Dem gesamten Bildungssystem kommt eine Schlüsselfunktion für das Gelingen des gesellschaftlichen Integrationsprozesses zu. Ein Großteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist beim Zugang zu Bildungseinrichtungen zwar Deutschen gleich gestellt, dennoch kann in der Praxis von Chancengleichheit nicht die Rede sein. Die schulische und berufliche Bildung der Migrantenjugendlichen ist überwiegend niedrig. Nach wie vor sind ihre Bildungsabschlüsse nicht ausreichend, dementsprechend sind sie auf dem Ausbildungsmarkt nicht konkurrenzfähig. Die PISA-Studie (Programm for International Student Assessment) hat deutlich gemacht, dass es in Deutschland ein Problem mit der Chancengleichheit im Bildungssystem gibt. Vor allem betrifft dies die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, denn neben der Frage der jeweiligen Familiensprache bzw. der Deutschsprachkompetenz gehören sie in hohem Maße zu den bildungsfernen Schichten mit niedrigem sozioökonomischen Status. Das Bildungswesen in Deutschland schafft es nicht Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend zu fördern und erfolgreich zu integrieren. Im Vergleich zu anderen Ländern mit vergleichbaren Migratenanteil schneiden sie schlechter ab.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2. Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit 5 Migrationshintergrund
2.1 Verbesserung der Bildungserfolge: Schüler mit Migrationshintergrund als 7 Vergleichsgruppe
2.2 Anhaltend geringere Bildungserfolge: Deutsche und ausländische 9 Schülerinnen und Schüler im Vergleich
2.2.1 Allgemeinbildender Bereich
2.2.2 Berufsbildender und tertiärer Bereich
2.3 Resultate der internationalen Schulleistungsvergleichsstudien
2.3.1 PISA – Internationaler Vergleich
2.3.2 Erste IGLU – Ergebnisse
2.4 Bildungsaspiration junger Migrantinnen
3 Erklärungsansätze und Ursachen zur Bildungsbenachteiligung von 20 Jugendlichen mit Migrationshintergrund
3.1 Rechtliche Situation als Rahmenbedingung für die Bildungssituation
3.2 Diskriminierung
3.3 Schulische Konzepte und Lernchancen
3.4 Einreisealter und Aufenthaltsdauer
3.5 Schichtzugehörigkeit
3.6 Fehlende Kenntnisse über das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem
3.7 Suchstrategien auf dem Ausbildungsstellenmarkt
3.8 Sozialisationshintergrund und kulturelle Orientierungen
3.9 Junge Migrantinnen
4. Der Niedersächsische Integrationsplan – Konzept zur Verbesserung der Integration von Migrantinnen und Migranten in Niedersachsen
4.1 Sprache, Bildung und gesellschaftliche Partizipation
4.1.1 Elementarbereich
4.1.2 Schule
4.2 Ausbildung, Weiterbildung und Arbeit
4.2.1 Jugendliche
4.2.2 Migrantinnen im Beruf
4.2.3 Qualifizierung, Weiterbildung und berufliche Eingliederung
5. Ansätze zur schulischen Förderung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
5.1 Sprachliche Förderung
5.2 Förderung in der Grundschule
5.3 Förderung in der Sekundarstufe I - Innovative Ansätze im Unterricht
5.4 Berufsvorbereitung und berufliche Bildung
6. Handlungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit bei der Förderung und Integration der Jugendlichen mit Migrationshintergrund
6.1 Schule und Schulsozialarbeit in der Einwanderungsgesellschaft
6.2 Interkulturelle Bildung
6.2.1 Gender Mainstreaming – Mehr Gender im Unterricht?
6.3 Von einer sozialpädagogischen PISA-Interpretation zum Bildungsauftrag
Literaturverzeichnis
1 Einführung
Dem gesamten Bildungssystem kommt eine Schlüsselfunktion für das Gelingen des gesellschaftlichen Integrationsprozesses zu. Ein Großteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist beim Zugang zu Bildungseinrichtungen zwar Deutschen gleich gestellt, dennoch kann in der Praxis von Chancengleichheit nicht die Rede sein. Die schulische und berufliche Bildung der Migrantenjugendlichen ist überwiegend niedrig. Nach wie vor sind ihre Bildungsabschlüsse nicht ausreichend, dementsprechend sind sie auf dem Ausbildungsmarkt nicht konkurrenzfähig. Die PISA-Studie (Programm for International Student Assessment) hat deutlich gemacht, dass es in Deutschland ein Problem mit der Chancengleichheit im Bildungssystem gibt. Vor allem betrifft dies die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, denn neben der Frage der jeweiligen Familiensprache bzw. der Deutschsprachkompetenz gehören sie in hohem Maße zu den bildungsfernen Schichten mit niedrigem sozioökonomischen Status. Das Bildungswesen in Deutschland schafft es nicht Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend zu fördern und erfolgreich zu integrieren. Im Vergleich zu anderen Ländern mit vergleichbaren Migraten-anteil schneiden sie schlechter ab.
Für alle heranwachsenden jungen Menschen, unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht, ist die Schule sowie die anschließende Berufsausbildung das zentrale Mittel ihrer gesellschaftlichen Integration. Hier werden die Weichen für einen erfolgreichen Übergang in die Berufswelt gestellt. In industrialisierten Gesellschaften wie Deutschland entscheidet die Qualität der schulischen und beruflichen Ausbildung über Chancen und Grenzen der beruflichen Eingliederung und des Aufstiegs.[1] Die berufliche Position entscheidet wiederum über Chancen der Gestaltung des eigenen Lebens. Wenn es um die Integrationsfunktion von Schule im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund geht, so gehört der Aspekt der Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund seit Beginn der Migration zu den zentralen Themenbereichen der Migrationsforschung. Das schlechte Abschneiden dieser Schülerinnen und Schüler wurde schon früh als gesellschaftliches Problem herausgestellt. Die Daten orientierten sich bis vor kurzem überwiegend an der Verteilung der Kinder und Jugendliche mit ausländischem Pass im gegliederten Schulsystem. Deren Unterpräsentation im Gymnasium und ihr prozentual hoher Anteile an den Sonderschulen, vor allem aber auch fehlende oder weniger qualifizierte Schulabschlüsse sind hier das augenfälligste Merkmal. Denn am gemessenen Abstand und damit an der Bildungsbenachteiligung gegenüber deutschen Schülerinnen und Schülern hat sich bis heute wenig geändert, trotz Zunahme besserer Bildungsabschlüsse und vermehrten Zugangs zu Gesamt- und Realschulen. Insbesondere die Veröffentlichung der PISA-Studie und der darauf folgenden IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) hat die Diskussion um die schulischen Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund belebt. Die Untersuchungen stellen Datenmaterial zur Verfügung, das einen differenzierteren Zugang zu Fragen nach den Bildungs(miss)erfolgen von Kindern aus Migrantenfamilien erlaubt. Die PISA-Studie hat zwei Vorteile: erstens nimmt sie nicht die in amtlichen Statistiken üblichen Kennzahlen wie Verteilung auf das gegliederte Schulsystem und Schulabschluss, sondern die Kompetenzen im Deutsch-Lesen, Naturwissenschaften und Mathematik zum Ausgangspunkt. Zudem legt sie nicht den Ausländerstatus zugrunde, sondern den aussagefähigeren Migrationshintergrund, festgemacht an dem Geburtsort den Eltern und der Verkehrssprache der Familie. Hinrichs (2000, S. 19) sagt dazu: „Bildung ist eine entscheidende Ressource, die Lebenschancen und die sozioökonomische Lage beeinflusst und damit Integrationsprozesse fördern oder hemmen kann“. Die Integration der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in das soziale und gesellschaftliche System der Bundesrepublik Deutschland hängt wesentlich von den Bildungschancen, die sie hier wahrnehmen können, ab.
An den entscheidenden biographischen Stationen, wie dem Schulabschluss, der Berufsausbildung und der Einstellung in ein Arbeitsverhältnis, ist die Situation der Migrantenjugendlichen wesentlich schlechter als bei gleichaltrigen Einheimischen. Die Mehrheit der Jugendlichen an allgemeinbildenden Schulen mit ausländischem Pass sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Die Ursachen für diese unbefriedigende Bildungssituation sind vielfältig. Die niedrige Bildungserfolgsquote der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird mit individuellen Erklärungsansätzen, wie z.B. Lernschwierigkeiten, Fehlen eines unterstützenden Hintergrundes bis hin zu bildungsfeindlichen Einstellungen der Familien bis heute zu erklären versucht. Für eine Analyse der Bildungssituation von Schülerinnen und Schülern aus Migrantenfamilien reicht solch eine einseitige Auslegung nicht aus. Grade solche Interpretationen verhindern das Erkennen und somit auch die Behebung der primären Ursachen des häufigen Scheiterns der Migrantenjugendlichen im deutschen Bildungssystem. Selten werden institutionelle Ursachen sowie strukturelle und gesellschaftliche Dimensionen für die fehlende Partizipation im Bildungssystem thematisiert. Da das Niveau der schulischen Allgemeinbildung der ‚Pass’ für den Ausbildungsmarkt, sowie zum Arbeitsmarkt und zu höheren Bildung ist, dadurch weitreichende Lebenschancen begründet werden, müssen die Bildungsdefizite der Migrantenjugendliche gegenwärtig wohl als ein hauptsächliches Hemmnis ihrer festen beruflichen Integration angesehen werden.[2] Im Laufe meiner Arbeit möchte ich auf die Fragestellung eingehen: Können Jugendliche mit Migrationshintegrund ihre Potentialität entwickeln, oder sind sie im Bezug auf die gegebenen schulischen Umweltbedingungen gegenüber einheimischen Jugendlichen benachteiligt? Ich weise darauf hin, dass es sich hierbei bei den Begriffen „ausländische Jugendliche“ oder „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ um Jugendlichen handelt, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sondern über eine „ausländische Staatsangehörigkeit“ verfügen. Diese Begriffe werden hier synonym verwendet.
2. Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Die Resultate der Pisastudie zeigen einen deutlichen Leistungsrückstand der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Leseverständnis in deutscher Sprache, zudem zeigen diese, dass mangelhaftes Leseverständnis für ihre schwächeren Leistungen in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungsbereichen hauptverantwortlich ist.[3]
Diese Tatsachen stimmen mit Resultaten von Untersuchungen interkultureller Bildungsforschung überein. Sie haben ergeben, dass Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem weniger erfolgreich sind als in anderen Systemen mit vergleichbaren Problemstellungen. Auch die deutsche Schulstatistik belegt seit Jahrzehnten, dass Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit - trotz der Teilerfolge nach einem halben Jahrhundert anhaltender Zuwanderung im deutschen Bildungssystem - immer noch schlecht abschneiden. Diese befinden sich überrepräsentativ im besonders „niedrigen“ Schulwesen, sie verfehlen häufiger den Hauptschulabschluss, zudem bleiben sie überdurchschnittlich oft ohne jede Berufsausbildung. Diese Befunde bilden sich auf der Ebene der gebräuchlichen Bildungsstatistiken ab. Auf die begrenzte Aussagekraft dieser querschnittlichen Daten ist hinzuweisen, da hier einzig das Staatsangehörigkeitskriterium berücksichtigt wird. In diesen Daten kann sich zum Beispiel nicht niederschlagen, dass die Gruppe der Migranten keineswegs stabil ist. Es verbergen sich vielmehr in den Durchschnittsdaten Zu- und Abwanderung, d. h. Fluktuation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. In Deutschland ist diese Fluktuation besonders hoch. Demzufolge besitzen Zeitlisten zur Bildungsbeteiligung auf der Ebene des Kriteriums ‚Staatsangehörigkeit’ eine eingeschränkte Aussagekraft, da diese nicht erlauben nachzuvollziehen, in welchem Ausmaß die Gruppe der Zugewanderten fluktuierte.[4] Eine berichtigte Datengrundlage für die Beschreibung der Entwicklung der Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund setzt auch eine andere Vorgehensweise bei der Bildungsberichterstattung voraus, als dies in Deutschland bisher üblich ist. An dieser Stelle ist es wichtig, andere Merkmale des Migrationsstatus, insbesondere die Sprachfähigkeiten der Migranten und die Dauer bzw. Zeiträume ihres Lebens in Deutschland zu berücksichtigen und nicht allein die Staatsangehörigkeit beruhende Merkmale in den Vordergrund zu stellen.[5] Hierzu bieten die internationalen Schulleistungsvergleichsstudien, insbesondere PISA und IGLU einen ersten Ansatz. In diesen Studien werden weiterentwickelte Definition von Migrationshintergrund verwendet, diese zeichnen die quantitative Dimension erstmalig realistisch nach. Die bei der PISA-Studie repräsentativ angelegte Ausdifferenzierungen nach ethnischer, sozialer und familialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erlaubt zudem differenzierte Analysen der möglichen Ursachen für das schlechtere Abschneiden der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.[6] Gogolin u.a. (2003, S.2) sagt: „Die Orientierung der Leistungsmessung an erreichten Kompetenzstufen in wichtigen Domänen schulischen Lernens lenkt den Blick auf Qualitätsmängel des deutschen Schulsystems, die dazu führen, dass in der Gruppe der Schulabsolventen mit Migrationshintergrund überproportional viele Jugendliche vertreten sind, die von jeder zukunftsfähigen Ausbildungen langfristig ausgeschlossen sind“.
Bereits seit den 70er Jahren ist in Deutschland ein verstärktes bildungspolitisches Interesse an der Integration und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu beobachten. Dabei geht es darum, diesen Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen zu ermöglichen. Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in Deutschland (KMK) hat diverse beachtenswerte Empfehlungen, unter anderem die Empfehlung zum interkulturellen Lernen verabschiedet.[7] Im Jahr 2002 hat die KMK einen Bericht zum Thema „Zuwanderung“ verabschiedet, in dem Handlungsstrategien zur Verbesserung der Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund dargestellt sind. Das Bundeskabinett hat im Jahr 2006 gemeinsam mit der KMK und BMBF über den Bericht zur „Bildung in Deutschland“ beraten. Sie beschloss ein verstärktes Engagement der Partner im nationalen Pakt für Ausbildung zur Verbesserung der Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sowie Maßnahmen in Programmen der beruflichen Bildung und Nachqualifizierung und die Unterstützung der Länder bei der individuellen Sprachförderung durch Forschungsvorhaben.[8]
2.1 Verbesserung der Bildungserfolge: Schüler mit Migrationshintergrund als Vergleichsgruppe
Wenn es sich um die ‚Verbesserung der Bildungserfolge’ handelt, verträgt sich diese optimistische Feststellung nicht damit, dass ein Vierteljahrhundert später die Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien in deutschen Schulen immer noch geringe Bildungserfolge aufzeigen als die gleichaltrigen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.[9] Bei der Betrachtung der Situation der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien, stellt man tatsächlich fest, dass eine enorme Besserung ihrer Bildungserfolge über die Jahrzehnte erreicht wurde. Diese gehörten zu Beginn der Migration zu den Erfolgslosen. Einen Eindruck von der Veränderung der Situation vermitteln Daten aus den 70er Jahren. Im Schuljahr 1977/1978 besuchten nur drei von vier Schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien überhaupt eine allgemeinbildende Schule und nur jeder zweite Schulpflichtige besuchte eine berufsbildende Schule. Außerdem erreichte nur ein Drittel der Jugendlichen aus Migrantenfamilien einen deutschen Schulabschluss und lediglich ein Sechstel dieser Jugendlichen kam in den Genuss einer Berufsausbildung.[10] Gegenüber dieser Lage ist eine beträchtliche Besserung erreicht worden. Dies zeigt die folgende Tabelle:
Schulabgänger in Deutschland nach Art des Schulabschlusses 2004/2005
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland, Stand Oktober 2006
Es ist also festzustellen, dass die Zahl der ohne Abschluss aus dem allgemeinbildenden Schulwesen Entlassenen enorm gesunken ist. Im Jahr 1999 ist sie allerdings von 18,7% auf 20,3% im Schuljahr 2000/2001 wieder angestiegen. Die Tabelle zeigt, dass diese Zahl im Schuljahr 2004/2005 wieder gesunken ist und zwar auf 17,5%.[11] Ferner ist in den 90er Jahren die Zahl der Jugendlichen, die höherqualifizierte Abschlüsse erreichten wie z.B., die Hochschulreife von 6,4% (1989/90) auf 9,3% (2000/2001) gestiegen; im Schuljahr 2004/2005 ist sie allerdings auf 8,2 gesunken. Wie bei den deutschen Frauen, sind auch die ausländischen weiblichen Schulentlassenen erfolgreicher als die männlichen. Im Schuljahr 2004/2005 erlangten 9,8% der Mädchen aus Migrantenfamilien die Hochschulreife, ihr Anteil an Entlassungen ohne Abschluss lag bei 13,7%.[12]
2.2 Anhaltend geringere Bildungserfolge: Deutsche und ausländische Schülerinnen und Schüler im Vergleich
2.2.1 Allgemeinbildender Bereich
Betrachtet man nun als Bezugsgröße die Gruppe der deutschen Schülerinnen und Schüler auf dieser Ebene der Bildungsstatistik, setzt man also „gleiche Bildungschancen“ als Norm, so relativiert sich der Eindruck erheblich. Die Abstände zwischen dem Erfolg der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und dem der deutschen sind faktisch über die vielen Jahre, in denen es das deutsche Bildungssystem mit Migration zu tun hat, etwa gleich geblieben.[13] Bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist nach wie vor eine geringere Versorgungsquote im vorschulischen Bereich festzustellen als bei Deutschen. Es bestehen hier allerdings regionale Unterschiede; in manchen Regionen z.B. dem RheinRuhrgebiet, nährt sich die Versorgungsquote der ausländischen Kinder und Jugendliche allmählich an die der Deutschen.
Auffällig ist die Verteilung deutscher und Kinder bzw. Jugendlicher mit Migrationshintergrund auf Schulformen der Sekundarstufe, sowie die dort erreichten Bildungsabschlüsse. Die folgende Grafik macht dies anhand von Daten aus dem Statistischen Bundesamt deutlich.[14]
Abbildung: Die erworbenen Bildungsabschlüsse von deutschen Jugendlichen und von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Prozent.
Quelle: Statistisches Bundesamt 2006
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Deutsche Ausländer
Die Anzahl der deutschen Schülerinnen und Schüler, die von der Primarschule auf ein Gymnasium wechseln, ist fast dreimal so hoch, als die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Dies ist von hohem prognostischem Wert, denn die Übergangsentscheidung am Ende der Grundschule ist die wichtigste Weichenstellung für den Bildungserfolg im gegliederten deutschen Schulsystem.[15]
Auch an anderen Aspekten wird deutlich, dass Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien von den Selektionsmechanismen des deutschen Schulsystem besonders betroffen sind. Dazu gehört z.B. dass die Anteile der Nichtversetzungen bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in allen Schulstufen und -formen im Vergleich zu den Deutschen höher ist. Bereits in der Grundschule müssen diese, je nach Bundesland, zwei- bis viermal so oft eine Klasse wiederholen als deutsche; am Gymnasium gehören sie etwa doppelt so oft zu den (Klassen)Wiederholern als deutsche. Nach wie vor erreichen mehr als 40% der aus Migrantenfamilien stammenden Schülerinnen und Schüler höchstens den Hauptschulabschluss.[16]
2.2.2 Berufsbildender und tertiärer Bereich
Im Gegensatz zur kürzeren Verweildauer der Migrantenjugendlichen im allgemeinbildenden Sektor, steht ihre relativ starke Nachfrage nach Ausbildung im betrieblichen Bereich.[17] Nach einer Phase steigender Beteiligung an betrieblicher Ausbildung bis Mitte der 90er Jahre sind mittlerweile die Chancen der Jugendlichen aus Migrantenfamilien auf einen Ausbildungsplatz wieder gesunken. Ihr Anteil an den Auszubildenden ging von 9,6% im Jahr 1996 auf 6,8% im Jahr 2001 zurück.[18] Ihr Anteil an den Auszubildenden war schließlich im Jahr 2004 bei 4,6%. Ein Indikator für verringerte Erfolgschancen ist, dass der Anteil der nicht vermittelten Jugendlichen mit Migrationshintergrund an allen gemeldeten ausländischen Bewerberinnen und Bewerbern auch im Jahr 2002 höher lag als der entsprechende Wert bei deutschen Jugendlichen (4,1% gegenüber 3,2%).[19] Darüber hinaus übersteigt der Anteil der nicht vermittelten ausländischen Bewerberinnen und Bewerber im Jahr 2002 ihren Anteil an der Gesamtzahl der Ausbildungsplatzsuchenden (11,1% gegenüber 8%). Somit bleiben im Verhältnis mehr Migrantenjugendliche ohne Ausbildungsplatz als deutsche.Trotz ihrer höheren allgemeinbildenden Schulabschlüsse sind die Ausbildungschancen junger Frauen mit Migrationshintergrund viel geringer als die der männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Der Anteil der jungen Frauen mit Migrationshintergrund stieg zwar unter den Auszubildenden von 39,7% im Jahr 1999 auf 41,0% im Jahr 2000 und ist somit nahezu identisch mit dem Anteil junger deutscher Frauen (41,3%), doch blieben wesentlich mehr junge Frauen aus Migrantenfamilien ohne Berufsabschluss als junge Männer mit Migrationshintergrund und einheimische Männer und Frauen.[20] Bundesweit blieben im Jahr 2000, in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen, 33,7 % der jungen Männer aus Migrationsfamilien ohne Berufsabschluss, hingegen 42,0 % der jungen Frauen aus Migartionsfamilien. Der entsprechende Anteil betrug bei einheimischen jungen Männern 9,8 % und bei Frauen 10,8 %.
Zu den Merkmalen für die geringeren Chancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gehört auch, dass ihr Anteil an den Auszubildenden in keinem Wirtschaftsbereich ihrem Bevölkerungsanteil an der Altersgruppe entspricht.[21] Demzufolge sind ihre Ausbildungschancen am höchsten in Berufen, die aufgrund geringer Verdienstmöglichkeiten, sowie ungünstiger Arbeitsbedingungen oder schlechter Karrierechancen von einheimischen Jugendlichen eher gemieden werden. Diesem Befund entspricht es, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger arbeitslos bzw. nicht erwerbstätig sind als deutsche Jugendlichen und außerdem diese sich knapp dreimal so oft in ungelernten oder angelernten Berufen beschäftigt sind als deutsche Gleichaltrigen.[22]
Im tertiären Bereich setzt sich der geringe Erfolg der Migrantenjugendlichen fort. Nach den Angaben des sozio-ökonomischen Panels waren Ende der 90er Jahre nur halb so viele ausländische als deutsche junge Erwachsene im Alter von 22 Jahren in Universitäten und Fachhochschulen eingeschrieben; im Alter von 23 bis 26 Jahren besuchten fast dreimal so viele deutsche Studierende als Studierende mit Migrationshintergrund die Hochschulen in Deutschland.[23] Hinzufügen ist, dass diese Daten „geschönt“ sind, da diese auch diejenigen Studierenden ausländischer Herkunft enthalten, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland absolviert haben. Folgendes weist darauf hin: Die Studienberechtigungsquote betrug im Jahr 1996 bei den Deutschen 43,3%, bei ausländischen Bildungsländern hingegen nur 7,4%. Die Quoten derjenigen, die ein Studium beginnen, sind dann fast gleich; die Anfängerquote lag 1996 bei den Deutschen bei 28,4%, bei den Bildungsinländern bei 5,3%. Dies zeigt, dass Migrantenjugendliche Bildungschancen, die ihnen durch Abschlüsse offen stehen, in demselben Maß wie die einheimischen Deutschen wahrnehmen.[24] Im Wintersemester 2003/2004 hatten von rund 2 Mill. Studierenden 12% eine ausländische Staatsangehörigkeit (246100). Davon waren 27% Bildungsinländer, d.h. ausländische Studierende, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben. 73% der ausländischen Studierenden waren Bildungsausländer, haben ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben. Unter den knapp 317000 Studienanfängern im WS 2003/2004 waren 16,2% ausländischer Herkunft, davon waren 83% Bildungsinländer, darunter gehören auch ausländische Studierende, die in Deutschland ein Auslandssemester absolvieren, aber einen Abschluss in ihrem Heimat anstreben.[25]
Während die Zahl der deutschen Studierenden im WS 2003/2004 kaum höher lag als zehn Jahre zuvor, nahm die Zahl der ausländischen Studierenden um 45% zu.[26] Die Zahl der ausländischen Studienanfänger im Sommersemseter hat sich im letzten Jahrzehnt fast verdoppelt. Der Anteil der Frauen und Männer ausländischer Herkunft ist bei den Studierenden von 7% auf 12% und bei den Studienanfängern von 12% auf 16% gestiegen. Bis zum WS 2003/2004 ist die Zahl der Bildungsinländer um 32% gestiegen, die der Bildungsausländer hat sich mehr als verdoppelt. Somit zeigt sich einerseits die zunehmende internationale Mobilität der Studierenden, sei es im Rahmen eines Auslandsemesters bzw. eines Auslandsstudiums. Andererseits weist die steigende Zahl von Bildungsinlädern darauf hin, dass auch mehr in Deutschland lebende Frauen und Männer ausländischer Herkunft einem Studium nachgehen.[27] Der Anteil der Studierenden deutscher Frauen stieg zwischen dem WS 1993/1994 und dem WS 2003/2004 von 40% auf 47%. Bei den Faruen ausländischer Herkunft kletterte der Anteil von 39% auf 49%.[28] die Ergebnisse der Statistiken deuten darauf hin, dass einen Schwerpunkt auf die Förderung in den Breichen der Bildungskarriere, sprich Elementarbereich, Primarstufe und Sekundarstufe I gelegt werden sollte. In Angesichts dessen, dass der Großteil der Migrantenjugendliche den gesamten Bildungsgang in der deutschen Schule absolviert, müssen zudem hier Maßnahmen angesetzt werden, die einem Scheitern an der Schwelle zum bestqualifizierten allgemeinbildenden Abschluss, sowie zum Beruf vorbeugen sollen.[29]
2.3 Resultate der internationalen Schulleistungsvergleichsstudien
Die PISA-Studie hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, der allgemeinen Bevölkerung zu verdeutlichen, dass die speziellen Probleme der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund mit einem Strukturmerkmal des deutschen Schulsystems zusammenhängen, und zwar auf seine hochgradige ‚herkunftsbezogene Selektivität’.[30] In PISA 2000 wurde die Migrationsgeschichte der Schülerinnen und Schüler durch Angaben zum Geburtsort der Mutter und des Vaters, sowie zur Sprache in der Familie ermittelt. Damit ist gegenüber den üblichen Bildungsstatistiken eine weiter reichende Möglichkeit gegeben, Disparitäten der Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zu ermitteln und Erklärungsansätze zu suchen.[31] Die Angaben zum Geburtsort der Eltern gingen in die Auswertungen zur Frage der Bildungsbeteiligung von Jugendlichen aus Migrationsfamilien ein. Bei Jugendlichen, deren beide Elternteile nicht in Deutschland geboren sind, zeigte sich eine Art Bildungsbeteiligung, welche in Deutschland um 1970 anzutreffen war: Etwa die Hälfte, also 50% der Migrantenjugendliche besuchten die Hauptschule. Dies sind fast doppelt so viele als bei Altersgenossen, deren Eltern in Deutschland geboren wurden. Hingegen besuchen nur 15% der Jugendlichen das Gymnasium, weniger als die Hälfte der Altersgenossen ohne im Ausland geborene Eltern.[32]
2.3.1 PISA – Internationaler Vergleich
Auf der Ebene des internationalen Vergleichs ist das Resultat besonders bemerkenswert. Nur 2% der Jugendlichen, deren beide Elternteile nach Deutschland zugewandert sind, gehören zu den „exzellenten Lesern“, 20% von ihnen dagegen zu den „extrem schwachen Lesern“.[33] Etwa die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund überschreiten die ‚elementare Kompetenzstufe I’ im Lesen nicht. Dieses Ergebnis ist nicht domänenspezifisch; vielmehr wurde ermittelt, dass sich eine mangelnde Lesekompetenz im Deutschen kumulativ auf die Leistungsfähigkeit, sowohl auf die mathematische als auch auf naturwissenschaftliche auswirkt. Jugendliche mit unzureichender Lesekompetenz sind vermutlich in weiteren akademischen Domänen in ihrem Kompetenzerwerb beeinträchtigt.[34] Um diese Ergebnisse zu erklären, wurden die Angaben zur Sozialschichtzugehörigkeit der Familien, die Verweildauer der Jugendlichen in Deutschland, unter anderem auch „die Umgangssprache“ der Familie in die Analysen mit einbezogen. Es stellte sich heraus, dass weder die soziale Lage, noch die Verweildauer oder die familiale Sprachpraxis als solche primär verantwortlich für das schlechtere Abschneiden der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind. Entscheidend ist vielmehr „die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem dem jeweiligen Bildungsgang angemessenen Niveau“.[35] Dieses Resultat weist auf einen Schwachpunkt des deutschen Schulsystems hin, da etwa 70% der Jugendlichen aus Migrantenfamilien in der PISA-Stichprobe ihre sämtliche Schulzeit in Deutschland absolviert haben.[36]
Während dieses Resultat einen deutlichen Hinblick zu migrationsspezifischen Zusammenhängen aufweist, zeigen die weiteren Analysen eher generelle Merkmale des deutschen Schulsystems. An erster Stelle ist hierzu die hochgradige soziale Selektivität aufzuzeigen, die das deutsche Schulsystem mit wenigen anderen gemeinsam hat. In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und den Erfolgen im Bildungssystem enger als in allen anderen beteiligten Staaten.[37]
Von diesem Merkmal des deutschen Schulsystems sind Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien besonders betroffen, weil Migranten häufiger als ‚andere’ (ohne Migartionshintergrund) in prekären ökonomischen Verhältnissen leben. Es lassen sich zwar in allen untersuchten Bildungssystemen Abhängigkeiten zwischen sozialer Lage und den erreichbaren Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern feststellen, der Spielraum aber für die Entkoppelung von sozialer Herkunft und dem Erwerb zentraler Fähigkeiten ist enorm. Ein entscheidendes Verhältnis zwischen Herkunft und Schulerfolg besteht mithin nicht; vielmehr muss die Institution ‚Schule’ in der Lage sein, die Abhängigkeit zu lockern.[38]
2.3.2 Erste IGLU – Ergebnisse
Angesichts der Effekte, die die frühe Selektion im deutschen Schulwesen für Kinder aus Migrantenfamilien besitzt, besteht weitere Klärungsbedarf. Die Ergebnisse der „Internationalen Grundschul-Leseuntersuchungen (IGLU)“ weisen darauf hin, dass die deutsche Grundschule im internationalen Leistungsvergleich besser dasteht als die Sekundarstufe.[39] Somit werden mittlere Leistungen sowohl bei der Lesekompetenz als auch beim naturwissenschaftlichen Verständnis und der mathematischen Kompetenz erreicht. Insbesondere ist bemerkenswert, dass im Vergleich die Grundschule geringere Leistungsspreizungen verzeichnet als die Schulen in der Sekundarstufe. Die Leistungen der Grundschule sind weniger vom sozialen
Hintergrund abhängig, als dies in der Sekundarstufe der Fall ist. Dennoch ist in Deutschland der Zusammenhang zwischen ‚sozialer Schicht’ und erreichtem ‚Leistungsniveau’ im Vergleich zu anderen beteiligten nationalen Schulsystemen viel höher.[40] In Bezug auf die Kinder mit Migrationshintergrund zeigt sich in der IGLU-Studie, dass bereits in der Grundschule die Abhängigkeit zwischen Herkunft und Erfolgschancen überaus hoch ist.[41] Auch hier nimmt Deutschland die Spitzenposition ein, wenn es darum geht, eine Leistungsdifferenz zwischen den Kindern aus Migrantenfamilien und denen ohne Migrationshintergrund vorzuweisen.
In der IGLU-Stichprobe sind die vertretenden Kinder aus Migrationsfamilien zu ca. 75% in Deutschland geboren; ca. 14% sind vor dem 5. Lebensjahr zugewandert; ca. 90% dieser Stichprobe hat somit durchgehend die deutsche Schule besucht.[42] Dennoch sind ihre Schulerfolge und Leistungen in allen getesteten Bereichen geringer als die der Kinder ohne Migrationshintergrund. Darüber hinaus schneiden Kinder mit einem im Ausland geborenen Elternteil etwa um ein Drittel einer Standardabweichung schlechter ab.[43] Wenn beide Eltern im Ausland geboren sind, schneiden die Kinder im Lesen und den Naturwissenschaftlichen um nochmals eine Standardabweichung schlechter ab. Dieser Unterschied ist in der Mathematik etwas geringer. Offensichtlich sind mathematische Leistungen in der Grundschule nicht so stark von den Deutschkenntnissen abhängig.[44]
Abbildung: Lese- mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenz nach Migrationshintergrund. Kompetenzwerte: 80 bis 105
Quelle: Schwippert u.a. 2003, S. 285
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Des Weiteren wächst das Problem in der Sekundarstufe I. Dies zeigt, dass es nicht ausreicht, über Veränderungen und Verbesserungen am Anfang des Bildungsweges nachzudenken; offensichtlich wird der Diskrepanz zwischen den Leistungen der Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in der ‚Sekundarstufe I’ erst hergestellt.[45]
2.4 Bildungsaspiration junger Migrantinnen
Bei der Bildungssituation der Schülerinnen mit Migrationshintergrund vorgenommenen Differenzierung nach Geschlecht im Massenstatistiken46 stellt man fest, dass diese in höherwertigen Bildungsgängen gegenüber ihren Landsmännern über und in Hauptschulen und integrierten Gesamtschulen unterrepräsentiert sind.[46] Zudem verfügen sie in allen Bereichen überqualifiziertere Abschlüsse als die Jungen derselben Nationalität. Die Bildungsabschlüsse der Mädchen sind zwar im Gegensatz zu den Jungen derselben Nationalität deutlich qualifizierter, sie sind aber wesentlich schlechter als bei deutschen Jugendlichen, insbesondere schlechter als bei deutschen Mädchen.[47]
Zugleich haben Mädchen mit Migrationshintergrund deutlich geringere Chancen als Jungen, nach Abschluss der Schule den Übergang in eine berufliche Ausbildung zu schaffen. Neben den auch für deutsche Mädchen geltenden geschlechtspezifischen Einschränkungen und der damit häufig verbundenen Einschränkungen auf sogenannte ‚Frauenberufe’, gelten für Mädchen und jungen Frauen aus Migrationsfamilien vielfältige strukturelle und gesellschaftliche Restriktionen, die ihnen den Zugang zum Ausbildungsmarkt erschweren oder auch zum Teil ganz verhindern.[48]
Begreift man die Institution ‚Schule’ als ‚Filter für mögliche Anschlusskarrieren’, so zeigt sich, dass 45 bis 50 Prozent der 20- bis 25-jährigen Mädchen und Frauen nichtdeutscher Herkunft (gegenüber 14 Prozent der jungen deutschen Frauen) ohne Berufsabschluss bleiben. Demzufolge haben Mädchen und jungen Frauen aus Migrationsfamilien keine reelle Chance auf eine tragfähige berufliche Integration. Die geschlechtspezifische Benachteiligung von Mädchen und jungen Frauen im Bildungssystem, insbesondere von Mädchen und jungen Frauen aus Migrantenfamilien kommt hier deutlich zum Ausdruck.[49] Die Benachteiligungen von Mädchen im bundesdeutschen Erziehungs- und Bildungssystem wurden vor allem in den Debatten um die Einführung bzw. Fragestellung der Koedukation thematisiert. In der Pädagogik, insbesondere in der feministischen Pädagogik besteht Einigkeit darüber, dass die Schule zwar nicht als Verursacher der geschlechtsspezifischen Segmentierung gilt, sie aber zu deren Stabilisierung beiträgt.[50] Die spezifische Benachteiligung der Mädchen und jungen Frauen aus Migrantenfamilien im Bildungssystem hat unter dem Blickwinkel der Entwicklung einer feministischen Pädagogik kaum bis gar keine Rolle gespielt. Die Situation ‚ausländischer’ Mädchen wurde in der Regel als ‚doppelt’ diskriminiert (soll bedeuten: als Mädchen/Frau und als Ausländerin) dargestellt.[51] Demnach zeigt die im Vergleich zu den einheimischen Mädchen geringe Schulerfolgsquote der Schülerinnen mit Migrationshintergrund, dass ihre Benachteiligungen sich nicht auf eine zusätzliche Komponente ihres ‚Ausländerdaseins’ reduzieren lassen, sondern konstitutiv im Bildungssystem sind. Vor dem Hintergrund der statistisch erfassbaren Benachteiligungen kommt die Migrationsforschung zu dem Schluss, dass diese als ‚systematisch erzeugte Diskriminierungen’ aufzufassen sind.[52]
Die geringeren Schulchancen der Mädchen aus Migrantenfamilien, die ihren Ausdruck in den deutlich geringeren Bildungsabschlüssen von zugewanderten zu einheimischen Schülerinnen und Schüler finden, gelten im Prinzip für alle Mädchen ausländischer Herkunft, wobei Mädchen „türkischer“ Herkunft besonders benachteiligt sind.[53] Die Konzentration auf Mädchen türkischer Herkunft, sowie aus dem islamischen Kulturkreis spiegelt die bis in die achtziger Jahre bestehende öffentliche Thematisierung des ‚Ausländerproblems’ als ‚Türkenproblem’ wieder. Ganz allgemein wurden und werden Arbeitsmigranten und –migrantinnen türkischer Herkunft aufgrund ihrer nichtchristlichen Kultur andere, unter anderem auch autoritäre und patriarchalische Orientierungen und Mentalitäten zugeschrieben.[54] Diese Zuschreibungen würden dazu führen, dass sie nicht integrationsfähig wären. Insbesondere bezieht sich diese Stigmatisierung der türkischen Bevölkerung auf Mädchen türkischer Herkunft. In diesem Zusammenhang weist Boos-Nünning 94 daraufhin, dass Mädchen türkischer Herkunft als Außenseiterin definiert werden. „Das Verhalten der Mädchen () wird nicht nur als abweichend definiert, weil e sich nicht an den Normen der Majorität orientiert, sondern den Mädchen werden Verhaltensweisen und Orientierungen zugeschrieben, die es ermöglichen, sie als Außenseiterinnen und Abweichlerinnen zu sehen und sie als solche zu behandeln “, so Boos-Nünning.[55] Darüber hinaus weist ebenfalls Bukow daraufhin, dass “immer sehr pauschal von der Lage der ausländischen Jugendlichen gesprochen wird. Und wenn es besonders extrem zugeht, wird auf die muslimischen Jugendlichen abgehoben.“[56]
Im Bezug auf Berufsausbildung wird Frauen aus Migrantenfamilien wesentlich häufiger von ihren Familienangehörigen von einer Ausbildung abgeraten (18%) als deutschen Frauen (10%), ausländischen Männern (10%) oder deutschen Männern (8%). Außerdem nennen Frauen aus Migrantenfamilien wesentlich häufiger „in der Familie mithelfen“ als Ausbildungshindernis (24%) als deutsche Frauen (4%), deutsche Männer (1%) oder ausländische Männer (1%).[57] Während 1998 mehr als zwei Drittel aller deutschen Schulabgänger eine Ausbildung aufnahmen, waren es nur 37,8 Prozent der Migrantenjugendlichen. Und mehr als die Hälfte der jungen Frauen, die heute zwanzig bis dreißig Jahre alt sind, haben keinen beruflichen Ausbildungsabschluss.[58] Stattdessen sind Frauen aus Migrationsfamilien überproportional im informellen Sektor oder an Arbeitsplätzen tätig, die nur geringe Qualifikationsanforderungen stellen und dementsprechend niedrig entlohnt werden.[59] Diese erzielten Einkünfte, die im Durchschnitt sowohl unter denen ausländischer Männer als auch deutscher Frauen lag, heißt es im Sechsten Familienbericht.[60] Dieser Widerspruch bei jungen Frauen mit Migrationshintergrund zwischen einerseits besseren und höheren Schulabschlüssen und hoher Bildungsmotivation und andererseits statusniedrigen beruflichen Tätigkeiten, schlechter Entlohnung bzw. keiner Erwerbstätigkeit ist erklärungsbedürftig.
Junge Frauen türkischer Herkunft nennen häufiger als andere junge Frauen „Heirat“ und „Eltern/Ehepartner war dagegen“ als Ursache dafür, dass sie eine Berufsausbildung gar nicht angefangen haben.[61] Hierzu eine exemplarische Aussage eines Mädchens in einem Interview: „Ich kann in meiner Muttersprache weder lesen, noch schreiben und vergesse auch viele Sachen und habe hier auch keinen Hauptschulabschluss gekriegt, na ja, ist ja auch egal, ich heirate ja sowieso“. Aber durch die Heirat eben ist das bisschen an Wissen, was sie hier noch vermittelt bekommen haben, dann wieder auch hinfällig, weil ja, Kindererziehung und das steht dann an. Also so’n bisschen ja, Kasernierung (...)“, die Aussage einer Lehrerein. Der Verweis auf die Konflikte der Mädchen mit Migrationshintergrund dient nicht dazu, hieraus pädagogisches Handeln zu begründen, sondern dient dazu, die Schwierigkeiten der Schule zu verdeutlichen bzw. in seiner Zuspitzung, vor dem Hintergrund kultureller Differenzen (Heirat = Kasernierung) die Bildungsbemühungen der Schule als vergeblich darzustellen. Czock/Radtke bezeichnen die hier zum Ausdruck kommende pädagogische Haltung als „positive Diskriminierung“, die kulturellen Differenzen werden verabsolutiert, die Mädchen aus Migrantenfamilien werden auf ihre ‚fremde Mentalität’ fixiert und entlasten die Pädagogen von weiteren Bemühungen.[62] Der in hohem Maße vorhandene Wunsch dieser jungen Frauen nach einer Berufsausbildung kann offensichtlich auch aufgrund des starken Einflusses der Familie, vor allem Eltern und Ehemann nicht immer realisiert werden. Demzufolge können junge Frauen aus Migrationsfamilien häufiger als ihre Landsmänner eine Ausbildung erst gar nicht nachfragen. Dabei ist die Differenz zwischen Männern und Frauen türkischer Herkunft besonders deutlich. Somit sind also weniger die Rollenvorstellungen der jungen Frauen selbst, sondern die der „Familienoberhäupter“, die für eine Barriere bei den jungen Frauen sorgen.[63] Zum Teil durchbrechen junge Frauen aus Migrationsfamilien stärker traditionelle Rollenvorstellungen als deutsche Frauen. Dies wird bei der Betrachtung ihrer Situation während der Ausbildung besonders deutlich. Weibliche Auszubildende sind deutlich stärker aufstiegsorientiert als weibliche einheimische Auszubildende. Diese hohe Lern- und Ausbildungsmotivation drückt sich auch darin aus, dass ein großer Teil von ihnen während der Ausbildung auf freiwilliger Basis, in der Freizeit am Förderunterricht teilnimmt.
[...]
[1] Vgl. Boos-Nünning/Karakasoglu 2006, S. 163
[2] Vgl. Hinrichs 2000, S. 22
[3] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 1
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. Gogolin ua.a. 2003, S. 2
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. ebd. S. 2
[8] Vgl. http://www.bmbf.de/de/6204.php
[9] Vgl. Gogolin 2003, S. 3
[10] Vgl. ebd. S.3
[11] Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland 2006 Online
[12] Vgl. ebd.
[13] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 6
[14] Vgl. Statistisches Bundesamt 2006 Online
[15] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 6
[16] Vgl. ebd. S. 7
[17] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 8
[18] Vgl. ebd.
[19] Vgl. Gogolin u.a 2003, S. 8
[20] Vgl. ebd. S. 8
[21] Vgl. ebd. S.9
[22] Vgl. ebd.
[23] Vgl. Diefenbach 2002
[24] Vgl. Karakasoglu-Aydin 2001, S. 297
[25] Vgl. Statistisches Bundesamt 2005, S. 27
[26] Vgl. ebd.
[27] Vgl. Statistisches Bundesamt 2005, S. 27
[28] Vgl. ebd.
[29] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 12
[30] Vgl. ebd. S. 13
[31] Vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, S. 374
[32] Vgl. ebd. S. 374
[33] Vgl. ebd. S. 376
[34] Vgl. ebd. S. 376
[35] Vgl. ebd. S. 379
[36] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 13
[37] Vgl. PISA-Konsortium 2001, S. 379ff
[38] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 13ff
[39] Vgl. Bos u.a. 2003, S.
[40] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 16
[41] Vgl. Schwippert u.a. 2003, S.
[42] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 17
[43] Vgl. ebd.
[44] Vgl. ebd.
[45] Vgl. Gogolin u.a. 2003, S. 18
[46] Die Bundesländer Baden-Württenberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen z.B. differenzieren nicht nur nach Nationalität der SchülerInnen, sondern innerhalb dieses Merkmals auch nach Geschlecht. Vgl. BoosNünning/Karakasoglu 2006, S. 168
[47] Vgl. Boos-Nünning/Karakasoglu 2006, S. 168
[48] Vgl. Hadeed u.a. 99, S. 100
[49] Vgl. ebd. S. 100
[50] Vgl. ebd. S. 101
[51] Vgl. Hadeed u.a.99 S. 101
[52] Vgl. Rohr 2004, S. 73 u. Hadeed u.a. 99, S. 101
[53] Vgl. Hadeed u.a. 99, S. 101ff
[54] Vgl. ebd. S. 105 u. Boos-Nünning u.a. 2006, S. 184
[55] Vgl. Hadeed u.a. 99, S. 105
[56] Vgl. Boos-Nünning 94, S. 165 zit.n. Hadeed u.a. 1999, S. 105
[57] Vgl. Bukow 96, S. 122 zit. n. Hadeed u.a. 1999, S. 106
[58] Vgl. Bremer 2000, S. 150
[59] Vgl. Rohr 2004, S. 72
[60] Vgl. ebd. S. 72
[61] Vgl. S. 72
[62] Vgl. Rohr 2004, S. 77 u. Bremer 2000, S. 150
[63] Vgl. ebd. S.102 ff
- Arbeit zitieren
- Dip.Soz.päd. Malihe Berzegar (Autor:in), 2007, Sozialpädagogische Integrationskonzepte für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die Bildungs- und Ausbildungsproblematik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86247
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