Diese Arbeit möchte die Pädagogiken von Immanuel Kant und Jean-Jacques Rousseau etwas näher betrachten. Dabei soll der Schwerpunkt auf dem ihren pädagogischen Analysen zugrundeliegenden Menschenbild liegen. Dafür werden jeweils die Erziehungsziele und -methoden von Kant und Rousseau betrachtet, um aus ihnen die impliziten Grundannahmen über die menschliche Natur, einer eventuellen Erziehungs-
bedürftigkeit usw. herauszuarbeiten.
Der Schwerpunkt wurde so gelegt, weil die Frage nach der menschlichen Natur für
die erziehungswissenschaftliche Theorie, und damit auch für meine pädagogische
Praxis, von höchster Bedeutung ist. Pädagogik ist normativ, will den Menschen nicht
nur erklären, sondern verändern, im Beispiel der hier genutzten Autoren hin zu einem
bestimmten moralischen Ideal. Dazu muss die Frage nach den Anlagen und Voraussetzungen
gestellt werden, denen der Mensch unterliegt, denn was nützt ein Ideal,
wenn die physischen Grenzen des Menschen dessen Realisierung verwehren?
Diese Fragen erscheinen auch und gerade heutzutage vor allem deshalb interessant,
weil in vielen Bereichen der Pädagogik die Erziehung hin zu bestimmtenWertvorstellungen
zu Gunsten der bloßen Vermittlung von berufspraktisch relevanten Fertigkeiten
vernachlässigt wird (So nennen sich z.B. einige Pädagogik-Institute in Institute für
Bildungsforschung um, ein Indikator für die Verschiebung des bearbeiteten Themenfeldes).
In der vorliegenden Arbeit wurde für jeden Autor eine von mir als pädagogisches
Hauptwerk betrachtete Schrift ausgewählt, Rousseaus Emile1 und Über die Erziehung
von Kant. Beide Autoren haben sich auch in mehreren anderen Werken zum Thema
geäußert, aber meine Sorge war, zu oberflächlich zu beschreiben, wenn ich noch
mehr Literatur als Quelle nutze. Zusätzlich wollte ich diese Arbeit als Chance nutzen,
meine Fähigkeiten in der Analyse von Primärliteratur zu verbessern, darum habe ich
weitgehend auf erklärende Sekundärliteratur verzichtet. Durch den über eintausend
Seiten großen Umfang des Emile schien mir das bei diesem Werk nicht möglich,
darum habe ich hier auf eine gekürzte Fassung von Otto Hansmann zurückgegriffen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Rousseau
2.1 Allgemein
2.2 Natur
2.3 Entwicklungsphasen
2.4 Erziehungsziele
3 Kant
3.1 Allgemein
3.2 Menschenbild
3.3 Erziehungsziele
3.4 Strafe
4 Zusammenfassung
5 Fazit
A Anhang
A.1 Schema
A.2 Literatur
1 Einleitung
Diese Arbeit möchte die Pädagogiken von Immanuel Kant und Jean-Jacques Rousseau etwas näher betrachten. Dabei soll der Schwerpunkt auf dem ihren pädagogischen Analysen zugrundeliegenden Menschenbild liegen. Dafür werden jeweils die Erziehungsziele und -methoden von Kant und Rousseau betrachtet, um aus ihnen die impliziten Grundannahmen über die menschliche Natur, einer eventuellen Erziehungsbedürftigkeit usw. herauszuarbeiten.
Der Schwerpunkt wurde so gelegt, weil die Frage nach der menschlichen Natur für die erziehungswissenschaftliche Theorie, und damit auch für meine pädagogische Praxis, von höchster Bedeutung ist. Pädagogik ist normativ, will den Menschen nicht nur erklären, sondern verändern, im Beispiel der hier genutzten Autoren hin zu einem bestimmten moralischen Ideal. Dazu muss die Frage nach den Anlagen und Voraus- setzungen gestellt werden, denen der Mensch unterliegt, denn was nützt ein Ideal, wenn die physischen Grenzen des Menschen dessen Realisierung verwehren?
Diese Fragen erscheinen auch und gerade heutzutage vor allem deshalb interessant, weil in vielen Bereichen der Pädagogik die Erziehung hin zu bestimmten Wertvorstel- lungen zu Gunsten der bloßen Vermittlung von berufspraktisch relevanten Fertigkeit- en vernachlässigt wird (So nennen sich z.B. einige Pädagogik-Institute in Institute für Bildungsforschung um, ein Indikator für die Verschiebung des bearbeiteten Themen- feldes).
In der vorliegenden Arbeit wurde für jeden Autor eine von mir als pädagogisches Hauptwerk betrachtete Schrift ausgewählt, Rousseaus Emile 1 und Ü ber die Erziehung von Kant. Beide Autoren haben sich auch in mehreren anderen Werken zum The- ma geäußert, aber meine Sorge war, zu oberflächlich zu beschreiben, wenn ich noch mehr Literatur als Quelle nutze. Zusätzlich wollte ich diese Arbeit als Chance nutzen, meine Fähigkeiten in der Analyse von Primärliteratur zu verbessern, darum habe ich weitgehend auf erklärende Sekundärliteratur verzichtet. Durch den über eintausend Seiten großen Umfang des Emile schien mir das bei diesem Werk nicht möglich, darum habe ich hier auf eine gekürzte Fassung von Otto Hansmann zurückgegriffen.
2 Rousseau
2.1 Allgemein
Rousseau beschreibt in Emile oder ü ber die Erziehung die Menschwerdung seines fiktiven Schülers Emile, die er aber exemplarisch für die natürliche Erziehung des Menschen an sich verstanden wissen möchte (vgl. Hansmann 1993, S.202f). Er sieht in der Frage des grundsätzlichen Erziehungszieles nur zwei Möglichkeiten, die sich zueinander in einem Grundwiderspruch befinden: Die Erziehung zum Menschen oder zum Bürger, zum Individuum im Naturzustand oder zum Teil der Gesellschaft (vgl. ebd., S. 199f). Beide Ziele sind in seiner damaligen Gegenwart nicht vereinbar, er erwähnt aber einen Ausweg aus diesem Widerspruch: Die Synthese der Ziele des Individuums und die der Gesellschaft in einer standes- bzw. klassenlosen, egalitären Gesellschaftsform: “In der Republik wären alle Vorteile des natürlichen Zustands mit denen der bürgerlichen vereinigt; man fügte zur Freiheit, die den Menschen frei von allen Lastern hält, die Sittlichkeit [...], die ihn zur Tugend emporhebt.” (vgl. S.234f)2. Ohne diesen Ausweg sieht er die Erziehung zum Menschen als das wesentliche Ziel an, und dieses wird im Emile auch verfolgt. Die entsprechend vertretene Kernthese ist also, dass der Mensch “an sich”, also seiner Anlage nach, moralisch gut ist, nur die gesellschaftlichen (also bürgerlichen) Einflüsse verderben ihn. In diesem Sinne for- muliert er auch seine pädagogische Leitformel: Was haben wir zu tun, um diesen seltenen Menschen heranzubilden? Zweifellos viel, nämlich verhüten, dass etwas getan wird.” (ebd., S. 201). Dabei ist zu beachten, dass es ihm um die Wahrung bzw. Entfaltung der “Natur” geht, die vor den verderblichen gesellschaftlichen Ein- flüssen geschützt werden muss, das ist nicht gleichbedeutend mit dem umfassenden Bewahren des Kindes. Im Gegenteil: Wenn das Kind Widerstand und Leid durch Dinge bzw. seine auf Dinge bezogenen Handlungen erfährt, dann sieht Rousseau diese Erfahrung als durchaus förderlich an (vgl. ebd., S.203, 206).
Der namensgebende Emile soll zwar wie erwähnt für den Menschen schlechthin ste- hen, trotzdem schränkt Rousseau dies implizit auf mehreren Ebenen ein. So ist das gewählte Geschlecht Emiles programmatisch für den Inhalt des Werkes, Mädchen werden nicht erwähnt, dafür wird an mehreren indirekten Formulierungen deutlich, dass es nur um Jungen geht (vgl. u.a. ebd., S.294, 297). Ebenso sind nicht alle Stände angesprochen: Arme Kinder müssen nicht erzogen werden, sie können sich selbst erziehen, denn durch ihren fehlenden Kontakt zur bürgerlichen Gesellschaft können sie nicht entfremdet werden3 (vgl. ebd., S. 212). Ebenso beschreibt Rousseau seine Erziehung als ungeeignet für die Erziehung eines Prinzen (also adeligen Kindes) (vgl. ebd., S.209). Dies erklärt sich aus den gesellschaftlichen Aufgaben eines Adeligen, er kann sie nicht gleichzeitig wahrnehmen und im Naturzustand, also unabhängig von der Gesellschaft leben.
Die Aufgabe der Erziehung fällt eindeutig dem Vater des Kindes zu (vgl. ebd., S. 207ff). Die Rolle der Mutter beschränkt sich auf die Versorgung mit emotionaler Wärme, Milch usw. (vgl. ebd., S.196). Sie ist also auf die Zeit ab der Geburt bis zum Abschluss der ersten Phase der Menschwerdung beschränkt4. Die Aufgabe der väterlichen Pflicht zur Erziehung ist eigentlich nicht entschuldbar, weder Armut noch Arbeit seien akzeptable Gründe5 (vgl. ebd., S.208). Wenn es überhaupt einen Lehrer geben darf, so darf dieser nicht bezahlt sein (vgl. ebd.). Der utopische Charakter des Buches wird deutlich, wenn man den zusätzlichen Anspruch betrachtet, dass ein Lehrer im Laufe seines Lebens nur ein Kind erziehen soll (vgl. ebd., S.209). Bei dieser Erziehungsrate und einer wachsenden Bevölkerung wird der Anteil der “richtig” erzogenen Kinder unweigerlich sinken6.
2.2 Natur
Es ist wohl bereits deutlich geworden, dass das zentrale Konzept in der Erziehung des Emile Rousseaus Verständnis von Natürlichkeit ist. Natur ist für ihn das, was wir von den Dingen um uns herum wahrnehmen, wenn wir keine kognitive Interpre- tation davorschalten, die diese ursprüngliche Wahrnehmung verzerrt: “Wir werden empfindsam geboren, und werden von Geburt an auf verschiedenste Weise von den uns umgebenden Dingen affiziert.” (ebd., S.199) Entsprechend suchen bzw. meiden wir bestimmte Erlebnisse. Diese Fähigkeiten zur Empfindung “intensivieren und fes- tigen sich in dem Maße, als wir aufgeschlossener und intelligenter werden.” (ebd.) Ab einer bestimmten Entwicklungsstufe aber entfremden uns unsere “Gewohnheit- en” und “vorgefassten Meinungen” (ebd.) von uns selbst, unsere Wahrnehmung ver- liert ihre Natürlichkeit.
Anlagen im Rousseauschen Sinne müssen also keineswegs schon bei der Geburt aus- gebildet sein, sie können sich vielmehr im weiteren Verlauf des Lebens erst entwick- eln. “Anlagen” und Verhaltensweisen müssen allerdings der Natur entsprechen, um nicht als entfremdet eingestuft zu werden. Darum verwehrt er Emile z.B. Impfun- gen, obwohl er sich dieser Technik gegenüber vorher positiv äußert: “Der naturver- bundene Mensch ist immer bereit [für Krankheit und Leid]: er lasse sich ruhig von diesem Meister [gemeint ist die Natur] impfen - er wird den geeigneten Augenblick besser wählen als wir.” (ebd., S.263) Hier könnte man herauslesen, dass es ihm um eine gewisse Ursprünglichkeit, eine unmittelbare Nähe zur physischen Umwelt geht. Der Schluss aus dieser Beschreibung: Naturnähe ist etwas gutes, schützenswertes. Der Grund wird gleich zu Beginn des inhaltichen Teils des Emile deutlich: “Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen.” (ebd., S. 196). Rousseau vertritt hier recht deutlich ein christlich- dualistisches Konzept der Weltdeutung. Natur, da göttlich, muss gut und bewahrens- wert sein7.
2.3 Entwicklungsphasen
Diese Verbundenheit zu Rousseaus Verständnis von Ursprünglichkeit scheint sich auch in den 4 Phasen widerzuspiegeln, mit der er die Jahre zwischen Geburt und Erwachsenenalter gliedert. Dem damals vermutlich vorherrschenden Newtonschen Weltverständnis monokausaler Zusammenhänge folgend, sieht er für jede Phase ein wesentliches Lern- bzw. Erziehungsziel, auf dessen Erreichen die Inhalte der jeweils folgenden Phase aufbauen. Diese Phasen, das ihnen ungefähr entsprechende Alter sowie das jeweils zentrale pädagogische Thema sind als Überblick in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1: Die Phasen der Erziehung des Emile
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus Platzgründen kann ich hier leider nicht sonderlich tief auf diese Entwicklungs- phasen eingehen, einige Kernelemente sollen aber doch erwähnt werden. Ein wesent- licher Punkt, mit dem Rousseau sich selbst nach Eigenaussage in Kontrast zu seiner bürgerlichen Umwelt stellt, ist die aus seinem Naturkonzept resultierende Überzeu- gung, dass ein Großteil der wachsenden Fähigkeiten des werdenden Menschen nicht gelehrt werden müssen, das Kind lernt sie vielmehr von selbst. Ein genanntes Beispiel ist das Lernen von Laufen und Sprechen (vgl., ebd., S.224, S.227). Allgemein for- muliert: “Was haben wir zu tun, um diesen seltenen Menschen [im Naturzustand] heranzubilden? Zweifellos viel, nämlich verhüten, das etwas getan wird.” (ebd., S. 201). Tatsächlich prägt diese Überzeugung Rousseaus pädagogisches Konzept für die gesamte Kindheit. Erst mit dem Beginn des Eintritts in die Jugend beginnt die formale Bildung des Emile.
Ebenfalls interessant ist Rousseaus Vorstellung der Entwicklung des Geistes bzw. der Vernunft. Er lässt Emile nämlich nicht grundlos in der Natur herumtoben, sondern sieht diese körperliche Training als ganz wesentlich für die weitere geistige Entwick- lung an. Das Kind lernt erst, seinen Körper zu nutzen, darauf aufbauend trainiert es die maximale Ausnutzung seiner Sinne. Die Sinne und Sinneswahrnehmungen wiederum stellen die Voraussetzung für die Entwicklung des Geistes dar (vgl. ebd., S. 258). Es ist wesentlich, das Stadium von Körper- und Sinnestraining so lange wie möglich zu erhalten, eine verfrühte “Belastung” des Geistes sei sehr schädlich (vgl. ebd., S. 243).
[...]
1 bzw. Emil, da scheint es Unterschiede in den einzelnen Übersetzungen zu geben. 3
2 Diese Utopie, die die damaligen Herrschaftsverhältnisse grundsätzlich in Frage stellt, dürfte ein Grund für das Aufsehen sein, das dieses Werkes bei seiner Veröffentlichung erregte.
3 Dieser Hinweis macht auch noch einmal deutlich, dass Rousseaus Verwendung des Begriffes Gesellschaft von der heutigen umgangssprachlichen abweicht, die bloße Anwesenheit anderer ist noch keine entfremdende Gesellschaft. Erst die bürgerlichen (und adeligen) Umgangsformen führen zur Entfremdung. Dann aber auch unweigerlich.
4 Dieser Punkt ist laut Rousseau erreicht, wenn das Kind reden und laufen kann (vgl. ebd., S.226).
5 Man vergleiche diesen Anspruch mit dem Lebensweg Rousseaus.
6 Es wird aber wieder erklärbar, wenn man den von Rousseau skizzierten Ausweg aus der Entscheidung Mensch oder Bürger beachtet - einer egalitären Gesellschaft, wie er sie im Gesellschaftsvertrag skizziert. Dann könnte er mit dem Emile den politischen Anspruch verfolgt haben, den Weg in diese Gesellschaft zu ebnen (vgl. dazu das Erziehungsziel der Standeslosigkeit, S.8).
7 Bzw. umgekehrt: Der bürgerliche Mensch des 18. Jahrhunderts lebt nicht gottgefällig. Diese Passage könnte also ebenfalls politisch gedeutet werden.
- Arbeit zitieren
- Katharina Schlaack (Autor:in), 2007, Die menschliche Natur in der Pädagogik von Kant und Rousseau, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86803
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