Die Angst ist schon immer auch ein Objekt der Faszination des Menschen gewesen. Eine Faszination, die auf vielfältige Weise transportiert und dem Publikum präsentiert wurde.
Filme aus dem Horror- und Thrillergenre beispielsweise erfreuen sich seit jeher größter Beliebtheit. Mit den Möglichkeiten der modernen Tricktechnik und den dreistelligen Millionenbudgets der großen Hollywood Studios ist es heute ein Leichtes, beim Rezipienten ein permanentes und intensives Gefühl der Angst hervorzurufen. Literaten jedoch können von diesen Möglichkeiten nicht profitieren. Dennoch gelingt es ihnen mit diesen bescheidenen Mitteln, dasselbe oder gar ein intensiveres Angstgefühl beim Rezipienten zu generieren.
Diese Arbeit geht anhand Bram Stokers Gothic Novel Dracula der Frage nach, welche erzähltechnischen Mittel zur Angsterzeugung beim Leser eingesetzt werden und wie sie wirken. Es wird untersucht, welche sprachlichen Mittel und literarischen Strategien der Autor zu diesem Zweck anwendet und welche Schauerelemente hierbei eine Rolle spielen. Vorausgehend erfolgen eine Definition des Angstbegriffs, sowie eine Einführung zum Themenkomplex der literarischen Angst. Besonderes Augenmerk liegt im Weiteren auf der Bedeutung der volkstümlichen Elemente, der Wahl der Schauplätze, der Raumdarstellung, sowie der Darstellung der Erzählerfiguren.
In diesem Zusammenhang erscheint es erwähnenswert, dass Dracula kein von der Filmindustrie künstlich geschaffenes Produkt ist. Bereits den Menschen im viktorianischen England wurde durch Bram Stoker mit Dracula das Fürchten gelehrt.
Gliederung
I. Einleitung – Die Angst in Film und Literatur
II. Die literarische Angst
III. Die erzähltechnischen Mittel als Auslöser der Angst beim Rezipienten
1. Angstauslöser und Schauerelemente
a) Die Vampirfigur als Verkörperung des Grauens
b) Übertragung der Angst auf neutrale Begriffe
2. Die Bedeutung des Volkglauben
3. Die Wahl des Setting
a) Das Grauen an fremden Orten
b) Das Grauen an vertrauten Orten
4. Die Erzeugung von Glaubwürdigkeit
a) Herausgeberfiktion als Beglaubigungsstrategie
b) Polyperspektivisches Erzählen als Beglaubigungsstrategie
5. Die Verunsicherung des Rezipienten
a) Die Unzuverlässigkeit des Autors – The „unreliable author“
b) Die Unzuverlässigkeit der Erzählerfiguren
IV. Schlussbemerkung – Von der Kunst der Bescheidenheit
V. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
I. Einleitung – Die Angst in Film und Literatur
„Immer sagen sie, es gruselt mir! Es gruselt mir! Mir gruselt' s nicht. Das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe[1].“
Das Gruseln, das Fürchten, die Angst - das sind nicht nur bloße Reflexe, archaische Schutzmechanismen, die uns seit den Anfängen der Menschheit begleiten. Die Angst ist vielmehr schon immer auch ein Objekt der Faszination des Menschen gewesen. Eine Faszination, die auf vielfältige Weise transportiert und dem Publikum präsentiert wurde.
Filme aus dem Horror- und Thrillergenre beispielsweise erfreuen sich seit jeher größter Beliebtheit. Mit den Möglichkeiten der modernen Tricktechnik und den dreistelligen Millionenbudgets der großen Hollywood Studios ist es heute ein Leichtes, beim Rezipienten ein permanentes und intensives Gefühl der Angst hervorzurufen. Eine Angst, die im Extra-Large-Format der großen Multiplexkinos präsentiert wird. Literaten jedoch können von diesen Möglichkeiten nicht profitieren. Sie haben lediglich ihr Papier und ihre Tinte zur Verfügung. Dennoch gelingt es ihnen mit diesen bescheidenen Mitteln, dasselbe oder gar ein intensiveres Angstgefühl beim Rezipienten zu generieren.
Diese Arbeit geht anhand Bram Stokers Gothic NovelDracula der Frage nach, welche erzähltechnischen Mittel zur Angsterzeugung beim Leser eingesetzt werden und wie sie wirken. Es wird untersucht, welche sprachlichen Mittel und literarischen Strategien der Autor zu diesem Zweck anwendet und welche Schauerelemente hierbei eine Rolle spielen. Vorausgehend erfolgen eine Definition des Angstbegriffs, sowie eine Einführung zum Themenkomplex der literarischen Angst. Besonderes Augenmerk liegt im Weiteren auf der Bedeutung der volkstümlichen Elemente, der Wahl der Schauplätze, der Raumdarstellung, sowie der Darstellung der Erzählerfiguren.
In diesem Zusammenhang erscheint es erwähnenswert, dass Dracula kein von der Filmindustrie künstlich geschaffenes Produkt ist. Bereits den Menschen im viktorianischen England wurde durch Bram Stoker mitDracula das Fürchten gelehrt.
II. Die literarische Angst
Die literarische Angst spielt eine auffällig große Rolle in der Erzählliteratur des französischen und englischen 18. Jahrhunderts. Insbesondere das Genre der Gothic Novel, das mit Horace WalpolesCastle of Otranto im Jahr 1764 seinen Anfang fand, hat dazu angeregt die verschiedensten Theorien zu Entstehung und Funktionen der literarischen Angst aufzustellen.[2]
Eine einheitliche Definition von Angst lässt sich nur schwerlich finden, da es sich hierbei um einen Affekt handelt, ein inneres Erleben, welches sich bei jedem Menschen etwas anders äußert und daher nur schwer messbar ist.
Innerhalb der Angstforschung lässt sich dieses Gefühl definieren als„ein Unbehagen, das man empfindet, wenn der betreffende Gegenstand unbekannt ist, und die Vorahnung, dass man von einer inneren oder äußeren Macht überwältigt werden wird...[3] “. Anders beschreiben lässt sich Angst als eine„qualvolle innere Unruhe wegen eines drohenden oder befürchteten Unheils[4] “.
Wissenschaften, wie die Psychoanalyse und die existentialistische Philosophie unterscheiden zwischen unzähligen Formen der Angst, und versuchen die Begriffe Angst, Furcht und Schrecken voneinander abzugrenzen, was nicht immer unproblematisch ist[5].
Angst und Schauerroman sind ohne Zweifel eng miteinander verbunden. Nach Michael Bernsen istdas „zentrale Anliegen des Schauerromans [...] den Leser in Angst zu versetzen[6] “. Die Angst kann wohl als das verbindende Element bezeichnet werden, das in allen Werken dieser Gattung in Erscheinung tritt, wenn auch in den vielfältigsten Formen und Abwandlungen:
„Fere is not merely a theme or an attitude, it also has consequences in terms of form, style and the social relations of the texts; and exploring gothic is also exploring fear and seeing the various ways in which terror breaks through the surfaces of literature, different in every case, but also establishing for itself certain distinct continuities of language and symbol.[7] ”
Bei der Analyse der literarischen Angst lässt sich differenzieren zwischen den Emotionen der Leser, die nur emotional involviert sind und zwischen denen der Figuren, die tatsächlich der Bedrohung ausgesetzt sind. Offensichtlich besteht hier jedoch ein enger Zusammenhang. Da der Leser eines Romans sich häufig mit einem oder mehreren der Protagonisten identifiziert, kann er die Ängste der Protagonisten nachvollziehen und intensiv miterleben. Er wird mit diesen Ängsten infiziert, indem er am Selbstbewahrungsprozess der Figuren partizipiert. Bei der Angsterzeugung in der Literatur nimmt demnach die Angstübertragung eine Schlüsselposition ein.[8]
Auch ist anzumerken, dass die Empfindung von Angst vom Leser nicht zwangsläufig als ein negatives Gefühl eingeschätzt werden muss. Diese Entfaltung einer paradoxen Angst-Lust wird häufig als „horreur délicieuse“ bzw. „delightful horror“ bezeichnet[9].
Es stellt sich nun die Frage, wie beim Rezipienten des Schauerromans solche Emotionen evoziert werden? Angesichts der Problematik einer konkreten Definition dieses weitgehend diffusen Begriffes, wird der Begriff „Angst“ im Weiteren als Sammelbegriff für alle Reaktionen auf bedrohliche Ereignisse und synonym mit den Begriffen „Furcht“, „Schauer“ und „Schrecken“ verwendet. Der im Fokus der Analyse stehende RomanDracula, der 1897 veröffentlicht wurde, kann noch heute als beispielhaft für das Erzeugen von den oben genannten Emotionen angesehen werden.
III. Die erzähltechnischen Mittel als Auslöser der Angst beim Rezipienten
1. Angstauslöser und Schauerelemente
Bram Stoker ging davon aus, dass der Leser solch übernatürlichen Phänomenen, wie dem Vampirismus zunächst skeptisch gegenüberstehen wird[10]. Es war ihm daher ein Anliegen, den Leser behutsam an den Vampirismus heranzuführen und ihn von der Glaubwürdigkeit der Geschichte zu überzeugen. Der gesamte Roman zeichnet sich dadurch aus, dass die Schauergefühle erst im Laufe der Handlung aufgebaut und kontinuierlich gesteigert werden. Interessanterweise wird beim Leser bereits ein Angstgefühl erzeugt, noch ehe es zu einer direkten Konfrontation mit dem Vampirismus kommt. Zunächst sind es bestimmte Merkmale, Eigenschaften und Elemente die mit dem Vampir in Verbindung stehen und deshalb angsteinflößend wirken. Eine große Rolle spielen hierbei sekundäre Ängste der Leserschaft. Im Gegensatz zu primären Ängsten, die jedem Menschen unabhängig von den bisher gemachten Erfahrungen immanent sind, beruhen sekundäre Ängste auf negativen Erfahrungen, sie sind situationsgebunden und erlernt. Dies bedeutet konsequenterweise, dass eine sekundäre Angst nicht von vornherein vorhanden ist, sondern erst mit der Zeit wächst.
a) Die Vampirfigur als Verkörperung des Grauens
Zunächst einmal kann die Vampirfigur selbst beispielhaft für die Verkörperung des Schreckens angesehen werden. Die Vampirfigur steht beispielhaft für das Andere, Fremde und Rätselhafte. Nach Hans Blumenberg ist die Furcht des Menschen vor dem am größten, was unbekannt ist. Das Unbekannte wird von ihm als namenlos bezeichnet und das Namenlose gilt als die höchste Stufe des Schreckens[11].
Das Bedrohliche an Stokers Hauptfigur Dracula resultiert außerdem aus seiner Uneindeutigkeit und Ambivalenz, die aus dem Verwischen eindeutiger Begriffe und Klassifikationen entsteht[12].„Dracula ist derjenige, der die Grenzen zum Anderen permanent überschreitet und beide Seiten kennt.[13] “ Er bewegt sich in einem Stadium zwischen Leben und Tod und wird damit zum unheimlichen Wiedergänger. Das Motiv der wiederkehrenden Toten ist in der Horrorliteratur durchaus häufig anzutreffen und hat sich zu einem feststehenden Begriff für Bedrohung und Schrecken entwickelt. Hier wird der Tatsache Rechnung getragen, dass viele Todes- und Begräbnisrituale aus Angst vor Gespenstern entstanden sind. Psychoanalytische Interpretationsansätze gehen davon aus, dass es sich hierbei um verdrängte Ängste handelt, die ein kulturübergreifendes Phänomen darstellen. In diesem Fall zeigt sich die generelle Angst vor dem Tod in Form einer Angst vor einem Verstorbenen, der als bedrohlicher Untoter ins Leben zurückkehrt[14]. Dass dieses Sujet so alt ist wie die Menschheit, hatte sicher einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg des Romans.
Natürlich ist die Tatsache, dass Dracula ein untotes Monster ist, der sich vom Blut seiner Opfer ernährt, um selbst weiterleben zu können allein schon Auslöser existentieller Ängste. Schließlich ist das Leben aller Charaktere, ja sogar der gesamten Gesellschaftsordnung durch Dracula bedroht, der es sich zum Ziel gemacht hat ganz England unter seine Kontrolle zu bringen.
b) Übertragung der Angst auf neutrale Begriffe
Der Autor arbeitet in seinem Roman mit übertragenen, also sekundären Ängsten. Der Vampir wird mit den verschiedensten - für sich allein betrachtet neutralen - Elementen in Verbindung gebracht, so dass er für den Leser schließlich allgegenwärtig erscheint. Dies führt dazu, dass Dracula als andauernde Bedrohung wahrgenommen wird, unabhängig von seinem tatsächlichen Auftreten oder sogar seiner tatsächlichen Existenz. Ausreichend für die Empfindung von Angst und Schauder ist anfangs schon die Nennung der Elemente, die mit ihm assoziiert werden. Diese Schauerelemente werden im Weiteren genauer analysiert.
Die Rezipienten erfahren von Van Helsing von den beängstigenden Eigenschaften des Grafen Dracula:
“he can, within his range, direct the elements, the storm, the fog, the thunder, he can command all the meaner things, the rat, and the owl, and the bat, the moth, and the fox, and the wolf, he can grow and become small, and he can at times vanish and come unknown.[…]"He can come in mist which he create […] He come on moonlight rays as elemental dust.[15]”
Aus dieser Beschreibung geht die Verbindung von Vampir mit solchen Elementen wie Donner, Nebel und Mondlicht, sowie mit bestimmten Tieren, beispielsweise Fledermäusen, Ratten, Hunden und Wölfen deutlich hervor. Schon zu Beginn des Romans auf Harkers Reise werden diese Motive genannt. Harker berichtet neben Nebelschwaden und dunklen Wolken vom Heulen der Wölfe, die sogar seine Kutsche anfielen und eine angsteinflößende Wirkung sowohl auf den Protagonisten als auch konsequenterweise auf den Leser haben:
„Then, far off in the distance, from the mountains on each side of us began a louder and a sharper howling, that of wolves, which affected both the horses and myself in the same way. […] The baying of the wolves sounded nearer and nearer, as though they were closing round on us from every side. I grew dreadfully afraid, and the horses shared my fear. […] “But just then the moon, sailing through the black clouds, appeared behind the jagged crest of a beetling, pine-clad rock, and by its light I saw around us a ring of wolves, with white teeth and lolling red tongues, with long, sinewy limbs and shaggy hair. They were a hundred times more terrible in the grim silence which held them than even when they howled. For myself, I felt a sort of paralysis of fear. [16]”
Selbst wenn an dieser Stelle noch keine direkte Verknüpfung mit dem Vampirismus hergestellt wird, so lässt sich beim Leser das Gefühl einer dunklen Vorahnung beziehungsweise von Unbehagen angesichts dieser Atmosphäre nicht vermeiden[17]. Auf diese Weise hatte der Autor eine Art Grundlage geschaffen, die der Leser stets im Hinterkopf behält und auf die bei der Bewertung der folgenden Ereignisse zurückgegriffen werden kann.
[...]
[1] Brüder Grimm: Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, in: Reclam, Phillip (Hrsg):Kinder- und Hausmärchen. Band 1. Leipzig, 1894, S. 21;
[2] Bernsen, Michael: Angst und Schrecken in der Erzählliteratur des französischen und englischen 18.Jahrhunderts. München, 1996. S. 13;
[3] Eidelberg, Ludwig:Encyclopedia of Psychoanalyse. New York, 1968. S. 37;
[4] Levitt, E. E.:Die Psychologie der Angst. Stuttgart, 1987. S. 51;
[5] Vgl. hierzu: Begemann, Christian:Furcht und Angst im Prozess der Aufklärung. Frankfurt Main, 1987. S. 4 f.;
[6] Trautwein, Wolfgang:Erlesene Angst. München u. Wien, 1980. S.103;
[7] Punter, David:The Literature of Terror.The Gothic Tradition. Volume 1. New York, 1996. S.18;
[8] Trautwein, Wolfgang, S. 18 f.;
[9] Vgl. Bernsen, Michael, S. 18 f.;
[10] Seed, David:The Narrative Method of Dracula, in: Carter, Margaret (Hrsg.):Dracula. The Vampire and the Critics. London, 1988. S.204;
[11] Blumenberg, Hans:Arbeit am Mythos. Frankfurt a.M., 1996, S. 40 f.;
[12] Vgl. Schäuble, Michael:Wiedergänger, Grenzgänger, Doppelgänger. Rites de Passage in Bram Stokers Dracula. Berlin, 2006. S. 53;
[13] Vgl. Ebd. S. 21;
[14] Vgl. Ebd. S. 56-60; Vgl. auch Freud, Sigmund:Das Unheimliche [1919], in:Gesammelte Werke XII. Frankfurt a.M.: Fischer, 1966, S. 254 f.;
[15] Stoker, Bram:Dracula, in: King, Stephen (Hrsg.):Frankenstein, Dracula, Dr. Jekyll and Mr. Hyde. London, 1978. S. 245;
[16] Ebd. S. 22 f.;
[17] Diese Verbindung von nächtlichen Elementen wie Mondschein und Vampiren kommt außerdem bei dem Auftauchen der weiblichen Vampire in Draculas Schloss zum Ausdruck. Vgl. Stoker, Bram, S. 45 f.; Seed spricht sogar von einer Art Konditionierung des Lesers auf diese mit dem Vampir verbundenen Elemente, die es ihm ermöglicht, nachfolgende Ereignisse besser zu bewerten. Seed, David, S. 198;
- Citar trabajo
- Stefanie Lembacher (Autor), 2007, Die erzähltechnischen Mittel in Bram Stokers Gothic Novel "Dracula" als Auslöser der Angst beim Rezipienten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87181