Die vorliegende Hausarbeit soll speziell begrenzte Staatlichkeit und ihre Bedeutung für die Weltpolitik untersuchen. Dazu wären im Wesentlichen folgende Fragen zu klären: Was meint begrenzte Staatlichkeit eigentlich und in welchem Verhältnis steht sie zur Souveränität der Staaten? Gibt es unterschiedliche Ausprägungen begrenzter Staatlichkeit? Und vor allem: Wie sehen letztlich die angesprochenen schwerwiegenden Konsequenzen für die internationale Politik aus? Um diese vermutlich doch recht komplexe Aufgabenstellung etwas zu vereinfachen, werden zur Beantwortung der Fragen die Sichtweisen und theoretischen Konzepte verschiedener Autoren herangezogen und diskutiert. Bei einzelnen Fragen kann auch ein Vergleich der Autoren und ihrer Aussagen erfolgen, wenn sie sich mit ähnlichen Aspekten auseinander gesetzt haben und eine Gegenüberstellung als sinnvoll erscheint. Außerdem sollten zu diesen vornehmlich theoretischen Betrachtungen ab und zu Beispiele angeführt werden, damit die Antworten auf die gestellten Fragen nicht zu abstrakt bleiben. Eine gewisse Abstraktheit lässt sich aber bereits beim folgenden Punkt wohl kaum vermeiden, denn er erläutert das Verhältnis von Staatlichkeit und Souveränität und versucht darzulegen, was mit begrenzter Staatlichkeit gemeint ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Staatlichkeit und Souveränität
3. Formen begrenzter Staatlichkeit
3.1. Die Typologie von Sørensen
3.2. Differenzierungen bei Schneckener und Rotberg
4. Auswirkungen begrenzter Staatlichkeit
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wer sich mit aktuellen Aspekten der Weltpolitik oder der internationalen Beziehungen auseinandersetzt, muss sich zwangsläufig auch mit Staaten beschäftigen. Staaten sind heute nämlich die bestimmende Form politischer und sozialer Organisation. Sie haben im Prinzip die gesamte Landfläche der Erde unter sich aufgeteilt und nahezu jeder Mensch ist mittlerweile Bürger irgendeines Staates. Folglich liegt es nahe, dass Staaten die zentralen Akteure der Weltpolitik sind. Beispielsweise stellen global bedeutsame Institutionen wie UNO, EU oder NATO weitestgehend Organisationen von Staaten für Staaten dar und das Völkerrecht ist zunächst vor allem ein Staatenrecht.[1] Staatenwelt und zwischenstaatliche Organisationen beruhen dabei auf der Vorstellung, dass ihre Mitglieder ein gewisses Maß an Souveränität und Staatlichkeit besitzen. So gehen internationale Abkommen in der Regel davon aus, dass die beteiligten Staaten die getroffenen Vereinbarungen auch nach innen durchsetzen können. Ferner beruht der Anspruch auf Nichteinmischung in innere Angelegenheiten auf der Annahme, ein Staat sei in der Lage, seine Aufgaben und Probleme selbst zu bewältigen.[2]
Seit mehreren Jahren diskutieren Wissenschaft und Politik vor dem Hintergrund der Globalisierung nun allerdings den Wandel von Souveränität und Staatlichkeit, sowie die damit verbundenen Folgen für die Weltpolitik. Auch wenn das teilweise prognostizierte Ende des Staates oder sein Bedeutungsverlust nicht von allen Autoren mitgetragen wird, so konstatieren doch viele eine Veränderung der Staatlichkeit.[3] Während einige beispielsweise von der Zerfaserung von Staatlichkeit reden,[4] stellen Risse und Lehmkuhl fest, dass begrenzte Staatlichkeit „zu einem allgegenwärtigen Bestandteil der globalen Politik geworden“[5] ist. Beide dazu weiterhin: „Wenn aber schätzungsweise zwei Drittel der heutigen Staatenwelt und selbst Teile der hoch entwickelten Gesellschaften zu Räumen begrenzter Staatlichkeit gehören, so hat das schwerwiegende Konsequenzen für die internationale Politik.“[6] Offensichtlich sind Fragen der Staatlichkeit und Souveränität also nicht nur wichtige Gegenstände der politischen Theorie, sondern haben auch Einfluss auf die Entwicklung der internationalen Beziehungen.
Die vorliegende Hausarbeit soll nun speziell begrenzte Staatlichkeit und ihre Bedeutung für die Weltpolitik untersuchen. Dazu wären im Wesentlichen folgende Fragen zu klären: Was meint begrenzte Staatlichkeit eigentlich und in welchem Verhältnis steht sie zur Souveränität der Staaten? Gibt es unterschiedliche Ausprägungen begrenzter Staatlichkeit? Und vor allem: Wie sehen letztlich die angesprochenen schwerwiegenden Konsequenzen für die internationale Politik aus? Um diese vermutlich doch recht komplexe Aufgabenstellung etwas zu vereinfachen, werden zur Beantwortung der Fragen die Sichtweisen und theoretischen Konzepte verschiedener Autoren herangezogen und diskutiert.[7] Bei einzelnen Fragen kann auch ein Vergleich der Autoren und ihrer Aussagen erfolgen, wenn sie sich mit ähnlichen Aspekten auseinander gesetzt haben und eine Gegenüberstellung als sinnvoll erscheint. Außerdem sollten zu diesen vornehmlich theoretischen Betrachtungen ab und zu Beispiele angeführt werden, damit die Antworten auf die gestellten Fragen nicht zu abstrakt bleiben. Eine gewisse Abstraktheit lässt sich aber bereits beim folgenden Punkt wohl kaum vermeiden, denn er erläutert das Verhältnis von Staatlichkeit und Souveränität und versucht darzulegen, was mit begrenzter Staatlichkeit gemeint ist.
2. Staatlichkeit und Souveränität
Bevor sich dieses Kapitel der Staatlichkeit zuwendet, sollte zunächst geklärt werden, was überhaupt ein Staat ist. Schließlich kann unter dem Begriff an sich zweierlei verstanden werden. So bezeichnet man mit Staat zum einen staatliche Institutionen wie Regierung oder Verwaltung und zum anderen wird das Wort auf staatlich verfasste Gesellschaften bezogen.[8] Nach der klassischen „Drei-Elemente-Lehre“ von Georg Jellinek setzt sich ein moderner Staat aus Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt zusammen. Außerdem wird meist das von Max Weber hervorgehobene Gewaltmonopol des Staates, mit dem er legitimen physischen Zwang ausüben kann, als weiteres wichtiges staatliches Kennzeichen angeführt.[9] Von zentraler Bedeutung für einen Staat ist zudem die Souveränität, die er nach innen und nach außen beansprucht, die ihm aber in der Praxis nur durch Andere zuerkannt werden kann.[10] Mit Stephen Krasner lässt sich Souveränität in vier inhaltliche Dimensionen unterscheiden, die bei einem Staat in unterschiedlicher Ausprägung und Kombination vorhanden sein können.[11] So besitze ein Staat völkerrechtliche Souveränität, wenn er von anderen Staaten anerkannt wird und westfälische Souveränität, wenn seine politische Organisation und Autoritätsstruktur frei vom Einfluss auswärtiger Akteure ist. Demnach sind beispielsweise die Mitglieder der EU zwar völkerrechtlich, aber nicht „westfälisch“ souverän, weil sie Kompetenzen an die europäischen Institutionen abgegeben haben. Die anderen beiden Souveränitätsdimensionen bezeichnen eher tatsächliche Kontrollmöglichkeiten der Staaten: Über innenpolitische Souveränität verfüge ein Staat, wenn eine formale Organisation seiner politischen Autorität existiert und diese innerhalb der eigenen Grenzen wirkungsvolle Kontrolle ausüben kann. Dagegen bezieht sich die Interdependenz-Souveränität auf die Fähigkeit des Staates, den Verkehr – zum Beispiel von Menschen, Waren und Kapital – über seine Grenzen zu regulieren. Diese Arten der Souveränität können auch Staaten besitzen, die als Staaten gar nicht anerkannt sind, wofür sich als Beispiel Taiwan anführen lässt. Allerdings bleibt die Anerkennung durch die Staatengemeinschaft ein enorm wichtiges Merkmal für einen Staat, weil diese Art der Souveränität als zentrales Prinzip des Völkerrechts den Anspruch auf innere und äußere Unabhängigkeit garantiert.[12] Schneckener spricht in diesem Zusammenhang auch von der De-facto-Staatlichkeit, die aus dem Vorhandensein von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt resultiere, und der De-jure-Staatlichkeit, die sich halt aus der rechtlichen Annerkennung ableite.[13] Das führt zu der Frage, ob es eigentlich einen Unterschied zwischen Souveränität und Staatlichkeit gibt und wenn ja, worin dieser besteht.
Bei der weiteren Beschäftigung mit dem Phänomen der Souveränität wird schnell klar, dass die Dimensionen von Krasner nicht die einzigen begrifflichen Differenzierungen sind. Teusch unterscheidet hier pauschal in weite und enge Souveränitätsbegriffe, die seiner Ansicht nach in einem bestimmten Verhältnis zur Staatlichkeit stehen. So setze das weite Verständnis Souveränität und Staatlichkeit mehr oder weniger in eins, beziehungsweise halte einen Staat für besonders souverän, „wenn er eine möglichst große Zahl an Funktionen möglichst erfolgreich wahrnimmt.“[14] Teusch spricht in diesem Zusammenhang auch von politischer Autonomie oder Handlungsfähigkeit. Beim engen Begriffsverständnis hingegen gebe es keine Übereinstimmung von Souveränität und Autonomie. Dadurch könne sich ein Staat in seiner politischen Autonomie durchaus tief greifend wandeln, ohne das interne und externe Souveränität bedroht sind. Um nicht in jeder Veränderung der politischen Autonomie, worunter Teusch die staatlichen Handlungs- und Gestaltungsspielräume und damit Staatlichkeit an sich versteht, gleich eine Gefahr für die staatliche Souveränität sehen zu müssen, tritt er für das enge Verständnis und die Unterscheidung von Souveränität und Autonomie ein.[15] Der Unterschied zwischen Souveränität und Staatlichkeit ist demnach also vor allem ein definitorischer. Von besonderer Bedeutung ist dabei allerdings, dass Teusch Staatlichkeit mit den Funktionen des Staates verbindet.
Ein weiteres Kennzeichen des modernen Staates, das bisher noch nicht näher betrachtet wurde, sind nämlich die Funktionen, welche er erfüllt und die er im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut hat.[16] Jackson und Sørensen beispielsweise zählen fünf soziale Leistungen auf, welche für die Menschen fundamental sind und deshalb vom Staat gegenüber seinen Bürgern erbracht werden müssen: Sicherheit, Freiheit, Ordnung, Gerechtigkeit und Wohlstand. Einige dieser Leistungen können zwar teilweise auch von anderen Formen politischer und sozialer Organisation erbracht werden, zum Beispiel von der Familie oder ethnischen und religiösen Gruppen, als führende Institution werde deren Gewährleistung aber vom Staat erwartet.[17] Andere Autoren betonen hingegen nur drei Funktionen. So sprechen Risse und Lehmkuhl von Governance-Leistungen des modernen Nationalstaats in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt. Dazu gehören die Aufrechterhaltung eines politischen Systems zur Herstellung und Durchsetzung von autoritativen Entscheidungen, die Garantie der Sicherheit nach innen durch das Gewaltmonopol und die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Bildung oder Gesundheit.[18]
Solche Funktionen des Staates sind hier von Bedeutung, weil sie nicht nur bei Teusch, sondern auch bei vielen anderen Autoren eine wichtige Rolle für die Definition von Staatlichkeit spielen. Dabei wird in der Regel zwischen Staat und Staatlichkeit unterschieden, wofür sich exemplarisch folgende zwei Zitate anführen lassen:
„Als Staat bezeichnen wir einen politischen Herrschaftsverband, der darauf spezialisiert ist, für ein bestimmtes Gebiet – das Staatsgebiet – und für eine bestimmte Gruppe von Menschen – die Staatsbürger – die Versorgung mit Kollektivgütern zu sichern. Damit der Staat Herrschaft zum Zwecke der Kollektivgüterproduktion ausüben kann, braucht er bestimmte Fähigkeiten, die wir als Staatlichkeit bezeichnen.“[19]
und:
„Insofern gilt es zwischen dem Staat, (…) verstanden als Akteur im engeren Sinne, und Staatlichkeit als funktionalem Begriff, bei dem es um die Erfüllung bestimmter, gemeinwohlorientierter Aufgaben, um das Zustandekommen und die Durchsetzung von Entscheidungen, um die Bereitstellung von Ressourcen sowie um einen politisch-rechtlichen Ordnungsrahmen geht, zu unterscheiden.“[20]
[...]
[1] Vgl. Krell, Gert, Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der Internationalen Beziehungen, 3., erw. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 112.
[2] Vgl. Risse, Thomas/ Lemkuhl, Ursula, Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit, in: APuZ B20-21/2007, S. 5.
[3] Vgl. Krell 2004 (Anm. 1), S. 97-101; Teusch, Ulrich, Die Staatengesellschaft im Globalisierungsprozess. Wege zu einer antizipatorischen Politik, Wiesbaden 2003, S. 70-72.
[4] Vgl. die Aussagen von Teusch zu Breuer ebd., S. 71 oder Genschel, Philipp/ Zangl, Bernhard, Die Zerfaserung von Staatlichkeit und die Zentralität des Staates, in: APuZ B20-21/2007, S. 10-16.
[5] Risse/ Lehmkuhl 2007 (Anm. 2), S. 3.
[6] Ebd., S. 5.
[7] Insbesondere von Krasner, Rotberg, Schneckener, Sørensen, Zangl/ Zürn; um nur einige zu nennen.
[8] Vgl. Krell 2004 (Anm. 1), S. 80.
[9] Vgl. ebd., S. 80-82; Schneckener, Ulrich, States at Risk. Zur Analyse fragiler Staatlichkeit, in: Ders. (Hrsg.), Fragile Staatlichkeit. "States at Risk" zwischen Stabilität und Scheitern, Baden-Baden 2006, S. 17.
[10] Vgl. Schneckener ebd., S. 17f. und Seidelmann, Reimund, Souveränität, in: Woyke, Wichard (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 9., völlig überarb. Aufl., Bonn 2004, S. 445.
[11] Vgl. dazu im Folgenden Krasner, Stephen D., Sovereignty. Organized Hypocricy, Princeton 1999, S. 3f. und auch Fröhlich, Manuel, Lesarten der Souveränität, in: Neue Politische Literatur 1/2005, S. 19-22.
[12] Vgl. Krell 2004 (Anm. 1), S. 117f.
[13] Vgl. Schneckener 2006 (Anm. 9), S. 18.
[14] Teusch 2003 (Anm. 3), S. 83.
[15] Vgl. ebd., S. 80-86.
[16] Vgl. Krell 2004 (Anm. 1), S. 85.
[17] Vgl. Jackson, Robert/ Sørensen, Georg, Introduction to International Relations. Theories and Approaches, 3. Aufl., Oxford 2007, S. 3.
[18] Vgl. Risse/ Lehmkuhl 2007 (Anm. 2), S. 6.
[19] Genschel/ Zangl 2007 (Anm. 4), S. 10.
[20] Schneckener 2006 (Anm. 9), S. 18f.
- Arbeit zitieren
- Benjamin Triebe (Autor:in), 2007, Begrenzte Staatlichkeit und ihre Bedeutung für die Weltpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86771