Die Evidenz von Entscheidungen der Umwelt für ein System ist nicht zu negieren. Als eine These soll hier jedoch gelten, dass die zu starke Betonung einer Staatsperspektive ‚von außen’, überdies zumeist begleitet von einer Prononcierung von Machtaspekten und utilitaristisch-rationalem Verhalten (insbesondere bei neo-realistischen und neo-(liberal) institutionalistischen Theorien), zu kurz greift. Hauptannahme dieser Arbeit und daraus abzuleitender Analyserahmen ist deshalb, dass bei allen vorhandenen, die außenpolitischen Verhaltensmuster von Staaten mitbestimmenden internationalen Gegebenheiten gerade Erklärungskategorien wie Normen, Werte und Ideen zur Analyse herangezogen werden müssen. Im Folgenden wird deshalb von der Annahme auszugehen sein, dass Außenpolitik wie Innenpolitik auch Einstellungen und Verhaltensmuster aufweisen kann, die mit der Zeit zu einer spezifischen außenpolitischen Kultur gerinnen. Insofern soll dafür plädiert werden, dass die (klassische) Außenpolitikanalyse durch eine, das zu untersuchenden System betreffende regionale Politikanalyse zu ergänzen ist. Im Rekurs darauf wird die Hypothese aufgestellt, dass das soziökonomische System der Republik Türkei seit etwa Mitte der 1960er-Jahre und beschleunigt seit dem Wegfall des weltpolitischen Blockantagonismus eine tief greifende Transformation erfahren hat, die letztlich zu einer veränderten geopolitischen Eigeneinordnung führte. Insofern muss Perthes und anderen Mahnern entgegnet werden, dass es eine „Vermittelöstlichung“ der Türkei bereits gegeben hat. Diese ging zudem mit einer Abschwächung der Eurozentrierung einher. Jedoch soll in dieser Arbeit gezeigt werden, dass dies vornehmlich infolge der von türkischen außenpolitischen Entscheidungsträgern gesuchten neuen Rolle des Landes im internationalen System geschah.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II Methodische Aspekte
1 Die Rollentheorie als Analyseinstrument von Außenpolitik
2 Analyserahmen dieser Arbeit
III Die Entwicklung der außenpolitischen Rolle der Republik Türkei
1. Der getreue Verbündete – Die Türkei bis zum Jahr
2. Verbündeter mit Abstrichen – Die Türkei zwischen 1964 und
3. Die neue Rolle der Türkei seit dem Beginn der 1990er Jahre
IV. Schlussbetrachtung und Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Bibliographie
I. Einleitung
Auf die im Spätherbst 2003 durch die US-Administration beschlossene Greater Middle East Initiative (GMEI), einem Bündel aus politischen, militärischen und ökonomischen Programmen bi- und multilateraler Art zur Demokratisierung des geopolitischen Bogens von Marokko bis Pakistan, fokussierte sich bald umfangreiche Kritik. Neben der in dieser Strategie inkludierten Zusammenarbeit der USA mit undemokratischen Regimes wurde insbesondere die begriffliche Unschärfe von ‚Greater Middle East’ gerügt. Die Subsumierung zahlreicher, politisch und sozioökonomisch höchst unterschiedlicher Systeme verdecke mehr als sie erhelle, lautete ein Kritikpunkt. Neben Staaten Zentralasiens oder des Kaukasus war es die häufig erfolgte Einordnung der Türkei, die auf Vorbehalte stieß. So kritisierte etwa Volker Perthes diese „Vermittelöstlichung“ der kemalistische Republik. Zumindest aus europäischer Sicht solle das Land als NATO-Partner und potentielles EU-Mitglied betrachtet werden. Er machte überdies auf die nach seiner Einschätzung möglichen politischen Folgen aufmerksam: Die Türkei könne sich von Europa abwenden. Allerdings ließ er offen, ob dieser Abwendung die Hinwendung zu einem neuen politisch-geographischen Raum gegenüberstehen und welcher dies dann sein könnte.[1]
Volker Perthes steht mit seiner Einschätzung nicht allein – nur der Kontext (GMEI) war neu. Vor allem im Zusammenhang mit einer möglichen Ablehnung eines EU-Beitritts wurde bereits früher die Frage nach einer möglichen geopolitischen Umorientierung der Türkei gestellt.[2] Insbesondere Beitrittsbefürworter ließen entsprechende Befürchtungen verlauten. Sie warnten zumeist vor dem Kollaps der laizistischen Staatsidee mit anschließender Islamisierung des Landes oder antizipierten die Entstehung von Pantürkismus oder gar Panislamismus.[3] Beide Positionen kennzeichnet eine Perspektive, die, von außen auf die Türkei schauend, ihre außenpolitische Entscheidungsträger eher als reagierend wahrnimmt: Das internationale System generiert Tatsachen – hier die diskursive „Vermittelöstlichung“, dort die Skepsis in Bezug auf eine EU-Mitgliedschaft –, das nationale System antwortet auf diese Impulse der Umwelt mit der Konstruktion anderer Bezugspunkte. Keine Frage, der Wunsch der Türkei, in die EU aufgenommen zu werden, nahm gelegentlich obsessive Züge an. Dennoch ist nach der Plausibilität solch eindimensional kausalstrukturierten Vermutungen zu fragen.
Die Evidenz von Entscheidungen der Umwelt für ein System ist nicht zu negieren. Als eine These soll hier jedoch gelten, dass die zu starke Betonung einer Staatsperspektive ‚von außen’, überdies zumeist begleitet von einer Prononcierung von Machtaspekten und utilitaristisch-rationalem Verhalten (insbesondere bei neo-realistischen und neo-(liberal)institutionalistischen Theorien), zu kurz greift. Hauptannahme dieser Arbeit und daraus abzuleitender Analyserahmen ist deshalb, dass bei allen vorhandenen, die außenpolitischen Verhaltensmuster von Staaten mitbestimmenden internationalen Gegebenheiten gerade Erklärungskategorien wie Normen, Werte und Ideen zur Analyse herangezogen werden müssen. Im Folgenden wird deshalb von der Annahme auszugehen sein, dass Außenpolitik wie Innenpolitik auch Einstellungen und Verhaltensmuster aufweisen kann, die mit der Zeit zu einer spezifischen außenpolitischen Kultur gerinnen. Insofern soll dafür plädiert werden, dass die (klassische) Außenpolitikanalyse durch eine, das zu untersuchenden System betreffende regionale Politikanalyse zu ergänzen ist.
Im Rekurs darauf wird die Hypothese aufgestellt, dass das soziökonomische System der Republik Türkei seit etwa Mitte der 1960er-Jahre und beschleunigt seit dem Wegfall des weltpolitischen Blockantagonismus eine tief greifende Transformation erfahren hat, die letztlich zu einer veränderten geopolitischen Eigeneinordnung führte. Insofern muss Perthes und anderen Mahnern entgegnet werden, dass es eine „Vermittelöstlichung“ der Türkei bereits gegeben hat. Diese ging zudem mit einer Abschwächung der Eurozentrierung einher. Jedoch soll in dieser Arbeit gezeigt werden, dass dies vornehmlich infolge der von türkischen außenpolitischen Entscheidungsträgern gesuchten neuen Rolle des Landes im internationalen System geschah. Dieser Prozess war zwar mit Enttäuschungen und partiellen Entfremdungserscheinungen in Bezug auf die EG/EU verbunden und die Beziehungen zur USA blieben ebenso nicht reibungsfrei. Dennoch kann von einer Abkehr vom Westen ebenso wenig gesprochen werden, wie von einer neuen Hinwendung zum Osten. Und dies ist auch für die derzeit überschaubare Zukunft nicht zu erwarten. Die Türkei hat sich vielmehr genau zwischen Europa und Asien positioniert und gefällt sich in einer neuen Rolle als Brücke zwischen beiden Kontinenten.
Mit der Aussage, dass sich die Türkei auf der Suche nach einer neuen Rolle befindet, ist bereits auf die in der vorliegenden Arbeit anzuwendende Methode verwiesen worden. Weil der Fokus auf innenpolitischen Prozessen und Strukturen nebst außenpolitischen Entscheidungsträgern als Akteuren liegt, wird mit der Rollentheorie eine konstruktivistisch-reflexive Perspektive gewählt. In deren Bedeutung umfassen Rollen kulturspezifische und kognitive Variablen, denen sich außenpolitische Entscheider einerseits verpflichtet fühlen, die ihnen andererseits aber vor allem Verhaltensmuster in bestimmten Situationen liefern. Die veränderte geopolitische Perspektive türkischer Außenpolitik wird also als Folge eines veränderten Rollenverständnisses begriffen. Insofern muss in Abschnitt II die Rollentheorie als außenpolitisches Analyseinstrument diskutiert und auf die im Rahmen dieser Arbeit zu ziehenden methodischen Schlüsse verwiesen werden, bevor in Abschnitt III die Entwicklung der außenpolitischen Rolle der Republik Türkei, in drei Phasen geteilt, analysiert wird.
Der Forschungsstand ist zweigeteilt zu betrachten. Zunächst kann in Bezug auf theoretische Relevanz durchaus von einem teilweise erfolgten Perspektivenwechsel hin zu konstruktivistischen Ansätzen im Fach Internationale Beziehungen (IB) gesprochen werden, wenngleich eine strikt binäre Gegenüberstellung von Rationalismus und Konstruktivismus zu weit geht.[4] Insbesondere die in der „Dritten Theoriedebatte“ kulminierenden Diskussionen über die Schwierigkeiten rationalistischer Theorien, tief greifende Veränderungsprozesse wie das Ende des Kalten Krieges oder die gegenwärtigen Globalisierungstendenzen zu erklären, führte zu einer stärkeren Akteurs- denn Staatszentrierung. Dennoch ist gerade für die Rollentheorie als Teil dieses Perspektivenwechsels eine unterdurchschnittliche Repräsentanz festzustellen, die in keinem Verhältnis zu ihrem heuristischen Wert steht. Dies betrifft vor allem den deutschen Sprachraum, obschon es insbesondere das Verdienst von Hans Maull gewesen ist, mit der idealtypischen Konstruktion eines Zivilmachtansatzes als Rolle der deutschen Nachkriegsaußenpolitik den Dornröschenschlaf der Rollentheorie hierzulande zumindest gestört zu haben.[5] Insofern möge die vorliegende Arbeit ebenfalls diesem Ziele dienen.
Darüber hinaus ist eine bemerkenswerte Fülle an Empirie zu konstatieren, insbesondere die türkischen Einwanderer in der Bundesrepublik bzw. ihre Nachkommen sorgen für eine außergewöhnlich breite Literaturbasis, zumeist in deutscher Sprache. Hinzu kommen zahlreiche englischsprachige Aufsätze und Monographien, die sich wie ihre deutschsprachigen Pendants allerdings zumeist im historisch-deskriptiven Bereich befinden und einer chronologischen Arbeitsweise verpflichtet sind oder einzelne Teilaspekte behandeln.[6] Und obwohl sehr oft von einer veränderten Rolle der türkischen Außenpolitik in den letzten beiden Jahrzehnten gesprochen wird, konnte noch kein Versuch ausfindig gemacht werden, diese Änderung systematisch und theoretisch mit der Rollentheorie zu erklären. Gerade dafür aber ist diese geeignet.
II. Methodische Aspekte
1. Die Rollentheorie als Analyseinstrument von Außenpolitik
Der Ausgangspunkt von rollentheoretischen Erklärungsmustern in den IB ist in soziologischen und sozialpsychologischen Ansätzen zu suchen, deren Grundannahme darin besteht, dass Individuen mit umfangreichen normativen Verhaltensanforderungen durch die Gesellschaft konfrontiert werden. Rolle beschreibt also eine an das Individuum herangetragene Erwartung, wobei für die Beschreibung dieser Perspektive ‚von außen’ der Terminus ‚alter-part’ gemeinhin üblich ist.[7] Mit dem Versuch, neue Erklärungsmöglichkeiten für außenpolitisches Verhalten von Staaten zu finden, erfolgte die Übertragung dieser Ansätze auf ein Kollektiv – auch wenn als Rollenträger nicht die Gesamtheit der Einwohner eines Landes angesehen wird, sondern zumeist nur dessen außenpolitische Entscheider. Obgleich der eigentliche Ursprung der Diskussion durchaus in der Idee von der Staatsraison gesehen werden kann, ist der Beginn der rollentheoretischen Diskussion im Fach IB in einem Artikel des kanadischen Politikwissenschaftlers Kal(evi) Holsti (1970) zu finden.[8] Eine Fortentwicklung dieser Gedanken für den deutschen Sprachraum erfolgte durch Peter Gaupp (1983) und in den 1990er-Jahren durch Hans Maull.[9]
Rollentheoretischen Konzepten in den IB ist die Annahme gemein, dass die Akteursebene das außenpolitische Verhalten eines Staates mitbestimmt. Insofern ist festzustellen, dass die betrachteten Akteure durch Regeln geleitet werden und in ein Netz aus Normen, Werten und Ideen eingebunden sind, ihre Interessen mithin endogen und situativ definiert werden. In dieser Rückbesinnung auf den Akteur und eine konstruktivistische-reflexive Perspektive ‚von innen’ heraus, verbunden mit einer Integration von (System-)Struktur und sozialer Praxis, liegt der hervorstechende Unterschied zu positivistisch-utilitaristischen Ansätzen neo-realistischer und neo-(liberal)institutionalistischer Provenienz mit ihren häufig zu konstatierenden Vorstellungen von rational handelnden, ihren Nutzen stets zu maximieren suchenden Staaten, deren Interessen als primär exogen bestimmt angesehen werden.[10] Die außenpolitische Entscheidungen limitierenden Normen, Werte und Ideen können in solche unterschieden werden, die selbst auferlegt sind (‚ego-part’) und solche, die wie beim individuellen Rollenansatz von außen an den Staat resp. die Entscheidungsträger herangetragen werden (‚alter-part’). Rollen können also als Bündel normativer Verhaltenserwartungen begriffen werden, die ein Verhaltensmuster für politische Entscheidungen in bestimmten Situationen bilden. Wenngleich der Fokus der Betrachtung eindeutig auf der Eigendefinition der nationalen Rolle eines Staates in der Welt durch außenpolitische Entscheider liegt, werden weder von außerhalb stammende Rollenerwartungen außer Acht gelassen, noch ‚objektiv’ vorhandene Umwelteinflüsse negiert. Insofern kann der rollentheoretische Ansatz durchaus als integrierend angesehen werden, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass exogene Einflüsse zwar als Rahmen setzend akzeptiert werden, diese das Verhalten der Akteure aber niemals völlig determinieren.[11]
Für das weitere Verständnis scheint die Definition von Gaupp zielführend, nach der internationale Rollen „geplante – d.h. kollektiv normierte und individuell konzipierte – und von Repräsentanten realisierte Einstellungs- und Verhaltensmuster von Staaten […] in internationalen Systemen“[12] sind. Diese Definition wird (nach Holsti) durch die Annahme erweitert, dass außenpolitische Entscheider nationale Rollenkonzepte besitzen, sich an ihnen orientieren können und diese vom ‚ego-part’ dominiert werden. Die Quellen solcher Rollen bestehen aus einem Amalgam historischer, geographischer und geostrategischer, machtpolitischer und sozioökonomischer Determinanten, werden aber außerdem von Systemstrukturen und von Irrationalitäten der außenpolitischen Entscheider beeinflusst. In der Konsequenz beschränken nationale Rollen außenpolitische Entscheidungen von Staaten und wirken auf das internationale System strukturbildend, indem sie dessen Stabilität und Wandel beeinflussen.[13]
Die Kausalität zwischen nationalen Rollenkonzepten und außenpolitischem Verhalten ist inzwischen nachgewiesen worden.[14] Vorausgesetzt, dass Rollen überhaupt existieren und sie im Zeitverlauf über eine gewisse Stabilität verfügen, eignen sie sich gut, um außenpolitische Entscheidungen von Staaten zu erklären. Neben der Einbeziehung einer normativen Dimension in die Analyse und der daraus erwachsenden Möglichkeit, System- und Akteursebene miteinander zu verbinden, liegt ein weiterer Vorteil des Rollenansatzes in der Vermeidung einer zu statischen Betrachtung. Änderungen außenpolitischer Entscheidungsmuster im Zeitverlauf können ihre Ursache durchaus in veränderten Rollen haben. Insofern sind nationale Rollen wesentlich abstrakter und nicht eng an singuläre Ereignisse oder Zeitpunkte gebunden. Werden Rollen empirisch sorgfältig ermittelt, können sie einerseits als Output lokaler Gegebenheiten, resp. als Input in das internationale System, betrachtet werden. Andererseits ist es möglich, dieses als System von nationalen Rollenkonzepten zu verstehen. Dessen Strukturen und Prozesse sind dann abhängig von den jeweiligen Rollenausprägungen.[15] Ferner muss der sehr enge Bezug auf außenpolitische Eliten kein Nachteil sein, sind diese doch in den meisten Staaten eng mit dem Volk verbunden, hat letzteres durchaus Einflussmöglichkeiten auf die Entscheider.[16] Gewarnt werden muss jedoch davor, dass ein zu starker Wert auf Rollen gelegt wird, mithin der Akteur gleich einem Pawlow’schen Hund als nur noch reflexartig reagierend statt agierend betrachtet wird. Ebenso soll darauf verwiesen sein, dass einzelne Politikfelder, wie etwa das der Aushandlung von Fischereiquoten, gelegentlich nicht von nationalen Rollenkonzepten beeinflusst werden und, rekurrierend darauf, die Vorhersage umso schwieriger wird, je singulärer eine Entscheidung ist. Genauso können sich außenpolitische Entscheidungsträger bei rapiden und fundamentalen Änderungen der Systemumwelt irrational und nicht rollenkonform verhalten oder sich ganze Rollenkonzepte ändern. Die nationale Rolle sollte ferner nicht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geraten, andere Einflussfaktoren auf den außenpolitischen Entscheidungsprozess bedürfen ebenso der Berücksichtigung. Abschließend muss der Vollständigkeit halber angemerkt werden, dass das Verhältnis von ‚alter-part’ und ‚ego-part’ für die jeweils getroffenen politischen Entscheidungen praktisch nicht messbar ist.
2 Analyserahmen dieser Arbeit
Auf den richtungweisenden Aufsatz von Kal(evi) Holsti ist bereits verwiesen worden. Unzufrieden mit der seinerzeit üblichen Einteilung in neutrale und blockgebundene Staaten, wollte er dem Fach IB zu mehr Präzision verhelfen. Ziel war es letztlich, über die Konstruktion einer reichhaltigeren, auf nationalen Rollenkonzepten basierenden Typologie Ursachen für außenpolitische Entscheidungen zu finden und so über die Konturierung vergangener Entscheidungssituationen Schlüsse für zukünftige Entwicklungen zu ziehen.[17] Holsti konstruierte induktiv siebzehn verschiedene Typen von Rollen und ordnet diesen 71 Länder durch empirische Auswertung von Zitaten, Texten und Reden ihrer außenpolitischen Entscheidungsträger zu.[18] Auf die Typologie des Kanadiers soll nachfolgend zurückgegriffen werden, wenn auch einige Kritikpunkte zu erwähnen sind, die allerdings von Holsti teilweise selbst angemerkt wurden. So war der Zeitraum der Betrachtung zu eng, die Untersuchung von nur etwa drei Jahren (Anfang 1965 bis Ende 1967) nebst der relativ geringen Zahl an ausgewerteten Dokumenten[19] führte dazu, dass jeder Untersuchungseinheit im Durchschnitt 4,6 Rollen zugeordnet werden konnten. Darüber hinaus war die einseitige Fokussierung auf die Auswertung von Äußerungen außenpolitischer Entscheidungsträger als Primärquellen dafür verantwortlich, dass die Ursachen der jeweiligen nationalen Rollenkonzepte zu sehr aus dem Blick gerieten. Insofern war eigentlich keine Überprüfung möglich, ob die Äußerungen eher singulär waren oder ob Hinweise dahingehend vorlagen, dass überhaupt Rollen existieren. Gerade die hohe Zahl an untersuchten Regimes, die autokratisch regiert wurden und beispielsweise über keine politische oder nationalistische Ideologie als Legitimationsressource und damit mögliche Quelle nationaler Rollenkonzepte verfügten, hinterließen diesbezügliche Zweifel.[20]
[...]
[1] Vgl. Perthes 2004, S. 3 f.
[2] Vgl. Steinbach 1999.
[3] Vgl. dazu den Überblick der Debatte bei Yazıcıoğlu 2005, S. 237 ff.
[4] Vgl. hierzu insbesondere die Aufsätze von Risse 2003, der vor allem davor warnt, den Konstruktivismus in den Rang einer eigenständigen Theorie der IB zu heben und Wiener 2003.
[5] Vgl. Maull 1990, 1993 und vor allem den Schlussbericht 1997.
[6] Vgl. den umfangreichen, bis zum Jahre 2001 reichenden bibliographischen Überblick bei Aydin/Tezel-Aydin (2002).
[7] Soziologische Begründung der Rollentheorie durch Linton (1936), Fortentwicklung für den deutschen Sprachraum durch Dahrendorf. Vgl. Linton 1976 und Dahrendorf 1958.
[8] Vgl. Holsti 1970, im Folgenden wird aus dem aktualisierten Aufsatz von 1987 zitiert (Vgl. Holsti 1987). Zur Staatsraison vgl. Meinecke 1963.
[9] Vgl. Gaupp 1983 sowie Maull 1990, 1993 und 1997.
[10] Vgl. Kirste/Maull 1996, S. 284 ff., Kirste 1998, S. 27 ff. und Krotz 2002. Obgleich Risse (2003) zuzustimmen ist, der vor einer strikten Gleichsetzung von Neorealismus und Neoliberalismus mit einer rationalen Vorgehensweise warnt, kann doch ihre Dominanz als gesichert gelten.
[11] Vgl. Kirste/Maull 1996. Nur für die beiden Supermächte des Kalten Krieges wird eine Dominanz des ‚alter-part’ angenommen. Vgl. Jönsson 1984, S. 15 ff.
[12] Gaupp 1983, S. 109.
[13] Vgl. Holsti 1970, S. 245 f. Als weiterführende Studie zur Untersuchung der Entstehung von nationalen ‚Rollen’ vgl. Wish 1987.
[14] Vgl. Wish 1980 und 1987.
[15] Vgl. Holsti 1987, S. 42.
[16] Zur Interaktion von Bürgern und Eliten vgl. Risse-Kappen 1991.
[17] Vgl. Holsti 1987, S. 6 f. Im Folgenden wird aus diesem Aufsatz zitiert.
[18] Die einzelnen Rollen sind: 1. bastion of revolution-liberator, 2. Regional leader, 3. regional protector, 4. active independent, 5. liberation supporter, 6. anti-imperialist agent, 7. defender of the faith, 8. mediator-integrator, 9. regional subsystem-collaborator, 10. developer, 11. bridge, 12. faithful ally, 13. independent, 14. example, 15. internal development, 16. isolate, 17. protectee, 18. other
[19] Im Durchschnitt ca. 14 je Land, wobei Holsti nur Staaten mit mindestens zehn Quellen in die Untersuchung einbezog.
[20] Dies betrifft im Kern die zahlreichen Staaten, die am Anfang der 1960er-Jahre in die Unabhängigkeit entlassen wurden.
- Arbeit zitieren
- Kai Posmik (Autor:in), 2006, Die türkische Außenpolitik als Rolle und ihre Veränderungen seit 1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85856
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