Propaganda - ein ungewöhnliches Thema im Lateinunterricht! Propaganda ist jedoch in der Hauptsache ein sprachliches Phänomen, weil ihr Urheber in erster Linie die Sprache und ihre Wirkungsmöglichkeiten nutzt, um möglichst viele Menschen in seinem Sinne für geistig-kulturelle, wirtschaftliche oder politisch-ideologische Ziele zu beeinflussen.
In der Sachanalyse wird kurz skizziert, daß der Begriff in seiner heutigen Bedeutung jung ist - im Gegensatz zur Sache an sich. Um so reizvoller erscheint mir dieser Versuch, Schüler im Rahmen einer lateinischen Unterrichtsreihe Propagandamethoden am Beispiel der augusteischen Öffentlichkeitsarbeit erarbeiten zu lassen. Denn sie können dabei unter anderem die wichtige Einsicht gewinnen, daß dieses Phänomen kein Spezifikum der Gegenwart darstellt, sondern der Sache nach zu den kommunikativen Grundbedingungen des Menschen und der Intention von Sprache immanent ist. In diesem Sinne ermöglicht der Unterrichtsversuch einen existentiellen Transfer im Lateinunterricht, weil Schüler hier an einem Modell aus der antiken Vergangenheit isomorphe, also epochenunabhängige anthropologische oder genauer sprach- und kommunikationsimmanente Phänomene erarbeiten können.
Eine wichtige Intention meiner Unterrichtsreihe besteht darin zu versuchen, das Potential des Lateinunterrichts auszuschöpfen: Die Schüler sollen im Verlaufe des Unterrichtsversuches problemorientiert mit Gegenständen aus wichtigen altertumswissenschatlichen Bezugsdisziplinen des Lateinunterrichts in Berührung kommen, um mit ihnen umgehen und sie aufeinander beziehen zu lernen, so daß sie aus einer komplementär-kontrastiven Betrachtung Interpretationsgesichtspunkte gewinnen. Zu diesem Zwecke werden die Schüler mit Erkenntnisobjekten aus der lateinische Philologie, der Archäologie, der Epigraphik und der Numismatik konfrontiert, deren Interpretation auch Einblicke in die Alte Geschichte erfordern. In diesem Sinne soll diese Sequenz auch wissenschaftspropädeutisch wirken, da die moderne lateinische Philologie ebenso wie andere auf das Altertum gerichtete Fächer selbstverständlich Erkenntnisse aus ihren Nachbardisziplinen in ihren Interpretationsvorgang einbeziehen.
Inhalt
Begründung der Themenwahl
I. Planung
A. Pädagogische Intentionen
1) Die Modellhaftigkeit augusteischer Propaganda
2) Augustus und seine Epoche in der Schule
B. Themenanalyse
1) Das historische Umfeld in der neueren Forschung
2) Didaktische Reduktion
3) Kriterien für die Materialauswahl
4) Analyse der ausgewählten Texte und Materialien
a) Das Monumentum Ancyranum
1) Auszüge aus den Kapiteln 1-6
2) Das Kapitel 34
b) Münzlegenden und Münzbilder
c) Die Inschrift vom Ehrenbogen für Augustus auf dem Forum Romanum in Rom
e) Tacitus, Annalen I 2
C. Lerngruppe und Lehrer
D. Methoden und Medien
1) Allgemeine methodische Überlegungen
2) Textpräsentation und Materialauswahl
3) Texterschließung
4) Interpretation
E. Globale Lernziele
1) Kognitive Lernziele
2) Affektive Lernziele
3) Instrumentale Lernziele
F. Geplanter Verlauf der Unterrichtseinheit
1) Grobplanung der Einheit
2) Verlaufspläne der Einzelstunden mit Feinlernzielen
II. Dokumentation der Durchführung
A. Überblick über den Gesamtverlauf
B. Der Verlauf einzelner Stunden
1) Die erste Stunde
2) Die erste Doppelstunde
3) Die zweite Doppelstunde
4) Die vierte Doppelstunde
III. Auswertung und kritische Reflexion
A. Kritische Reflexion einzelner Stunden
1) Die erste Stunde
2) Die erste Doppelstunde
3) Die zweite Doppelstunde
4) Die dritte Doppelstunde
5) Die vierte Doppelstunde
B. Eignung der ausgewählten Texte und Materialien
C. Methoden- und Medienreflexion
1) Textaufbereitung und Hilfen
2) Texterschließungs- und Übersetzungsmethoden
3) Interpretation
4) Medieneinsatz und Arbeitsformen
D. Auswertung der Lernzielkontrolle
E. Der Unterrichtsversuch im Urteil der Schülerinnen
IV. Rückblick und Ausblick: Eine Schlußbetrachtung
Literaturverzeichnis
a) Wissenschaftliche Editionen und Kommentare
b) Hilfsmittel
c) Rahmenrichtlinien
d) Sekundärliteratur
Sitzplan
Anhang 1: Textblätter (T)
Anhang 2: Tafelbilder (Ta)
Anhang 3: Entwurf zu einer Lehrprobe
Begründung der Themenwahl
Propaganda - ein ungewöhnliches Thema im Lateinunterricht! Propaganda ist jedoch in der Hauptsache ein sprachliches Phänomen, weil ihr Urheber in erster Linie die Sprache und ihre Wirkungsmöglichkeiten nutzt, um möglichst viele Menschen in seinem Sinne für geistig-kulturelle, wirtschaftliche oder politisch-ideologische Ziele zu beeinflussen.[1]
In der Sachanalyse[2] wird kurz skizziert, daß der Begriff in seiner heutigen Bedeutung jung ist - im Gegensatz zur Sache an sich. Um so reizvoller erscheint mir dieser Versuch, Schüler im Rahmen einer lateinischen Unterrichtsreihe Propagandamethoden am Beispiel der augusteischen Öffentlichkeitsarbeit erarbeiten zu lassen. Denn sie können dabei unter anderem die wichtige Einsicht gewinnen, daß dieses Phänomen kein Spezifikum der Gegenwart darstellt, sondern der Sache nach zu den kommunikativen Grundbedingungen des Menschen und der Intention von Sprache immanent ist. In diesem Sinne ermöglicht der Unterrichtsversuch einen existentiellen Transfer im Lateinunterricht, weil Schüler hier an einem Modell aus der antiken Vergangenheit isomorphe, also epochenunabhängige anthropologische oder genauer sprach- und kommunikationsimmanente Phänomene erarbeiten können.[3]
Eine wichtige Intention meiner Unterrichtsreihe besteht darin zu versuchen, das Potential des Lateinunterrichts auszuschöpfen: Die Schüler sollen im Verlaufe des Unterrichtsversuches problemorientiert mit Gegenständen aus wichtigen altertumswissenschatlichen Bezugsdisziplinen des Lateinunterrichts in Berührung kommen, um mit ihnen umgehen und sie aufeinander beziehen zu lernen, so daß sie aus einer komplementär-kontrastiven Betrachtung Interpretationsgesichtspunkte gewinnen. Zu diesem Zwecke werden die Schüler mit Erkenntnisobjekten aus der lateinische Philologie, der Archäologie, der Epigraphik und der Numismatik konfrontiert, deren Interpretation auch Einblicke in die Alte Geschichte erfordern. In diesem Sinne soll diese Sequenz auch wissenschaftspropädeutisch wirken, da die moderne lateinische Philologie ebenso wie andere auf das Altertum gerichtete Fächer selbstverständlich Erkenntnisse aus ihren Nachbardisziplinen in ihren Interpretationsvorgang einbeziehen.
Dieser Fächerübergriff entspricht einem altertumswissenschaftlichen Ansatz, wie der Unterrichtende das Vorhaben nennen möchte.[4] Der wissenschaftsgeschichtliche Begriff "Altertumswissenschaft" stammt aus einer Zeit, als die Beschäftigung mit der Antike noch nicht in Teildisziplinen aufgelöst war, sondern man sich um eine ganzheitliche Betrachtung bemühte. Denn erst im Verlauf des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts spalteten sich von der Klassischen Philologie die Alte Geschichte, die Paläographie, die Inschriftenkunde, die Numismatik, die Kunstgeschichte und andere Spezialgebiete ab. Der heutige Lateinunterricht kann den Versuch unternehmen, in der Schule in didaktisch fruchtbarer Weise diese Trennung aufzuheben. Dies kann und soll nicht die einzige Form lateinischen Unterrichtes in der Oberstufe sein, aber es ist eine denkbare Möglichkeit, deren Realisierungschancen in diesem Unterrichtsversuch erprobt werden sollen.
I. Planung
Der Unterrichtsversuch ist als thematische Sequenz angelegt, in der die vorherbestimmte Abfolge der Materialien das Problem approximativ einkreist. Als thematische Sequenz will die geplante Unterrichtsreihe exemplarisch bzw. modellhaft sein, um den angesprochenen existentiellen Transfer zu ermöglichen.[5] Vor der inhaltlichen und methodischen Planung muß erörtert werden, welche pädagogischen Intentionen diese Unterrichtsreihe verfolgt, um anschließend die Lernziele, die es zu erreichen gilt, zu definieren.
A. Pädagogische Intentionen
Lateinunterricht in der Oberstufe soll Zugang zu Grundlagen unserer Sprache und Kultur ermöglichen. Er verfolgt das Ziel, über die Basis der Sprach- und Textreflexion hinaus zu einer Interpretation von Texten vorzustoßen, die das Verständnis der Gegenwart fördert und die Bewältigung ihrer Probleme unterstützt. Die Auseinandersetzung mit antiken Texten soll es möglich machen, im Besonderen das Allgemeine zu erkennen und die Urteilsfähigkeit über verwandte Probleme in der Gegenwart und Zukunft der Schüler zu schärfen.[6]
Im Rahmen dieser Unterrichtsreihe verfolge ich das Ziel, die Schüler für sprachliche und nichtsprachliche Formen und Methoden zielgruppenorientierter Meinungsbeeinflussung an ausgewählten Beispielen aus der augusteischen Epoche zu sensibilisieren. Die Einbeziehung von Realien als Erkenntnisobjekte und Interpretationsgegenstände ist durch die Rahmenrichtlinien ausdrücklich befürwortet.[7]
Heutige Schüler werden den größten Teil ihres Lebens im 21. Jahrhundert verbringen. Bereits ihre Gegenwart ist und ihre Zukunft wird geprägt sein von einer zunehmenden Informationsflut im multimedialen Zeitalter. Medien sind Bestandteile unserer Kultur. Aus unterschiedlichen Gründen und mit verschiedenen Absichten nutzen bereits heute Interessengruppen, Unternehmen und Regierungen alle Medien, um durch die Verbreitung bestimmter Informationen ihre Ziele zu verfolgen.
Der Begriff "Information" suggeriert Objektivität und verspricht ein "Aufgeklärtsein" nach ihrem Konsum. Informationen, die in verschiedenen Medien auftauchen, können - auch wenn sie falsch sind - als Wahrheiten erscheinen. Je omnipräsenter eine Information ist, desto einfacher kann sie der Adressat als objektive Wahrheit mißverstehen.
Hier steckt ein zentrales Problem der Gegenwart und Zukunft. Daß die Schüler sich dieses Problems bewußt werden, daß sie sprachliche und materielle Formen und Methoden der Meinungsbeeinflussung kennenlernen, daß sie Informationen, egal woher und von wem sie stammen, kritisch aufnehmen, dazu will unser Unterrichtsversuch am Beispiel der Informationspolitik in augusteischer Zeit einen Beitrag leisten. Hierin liegt ein wesentlicher Teil des existentiellen Transfers, den diese Sequenz ermöglichen möchte.[8]
1) Die Modellhaftigkeit augusteischer Propaganda
Augustus betrieb nicht als erster Propaganda für sich und seine Sache, aber er ist die erste historische Persönlichkeit, die in umfassender Weise über viele Jahrzehnte hindurch alle damals verfügbaren öffentlichkeitswirksamen Medien meinungsbildend zur Stabilisierung und Perpetuierung seiner Herrschaft einsetzte. Zudem ist er der erste, dessen umfassende Mittel zur Meinungsbeeinflussung durch die Überlieferung nachweisbar und erhalten sind. Die Wirkungsgeschichte der in der augusteischen Zeit praktizierten Methoden öffentlichkeitswirksamer Selbstdarstellung und Selbststilisierung zeugt von ihrer zeitlosen Einsetzbarkeit: Spätere Herrscher und Politiker in der Antike, der mittelalterlichen Welt und in der Moderne verwandten Formen und Methoden der augusteischen Propaganda für ihre Zwecke. Immer wieder diente eine politische Autobiographie als Rechtfertigung des eigenen Tuns. Münzpropaganda, die politische Leistungen, den Herrscher oder seine Familie verherrlichte, ist bis auf den heutigen Tag verbreitet. Bauprogramme, die die Hauptstadt eines Reiches zum Repräsentationsplatz der herrschenden Dynastie oder Ideologie umgestalteten, lassen sich in der Geschichte und der Gegenwart immer wieder feststellen. Auch die künstlerische und dichterische Verherrlichung gehört in diesen Zusammenhang.[9]
Gerade auch aus der Wirkungsgeschichte der augusteischen Propagandamethoden ergibt sich eine wichtige Legitimation für die Einbringung dieses Themas in den Lateinunterricht, weil hier an einem überschaubarem Modell durch problemorientierte Lektüre und Interpretation von Texten[10] und Realien Grundstrukturen verbaler und nonverbaler Kommunikationsintentionen in pädagogisch fruchtbarer Weise erarbeitet werden können.
2) Augustus und seine Epoche in der Schule
In der Schule kommen die Lernenden in zwei Fächern mit Augustus in Berührung, nämlich in Latein und in Geschichte. Deswegen erscheint ein kurzer, analysierender Blick über den Zaun, in das historische Fach, ebenso notwendig wie eine knappe Erörterung des Augustus-Bildes in dem Lehrwerk, das an der Schule, an dem dieser Unterrichtsversuch stattfindet, für Latein I und Latein II eingeführt ist.
Alle Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums begegnen im Rahmen des Geschichtsunterrichtes beim genetisch-chronologischen Durchgang durch die Antike der Person und der Leistung des Augustus. Die Vorschriften für das Fach Geschichte in der Unterstufe sehen als Zeitrichtwert etwa zwei Stunden für die augusteische Epoche vor und formulieren als Lernziel die Erkenntnis, "auf welche Weise Augustus den römischen Staat neu gestaltete".[11]
Als verbindliches Datum, das die Schüler lernen sollen, schreiben die Rahmenrichtlinien vor: "31 v. Chr. bis 14 n. Chr.: Augustus herrscht als erster Kaiser in Rom" und als fakultatives Datum: "9 n. Chr.: Varus Schlacht im Teuteburger Wald".[12] Diese Lernziele sind aus fachwissenschaftlicher Sicht in Frage zu stellen, da Octavian erst 27 v. Chr. den Titel "Augustus" verliehen bekam und seine Herrschaftsform sicher kein Kaisertum im späteren Sinne darstellte (vgl. Kap. Das historische Umfeld). Zudem gewinnt die Varus-Schlacht angesichts weit bedeutenderer Ereignisse aus der Zeit einen unangemessenen Stellenwert.
Das Schulbuch, das auf dem Max-Planck-Gymnasium für den Geschichtsunterricht eingeführt ist, vermittelt insgesamt ein zu positives Bild von Augustus, das der kritischen Beurteilung durch die heutige Fachwissenschaft nicht entspricht.[13] In der Sekundarstufe II kann eine Analyse der augusteischen Epoche auf der Basis der geltenden Rahmenrichtlinien für das Fach Geschichte in der Oberstufe kaum noch erfolgen, da römische Geschichte oder spezieller Geschichte der späten Republik und des frühen Principats ausführlich nicht mehr vorgesehen zu sein scheint.[14]
Auch viele eingeführte Lateinlehrbücher, zumal die Ianua Nova Neubearbeitung als reguläres Lehrbuch für Latein I und II, sehen in Augustus nach dem Jahre 27 v. Chr. einen Friedensherrscher, der die mores maiorum restaurieren wollte und Rom aus einer Ziegelstadt in eine Marmorstadt verwandelt habe. "Auch die Dichtung entfaltete sich zu hoher Blüte: Vergil, Horaz, Ovid und andere Dichter schufen Meisterwerke der römischen Literatur. Das bekannteste Ereignis seiner Regierungszeit ist die Geburt Jesu Christi." Insgesamt vermittelt dieser Lehrbuchtext einen positiven Eindruck von Augustus.[15] Die ideale Sicht der augusteischen Zeit scheint in starkem Maße auf die Nachwirkung von Autoren und Kunstwerken zurückzugehen.
Unter den Autoren, die im Lateinunterricht in der Oberstufe[16] gelesen werden können, befinden sich viele augusteische Schriftsteller, die zumeist indirekt den augusteischen Principat befürworten (Vergil, Horaz, Livius u.a.). Wenn ihre sprachlich und literarisch zweifellos höchst bedeutsamen Werke jedoch tatsächlich direkt oder indirekt von Augustus beeinflußt sind, bedeutet ihre Lektüre auch eine Beschäftigung mit - in vielfacher Hinsicht hochwertigen - Bestandteilen der augusteischen Meinungsbeeinflussung[17], ohne daß es an der konkreten Stelle im Unterricht bewußt sein muß. Es scheint, daß die Propaganda des Augustus bis in heutige Schulbücher hinein erfolgreich ist.
B. Themenanalyse
Der Begriff "Propaganda" geht auf das lateinische Verbum propagare zurück, ursprünglich ein biologischer Terminus ("fortpflanzen, ausdehnen, pfropfen"), der im übertragenen Sinne in der klassischen und nachklassischen Latinität "dem Raume nach weiter ausbreiten, ausdehnen, erweitern" bedeutet. An den heutigen Sinn des Wortes Propaganda erinnert die ciceronianische Wendung laudem alicuius ad sempiternam gloriam propagare.[18]
Das deutsche Substantiv Propaganda, ursprünglich ein lateinisches Gerundivum, ist allerdings erst in der frühen Neuzeit gebildet worden, um sämtliche Maßnahmen zu charakterisieren, die der Ausbreitung des christlichen Glaubens dienten. Besonderer Ausdruck dieser missionarischen Ambitionen war die 1622 von Papst Gregor VI. gegründete, einflußreiche Propaganda-Kongregation (congregatio de propaganda fide). Dieser positiv besetzte Begriff erhielt erst durch die Kritik der Aufklärung am päpstlichen Missionsdrang eine negative Konnotation. Im Zeitalter der Französischen Revolution drang er in die politische Auseinandersetzung ein und wurde nach der deutschen Revolution von 1848 zum Schlagwort gegen den literarischen Anarchismus. Seitdem ist der Begriff Propaganda deutlich negativ besetzt.[19]
Propaganda findet als Unterrichtsgegenstand in der Schule oft nur dann Berücksichtigung, wenn im Geschichtsunterricht Ursachen für die Erfolge des Nationalsozialismus analysiert werden. So kann leicht der unzutreffende Eindruck entstehen, der deutsche Propagandaminister habe die Sache erfunden.
1) Das historische Umfeld in der neueren Forschung
Nach Caesars Ermordung entbrannte ein jahrelanger Kampf um die Macht im Römischen Imperium, den schließlich Caius Octavius, ein Ritterssohn aus der ländlichen Gemeinde Nola am Golf von Neapel, für sich entscheiden konnte. Der junge Octavius erfuhr im illyrischen Apollonia von der Ermordung seines Großonkels Caesar und auf dem Weg nach Rom im süditalischen Brundisium davon, daß der ermordete Diktator ihn testamentarisch adoptiert hatte. Octavius, damals 19 Jahre alt, ohne besondere Leistungen oder Qualifikationen, hatte noch nie ein Staatsamt bekleidet - ein politischer Nobody!
Die Zukunft schien den führenden Caesarianern M. Antonius oder Lepidus zu gehören - vielleicht sogar den Republikanern. Niemand rechnete mit Octavius. Doch er verstand die Adoption nicht nur privatrechtlich, sondern vor allem auch politisch, so daß dieser Akt es ihm ermöglichte, im Kampf um die Macht gegen die alten Caesarianer anzutreten. Die Macht des Wortes und der Bilder zur Beeinflussung breiter Gesellschaftskreise und der Soldaten nutzte er seitdem meisterhaft, wie die jüngere wissenschaftliche Forschung durch Neuinterpretation sprachlicher und archäologischer Quellen herausgearbeitet hat.[20]
Ein paar Beispiele sollen dies verdeutlichen: Nach der Adoption nennt er sich C. Julius Caesar und läßt das übliche cognomen Octavianus weg, weil es an seine Herkunft aus der plebejischen gens Octavia erinnert. Als nunmehr gleichnamiger Sohn des Diktators Caesar verkündet er, aus pietas erga parentem Rache für seinen Vater nehmen zu müssen - eine dem römischen Zeitgenossen einleuchtende, den römischen Wertbegriffen entsprechende Parole. Er wirbt mit der Kriegskasse seines Adoptivvaters Veteranen an, mit denen er nach Rom marschiert und vor dem Senat das Konsulat für sich erzwingt. Münzen, auf denen er namentlich und bildlich mit Trauerbart als Sohn Caesars erscheint, tragen seine Botschaft in die Welt hinaus. In Rom läßt er ludi victoriae Caesaris abhalten, bei denen das sidus Iulium, ein großer Komet, am Himmel zu beobachten war, der den staunenden Massen die Vergöttlichung des ermordeten Diktators zu beweisen schien. Selbstverständlich wurde dieses Zeichen auch auf Münzen verbreitet, auf denen er nach der consecratio Caesars sich als divi filius, eines Gottes Sohn, darstellen läßt, um seinen Herrschaftsanspruch auch sakral zu legitimieren.
Die folgenden Jahre bis zur Schlacht von Actium sind durch eine Reihe militärischer Auseinandersetzungen gekennzeichnet, in denen die führenden Caesarianer M. Antonius, Lepidus und Octavianus in wechselnden Koalitionen teils miteinander gegen die republikanischen Caesarmörder kämpfen, teils gegeneinander operieren. Nach dem Sieg der Caesarianer über die Republikaner bei Philippi (42) wurde in Brundisium eine Aufteilung der Einflußsphären vorgenommen: Antonius, der Sieger von Philippi, sicherte sich die östliche Reichshälfte, Octavian erhielt den Westen und Lepidus die afrikanischen Provinzen. Im hellenistischen Ostteil des Römischen Reiches ließ sich Antonius als "Neuer Dionysos" feiern.
Diese Identifikation des Antonius mit dem orgiastischen Gott des Ostens, der dem römischen Wesen im Grunde fremd blieb, bot Octavian willkommenen Anlaß zu einer groß angelegten Kampagne gegen Antonius. Seine Propaganda desavouierte Antonius als Antirömer, der in dionysischem Taumel seine Macht genieße, während Octavian seine Romverbundenheit für alle sichtbar betonte, indem er sich ein Mausoleum in altitalischem Stil in Rom errichten ließ und sich in die Nähe des Gottes der Ordnung und der Rache, in die Nähe Apollos, rückte. Deshalb konnte dem römischen Volk plausibel gemacht werden, daß aus der Auseinandersetzung zwischen Octavian und Antonius ein Kampf des tugendsamen Westens gegen den dekadenten Osten, ein Krieg zwischen dem dionysischem und dem apollinischen Prinzip, bevorstehe.
Tatsächlich siegte in Actium nicht Augustus, sondern M. Vipsanius Agrippa, einer seiner wichtigsten Helfer und Vertrauten. Nach der Einnahme Alexandrias gliederte Octavian das Ptolemäerreich dem Römischen Imperium an, zog in dreifachem Triumph in Rom ein, entfernte aus dem Senat ihm feindlich gesinnte Persönlichkeiten der noch immer vorhandenen senatorischen Opposition und begann mit der Restaurierung oder dem Neubau von über 80 Tempeln und öffentlichen Gebäuden im Stadtgebiet von Rom.
Am Anfang des Jahres 27 v. Chr. legte Octavian seine Verfügungsgewalt über alle Heere und Provinzen nieder, der "gesäuberte" Senat stattete ihn aber sofort wieder aus mit einem imperium proconsulare für 10 Jahre über die Provinzen, in denen die meisten Truppen standen (Syria, Gallia, Hispania und Aegyptus). Angeblich aus Dank für die Rettung des Staates verlieh der Senat dem Octavian in feierlicher Sitzung den religiösen Ehrennamen "Augustus", einen goldenen Ehrenschild, der epigraphisch seine virtus, clementia, iustitia und pietas rühmte. Kopien dieses clupeus wurden in bedeutenderen Städten des Reiches aufgestellt. Diese später kanonisch gewordenen Herrschertugenden ließ Augustus ebenfalls durch Münzpropaganda zur Stilisierung seiner Persönlichkeit reichsweit verbreiten, wie die corona civica ob cives servatos und die Lorbeerbäumchen, die er vor seinem Hause aufstellen durfte. Sie rückten ihn in die Nähe des Gottes Apollo und legitimierten sein Handeln sakral. Zusammengenommen begründen diese Leistungen, Eigenschaften und Auszeichnungen die auctoritas des Augustus, die ihn zum princeps aller Senatoren machte.
In den folgenden Jahren leitete er zunächst als Consul (27-23 v. Chr.), danach als privatus eine innere Konsolidierung und restaurative Transformation in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen ein. Als Privatmann verfügte er jedoch über die tribunicia potestas. Dieser Advokatentrick, das jedes Jahr neu zu besetzende Amt von der perpetuellen Amtsgewalt zu trennen und letztere dem Privatmann Augustus zu verleihen, sicherte ihm weitreichende Kompetenzen: Mit dem ius intercessionis, dem ius auxilii, dem ius cum populi agendi, dem ius senatus habendi und dem ius relationis (et in absentia) konnte er die gesamte Politik im römischen Reich steuern.
Weitere Aufgaben kamen dazu: die cura annonae (22 v. Chr.) sicherte die Gefolgschaft des Volkes, das imperium consulare (19 v. Chr.) den militärischen Oberbefehl innerhalb Roms, das Amt des ponifex maximus ermöglichte die Kontrolle der Religion und der Zeichendeuter. Schließlich nannten Senat und Volk den Augustus einen pater patriae - zum 25. "Regierungsjubiläum"anno 2 v. Chr. Alle Titel und Ämter wurden mit den zeitgenössischen Medien öffentlichkeitswirksam zur Überhöhung des Augustus der Bevölkerung vor Augen geführt.
Die Innenpolitik des Augustus ist durch eine politische Schwächung aller Gesellschaftsgruppen bei gleichzeitig stärkerer Integration in den Staat und seine Verwaltung gekennzeichnet. Die alten politischen Ämter degenerierten durch die Sondervollmachten des Augustus zu einer inanis umbra. Andererseits erfuhr die dignitas des ordo senatorius eine kräftige Aufwertung durch die konservativen Ehegesetze des Augustus, deren Ziel die Beseitigung der Ehe- und Kinderlosigkeit gerade in dieser Gesellschaftsschicht war (lex Iulia sumptuaria, lex Iulia de adulteriis coercendis, lex Iulia de maritandis ordinibus, lex Papia Poppea nuptialis). Auch die leges de ambitu sollten das Ansehen des Senatorenstandes heben. Die Senatoren erhielten größere jurisdiktive Kompetenzen und übernahmen verstärkt Priesterämter als Ausgleich für verlorene politische Einflußmöglichkeiten.
Die equites - frei von politischen Traditionen - band Augustus in die Verwaltung des Staates ein . Unter Nutzung ihrer wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Kenntnisse schuf er eine effiziente städtische Verwaltung, die die Beschaffung, Lagerung und Verteilung von Getreide ebenso umfaßte wie die Betreuung der Tempel und öffentlichen Gebäude, die Wasserversorgung, die Tiber-Überwachung zur Überschwemmungsprophylaxe, die Schaffung von Feuerwehren, den Fernstraßenbau, die Nachrichtenübermittlung und schließlich den Aufbau einer funktionierenden Steuerverwaltung. Dies ging einher mit einer grundlegenden Heeresreform und einer Neugestaltung der Provinzialverwaltung. Ritter erhielten zudem neue judikative Aufgaben, waren nun auch in den Destinationskollegien vertreten und bildeten als Verwaltungsfachleute einen Beamtenapparat, der von Augustus besoldet wurde. In diesem konnten ehrgeizige Ritter über den Dienst der tres militiae die Aufgaben eines praefectus übernehmen (classis, castrorum, equitum, vigilum, annonae).
Auch in der Provinzialverwaltung konnten sie nun leitende und hoheitliche Aufgaben übernehmen als praefecti Aegypti oder als procuratores in kleineren Territorialeinheiten. Schließlich eröffnete Augustus ihnen sogar den Aufstieg in den Senatorenstand. Durch ihre gesellschaftliche Aufwertung integrierte Augustus den Ritterstand in seinen Staatsneubau und gewann sie für seine Staatsidee.
Die plebs machte sich Augustus durch einen grundsätzlichen Schuldenerlaß in Verbindung mit Geldgeschenken, umfangreichen Frumentationen und pompösen Unterhaltungen geneigt. Sein Bauprogramm, das die Restauration, Verbesserung oder Neuerrichtung zahlloser öffentlicher und kultischer Bauwerke erfaßte, wirkte als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ebenso wie als Prestigeobjekt des neuen Regimes. Die mit der tribunicia potestas verbundene sacrosanctitas des Prinzeps war ebenso populär wie der Ehrentitel pater patriae. Durch die Umgestaltung des Kompitalkultes wurde sogar ein kultisches Loyalitätsverhältnis der plebs zu Augustus begründet, weil nun in den 14 Stadtbezirken 265 vicomagistri mit einer Vielzahl von Beteiligten im Kult der lares Compitales auch den genius Augusti verehrten.[21]
Die Reorganisation alter römischer Werte bei gleichzeitiger Umorganisation von Politik und Gesellschaft wurde von vielen Intellektuellen, zumal von denen aus dem Ritterstand (Vergil, Horaz, Tibull, Gallus, Velleius Paterculus, Livius) unterstützt.[22] Augustus sorgte dafür, daß ihre Werke der römischen Öffentlichkeit bei Dichterlesungen in Theatern und privaten Kreisen bekannt wurden. Vergils Aeneis ist eine "Augusteis" genannt worden, weil sie gerade in ihren ideologischen Zentralstellen (I 257ff., Jupiter-Rede; VI 756ff, Heldenschau; VIII 618ff, Schildbeschreibung) den Prinzipat des Augustus als Ziel der römischen Geschichte darstellt. Horaz wandelte sich vom entschiedenen Republikaner zum glühenden Augusteer (z. B.: carm. I 2. 12. 37. III 3. IV 5. 15; epod. 7. 9. 16) und pries anläßlich der Jubiläumsfeierlichkeiten der Gründung Roms mit seinem carmen saeculare die politische Leistung und das Wollen und Wirken des Augustus, in dem sich der Beginn eines neuen Zeitalters manifestiere. Wie Romulus die Stadt gegründet, so habe Augustus sie wiedergegründet.
Livius stellte in seiner Universalgeschichte die altrömischen Tugenden und Werte concordia, auctoritas und die mores maiorum als nachahmenswerte Exempla dar. Auch er sieht in Augustus den Reorganisator richtigen Römertums. Velleius Paterculus übernahm die offizielle Sprachregelung in seine historia Romana (Kernstelle: II 89) und macht sich so zum Hofhistoriker der domus Caesaris. In dieser panegyrischen Darstellung erscheint Augustus als vindex libertatis und restitutor rei publicae und der Autor rühmt die pax Augusta, die später Tacitus als cruenta pax bezeichnet.
Wie die Literatur, so verkünden auch Bildende Kunst und Architektur die Ideologie des Prinzipats. Die "frohe Botschaft" des Augustus von der Rettung des Staates und seiner Bürger und der Rückbesinnung auf das wahre Römertum wurde mit künstlerischen Mitteln fester Bestandteil der artifiziellen Formensprache.[23] An dem dreigliedrigen Ensemble aus dem Horologium solarium Augusti, der ara pacis und dem Mausoleum Augusti sei eine zentrale Aussage der Bildenden Kunst in der augusteischen Epoche aufgezeigt, ohne auf künstlerische Einzelheiten einzugehen: Die Anlage mit der ara pacis wurde bedeutungsreich auf dem campus Martius installiert Als Gnomon (Schattenwerfer) der vermutlich größten Sonnenuhr der Welt diente ein 30 Meter hoher Obelisk aus Ägypten, mit dessen Unterwerfung (Schlacht von Actium) der Bürgerkrieg geendet hatte. Der Sockel trug eine Inschrift, die zwanzig Jahre danach an diesen Sieg erinnert. Am Geburtstag des Augustus wanderte der Schatten des Obelisken vom Mausoleum zur Mitte der ara pacis. Dem zeitgenössischen Römer war die Symbolhaftigkeit wohl deutlich: In der Konstellation der Gestirne zur Geburtsstunde des Augustus war seine Friedensherrschaft festgelegt - Augustus natus ad pacem.[24] Wie die beauftragten Künstler diesen Frieden darstellten, zeigt idealtypisch das Bildprogramm der ara pacis, auf das hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.
Den Prinzipat des Augustus staatsrechtlich zu beschreiben hat die Forschung immer wieder versucht. Mommsen sah in ihm eine Dyarchie zwischen Prinzeps und Senat, andere betonen seinen monarchischen Charakter (Kornemann, Premerstein, Bleicken). Castritius betrachtet ihn als faktische Wiederherstellung der Republik, während Bengtson, Christ, Kaser, Kunkel und Wickert dazu neigen, im Prinzipat eine Staatsform sui generis zu erkennen, die aus monarchischen und republikanischen Elementen geschaffen wurde, die beschreibbar sei, aber in keine staatsrechtliche Schublade passe.[25]
2) Didaktische Reduktion
Aus den pädagogischen Intentionen, aus der Themenanalyse und der für diesen Unterrichtsversuch zur Verfügung stehenden Stunden ergeben sich folgende Kriterien und inhaltlichen Ansatzpunkte zur didaktischen Reduktion[26]:
Die Ereignis- oder Entwicklungsgeschichte der augusteischen Epoche muß - so schmerzlich dies für einen Latein- und Geschichtslehrer auch ist - auf ein Minimum reduziert werden. Historisches Hintergrundwissen soll nur soweit eine Relevanz haben, wie es für das Textverständnis erforderlich ist. Deswegen muß auch die Einbettung des Octavian/Augustus in die Problematik der römischen Revolution bzw. in den Untergang der Republik weitgehend unterbleiben. Auch die Frage, welche Helfer und Ratgeber der junge Octavian (Babius, Agrippa, Maecenas, Rolle der Livia) gehabt hat und wie groß ihr Anteil an der politischen Leistung des späteren Princeps ist, kann nicht vertieft nachgegangen werden, obwohl sich gerade diese Frage bei Text 1 annos undeviginti natus ... anbietet.
Nicht thematisiert werden kann die philosophische Begründung der Prinzipatsidee durch Cicero in den Büchern V und VI von de re publica oder in der späten Rede pro Marcello aus dem Jahre 46 v. Chr, einem Schlüsseljahr auf dem Weg zum Prinzipat, weil dies einen anderen Themenkreis berührt. Auch die augusteische Restauration römischer Kulte oder der Kult um Augustus sollen nicht berührt werden.[27]
Nicht alle literarischen Gattungen und historisch-archäologischen Quellengruppen, die für das Thema relevant sind, können berücksichtigt werden. Vollständigkeit kann und soll nicht angestrebt werden - weder bei den Medien, die der Propaganda dienten, noch in den ausgewählten Mediengruppen. Das pars-pro-toto- Prinzip muß also vorherrschend sein.
So wird die herrschaftsstabilisierende Wirkung des vergilianischen Epos und die horazische Lyrik ebenso ausgeklammert bleiben wie die augusteische Historiographie des Livius oder Velleius Paterculus - zugunsten einer Einbeziehung nichtliterarischer Sprachdenkmäler des Lateinischen. In diesem Zusammenhang konnte der Bitte der Fachlehrerin, bestimmte Kernstellen der Aeneis (I 257ff., Jupiter-Rede; VI 756ff, Heldenschau; VIII 618ff, Schildbeschreibung) mit Rücksicht auf die Progression des Leistungskurses im Unterrichtsversuch nicht zu berücksichtigen, leicht entsprochen werden.
Die inschriftlich erhaltene Autobiographie des Augustus, seine Münz- und Baupropaganda dienten als meinungsbildende Medien, die eine breitere Wirkung entfalteten als die Bildende Kunst der Epoche, so daß diese Medien herausgegriffen wurden.
Auch innerhalb der ausgewählten Mediengattungen mußte erneut reduziert werden, weil im Unterricht nicht das gesamte Monumentum Ancyranum übersetzt, nicht jeder augusteische Münztyp beschrieben, nicht jede Inschrift dechiffriert werden kann. So muß sich die Beschäftigung mit der Autobiographie des Augustus auf wesentliche Aussagen über seine politische Selbstdarstellung konzentrieren. Die in enger Beziehung zum Monumentum Ancyranum stehenden Münzen sollen nur im Hinblick auf die Intentionalität des Bild- und Sprachprogrammes analysiert werden, wobei wirtschaftliche oder numismatisch relevante Gesichtspunkte (Datierungsprobleme, Reichs- und Provinzialprägung, Ost-West-Problem) nicht in den Unterricht einbezogen werden sollen. Nur eine von vielen möglichen Inschriften soll übersetzt und interpretiert werden, weil an ihr wesentliche sprachliche und typologische Merkmale der Gattung auch unter Berücksichtigung des Adressatenbezuges erarbeitet werden können.
Auf den Textblättern 1 und 2 habe ich ein Bildnis des Augustus plaziert. Es handelt sich um die Büste der Statue von Primaporta. Sie soll an dieser Stelle den Text illustrieren und gleichsam als Sprecher dienen, denn es handelt sich ja um einen autobiographischen Text, der in der Ich-Form geschrieben ist. Auf eine Interpretation der Statue habe ich bewußt verzichtet: Zwar könnte die Statue hinsichtlich ihres propagandistischen Bildprogrammes auf dem Brustpanzer interpretiert werden (allegorische Darstellung der Bedeutung des angeblichen Sieges des Augustus über die Parther). Auch die Funktion der Darstellung des 43jährigen Augustus in altersloser Jugendlichkeit oder die Einbettung dieser Statue in die Typologie der Augustus-Darstellungen sind denkbare Interpretationsansätze. Aber sie setzen genaue Kenntnisse des römisch-parthischen Verhältnisses und der römischen Mythologie voraus und erfordern Einblicke in die Kunstgeschichte.
Da ich in meinem Unterrichtsversuch bereits mehrere außersprachliche Schwerpunkte habe, habe ich mich dagegen entschieden, auch noch die Bildende Kunst miteinzubeziehen. Lediglich für die Eventualphase in der ersten Stunde kann das vermutliche Alter des Augustus von Primaporta mit dem faktischen Alter des Princeps zum Zeitpunkt der Entstehung des Kunstwerkes verglichen werden, um am Ende dieser Problemfindungsstunde die Diskrepanz zwischen Aussage und Realität im nonverbalen Bereich zu verdeutlichen.
3) Kriterien für die Materialauswahl
Bei der Materialauswahl habe ich mich von folgenden Kriterien leiten lassen: Die auszuwählenden Unterrichtsmaterialen müssen von den Schülern zu bewältigen sein, weil eine Überforderung gleichermaßen demotivierend wirken kann wie eine Unterforderung. Daher muß die Materialauswahl so getroffen werden, daß die Schüler an den einzelnen Materialien zentrale Gesichtspunkte des Themas erarbeiten können, damit sie im Verlauf der Unterrichtseinheit einen Gesamteindruck von den Methoden der augusteischen Meinungsbeeinflussung entwickeln und die gewonnenen Einsichten von ihrer historischen Verankerung abstrahieren können. Weil im Lateinunterricht der Oberstufe das Verständnis und die Interpretation von Texten im Mittelpunkt stehen, kann der angesprochene Gesamteindruck dennoch umfassender werden, wenn Realien unterschiedlicher Provenienz in einer sachgerechten Erarbeitung und funktionalen Interpretation den Texten an die Seite treten. Auf diese Weise kann das Textverständnis der Schüler vertieft und erweitert werden.
Die Sachgegenstände müssen für das Thema typisch, repräsentativ, aussagekräftig und überschaubar sein, weil die kurze Zeit der Unterrichtsreihe und die 45 Minuten dauernde Schulstunde ein Verweilen an Nebenschauplätzen - so reizvoll dies im Einzelfall sein kann - sich unter dem Gesichtspunkt der von den Schülern zu erbringenden motivationalen Leistung verbietet.
Die Texte müssen nach sprachlicher Schwierigkeit und Umfang dem Leistungsstand der Lerngruppe und nach ihrem Inhalt der entwicklungspsychologischen Situation der Schüler angemessen sein. Da die Lerngruppe sich zum Schuljahresbeginn neu zusammenfinden wird und die Schülerinnen und Schüler mir aus eigener unterrichtlicher Tätigkeit in dieser Gruppe noch nicht bekannt sind, muß ich damit rechnen, daß ein Gefälle im Kenntnisstand wegen unterschiedlicher "Lateinvergangenheiten" vorhanden sein kann. Aus diesen Überlegungen heraus habe ich mich dazu entschlossen, anfangs Texte ohne größere sprachliche Schwierigkeiten zu verwenden, dafür aber den Textumfang zu erhöhen, um zum Auftakt dieses Latein-Leistungskurses die Schülerinnen und Schüler insgesamt dadurch zu motivieren, daß sie sich bewußt werden, längere lateinische Texte in vergleichsweise kurzer Zeit bewältigen zu können.
Aus dem oben angesprochenen Grunde kann ich die Vokabelkenntnisse der mir noch unbekannten Schülerinnen und Schüler nicht einschätzen, so daß ich mich entschlossen habe, Vokabeln, die in der Ianua Nova nicht oder nur selten vorkommen, auf den Textblättern anzugeben.
Außerdem müssen die Texte für die Schüler einen deutlich erkennbaren inneren thematischen Zusammenhang aufweisen, und sie müssen sie aufeinander beziehen können, weil dann sukzessive der schon angesprochene Gesamteindruck entsteht.
Die oben dargelegten Kriterien erfüllt das Monumentum Ancyranum an vielen Stellen, so daß als Einstiegstext eine Kompilation wichtiger politischer Aussagen aus den ersten sechs Kapiteln dieser Inschrift geeignet erscheint. Daß es sich bei dem den Schülern vorzulegenden Text (T 1) um eine von mir vorgenommene Zusammenstellung von Einzelsätzen handelt, ist für die Schüler und für das Erreichen der angestrebten Ziele zwar ohne Belang, doch erscheint es mir nicht kontraproduktiv, den Schülern dies mitzuteilen und auf dem Arbeitsblatt durch folgendes Auslassungszeichen (...) deutlich zu machen.
Der zweite Text (T 2) bietet das Kapitel 34 des Monumentum Ancyranum ohne Kürzung dar. Diesem resümierenden Schlußkapitel kommt eine Schlüsselfunktion für das Selbstverständnis und die Legitimation des augusteischen Principats zu. Deshalb und weil es viele der oben genannten Kriterien erfüllt, insbesondere weil dieses Kapitel typisch, repräsentativ, überschaubar und aussagekräftig ist, darf es in dieser Unterrichtsreihe keinesfalls fehlen, vielmehr hat es eine zentrale Funktion, wie weiter unten[28] deutlich wird.
Der Sueton-Text (T 5) ist von mir behutsam gekürzt worden[29], um ihn auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ohne topographische Kenntnisse Roms ist er zwar sprachlich dekodierbar, eine angemessene Interpretation seines Inhaltes kann jedoch nur erfolgen, wenn man Kartenmaterial und Rekonstruktionspläne zur Hilfe nimmt, was an dieser Stelle des Unterrichtes auch erfolgen soll.
Der Tacitus-Text (T 6) stellt wegen seiner sprachlichen Gestaltung eine besondere Herausforderung dar. Deswegen habe ich ihn auch als kolometrische Textpräsentation aufbereitet, die bei Bedarf im Unterricht eingesetzt werden kann. Da er deutlich antiaugusteische Züge trägt, soll er am Abschluß der Sequenz den von Augustus beeinflußten Texten gegenübergestellt werden.
Selbstverständlich gelten die oben genannten Kriterien zur Textauswahl auch für die Auswahl der Inschrift (T 3) und der Münzen (T 4). Darüber hinaus soll auf den antiken Zahlungsmitteln die Legende gut entzifferbar, also nicht abgegriffen sein. Da auf den Münzen oft Namen und Begriffe abgekürzt sind, gewinnt ihre Dekodierung einen spielerischen Knobelcharakter, der sich positiv auf die Motivation der Lernenden auswirken soll. Ein weiteres Auswahlkriterium besteht darin, den Schülerinnen und Schülern Münzbilder vorzulegen, die sie mit Hilfe ihres Vorwissens erkennen und deuten können, sowie in der Möglichkeit, Münzbild und Münzlegende zu den gelesenen Texten in Beziehung setzen zu können, um dadurch das Textverständnis zu vertiefen und die Wirkung des im Text enthaltenen Inhaltes auch im außersprachlichen Bereich zu verdeutlichen.
Da mit dem Übergang der libera res publica zum Prinzipat des Augustus auch die Gestaltung des Massenmediums Münze Veränderungen erfuhr, erscheint es sinnvoll, daß die Schüler vor der Analyse augusteischer Prägungen sich durch Deskription und Interpretation voraugusteischer Denare Einblicke in die republikanische Münztypologie erarbeiten, um durch kontrastiven Vergleich mit Münzen aus der augusteischen Ära interpretatorisch wirksame Erkenntnisgewinne zu erzielen.
Schließlich spielte für die Auswahl augusteischer Münzen eine Rolle, Münzen aus dem gesamten Saeculum Augustum auszuwählen, weil die Schülerinnen und Schüler hier erarbeiten können, wie sich die Namensform und die Titulatur des späteren Princeps seit den späten 40er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. veränderten und ihren Befund im Hinblick auf öffentlichkeitswirksame Absichten deuten können.
Inschriften besitzen typologisch eine enge Nachbarschaft zu Münzen, weil auch sie auf engem Raume schriftliche Informationen vermitteln wollen. Im Gegensatz zur ubiquitären Münze ist die Inschrift statarisch auf den Ort ihrer Positionierung festgelegt. Deswegen kommt dem Standort eine besondere, zur Programmatik der Inschrift gehörende Bedeutung zu. Die weite Verbreitung lateinischer Inschriften verweist auf den Wert, den die Römer diesem Mitteilungsmedium beimaßen. Hieraus ergibt sich ein wünschenswertes Lernziel für den Lateinunterricht, nämlich daß Schüler - wenigstens einfache - Inschriften ("Latein aus Stein") übersetzen können. Darüber hinaus erscheint die Einbeziehung einer spätrepublikanisch-frühaugusteischen Inschrift auch deswegen geboten, weil sie für ihre Gattung typisch ist und zudem die Fiktion der Autonomie des Senats und des römischen Volkes in ihr aufgehoben ist.[30]
Ein historischer Plan von Rom zur frühen Kaiserzeit muß bei der Lektüre von T 5 herangezogen werden. Denn die augusteische Baupolitik gehörte zu den zentralen Strategien systemstabilisierender Öffentlichkeitsbeeinflussung. Elemente ihrer Methodik können am besten erfaßt werden, wenn die aus zeitnah-antiker Perspektive drei bedeutendsten Bauwerke (T 5) im Zusammenhang von Gründungslegende und topographischer Verortung interpretiert werden. Deswegen ist der Einsatz eines Planes von Rom, eventuell in Verbindung mit einer Rekonstruktion der drei bedeutendsten Bauwerke unerläßlich, damit die Schüler aus der Lage der Bauwerke, ihrer Nachbarschaft zu anderen Gebäuden und aus der im Text gelieferten und von Augustus selbst herrührenden Begründung für den Bau ein eigenes, kritisches Urteil gewinnen können.
4) Analyse der ausgewählten Texte und Materialien
Die unterschiedliche Provenienz der ausgewählten Texte und Materialen macht eine ausführlichere Analyse notwendig, als dies bei der Behandlung beispielsweise eines Autors oder einer Materialiengattung erforderlich wäre.
a) Das Monumentum Ancyranum
Am Ende seines Lebens verfaßte Augustus im Zusammenhang mit seinem Testament einen index rerum a se gestarum. Das Urexemplar wurde zunächst im Senat verlesen, darauf auf zwei ehernen Säulen vor seinem Mausoleum in Rom aufgestellt. In allen wichtigen Städten des Imperium Romanum war eine inschriftliche Kopie vorhanden, im Osten des Reiches als griechisch-lateinische Bilingue. Der Text wird auch nach seinem Hauptfundort Monumentum Ancyranum genannt. In Ancyra, der Hauptstadt der Provinz Galatien, war er am Tempel der Roma und des Augustus angebracht. Auch in Antiochia und im pisidischen Apollonia wurden Bruchstücke gefunden.
Der äußeren Form nach steht das Monumentum Ancyranum den orientalischen Königsinschriften des Dareios und des Xerxes nahe. Obwohl es aber zweifellos autobiographische Züge trägt, ist seine Zuordnung zu einem literarischen Genos schwierig, da es weder Geschichtsbuch noch reine Autobiographie ist.[31] Für unsere Unterrichtszwecke lösen wir das Problem der literaturgeschichtlichen Einordnung pragmatisch: Das Monumentum Ancyranum trägt autobiographische Züge, ist also (auch) Autobiographie.
Augustus zählt im Monumentum Ancyranum vor allem seine Leistungen für die plebs urbana auf (Bauten, Spiele, Spenden) und benennt seine außenpolitischen Erfolge. Die Aufzählung seiner Taten, Leistungen und Erfolge ist eingebettet in Aussagen, mit denen er sich zum restitutor rei publicae und als vindex libertatis stilisiert. Text 1 wurde den ersten sechs Kapiteln entnommen. Kriterium für die Auswahl war, wie erwähnt, den Schülern Kernaussagen über die Stellung des Augustus im Staate vorzulegen. Deswegen war eine Beschränkung auf Stellen notwendig, welche a) die höchsten politische Ämter oder Kompetenzen nennen, die den Schülern vertraut sind bzw. leicht erschlossen werden können, die b) so bedeutend sind, daß ihr Gehalt zum Kern der Prinzipatsideologie gerechnet werden muß, und die c) das Streben des Augustus nach republikanischer Legitimation der gewonnenen Machtstellung deutlich zeigen.
Augustus sagt im Monumentum Ancyranum die Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. So verschweigt er das imperium proconsulare, das ihm den militärischen Oberbefehl außerhalb Roms als wichtige Stütze seiner Macht sicherte. Seine Widersacher Antonius und Lepidus erwähnt er nicht einmal namentlich. Der Pannonische Aufstand und die Niederlage des Varus (redde legiones !) fehlen ebenso wie mehrere Vollmachten, die er seit dem Jahre 27 inne hatte (z. B. die lectio senatus). Die Liste ließe sich noch fortsetzen.
Die Sprache des Textes ist scheinbar schlicht und usuell. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch eine häufige Verwendung bestimmter Stilmittel: Augustus bevorzugte Alliterationen, Homoioteleuta, geräumige Hyperbata und auffallende Parallelismen. Die Funktion dieser Stilmittel an den konkreten Stellen im Text wird suo loco bei der Textinterpretation im Unterricht erarbeitet werden.
1) Auszüge aus den Kapiteln 1-6
Der Text umfaßt 98 Wörter. Jedoch ist seine sprachliche Gestaltung leicht dekodierbar, so daß der Textumfang in etwa 30 Minuten zu bewältigen ist. Die Hauptschwierigkeit des Textes liegt in der Häufung von Begriffen aus dem politischen Wortschatz der Römer. Bedeutung und Gehalt der wichtigsten Fachausdrücke (res publica, libertas, dictatura, senatus, consulatus) dürften den Schülern, die seit acht bzw. sechs Jahren die lateinische Sprache lernen, mindestens in Umrissen bekannt sein. Sollte das nicht der Fall sein, muß der Unterrichtende sie in einem kurzen Lehrervortrag erklären.
Unbekannt sind den Schülerinnen und Schülern wahrscheinlich die Begriffe tribunicia potestas, sacrosanctus und princeps senatus. Die tribunicia potestas können sie selbst erschließen, weil auf dem Textblatt die Kompetenzen des Volkstribunen erläutert sind. Sacrosanctus habe ich ebenfalls als Vokabelhilfe angegeben, um die staatsrechtlich-kultische Ambiguität dieses Begriffes den Lernenden schriftlich zu verdeutlichen. Der Begriff princeps senatus kann von ihnen erschlossen werden, wenn Form und Bezug von senatus geklärt worden sind.
Satz 1: Das parallel gebaute Kolon privato consilio et privata impensa verdeutlicht durch Homoioteleuta und Anapher zu Beginn des Textes die eigene Leistung und nimmt seine spätere staatsrechtliche Stellung vorweg: Augustus war staatsrechtlich ein privatus, der über Amtsgewalten verfügte, ohne Amtsinhaber zu sein. Die Verwendung des Hyperbatons rem publicam ... oppressam führt in der Progression des Satzes zur Antithese oppressam in libertatem, die die persönliche Leistung des Augustus betont.
Satz 2: Die themenangebende Akkusativeröffnung dictaturam wird durch das Wortspiel absens/praesens zusätzlich hervorgehoben. Die Wirkung des Hyperbatons dictaturam ... delatam wird durch die darin enthaltene Alliteration verstärkt. Auch der folgende Satz beginnt mit einer Akkusativeröffnung (consulatum), deren Gewicht durch die Homoioteleuta und das Hyperbaton delatum den Satz hindurch spürbar ist. Am Satzende hebt die Epipher non recepi die Bescheidenheit des Autors hervor.
Satz 3: Auch hier werden die bereits benutzten Stilmittel angewendet, um der Aussage Gewicht zu verleihen: Akkusativeröffnung (nullum magistratum), Homoioteleuton auf - um, das Hyperbaton delatum und die epiphorische Satzklausel (delatum recepi). Die Alliteration per ... potestatem perfeci unterstreicht die Behauptung, nicht Amtsträger gewesen zu sein, sondern als privatus tribunicia potestate gehandelt zu haben .
Im letzten Satz führt die Abweichung von der usuellen Wortstellung zu einer betonten Anfangsstellung des sacrosanctus. Gleichzeitig erreicht diese Wortfolge einen Chiasmus : Sacrosanctus - in perpetuum - quoad viverem - tribunicia potestas. Beides unterstützt die Gewichtigkeit der Aussage. Diese wahrscheinlich schwierigste Stelle des Textes (Quae tum per me..., ACI im Relativsatz) kann erforderlichenfalls durch Umstellung leichter dekodierbar gemacht werden.
2) Das Kapitel 34
Dieses Kapitel ist für das Verständnis des öffentlichkeitsbezogenen Selbstverständnisses des Augustus im Monumentum Ancyranum von außerordentlicher Bedeutung. Im ersten Absatz stellt sich dem Leser das Problem, wo der postquam -Satz (Z. 2ff.) endet. In den Textausgaben konkurrieren zwei Möglichkeiten: potitus (Z. 4) bezieht sich auf exstinxeram (Z. 3) oder auf transtuli (Z. 7) (d. h.: potitus im HS oder im NS ). Beides hat Auswirkungen auf die Interpretation: Bezieht sich der im PPP ausgedrückte Sachverhalt auf die Situation vor oder nach dem Sieg bei Actium?
Aus grammatischen und aus sachlichen Gründen habe ich für die Schüler das Komma hinter exstinxeram (Z. 3) gesetzt: Denn zum einen wird im Lateinischen eine Vorzeitigkeit zu einer vorzeitigen Nebensatzprädikation überaus selten durch PPP ausgedrückt (Gegenargument: lectio difficilior). Außerdem ergibt sich aus sachlicher Perspektive beim Komma hinter exstinxeram die logische Reihenfolge 1) Beendigung der Bürgerkriege 2) Gewinnung der Allgewalt 3) Übergabe des Staates an Volk und Senat. Im anderen Falle ergäbe sich die wahrscheinlich abwegige, aber dennoch nicht auszuschließende Reihenfolge: 1) Gewinnung der Allgewalt 2) Beendigung der Bürgerkriege 3) Übergabe des Staates an Volk und Senat.
Im zweiten Absatz kann der mit quem (Z. 14) eingeleitete Nebensatz Schwierigkeiten bereiten, weil die Funktion des quem (Objekt im ACI, der seinerseits Subjekt zu testatum est ist) nicht einfach zu durchschauen ist. Hier kann die Konstruktionsmethode helfen oder eine Veranschaulichung dieser Satzkonstruktion an einem einfachen Beispiel (Homerus caecus fuisse traditur - Homerum caecum fuisse traditum est; vgl. RHH § 172.3 Anm.).
Im dritten Satz kann das quoque (Z. 23) Probleme bereiten: Ist es der Abl. Sg. m. von quisque, dann bezieht es sich auf magistratu oder heiß es schlicht "auch" und betont das mihi ? Beides ist inschriftlich überliefert (im Monumentum Ancyranum und im Antiocheum: das o in quoque einmal mit Apex, einmal ohne). Sollte das Problem von den Schülern erkannt werden, lasse ich beide Möglichkeiten durchspielen, damit sie sich entscheiden können. Wird quoque mit "auch" übersetzt, haben die Schüler die communis opinio getroffen und eine Problematisierung erübrigt sich.
b) Münzlegenden und Münzbilder
Nach hellenistischem Vorbild setzten auch die Römer Motive auf ihre Münzen. Die am häufigsten aus der republikanischen Zeit überlieferte Münze ist der Denar, der vermutlich im zweiten Punischen Krieg als Hauptsilbermünze Roms mit einem Metallgewicht von ursprünglich 4,55 g eingeführt wurde.[32] Stereotyp tragen Denare auf der Vorderseite (Avers) zumeist einen behelmten Kopf, der durch die (gelegentlich fehlende) Legende ROMA als personifizierte Stadtgöttin gedeutet werden kann. Da ein Denar ursprünglich zehn Assen entsprach, trägt er gewöhnlich als Wertzeichen ein X, das auch als horizontal durchgestrichenes Zeichen diesen Wert angibt. Die Rückseite der Denare zeigt zumeist eine vierspännige Quadriga nach rechts, doch begegnen bisweilen auch anders gestaltete Reverse. Neben oder unter der Quadriga hat der verantwortliche Münzmeister seinen Namen plaziert. Dies deutet darauf hin, daß die für die Prägung zuständigen tresviri monetales die Münze als erfolgversprechendes Medium der öffentlichkeitswirksamen Meinungsbeeinflussung im Ringen um den Aufstieg in der Ämterlaufbahn erkannten und nutzten. Die im Rahmen dieser Unterrichtsreihe zum Einsatz kommenden originalen Denare aus der republikanischen Epoche, die der hier gegebenen Beschreibung entsprechen, stammen aus eigenem Besitz. Sie sind auf Fotographien im Anhang zu sehen.[33]
[...]
[1] Brockhaus Enzyklopädie, s. v. "Propaganda", Mannheim19 1992, Bd. 17, S. 536.
[2] Vgl. S. 7
[3] Munding, H.: Antike Texte - Aktuelle Probleme. Existentieller Transfer im altsprachlichen Unterricht. Bamberg 1985. (=Auxilia 12). S. 10f. 22ff.
[4] Wülfing, P.: Altertumskunde - Die Welt der Römer im Lateinunterricht. In: Höhn, W./Zink, N. (Hrsg.): Handbuch für den Lateinunterricht. Sekundarstufe 2. Frankfurt/Main 1979. S. 300-333, hier S. 305ff.
[5] Munding, H.: Antike Texte - Aktuelle Probleme. S. 10f. 22ff. Nickel, R. : Altsprachlicher Unterricht. Darmstadt 1973. S. 51. Nickel, R.: Der moderne Lateinunterricht. Lernziele und Unterrichtsverfahren in der gymnasialen Oberstufe. Freiburg 1977. S. 30-39. Nickel, R.: Die Alten Sprachen in der Schule. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1978. S. 194-196. Nickel, R.: Das thematische Prinzip. In: Höhn, W./Zink, N. (Hrsg.): Handbuch für den Lateinunterricht. Sekundarstufe 2. Frankfurt/Main 1979. S. 254-265.
[6] Rahmenrichtlinien für das Gymnasium. Latein. Gymnasiale Oberstufe, hrg. vom Niedersächsischen Kultusminister, Hannover 1982, S. 5.
[7] Rahmenrichtlinien Latein Oberstufe. S. 12ff.
[8] Zusätzlich zu den oben in Fußnote 5 zitierten Titeln auch: Maier, F.: Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt. Bd. 2: Zur Theorie des lateinischen Lektüreunterrichts. Bamberg 2. Aufl. 1987. S. 146.
[9] Maier, F.: Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt. Bd. 2. S. 137ff.
[10] Nachfolgend schließt der Begriff "Text" aus pragmatischen Gründen in der Regel literarische und außerliterarische Sprachdokumente (Text auf Münze, Inschrift) mit ein.
[11] Rahmenrichtlinien für das Gymnasium. Klassen 7-10. Geschichte. Herausgegeben vom Niedersächsischen Kultusminister. Hannover 1983. S. 18.
[12] Rahmenrichtlinien Geschichte Klassen 7-10. S. 51.
[13] Geschichte und Geschehen 7, Ausgabe N, Gymnasium, bearbeitet von Hans-W. Ballhausen, Ludwig Bernlocher u.a., neueste Auflage Stuttgart 1992, S. 116ff.
[14] Rahmenrichtlinien für das Gymnasium - Gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule - gymnasiale Oberstufe, das Fachgymnasium, das Abendgymnasium, das Kolleg. Geschichte. Herausgegeben vom Niedersächsischen Kultusminister. Hannover 1994.
[15] Ianua Nova Neubearbeitung. Lehrgang für Latein als erste oder zweite Fremdsprache. Teil 2, von H. Papenhorst/ H. Göpper. Göttingen Neudruck 1992. Band 2. Lektion 2, Seite 11-12.
[16] Rahmenrichtlinien für das Gymnasium. Latein. Gymnasiale Oberstufe. Herausgegeben vom Niedersächsischen Kultusminister. Hannover 1982. S. 43ff.
[17] Christ, K.: Geschichte der römischen Kaiserzeit. München 1988. S. 134ff.
[18] Georges, K. E.: Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch. Unveränderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage von Heinrich Georges, Darmstadt 1985, s. v. propago.
[19] Schieder, W.; Dipper, Chr: Propaganda, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 5. Stuttgart 1984. S. 69-112.
[20] Binder, G. (Hrg.): Saeculum Augustum. 3 Bde. Darmstadt 1987-1991. Bleicken, J. : Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches. 2 Bde. 2. Aufl. Paderborn 1981. Bd. 1: S. 20-59. Castritius, H.: Der römische Prinzipat als Republik. Husum 1982 (= Historische Studien 439). Christ, K. : Geschichte der Römischen Kaiserzeit. München 1988. Kaser, M.: Römische Rechtsgeschichte. 2. Auflage 1967. S. 96ff. Kienast, D.: Augustus. Princeps und Monarch. Darmstadt 1982. Stahlmann, I.: Imperator Caesar Augustus. Studien zur Geschichte des Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft. Darmstadt 1992. Wickert, L.: s.v. princeps. In: Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften (= RE). Bd XXII 2 (1954). Spalten 1998-2296. Wickert, L.: Neue Forschungen zum römischen Prinzipat. In: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt (ANRW). II 1 S. 3-76. Der populärwissenschaftliche Beitrag von Guggenbühl, U.: Die Maskerade des "ehrenwerten" Augustus. In: Musaion 2000. Heft 4. 1995. S. 7-19, betont zu einseitig die negativen Folgen der augusteischen Herrschaftspraxis.Zur augusteischen Propaganda speziell: Buchner, E.: Die Sonnenuhr des Augustus, Mainz 1982. Carettoni, G.: Das Haus des Augustus auf dem Palatin, Mainz 1983. Simon, E. : Augustus. Kunst und Leben in Rom um die Zeitenwende. München 1986. Kaiser Augustus und die verlorene Republik. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Berlin. 7.6.-14.8.1988. Berlin 1988. Zanker, P. : Augustus und die Macht der Bilder. München 1990.
[21] Kolb, F.: Die Stadt im Altertum. München 1987. S. 157ff.
[22] Schetter, W.: Das römische Epos. Wiesbaden 1978, S. 42f. Bieler, L.: Geschichte der römischen Literatur. II. Teil. Die Literatur der Kaiserzeit. 4. Aufl. Berlin 1980, S. 4-12. 35f. 47f. Lefevre, E.: Horaz. Dichter im augusteischen Rom. München 1993. S. 150ff. 164ff. 178ff.
[23] Zanker, Macht der Bilder, passim. Simon, Augustus, passim.
[24] Zanker, Macht, S. 148ff. Simon, Augustus, S. 26ff.
[25] Zur bereits zitierten Literatur ferner: Stahlmann, I.: Imperator Caesar Augustus. Studien zur Geschichte des Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft. Darmstadt 1992, passim.
[26] Friedrich Maier und Peter Petersen veranschlagen mit anderen pädagogisch-didaktischen Schwerpunkten für ihre modellorientierten Interpretationsvorschläge ein ganzes Kurshalbjahr: Maier, F.: Ovid: Dädalus und Ikarus. Der Prinzipat des Augustus. 2. Aufl. Bamberg 1989. S. 47-138. Petersen, P. : Römischer Prinzipat. Der Tatenbericht des Augustus. Freiburg 1977 (=Fructus Bd. 4).
[27] Latte, K.: Römische Religionsgeschichte. München 2. Aufl. 1967 (=Handbuch der Altertumswissenschaft V 4). S. 294ff. S. 302ff.
[28] Siehe S. 21.
[29] Kürzungen aufgeführt auf S. 30.
[30] Vgl. S. 9f.
[31] Hoffmann, W.: Der Widerstreit von Tradition und Gegenwart im Tatenbericht des Augustus, in: Binder, G.: Saeculum Augustum I, Darmstadt 1987, S. 92-110.
[32] Christ, K.: Antike Numismatik. Einführung und Bibliographie. Darmstadt 1972. Hier S. 59ff. Alföldi, M. R.: Antike Numismatik, Mainz 1977, S. 157ff. Grundlegend: Grueber, H. A.: British Museum Cataloque of Republican Coins (BMC). 3 Bde. London 1910. ND. 1970. S. XVff.. Abbildungen in: Sutherland, C. H. V.: Coinage in Roman Imperial Policy, 31 B. C. - A. D. 68. London 1951. ND 1971. Sutherland, C. H. V.: The Emporer and the Coinage. London 1976. Gehrke, H.-J.: Münzen im Rahmen kaiserlicher Selbstdarstellung - Die Konstituierung des Prinzipats durch Augustus. In: AU XXII 4 (1979) S. 67-86. Die zur Beleuchtung des Monumentum Ancyranum wichtigen Münzen sind zusammengestellt und erläutert in: Riccobono, S.: Acta Divi Augusti. Pars Prior. Ed. Regia Academia Italica. Roma 1945
[33] Siehe im Anhang 3.
- Quote paper
- Dr. Martin Biastoch (Author), 1995, Zur Propaganda des Augustus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86187
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