Mittelpunkt der Arbeit soll die Rolle der Krankenpflege im Nationalsozialismus sein, also in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Dieses Kapitel in der Krankenpflege darf nicht in Vergessenheit geraten, da sie neben den Ärzten eine der Berufsgruppen war, die sich besonders den Lehren der Nationalsozialisten unterstellt hat und damit großes Leid in der Bevölkerung hervorrief.
Um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen, werden nicht alle Aufgabenbereiche beschrieben, sondern es wird die Beteiligung der Krankenpflege an der Euthanasie in den Heil- und Pflegeanstalten herausgegriffen.
Daher lautet die zentrale Frage meiner Arbeit: Wie verhielt sich die Krankenpflege im Nationalsozialismus in Bezug auf die Durchführung der Euthanasie? Den Schwerpunkt bildet die Beschreibung der Euthanasiephasen. Dazu werden die Heilerziehungs- und Pflegeanstalt HADAMAR sowie die psychiatrische Anstalt MESERITZ-OBRAWALDE kurz vorgestellt und die Aufgaben der Pflege am Beispiel dieser Anstalten dargestellt. Daraus soll eine mögliche Erklärung für das Verhalten der Berufsgruppe der Krankenpflege abgeleitet werden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Berufliche Lage der Krankenpflege vor 1933
2 Ideologie des Nationalsozialismus
3 Veränderung der beruflichen Lage ab 1933
4 Definition und Beginn der Euthanasie
5 Organisation der T4-Aktion
6 Durchführung der T4-Aktion in der Landesanstalt Hadamar
7 Begründungsversuch des Verhaltens der Pflegekräfte bei der T4-Aktion
8 Organisation der „wilden Euthanasie“
9 Durchführung der „wilden Euthanasie“ in der Anstalt Meseritz-Obrawalde
10 Begründungsversuch des Verhaltens der Pflegekräfte bei der „wilden Euthanasie“
11 Resultat
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang
Einleitung
Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.
Johann Peter Hebel (1760 – 1826)
Aus dieser abendländischen Weisheit ergibt sich die Motivation sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzten, um daraus für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen. Besonders aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 lassen sich vielfältige Erkenntnisse gewinnen. Das Geschehene als „erledigt“ in den Geschichtsbüchern abzulegen wäre ein Fehler.
In dieser Zeit geschahen schreckliche Dinge, sei es die Ermordung Millionen jüdischer, ausländischer oder deutscher Menschen oder die Manipulationen durch einen Führer, die ein ganzes Land zu schrecklichen Gräueltaten den Mitmenschen gegenüber anstiftete. Über diese „Untaten“ darf kein Gras wachsen, da auch heute, 60 Jahre danach, weiterhin die Gefahr besteht, dass durch ein unzufriedenes Volk eine einzelne Person die Macht über eine Nation erlangt
Mittelpunkt der Arbeit soll die Rolle der Krankenpflege im Nationalsozialismus, also in der Zeit zwischen 1933 und 1945, sein. Dieses Kapitel in der Krankenpflege darf nicht in Vergessenheit geraten, da sie neben den Ärzten eine der Berufsgruppen war, die sich besonders den Lehren der Nationalsozialisten unterstellt hat und damit großes Leid in der Bevölkerung hervorrief. Da auch heute noch selten der Mut aufgebracht wird offen über die Taten der Krankenpflege zu sprechen und nicht einmal in der Ausbildung Klarheit über die Beteiligung der Krankenpflege an der Euthanasie geschaffen wird, erachte ich dieses Thema als sehr wichtig.
Neben der völligen Umstrukturierung des Gesundheitswesens und dem Aufbau einer staatlichen Schwesternschaft haben sich die Aufgabenbereiche der Krankenpflege im Dritten Reich[1] stark verändert. Um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen, werden nicht alle Aufgabenbereiche beschrieben, sondern es wird die Beteiligung der Krankenpflege an der
Euthanasie in den Heil- und Pflegeanstalten[2] herausgegriffen. Daher lautet die zentrale Frage meiner Arbeit:
Wie verhielt sich die Krankenpflege im Nationalsozialismus in Bezug auf die Durchführung der Euthanasie?
Hierzu muss zunächst einmal die berufliche Lage der Krankenpflege vor dem Beginn der Herrschaft Hitlers[3], also vor 1933, erklärt werden, um einen Einblick in die Situation der Pflege zu bekommen. Des Weiteren wird kurz ein Überblick über die Ideologie des Nationalsozialismus gegeben, damit sich der Leser besser in die Lage und das Denken der Menschen dieser Zeit hineinversetzen kann. Außerdem werden die strukturellen Veränderungen in der Krankenpflege, die mit der Machtergreifung Hitlers einhergingen, kurz erläutert. Den Schwerpunkt bildet die Beschreibung der Euthanasiephasen. Dazu werden die Heilerziehungs- und Pflegeanstalt Hadamar sowie die psychiatrische Anstalt Meseritz-Obrawalde kurz vorgestellt und die Aufgaben der Pflege am Beispiel dieser Anstalten dargestellt. Daraus soll eine mögliche Erklärung für das Verhalten der Berufsgruppe der Krankenpflege abgeleitet werden.
Es wird darauf hingewiesen, dass Ausdrücke wie lebensunwertes Leben, Vernichtung Irrer und dergleichen die Worte der Zeit ab ca. 1920 waren. Dieses Vokabular wird in der Arbeit zur Verdeutlichung verwendet, um darzustellen, wie abfällig und menschenunwürdig die nationalsozialistische Regierung von den psychisch und körperlich Kranken sprach. Des Weiteren wird nicht explizit auf die Rolle der kirchlichen Verbände eingegangen, da am Verbrechen der Euthanasie sowohl weltliches als auch kirchliches Pflegepersonal mitwirkte. Bei der Bezeichnung Krankenschwester handelt es sich sowohl um das weibliche als auch das männliche Pflegepersonal, aus Einfachheitsgründen wird die weibliche Form benutzt.
1 Berufliche Lage der Krankenpflege vor 1933
Um das Verständnis für das Verhalten der Krankenpflege im Nationalsozialismus zu gewinnen, müssen einige spezifisch geschichtliche Hintergründe beleuchtet werden.
Durch die Einführung des Krankenversicherungsgesetzes 1883 erhöhte sich der Bedarf an ausgebildeten Pflegerinnen ständig. Da sich immer mehr Krankenpflegerinnen aus Selbstverwirklichungs- und Freiheitsgründen von den kirchlichen Mutterhäusern abwandten, verzeichnete die freie Krankenpflege, obwohl sie in der Gesellschaft ein geringeres Ansehen hatte, einen beständigen Zuwachs (vgl. Seidler 1993, S. 211).
Der Vorteil der Mutterhausverbände, wie etwa die kirchlichen Orden, lag darin, dass sie nach außen hin geschlossen auftraten, während den freien Schwestern eine einheitliche Organisation, trotz der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründeten Berufsverbände, zunächst fehlte (vgl. ebd. S. 211ff). Die daraus resultierenden Kontroversen zwischen den kirchlichen und den weltlichen Verbänden lagen vor allem in der Definition dessen, was den Krankenpflegeberuf ausmachte. Während die kirchlichen Vertreter die Berufung, also die „Hilfeleistung aus Nächstenliebe“ (ebd. S. 213) als Antrieb zur Krankenpflege sahen, wollten die freien Verbände die Pflege in den Berufstand erheben (vgl. Steppe 1996, S. 35).
Während des 1. Weltkrieges wurden die Stimmen für eine geregelte Arbeitszeit, einer deutschlandweit geregelten Ausbildung sowie das Recht auf Rentenrücklagen leiser, verstummten aber nie ganz (vgl. Bauer 1965, S. 310).
Mit Beginn der Weimarer Republik[4] fanden die Gewerkschaften immer größeren Zuwachs, das Drängen auf die Durchsetzung eines Berufsrechts für die Krankenpflege nahm zu, die Bemühungen wurden aber aufgrund der vielen verschiedenen Berufsverbände immer wieder ausgebremst (vgl. Steppe 1996, S. 45).
Aufgrund der Vermischung fachlicher Anforderungen an die Krankenpflege mit den Charaktereigenschaften, wie etwa der Selbstaufgabe für den Kranken, gelang es bis zum Ende der Weimarer Republik nicht die Krankenpflege in einem selbständigen Beruf zu etablieren (vgl. ebd. S. 54). Aus dieser Uneinigkeit konnten die Nationalsozialisten später ihren Vorteil ziehen.
2 Ideologie des Nationalsozialismus
Im Folgenden soll eine kurze Einführung in die nationalsozialistische Ideologie, die Basis für die Veränderungen in der Bevölkerung sowie in dem Beruf der Krankenpflege verdeutlichen.
Die politische Bezeichnung der nationalsozialistischen Zeit heißt Faschismus. Der Begriff Faschismus wurde als eine Eigenbezeichnung der Weltanschauung und des politischen Systems Mussolinis in Italien zwischen 1922 und 1945 geprägt. Er ist abgeleitet vom italienischen fascio (= Bund) und knüpft bewusst an die fasces (= Rutenbündel) der Konsuln des antiken Rom an, die Zeichen der staatlichen Amtsgewalt waren. Die Bezeichnung Faschismus galt für alle politischen Bewegungen, die nach dem 1. Weltkrieg entstanden und mit den charakteristischen Haltungen wie autoritär, antidemokratisch, antikommunistisch und extrem nationalistisch auftraten. Der Sturz der alten Autoritäten im 1. Weltkrieg sowie die bolschewistische[5] Revolution in Russland ließen ein zutiefst verunsichertes Bürgertum zurück, dessen Ängste der Faschismus mit seinen Versprechungen von Recht und Ordnung, starker Staatsmacht und nationaler Größe ansprach. Wenn auch der Faschismus nur in einigen Saaten Europas (Italien. Spanien, Ungarn, Polen, Estland u. a.) direkt an die Macht kam, so gab es doch in nahezu allen europäischen Ländern starke faschistische Strömungen. Gemeinsam waren ihnen neben der Befürwortung polizeistaatlicher Methoden, das Führerprinzip und die Minderheitenverfolgung (vgl. Brockhaus Enzyklopädie Band 7 1988, S. 128f).
Der Nationalsozialismus ist eine noch extremere Form des Faschismus. Neben der Befürwortung polizeistaatlicher Methoden und dem Führerprinzip war der Rassismus ein zentraler Bestandteil der Ideologie. Nationalsozialismus wurde sowohl zur Eigenbezeichnung der von Hitler in Deutschland zur Macht geführten politisch-weltanschaulichen Bewegung als auch zur Bezeichnung für das durch sie geformte Herrschaftssystem zwischen 1933 und 1945, das nationalistisch, aber kaum sozialistisch geprägt war, verwendet. Die Ideologie war mit der Weltanschauung Hitlers weitgehend identisch (vgl. Brockhaus Enzyklopädie Band 15 1988, S. 355f).
Der Rassismus mit der Rassenhygiene ist keine „Neuerfindung“ der Nationalsozialisten, sondern bereits in der Gesellschaft verankert. Die ursprüngliche Idee stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde vom französischen Adel geboren, der im Kampf gegen das Bürgertum seine Vormachtsstellung zu legimitieren suchte. Um 1853/54 veröffentlichte ein französischer Adeliger namens Arthur Comte de Gobineau eine Schrift „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“. Er schreibt darin den Menschen unveränderliche Rassenmerkmale zu und beschreibt die Arier als die hochwertigste aller Rassen. Hier wird auch die antisemitische und antidemokratische Haltung deutlich gemacht (vgl. Baader, zit. n. Steppe 1996, S. 138).
Mit der durch Charles Darwin in seinem 1859 erschienenen Buch „Über die Entstehung der Arten“ dargestellten Lehre des Artenwandels, des Kampfes ums Überleben und der natürlichen Selektion, womit er als erster eine historische Entwicklung in der Natur beschrieben hatte, konnten diese Thesen untermauert werden. Allerdings hatte sich Darwin mit seiner Lehre auf den Bereich der Tiere und Pflanzen beschränkt. Bereits 1860 begannen einige Wissenschaftler diese auf die Menschheit zu übertragen und daraus ihre ganz eigenen Schlüsse zu ziehen. Das deutsche Volk in seinen imperialistischen Machtbestrebungen war von der Selektionstheorie leicht zu begeistern, und so fiel die Idee des Sozialdarwinismus[6] auf fruchtbaren Boden (vgl. Steppe 1996, S. 138).
Bei den Pionieren der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Binding und Hoche stand der Wille des Individuums nie an erster Stelle. Sie betonten in ihrem Buch[7], dass vor allem die geistig wie auch die unheilbar Kranken sowohl für die Angehörigen als auch für die Gesellschaft eine sehr schwere Belastung darstellten (vlg. Platen-Hallermund 1993, S. 10). Im Vordergrund stand der ökonomische Aspekt, womit aufgezeigt wurde, welche Kosten sich aus der Betreuung unheilbar Kranker und geistig Gestörter ergaben (vgl. Steppe 1996, S. 142).
Im Rückgriff auf diese Theorien behauptete der Nationalsozialismus eine Rangfolge der Rassen, wobei die höchstentwickelte die kulturschöpferische, arische Rasse mit ihrem germanischen Vorvolk, also die Deutschen, wären. Begründet durch eine angeblich drohende Weltübernahme durch die Juden, machte Hitler den Antisemitismus zur Staatsdoktrin. Sein zweites Ziel neben dem Kampf gegen die Rassenvermischung und die Jude
war die Ausweitung des Deutschen Reiches. Die Blutbande eines Volkes sollten über den Rassen, Klassen und sonstigen Unterschieden stehen, weshalb das Prinzip „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ in der Ideologie ganz oben stand (vgl. Seidler 1993, S. 226).
3 Veränderung der beruflichen Lage ab 1933
Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 begann auch in der Krankenpflege die nationalsozialistische Gleichschaltung. Dazu wurden zuerst alle Gewerkschaftsorganisationen zerschlagen und die Krankenhausleitungen und wichtige Positionen mit treuen Nationalsozialisten besetzt. Um sich die Unterstützung der Krankenpflege zu sichern, nahm die NS-Regierung die Forderungen, die in der Weimarer Republik die Berufsgruppe stark geteilt hatten, wieder auf (vgl. Steppe 1996, S. 61).
Die grundlegende Neuorganisation der größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen sollte zum einen die vielen verschiedenen Berufsverbände zusammenfassen und unter die einheitliche Führung der Nationalsozialisten bringen, zum anderen sollte so eine inhaltliche Angleichung der pflegerischen Berufsauffassung sowie die Durchdringung mit dem nationalsozialistischen Gedankengut gesichert werden. Hierbei stand im Vordergrund, die kirchlichen Verbände zu verdrängen, da von ihnen ein größerer Widerstand gegen die Vorhaben der Nationalsozialisten vermutet wurde (vgl. ebd.).
Den wahrscheinlich größten Einfluss hatte bei der Vereinheitlichung des Schwesternwesens die bereits im Jahre 1932 gegründete NS-Volkswohlfahrt (NSV). Sie wurde am 3.5.1933 von Hitler als Organisation innerhalb der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) anerkannt (vgl. ebd.). 1934 erfolgte die Gründung der NS-Schwesternschaft, auch bekannt unter der Bezeichnung „Braune Schwestern“, die der NSV unterstellt waren (vgl. Bauer 1965, S. 315). Ihre Hauptaufgabe sollte die Gemeindekrankenpflege sein, da sie so für die Volksgesundheit sorgen und zu gleich das nationalsozialistische Gedankengut in die Bevölkerung tragen konnten (vgl. Seidler 1996, S.234). Es war demzufolge kein selbstloses Organisieren der Krankenpflegeverbände, die der NS-Staat hier vornahm, sondern ein geschickter Schachzug zur Erreichung der Macht über die deutsche Bevölkerung. Von 1933 bis 1935 war die „Reichsschaft deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ als berufsständische Dachorganisation der fünf Schwesterngemeinschaften,
dem Reichsinnenministerium sowie der Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im ärztlichen und sozialen Dienste e.V. (RAG) unterstellt.
Abbildung 1: Organisation der Krankenpflege von 1933 bis 1935
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Steppe 1996, S. 63
Es fanden während der nationalsozialistischen Regierung immer wieder Umstrukturierungen des Schwesternwesens statt, von denen hier die Einschneidendste herausgegriffen wird.
Ab 1936 wurde aus der „Reichsschaft deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ ein „Fachausschuss für Schwesternwesen“, der jetzt der „Deutschen Arbeiterfront Gesundheit“ und der NSV unterstellt war. Des Weiteren wurden die NS-Schwesternschaft („Braune Schwestern“) und der neu gegründete „Reichsbund freier Schwestern und Pflegerinnen“ („Blaue Schwestern“) im April 1942 zum „Nationalsozialistischen Reichsbund deutscher Schwestern“ zusammengeschlossen (vgl. Seidler 1993, S. 234). [Abbildung siehe Anhang 1].
Auch gab es viele gesetzliche Veränderungen. So wurde zum Beispiel am 1. April 1935 mit dem „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ den staatlichen Gesundheitsämtern die Aufgabe übertragen, eine Liste über Personen zu führen, die selbstständig oder in Anstellung Pflege oder sonstige Gesundheitsfürsorge durchführten (vgl. Steppe 1996, S. 66).
Des Weiteren erschien kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, am 28. September 1938, ein nationalsozialistisches „Gesetz zur Ordnung in der Krankenpflege“. Dieses Gesetz regelte alles von der Berufsausbildung der Krankenpflege bis hin zur geschützten Berufsbezeichnung. Außen vorgelassen, also der staatlichen Anerkennung entzogen, blieb die Irrenpflege, die zum Personal zur „Hütung unwerten Lebens“, degradiert wurde (vgl. Bauer 1965, S. 317f). Mit dem „Gesetz zur Ordnung in der Krankenpflege“ hätten außerdem weitere Verordnungen erlassen werden sollen, in denen das „nationalsozialistische Gedankengut“ (ebd. S. 318) verdeutlicht zum Vorschein kam. In etwa, dass nur denjenigen gestattet wurde, die Berufsbezeichnung Krankenschwester zu führen, die deutschen oder artverwandten Blutes waren (vgl. Katscher 1990, S. 166ff). Aufgrund des Krieges wurde das Gesetz nie umgesetzt. Das jüdische Pflegepersonal wurde aus den Krankenhäusern verbannt und durfte nur noch in jüdischen Krankenhäusern arbeiten (vgl. Bauer 1965, S. 318).
Im Dezember 1939 wurde eine neue Krankenhaustarifordnung erlassen, in der das Krankenpflegepersonal eine Einschränkung seines Privatlebens erfuhr. Sein Wohnort wurde die Anstalt und die Arbeitszeiten wurden verlängert. Es kam wieder zu einer Annäherung an die noch in der Weimarer Republik herrschende Gesindeordnung[8] (vgl. ebd. S. 325).
Trotz der vielen Neuregelungen und Gesetze verbesserte sich die Situation, wie von der Krankenpflege gehofft, nicht. Im Gegenteil, der Personalmangel wurde, aufgrund des Geburtenrückgangs durch den ersten Weltkrieg und der Verdrängung der Ausländer, schlimmer (vgl. Steppe 1996, S. 68). Zusätzlich verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen, wie eben geschildert, für die Krankenschwestern immer weiter.
Nachdem die Krankenpflege organisiert worden und das Denken des Pflegepersonals in die Bahnen des Nationalsozialismus gelenkt war, konnte man sich der Unterstützung sicher sein.
Nach diesen Ereignissen kam es zu einer Erweiterung des Aufgabenspektrums für die Krankenschwestern, sie wurden in der Euthanasie eingesetzt.
4 Definition und Beginn der Euthanasie
Der Begriff „Euthanasie“ stammt aus dem Griechischen und heißt wörtlich übersetzt „Todeslinderung“. Das bedeutet eine Erleichterung des Sterbens für unheilbar Kranke oder todgeweihte Schwerstverletzte. Im Dritten Reich hatte der Begriff der „Euthanasie“ einen anderen Sinn. Unter den Euthanasieprogrammen verstand man den Gnadentod, also das Vernichten lebensunwerten Lebens durch Gas, Medikamente oder Erschießens (vgl. Brockhaus Enzyklopädie Band 5 1988, S. 675).
Der Grundgedanke für das Euthanasieprogramm entstammt der Eugenik. Der Begriff stammt ebenfalls aus dem Griechischen und ist ein Forschungszweig der Anthropologie, der sich mit der Erlangung und Erhaltung der Erbgesundheit befasst. Zum Ziel der Eugenik gehören zum einen die Bekämpfung von Erbkrankheiten, zum anderen die Eheberatung sowie die Förderung gesunder Familien (vgl. Großes Lexikon A – Z 1995, S. 263). Um den Erbkrankheiten Einhalt zu gebieten, wurde am 14.7.1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, das ab Januar 1934 in Kraft trat. Aufgrund dieses Gesetzes wurden mindestens 400.000 Frauen und Männer wegen angeblicher Erbkrankheit zwangssterilisiert. Als möglichen Grund für eine Sterilisation zogen die Gerichte nicht nur eine von neun verschiedenen Erbkrankheiten[9], sondern auch Alkoholismus heran (vgl. Steppe 1996, S. 143).
Hier lag der Anfang der Vernichtungsstrategie der nationalsozialistischen Regierung. Die Tötung sogenannten lebensunwerten Lebens wurde wahrscheinlich schon 1935 zum ersten Mal in Erwägung gezogen, wobei Hitler entschied, erst nach dem Beginn des Krieges damit anzufangen (vgl. ebd.).
Es wurde jedoch schon 1937/1938 unter der Führung der „Kanzlei des Führers“ (KdF) ein „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter Leiden“ (im Folgenden nur „Reichsausschuss“) gegründet, welcher die Aufgabe hatte, diejenigen Neugeborenen zu erfassen, die erbgeschädigt, also in irgendeiner Weise behindert waren. Des Weiteren gab es die T4[10] - Organisation, die für die Durchführung der Tötung des lebensunwerten Lebens zuständig war (vgl. Debus u. a. in Roer / Henkel 1996, S. 47).
[...]
[1] Drittes Reich, anfängliche Eigenbezeichnung des nationalsozialistischen Staates, die als Epochenbegriff für die deutsche Geschichte 1933 – 1945 in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Die Nationalsozialen entlehnten das Schlagwort Drittes Reich in den 20er-Jahren einem Buchtitel des Kulturphilosophen Moeller van den Bruck und meinten damit zunächst nur die Ortzählung 1.Reich = Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation (962 – 1806), 2. Reich = Hohenzollernreich (1871 – 1918), 3. Reich = kommende Herrschaft Hitlers. Gleichzeitig knüpften sie an die christliche Heilserwartung des Mittelalters an, das nach dem ersten Reich des Vater (= Gesetz) und dem zweiten des Sohnes (= Evangelium) ein drittes Reich des Heiligen Geistes (=Liebe und Freiheit) ersehnte. Die Bezeichnung Drittes Reich wurde 1939 als unerwünscht verboten (Brockhaus Enzyklopädie Band 5 1988, S. 683).
[2] Unter Heil- und Pflegeanstalten sind die Psychiatrien zu verstehen. An anderen Stellen wird von Anstalten gesprochen. Diese Begriffe sind als Synonym zu betrachten.
[3] Adolf Hitler (*20.04.1889 +30.04.1945) war ab 1933 Reichskanzler im nationalsozialistischen Deutschen Reich (Brockhaus Enzyklopädie Band 10 1988, S. 114f).
[4] „Weimarer Republik“ bezeichnet die erste deutsche Demokratie, die in der Zeit von 1919 bis 1933 regierte. Sie heißt nach dem Ort, an dem dieser neuen Staatsform ihre Verfassung gegeben wurde (vgl. Großes Lexikon A - Z 1995, S. 883).
[5] Der Bolschewismus kommt aus dem Russischen und ist die übliche Bezeichnung für die Theorie und Praxis des sowjetischen Kommunismus (Brockhaus Enzyklopädie Band 3 1988, S. 512).
[6] Im Sozialdarwinismus wird beschrieben, wie durch natürliche Zuchtwahl verschiedene Individuen, Stämme, Völker und Rassen entstanden sind und dass gemäß dem Gesetz des Stärkeren eine hierarchische Gliederung aller Gesellschaften erfolgt (vgl. Brockhaus Enzyklopädie Band 20 1988, S. 521).
[7] Der Psychiater Karl Binding und der Jurist Alfred Erich Hoche veröffentlichten 1920 die 62 Seiten umfassende Broschüre: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“, in dem über Sterbehilfe bei Todkranken und die Tötung für minderwertig befundener Kranker und Behinderter zu lesen ist. Binding und Hoche waren nicht die einzigen mit solchen Veröffentlichungen, in denen Wert und Nutzen dieser Menschen aufgegriffen wurde (vgl. Klee 1986, S. 37).
[8] Für viele in der Krankenpflege Tätige galt bis 1918 die Gesindeordnung, in der keine persönlichen Rechte oder Freiheit für die eigene Person gewährt wurden (vgl. Steppe 1996, S. 49).
[9] Als Erbkrankheiten wurden angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärer (manisch-depressiver) Irrsinn, „erbliche“ Fallsucht, „erblicher“ Veitstanz, „erbliche“ Blindheit, „erbliche“ Taubheit sowie schwere „erbliche“ körperliche Missbildungen u. a. bezeichnet (vgl. Hoser / Weber-Diekmann in Roer / Henkel 1996,
S. 124).
[10] T4 steht für Tiergartenstraße 4 in Berlin, den Sitz der Organisation.
- Citar trabajo
- Sabine Schellerer (Autor), 2005, Die Rolle der Krankenpflege im Nationalsozialismus (1933-1945). Zur Euthanasie in Landeskrankenhäusern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86566
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