Der Bereich „Liebe und Sexualität“ ist seit Jahrtausenden untrennbar mit unserem Mensch-Sein verknüpft. Quer durch alle Gesellschaften sind Paarbeziehungen zentraler Inhalt von Geschichten, Liedern, Theaterstücken, Filmen und anderen Ausdrucksformen menschlicher Kultur. Auffällig dabei ist, dass die jeweiligen Akteure in der Regel jung, vital, gutaussehend und altersmäßig überwiegend der ersten Lebenshälfte zuzuordnen sind. Dies steht bezogen auf unseren Kulturkreis in einem objektiven Gegensatz zur demografischen Entwicklung der letzten Jahre, welche eine stetig wachsende Zahl an älteren Menschen aufweist.
Die Frage nach den Bedürfnissen dieser Personengruppe in Bezug auf emotionale Nähe und Sexualität ist Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Nach der Darstellung einiger wichtiger soziologischer Aspekte werde ich zunächst auf Faktoren eingehen, welche für langjährige Beziehungen stabilisierend bzw. beeinträchtigend wirken. Anschließend werde ich einige klassische Ereignisse in langjährigen Beziehungen beschreiben, die besonders häufig zu Krisensituationen führen können. In einem weiteren Schritt werde ich den Fokus auf den Bereich sexuelle Interessen und gelebte Erotik im Alter richten. An diesem Punkt stellt sich auch die Frage nach physiologischen Veränderungen der menschlichen Sexualität im Zusammenhang mit dem natürlichen Alterungsprozess. Des weiteren werde ich einige typische Probleme aus dem Bereich der Sexualität erläutern, die bei älteren Menschen gehäuft auftreten. Außerdem werde ich auf die Möglichkeiten eingehen, sexuelle Bedürfnisse betagter Menschen in den Pflegekontext zu integrieren. Anschließend möchte ich im Rahmen eines Exkurses die spezifische Situation homosexueller und lesbischer Menschen darstellen. Den Abschluss der Arbeit bilden Hinweise auf den möglichen Transfer des Themenbereichs in Handlungsfelder Sozialer Arbeit.
Gliederung
1. Einleitung
2. . Partnerschaften im höheren Lebensalter - Beziehungen im Spannungsfeld zwischen Gewohnheit und Neuorientierung
2.1. Soziologische Aspekte
2.2. Beziehungsbeeinträchtigende und -stabilisierende Faktoren
2.3. Klassische Krisensituationen von Partnerschaften im höheren
Lebensalter
2.3.1. Die Loslösung der Kinder vom Elternhaus
2.3.2. Der Eintritt in den Ruhestand
2.3.3. Die Pflegebedürftigkeit eines Partners
3. Sexualität im höheren Lebensalter
3.1. Die Bedeutung von Erotik und Sexualität für den Menschen
3.2. Sexuelle Interessen und gelebte Erotik im Alter - nach wie vor ein
Tabu-Thema?
3.3. Physiologische Veränderungen der Sexualität in Bezug auf den
Alterungsprozess
3.3.1. Veränderungen der Sexualorgane bei Frauen
3.3.2. Veränderungen der Sexualorgane bei Männern
3.3.3. Sexuelles Interesse und Aktivität
3.3.4. Ressourcen und Chancen der Veränderungen von Sexualität im höheren
Lebensalter
3.4. Potentielle Schwierigkeiten älterer Menschen im Zusammenhang mit
Sexualität
3.4.1. Frauenspezifische Probleme
3.4.2. Männerspezifische Probleme
3.4.3. Probleme beider Geschlechter
4. Die Sexualität betagter Menschen im institutionalisierten Pflegekontext
5. Exkurs: Die spezifische Situation älterer homosexueller und lesbischer Menschen
6. Handlungsfelder Sozialer Arbeit in Bezug auf Liebe und Sexualität im Alter
7. Schlussgedanken
8. Literatur
„Die Liebe gehört zur Magie des Lebens. Die sexuelle Anziehungskraft ist eine ihrer elementarsten Ausdrucksformen. Sexualenergie ist Lebensenergie und in der unbeschnittenen Sexualität stecken die Elementarkraft und die Tiefe, die Leidenschaft und die Ruhe, die Spannkraft und die Hingabe des Lebens an sich selbst.“
(Dieter Duhm: Schön ist die Bewegung eines angstfreien Körpers)
1. Einleitung
Der Bereich „Liebe und Sexualität“ ist seit Jahrtausenden untrennbar mit unserem Mensch-Sein verknüpft. Quer durch alle Gesellschaften sind Paarbeziehungen zentraler Inhalt von Geschichten, Liedern, Theaterstücken, Filmen und anderen Ausdrucksformen menschlicher Kultur. Auffällig dabei ist, dass die jeweiligen Akteure in der Regel jung, vital, gutaussehend und altersmäßig überwiegend der ersten Lebenshälfte zuzuordnen sind. Dies steht bezogen auf unseren Kulturkreis in einem objektiven Gegensatz zur demografischen Entwicklung der letzten Jahre, welche eine stetig wachsende Zahl an älteren Menschen aufweist.
Die Frage nach den Bedürfnissen dieser Personengruppe in Bezug auf emotionale Nähe und Sexualität ist Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Nach der Darstellung einiger wichtiger soziologischer Aspekte werde ich zunächst auf Faktoren eingehen, welche für langjährige Beziehungen stabilisierend bzw. beeinträchtigend wirken. Anschließend werde ich einige klassische Ereignisse in langjährigen Beziehungen beschreiben, die besonders häufig zu Krisensituationen führen können. In einem weiteren Schritt werde ich den Fokus auf den Bereich sexuelle Interessen und gelebte Erotik im Alter richten. An diesem Punkt stellt sich auch die Frage nach physiologischen Veränderungen der menschlichen Sexualität im Zusammenhang mit dem natürlichen Alterungsprozess. Des weiteren werde ich einige typische Probleme aus dem Bereich der Sexualität erläutern, die bei älteren Menschen gehäuft auftreten. Außerdem werde ich auf die Möglichkeiten eingehen, sexuelle Bedürfnisse betagter Menschen in den Pflegekontext zu integrieren. Anschließend möchte ich im Rahmen eines Exkurses die spezifische Situation homosexueller und lesbischer Menschen darstellen. Den Abschluss der Arbeit bilden Hinweise auf den möglichen Transfer des Themenbereichs in Handlungsfelder Sozialer Arbeit.
2. . Partnerschaften im höheren Lebensalter - Beziehungen im Spannungsfeld zwischen Gewohnheit und Neuorientierung
2.1. Soziologische Aspekte
„Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen hat sich in den vergangenen hundert Jahren verdoppelt. 1871 betrug sie für Männer 35,6 und für Frauen 38,5 Jahre; 1997 betrug sie für Männer 73,5 und für Frauen 80 Jahre.“ (s. Waller, 48). Diese Grundaussage, dass die Menschen immer älter werden und die zumindest für die Industrienationen der sog. Ersten Welt zutrifft, bringt zahlreiche Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusammenleben mit sich. Neben den massiven wirtschaftlichen Problemen, welche die demografische Umwandlung der Bevölkerungsstruktur von der bisher vorherrschenden Pyramidenstruktur in einen pilzförmigen Altersaufbau nach sich zieht, hat diese Umstrukturierung auch weitreichende Auswirkungen auf private soziale Lebensformen, wie Ehe und Familie: die Verdoppelung der durchschnittlichen Lebenserwartung in den vergangenen hundert Jahren hat auch eine Verdoppelung der durchschnittlichen Dauer einer Ehe, die nicht durch Scheidung beendet wird, mit sich gebracht. Gekoppelt mit der Tendenz zu geringen Geburtenzahlen, führt diese Entwicklung dazu, dass Ehen noch ca. 20 Jahre nach der Loslösung der Kinder vom Elternhaus andauern (vgl. Beck-Gernsheim, 159). Diese relativ neue Beziehungsform der „nachelterlichen Gefährtenschaft“ stellt Beziehungen vor Herausforderungen, die erst in den letzten Jahren Beachtung in der Öffentlichkeit finden. Bislang war die vorherrschende Meinung, dass Paare, die erst einmal die krisenanfälligen Jahre der Kinderaufzucht überstanden haben, meist für den Rest des Lebens zusammen bleiben. Dieser Auffassung widersprechen jedoch die aktuellen Scheidungsstatistiken deutlich: Zunächst sind es vorwiegend die kinderlosen Paare, die sich schon häufig nach relativ kurzer Ehedauer voneinander trennen: 1998 gingen ca. 40% der Ehen in die Brüche (s. Sidler, 74). Davon waren weit über die Hälfte kinderlose Paare betroffen. Nach 20 Ehejahren übertreffen jedoch die Scheidungszahlen der Eltern die Scheidungsrate kinderloser Paare (vgl. Geo, 48). Dies kann als Bestätigung von Studien gewertet werden, die neben gemeinsamen Wohneigentums v.a. auch kleine Kinder als ehestabilisierenden Faktor werten (s. Sidler, 75). Stabile Beziehungen sind jedoch keinesfalls gleichzusetzen mit zufriedenen Beziehungen. Häufig wird über Jahre der Ehestatus aufrechterhalten, obwohl die Partner die Beziehung nicht als glücklich erleben. Fällt die gemeinsame Verantwortung für jüngere Kinder weg, sind Beziehungen auf sich selbst zurückgeworfen, unterschwellig schon länger bestehende Probleme können offen zutage treten und ernsthafte Krisen initiieren.
Im Hinblick auf die Zukunft ist es wichtig zu bedenken, dass sich die Tendenz zur Pluralisierung der Lebensformen im jüngeren Alter in einigen Jahren auch in der älteren Generation bemerkbar machen wird. Spätestens dann, wenn die Generation der „Patchwork-Familien“, „living apart-together- Paaren“ und „Lebensabschnittsgefährten“ in die Jahre kommt, wird auch eine Neuorientierung im Hinblick auf private soziale Lebensformen älterer Menschen jenseits der traditionellen Institution Ehe erfolgen müssen.
2.2. Beziehungsbeeinträchtigende und -stabilisierende Faktoren
Psychologen waren lange der Ansicht, dass langjährige Beziehungen in ihrer Zufriedenheit einen u-förmigen Verlauf aufweisen: Die Zufriedenheit mit der Partnerschaft nimmt nach einem Höhepunkt zu Beginn mit den Jahren kontinuierlich ab, erreicht einen Tiefpunkt in der Phase, in der die pubertierenden Kinder noch zu Hause leben und steigt dann nach der Bewältigung der „empty-nest-Phase“ wieder deutlich an. Neuere Studien widerlegen jedoch diese Ansicht: Einer Studie von Fooken (1995) zufolge lassen sich grundsätzlich vier verschiedene Beziehungsverläufe „älterer“ Partnerschaften differenzieren:
a) Wandel von Konflikthaftigkeit zu emotionaler Distanzierung
b) Erreichen von Autonomie und gegenseitiger Bezogenheit bei Beibehaltung individueller Ansprüche und Bedürfnisse
c) Fortgesetzte Aufgabenorientierung, die mit einer zunehmenden gegenseitigen Anteilnahme einhergeht (eher im Sinne einer Kameradschaftsehe)
d) Aufrechterhaltung starker Bezogenheit und Verschmelzung (hohe Stabilität und Konstanz in Nähe, Harmonie und Zärtlichkeit bis ins hohe Alter)
Allgemein lässt sich feststellen, dass Sexualität im höheren Alter an Bedeutung verliert, während Faktoren wie soziale Unterstützung und unterstützende Kommunikation für die Zufriedenheit in der Beziehung wichtiger werden(vgl. Re 19-20) Welchen Einfluss die Übereinstimmung der Partner hinsichtlich Interessen und Einstellungen auf die Beziehungsqualität haben, wird in der Literatur unterschiedlich beschrieben: Einer Untersuchung von Hammerschmidt und Kaslow (1995) zufolge werden diese Bereiche als wichtige Voraussetzungen für Ehezufriedenheit genannt (vgl. Re 20). Eine andere Befragung des Münchner Psychologieprofessors Klaus Schneewind kommt jedoch hinsichtlich gemeinsamer Interessen und Ansichten als Faktoren für Zufriedenheit in langjährigen Beziehungen zu keinem einheitlichen Ergebnis, sondern es wurden völlig unterschiedliche Angaben gemacht (Geo 149). Eine weitere Untersuchung von Brandstädter und Felser von der Hochschule Harz ergab als Merkmale für glückliche, langdauernde Beziehungen überraschenderweise, dass äußere Umstände, wie materielle Stellung, Bildung, Wohnverhältnisse etc. ebenso wenig Einfluss auf die Beziehung haben wie der familiäre Hintergrund. Was die Untersuchung jedoch herausfand, war die Wichtigkeit des gegenseitigen Umgangs der Partner miteinander. Besonders Fairness, wozu auch die gerechte Aufteilung der Hausarbeit zählt, wurde von den Befragten als ehestabilisierend genannt. Auch eine optimistische Grundhaltung der Partner wurde übereinstimmend mit einer Studie der University of California, Berkeley als förderlich für langwährendes Eheglück erwähnt. Interessant ist auch das Ergebnis einer Befragung von 167 älteren Paaren, die mindestens 15 Jahre miteinander verheiratet waren im Rahmen einer Dissertation von Helga Hammerschmidt, Universität München. Sie fand heraus, dass verschiedene Liebesstile sich positiv oder negativ auf die Ehezufriedenheit auswirken. Zufriedener sind Paare, bei denen entweder ein durch Erotik und Romantik geprägter Liebesstil vorherrscht oder Paare, deren Beziehung sich über Selbstlosigkeit und Pflichterfüllung definiert. Sehr negativ für die Beziehung wirkt sich hingegen ein eher spielerischer, spaßbetonter, nicht bindungsbereiter Liebesstil aus, den besonders Männer pflegen (Geo 149).
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass ein Großteil der verheirateten älteren Menschen in stabilen Beziehungen lebt. Ca. 80 Prozent bezeichnen sich als „glücklich verheiratet“, wobei die Zufriedenheit seitens der Männer größer als die der Frauen ist (Re 18).
2.3. Klassische Krisensituationen von Partnerschaften im höheren Lebensalter
2.3.1. Die Loslösung der Kinder vom Elternhaus
Die zunehmende Selbstständigkeit der heranwachsenden Kinder löst bei Eltern – insbesondere bei Müttern – unterschiedliche Emotionen aus. Manche Frauen erleben diese Phase als Befreiung von jahrelangen Pflichten und nutzen die gewonnenen Freiräume zur Entwicklung neuer Interessen und Aktivitäten (vgl. Beck-Gernsheim 161). Diese Neuorientierung von Frauen kann sich auf die Zweierbeziehung auf verschiedene Weise auswirken. Insbesondere in traditionell orientierten Partnerschaften ist es vorstellbar, dass diese neue, evtl. ungewohnte Autonomie der Frau den Partner zunächst verunsichert, da alte, eingefahrene Rollenmuster aufgegeben werden müssen und eine Neuverortung innerhalb der Partnerschaft erfolgen muss. Diese Umstellung kann jedoch auch als Chance für die Beziehung begriffen werden, da aus neuen Aktivitäten eines Partners auch neue Impulse für die Partnerschaft erwachsen. Dies kann vom anderen Partner durchaus auch als positiv und belebend empfunden werden. Frauen, die sich über lange Jahre ausschließlich der Familienarbeit gewidmet haben, geraten durch die Loslösung ihrer Kinder häufiger in einen Gefühlszustand der Leere und Sinnlosigkeit, was schließlich auch zu ernsthaften depressiven Verstimmungen und Depressionen führen kann. Einen solchen Zustand bezeichnet auch der Begriff des „empty-nest-syndroms“ (vgl. Beck-Gernsheim 161-162). Psychische Beeinträchtigungen oder gar Erkrankungen haben auch immer Auswirkungen auf die Beziehungsdynamik, da man jede Beziehung immer als System begreifen muss. Neigt nun einer der Partner infolge des Gefühls der Sinnlosigkeit zu depressivem Empfinden und Verhalten, hat er auch für die „Beziehungsarbeit“, die für das Funktionieren jeder gesunden Partnerschaft notwendig ist, wenig oder keine Kapazitäten mehr zur Verfügung. Die Folge kann sein, dass der Partner dies entweder durch überfürsorgliches Verhalten zu kompensieren sucht oder sich zunehmend aus der Beziehung zurückzieht.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Auswirkungen, welche die Ablösung der Kinder vom Elternhaus auf die Paarbeziehung der Eltern haben, sehr vom individuellen biografischen Hintergrund der jeweiligen Partner, abhängt.
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- Arbeit zitieren
- Birgitta Bernhardt (Autor:in), 2004, Liebe und Sexualität im Alter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87618
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