: 29.
- Arbeit zitieren
- Dorothee Bührer (Autor:in), 2007, Die Bedeutung der kulturwissenschaftlichen Xenologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87875
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