Mit seinem Werk "Sprache, Denken, Wirklichkeit" löste Benjamin Lee Whorf eine bis heute anhaltende Debatte um die Einflusskraft der Sprache auf das Weltbild und Denken aus. Die Arbeit stellt zunächst sein Werk in den Vordergrund und geht auf seine geistigen Vorgänger Wilhelm von Humboldt, Franz Boas und Edward Sapir ein.
Anschließend steht die Kritik, die dadurch in den verschiedenen Wissenschaften ausgelöst wurde, im Zentrum der Betrachtung. Neben der Sprachwissenschaft beziehen sich vor allem die Kognitionswissenschaft und die moderne Psychologie auf Whorfs Ausführungen und ergänzen sein im Mittelpunkt stehendes sprachliches Relativitätsprinzip mit neuen Erkenntnissen.
Die Zusammenhänge von Sprache und Denken sowie die von Sprache und Weltbild beziehungsweise Kultur werden hier thematisiert.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Vordenker Benjamin Lee Whorfs
2.1 Wilhelm von Humboldt (1767-1835)
2.1.1 Zur Person
2.1.2. Zum sprachwissenschaftlichen Werk
2.2 Franz Boas (1858-1942)
2.2.1. Zur Person
2.2.2. Zum sprachwissenschaftlichen Werk
2.3. Edward Sapir (1884-1939)
2.3.1. Zur Person
2.3.2. Zum sprachwissenschaftlichen Werk
3 Benjamin Lee Whorf - Person und Werk
3.1 Zur Person
3.2 Zum sprachwissenschaftlichen Werk
3.2.1 Naturwissenschaft und Linguistik
3.2.2 Die Linguistik als eine exakte Wissenschaft
3.2.3 Sprachen und Logik
3.2.4 Sprache, Geist und Wirklichkeit
3.2.5. Über einige Beziehungen des gewohnheitsmäßigen Denkens und Verhaltens zur Sprache
3.2.6. Ein indianisches Modell des Universums
3.2.7. Linguistische Betrachtungen über das Denken in primitiven Gemeinschaften
3.2.8. Grammatikalische Kategorien
3.3. Zusammenfassung
4 Zur Kritik an Benjamin Lee Whorfs Werk
4.1 Zum Verhältnis von Sprache und Denken
4.1.1 Universalien
4.1.2. Übersetzbarkeit
4.2. Zum Verhältnis von Sprache und Welt
4.3. Zur Rolle der Linguistik
4.4. Zum methodischen Vorgehen
4.5. Neuformulierungen des sprachlichen Relativitätsprinzips
4.6. Zusammenfassung
5 Zur Bedeutung Benjamin Lee Whorfs
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
„Der Name von Benjamin Lee Whorf wird vor allem gegen Ende des 20. Jahrhunderts faktisch identisch gesetzt mit dem Prinzip der sprachlichen Relativität.“1
Grob gesprochen besagt dieses Prinzip, dass jede natürliche Sprache maßgeblich an der Weltbildgestaltung beteiligt ist.2 Benjamin Lee Whorf gab diesem Prinzip den Namen „linguistic relativity“ und gilt daher oft als Begründer desselben. Doch neben Whorf haben sich bereits andere Gelehrte mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Im zweiten Kapitel sollen dieser Vordenker näher betrachtet werden. Dabei beginne ich mit Wilhelm von Humboldt, der in seinen Ausführungen eine verblüffende Ähnlichkeit zu denen von Whorf aufzeigt, obwohl diese bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfasst wurden, also über einhundert Jahre vor den Veröffentlichungen von Benjamin Lee Whorf. Danach wende ich mich den Ähnlichkeiten zu den Werken von Franz Boas und Edward Sapir, also den unmittelbaren Vordenkern in der Tradition der amerikanischen Linguistik, zu.
Anschließend werde ich mich im dritten Kapitel mit dem sprachwissenschaftlichen und sprachphilosophischen Werk von Benjamin Lee Whorf befassen. Der Sprachwissenschaftler Iwar Werlen schreibt: „Es scheint mir, daß man Whorf falsch versteht und verstanden hat, wenn man seine bekanntesten Artikel nicht auf dem Hintergrund seiner eigenen beruflichen und wissenschaftlichen Herkunft sieht.“3 Daher werde ich, bevor ich auf die bekanntesten Artikel Whorfs zu sprechen komme, eben diesen biographischen Hintergrund näher beleuchten.
Danach folgt mit dem vierten Kapitel der umfangreichste Teil dieser Arbeit. Die Kritik an Whorfs zuvor dargestelltem Werk wird hier zum Gegenstand der Betrachtung. Dabei werde ich sowohl Gegner als auch Befürworter der einschlägigen Thesen und Argumente Whorfs zu Wort kommen lassen und versuchen, diese Anmerkungen so anzuordnen, dass daraus logische Argumentationsketten entstehen. Ziel soll es hier sein, den Eindruck einer tatsächlich geführten Debatte zu erwecken, da es, bis auf einige Ausnahmen,4 bisher kaum Literatur zum linguistischen Relativitätsprinzip gibt, die beiden Seiten ausreichend Platz zur Argumentation einräumt.
Im fünften und damit letzten Kapitel werde ich mich abschließend und rückblickend mit den Fragen bezüglich der Rolle von Benjamin Lee Whorf befassen. Warum zog ausgerechnet Whorf mit seinen Veröffentlichungen so viel Aufmerksamkeit auf sich? Zwar zeigt das Relativitätsprinzip eine große Brisanz, doch wurde dies bereits von seinen Vordenkern aufgegriffen. Der polnische Philosoph Adam Schaff schreibt dazu: „Whorf interessiert uns nicht wegen der Originalität seiner Theorie, deren Abhängigkeit von Sapir allgemein bekannt ist [...].“5 Was also genau unterschied ihn von seinen Vordenkern? Und was genau bedeuteten seine Ausführungen sowohl für die Sprachwissenschaft als auch für andere Wissenschaftsgebiete?
2 Die Vordenker Benjamin Lee Whorfs
Um das sprachwissenschaftliche Schaffen Benjamin Lee Whorfs besser einordnen zu können, ist es von Bedeutung, einen Blick auf seine Vordenker zu werfen. Der Gedanke, dass sich Sprache und Kultur gegenseitig beeinflussen, ist nicht neu beziehungsweise wurde nicht zum ersten Mal von Whorf formuliert. Als erstes und bedeutendes Glied in dieser gedanklichen Kette möchte ich Wilhelm von Humboldt erwähnen, der sich mit der Idee der sprachlichen Relativität bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts befasst.
Da Whorf ein Vertreter der amerikanischen Linguistik ist, werde ich mich danach mit Franz Boas beschäftigen. Er gilt als Begründer der modernen amerikanischen Linguistik[6] und weist dennoch Bezug zu den europäischen Wurzeln, zum Beispiel zu Wilhelm von Humboldt, auf. Andere bedeutende europäische Linguisten bleiben für die amerikanische Sprachwissenschaft größtenteils jedoch ohne Einfluss.[7] Als Dritter bleibt Edward Sapir zu erwähnen, der als Schüler Boas die Idee der sprachlichen Relativität weiter fortführt. Gleichzeitig bildet er die Brücke zu Benjamin Lee Whorf, da Sapir wiederum ihn unterrichtet. Whorf selbst sieht sowohl Franz Boas als auch Edward Sapir als Begründer der modernen Linguistik.[8]
2.1 Wilhelm von Humboldt (1767-1835)
Wilhelm von Humboldt als erster Vordenker der sprachlichen Relativität könnte sogleich als Sonderfall bezeichnet werden. So sehr seine Auffassungen eine inhaltliche Ähnlichkeit zu denen Whorfs aufweisen, bleibt unklar, ob Benjamin L. Whorf das sprachwissenschaftliche Werk Humboldts überhaupt kannte. Peter Krausser, der Übersetzer von Whorfs Hauptwerk „Sprache, Denken, Wirklichkeit“, kommt zumindest zu diesem Schluss, da Whorf den irischen Sprachwissenschaftler James Byrne als bedeutendsten Vertreter der Linguistik ansieht, der eine „linguistische Behandlung des Denkens“[9], also einen Zusammenhang von Sprache und Denken, vornimmt. In einer Fußnote bemerkt Krausser diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Diese Ansicht von Whorf kann wohl nur so verstanden werden, daß er das sprachwissenschaftliche und sprachphilosophische Werk Wilhelm v. Humboldts (1767-1835) nicht kannte. Das ist ein beinahe tragisch zu nennender Umstand, denn gerade bei W. v. Humboldt hätte Whorf sehr vieles gefunden, was seiner eigenen Interessenrichtung, Arbeit und Auffassungsweise sehr verwandt ist.“[10]
Tatsächlich wird Wilhelm von Humboldt in den Werken Whorfs in „Sprache, Denken, Wirklichkeit“ an keiner Stelle erwähnt. Obwohl Humboldt also keinen direkten Einfluss auf die Arbeit von Whorf ausübt, kann ein indirekter Einfluss über Boas und Sapir nicht in Abrede gestellt werden. Zudem sind die sprachwissenschaftlichen Ausführungen Humboldts so ausführlich, dass sie in ihrer Verwandtschaft zu Whorf nicht nur als Basis, sondern auch als Ergänzung gesehen werden können.
2.1.1 Zur Person
Wilhelm von Humboldt, der ältere Bruder Alexander von Humboldts, wird am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren. Nach dem Studium in Frankfurt an der Oder und Göttingen, bei dem er sich unter anderem mit Rechtswissenschaften, Philosophie, Geschichte und alten Sprachen befasst, steigt er zunächst in den Staatsdienst ein,[11] welchen er jedoch nach kurzer Zeit wieder verlässt. Auf den Gütern des Vaters seiner Frau Caroline von Dacheröden lässt er sich nieder und pflegt von dort engen Kontakt zu anderen Persönlichkeiten seiner Zeit wie zum Beispiel Friedrich Schiller.[12] „Er lebt als eine Art Privatgelehrter mit mannigfachen Interessen [...]“[13] und unternimmt zahlreiche Reisen, die sein weiteres Schaffen prägen.
„Auf einer Reise nach Frankreich und Spanien, die ihn unter anderem ins Gebiet der Basken führt, gerät er zum ersten Mal in näheren Kontakt mit einer nichtindogermanischen Sprache; die ersten sprachwissenschaftlichen Arbeiten entstehen in dieser Zeit (um 1800).“[14]
1799 beginnt sein Bruder Alexander seine Amerikareise, wodurch Wilhelm dazu angeregt wird, sich mit den amerikanischen Sprachen zu befassen. Vor allem während seines Romaufenthalts (1802-1808) untersucht er die Eingeborenensprachen Amerikas, was ihm durch die Aufzeichnungen und Berichte seines Bruders möglich ist.[15]
Nach weiteren Staatsdiensten (1810 Ernennung zum Staatsminister und Gesandten in Wien; 1813 preußischer Unterhändler auf dem Prager Kongress; 1815 preußischer Vertreter in der Territorialkommission in Frankfurt am Main; ab 1817 Staatsgesandter in England; 1819 bis 1820 Minister für Ständische Angelegenheiten)[16] zieht sich Humboldt 1820 auf sein Schloss in Tegel zurück. Von nun an widmet er sich fast ausschließlich und mit stetigem Ehrgeiz dem Sprachstudium.[17] Während dieser Zeit entsteht auch sein bedeutendstes Werk für die Sprachwissenschaft, die sogenannte Einleitung zum Kawi-Werk, welche den Titel „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“ trägt. Dieses Werk gleicht jedoch weder im Umfang noch in der inhaltlichen Darstellung einer Einleitung, sondern einer eigenständigen Abhandlung.
Einige Humboldtbiographen sehen in der Zeit, die er in Tegel verbringt, die entscheidende Wende hin zur Sprache. Donatelle Di Cesare (1996) formuliert es wie folgt: „Humboldts Interesse an der Sprache ist nicht mehr einem anderen Interesse untergeordnet; die Sprache wird an und für sich selbst betrachtet. Umgekehrt werden Denken und Sein von der Sprache her betrachtet, denn sie haben sich als durch diese bedingt erwiesen.“[18]
Weiterhin führt Di Cesare aus, dass Humboldt einer der ersten ist, der Sprache wegen ihrer selbst untersucht. Für Humboldt steht die Sprache also im Mittelpunkt und nur durch sie können die anderen Disziplinen betrachtet werden.[19]
Detlef Zöllner (1989) betont jedoch in „Wilhelm von Humboldt: Einbildung und Wirklichkeit: Das bildungstheoretische Fundament seiner Sprachphilosophie“ die interdisziplinäre Vorgehensweise und sieht die Sprachuntersuchungen keinesfalls als Mittelpunkt der Humboldt’schen Betrachtungen an: „Er hat es systematisch durchgehalten, auch wenn, rein vom Stoff her, seine spätere Sprachphilosophie einen so viel größeren Raum eingenommen hat. Sein Grundinteresse war und blieb der ganze Mensch.“[20]
2.1.2. Zum sprachwissenschaftlichen Werk
Humboldts ganzheitliches Denken zeigt sich eben gerade in seiner Sprachforschung. Obwohl ihn die Sprachwissenschaft meist eher als einen Sprachphilosophen betrachtet, weisen vor allem seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten auf eine empirische Grundlage hin. Er ist also weder allein der philosophischen noch der rein wissen-schaftlichen Untersuchung der Sprache verbunden, sondern versucht stets, beide Seiten zu vereinen.
„Und diese These, die eine sprachphilosophische Schlußfolgerung aus einem sprachwissenschaftlichen Resultat ist, stellt gleichsam die Quintessenz seiner Methode und der auf seine Anthropologie zurückgehenden Einstellung dar.“[21] Bei der Sprachursprungsfrage gerät jedoch auch Humboldt an die Grenzen der Erklärbarkeit und beantwortet diese daher aus philosophischer Sicht: „Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, müsste er schon Mensch seyn.“[22] Die Sprache spielt für ihn also eine entscheidende Rolle, denn der Mensch zeichnet sich eben durch diese aus. Da Humboldt die Sprache als Bedingung zum Menschsein aufzeigt, ist es ihm nicht möglich, genaue Angaben zum Sprachursprung zu treffen. Schließlich ist ein genauer Ursprung des Menschen ebenso ungreifbar. „Den Begriff einer Ursprache, wenn man nur nichts einzelnes daraus folgern will, kann man indes allerdings ebenso wenig, als den irgend eines Anfangs des Menschengeschlechts zurückweisen [...].“[23] Die Existenz einer allen Menschen gemeinen Ursprache, aus welcher heraus sich alle heutigen Sprachen entwickelt haben, zweifelt Humboldt noch aus einem weiteren Grund an. Für ihn haben sich die verschiedenen Sprachen viel zu sehr gegenseitig beeinflusst als nebeneinanderher entwickelt. „Nur wenn alle Elemente gleichartig, und mit der Sprache eines andren Volks übereinstimmend wären, das heißt, wenn die Sprache nur durch Abzweigung, ohne alle Mischung entstanden wäre, könnte der Begriff der
Abstammung passen.“[24] Da dies jedoch nicht möglich ist und ein Kontakt verschiedener Kulturen auch immer mit einem Austausch der Sprachen einhergeht, ist der Begriff der Sprachabstammung für Humboldt unzulässig. Dennoch betont er stets die Ähnlichkeit der verschiedenen Sprachen. Zwar haben sie keine gemeinsame Wurzel, bedingen sich aber immer und in alle Richtungen gegenseitig, so dass Humboldt sogar von einer gemeinsamen Sprache spricht. Die verschiedenen Sprachen sind für ihn sich stets in Bewegung befindliche Teile eines Ganzen. „In diesem Sinne gibt es nur eine Sprache, wie es nur eine Menschengattung gibt, und aller Unterschied der Rassen weder den Begriff der Menschheit, noch die Möglichkeit regelmäßiger Fortpflanzung aufhebt.“[25]
Wie bereits erwähnt, ist die Sprache für Humboldt eine Bedingung zum Menschsein. Er sieht sie nicht als reines Instrument zur Verständigung, sondern als Organ. Die Funktion dieses Organs besteht darin, sich selbst und die Welt durch Laute zu gestalten.[26] Im September 1800 teilt er Friedrich Schiller diesen Gedanken in einem Brief mit, welcher laut Di Cesare als Geburtsurkunde der Humboldt’schen Sprachphilosophie angesehen werden kann.[27]
Die Sprache hebt also die Einheit von Mensch und Natur auf, indem sie Objekte als Gegenstände und den Menschen selbst als Subjekt bestimmt. Und genau diese Ansicht, dass der Mensch und die Welt, in der er lebt, erst durch die Sprache bestimmt werden, bildet die Basis der später folgenden sprachlichen Relativitätsthese.
Bevor ich diesen Punkt weiter vertiefen möchte, ist es notwendig, zuvor einige Grundannahmen der Humboldt’schen Sprachauffassung näher zu erläutern. Wenn Humboldt den Begriff Sprache gebraucht, so meint er meist ausschließlich das gesprochene Wort oder, wie er es bezeichnet, den „artikulierten Laut“[28]. „Die Sprache liegt nur in der verbundenen Rede, Grammatik und Wörterbuch sind kaum ihrem toten Gerippe vergleichbar.“[29] Humboldt zieht die Rede also jeder schriftlichen Form der Sprache vor, da sie ebenso beweglich und flexibel ist. Für ihn ist Sprache nichts Statisches und selbst der Sprecher reflektiert das gesprochene Wort noch einmal, wenn er es akustisch wahrnimmt. In dem Moment, in dem ein Wort ausgesprochen wird, ist es nicht mehr nur subjektiv, sondern wird zu einem objektiven Ton, der den Sprecher selbst wieder von außen erreicht, indem er in sein Ohr dringt. Dieser artikulierte Laut sei besser geeignet, die gewünschten Einheiten im Denken zu bilden, als das geschriebene Zeichen.[30]
Somit werde ich gleich eine weitere Grundannahme der Sprachauffassung Humboldts betrachten. Sprache vollzieht sich für ihn immer dialogisch, dass heißt, sie besteht aus Anrede und Erwiderung. Diese Form der Rede und Gegenrede passiert, laut Humboldt, sogar in der inneren Form der Rede eines Individuums. „Es liegt aber in dem ursprünglichen Wesen der Sprache ein unabänderlicher Dualismus, und die Möglichkeit des Sprechens selbst wird durch Anrede und Erwiderung bedingt. [...] Der Mensch spricht, sogar in Gedanken, nur mit einem Andren [...].“[31] Die Annahme, dass Sprache (in diesem Fall zwischen mehreren Individuen) eben nicht nur im Sprecher, sondern auch im Hörer generiert wird, führt Humboldt zur Problematik des Verstehens oder anders ausgedrückt zur Einheit von Gemeintem und Verstandenem. Bevor ich darauf weiter eingehe, möchte ich jedoch noch auf den Begriff der Wirklichkeit zu sprechen kommen, der eine entscheidende Rolle für das sprachliche Relativitätsprinzip spielt.
Humboldt stellt bereits eindeutig heraus, dass die Wirklichkeit ein individuell geprägter Begriff ist, der sich bei jedem in unterschiedlicher Erscheinung zeigt. Die absolute Wirklichkeit oder auch objektive Wahrheit besteht für ihn aus vielen Einzelteilen, die ohne jeglichen Bezug zueinander existieren: „Mit dem Begriff des Wirklichen unzertrennbar verbunden ist es, dass jede Erscheinung einzeln und für sich da steht, dass keine als Grund oder Folge von der anderen abhängt.“[32] Diesem Begriff der Wirklichkeit setzt er den Begriff der Einbildungskraft gegenüber, die dem Menschen dazu dient, „[d]as Wirkliche in ein Bild zu verwandeln [...].“[33] Diese Einbildungskraft ist jedoch nicht zwingend ein bewusst eingesetztes Mittel. Vielmehr zeigt sie sich bereits unbewusst bei der Wahrnehmung. Die Sinnesorgane bilden dabei eine Grenze zwischen Außenwelt und Innenwelt und versuchen, stets erstere in zweitere zu verwandeln. Diese Verwandlung vollzieht sich in zwei Stufen, was Humboldt dazu veranlasst, von einem doppelten Abbild zu sprechen. Zuerst wird die Wirklichkeit durch die Sinne abgebildet, was bereits eine erste Interpretation der Wirklichkeit mit sich führt: „Denn nur insofern er entsprechende Organe besitzt, kann eine Aussenwelt für ihn vorhanden seyn.“[34]
Im zweiten Schritt verwandelt der wahrnehmende Mensch diesen Sinneseindruck in eine Assoziationskette, die nicht bewusst gesteuert werden kann. Der Mensch ist also nicht in der Lage, passiv wahrzunehmen, sondern assoziiert ununterbrochen. Dies ist natürlich auch bei Sprecher und Hörer der Fall: „So wie ein Wort ein Object zur Vorstellung bringt, schlägt es auch, obschon oft unmerklich, eine, zugleich seiner Natur, und der des Objects entsprechende Empfindung an, und die ununterbrochene Gedankenreihe im Menschen ist von einer ebenso ununterbrochenen Empfindungsfolge begleitet [...].“[35]
Nun möchte ich wieder auf die Verständnisproblematik zurückkommen, denn eben diese Gedanken- und Empfindungsfolgen sind bei jedem Menschen individuell geprägt. Je nach Erfahrung werden die unterschiedlichsten Assoziationen hergestellt, was die oben erwähnte Einheit von Gemeintem und Verstandenem unmöglich macht. Im Umkehrschluss bedeutet dies gleichzeitig, dass diese Übereinstimmung sich relativ zu den geteilten Erfahrungen verhält. Anders ausgedrückt: Menschen mit ähnlichen Erfahrungen assoziieren auch ähnlich. Auch hier zeigt sich wieder der Ansatz einer sprachlichen Relativität.
Da die Einbildungskraft nicht linear, sondern assoziativ wirkt, können kleinste Unterschiede in den Erfahrungen große Unterschiede im Verständnis bedeuten. Humboldt kommt somit zu dem Schluss: „Keiner denkt bei dem Wort gerade das, was der andere, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wenn man die Sprache mit dem beweglichsten aller Elemente vergleichen will, durch die ganze Sprache. [...] Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nichtverstehen [...].“[36] Da die Funktion der Sprache für Humboldt jedoch nicht ausschließlich in der Vermittlung von Inhalten zu finden ist, betont er die Rolle, die sie für jedes einzelne Individuum spielt. „Ohne daher irgend auf die Mitteilung zwischen Menschen und Menschen zu sehen, ist das Sprechen eine notwendige Bedingung des Denkens des Einzelnen in abgeschlossener Einsamkeit.“[37] Humboldt sieht die Sprache also als Bedingung des Denkens an, da die Sprache, wie bereits aufgeführt, zum einen die Außenwelt und das sprechende Subjekt bestimmt und zum anderen diese durch die grammatische Dimension in Beziehung zueinander stellt. In „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“ zieht Humboldt daraus folgende Konsequenz: „Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken.“[38] Des Weiteren sieht er die Sprache als einzige Möglichkeit für den wahrnehmenden Menschen, Dinge zu reflektieren.
„Die Sprache beginnt daher unmittelbar und sogleich mit dem ersten Act der Reflexion, und so wie der Mensch aus der Dumpfheit der Begierde, in welcher das Subject das Object verschlingt, zum Selbstbewusstseyn erwacht, so ist auch das Wort da - gleichsam der erste Anstoss, den sich der Mensch selbst giebt, plötzlich still zu stehen, sich umzusehen und zu orientieren.“[39]
An dieser Stelle möchte ich nochmals darauf verweisen, dass Humboldt das gesprochene Wort bevorzugt. Erst wenn ein Gedanke ausgesprochen wurde, ist er wirklich und in aller Konsequenz gedacht worden. Vorher ist er nicht direkt greifbar und würde vorüberziehen.[40] Zwar schließt er die Möglichkeit der rein inneren Form der Sprache nicht aus: „Daß die Sprache wirklich ganz innerlich ist, und auch ohne Lauthervorbringung und Vermehrung möglich bleibt, lehrt das Beispiel der Taubstummen.“[41], unterscheidet jedoch offensichtlich zwischen der Qualität eines rein innerlichen Gedankens gegenüber einem ausgesprochenen Gedanken.
„Die intellektuelle Tätigkeit, durchaus geistig, durchaus innerlich und gewissermaßen spurlos vorübergehend, wird durch den Laut in der Rede äußerlich und wahrnehmbar für die Sinne. Sie und die Sprache sind daher eins und unzertrennlich voneinander. Sie ist aber auch in sich an die Notwendigkeit geknüpft, eine Verbindung mit dem Sprachlaute einzugehen; das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen, die Vorstellung nicht zum Begriff werden.“[42]
Sprache und Denken sind für Humboldt folglich insofern eng miteinander verknüpft, als dass das eine das andere bedingt. Im Hinblick auf die bereits erwähnte Sprachursprungsproblematik lässt sich Humboldt dennoch nicht dazu verleiten, das eine als „Erzeugende“ und das andere als „Erzeugte“[43] anzusehen.
Genau diese gegenseitige Einflussnahme von Sprache und Kognition ist eine Grundvoraussetzung für die sprachliche Relativität. Folgendes Zitat Wilhelm von Humboldts kommt dabei dem Relativitätsprinzip von Benjamin Lee Whorf unglaublich nah: „Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens, und des Wortes von einander leuchtet es klar ein, dass die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst. Hierin ist der Grund, und der letzte Zweck aller Sprachuntersuchung enthalten.“[44]
Vor allem die grammatikalischen Kategorien beeinflussen dabei stark die jeweilige Weltansicht und bilden für Humboldt so gleichzeitig einen Ausdruck der „geistigen Eigenthümlichkeit der Nationen“.[45] Das heißt, Humboldt betont auch hier wieder die gegenseitige Einflussnahme: zum einen formt die Sprache die Weltansicht, indem sie assoziiert, ordnet und kategorisiert und zum anderen ist die Sprache gleichzeitig Spiegel der Welt selbst, da sie vor allem in der lexikalischen Dimension versucht, diese nachzubilden. Die verschiedenen Sprachen sind daher sowohl Ausdruck als auch produktive Kraft einer jeden subjektiven Erkenntnis (Weltansicht). Im Gegensatz zu anderen Sprachwissenschaftlern ist dies für Humboldt jedoch kein negativer Umstand.
„Die Summe des Erkennbaren liegt, als das von dem menschlichen Geiste zu bearbeitende Feld, zwischen allen Sprachen, und unabhängig von ihnen, in der Mitte; der Mensch kann sich diesem rein objectiven Gebiet nicht anders, als nach seiner Erkennungs- und Empfindungsweise, also auf einem subjectiven Wege, nähern.“[46] Da der Mensch die Welt also sowieso nicht objektiv wahrnehmen kann, ist für Humboldt die Sprachenvielfalt eine Notwendigkeit auf dem Weg der Erkenntnis. Der Grad der Objektivität richtet sich daher danach, wie viele subjektive Wege bekannt sind und die Verschiedenheit zeigt sich erneut in Form von Einzelteilen eines Ganzen: „Denn alle Sprachen zusammengenommen ähneln einem Prisma, bei dem jede Fläche die Welt in einem unterschiedlichen Farbton zeigen würde.“[47] Die Sprachenvielfalt bedeutet für Wilhelm von Humboldt also mehr Segen als Fluch.[48] Trotz der Möglichkeit, durch das Erlernen einer anderen Sprache seine Erkenntnis zu erweitern, bleibt jeder Mensch seiner Muttersprache und damit einer bestimmten Weltansicht verhaftet.
„[...] und jede [Sprache] zieht um das Volk, welchem sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist, als man zugleich in den Kreis einer andren hinübertritt. Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht seyn und ist es in der That bis auf einen gewissen Grad, da jede Sprache das ganze Gewebe der Begriffe und die Vorstellungsweise eines Theils der Menschheit enthält. Nur weil man in eine fremde Sprache immer, mehr oder weniger, seine eigne Welt-, ja seine eigne Sprachansicht hinüberträgt, so wird dieser Erfolg nicht rein und vollständig empfunden.“[49]
Um dieser Gefahr möglichst aus dem Weg zu gehen, beschäftigt sich Humboldt auch mit Sprachen, die nicht mit der indogermanischen Sprachfamilie verwandt sind. Besonderes Interesse finden dabei die amerikanischen Eingeborenensprachen, deren Betrachtung eine weitere Parallele zur sprachwissenschaftlichen Arbeit Whorfs darstellt. Humboldt zeigt sich zunächst beeindruckt von der Andersartigkeit der Indianersprachen: „Die unübersehbare Menge von Stämmen, Horden und Familien vom obersten Norden bis zum untersten Süden des ausgedehnten Weltteils sind, solange wir die Geschichte desselben kennen, bis auf die europäische Unterjochung frei von fremden Einfluss, nur durch sich selbst in Gärung ihrer Kräfte geraten, und haben sich nur ihre Eigentümlichkeiten mitgeteilt.“[50]
Nach längerer Beschäftigung stellt er jedoch fest, dass auch diese Sprachen minder fremdartig sind. Im Gegenteil, die anfängliche Begeisterung schwindet und Humboldt trifft sogar Aussagen zur Wertigkeit der Indianersprachen: „[...] allein der Mangel alphabetischer Schrift und mithin eigentlicher Literatur stellt doch alle, ohne Ausnahme, auf einer niedrigen Stufe gleich.“[51]
Diese Wertigkeit und die damit einhergehende Überlegenheit der europäischen Sprachen betont Humboldt auch gegenüber anderen von ihm untersuchten Sprachen. So steht beispielsweise das Chinesische den europäischen Sprachen in ihrer Wertigkeit nach, da der Sprachgebrauch dort auf ein Minimum reduziert sei, die Güte einer Sprache jedoch davon abhänge, wie geschwätzig ein Volk ist.[52] Der Humboldtbiograph Philip Mattson beurteilt diesen Sachverhalt wie folgt: „Nun aber macht Humboldt auch noch selbst eine Art Rückzieher und betont mehrfach die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Sprachen. Damit scheint seine eigene Einstellung zur Überlegenheitsthese ambivalent zu sein, diese Zwiespältigkeit spiegelt aber einen Konflikt zwischen den Ebenen der Ethik und des Intellekts wider.“[53]
Nach der Betrachtung der Humboldt’schen Sprachauffassung möchte ich nun abschließend die Anforderungen an die Sprachwissenschaft, die er im Laufe seiner Arbeit formulierte, darlegen. Dazu sei zunächst erwähnt, dass er die Sprachwissenschaft in drei verschiedene Bereiche teilt:[54] Zum Ersten die allgemein vergleichende Sprachwissenschaft, welche die Verwandtschaft zwischen den Sprachen untersucht, zum Zweiten die allgemein philosophische Sprachuntersuchung, welche die Sprache immer in Hinblick auf die Nation und die Weltansicht betrachtet und zum Dritten die historische Sprachwissenschaft, die sich mit der Sprachabstammung beziehungsweise mit dem Sprachursprung beschäftigt. Bei der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit einer Sprache ist es für ihn erstrebenswert, alle drei Gesichtspunkte zu untersuchen. Dies geschieht immer mit der Absicht, sich der objektiven Wahrheit zu nähern und herauszufinden, „auf welche verschiedene Weise der Mensch die Sprache zu Stande brachte, und welchen Theil der Gedankenwelt es ihm gelang in sie hinüberzuführen? wie die Individualität der Nationen darauf ein, und die Sprache auf sie zurückwirkte?“[55]
Die Schwierigkeit liegt darin, sich dabei weitest möglich von der eigenen Weltansicht zu lösen. Humboldt vergleicht dies mit einer Wolke „welche den Gipfel eines Berges deckt, wohl von fern eine feste Gestalt zeigt, aber in Nebel zerfließt, so wie man in dieselbe hineintritt.“[56] Die Aufgabe des Sprachwissenschaftlers liegt eben darin, so weit wie möglich aus dieser Wolke herauszutreten.
2.2 Franz Boas (1858-1942)
Als zweites Glied in der Gedankenkette der sprachlichen Relativität möchte ich Franz Boas nennen, der als Verbindung zwischen europäischer und amerikanischer Linguistik bezeichnet werden kann. Bevor ich auf sein sprachwissenschaftliches Werk eingehe, werde ich mich zunächst auch hier wieder mit der Person näher befassen, um sein Schaffen besser einordnen zu können.
2.2.1. Zur Person
Franz Boas, der am 9. Juli 1858 in Minden/Westfalen geboren wird, entwickelt bereits während seiner Zeit am Gymnasium ein außerordentliches Interesse für Natur-wissenschaften, vor allem für die Fächer Physik und Biologie. Sein sprachliches Talent sollte sich hingegen erst später zeigen - im Fach Französisch wäre er beinahe durch das Abitur gefallen.[57]
Obwohl er sich auch der Geographie verbunden fühlt, studiert er zunächst Chemie und Physik und promoviert 1881 an der Holstein Universität in Kiel. Während seines letzten Studienjahres wird Theobald Fischer zum Professor für Geographie an der Kieler Universität ernannt und Boas Interesse, vor allem jenes an der kulturgeschichtlichen Ausrichtung des Fachs, wächst. Neben den naturwissenschaftlichen Grundlagen befasst er sich auch in geisteswissenschaftlicher Hinsicht mit diesem Forschungsgebiet, was ihm später oft als Ambivalenz vorgeworfen wird. „Auf der Suche nach wissen-schaftlicher Erkenntnis bewegte er sich [...] zwischen den beiden Polen eines phänomenologischen Empirismus und eher deduktiv-generalisierender Denkansätze.“[58]
Es zeigt sich also bereits in der Vorgehensweise von Franz Boas eine Verbindung zu Wilhelm von Humboldt, der sich ebenfalls weder rein sprachwissenschaftlich noch rein sprachphilosophisch orientiert.
Nach Abschluss seines Studiums geht Boas 1882 nach Berlin und beginnt dort, Vorbereitungen für seine erste Forschungsreise zu treffen. Ziel dieser Reise soll es sein, den Einfluss der Beschaffenheit des Landes auf das Verhalten des Menschen zu untersuchen.[59] Aufgrund des anstehenden Internationalen Polarjahres soll ihn diese Reise in die Arktis führen und so befasst er sich im Zuge seiner Vorbereitungen[60] auch mit der Sprache Inuktitut.
Während der eigentlichen Expedition sammelt er neben wissenschaftlichen Daten (kartographische und meteorologische Aufzeichnungen, Gezeitenmessungen)[61] auch Informationen zu den Migrationsbewegungen und zur Geschichte der Inuit. „Besondere Aufmerksamkeit widmete Boas bereits der Aufzeichnung von Erzählungen und Mythen, obgleich dies ursprünglich nicht seinem eigentlichen Forschungsziel entsprach. [...] Während dieser Zeit [der gesamten Expedition] vollzog sich sein endgültiger Übergang von den Naturwissenschaften über die Geographie zur Ethnologie als seinem zukünftigen Forschungsschwerpunkt.“[62]
1885 stellt er in Berlin die Ergebnisse seiner Reise vor und ist erstaunt über die begeisterte Aufnahme, da er selbst die Expedition als weniger erfolgreich ansieht. Während seines Deutschlandaufenthalts stellen sich zeitgleich die Weichen für seine spätere Arbeit durch die Begegnung mit einer Gruppe von Bella-Coola-Indianern, die für die Hagenbeck’schen Völkerschauen in Berlin auftreten. Diese Begegnung lenkt sein Forschungsinteresse auf die Indianerkulturen der Nordwestküste der USA. Den kurzen Aufenthalt der Gruppe nutzt Boas für sprachwissenschaftliche Studien. Im Jahr darauf habilitiert er an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität (der heutigen Humboldt-Universität) im Fach Geographie. „Nach Abschluß seiner Habilitation im Juni 1886 hielt Boas nichts mehr in Berlin. Er sagte seine bereits angekündigten Vorlesungen ab und machte sich auf den Weg nach Amerika, um die Verwirklichung seiner angestrebten Forschungen dort selbst in die Hand zu nehmen.“[63]
Aufgrund des spezialisierten Forschungsgebietes bekommt Boas zunächst eine Anstellung als Leiter der Fachzeitschrift „Science“. Später beauftragt die „British Association for the Advancement of Science“ Boas mit einer Forschungsreise in den Nordwesten, um Wörterverzeichnisse der dortigen indianischen Sprachen zu erstellen. 1891 gelangt er an eine Dozentur an der Clark University, 1896 bekommt er eine Stelle am „Museum of Natural History“ in New York, doch beides ist nicht von langer Dauer: „Jene Episode war symptomatisch für die sich wiederholenden Einbrüche in Boas’ beruflicher Laufbahn, da er sich in der Regel schwer tat, Autoritäten anzuerkennen, die sich nicht als solche durch fachliche Kompetenz ausweisen konnten.“[64]
Boas konzentriert sich fortan auf seine Tätigkeit an der Columbia University, an der er bereits seit 1896 lehrt und seit 1899 eine Professur für Anthropologie besitzt. Zu den ersten graduierten Studenten zählt unter anderem Edward Sapir.[65] Am 21. Dezember 1942 stirbt Franz Boas im Kreise seiner Kollegen der Columbia University während eines Essens zu Ehren des Anthropologen und französischen Widerstandskämpfers Paul Rivet, der kurze Zeit zuvor aus Europa eingetroffen war.
2.2.2. Zum sprachwissenschaftlichen Werk
In seinem Werk „Das Geschöpf des sechsten Tages“, welches Boas 1921 verfasst, zeigt sich bereits seine Grundhaltung gegenüber der Sprachwissenschaft: „Die Vielfalt sprachlicher Formen und die Langsamkeit, mit der entscheidende Veränderungen der sprachlichen Struktur vor sich gehen, führen gleichfalls zu dem Schluß, daß das geistige Leben des Menschen, so wie es sich in der Sprache manifestiert, ein hohes Alter besitzen muss.“[66]
Boas sieht also wie Humboldt einen engen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken, untersucht erstgenannte jedoch weniger um ihrer selbst Willen, sondern, um andere anthropologische Dimensionen wie das Denken zu ergründen. „Da sich die Grundformen der Sprache durch lange Perioden hindurch erhalten haben, kann uns die Sprache in die Frühgeschichte menschlichen Denkens zurückführen.“[67] Boas sieht es daher als Notwendigkeit an, sich innerhalb ethnologischer Forschungen auch immer mit der jeweiligen Sprache zu befassen.[68] Um die Migrationsbewegungen der Inuit nachzuverfolgen, lässt er sich beispielsweise kulturspezifische Mythen von verschiedenen Personen erzählen, „um der Verbreitung und eventuellen Varianten auf die Spur zu kommen“[69]. Boas misstraut dabei der Beobachtungsgabe Außenstehender, so auch seiner eigenen, weshalb er seine Informationen direkt aus den Schilderungen der Indianer bezieht. Er verzichtet bei seinen Forschungsreisen auf jede Form der Interpretation, um die Objektivität seiner Ergebnisse nicht zu gefährden.
In Bezug auf die Dimensionen Sprache und Weltansicht denkt auch Boas bereits relativistisch: „Sprachen unterscheiden sich nicht nur im Charakter ihrer konstitutiven lautlichen Elemente und Lautkombinationen, sondern auch in den Gruppen von Ideen, die ihren Ausdruck in festen Lautgruppen finden.“[70] In diesem Zitat zeigt sich eine enge Verbindung zu Humboldts Auffassung: „Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst.“[71]
Diese Ideengruppen, von denen Boas spricht, lassen sich durchaus mit Humboldts Begriff der Weltansicht vergleichen, auch wenn Boas nicht der Meinung ist, dass diese sich allein bedingt durch die Sprache gestalten. Der Linguist Iwar Werlen beurteilt daher Boas’ Ansicht wie folgt: „Boas’ Sprachauffassung verbindet so die beiden Größen Sprache und Kultur, nicht als direkt voneinander abhängig, aber letztlich grundsätzlich durch die gleichen zugrundeliegenden Faktoren konstituiert.“[72]
Boas führt weiterhin aus, dass Sprache klassifiziert, um die Gesamtheit der Erfahrungen durch eine begrenzte Anzahl von Wortstämmen ausdrücken zu können. Zwar seien die Möglichkeiten einer jeden Sprache unbegrenzt, der Mensch aber nicht in der Lage, von diesem unbegrenzten Vorrat Gebrauch zu machen, weshalb er sein Sprachvermögen immer auf einer gewisse Anzahl der Wortstämme reduziere.[73] „In den einzelnen Kulturen können diese Klassifizierungen auf grundsätzlich verschiedenen Prinzipien beruhen. Eine Kenntnis der Kategorien, unter die in den verschiedenen Kulturen die Erfahrungen klassifiziert werden, wird uns daher helfen, ein Verständnis früher psychologischer Prozesse zu gewinnen.“[74] Die Klassifizierungen sieht Boas weniger in der grammatischen Dimension als vielmehr in Bezug auf die Wortstämme, die sich verschiedene Begriffe teilen. Generell lässt sich sagen, dass sich Boas in seiner gesamten Sprachauffassung eher auf den Einfluss zwischen der lexikalischen Sprachdimension und der jeweiligen
Kultur bezieht. Beispielsweise erwähnt er, dass sich die Auswahl einfacher Begriffe danach bestimmt, welche Hauptinteressen ein Volk vertritt:
„Dort, wo es notwendiger ist, bestimmte Erscheinungen von verschiedenen Aspekten her, die im Leben des Volkes eine selbstständige Rolle spielen, zu unterscheiden, entwickeln sich mehrere selbstständige Worte, während in anderen Fällen vielleicht Abwandlungen des gleichen Ausdrucks genügen.“[75]
Dieses Zitat verdeutlicht, dass Boas die verschiedenen Sprachen und Kulturen als gleichwertig betrachtet. Laut Boas ist jede Kultur fähig, ihre Sprache danach zu gestalten, was sie auszudrücken gewillt ist. Demnach ist jede Sprache am besten auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kultur angepasst und keine Sprache besser oder schlechter als eine andere.[76]
Dies ist auch der Grund dafür, warum er die Sprachen nicht vergleichend, sondern aus ihnen selbst heraus begründen möchte. Er bemängelt, dass die meisten europäischen Linguisten bei der Erforschung außergewöhnlicher Sprachen diese immer innerhalb der Kategorien ihrer Muttersprachen erforschen: „Grammarians who have studied the languages of Europe and western Asia have developed a system of categories which we are inclined to look for in every language.“[77] Genau hierin erkennt man das Prinzip der sprachlichen Relativität und den Bezug zu Wilhelm von Humboldt, der bereits heraus-stellt, dass man immer den Kategorien seiner Muttersprache verhaftet bleibt.
Franz Boas gilt als Begründer der amerikanischen Linguistik, was hauptsächlich der Erforschung der Indianersprachen geschuldet ist. Sein Werk „durchziehen zwei Grundgedanken: der Hinweis, daß die traditionellen, in Europa für die ide. [indoeuropäischen] Sprachen entwickelten Methoden nicht auf die Indianersprachen übertragen werden dürfen, und die humanistische These, daß es keine rückständigen Völker und keine rückständigen Sprachen gibt.“[78] Diese Einstellung schlägt sich später auch in den sprachwissenschaftlichen Werken von Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf nieder.
2.3. Edward Sapir (1884-1939)
Abschließend werde ich mich nun mit Edward Sapir befassen, der, wie bereits erwähnt, ein Student Franz Boas war und in gewisser Weise als Privatlehrer von Whorf bezeichnet werden kann.
2.3.1. Zur Person
1884 wird Edward Sapir im vormals deutschen Lauenberg (heute Lepork in Polen) geboren.[79] Bereits kurz nach seiner Geburt wanderten seine Eltern mit ihm nach Liverpool und anschließend in die USA aus.
Er beginnt das Studium der germanischen Philologie an der Columbia University in New York, welches er 1905 mit einer Arbeit über Herders „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“ abschließt. Durch den Einfluss von Franz Boas, der zu diesem Zeitpunkt an der Columbia Universität lehrt, wendet er sich nun auch den Sprachen der amerikanischen Indianer zu. Schließlich reicht er 1909 seine Dissertation über die Indianersprache „Takelma“ ein. 1921 verfasst er sein Hauptwerk „Language“, welches erst 1961 unter dem Titel „Die Sprache“ in Deutschland verlegt wird.
2.3.2. Zum sprachwissenschaftlichen Werk
In „Die Sprache“ zeigt Sapir bereits 1921 auf, dass eben diese rein zivilisatorisch bedingt wird und nicht, wie von anderen Wissenschaftlern vermutet, angeboren ist. „Die Sprache dagegen ist eine allen Menschen eigene Tätigkeit, deren unterschiedlichen Ausführung durch die einzelnen Sprachgemeinschaften keine erkennbaren Grenzen gesetzt sind; denn die Sprache ist das rein historisch bedingte Erbe einer solchen Gemeinschaft, das Ergebnis lang andauernden Gemeingebrauchs.“[80]
Sapir sieht daher auch keinen Zusammenhang zwischen Sprache und den sogenannten Interjektionen (instinktive Lautäußerungen, zum Beispiel Schmerzlaute), da diese auch manchen Tieren gemein sind.[81] Die Organe für die Sprachbildung sind folglich auch nicht dafür gedacht, so wie die Finger auch nicht als „Klavierspielorgane“[82] bezeichnet werden können.
Im Gegensatz zu Humboldt und Boas, die sich nicht festlegen wollen, ob Sprache oder Zivilisation[83] zuerst gebildet wurde, sieht Sapir erstgenannte als Bedingung an: „Ich neige zu der Annahme, daß die Sprache älter ist, als selbst die allerprimitivsten Anfänge jeder Zivilisation, daß im Gegenteil diese Anfänge gar nicht möglich waren, ehe nicht in der Sprache ein wirksames Ausdrucksmittel zur Verfügung stand.“[84] Die inhaltliche Verwandtschaft zu Humboldt und Boas zeigt sich deutlicher beim Verhältnis von Sprache und Denken, welches Sapir wie folgt beschreibt: „Auf keinen Fall besteht, wie naiverweise oft angenommen wird, die Funktion der Sprache darin, bereits fertige Gedanken mit einem Namensschild zu versehen. [...] Denken wäre dann - in seiner Entwicklung sowohl wie im täglichen Gebrauch - genauso wenig ohne die Sprache vorstellbar, wie Mathematik ohne das Hilfsmittel geeigneter Symbole möglich ist.“[85]
Sapir betont ebenfalls den assoziativen Charakter der sprachlichen Wahrnehmung, das heißt, dass ein Sprachelement (Wort) „ein mit Tausenden von Erfahrungen gefülltes und zur Aufnahme weiterer Tausende von Erfahrungen fähiges Gedankenschubfach“[86] öffnet. Ähnlich wie Humboldt sieht auch er hier den Schlüssel zur Verständ-nisproblematik: „Wechselseitige Verständigung, der eigentliche Zweck der Sprache, kommt ja erst dann zustande, wenn der Hörer seine akustischen Wahrnehmungen in die sinnentsprechende, vom Sprecher gewollte Kette von Vorstellungen oder Gedanken übersetzt.“[87]
Die am wenigsten veränderte Form des Sprachaktes stellt somit für Sapir das Selbstgespräch dar, welches den direkten Zusammenhang zwischen Sprache und Denken verdeutlicht. Im Gegensatz zu Humboldt sieht er jedoch auch die Möglichkeit des Sprachgebrauchs ohne Artikulation. Daher nennt er das normale Denken, bei dem keine Laute geäußert werden, „stummes Sprechen“[88].
In Bezug auf den Zusammenhang von Sprache und Weltansicht[89] zeigen sich große Unterschiede zwischen den früheren und späteren Veröffentlichungen Edward Sapirs. Zwar betont er die Verschiedenheit der Sprachen: „Selbstverständlich sind in der Sprache der Primitiven die abstrakten Begriffe bei weitem nicht so voll entwickelt. Auch fehlt dort die weitverzweigte Terminologie und der Wortschatz für elegante Nuancierungen, wie sie eine höhere Kultur mit sich bringt [...]. Viele der primitiven Sprachen besitzen [aber] einen Formenreichtum und eine Ausdrucksfülle, die alles, was uns von den modernen Kultursprachen her bekannt ist, in den Schatten stellt.“[90]
Sapir sieht diese Verschiedenheiten in „Die Sprache“ jedoch in keinem Zusammenhang mit der jeweiligen Weltansicht. Er verneint diesen Zusammenhang, da Vertreter der gleichen Kultur nicht zwangsläufig die gleiche Sprache sprechen müssen. Sapir führt dazu Beispiele von den Indianerstämmen an, bei denen klar wird, dass sein Begriff der Kultur an dieser Stelle nicht gleichzusetzen ist mit dem Humboldt’schen Begriff der Weltansicht. So unterscheidet er die Kulturen nach ihren Handlungen und weniger nach Einstellungen und führt daher die Büffelzüchter, Jäger und Zeremonienmeister als Anhänger unterschiedlicher Kulturen an.[91]
In seinen späteren Veröffentlichungen zeigt sich hingegen ein deutlicher Bezug zum sprachlichen Relativitätsprinzip. 1929 schreibt Sapir in dem Artikel „The Status of Linguistics as a Science“ zum Verhältnis von Sprache und Weltansicht: „Tatsächlich ist es so, dass die ‚wirkliche Welt‘ zu einem großen Teil unbewusst auf den Sprach- gewohnheiten der betreffenden Gruppe aufgebaut ist. Keine zwei Sprachen sind einander je genügend ähnlich, um die gleiche gesellschaftliche Wirklichkeit repräsen-tieren zu können.“[92] Mit diesem Zitat ist Edward Sapir der Vordenker, der Whorf in der Formulierung seines Relativitätsprinzips am nächsten kommt. Genau wie später Whorf verdeutlicht er hier, dass die Sprache die gesellschaftliche Realität formt und die Sprachen zu verschieden sind, als dass dabei dieselben Realitäten zum Ausdruck kommen könnten. Im Gegensatz zu Humboldt bewertet Sapir diesen Einfluss der Sprache negativ, er spricht davon, dass der Mensch seiner Sprache „ausgeliefert“[93] ist und dieser Umstand die objektive Welt für den Menschen verschließt. Er sieht eine große Gefahr darin, „dass ihre Form für uns bestimmte Arten der Beobachtung und Interpretation vorherbestimmt. Das heißt natürlich, dass wir lernen müssen, die Implikationen der Sprache zu bekämpfen, soweit unsere wissenschaftliche Erfahrung zunimmt.“[94]
Anders als Humboldt, der erst in der Verschiedenheit der Sprachen die Möglichkeit sieht, der objektiven Wahrnehmung näherzukommen, spricht Sapir hier von der Sprache als unbewussten Einfluss, den es zu bekämpfen gilt. An späterer Stelle des gleichen Artikels schränkt er diese Aussage jedoch wieder ein: „Sprache hilft und behindert uns gleichzeitig in unserer Erforschung der Erfahrung, und die Einzelheiten dieses Geschehens von Hilfe und Hinderung sind niedergelegt in den feineren Bedeutungen verschiedener Kulturen.“[95]
Ähnlich zu Boas stellt auch Sapir heraus, dass die Sprache selbst stark von der Kultur beeinflusst wird: „Der Inhalt jeder Kultur wird in ihrer Sprache ausgedrückt [...]“[96], was die Sprache zum bereits erwähnten Hilfsmittel auszeichnet, um eine fremde Kultur zu begreifen.
3 Benjamin Lee Whorf - Person und Werk
„Der Name von Benjamin Lee Whorf wird [...] faktisch identisch gesetzt mit dem Prinzip der sprachlichen Relativität.“[97]
Dieser Umstand erscheint umso erstaunlicher, wenn man die Werke von Humboldt, Boas und Sapir betrachtet. Bevor ich im fünften Kapitel näher auf diesen Sachverhalt eingehen werde, ist es notwendig, die sprachphilosophischen Arbeiten von Whorf näher zu betrachten. In Anlehnung an das zweite Kapitel folgen zunächst jedoch noch grundlegende biografische Angaben.
3.1 Zur Person
Benjamin Lee Whorf wird am 24. April 1897 in Winthorp, Massachusetts, geboren. Nachdem er dort bis 1914 die Schule besucht, studiert er anschließend an der „berühmtesten Technischen Hochschule“[98] der Vereinigten Staaten, dem Massachusetts Institute of Technology. 1918 schließt er das Studium der angewandten Chemie (Chemical Engineering) mit dem Bachelor of Science ab. Ein Jahr darauf nimmt er an einem Ausbildungsgang zum Experten für Brandverhütung bei der Hartford Fire Insurance Company teil und bleibt nach Abschluss des Kurses bei der Versicherungsgesellschaft. Insgesamt steht er 22 Jahre, also bis zu seinem Tod 1941, im Dienste dieser Firma. 1924 befasst sich Whorf aufgrund seiner Berufserfahrung zum ersten Mal wissenschaftlich mit der Sprache, worauf ich später näher eingehen möchte.[99] Der Herausgeber der englischen Originalausgabe von „Sprache, Denken, Wirklichkeit“ („Language, Thought and Reality“), John B. Carroll, diagnostiziert bei Whorf eine „pathologische Schreibwut“[100], was sich in seinen zahlreichen Veröffentlichungen widerspiegelt. Obwohl ihm der linguistische Hintergrund fehlt, hält er Vorträge in Fachkreisen und veröffentlicht seine Artikel in renommierten Fachzeitschriften.
Sein weit gefächertes wissenschaftliches Interesse führt ihn zur Auseinandersetzung mit der hebräischen Sprache. In diesem Zusammenhang liest er „Langue hébraïque restituée“ von Antoine Fabre d´Olivet, was ihn dazu inspiriert, auch die amerikanischen Eingeborenensprachen neu zu analysieren. 1930 unternimmt er zu diesem Zweck seine erste Forschungsreise nach Mexiko, bei der er sich mit der Entzifferung von Maya-Hieroglyphen befasst.
Beim 23. Internationalen Amerikanistenkongress 1928 begegnet er erstmalig Edward Sapir, der zu diesem Zeitpunkt noch in Chicago lehrt. Als dieser 1931 aufgrund einer Professur an der Yale Universität nach New Haven übersiedelt, intensiviert sich der Kontakt.[101] Whorf schreibt sich bereits für die erste Vorlesung Sapirs im Herbst 1931 ein. Obwohl er offiziell nicht an der Yale Universität immatrikuliert ist, wird Whorf dennoch als Schüler Sapirs bezeichnet.[102] Durch ihn beschäftigt sich Whorf intensiv mit der indianischen Linguistik, seit 1932 vor allem mit der Hopi-Sprache, was ihm 1937/38 einen Lehrauftrag für uto-aztekische Sprachen ermöglicht. „[...] es ist interessant zu sehen, dass Whorf, der keine formalen Voraussetzungen für einen solchen Lehrauftrag hatte, [...] für den Kurs ausgewählt wurde, weil er fähig sei, den Studierenden der Ethnologie die sprachwissenschaftliche Seite lebendig näher zu bringen.“[103]
Nachdem er seine Erkenntnisse zum Hopi zunächst ausschließlich auf die Berichte eines Sprechers[104] dieser Indianersprache stützt, wird es ihm 1938 möglich, für kurze Zeit in die Hopi-Reservation nach Arizona zu reisen.
Seine Auftritte bei Linguistik-Kongressen und seine Publikationen in den bedeutendsten Fachzeitschriften („American Anthropologist“ und „International Journal of American Linguistics“) machen ihn als Spezialisten für amerikanische Indianersprachen bekannt und angesehen.[105]
„In seinen späteren Jahren wurden ihm verschiedentlich akademische Positionen und Stellungen mit reinen Forschungsaufgaben im Gebiet der Linguistik und Kulturanthropologie angeboten, die er jedoch zugunsten freier Verfolgung seiner zahlreichen wissenschaftlichen Interessen ausschlug.“[106]
[...]
1 Werlen 2002: 201
2 An dieser Stelle kann das Prinzip nicht näher erklärt werden, da die verschiedenen Autoren sich inhaltlich unterscheiden. Nähere Erläuterungen finden sich daher direkt bei den Abhandlungen zu Humboldt, Boas, Sapir und Whorf.
3 Werlen 1989: 143
4 Als Ausnahmen sind sowohl die Werke von Werlen als auch die von Gipper und Seebaß zu nennen.
5 Schaff 1964: 79
6 vgl. Bartschat 1996: 129
7 vgl. ebd.: Bartschat erwähnt beispielsweise, dass die amerikanische Linguistik weitestgehend von den Einflüssen Ferdinand de Saussures unberührt bleibt.
8 „Franz Boas und Edward Sapir, die Begründer der modernen Linguistik“ lautet auch eine Überschrift in seinem Buch „Sprache, Denken, Wirklichkeit“. (Whorf 1963g: 124)
9 Whorf 1963g: 123
10 Krausser in ebd.: 123
11 vgl. Berglar 1970: 26ff.
12 vgl. Werlen 2002: 131
13 ebd.: 131
14 ebd.: 131f.
15 vgl. Di Cesare 1996: 275
16 vgl. Berglar 1970: 160f.
17 vgl. Schneider 1995: 11
18 Di Cesare 1996: 278
19 vgl. ebd.: 278
20 Zöllner 1989:77
21 Mattson 1987: 186f.
22 Diese Schlussfolgerung wird in der Philosophie auch als hermeneutischer Zirkel bezeichnet. (vgl. Humboldt in Gipper 1987: 63f.)
23 Humboldt 2004: 63
24 ebd.: 62
25 ebd.: 63f.
26 vgl. Di Cesare 1996: 279
27 vgl. ebd.: 279
28 Humboldt 2004: 44
29 Humboldt in Di Cesare 1996: 285
30 vgl. Gipper 1987: 60
31 Humboldt 1963b: 137f.
32 Humboldt 1986: 139
33 ebd.: 137
34 ebd.: 145
35 Humboldt 1963a: 17
36 Humboldt 2004: 66
37 ebd.: 46
38 Humboldt 1949: 52
39 Humboldt in Gipper 1987: 56
40 vgl. Borsche 1987: 207
41 Humboldt 2004: 44f.
42 Humboldt 1949: 52f.
43 Humboldt 2004: 44; Gemeint ist hier erzeugende und erzeugte Kraft. 13
44 Humboldt 1963a: 19f.
45 Humboldt in Werlen 2002: 146; Laut Werlen ist die Betonung des grammatikalischen Einflusses zu Beginn seiner Arbeit noch nicht so ausgeprägt und erfolgt erst durch die Auseinandersetzung mit vielen Fremdsprachen. (vgl. Werlen 2002: 147)
46 Humboldt 1963a: 20
47 Humboldt 2004: 199
48 Dies bezieht sich auf Hoberg, der herausstellt, dass der Turmbau zu Babel oft als Fluch oder Strafe interpretiert wurde, obwohl dies laut Bibeltext an keiner Stelle direkt erwähnt wird. (vgl. Hoberg1987: 218)
49 Humboldt 1963c: 434
50 Humboldt 2004: 33
51 ebd.: 34
52 vgl. Humboldt 2004: 47
53 Mattson 1987: 185
54 vgl. Werlen 2002: 134f.
55 Humboldt 1963a: 7
56 Humboldt 1973: 7
57 vgl. Kasten 1992: 8
58 ebd.: 9
59 vgl. ebd.: 10
60 Um seine Expedition zu finanzieren, verpflichtet er sich beim Berliner Tageblatt eine 15teilige Artikelserie während seiner Zeit in der Arktis zu verfassen. (vgl. Kasten 1992: 11)
61 vgl. ebd.
62 ebd.: 12
63 ebd.: 15
64 ebd.: 17
65 vgl. ebd.: 24ff.
66 Boas 1955: 185
67 ebd.: 185
68 vgl. 2.1; Wilhelm von Humboldt sah es eher umgekehrt.
69 Dürr 1992: 104
70 Boas in Werlen 2002: 179 (Übersetzung durch Iwar Werlen)
71 vgl. Humboldt 1963a: 19f.; Werlen sagt dazu: „ [...] die oft vermutetet Beziehung zwischen der Tradition Humboldts und Boas’ Sprachauffassungen kann [...] heute als gesichert angesehen werden.“ (Werlen 2002: 175)
72 Werlen 2002: 186
73 Boas 1955: 186f.
74 ebd.: 187
75 ebd.: 189
76 vgl. Werlen 2002: 183f.
77 Boas in Dürr 1992: 121
78 Bartschat 1996: 129
79 vgl. die Angaben zur Person unter Werlen 2002: 187ff.
80 Sapir 1961: 14
81 Sapir betont weiter, dass alle Versuche die Sprache von den Interjektionen abzuleiten fehlgeschlagen sind. (vgl. Sapir 1961: 15)
82 ebd.: 18
83 vgl. Humboldts Ausdruck vom „Menschsein“ und Boas Bezeichnung vom „geistigen Leben des Menschen“
84 ebd.: 30
85 ebd.: 23
86 ebd.: 21
87 ebd.: 25
88 ebd.: 26
89 Auch wenn Sapir den Begriff der Kultur benutzt, werde ich mich im Folgenden auf den Begriff der Weltansicht beziehen, welcher von Humboldt geprägt wurde und am unmissverständlichsten die gemeinte Bedeutung vermittelt. Auch Gipper beschäftigt sich mit der Übersetzungsproblematik der Begriffe Weltbild, Weltansicht und Weltanschauung. (vgl. Gipper 1972: 51)
90 Sapir 1961: 29
91 vgl. ebd.: 190f.
92 Sapir in Werlen 2002: 195 (deutsche Übersetzung durch Werlen) 24
93 ebd.: 195
94 ebd.: 198
95 ebd.: 199
96 ebd.: 197
97 Werlen 2002: 201
98 Krausser 1963: 148
99 Siehe dazu 3.2.5.
100 Carroll in Werlen 2002: 202
101 Werlen merkt an, dass New Haven etwa 50 Kilometer von Hartfort (Whorfs Wohnort) entfernt liegt, was es Whorf ermöglicht, die Vorlesungen von Sapir zu besuchen. (vgl. Werlen 2002: 203)
102 vgl. Krausser 1963: 148
103 Werlen 2002: 204
104 Bei dem Sprecher handelte es sich um Ernest Naqayouma, einem Hopi, der in New York lebte. Der Kontakt zwischen ihm und Whorf dauerte über mehrere Jahre. (vgl. Werlen 2002: 207)
105 vgl. Werlen 2002: 203
106 Krausser 1963: 148
- Arbeit zitieren
- Monika Märtens (Autor:in), 2007, Der Einfluss der sprachphilosophischen Arbeiten von Benjamin Lee Whorf auf die Linguistik , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87799
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