Die vorliegende Hausarbeit bezieht sich auf Günter Grass’ Roman ‚Die Blechtrommel’, welcher so reich an Formen, Motiven und Personen ist, dass es mir schwer fiel, mich für nur einen bestimmten Aspekt zu entscheiden.
Am meisten verwirrt hat mich allerdings der Held (oder Antiheld?) des Romans. Ist man doch als Leser zumeist seiner Romanfigur verbunden und glaubt diese zu kennen, habe ich dieses Gefühl bei Oskar Matzerath nie bekommen.
Meine Eindrücke von diesem „verrückten (oder nicht verrückten) Oskar“ , diesem „trommelnden Gnom“ bzw. „Blechtrommler, Krüppel, Idioten“ enthielten die gesamte Palette der Emotionen. Diese reichten von starker Sympathie über Hass, von Verständnis für seine Sichtweise über totale Irritation und von tiefem Mitleid bis zum gänzlichen Abgestoßensein.
Was ist er nun? Held oder Antiheld? Mensch oder Karikatur? Kind oder Monster? Jesus oder Satan?
Die Verwirrung über die Figur ließ in mir immer stärker die Frage aufkommen mit wem es der Leser hier zu tun hat und meine Arbeit soll helfen eine Antwort auf die Frage „Wer ist Oskar Matzerath?“ zu finden.
Zu diesem Zweck soll in erster Linie werkimmanent gearbeitet werden. In der Interpretation werde ich mich in erster Linie auf eigene Gedanken beschränken, meine Aussagen durch Zitate aus dem Roman belegen und nur an geeigneter Stelle Sekundärliteratur zu Rate ziehen.
Gliederung
1. Einleitung
2. Oskar Matzerath und seine Umwelt
2.1 Die selbst gewählte Existenz Oskars
2.1.1 Die Funktion der Wachstumsverweigerung
2.1.2 Die Funktion der Blechtrommel
2.1.3 Die Funktion des „Glaszersingens“
2.1.4 Die Ursache für Oskars plötzliches Wachstum und den Buckel
2.1.5 Die Funktion der Heil- und Pflegeanstalt
2.1.6 Schaubild
2.2 Oskars Verhältnis zu seinen Mitmenschen
2.2.1 Familie
2.2.2 Nachbarschaft
2.2.3 Frauen
2.2.4 Freunde
2.2.5 Oskars unmenschliche Seite
2.3 Oskars Beziehung zu…
2.3.1 …der Kirche und seine diabolische Seite
2.3.2 … dem Krieg bzw. dem Naziregime
2.3.3 … der Sexualität
3. Oskar Matzerath in der Literaturkritik
4. Parallelen zwischen Günter Grass und Oskar Matzerath
5. Formales
5.1 Erzählperspektive
5.2 Gattung (Bildungsroman, Schelmenroman)
6. Fazit
Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit bezieht sich auf Günter Grass’ Roman ‚Die Blechtrommel’, welcher so reich an Formen, Motiven und Personen ist, dass es mir schwer fiel, mich für nur einen bestimmten Aspekt zu entscheiden.
Am meisten verwirrt hat mich allerdings der Held (oder Antiheld?) des Romans. Ist man doch als Leser zumeist seiner Romanfigur verbunden und glaubt diese zu kennen, habe ich dieses Gefühl bei Oskar Matzerath nie bekommen.
Meine Eindrücke von diesem „verrückten (oder nicht verrückten) Oskar“[1], diesem „trommelnden Gnom“[2] bzw. „Blechtrommler, Krüppel, Idioten“[3] enthielten die gesamte Palette der Emotionen. Diese reichten von starker Sympathie über Hass, von Verständnis für seine Sichtweise über totale Irritation und von tiefem Mitleid bis zum gänzlichen Abgestoßensein.
Was ist er nun? Held oder Antiheld? Mensch oder Karikatur? Kind oder Monster? Jesus oder Satan?
Die Verwirrung über die Figur ließ in mir immer stärker die Frage aufkommen mit wem es der Leser hier zu tun hat und meine Arbeit soll helfen eine Antwort auf die Frage „Wer ist Oskar Matzerath?“ zu finden.
Zu diesem Zweck soll in erster Linie werkimmanent gearbeitet werden. In der Interpretation werde ich mich in erster Linie auf eigene Gedanken beschränken, meine Aussagen durch Zitate aus dem Roman belegen und nur an geeigneter Stelle Sekundärliteratur zu Rate ziehen.
2. Oskar Matzerath und seine Umwelt
Um zu entschlüsseln wer Oskar Matzerath also genau ist, ist eine Betrachtung seines direkten Umfeldes und seiner Bewertung von selbigem, unumgänglich.
Hierzu werde ich zunächst die Gründe für seine selbst gewählte Existenz, die ihn von seinem Umfeld abgrenzt, durchleuchten und im Anschluss näher auf die jeweiligen Personen und seine Beziehung zu ihnen eingehen.
Im darauf folgenden Unterkapitel (2.3) soll dann Oskars Verhältnis zur Kirche, zum Krieg bzw. zum Naziregime und zur Sexualität, sowohl seiner eigenen als auch der seiner Mitmenschen, betrachtet werden.
2.1 Die selbst gewählte Existenz Oskars
Oskar Matzerath gehört nach eigenen Angaben zu „den hellhörigen Säuglingen, deren geistige Entwicklung schon bei der Geburt abgeschlossen ist“[4]. Dies ermöglicht ihm bereits in diesem frühen Stadium die Welt zu analysieren und lässt ihn zu der Erkenntnis kommen, dass er sich mit dieser nie wird identifizieren können und auch sein Umfeld ihn nicht verstehen wird.
„Einsam und unverstanden lag Oskar unter den Glühbirnen, folgerte, dass es so
bleiben würde, bis sechzig, siebenzig Jahre später ein endgültiger Kurzschluß aller Lichtquellen Strom unterbrechen werde, verlor deshalb die Lust, bevor dieses Leben unter den Glühbirnen anfing, und nur die in Aussicht gestellte Blechtrommel hinderte mich damals, dem Wunsch nach Rückkehr in meine embryonale Kopfstellung stärkeren Ausdruck zu geben.“(S. 54)
Dieses von Anfang an empfundene pessimistische Welt- und Menschenbild, wird im Laufe der Blechtrommel in Oskars Erfahrungen immer wieder bestätigt. Somit bis zum Ende seines Lebens zur Einsamkeit verdammt, sucht er nach einer Möglichkeit sich von dieser Welt abzugrenzen. Gefunden hat er diese in der Heil- und Pflegeanstalt, seiner Wachstumsverweigerung und der Blechtrommel. Auf diese und die Funktion der Fähigkeit des „Glaszersingens“ wird in folgenden Unterkapiteln näher eingegangen.
2.1.1 Die Funktion der Wachstumsverweigerung
Einen physiologischen Grundstein zur Abgrenzung von den Erwachsenen legt Oskar an seinem dritten Geburtstag, als er beschließt nicht mehr zu wachsen. Nun sind sie ihm zwar körperlich überlegen, geistig jedoch ist er ihnen nach eigenen Angaben voraus:
„Ich blieb der Dreijährige, der Gnom, der Däumling, der nicht aufzustockende Dreikäsehoch, […] blieb der Dreijährige, aber auch Dreimalkluge, den die Erwachsenen alle überragten, der den Erwachsenen so überlegen sein sollte.“ (S. 71)
Diese Außenseiterposition ermöglicht es ihm sich gesellschaftlichen Zugriffen zu entziehen, was ihm bei der Belagerung der polnischen Post das Leben rettet und vor einer Strafe bei der Verurteilung der „Stäuber“ bewahrt.
Seine „andauernde Dreijährigkeit“, von Marcel Reich-Ranicki als „Tarnkappe“ bezeichnet[5], hilft aber auch dabei die Masken der Erwachsenen zu Fall zu bringen, da diese in Oskar nur einen Dreijährigen sehen und so vermeintlich unbeobachtet ihrem Verhalten, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen, freien Lauf lassen können. Aus der Froschperspektive, der „tückischen Scheinnaivität“[6] heraus, kann Oskar also weitgehend ungestört beobachten und den Leser (zumeist) als auktorialer Erzähler (näheres siehe Kapitel 5.1) unverblümt, wenngleich nicht wertend, nüchtern und nur in den seltensten Fällen emotional in die Enttarnung des Spießbürgertums mitnehmen.
Oskar will die Welt, gegen die er protestiert nicht verbessern, ja nicht mal in ihr leben und gibt im ganzen Roman nur ihre Geschehnisse in aller Härte, Widerlichkeit, Obszönität und Brutalität wieder. Dies wirft die Frage auf, ob nicht Oskar, sondern der Mensch selbst sich zur Karikatur seiner selbst macht, da Oskar ja lediglich dessen Verhalten beobachtet. Eine Stellungnahme hierzu werde ich im Fazit geben.
2.1.2 Die Funktion der Blechtrommel
Da Oskar sich durch seine Wachstumsverweigerung und der Weigerung zu Sprechen von jeglicher Form der zwischenmenschlichen Kommunikation distanziert, sucht und findet er seinen Dialogpartner in der Blechtrommel.
Diese ist für ihn von Anfang an existenziell, da er „ohne Blechtrommel nicht leben konnte und wollte“(S. 259), denn sie „starb nicht, wie eine Mutter stirbt, verstand mich, gab immer die richtige Antwort, die hielt sich an mich, wie ich mich an sie hielt.“ (S. 223)
Mit ihr kann er sich unterhalten, Vergessenes ins Gedächtnis zurückholen („Hätte ich nicht meine Trommel, der bei geschicktem und geduldigem Gebrauch alles einfällt, was an Nebensächlichkeiten nötig ist, um die Hauptsache aufs Papier zu bringen […]“ S. 23) ihr kann er seine Gefühle mitteilen, also alles tun, was normaler Weise ein Mensch im Austausch mit einem Anderen zu einem sozialen Wesen macht. Formal wird diese Vermenschlichung der Blechtrommel durch häufige Personifizierung derselben deutlich.
Wie also Menschen andere Menschen brauchen, braucht Oskar seine Blechtrommel. Ohne sie lebt er wie in Askese und magert ab: „Oskar war allein, verraten und verkauft . Wie sollte er auf die Dauer sein dreijähriges Gesicht bewahren können, wenn es ihm am Notwendigsten,
an seiner Trommel fehlte. All die jahrelangen Täuschungsversuche […] all diesen Krampf, den die Erwachsenen von mir erwarteten, musste ich ohne meine Trommel leisten “ (S. 271)
Neben diesen Aspekten hat Oskar mit Hilfe der Blechtrommel auch die Möglichkeit Menschen zu manipulieren. Dies tritt bereits im Kapitel „Die Tribüne“ auf, als Oskar eine Nazikundgebung sprengt, indem er der Menge statt den Marschrhythmen einen Charleston vortrommelt und so die Anwesenden zum Tanzen verführt.
Später – nach einer Trommelpause, auf deren Gründe ich noch eingehen werde – hat die Blechtrommel nur noch diese künstlerisch – manipulative Funktion. Wobei auch hier eine Kritik an der Gesellschaft geübt wird, da die Leute im „Zwiebelkeller“ neben Zwiebeln auch Oskars Trommel brauchen, um zu ihren Gefühlen zu stehen, die Trommel, „die seine [des Wirtes] gutzahlenden Gäste zu lallenden, unbeschwert fröhlichen, aber auch Höschen nässenden, deshalb weinenden – ohne Zwiebel weinenden Kindern machte“(S. 707).
Und auch Oskar selbst braucht wenn auch keine Zwiebeln, so doch seine Trommel: „Doch gehörte Oskar zu den wenigen glücklichen, die noch ohne Zwiebel zu Tränen kommen konnte. Meine Trommel half mir.“ ( S. 699).
Ein weiterer Beleg für die (aus Oskars Sicht) Unverzichtbarkeit der Trommel wird im folgenden Unterkapitel deutlich werden.
2.1.3 Die Funktion des „Glaszersingens“
Genau wie die Wachstumsverweigerung und die Blechtrommel, dient auch Oskars Stimme und seine Fähigkeit Glas zum Zerbrechen zu bringen in erster Linie dem Protest gegen die von ihm verhasste Welt und ist deshalb auch in engem Zusammenhang mit diesen zu sehen. Mit seiner Stimme stellt er sicher, dass niemand ihm seine Trommel wegnimmt:
„Die Fähigkeit mittels einer Kinderblechtrommel zwischen mir und den Erwachsenen eine notwendige Distanz ertrommeln zu können, zeitigte sich […] fast gleichzeitig mit dem Lautwerden einer Stimme, die es mir ermöglichte […] in derart hoher Tonlage zu singen, zu schreihen oder schreiend zu singen, dass niemand es wagte, mir meine Trommel […] wegzunehmen, denn wenn mir die Trommel genommen wurde, schrie ich“ (S. 75)
Aus Protest zersingt er die Scheiben des Stadttheaters und benutzt seine Stimme schließlich mit immer mehr Gefallen auch, um die Gesellschaft zu verführen.
[...]
[1] Walter Höllerer: Unterm Floß. In: Der Monat. H. 131. August 1959. Abgedruckt in Neuhaus, Volker: Günter Grass. Die Blechtrommel (Stuttgart: Reclam 1997), S. 99
[2] Jost Nolte: Oskar, der Trommler kennt kein Tabu. In: Die Welt. Hamburg. 17 Oktober 1959. Abgedruckt in Neuhaus, Volker: Günter Grass. Die Blechtrommel (Stuttgart: Reclam 1997), S. 105
[3] Hans Magnus Enzensberger: Wilhelm Meister, auf Blech getrommelt. Über Günter Grass. Süddeutscher Rundfunk. Stuttgart. 18. November 1959. Abgedruckt in Neuhaus, Volker: Günter Grass. Die Blechtrommel (Stuttgart: Reclam 1997), S. 117
[4] Grass, Günter: Die Blechtrommel. (München: DTV Verlag 61997), S. 52. Anmerkung der Autorin: Für die folgenden Zitate des Primärtextes erfolgen keine Fußnoten. Sie sind durch die Satzzeichen der wörtlichen Rede gekennzeichnet und mit einer Seitenzahl in Klammern versehen, die die explizite Stelle im Primärtext angibt.
[5] Marcel Reich – Ranicki: Auf gut Glück getrommelt. In: Die Zeit. Hamburg. 1. Januar 1960. Abgedruckt in Neuhaus, Volker: Günter Grass. Die Blechtrommel (Stuttgart: Reclam 1997), S. 149
[6] Kindlers Neues Literaturlexikon S. 795
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