Feste und Feiern sind ein integraler Bestandteil menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Sie geben Struktur und Sinn, sie ermöglichen für einen begrenzten Zeitraum das Ausbrechen aus der Alltäglichkeit des Lebens, indem Sie den Alltag überhöhen oder mythisieren. Sie wecken und regulieren Emotionen und spielen eine entscheidende Rolle für das Funktionieren sozialer Gruppen. So gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen seit Menschengedenken Feste und Feiern. Wir erleben spezifische Formen des Feierns und der Festlichkeit in allen unseren Lebensabschnitten und in den verschiedensten sozialen Kontexten – von der privaten Geburtstagsfeier im engsten Familienkreis bis zur Betriebsweihnachtsfeier oder dem alljährlichen Dorffest mit Hunderten von Teilnehmern. In jedem Bereich unseres Lebens – biografisch wie sozial – haben Feste und Feiern also einen festen Platz.
Für Kinder und Jugendliche nimmt die Schule einen zentralen Bereich im Leben ein; sie ist vergleichbar mit dem Berufsleben und dem sozialen Umfeld am Arbeitsplatz bei Erwachsenen. Daher ist es nahe liegend, dass Feste und Feiern aus der Schule kaum wegzudenken sind, zumal sie im pädagogischen Kontext noch viel weitreichendere Funktionen haben können, als die Eingangs aufgeführten. So betont Karlheinz Biller 1980: „Gesund ist Schule, wenn schulische Aktivitäten den gesamten Menschen ansprechen, seine Hand, seinen Kopf und sein Herz; denn von Festen und Feiern soll die Bildung der gesamten Persönlichkeit unterstützt werden.“ (Biller 1980, S. 96) Aufgrund dieser herausragenden Bedeutung des Festens und Feierns in der pädagogischen Praxis möchte ich in Teil 1 der folgenden Ausarbeitung deren spezifische Funktionen in der Schule beleuchten und auf Probleme und Defizite beim erziehungswissenschaftlichen Forschungsstand zu Festen und Feiern in der Schule eingehen.
In Teil 2 werde ich mich dann ganz konkret mit der Abiturfeier, ihren unterschiedlichen Formen und Ritualen auseinandersetzen und ihre Bedeutung im Sinne eines Übergangsritus untersuchen. Nachdem die Feierlichkeiten zum Abitur und die zahlreichen Traditionen und Rituale im Zuge der ’68-Revolution verdrängt und unterdrückt wurden und teilweise fast vollständig verschwanden, dauerte es nur wenige Jahre, bis sich die Jugendlichen wieder der besonderen Bedeutung dieser Feier besonnen. Zwar wurden auch alte Traditionen wieder belebt, doch keimten daneben zahlreiche gänzlich neue Rituale, die sich bis heute als feste Bestandteile der Abiturfeiern etabliert haben. Weshalb die Feierfreudigkeit der Abiturienten nach nur wenigen Jahren der Abstinenz zurückkehrte, wird unter anderem verständlich, wenn man beachtet, welch einen wichtigen Schritt im Leben das Abitur bedeutet. Und gerade ein solch bedeutender Schritt droht sich in der Bedeutungslosigkeit zu verlieren, wenn ihm die entscheidende Unterstützung durch Rituale fehlt. Der Psychologe August Flammer bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Rituale bieten autobiografische Merkpunkte, Orientierung, Kompetenz, Zugehörigkeit und Ordnung.“ (Flammer 2004, S. 28) Die Bedeutung dieser Merkmale von Ritualen für die Abiturienten wird deutlich, wenn man sich die konkrete Situation verdeutlicht, in der sich diese befinden: die überschwängliche Freude, endlich die Schule hinter sich gebracht zu haben; ein wenig Abschiedsschmerz; das Schweben im quasi luftleeren Raum zwischen dem alten und einem neuen Lebensabschnitt; die Vorfreude auf Kommendes gemischt mit Angst und Zweifel.
Inhalt
Einleitung
1. Feste und Feiern in der Schule
1.1 Unterscheidung: Feste und Feiern
1.2 Funktionen von Festen und Feiern in der Schule
1.3 Defizite beim Forschungsgegenstand ‚Feste und Feiern in der Schule’
1.4 Die Praxis: Was ist bei Planung und Durchführung von Festen und Feiern in der Schule zu beachten
2. Gestaltung von Übergangsriten am Beispiel von Abiturfesten und –feiern.
2.1 Kurzer Überblick über die Entwicklung der Fest- und Feierkultur zum Abitur
2.2 Feste und Feiern zum Abitur
2.2.1 Offizielle Entlassungsfeier mit Zeugnisübergabe
2.2.2 Abibälle
2.2.3 Abiturumzüge
2.2.4 Abi-Gag-Tage/Abischerz/Abistreich
2.3 Bräuche im Rahmen der Fest- und Feieraktivitäten zum Abitur
2.3.1 Aufheben der Hausordnung
2.3.2 Eroberung des Schulgebäudes
2.3.4 Denkmäler
2.3.5 Bücherverbrennung
2.4. Der Schulabschluss als Übergangsritus im Sinne van Genneps
Literatur
Einleitung
Feste und Feiern sind ein integraler Bestandteil menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Sie geben Struktur und Sinn, sie ermöglichen für einen begrenzten Zeitraum das Ausbrechen aus der Alltäglichkeit des Lebens, indem Sie den Alltag überhöhen oder mythisieren. Sie wecken und regulieren Emotionen und spielen eine entscheidende Rolle für das Funktionieren sozialer Gruppen. So gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen seit Menschengedenken Feste und Feiern. Wir erleben spezifische Formen des Feierns und der Festlichkeit in allen unseren Lebensabschnitten und in den verschiedensten sozialen Kontexten – von der privaten Geburtstagsfeier im engsten Familienkreis bis zur Betriebsweihnachtsfeier oder dem alljährlichen Dorffest mit Hunderten von Teilnehmern. In jedem Bereich unseres Lebens – biografisch wie sozial – haben Feste und Feiern also einen festen Platz.
Für Kinder und Jugendliche nimmt die Schule einen zentralen Bereich im Leben ein; sie ist vergleichbar mit dem Berufsleben und dem sozialen Umfeld am Arbeitsplatz bei Erwachsenen. Daher ist es nahe liegend, dass Feste und Feiern aus der Schule kaum wegzudenken sind, zumal sie im pädagogischen Kontext noch viel weitreichendere Funktionen haben können, als die Eingangs aufgeführten. So betont Karlheinz Biller 1980: „Gesund ist Schule, wenn schulische Aktivitäten den gesamten Menschen ansprechen, seine Hand, seinen Kopf und sein Herz; denn von Festen und Feiern soll die Bildung der gesamten Persönlichkeit unterstützt werden.“ (Biller 1980, S. 96) Aufgrund dieser herausragenden Bedeutung des Festens und Feierns in der pädagogischen Praxis möchte ich in Teil 1 der folgenden Ausarbeitung deren spezifische Funktionen in der Schule beleuchten und auf Probleme und Defizite beim erziehungswissenschaftlichen Forschungsstand zu Festen und Feiern in der Schule eingehen.
In Teil 2 werde ich mich dann ganz konkret mit der Abiturfeier, ihren unterschiedlichen Formen und Ritualen auseinandersetzen und ihre Bedeutung im Sinne eines Übergangsritus untersuchen. Nachdem die Feierlichkeiten zum Abitur und die zahlreichen Traditionen und Rituale im Zuge der ’68-Revolution verdrängt und unterdrückt wurden und teilweise fast vollständig verschwanden, dauerte es nur wenige Jahre, bis sich die Jugendlichen wieder der besonderen Bedeutung dieser Feier besonnen. Zwar wurden auch alte Traditionen wieder belebt, doch keimten daneben zahlreiche gänzlich neue Rituale, die sich bis heute als feste Bestandteile der Abiturfeiern etabliert haben. Weshalb die Feierfreudigkeit der Abiturienten nach nur wenigen Jahren der Abstinenz zurückkehrte, wird unter anderem verständlich, wenn man beachtet, welch einen wichtigen Schritt im Leben das Abitur bedeutet. Und gerade ein solch bedeutender Schritt droht sich in der Bedeutungslosigkeit zu verlieren, wenn ihm die entscheidende Unterstützung durch Rituale fehlt. Der Psychologe August Flammer bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Rituale bieten autobiografische Merkpunkte, Orientierung, Kompetenz, Zugehörigkeit und Ordnung.“ (Flammer 2004, S. 28) Die Bedeutung dieser Merkmale von Ritualen für die Abiturienten wird deutlich, wenn man sich die konkrete Situation verdeutlicht, in der sich diese befinden: die überschwängliche Freude, endlich die Schule hinter sich gebracht zu haben; ein wenig Abschiedsschmerz; das Schweben im quasi luftleeren Raum zwischen dem alten und einem neuen Lebensabschnitt; die Vorfreude auf Kommendes gemischt mit Angst und Zweifel.
1. Feste und Feiern in der Schule
1.1 Unterscheidung: Feste und Feiern
Untersucht man die Funktion von Festen und Feiern in der Schule, so ist es zunächst notwendig, die beiden Formen voneinander abzugrenzen.
„Das Fest, geprägt durch Farbigkeit, Fröhlichkeit und Unbeschwertheit, fordert alle Teilnehmer auf, aktiv und gestalterisch mitzuwirken, und dadurch wird es vom Thema, Inhalt und Rahmen her bestimmt.“ (Riedl 1991, S. 5) Feste sind also gekennzeichnet durch einen freudigen Anlass; sie sind bunt, heiter, leicht, beschwingt und unterhaltsam. Im Gegensatz zur Feier haben sie kein genau festgelegtes Programm und sind auf das Mitwirken aller Teilnehmer angewiesen (vgl. Biller 1980, S. 98). Beispiele für die Schule wären etwa ein Sportfest oder ein großes Schulfest.
„Die Feier steht meist unter einem bestimmten Leitgedanken, ist eher gemessen, ernst und verlangt vom Besucher eine innere Teilnahme, durch die Gemüt und Herz sensibilisiert werden.“ (Riedl 1991, S. 5) Der Anlass ist eher denkwürdiger Natur, kann dabei freudig oder traurig sein. Die Feier ist von der Stimmung her getragen, hat ein festes Programm und die Teilnehmer verhalten sich eher passiv (vgl. Biller 1980, S. 98). Typische Feiern im Rahmen der Schule bzw. des Unterrichts sind Adventsfeiern oder auch Schulabschlussfeiern.
1.2 Funktionen von Festen und Feiern in der Schule
Die möglichen Funktionen von Festen und Feiern in der Schule können ganz unterschiedlich sein. Die folgenden Ausführungen stellen eine Übersicht häufig erwähnter Funktionen in der Literatur dar.
Zunächst einmal erfüllen Feste und Feiern in der Schule eine Funktion, die ihnen auch in allen anderen Lebensbereichen eigen ist: Sie gliedern und ordnen die Zeit und ermöglichen es den Teilnehmern gleichzeitig durch die Überhöhung des Alltags eine gewisse, etwa zum Reflektieren notwendige, Distanz zu schaffen (vgl. Bartl 1993, S. 11). Somit wird dem Grundbedürfnis des Menschen, gelegentlich vom Alltag abzurücken, genüge getragen.
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- Citation du texte
- Herbert Flath (Auteur), 2006, Feste und Feiern in der Schule und Übergangsriten am Beispiel der Abiturfeier, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86402
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