Ziel dieser Analyse ist es, eine knappe Präsentation der offiziellen Standpunkte der Regierungen der Europäischen Staaten zu geben, die am Konvent zur Zukunft der Europäischen Union teilnehmen. Das Vorhaben gründet darauf, dem Leser eine Übersicht über die Positionen der Regierungsvertreter im Konvent zu liefern, sodass die gesamte Breite der individuellen Positionen klar dargestellt werden kann, sowohl in Sachgebieten gemeinsamer Anschauung als auch in Themenbe-reichen, bei denen sich individuelle oder Gruppen von Vertretern zu unterschied-lichen Positionen entschlossen.Die Arbeit beruht im Wesentlichen auf einer gleichnamigen Veröffentlichung desselben Autors. Sie ist im Vorfeld vom Betreuer und Dozenten als Äquivalent einer Hauptseminararbeit anerkannt und vom Co-Autor, Anna Michalski, als solche freigegeben worden. (Vgl. Matthias Heise und Anna Michalski, European Convention on the Future of Europe. An Analysis of the Official Posi-tions of EU Member States, Future Member States, Applicant and Candidate States, Den Haag: Netherlands Institute of International Relations 2003 (Clingendael Working Paper Series).)
Inhalt
I Einführung
II Konvergenzen und Divergenzen der Positionen in ausgewählten Bereichen..
1 Die Beschaffenheit des Vertrages und der neuen Union
2 Institutionelle Dimension
Gleichrangigkeit unter Mitgliedstaaten
Nationale Institutionelle Repräsentation
Externe Repräsentation der Europäischen Union
Verantwortlichkeit und Legitimität
3 Policyfelder der EU
Außen- und Sicherheitspolitik (GASP und ESVP)
Justiz und Inneres
Economic Governance
4 Schlußbetrachtungen
III Übersicht über die nationalen Positionen im EU-Konvent 24
I Einführung
Ziel dieser Analyse ist es, eine knappe Präsentation der offiziellen Standpunkte der Regierungen der Europäischen Staaten zu geben, die am Konvent zur Zukunft der Europäischen Union teilnehmen. Das Vorhaben gründet darauf, dem Leser eine Übersicht über die Positionen der Regierungsvertreter im Konvent zu liefern, sodass die gesamte Breite der individuellen Positionen klar dargestellt werden kann, sowohl in Sachgebieten gemeinsamer Anschauung als auch in Themenbe- reichen, bei denen sich individuelle oder Gruppen von Vertretern zu unterschied- lichen Positionen entschlossen.
Eine derartige Übersicht erscheint sinnvoll, um die politische Dynamik des EU- Reformprozesses zu verstehen, welche sich gegenwärtig einerseits im Forum des Konvents abspielt und andererseits in etlichen Nebenschauplätzen der Treffen und Diskussionsrunden der politischen Entscheidungsträger vorzufinden ist. Diese Analyse setzt sich zur Aufgabe, die Hauptströme der Einstellungen zu verschie- denen Politikfeldern im Konvent zusammen zu fassen und ebenso deutlich in den Ansichten der europäischen Regierungen zur Zukunft der EU Annäherungen her- aus zu arbeiten, aber auch auf wesentliche Abweichungen unter den Ansichten und Grenzlinien zwischen den Akteuren aufmerksam zu machen. Diese Analyse stellt essentielle Informationen in Vorbereitung zur nächsten, sich rasch nähern- den Regierungskonferenz (IGC) in 2003 zur Verfügung, in welcher die Mitglied- staaten die notwendigen Schritte zur Reform der EU einleiten werden auf der Ba- sis der Verfassungsvorlage des EU-Konvents, aber ebenso unter Berücksichtigung von Reformvorschlägen, die einzelne Mitglieder zu dieser Zeit noch für ange- bracht halten werden. In der für die zweite Jahreshälfte in 2003 geplanten inter- gouvernementalen Konferenz werden ausschließlich Regierungsvertreter mitein- ander verhandeln ohne jedwede formale Partizipation von weiteren Akteuren, nationalen Parlamentariern, Europaabgeordneten u.ä., und in der die EU- Kom- mission keinerlei Mitentscheidungsrecht haben wird.
Durch die Vorstellung von 28 Positionen einzelner Staaten bezüglich verschie- denster Reformgegenstände wird diese Übersicht die mißliche Lage der künftigen EU hervorheben, nämlich die Herausforderung zum Verständnis und zur Berück- sichtigung individueller, durch verschiedene Interessen und Motivationen geleite- te Positionen ihrer Mitglieder. In den Debatten, die in Brüssel und europaweit in den Medien stattfinden, tut sich der Verdacht hervor, dass die existierenden Mit- gliedsstaaten, insbesondere die größeren, die Töne für die übrigen anschlagen und eine Führungsrolle in der EU einnehmen. Die Methode zur Errichtung eines Kon- vents verdeutlicht, zumindest in der Theorie, eine Alternative zu jener Wahrneh- mung, in dem man jeden Teilnehmer formal mit den gleichen Rechten ausstattet, unabhängig vom Mitgliedstatus, egal ob großes oder kleines Land, um gewisser- maßen gleichrangig am Formungsprozeß der zukünftigen EU beteiligt zu sein. In Zukunft wird die Union mit einer wachsenden internen Verschiedenheit in Sachen zunehmender nationaler und breiterer funktionaler Repräsentation fertig werden müssen. Deshalb stellt der Konvent einen hoch interessanten Versuch zur politi- schen Debatte zwischen Akteuren unterschiedlicher Kennung, Nationalität, Funk- tionalität und Interesse dar.
Dieser Bericht richtet in eingeschränkter Weise seinen Fokus auf eine spezielle Gruppe von Akteuren im Verfassungskonvent, nämlich auf die Regierungen der jetzigen und künftigen Mitglieder und Beitrittskandidaten. Gerade weil nicht ge- leugnet werden kann, dass die nationalen Regierungen die entscheidenden Akteu- re bei der Abzeichnung des Konventsergebnisses sein werden, sind ihre Stand- punkte von höherem Range bei der Ebnung des Weges zur erweiterten EU und beim Abstecken der Grenzen für eine Reform auf der IGC. Zur vollen Würdigung der Dynamik der kommenden intergouvernementalen Verhandlungen sind Ein- sichten in einzelstaatliche Positionen von enormem Belang. Soweit eine Analyse der Regierungspositionen im Konvent zum Verständnis der Dynamik angespro- chener intergouvernementaler Verhandlungen dienlich ist, so kann sie doch nur eine Richtung und möglichen Zustand der Reformen ankündigen, weder jedoch das Endergebnis des Konvents noch der IGC vorwegnehmen.
Der Autor dieses Berichtes hat mit Sorgfalt an der Sammlung, Auswertung und ständigen Aktualisierung der Informationen bis zum April diesen Jahres im Rah- men eines Forschungsprojektes in den Niederlanden am renommierten Institut Clingendael gearbeitet. Die Debatte zur Zukunft der EU schreitet jedoch unauf- haltsam voran und involviert etliche Akteure in zahlreichen Foren. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass Veränderungen in offiziellen Positionen vor- genommen wurden, die die Aufmerksamkeit des Autors verfehlte oder dass die Repräsentation offizieller Meinungen nicht vollkommen mit den Wünschen spezi- fischer Regierungen in Form und Inhalt korrespondiert. Daher wird die volle Ver- antwortlichkeit für jedwede Irrtümer oder Unterlassungen in diesem Paper akzep- tiert.
II Konvergenzen und Divergenzen der Positionen in ausgewählten Bereichen.
1 Die Beschaffenheit des Vertrages und der neuen Union
Verglichen mit den Regierungskonferenzen in den 1980ern und 1990ern gibt es einen überraschend hohen Akzeptanzgrad, dass der aus dem Verfassungskonvent verabschiedete Entwurf von konstitutionellem Charakter sein sollte, zumindest in der Form, wenn nicht auch im Inhalt. Lediglich einige wenige (künftige) Mit- gliedstaaten stimmen mit dieser Entwicklung hin zur Annahme einer Verfassung nicht überein. Dort, wo Zweifel beharren, werden sie förmlich in Ausdrücken des gewollten Herunterspielens des verfassungsmäßigen Charakters geäußert mit der Begründung, die bereits existierenden Verträge würden bereits dem Zustand einer Verfassung nahekommen (Dänemark und Schweden) oder man versucht den Terminus der Verfassung schlicht als „Text“ zu deklarieren (Finnland und Grie- chenland).
Widerstand zur Implikation der Bildung einer „Europäischen Verfassung“ wird auch in weiteren Diskussionen deutlich, die zu ähnlichen Themen bezug nehmen, so wie in der Debatte um die Verweis in der Präambel auf die von „europäischen Staaten Bürgern“ gebildete Union, des weiteren daß die Union keine neuen substantiellen Kompetenzen erhalten soll oder die weit verbreitete Ablehnung der Eingliederung der Grundrechtscharta (Charter of Fundamental Rights) in den Ver- trag, um das Zugeständnis neuer Bürgerrechte gegenüber der Union zu verhin- dern.
In gleicher Weise findet sich Übereinstimmung in der Frage der Ausstattung der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit (Legal Personality), obwohl diese Frage von Staaten wie Dänemark und dem UK prinzipiell ausgelassen wird, ebenso von einigen künftigen Mitgliedern, Bewerber- und Kandidatenländern. Hinter dieser scheinbar Übereinstimmung demonstrierenden Fassade verbergen sich weitaus ungleichere Haltungen, die in zwei weitere Kategorien eingestuft werden können: solche Länder, welche den momentanen Entwicklungsstand der EU aus Sicht der grundsätzlichen Reformbedürftigkeit ihres juristischen Status und ihrer Beziehung zu den Mitgliedstaaten sehen; und solche, welche die Schaf- fung von europäischer Verfassung und Rechtspersönlichkeit als praktischen Schritt zur formellen Ausstattung der Union mit einem rechtlichen Status betrach- ten, welchen die Union schon hat, aber ohne die Beziehungen zwischen der Union und ihren sie konstituierenden Teilen in irgendeiner Weise abzuändern.
2 Institutionelle Dimension
Gleichrangigkeit unter Mitgliedstaaten
Eine der am meisten aufspaltenden Angelegenheiten, mit denen sich der Konvent und die folgende IGC beschäftigt, ist die Frage nach der Gleichheit bzw. der Gleichrangigkeit (engl. ) unter den Mitgliedern. Dieses fundamentale Prinzip war seit dem Beginn der EU einer der „Lackmustests“ der kleineren Mit- gliedstaaten, um zu überprüfen, was sie als dominierende Tendenzen ihrer größe- ren Mitglieder wahrnehmen. Die im institutionellen Rahmen der EU eingebettete Garantie der Gleichheit hat prominenter Weise in den nationalen Debatten zur Europäischen Integration in den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten eine Rolle gespielt als Voraussetzung für die Mitgliedschaft an sich und als die meist bedeu- tende qualitative Auszeichnung der EU im Prämissenwandel europäischer Politik von der Überlegenheit der (nationalstaatlichen) Macht zur Herrschaft des Rechts. Das Gleichheitsprinzip hat insofern Gräben zwischen den kleinen Mitgliedern einerseits gegenüber den großen Mitgliedstaaten andererseits in einigen Bereichen der institutionellen Struktur der EU gezogen. Besonders auffällig wurde die „Schlacht“ um die Gleichheit auf dem Gebiet der EU-Ratspräsidentschaft geführt, stand doch die Veränderung vom Rotationsprinzip hin zum gewählten, semi- permanenten Präsidenten des Europäischen Rates in Aussicht. In dieser Streitfrage hat eine Gruppe von größeren Mitgliedstaaten (deutsch-französische Vorschlag, Blair-Aznar-Initiative) ihre Vorliebe für eine starke Galionsfigur deutlich zum Ausdruck gebracht. Polen, Dänemark und Schweden haben sich folglich dieser Gruppe angeschlossen, ebenso wahrscheinlich Italien. Die Argumente, die für einen gewählten Präsidenten der EU sprechen, sind die erhöhte Konsistenz der Arbeit des Europäischen Rates und zusätzlich die von diesem Amt vorzunehmen- de externe Repräsentation der Union. Bei näherer Betrachtung der nationalen Standpunkte zeigen sich jedoch Risse auf im Einklang suggerierenden gemeinsa- men Vorzug eines gewählten Präsidenten: Frankreich scheint sich am weitestge- henden mit der Rolle des EU-Ratspräsidenten zu befassen, stellt es sich doch künftig eine mächtige und einflußreiche Persönlichkeit auf seinem Posten vor, die ohne Zweifel den Takt zur Bestimmung der Tagesordnung angibt als auch eine wahre Unions- eigene Außenpolitik formiert. Darüber hinaus unterstützt Frank- reich Initiativen zur Ausstattung des Präsidenten mit einer eigenen Administrati- on, möglicherweise in Form eines gestärkten Generalsekretariats im Europäischen Rat. Deutschland auf der anderen Seite hat mehr eine Symbolfigur im Amt des Präsidenten im Sinn, etwa zu vergleichen mit dem deutschen Bundespräsidenten, welcher mehr als Moderator zwischen den Mitgliedstaaten fungieren soll anstatt staatsmännische Züge anzulegen, und stellt sich gegen eine Erodierung des Status und der Kompetenzen der Europäischen Kommission. Dänemark und Schweden scheinen die deutsche Interpretationsform zu bevorzugen und auf der Basis ihres tiefgründigen Glaubens and die parlamentarische Demokratie würden sie niemals einer „Präsidentialisierung“ der EU zustimmen. Großbritannien und Spanien wür- den es ebenso vermeiden wollen, den Präsidenten mit einer wahren politischen Funktion auszustatten. Sie sehen ihn eher als einen integrativen Repräsentanten gemeinsamer Ansichten im Europäischen Rat.
Kleinere Mitglieder, so wie Benelux, Finnland, Österreich, Portugal und Irland, haben ihre tiefe Abneigung gegenüber einem ständigen Präsidenten des Europäi- schen Rates kundgetan, sehen sie ihn doch als Versuch der großen Mitgliedstaa- ten, sich in der Union ihren Einfluß und ihre Macht unanfechtbar zu sichern. Von ihrem Standpunkt aus würde ein permanenter Präsident die EU in ihrem Charakter intergouvernemental verfestigen mittels des Bruches mit dem Prinzip der Gleich- heit, zu dem die institutionelle Balance destabilisieren, die Kompetenz und Positi- on der Kommission bedrohen und das Prinzip nationaler Repräsentation potentiell beeinträchtigen. Liest man zwischen den Zeilen, scheint sich diese Gruppe wohl aber auf alternative Vorschläge zur Überbrückung der Gegensätze einlassen zu wollen, um letztlich der Arbeit des Europäischen Rates größeren Zusammenhalt einzuflößen unter der akzeptablen Bedingung, daß der künftige Ratsvorsitzende aus den Reihen des Europäischen Rates stammt und zusätzlich nicht von beachtenswerten Verwaltungskräften gestützt wird.
Nationale Institutionelle Repräsentation
Verbunden mit der Streitfrage nach der Repräsentation im Europäischen Rat ist die Frage nach dem Beibehalten des Rotationsprinzips im Ministerrat der EU. Etliche der Befürworter einer ständigen Präsidentschaft im Europäischen Rat sehen diese Lösung ebenfalls für den Ministerrat geeignet. Der Anfang Januar diesen Jahres ins Gespräch gebrachte deutsch-französische Vorschlag enthält mehrere und detaillierte Eingaben in den Konvent. So soll der (Rat für allgemeine Angelegenheiten) vom Generalsekretär des Europäischen Ra- tes geleitet werden, während dem künftigen Europäischen Außenminister die Lei- tung des außenpolitischen Gremiums (Rat für Außenbeziehungen) zugestanden wird und EcoFin sowie der Rat für Inneres und Justizangelegenheiten ihre Vor- sitzenden jeweils aus den eigenen Reihen durch Wahl hervorgehen lassen. Weite- re Räte könnten nach wie vor das Prinzip der Rotation beibehalten. Spanien hin- gegen wünscht sich einen Europäischen Präsidenten, der den Rat für allgemeine Angelegenheiten leiten soll, während der Europäische Außenminister ebenso dem außenpolitischen Rat vorsitzt. Großbritannien wiederum unterstützt jede Form der Wahl der Vorsitzenden auf einen längeren Zeitraum in den besonderen Ratskons- tellationen, so lang dem Präsidenten der Europäischen Kommission das Recht auf Vorsitz in den wichtigen Räten der EU verwehrt bleibt.
Alle anderen Länder unterstützen indes die Bewahrung jeglicher Form der Rotati- on der Präsidentschaft, wenngleich sie bis zu einem gewissen Grad die Notwen- digkeit einer Reform der gegenwärtigen Praxis der Präsidentschaften im Minister- rat einsehen. Viele unter ihnen schlagen die bekannte Form der Team-Presidency vor, wo sich Gruppen von Mitgliedern die Lasten einer Präsidentschaft über län- gere Zeit hinweg teilen sollen. Ein Teil von ihnen schlägt vor, die wesentlich wichtigeren Formationen des Rates mit einem permanenten (funktionalen) Vorsitz auszustatten, so zum Beispiel könnte de r Europäische Außenminister dem Rat für Außenbeziehungen vorsitzen, während der Präsident der Europäischen Kommis- sion den Rat für allgemeine Angelegenheiten leitet. Abermals andere Mitglied- staaten bedenken die Präsidentschaften der wichtigsten Ratsformationen (Europä- ischer Rat und Coreper eingeschlossen) mit einer unter den Staaten wechselnden, sprich rotierenden Vorstandskonstellation, während andere, wesentlich „techni- sche“ Ratsformationen von einem ständigen Vorsitz begleitet werden können. So steht die Möglichkeit im „Raum“, daß den Themen entsprechend zuordbare Kommissionsmitglieder den Vorsitz übernehmen könnten.
In Bezug auf die nationale institutionelle Repräsentation unterstreichen sowohl die kleinen als auch die künftigen Mitgliedstaaten die Bedeutung einer gerechten Lösung bei der Anzahl künftiger Kommissionsmitglieder. Tatsächlich verleihen viele dieser Mitgliedstaaten ihrem Ersuchen Nachdruck, die in Nizza vereinbarte Formel (ein Kommissionsmitglied pro Staat bis zu einer Größenordnung von 27 Mitgliedern, von dort an wird die Anzahl der Kommissionsmitglieder nicht mehr der Anzahl der Staaten entsprechen) zu überdenken. Zu diesem Punkt der institu- tionellen Debatte scheint es eine außergewöhnliche Haltung, die in Nizza nach langen und schwierigen Diskussionen erreichte Übereinstimmung zur Größe der Kommission, zur Sitzverteilung im Europäischen Parlament und zur Stimmge- wichtung im Ministerrat der Europäischen Union nun doch einem Wandel zu un- terlegen. Es wird sich zeigen, ob es sich beim Wunsch um Überarbeitung der Niz- za-Vereinbarung bezüglich der Kommissionszusammensetzung lediglich um tak- tische Überlegungen - gewissermaßen als Antwort bzw. Entgegenkommen auf andere Vorschläge im Konvent - oder generelle Übereinstimmung handelt, die von so tiefem Charakter ist (speziell unter den künftigen Mitgliedstaaten), daß sie durchaus im Reformkonzept für die EU zu enthalten ist. In jedem Fall muß der Vorschlag, einen Kommissar pro Staat zu behalten, mit der vom selben Land ge- äußerten Position zum vom Europäischen Parlament gewählten Kommissionsprä- sidenten kohärent sein, der sein „Kabinett“ selbstverantwortlich zusammenstellt (unter Bedingung der Absegnung von Europäischem Rat und Parlament).
Insofern plädieren die größeren EU-Staaten eindeutig für eine Stärkung der Rolle der Kommission in Sachen exekutive Effizienz und demokratische Verantwort- lichkeit, hingegen die kleineren und künftigen EU-Staaten verstärkt auf eine ge- rechte Lösung über ihre künftige Zusammensetzung, welche aus ihrer Sicht eine Voraussetzung ist zur Wahrung eines gemeinsamen europäischen Interesses.
Externe Repräsentation der Europäischen Union
Die externe Repräsentation der EU wird von vielen, wenn nicht von allen im Konvent teilnehmenden Ländern gleichermaßen als zu verbessernde Notwenigkeit betrachtet. Neben den Vorschlägen für einen sich dauerhaft im Amt befindenden Präsidenten des Europäischen Rates hat sich die institutionelle Debatte auf einen weiteren Posten konzentriert: das Amt des künftigen Europäischen Außenminis- ters.
Auf der einen Seite der Argumentation finden wir Schweden und des Vereinigte Königreich, welche der Schaffung eines solchen Postens strikt widersprechen, da ihrer Ansicht nach der Präsident des Europäischen Rates repräsentative Funktio- nen ausüben sollte. Andere Länder, so wie Dänemark, Spanien, Estland und Ita- lien würden eine Stärkung des Hohen Repräsentanten (HR) und gleichzeitigen Generalsekretärs bevorzugen und lehnen die Verschmelzung von letzterem mit dem Kommissar für auswärtige Angelegenheiten ab. Auf der anderen Seite finden wir eine große Mehrheit der existierenden und künftigen Mitglieder und Beitritts- kandidaten, die die Fusion von HR und Kommissar befürworten. Diese Länder unterstützen Überlegungen zur Schaffug eines gemeinsamen Europäischen Au- ßenministers, welcher vom Europäischen Rat in Abstimmung mit dem Kommissi- onspräsidenten ernannt würde und ersterem rechenschaftspflichtig wäre. Diese Person sollte außerdem das Amt des Kommissionsvizepräsidenten innehaben oder als Kommissar mit besonderem Status gelten. Hier spaltet sich jedoch das Lager im folgenden über: (1) die Langzeit-Entwicklung des Amtes, wo künftige und existierende Mitgliedstaaten einen graduellen Einbezug des Ministers in die Kommission befürworten, während Frankreich (und Deutschland?) dies ablehnen; und (2) die Frage, mit welchen Mitteln das Amt ausgestattet sein würde, nämlich seitens letzterer mit einem eigenen Verwaltungsunterbau (Europäisches diploma- tisches Corps), plaziert unter dem Rat für außenpolitische Angelegenheiten unter anteiliger Zusammenfassung von Ressourcen aus Kommission, Generalsekretariat des Europäischen Rates und mitgliedstaatlichen Außenministerien bzw. nationa- len diplomatischen Diensten, während die meisten kleineren Staaten die administ- rativen Ressourcen allein innerhalb der Kommission verankert sehen möchten. Einige Länder argumentieren daher, daß die Kommission ihr alleiniges Recht zur externen Repräsentation der EU beibehalten soll (meist sichtbar im Bereich des Außenhandels, aber ebenso anzutreffen in Umwelt- und Entwicklungshilfefra- gen). Einige wenige dieser Länder schlagen vor, daß diese Kompetenz der Kom- mission zur externen Repräsentation vergrößert werden sollte hin zu einer ausge- weiteten alleinigen Kompetenz der Union, so zum Beispiel in internationalen Fi- nanzinstitutionen.
Verantwortlichkeit und Legitimität
Seit der Erklärung von Laeken im Dezember 2001 ist die allgemeine Legitimität der EU ein Hauptanliegen der Reformangelegenheiten gewesen. Die politischen Führer der EU haben sich gefragt, wie man die EU-Institutionen und -Politikfelder so gestalten kann, daß sie in den Augen der europäischen Öffentlichkeit als relevant und existenzberechtigt erscheinen. Ihre Anliegen führten zur Betrachtung funktionaler (effizienter) und demokratischer Legitimität.
Mehr als in jeder Vertragsreform zuvor zielt der Konvent selbst auf das Setzen genauerer Verweise für politische und institutionelle Verantwortlichkeiten im Sinne von klarer Zuschreibung von Kompetenzen. Der Europäische Rat und die (Europäische Kommission?) stechen als die zwei Institutionen heraus, die ihre politische Verantwortlichkeit in diesbezüglich wachsen sehen werden. Die institu- tionelle Struktur, die von der Debatte insoweit herrührt, zeigt recht deutliche Li- nien exekutiver Verantwortung seitens der Kommission (beiderseits dem Europäi- schen Rat/ Ministerrat und dem EP rechenschaftspflichtig) und des Europäischen Außenministers (verantwortlich gegenüber dem Europäischen Rat) auf. Die Ge- waltenteilung ist nur im Ministerrat noch unvollständig, welcher weiterhin exeku- tive und legislative Kompetenzen wahrnehmen wird; aber ein Ansatz zur auffal- lenden Trennung beider „Stränge“ kann im Willen zur besseren Teilung der legis- lativen und exekutiven Aktivitäten im Ministerrat erkannt werden - ein Vor- schlag, der fast übereinstimmend von sowohl derzeitigen als auch künftigen Mit- gliedstaaten getragen wird. Während vielerseits außerhalb des Konvents Zweifel an der Umsetzbarkeit der Trennung in die Praxis geäußert werden, setzen derweil Konventsmitglieder die Diskussion um die Umsetzung in die Praxis fort (so zum Beispiel den Vorschlag des Präsidiums einen höheren Legislativen Rat zu errich- ten).
Unter den europäischen Regierungen scheint Eintracht zu herrschen, daß die Ge- meinschaftsmethode weiterhin hauptsächliche Methode bleiben sollte, daß das Initiativrecht der Kommission gewahrt und daß der gesetzgeberische Gang auf der Basis des Tandems von Ministerrat und Europäischem Parlament die legislativen Aktivitäten der Europäischen Union dominieren sollte. Von dieser Grundlage ausgehend scheiden sich die Positionen europäischer Regierungen. Nach Ansicht vieler derzeitiger und späterer Mitgliedstaaten würde die demokratische Legitimi- tät der EU erhöht, indem man den Kommissionspräsidenten entweder von einer Mehrheit im Europäischen Parlament wählen ließe (unterstützt von einer Mehrheit der Regierungen im Konvent) oder ihn durch eine Wahl mittels Wahlausschuß , zusammengesetzt aus Abgeordneten des EP und der nationalen Parlamente (Dä- nemark, Irland, welches auch die Wahl durch das EP erwägen würde, und Malta) bestätigte. Andere Länder (Großbritannien, Spanien, Italien, Schweden, Zypern und Estland) meinen, daß die Vereinbarung von Nizza (2/3-Mehrheit des Europäi- schen Rates wählt einen Präsidenten aus, der dann vom EP bestätigt wird) derzeit die beste Option zur Besetzung des Postens des Kommissionspräsidenten darstellt und lehnen somit eine Wahl des Präsidenten der Kommission vom EP ab, da es zu einer übermäßigen Politisierung des Amtes käme. Ein paar Länder schlagen vor, daß der Kommissionspräsident in Zukunft sogar in direkten Wahlen gewählt wür- de (Slowenien, Griechenland und Ungarn).
Innerhalb des Konvents haben sich keine basisdemokratischen Hindernisse aufge- tan im Kontext der Errichtung eines Präsidentenamtes im Europäischen Rat oder eines Europäischen Außenministers, wird ihr Mandat doch vom Europäischen Rat zugereicht und damit legitimiert. Außerhalb des Konvents sind allerdings Fragen erhoben worden, ob die Schaffung beider Ämter, insbesondere das des Präsiden- ten, nicht die demokratische Qualität der EU beeinträchtigen würde, ist doch kei- ne der Amtspersonen einem direkt gewählten, demokratischen Organ auf europäischer Ebene verpflichtet.
Ein anderes Gebiet, wo die EU scheinbar an Legitimität verliert, ist ihre Bezie- hung zu nationalen Parlamenten. Es besteht Konsens darüber, daß nationale Par- lamente in europäischen Angelegenheiten stärker involviert werden müssen, aber unterschiedliche Sichtweisen existieren, wie dies erreicht werden solle. Einige Länder argumentieren, daß der Einbezug nationaler Parlamente auch vorrangig nationale Angelegenheit sei und demnach in Einklang mit nationalen Parlaments- strukturen und -traditionen zu bringen ist. Auf europäischer Ebene würde eine Verbesserung der Funktionstüchtigkeit des COSAC in Sachen Reform genü- gen(Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Benelux, Portugal, Schweden, Slowe- nien, Bulgarien, Zypern, Litauen, Malta, Polen, Estland). Etliche dieser Länder befürworten ebenfalls einen sogenannten Frühwarn-Mechanismus in Anbetracht des Subsidiaritätsprinzips. Dennoch sollte dies mehr ein politisches Recht sein denn eines, welches verfassungsmäßiger Überprüfung unterläge. Auf der anderen Seite des Spektrums lassen sich Länder verorten, die den nationalen Parlamenten einen eigenen Platz im institutionellen Gefüge der EU zuweisen wollen, indem sie ihnen die Kompetenz zusprechen, die Befolgung des Subsidiaritätsprinzips zu überwachen (Österreich, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Rumänien, Lettland und z.T. auch Spanien, UK, Tschechien und die Türkei). Darüber hinaus haben einige argumentiert, den subnationalen Regionen legislative Kompetenzen im Verfassungsvertrag zuzuschreiben und damit zu sichern (Deutschland und Öster- reich). Einzelne Staaten würden die Konventsmethode in Zukunft gern beibehal- ten, um künftige Vertragsrevisionen oder andere wichtige Anlässe, wie die Wahl des Kommissionspräsidenten oder eine jährliche Debatte über die strategischen Ziele der EU (Benelux, Frankreich, Dänemark, Irland, Finnland, Griechenland, Portugal und Spanien); aber sie kritisieren mehrheitlich, einschließlich anderer, den Versuch, den Konvent als sogenannten „Congress“ nationaler und europäi- scher Abgeordneter vollständig neu im Rahmen der EU zu institutionalisieren.
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- Arbeit zitieren
- Matthias Heise (Autor:in), 2004, Der Europäische Konvent zur Zukunft Europas. Die offiziellen Positionen der EU-Mitgliedstaaten, Beitrittskandidaten und Bewerberländer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86665
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