„Sie klauen wir die Raben, sind arbeitslos und ein Volk von ruhelosen Nomaden …“.
Jeder von uns hat schon einmal diese oder ähnliche Aussagen über „Zigeuner“ gehört oder vielleicht sogar selber gemacht. Sie werden oft als „asozial“ bezeichnet, zugleich aber mit Lagerfeuerromantik, Musik und rassiger Schönheit in Verbindung gebracht. Man hört die widersprüchlichsten Vorurteile, von den unterschiedlichsten Menschen, in den verschiedensten Medien.
Einem Freund hat seine Großmutter erzählt, dass die „Zigeuner“ durchs Dorf fahren um Kinder zu stehlen, Daniel Cohn-Bendit schreibt in der taz, dass Roma betteln, aggressiv handeln und zum Diebstahl neigen und im Kino erfährt man, dass man ihnen nicht trauen kann .
Leben die „Zigeuner“ tatsächlich wie ein historischer, mysteriös anmutender Volksstamm unter uns in Deutschland und sind verstrickt in allerlei kriminelle Machenschaften oder muss man endlich abschied nehmen von den „Stereotypen“, die in den Köpfen unserer Gesellschaft so unreflektiert herumspuken.
In meiner Hausarbeit möchte ich antiziganistische Vorurteile aufgreifen und ihre Entstehungsgeschichte verfolgen. Was steckt hinter dem Begriff „Antiziganismus“ und in welcher Form kommt er in Politik, Gesellschaft und Kultur zu tragen?
Zudem soll die aktuelle Situation der Sinti und Roma betrachtet und Formen ihrer Interessenvertretung als Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland aber auch international dargestellt werden.
Inhalt:
1. Einleitung
2. Der Begriff „Antiziganismus“
3. Die Geschichte des Antiziganismus bis 1945
4. Interessenverbände der Sinti und Roma
5. Sinti und Roma in Deutschland
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Sie klauen wir die Raben, sind arbeitslos und ein Volk von ruhelosen Nomaden …“.[1]
Jeder von uns hat schon einmal diese oder ähnliche Aussagen über „Zigeuner“ gehört oder vielleicht sogar selber gemacht. Sie werden oft als „asozial“ bezeichnet, zugleich aber mit Lagerfeuerromantik, Musik und rassiger Schönheit in Verbindung gebracht. Man hört die widersprüchlichsten Vorurteile, von den unterschiedlichsten Menschen, in den verschiedensten Medien.
Einem Freund hat seine Großmutter erzählt, dass die „Zigeuner“ durchs Dorf fahren um Kinder zu stehlen, Daniel Cohn-Bendit schreibt in der taz, dass Roma betteln, aggressiv handeln und zum Diebstahl neigen[2] und im Kino erfährt man, dass man ihnen nicht trauen kann[3].
Leben die „Zigeuner“ tatsächlich wie ein historischer, mysteriös anmutender Volksstamm unter uns in Deutschland und sind verstrickt in allerlei kriminelle Machenschaften oder muss man endlich abschied nehmen von den „Stereotypen“, die in den Köpfen unserer Gesellschaft so unreflektiert herumspuken.
In meiner Hausarbeit möchte ich antiziganistische Vorurteile aufgreifen und ihre Entstehungsgeschichte verfolgen. Was steckt hinter dem Begriff „Antiziganismus“ und in welcher Form kommt er in Politik, Gesellschaft und Kultur zu tragen?
Zudem soll die aktuelle Situation der Sinti und Roma betrachtet und Formen ihrer Interessenvertretung als Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland aber auch international dargestellt werden.
2. Der Begriff: „Antiziganismus“
Der Begriff „Antiziganismus“ ist an den des „Antisemitismus“ angelehnt. Er wurde indes viel später geprägt und „hat sich gerade in den letzten Jahren, seitdem viele Roma aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland geflohen sind, sogar noch verstärkt.“[4]
In den 1980er Jahren begannen sich deutsche Sinti und Roma in Bürgerrechtsbewegungen zu organisieren, um auf sich und ihre missliche Lage in der Bundesrepublik aufmerksam zu machen. Diskriminierungen, fehlende Anerkennung und unzureichende Entschädigungen der Holocaustopfer waren drei der wichtigsten Punkte für diesen Schritt. Doch wie wird der Bergriff „Antiziganismus“ von Autoren und Wissenschaftlern erklärt? Mit welchen Inhalten wird er in Verbindung gebracht? Warum ist er noch immer geradezu Gesellschaftsfähig?
Christoph Ortmeyer, Elke Peters und Daniel Strauß bezeichnen spezifische Vorurteile der Gesellschaft gegenüber der Minderheit der Sinti und Roma als Antiziganismus[5]. Wippermann verleiht dieser Definition mit dem Zusatz „Feindschaft gegenüber Sinti und Roma“[6] noch mehr Gewicht.
Als Grundlage dieser Feindschaft bezeichnen Solms und Strauß „ein >Zigeunerbild<, das aus Klischees, Stereotypen und Vorurteilen zusammengesetzt wird.“[7] Ännecke Winckel ergänzt diese Aussage mit der Bemerkung, dass sich die antiziganistische Aggression „nicht gegen das – abstrakte - Bild, sondern gegen - konkrete – Menschen, nämlich Sinti und Roma“[8] richtet.
„Die Typen, um die es hier geht, sind das Produkt kollektiver Phantasie und Projektionen seitens der Mehrheitsgesellschaft. Sie spuken jedoch nicht nur in den Köpfen ausgewiesener „Zigeunerfeinde“ und Rassisten herum; sie haben vielmehr Eingang in unser Alltagswissen gefunden und zirkulieren in vielerlei Texten und Darstellungen.“[9]
Ännecke Winkel gibt in ihrem Buch „Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland“ eine Vielzahl von Beispielen, die die Aussage von Anita Awosusi belegen. So finden sich in allen von ihr untersuchten, weit verbreiteten Printmedien, Vorurteile, Verleumdungen oder einfach nur falsches Halbwissen über Sinti und Roma wieder. Dabei machen weder die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau oder tageszeitung, noch die ZEIT und der Spiegel eine Ausnahme.
Erschreckend ist, dass Anita Awosusi bei Betrachtungen von Lexika und Enzyklopädien, die es sich zum Anspruch machen wertungsfrei und objektiv Fakten zu nennen, zu einem Ähnlichen Urteil kommt. Nicht nur in Werken aus dem 16./17. Jahrhundert, die später noch genannt werden, sind „Zigeunerfeindliche“ Behauptungen zu finden. Selbst nach dem 2. Weltkrieg, der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland und dem damit verbundenen Genozid an tausenden Sinti und Roma heißt es z.B. im großen Herder von 1956 unter dem Schlagwort „Zigeuner“:
„Trotz mancher Vermischung läßt sich der ursprüngliche indide Rassentypus (schlank, mittelgroß, braune Haut, schwarze Haare, dunkle Augen, eigentümliche Augen- und Nasenform) nachweisen. (…) Die Problematik der Zigeuner liegt darin, dass sie als Nomaden kaum in sesshaften Kulturen und Wirtsvölker eingegliedert werden können (deshalb wurden sie vom national-sozialistischen Regime verfolgt und teilweise nach Polendeportiert und ausgerottet.“[10]
Der Sprachbegriff „Zigeuner“ hielt sich sogar bis 1994 hartnäckig in der Brockhaus-Enzyklopädie, bis er in der 19. Auflage durch das neue Stichwort „Sinti und Roma“ ersetzt wurde.[11]
Antiziganismus kann also durchaus als eine Art von gesellschaftlich toleriertem Rassismus gegenüber Sinti und Roma beschrieben werden. Dieser Rassismus sitzt bei vielen Menschen tief verborgen und wird, auch wenn er an die Öffentlichkeit tritt, kaum oder nur unterbewusst von anderen wahrgenommen.
Warum aber ist der Antiziganismus so „gesellschaftsfähig“ und nicht so geächtet und tabuisiert wie der Antisemitismus? Um diese Frage zu beantworten möchte ich nun einen Blick auf seine Geschichte in Deutschland werfen.
3. Die Geschichte des Antiziganismus bis 1945
Die Geschichte das Antiziganismus beginnt am Ende des 15. Jahrhunderts. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Sinti im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation von Verfolgungen verschont geblieben. Zwar war die Einstellung der Gesellschaft gegenüber den „Zigeunern“ nie sehr positiv ausgeprägt, doch wurden von den Landesfürsten so genannte „Schutz- oder Geleitbriefe“ ausgestellt, die ihnen zumindest den Aufenthalt und das Betteln an bestimmten Orten zusicherten.
Am Ausgang des 15. Jahrhunderts wurde den Sinti die Angst der Bevölkerung vor den Türken zum Verhängnis, mit denen sie aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe in Verbindung gebracht wurden. „Auf dem Reichstag zu Lindau von 1496 wurde das Gerücht – „als man sagt“ – aufgegriffen, wonach die „zygeuner (…) vom soldan mit Thürcken ausgeschickt sind, zu erforschen das Wesen der Fürsten und gelegenheit der land.“[12] Es wurde vermutet, dass die „Zigeuner“ als Spione der Türken tätig sind und eine Gefahr für das Reich darstellen. Dieses Gerücht hatte schwerwiegende Folgen. So wurden die Sinti vom Freiburger Reichstag für „vogelfrei“ erklärt. Auch andere Landesfürsten erließen so genannte „Zigeunergesetze“, in denen ihnen der Aufenthalt unter Androhung von massiven Strafen verboten wurde.
Im Laufe der Geschichte wechselten die Vorurteile. Der Spionagevorwurf wurde nach dem abgewehrten Angriff der Türken auf Wien 1529 entkräftet, dafür traten neue Theorien auf. So erschien 1520 die „Sachsenchronik“ von Albert Kranz, einem Hamburger Theologen, in der dieser die Sinti als „gräulich schwartze Leute“[13] beschreibt und ihre sozialen Kompetenzen auf das Stehlen und Faulenzen reduziert. Er beeinflusste damit den Mann, dessen Werk wohl den größten Einfluss auf die zukünftige Haltung gegenüber den Sinti in Deutschland ausgeübt hat. Sebastian Münster veröffentlichte 1550 sein Hauptwerk, die „Kosmographie“, bei der es sich um „den Versuch einer historisch-geographischen Beschreibung der ganzen Welt und ihrer Geschichte“ handelt.
[...]
[1] Reemtsma, Katrin: Sinti und Roma. Geschichte, Kultur, Gegenwart. Klappentext
[2] Vgl.: Winckel, Änne>
[3] Vgl.: Germann, Andre: „Snatch - Schweine und Diamanten“. In: Antiziganismus heute. S. 135
[4] Solms, Wilhelm: „Vom Umgang mit Sinti und Roma in Deutschland“. In: Antiziganismus heute. S.7
[5] Vgl.: Orthmeyer, Christoph: Antiziganismus - Geschichte und Gegenwart deutscher Sinti und Roma S.9
[6] Vgl.: Wippermann, S. 69
[7] Winckel, Änneke: Rassismus gegen Sinti und Roma im vereinigten Deutschland. S. 10
[8] Ebd. S.10
[9] Awosusi, Anita: Das Zigeunerstereotyp. Zur Geschichte einer rassischen Konstruktion. S.7
[10] Awosusi, Anita: Das Zigeunerstereotyp. Zur Geschichte einer rassischen Konstruktion. S.10
[11] Vgl: Ebd.: S. 8
[12] Wippermann, Wolfgang: Wie die Zigeuner. Elefanten Presse. Berlin, 1997. S.56
[13] Ebd. S.56
- Citar trabajo
- Till Keßler (Autor), 2005, Antiziganismus in Deutschland, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85606
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