In dieser Arbeit möchte ich ausgehend von meinen persönlichen Erfahrungen darstellen, wie internationale Klassenfahrten mit Schülern gestaltet werden müssen, damit diese mit Hilfe der Verständigungssprache Englisch interkulturell lernen können. Interkulturelles Lernen ist ein Schwerpunkt der Englischdidaktik: Schüler sollen andere Kulturen kennen lernen und ihre Erfahrungen mit fremden Menschen, Sprachen und Bräuchen auf der Basis ihrer eigenen Kultur machen. Im Klassenraum interkulturell zu arbeiten ist möglich, wie viele Publikationen zeigen. Ich erlebte aber in meinen Hospitationen und Praktika an sachsen-anhaltinischen Schulen und meinen Nachhilfetätigkeiten mit Schülern, dass es sich als schwierig erweist, den Schülern dort reale interkulturelle Situationen zu bieten. Ich musste feststellen, dass der Englischunterricht konstruiert ist und auf die Institution Schule begrenzt bleibt, d.h. nicht die Lebenswirklichkeit der Schüler einbezieht.
Zunächst erscheint es mir angesichts der zahlreichen Publikationen zum Thema „Inter-kulturellen Lernen“ wichtig, eine Orientierung für den Leser zu schaffen, was interkulturelles Lernen bedeutet und welche Konzepte es umfasst. Im zweiten Kapitel wird daher versucht, durch ein stimmiges Kultur-Konzept die beim interkulturellen Lernen zu erwerbenden interkulturellen Kompetenzen und ihre Integration in das schulische Lernen zu rechtfertigen. Im dritten Kapitel stelle ich kurz unterschiedliche Konzepte internationaler Begegnungen vor und diskutiere ihren Wert für das interkulturelle Lernen. Danach werden wissenschaftliche Erkenntnisse zur Organisation einer für den Erwerb der interkulturellen Kompetenz wertvollen Begegnung zusammengetragen und mit praktischen Beispielen versehen. Im vierten Kapitel werden Fragebögen ausgewertet, die von fünf Lehrerinnen, die selbst eine internationale Begegnung durchgeführt haben, ausgefüllt wurden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse vergleiche ich mit den theoretischen Gesichtspunkten aus den vorangegangenen Kapiteln und bewerte sie. Im Anhang ist eine tabellarische und teilweise auch grafische Auswertung der Fragen zu finden. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Vorwort
1.2 Einleitende Bemerkungen
1.3 Definition „Internationale Klassenfahrten“
1.4 Zum Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Interkulturelles Lernen – Lernen in Kulturen
2.2 Die im Schüleraustausch zu entwickelnden Kompetenzen innerhalb der verschiedenen Stufen interkulturellen Lernens
2.2.1 Stufe 1 – Ethnozentrismus
2.2.2 Stufe 2 – Ethnorelativismus
2.3 Grenzen eines lern- und prozessorientierten Englischunterrichts, ein Plädoyer für die internationale Klassenfahrt
3 Internationale Klassenfahrten – Begegnung mit anderen Kulturen
3.1 Der Wert internationaler Klassenfahrten
3.2 Verschiedene Typen internationaler Klassenfahrten
3.3 Internationale Klassenfahrten
3.3.1 Gestaltung der Planung
3.3.2 Gestaltung der Durchführung
3.3.3 Gestaltung der Nachbereitung
4 Fragebogenauswertungen
4.1 „Teil I: Persönliche Fragen“ (Fragen A1 bis A23)
4.2 „Teil II: Allgemeine Informationen zum Austausch an Ihrer Schule (englischsprachige Austausche)“ (Fragen B1 bis B29)
4.3 „Teil III: Meinungen zum Austausch“ (Fragen C1 bis C10)
4.4 Zusammenfassung
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
7 Tabellenverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
9 Anhang
9.1 Musterfragebogen
9.2 Transkribierte Fragebögen
9.2.1 Lehrerin A
9.2.2 Lehrerin B
9.2.3 Lehrerin C
9.2.4 Lehrerin D
9.2.5 Lehrerin E
9.3 Tabellarische Fragebogenanalyse
9.3.1 Teil A
9.3.2 Teil B
9.3.3 Teil C
10 Eidesstattliche Erklärung
1 Einleitung
1.1 Vorwort
Die Sommerferien sind für die meisten Kinder und Jugendlichen die schönste Zeit im Jahr, denn sie haben Urlaub. Sie reisen mit ihren Eltern in fremde Länder und entfliehen dem stressigen Alltag in Deutschland. Schon Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe reisten viel. Doch wurden sie wohl nicht von den All-Inclusive -Angeboten warmer Länder oder den weißen Stränden südlicher Regionen gelockt – sie wollten Wissen vermehren und Kunst schaffen. Sie reisten, um zu arbeiten und zu studieren. Dabei lernten sie ganz andere Welten kennen, die doch zu der einen Welt gehörten, in der sie lebten.
Humboldt und Goethe bildeten sich durch Reisen – wie viele andere Menschen ihrer und unserer Zeit. Besonders Kinder wollen Neues lernen und Unbekanntes erschließen. Doch die meisten Eltern vernachlässigen den Bildungsaspekt des Urlaubs und nehmen ihren Nachkommen somit die Chance auf eine Horizonterweiterung. Besonders sozial schwache Familien verreisen kaum und vergessen durch ihre finanziellen Nöte oft die Bedeutung von Bildung für ihre Kinder. Durch die ungewohnte Umgebung und den Kontakt mit fremden Menschen eröffnen sich neue Perspektiven, die für das Leben der Heranwachsenden von großer Bedeutung sind. Sie können neue Bräuche und Sitten kennen lernen und fremde Einstellungen verstehen. Sie können Toleranz entwickeln und anderen Kulturen Respekt entgegenbringen. Sie werden sich selbst neu kennen lernen und ihren Mitmenschen offen gegenübertreten – sie lernen interkulturell.
Auch ich reise viel und versuche, meine Augen für die Welt zu öffnen. Während zahlreicher Urlaubsreisen durch Europa (darunter auch Großbritannien) und durch die USA lernte ich verschiedene Regionen und Kulturen kennen. Reisen, die vorrangig dem Kennenlernen fremder Städte dienten, unternahm ich u.a. nach Paris, Prag, New York, Miami, Los Angeles, Las Vegas und San Francisco. Innerhalb meiner Schulzeit besuchte ich im Rahmen von Studienfahrten London und Rom. Ein besonders intensives Kulturerlebnis war ein Schüleraustausch mit einer französischen Schule. Hier lebte ich drei Wochen in einer Gastfamilie und empfing meine französische Austauschschülerin[1] für drei Wochen in Deutschland. In dieser Zeit machte ich wichtige Erfahrungen mit verschiedenen Kulturen und erwarb entscheidende interkulturelle Kompetenzen wie Empathie und Ambiguitätstoleranz. In meiner Schulzeit war meine Familie häufig Gastgeber für Schüler verschiedener Nationen. So beherbergten wir einen neuseeländischen Austauschschüler. Weiterhin waren Jugendliche aus Namibia und den USA eine zeitlang unsere Gäste. In der Rolle des Gastgebers erweiterten sich meine in Frankreich gesammelten Erfahrungen und ließen mich sensibel für die Bedürfnisse anderer und auch meiner selbst werden.
Ich habe also durch Reisen Erkenntnisse über die Welt gewonnen, wichtige zwischenmenschliche Fähigkeiten erworben und mich selbst besser kennen gelernt. Doch auch in der Schule wurde mir Wissen vermittelt, welches ich mit meiner Umwelt in Verbindung bringen konnte. Dies hat einen großen Teil zu meiner Bildung hinzugefügt. Somit haben Schule und Reisen die selben Ziele und sollten miteinander verknüpft werden, damit alle Schüler eine Chance auf eine umfassende Bildung haben.
1.2 Einleitende Bemerkungen
In dieser Arbeit möchte ich ausgehend von meinen persönlichen Erfahrungen darstellen, wie internationale Klassenfahrten mit Schülern gestaltet werden müssen, damit diese mit Hilfe der Verständigungssprache Englisch interkulturell lernen können. Interkulturelles Lernen ist ein Schwerpunkt der Englischdidaktik: Schüler sollen andere Kulturen kennen lernen und ihre Erfahrungen mit fremden Menschen, Sprachen und Bräuchen auf der Basis ihrer eigenen Kultur machen. Im Klassenraum interkulturell zu arbeiten ist möglich, wie viele Publikationen zeigen.[2] Ich erlebte aber in meinen Hospitationen und Praktika an sachsen-anhaltinischen Schulen und meinen Nachhilfetätigkeiten mit Schülern, dass es sich als schwierig erweist, den Schülern dort reale interkulturelle Situationen zu bieten. Ich musste feststellen, dass der Englischunterricht konstruiert ist und auf die Institution Schule begrenzt bleibt, d.h. nicht die Lebenswirklichkeit der Schüler einbezieht. Es gibt wenig Rollenspiele, kaum Kontakt mit authentischen Materialien. Schüler lernen im Englischunterricht kaum, zu kommunizieren. Sie lernen hingegen, vorgefertigte Antworten zu geben, Lücken in Texten auszufüllen und Kreuzworträtsel zu lösen. Sie erlernen grammatische Regeln losgelöst von ihrem Nutzen. Sie lernen nicht, mit Hilfe von Englisch eine bestimmte Alltagssituation zu meistern (z.B. einkaufen gehen, Essen kochen, Freizeit miteinander verbringen). Sie erkennen nicht, dass Kommunikation über Sprechen hinausgeht und mehr bedeutet als das theoretische Erlernen einer Sprache. Sprache ist in eine Kultur eingebettet, die mit ihr zusammen vermittelt werden muss – auch in der Schule. Auch Robert GIBSON (Haseneder 25, zit. n. Gibson 127) stellt im folgenden Zitat fest: „If you get the present perfect and the simple past wrong you may lose marks, if you get the culture wrong you may lose face, money or even your life.“ Englischunterricht sei, so Lothar BREDELLA und Werner DELANOY (11) – ganz im Gegensatz zu Juliane HOUSEs Meinung – nicht immer interkulturell, denn theoretisches Anwenden von grammatischen Regeln, Vokabeltests und Diktate hat keine interkulturelle Komponente. Diese interkulturelle Komponente ist aber ein Bestandteil der Lebenswelt der Schüler.
In einer globalisierten Welt kommuniziert jeder täglich mit dem „Anderen“, dem Fremden. Interkulturalität ist somit dem Leben inhärent. Es ist kaum möglich, Begegnungssituationen mit Menschen unterschiedlicher Weltauffassungen zu vermeiden. Dabei nehmen wir den anderen wahr und interagieren mit ihm auf der Basis unserer individualisierten, kulturell geprägten Realität. Menschen unterschiedlicher Kulturen stellen durch Interaktion miteinander Gemeinsamkeiten her und wollen Gemeinschaft stiften (Dias I). Diese Menschen haben verschiedene Lebensentwürfe und sind durch ihre Umwelt unterschiedlich geprägt. Sie haben eine individuelle Sicht auf die Dinge und konstruieren somit ihre eigene Realität. Das bedeutet, dass sie Realität an sich nicht wahrnehmen können, nur ihre subjektive Auffassung davon. Ihre Realität ist dann aber schon eine Deutungsarbeit – die eigene Wirklichkeit ist also ein Ergebnis von kulturell und individuell bedingten „Bedeutungszuschreibungen“ (Holzbrecher und Krüger-Knobloch 193).
Dieses Interagieren zwischen Menschen mit verschiedenen Bedeutungszuschreibungen stellt sich schon innerhalb einer Kultur – ob man überhaupt von einer Kultur sprechen kann, soll noch geklärt werden – als schwierig heraus, auch eine intrakulturelle Unterhaltung beinhaltet Konfliktpotential. Denken wir nur an geschlechterspezifische Kommunikationsstrategien, die Autoren dazu inspirierten, Bücher wie Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer[3] zu schreiben. Warum sollte man sich also mit dem Fremden beschäftigen, wenn man schon möglicherweise seinen Nachbarn nicht versteht?
Interkulturelles Lernen setzt beim intrakulturellen Lernen an und hilft, unsere Nächsten besser zu verstehen und über diesen Horizont hinweg auch mehr Beziehungen mit anderen, weiter entfernten Menschen zu knüpfen. Auch der umgekehrte Weg ist möglich – durch den Kontakt mit einer fremden Kultur ändert sich der Blick auf die eigene und es kann einfacher werden, das Handeln unserer Mitmenschen von einem anderen Standpunkt zu betrachten und es dadurch besser zu verstehen. Somit stellt interkulturelles Lernen ein unverzichtbares Bildungsziel dar (Dias V).
Durch die wichtige Position der weltweiten Verkehrssprache Englisch (Graddol 3), ist es möglich, sich mit ihrer Kenntnis mit einem Großteil der Menschheit zu verständigen. Somit hilft gerade der Englischunterricht, mit vielen dieser „anderen“ Menschen und Kulturen zu kommunizieren und zu interagieren, sei es auf politischer, wirtschaftlicher oder persönlicher Ebene. Schüler beginnen schon im Kindergarten oder in der Grundschule, Englisch zu lernen. Da eine Sprache nicht ohne non- und paraverbale Kommunikationsmittel und die kulturelle Einbettung der Sprecher gelehrt werden kann, müssen schon junge Schüler in Kontakt mit fremden Kulturen und ihren Angehörigen kommen. Bisher wurde interkulturelles Lernen in den tertiären Bildungsbereich verschoben, sprich in den Bereich des lebenslangen Lernens (Bolten 2001). Doch schon die Schule muss gezielt pädagogische Konzepte interkulturellen Lernens fördern. Interkulturelles Lernen muss einerseits so früh wie möglich ansetzen, um die den Kindern inhärente Neugier und Offenheit zu nutzen. Andererseits prägt die Zeit in der Schule die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler stark. Dies muss genutzt werden, um wichtige Kompetenzen zum friedlichen Zusammenleben auf der Welt zu entwickeln. Dabei macht es allerdings wenig Sinn, ein besonderes Fach zum interkulturellen Lernen zu etablieren, denn nach Jürgen BOLTEN (2001) durchziehe interkulturelles Lernen alle Lebensbereiche und somit alle Unterrichtsfächer und darf nicht abstrakt – ohne praktischen Nutzen – gelehrt werden.
Der Englischunterricht bildet einen Schwerpunkt in der Ausbildung interkultureller Kompetenzen. Er vermittelt zunächst die englische Sprache, die auf der ganzen Welt gesprochen wird – nicht nur als Erst- oder Zweitsprache, sondern auch als Fremdsprache und lingua franca. Die Schüler erfahren im Englischunterricht auch etwas über die geschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründe von Großbritannien, den USA, Kanada, Australien, Indien oder Südafrika (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt). In den Rahmenrichtlinien des Landes Sachsen-Anhalt für den Englischunterricht an Gymnasien werden diese Themen mit der Überschrift „Landeskunde und interkulturelles Lernen“ betitelt, so dass der Begriff des „interkulturellen Lernens“ auch Eingang in das Vokabular des Kultusministeriums gefunden hat. Es scheint aber, dass das Lernfeld „Landeskunde und interkulturelles Lernen“ losgelöst von den anderen Lernfeldern gelehrt werden könne, da es neben den folgenden Punkten steht:
- „Kommunikative Handlungskompetenz“ (Lernfeld 1), die Sprachtätigkeiten und die Kommunikationsbereiche umfasst,
- „Sprachliche Mittel“ (Lernfeld 2), Wortschatz, Sprachbetrachtung, kommunikationsorientierte Grammatik, Phonetik/Phonologie und Orthographie umfassend,
- „Umgang mit Texten“ (Lernfeld 3)und
- „Lern- und Arbeitstechniken“ (Lernfeld ) (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt 30).
Wenn der Englischunterricht laut den Rahmenrichtlinien dazu verpflichtet sei,
die Herausbildung und Festigung einer ausgeprägten Kommunikations- und Handlungsfähigkeit [zu fördern], die es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, die englische Sprache im Rahmen eines zusammenwachsenden Europas und weltweit im Alltag, Beruf und in der Freizeit zu nutzen und bewusst einzusetzen (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt 6),
so kann ein solcher Englischunterricht „Landeskunde und interkulturelles Lernen“ nicht von den anderen Lernfeldern trennen. Er muss diesen Punkt in die anderen integrieren. Doch eine authentische Integration in die konstruierte Situation „Englischunterricht in einem Klassenraum mit deutschen Schülern“ hat ihre Grenzen. Obwohl ich in meinen Hospitationen Ansätze authentischen Lernens gesehen habe (z.B. Verwendung authentischen Materials und Einbeziehung von Muttersprachlern), reicht der heutige Englischunterricht meiner Meinung nach für die Herausbildung wichtiger interkultureller Kompetenzen nicht aus – es fehlt der fremdkulturelle Gegenüber. Schüler lernen nicht, dass ihre eigenen Weltbilder nicht die anderer Menschen sein müssen. Dadurch, dass die englische Sprache aus ihrer Lebenswirklichkeit gerissen wird, erkennen Schüler nicht ihren praktischen Nutzen (z.B. sich mit ihrer Hilfe in einem fremden Land zurechtzufinden oder Kontakte mit anderen Menschen zu knüpfen). Sie werden nicht ganzheitlich gefördert und nicht auf das Leben nach der Schule vorbereitet, welches in einer Welt gelebt werden muss, in der es normal ist, z.B. mit ausländischen Geschäftskunden zu kommunizieren, ihnen Angebote zu unterbreiten, mit ihnen Essen zu gehen und sie näher kennen zu lernen. Als angehender Englischlehrer bin ich daran interessiert, meine Schüler auf das Leben nach der Schule vorzubereiten und ihnen den Weg zu bereiten für ein Leben in einer globalisierten Welt mit Englisch als Hauptverkehrssprache. Ich möchte ihnen ein Erlebnis bieten, das sie, bei guter Vor- und Nachbereitung, ganzheitlich fördern muss: eine Begegnung mit Schülern einer fremden Nationalität und Kultur, in der Englisch als Kommunikationssprache dient. Internationalen Begegnungen kommt besondere Bedeutung im Englischunterricht zu, da „[p]upils’ knowledge of and attitudes towards the foreign culture are much influenced by visits organised by teachers“ (Haseneder 71, zit. n. Byram et al. 1990 118).
1.3 Definition „Internationale Klassenfahrten“
Eine internationale Klassenfahrt wird in dieser Arbeit definiert als eine Begegnung zwischen Schülergruppen zweier Schulen, wobei sich die eine Schule in Deutschland, die andere Schule im Ausland befindet. Schüler einer deutschen Schule treffen auf die gleiche Anzahl an ausländischen Schülern und verbringen mindestens eine Woche in einer pädagogisch vorbereiteten Umgebung. Mit Hilfe der englischen Sprache arbeiten sie an einem gemeinsamen Projekt, nehmen an einem Begegnungsprogramm und am Unterricht der ausländischen Schüler teil. Das Programm wird von deutschen und ausländischen Lehrern vor Ort betreut. Die deutschen Schüler sind einzeln in Gastfamilien untergebracht, in denen ein Schüler der fremden Schule lebt. Es ist nicht zwingend, ein englischsprachiges Ausland zu wählen, da die Begegnung zwischen Jugendlichen verschiedener Kulturen im Vordergrund steht. Dabei ist die englische Sprache Kommunikationsmittel. Ein Gegenbesuch der ausländischen Schüler in der deutschen Schule ist wie auch eine sich anschließende Schulpartnerschaft erwünscht. Es soll allen Teilnehmern möglich sein, interkulturell zu lernen und wichtige interkulturelle Kompetenzen auszubilden.
Wie genau die Schüler in solch einer institutionalisierten, von der Schule organisierten Klassenfahrt interkulturell lernen können und welche Kompetenzen sie entwickeln sollen, soll diese Arbeit klären. Sie zeigt auf, welche Bedeutung internationale Klassenfahrten für den Erwerb der interkulturellen Kompetenz haben und wie sie organisiert werden müssen, damit interkulturelles Lernen stattfindet. Mit Hilfe der Auswertung von Fragebögen soll analysiert werden, inwieweit die bisher bekannten wissenschaftlichen Betrachtungen zum Thema „Interkulturelles Lernen“ schon in die Planung, Durchführung und Nachbereitung solcher Fahrten eingebracht wurden und wo es Defizite gibt.
1.4 Zum Aufbau der Arbeit
Zunächst erscheint es mir angesichts der zahlreichen Publikationen zum Thema „Interkulturellen Lernen“ wichtig, eine Orientierung für den Leser zu schaffen, was interkulturelles Lernen bedeutet und welche Konzepte es umfasst. Ohne den Begriff „Kultur“ kann dies nicht geschehen. Im zweiten Kapitel wird daher versucht, durch ein stimmiges Kultur-Konzept die beim interkulturellen Lernen zu erwerbenden interkulturellen Kompetenzen und ihre Integration in das schulische Lernen zu rechtfertigen. So werden unterschiedliche Phasen, in denen sich ein interkulturell Lernender befindet, vorgestellt und die damit verbundenen Kompetenzen in die jeweilige Phase eingeordnet, in der sie zuerst ausgebildet werden müssen. Diese Verbindung stellt ein Novum dar, welches ich so noch in keiner der von mir gelesenen Veröffentlichungen gefunden habe.
Im dritten Kapitel stelle ich kurz unterschiedliche Konzepte internationaler Begegnungen vor und diskutiere ihren Wert für das interkulturelle Lernen. Danach werden wissenschaftliche Erkenntnisse zur Organisation einer für den Erwerb der interkulturellen Kompetenz wertvollen Begegnung zusammengetragen und mit praktischen Beispielen versehen. Die zusammengefassten theoretischen Erkenntnisse wurden zumeist aus Einzelstudien gewonnen, in denen Wissenschaftler Schülergruppen in einer Klassenfahrtsituation mit fremdsprachlichem Hintergrund beobachtet haben. Dabei wurden die Aspekte ausgewählt, die in der Literatur den größten Anklang fanden und auch dem Autor dieser Arbeit nach einträglicher Lektüre logisch erschienen.
Im vierten Kapitel werden Fragebögen ausgewertet, die von fünf Lehrerinnen, die selbst eine internationale Begegnung durchgeführt haben, ausgefüllt wurden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse vergleiche ich mit den theoretischen Gesichtspunkten aus den vorangegangenen Kapiteln und bewerte sie. Im Anhang ist eine tabellarische und teilweise auch grafische Auswertung der Fragen zu finden. Ein Fragebogen schien mir sinnvoller als ein Interview, da ich als Philologie-Studentin in der Interview-Führung nur ungenügend ausgebildet bin und daher Bedenken hatte, die Interviews durch meine Beeinflussung zu verfälschen. Die Fragen wurden mit Hilfe der Literatur von Astrid ERTEL-VIETH Interkulturelle Kommunikation und kultureller Wandel und Alexander THOMAS Interkulturelles Lernen im Schüleraustausch zusammengestellt. Es wird angenommen, dass die momentan vorherrschenden Formen von internationalen Begegnungen noch nicht dem Anspruch des interkulturellen Lernens entsprechen und verbessert werden müssen. So werden die in dieser Arbeit dargestellten theoretischen Aspekte verwendet, um Schülerbegegnungen mit dem Ziel des interkulturellen Lernens zu optimieren.
2 Theoretische Grundlagen
Die Begriffe des interkulturellen Lernens und der interkulturellen Kompetenz beinhalten u.a. die lexikalischen Bestandteile „inter“ und „kultur“. Beim interkulturellen Lernen wird also zwischen Kulturen gelernt. Die interkulturelle Kompetenz ist eine „zwischenkulturelle“ Kompetenz der Menschen. Aber was ist Kultur – die Literatur, Architektur und Malerei eines Landes, die „Ess-Kultur“ oder die materiellen und geistigen Werte einer gesamten Gesellschaft? Wer lebt in dieser Gesellschaft und wie manifestiert sich Kultur? Auch der Begriff „zwischen“ ist undeutlich: zwischen welchen Kulturen findet Lernen und Interaktion statt? Zwischen den Kulturen „innerhalb“ eines Landes, wie z.B. zwischen der Jugendkultur und der tradierten Kultur, oder zwischen Kulturen verschiedener Länder und Lebenskreise, wie der östlichen und westlichen Kultur, oder zwischen Mensch A und Mensch B? „Interkulturell“ scheint also kein eindeutiger Begriff zu sein. In Kapitel 2.1 Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. werde ich mich dieser Definitionsproblematik differenzierter zuwenden, um die Vielfalt des interkulturellen Lernprozesses darzustellen, der auf internationalen Klassenfahrten stattfinden soll.
2.1 Interkulturelles Lernen – Lernen in Kulturen
Es gibt verschiedene wissenschaftliche Ansätze, die „Interkulturelles Lernen“ und „Interkulturelle Kompetenz“ definieren. Sie basieren alle auf unterschiedlichen Ansichten über Kultur. Interkulturelles Lernen ist Lernen in einer Kultur, mit einer Kultur und zwischen Kulturen. Der Begriff „interkulturell“ beziehe sich nach Christian ALIX (105) auf das anglo-amerikanische Konzept des „intercultural learners“ und ziehe auch das anglo-amerikanische Konzept von „Kultur“ nach sich:
Kultur ist die gesamte Art zu leben, inklusive Werte, Glauben, ästhetische Standards, linguistische Ausdrucksweisen, Gedankenmuster, Verhaltensnormen und Kommunikationsweise, welche eine Gruppe von Menschen entwikkelt [sic] hat, um ihr Überleben in einer bestimmten physischen und menschlichen Umwelt zu sichern. Kultur ist die Reaktion und Antwort einer Gruppe von Menschen auf die geltenden und bestimmenden Bedürfnisse ihrer Mitglieder (Hoopes und Pusch, zit. n. Alix 1990 105).
Dieses Konzept geht konform mit dem von Raymond WILLIAMS, welcher 1958 die Wende in der Definition von Kultur von einem statischen zu einem dynamischen Gebilde vollzog: „We use the word culture in these two senses: to mean a whole way of life – the common meanings; to mean the arts and learning – the special processes of discovery and creative effort“ (Gray und McGuigan 6, zit. n. Timm 193).
Diese Definitionen von Kultur korrelieren einerseits mit dem Eisbergmodell von Kultur, da sie den sichtbaren Teil von Kultur umfassen (z.B. Architektur, Kunst, Küche, Musik, Sprache) und auch den wesentlich größeren, unsichtbaren Teil, wie Normen, Werte, grundlegende Annahmen über Raum, Natur und Zeit (Europarat 18ff). Im Englischunterricht werden die Schüler zuerst mit den sichtbaren Elementen von Kultur konfrontiert: berühmte Bauwerke beim sightseeing, typische Mahlzeiten und die fremde Sprache. Schwieriger wird es, sich im Unterricht mit dem verborgenen Teil des Eisberges zu beschäftigen. Lehrer und Schüler sind verankert in ihrem eigenen Normen- und Wertesystem, handeln nach ihrer konstruierten Realität – so ist es schwierig, ein fremdes Normen- und Wertesystem in den Unterricht einzubringen. Beim interkulturellen Lernen geht es nicht nur darum, sich die Spitze des Eisberges als Wissen anzueignen. Es sei auch wichtig, Fähigkeiten zu erlangen, die es möglich machen, ein fremdes Realitätskonzept wahrzunehmen und zu verstehen, Gemeinsamkeiten zwischen dem eigenen und dem fremden System zu finden und in einen Dialog mit den fremdkulturellen Menschen zu treten (Europarat 20). So scheint der Auslandsaufenthalt eine gute Alternative zur konstruierten interkulturellen Situation im Unterricht, da er verschiedene Realitätskonzepte in authentischen und Echtzeitsituationen bietet.
Das anglo-amerikanische Konzept von Kultur geht andererseits auch mit dem „Kulturmodell“ von Jacques DEMORGON und Markus MOLZ (Europarat 25) konform. Sie sagen, dass jede Definition von Kultur durch den kulturellen Hintergrund des Definierenden verzerrt sein müsse. Genau das ist es auch, was interkulturelles Lernen so schwierig macht: im Englischunterricht sitzen Schüler, die sich einer andere Kultur (sei es die englische, anglo-amerikanische, kanadische…) auf der Basis ihrer eigenen, (meist) nicht englischen Kultur nähern müssen. Sie denken, dass sie das, was sie in ihrer Muttersprache kommunizieren auch auf die gleiche Weise in der Fremdsprache Englisch kommunizieren können. Dass dies nicht immer so funktioniert, merkt man schon an einzelnen Wortübersetzungen, die nicht eins-zu-eins von einer Sprache in die andere übernommen werden können. Somit befinden sich die Schüler in einem ständigen Anpassungsprozess, der es ihnen erlauben soll, zwischen ihrer eigenen und der fremden Kultur zu vermitteln. Kultur sei also nach DEMORGON und MOLZ (Europarat 25) ein Begriff der Adaption; Menschen seien ständig darum bemüht, eine stabile Beziehung zwischen ihrer inneren Welt (Bedürfnisse, die sie auf ihrem kulturellen Hintergrund entwickeln) und der äußeren Welt (Bedürfnisse anderer Menschen anderer Kulturen) zu entwickeln; dabei werde der einzelne Mensch von seiner Umgebung geformt und formt im Gegenzug auch seine Umgebung. Es findet also – wie im anglo-amerikanischen Konzept von Kultur – eine „Reaktion und Antwort einer Gruppe von Menschen auf die geltenden und bestimmenden Bedürfnisse ihrer Mitglieder“ statt (Hoopes und Pusch, zit. n. Alix 1990 105). Einerseits bräuchten wir dazu stabile Verhaltensmuster, die wir in Situationen anwenden müssten, um richtig zu handeln, so dass wir nicht immer wieder von neuem anfangen müssen, Verhaltensregeln zu entwickeln. Andererseits bräuchten wir aber auch Anpassungsmöglichkeiten an neue Umstände (Akkommodation). Wir lernen, unsere Gehirnstrukturen den äußeren Informationen anzupassen, lernen, dass die Umwelt oft anders (re)agiert, als die eigene Vorstellung es vorsah. Gleichzeitig besäßen wir aber auch die Fähigkeit zur Assimilation, die wichtig ist, um die äußere Welt einzuordnen. Wir benutzen entwickelte Stereotypen, um mehr über den Gesprächspartner herauszufinden, damit wir entscheiden können, wie wir uns dem anderen gegenüber verhalten. Dieses System von Orientierung, Anpassung und Veränderung nenne sich nach DEMORGON und MOLZ (Europarat 25) Kultur. Weder extreme Assimilation noch extreme Akkommodation erwiesen sich in einer Kultur als erfolgreich. Das konkrete Verhalten in konkreten Situationen setze sich aus einem Zusammenspiel aus Erlerntem und Erfolg versprechenden kulturellen Handlungen (Assimilation) sowie der Anpassung an neue Situationen zusammen (Akkommodation). Auch hier gibt es die Faktoren Reaktion und Aktion auf geltende Bedürfnisse von Menschen.
Diese Menschen lassen sich nun unterschiedlichen Kulturen zuordnen, indem man Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrem Handeln findet. Interkulturelles Lernen nach DEMORGON und MOLZ in diesem Kontext bedeute dann also,
dass den Menschen durch die Konfrontation mit anderen Normen ihre kulturelle Orientierung bewusst wird. Menschen, die mit zwei Orientierungen leben müssen, erweitern das Repertoire ihrer Verhaltensmuster. Sie erweitern ihre Gewohnheiten so, dass sie beiden kulturellen Orientierungen gerecht werden. Abhängig von der Situation haben sie daher mehr Optionen als andere. […] Dieser größere Spielraum ist jedoch auch mit mehr Unsicherheit verbunden: Mehr Optionen schaffen instabilere Situationen (Europarat 28).
Beim interkulturellen Lernen mit Schülern ist diese Erkenntnis sehr wichtig, denn sie ermöglicht ein besseres Verständnis des interkulturellen Lernens. Die Schüler müssen sich selbst kennen (lernen) und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern, damit sie in konkreten interkulturellen Situationen mehr Handlungsmaterial zur Verfügung haben. Das Modell zeigt aber auch auf, dass interkulturelles Lernen keineswegs ein einfaches Lernen ist. Es muss so stattfinden, dass die Schüler nicht die Orientierung verlieren. Ihnen muss das Eigene und Fremde immer noch als unterscheidbar bewusst sein. Ob sie dann noch einer einzigen Kultur angehören, ist fraglich. So stellt sich auch Milton J. BENNETTs Modell der Entwicklung der interkulturellen Sensibilität zur Diskussion. BENNETT (Europarat 31) geht davon aus, dass interkulturelles Lernen ein Prozess ist, „der durch ständige Entwicklung charakterisiert ist (wobei in diesem Prozess Fortschritte und Rückschritte möglich sind)“ (Europarat 31) und eine Aufgabe der eigenen Kultur nach sich ziehe. Der Mensch passe sich so weit an, dass andere Werte, Weltsichten und Verhaltensweisen von ihm übernommen würden, während er seine eigene Identität zunehmend aufgebe. Nach BENNETT versuche er, die verschiedenen kulturellen Rahmen in einen einzigen zu integrieren. Dabei könne es soweit kommen, dass er keiner Kultur mehr angehöre, sondern sich als „integrierter Außenseiter“ (Europarat 31) empfände und ein Mediator der Kulturen sei. Es stellt sich für mich aber die Frage, ob nicht gerade diese Form der Integration von mehreren Kulturansichten eine neue „Kultur“ bedeutet, die ich dann als „Metakultur“ bezeichnen würde.
Wenn verschiedene Menschen diese Metakultur erreichen, wird es zwischen ihnen auch Unterschiede geben, wie es auch Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft und innerhalb einer Kultur gibt. Hans NICKLAS (47) konstatiert, dass die Unterschiede in einer Gesellschaft – horizontal (z.B. zwischen Bewohnern von Mailand und Sizilien) und vertikal (zwischen Subkulturen) – gar größer sein könnten als die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen. So bestünden also schon in einer Kultur und somit natürlich auch zwischen mehreren Kulturen „kulturelle Differenz, kommunikative Ambivalenzen und individuelle bzw. gesellschaftliche Konfliktfähigkeit“ (Bach, zit. n. Hüllen 9). Claire KRAMSCH (Bach 193)ergänzt dann, dass Kultur kein gegebenes Konzept sei, welches gemeinsames Gedankengut einschließe, sondern vor allem durch Sprache vermittelt und interpretiert werde. Diese Erkenntnis ist wichtig für den Englischunterricht, in dem Schüler mit Hilfe von Sprache eine fremde Kultur kennen lernen. Kultur manifestiert sich durch Sprache und Sprache konstruiert Realität. Darum ist das Kennenlernen von Kulturen und das Interagieren mit ihnen ein Anliegen der Fremdsprachendidaktik.
In Geert HOFSTEDEs Modell der kulturellen Kategorien gibt es keine kulturellen Unterschiede in horizontaler oder vertikaler Ebene (Europarat 20ff.). Er geht davon aus, dass Kultur ein statisches Gebilde sei und somit eine Nation auch nur einer Kultur angehöre. Die uns bekannten unterschiedlichen Normen, Werte und Weltauffassungen einer pluralistischen Gesellschaft stehen dieser Theorie aber entgegen. Wenn also eine internationale Begegnung mit Schülern aus den USA durchgeführt wird, muss der Lehrer die kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Region und Menschengruppe beachten und kann nicht davon ausgehen, dass alle Amerikaner gleiche kulturelle Werte haben. Es gibt auch nicht den typisch deutschen Schüler. So muss also NICKLAS, DEMORGON und MOLZ Recht gegeben werden. Dies deckt sich auch mit dem erweiterten Kulturbegriff der UNESCO (ISB). Die Auffassungen gehen davon aus, dass es keinen Zusammenhang zwischen Kultur und Nation gebe, Kultur nur eine Orientierung von Gruppen und Menschen sei (Europarat 28). Es ist also anzunehmen, dass Menschen immer (inter)kulturell lernen, da sie lernen, mit unterschiedlichen Wertorientierungen umzugehen. Dieser Prozess gehört zur Sozialisation und ist lebenslang.
Im Schulalltag ist interkulturelles Lernen im Klassenraum dann gut möglich, wenn Ausländer mit anderen Weltansichten zusammen mit deutschen Schülern lernen. Interkulturelles Lernen im Englischunterricht – in Bezug auf die in der Landeskunde u.a. behandelten Länder (wie Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Indien) und die englische Sprache – stellt sich im Klassenraum aber immer noch als konstruiert und unrealistisch dar. Aus eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass nur wenige Kinder mit anglo-(amerikanisch)-kulturellem Hintergrund zusammen mit deutschen Schülern lernen. Dies wird auch durch den Datenreport 2006 des Statistischen Bundesamtes bestätigt, der besagt, dass die größten Zuwanderungsgruppen in Deutschland aus der Türkei, Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und dem damaligen Jugoslawien stammen. Die deutschen Schüler können also keine anglo-(amerikanischen) Orientierungen erfahren, da sie höchstens in Lehrbüchern über die Menschen dieser Kulturen lesen. Sie kommen in keine Konfliktsituationen, die sie zur Interaktion zwingen und die somit interkulturelles Lernen initiieren. Ein Auslandsaufenthalt in Großbritannien, den USA, Kanada, Australien oder Indien bietet dagegen vielfältige Möglichkeiten, andere Kulturen kennen zu lernen – sei es an der Kasse im Supermarkt oder beim Abendessen mit der Gastfamilie. Es ist daher ein unverzichtbares Muss im Kontext von interkulturellem Lernen, den Schülern eine Möglichkeit zu bieten, im Ausland ihre eigenen Normen, Werte und Weltansichten mit denen anderer zu vergleichen. Es ist dabei vorrangig nicht entscheidend, in welches Ausland die Reise führt. Da der Englischunterricht aber die englische Sprache vermittelt, sehe ich es als sinnvoll an, entweder in ein englischsprachiges Ausland zu fahren oder Englisch zur Verkehrssprache im Austausch zu erklären, so dass z.B. Finnen und Deutsche auf Englisch miteinander im Austausch kommunizieren. Fahrten in die Länder, die Themen der Lehrpläne sind, lassen sich allerdings besonders gut in den Englischunterricht integrieren. Hier bieten Lehrbücher Anknüpfungspunkte und die Forderungen der Lehrpläne werden erfüllt.
Allen wissenschaftlichen Betrachtungen gemein ist aber die Auffassung, dass „[i]nterkulturelles Lernen […] der Weg, interkulturelle Kompetenz in interkultureller Kommunikation das Ziel [ist]“ (Ertelt-Vieth 16, zit. n. Röttger 157). So erwirbt der interkulturell Lernende – im Fall der Institution Schule der Schüler – beim interkulturellen Lernen, welches in interkultureller Kommunikation – z.B. auf einer internationalen Klassenfahrt – stattfindet, die interkulturelle Kompetenz, die ihn zu einer verbesserten interkulturellen Kommunikation befähigt. Durch eine angemessene und effektive Kommunikation entsteht diese verbesserte interkulturelle, konstruktive Interaktion. Angemessen in einer interkulturellen Situation zu kommunizieren, würde demnach bedeuten, dass „wichtige ‚kulturelle’ Regeln, die die Akteure für verbindlich erachten, nicht verletzt werden“ (BertelsmannStiftung 8), und dass „die Akteure die Ziele ihrer Interaktion auch tatsächlich erreichen“ (BertelsmannStiftung 8). Nach Meinert A. MEYER müsse man sich dabei „adäquat und flexibel gegenüber den Erwartungen der Kommunikationspartner aus anderen Kulturen […] verhalten, sich der kulturellen Differenzen und Interferenzen zwischen eigener und fremder Kultur und Lebensform bewusst […] werden […]“ (Bach 196, zit. n. Meyer 16). Aus diesem Zitat lässt sich schließen, dass die interkulturelle Kompetenz keine eigenständige Kompetenz ist, eher ein Bezugsrahmen für mehrere Handlungsteilkompetenzen wie soziale, reflexive und methodische Kompetenzen, die die Schüler in ihrer Schullaufbahn erlernen sollen (Bolten 2001). Über die genaue Definition der interkulturellen Kompetenz ist sich die Wissenschaft noch uneinig. Bei einer durch Darla K. DEARDORFF (13) durchgeführten Delphi-Befragung der 23 führenden Experten auf dem Gebiet des interkulturellen Lernens – unter ihnen auch der Engländer Michael BYRAM – zur interkulturellen Kompetenz konnte aber ein weitestgehender Konsens mit folgender Begriffsbestimmung gefunden werden: Interkulturelle Kompetenz sei die
Fähigkeit, effektiv und angemessen in interkulturellen Situationen zu kommunizieren, auf Grundlage eigenen interkulturellen Wissens, Fähigkeiten und Einstellungen (Deardorff 13).
Um diese Kompetenzen, die im Kapitel 2.2 näher erläutert werden, als Schüler zu erlangen, muss interkulturell gelernt werden. Interkulturelles Lernen finde nach Alexander THOMAS dann statt,
wenn eine Person bestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur deren spezifisches Orientierungssystem der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns zu verstehen, in das eigenkulturelle Orientierungssystem zu integrieren und auf ihr Denken und Handeln im fremdkulturellen Handlungsfeld anzuwenden (Thomas 1988 83).
Er geht davon aus, dass diese Person einen inneren Antrieb dazu verspüre, interkulturell zu lernen und zu handeln. Diese Motivation könnte darin begründet sein, dass sie sich vielleicht auf einen Besuch eines ausländischen Geschäftskunden vorbereitet oder aus beruflichen Gründen fremde Länder bereist. In der Lebenswelt dieser Person gibt es also einen Auslöser zum interkulturellen Lernen. Schüler müssen in der Schule so auf eine internationale Klassenfahrt vorbereitet werden, dass sie auch einen inneren Antrieb zum interkulturellen Lernen verspüren.
Interkulturelle Lernsituationen seien nach ALIX (104) zwar ein spezifischer Typ von Unterricht, da sie Elemente verschiedener Norm- und Wertesysteme aufgreifen, doch sie sind kein einzelnes Fach. Wenn die geforderten Kompetenzen erlernbar sind, wobei „Lernen“ hier aufgefasst wird als das „organisierte Vorgehen zur Förderung lebenspraktischer Fähigkeiten“ (Alix 2), und wenn die pädagogische Institution Schule dabei für die Organisation dieses Lernens zuständig ist, dann schafft die Schule Voraussetzungen und realisiert die Bildungsinhalte für interkulturelles Lernen.
Es gibt nun spezielle Kompetenzen, die die Schüler in bestimmten Phasen des interkulturellen Lernens erwerben sollen, um „die Welt in ihren verschiedenen Aspekten und Zusammenhängen besser zu verstehen und sich selbst in sinnvollen Zielen und Aufgaben zu entfalten“ (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt 3) sowie auf „ihre persönliche, berufliche und gesellschaftliche Zukunft nach der Schulzeit“ (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt 3) vorbereitet zu werden. Dabei beginnen die Schüler als „intercultural learner“ und entwickeln sich zum „intercultural speaker“ (Byram Teaching and Assessing 32).
2.2 Die im Schüleraustausch zu entwickelnden Kompetenzen innerhalb der verschiedenen Stufen interkulturellen Lernens
Interkulturelles Lernen verläuft in verschiedenen Stufen, in denen Lernende spezielle Kompetenzen erlangen. In dieser Arbeit werden das Phasenmodell von Milton J. BENNETT (Europarat 31ff.) und Darla K. DEARDORFFs Erkenntnisse über die interkulturelle Kompetenz angewendet. BENNETTs Modell lässt sich meiner Meinung nach am besten für die Einstufung eines interkulturellen Lerners anwenden, da es differenzierte Stadien bietet, die auch Lerner ohne jegliche Kompetenzen mit einschließen. Gerhard WINTERs (167) Stufenmodell des interkulturellen Lernens scheint mir hingegen nicht differenziert genug, es vernachlässigt die eben genannten Stadien. Bei WINTER ist nur positiv herauszuheben, dass er eine Art „Meta-Interkulturelles Lernen“ anspricht, bei dem der Lerner vom interkulturellen Lernen abermals lernt. Diese Position scheint logisch, da Lernprozesse reflektiert werden sollen. WINTER schlussfolgert aber falsch, dass dadurch generalisierte Verhaltensmuster entwickelt würden, die den Menschen dazu befähigen im „kritischen Lebensfeld Ausland“ (Winter 170) zurechtzukommen. Dies scheint mir aber zu allgemein, da es nicht das Ausland gibt. Es gibt immer nur spezielle Situationen im Ausland, die immer wieder neue Strategien der Bewältigung benötigen. Es werden keine generalisierten Verhaltensmuster entwickelt, der Mensch verschafft sich nur eine gewisse Methodenkompetenz, die ihn dazu befähigt, in Konfliktsituationen angemessen zu (re)agieren. Das können Verhandlungsstrategien oder Konfliktvermeidungsstrategien sein. Welche Strategie er dann aber genau in einem speziellen Fall anwendet, ist nicht vorherzusagen, da sich der Kontext immer anders darstellt. Von generalisierten Verhaltensweisen kann also keinesfalls gesprochen werden.
Da sich in Publikationen zum interkulturellen Lernen unterschiedliche Kategorisierungen finden, welche Kompetenzen die Schüler als interkulturelle Kompetenzen – oder interkulturelle Kommunikationskompetenzen – erwerben sollen, musste ich mich auf eine Einteilung festlegen. Durch die Mannigfaltigkeit der Bezeichnungen und Kategorisierungen verliert der Leser leicht den Überblick. DEARDORFF hat in ihrer Delphi-Befragung die 23 führenden Experten auch gebeten, Teilkompetenzen der interkulturellen Kompetenz aufzulisten. Da sich mehr als 80% der Umfrageteilnehmer auf 22 wichtige Elemente verständigen konnten, werden diese Elemente auch als ausschlaggebend angesehen und für diese Arbeit genutzt (Deardorff 16) (geordnet nach Häufigkeit der Nennung):
1. Verstehen anderer Weltanschauungen
2. Bewusstsein bezüglich der eigenen Kultur und die Fähigkeit, sich selbst zu beurteilen
3. Anpassungsfähigkeit, Anpassung an ein neues kulturelles Umfeld
4. Fähigkeit, zuzuhören und (aufmerksam) zu beobachten
5. allgemeine Offenheit für interkulturelles Lernen und für Menschen anderer Kulturen
6. Fähigkeit, sich wechselnden interkulturellen Kommunikations- und Lernstilen anzupassen
7. Flexibilität
8. Fähigkeit zu analysieren, zu deuten und zuzuordnen
9. Ambiguitätstoleranz und Beschäftigung mit Ambiguität
10. umfassendes Wissen und Verständnis für Eigen- und Fremdkultur
11. Respekt für andere Kulturen
12. kulturübergreifende Empathie
13. Verstehen des Wertes kultureller Vielfalt
14. Verstehen von Rolle und Wirkung der Kultur und der Wirkung entsprechender situativer, sozialer und historischer Kontexte
15. kognitive Flexibilität – Fähigkeit, das Referenzsystem etisch und emisch zu verlagern
16. soziolinguistische Kompetenz (Bewusstsein der Relation zwischen Sprache und Bedeutung in einem gesellschaftlichen Kontext)
17. Aufmerksamkeit
18. Unvoreingenommenheit
19. Neugier und Entdeckergeist
20. Lernen durch Interaktion
21. keine ethnozentrische Sicht
22. kulturspezifisches Wissen und das Verstehen der Traditionen fremder Kulturen
Nur eines dieser Elemente erhielt die Zustimmung aller: „Verstehen anderer Weltanschauungen“, wobei die Weltanschauung „grundlegende Wahrnehmung und Verständnis der Welt bedeutet (Deardorff 16). Die Experten erreichten keinen Konsens bezüglich der Rolle und Bedeutung von Sprache für interkulturelle Kompetenz. Im vierten Kapitel werde ich – im Vergleich mit den Erkenntnissen aus den Fragebögen – noch genauer auf die Erkenntnisse der Wissenschaftler eingehen.
In dieser Arbeit möchte ich die hier genannten Teilkompetenzen, die voneinander abhängig sind und alle zu einem bestimmten Grad in einem Menschen vorhanden sein müssen, um ihn zu einem handlungsfähigen Individuum zu machen, unter den Oberbegriffen Sachkompetenz – Teilkompetenzen 1, 10, 13, 15, 16 und 22 –, Methodenkompetenz – Teilkompetenzen 4, 8 und 15 –, Selbstkompetenz – Teilkompetenzen 2, 7, 17, 18, 19 – sowie Sozialkompetenz – Teilkompetenzen 1, 3, 4, 5, 6, 9, 10, 11, 12, 14, 16, 20, 22 – zusammenfassen.[4] Diese umfassende Handlungsfähigkeit wird in den Rahmenrichtlinien für den Englischunterricht des Landes Sachsen-Anhalt gefordert. Als Sachkompetenz wird das Wissen über etwas verstanden, dass jemanden befähigt, mit der Welt in Interaktion zu treten. Wenn er in dieser Interaktion dann sein Sachwissen anwendet, nutzt er seine Methodenkompetenz. Er kann z.B. etwas wahrnehmen, leugnen, beobachten, vergleichen. Handelt er in dieser Interaktion dann so, dass er seinen Interaktionspartner beachtet, handelt er also sozial, wendet er Sozialkompetenz an. Diese Sozialkompetenz schließt immer die Selbstkompetenzen ein, da man ohne Kompetenz, mit sich selbst umzugehen, nicht sozial handeln könnte (ISB). Da das relevante kulturelle Wissen (also die Sachkompetenz) je nach interkulturellem Kontext unterschiedlich ist und damit das globale Wissen zu umfangreich ist, um es interkulturellen Situationen vorauszusetzen oder es in ihnen zu erlernen, sind verhaltensbezogene Kommunikationsfähigkeiten (also Aspekte der Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz) viel wichtiger als Wissen. Da ein allumfassendes kulturelles Wissen nicht erreichbar ist, wächst die Bedeutung der prozessorientierten Fähigkeiten, die dann ein Erlernen und Verarbeiten neuer Informationen über die eigene oder fremde Kultur ermöglichen (BertelsmannStiftung 9). Welche speziellen Sach-, Methoden und Selbst- sowie Sozialkompetenzen in welchen Stufen des interkulturellen Lernens von den Schülern erworben werden sollen, wird nun im Folgenden besprochen.
2.2.1 Stufe 1 – Ethnozentrismus
Nach BENNETT (Europarat 29) bestehe das interkulturelle Lernen aus zwei Hauptphasen, dem Ethnozentrismus und dem Ethnorelativismus, die sich jeweils in Unterphasen gliedern, wobei angenommen werden soll, dass die Unterphasen nicht zwangsläufig chronologisch hintereinander ablaufen müssen. Jeder Mensch werde im Ethnozentrismus beginnen. Spricht BENNETT von Ethnozentrismus, so meint er ein Stadium, in dem der Einzelne davon ausgehe, dass seine Weltsicht im Wesentlichen der Realität entspricht. Zunächst leugne dieser, dass es andere Sichtweisen von Realität geben kann und verneine damit also auch die Existenz anderer Kulturen (Bennett 1).
Der Lerner besitzt in diesem Stadium eine gewisse Sachkompetenz über seine eigene Kultur und deren Sprache. Betrachtet man den durchschnittlichen Bürger Deutschlands, kennt dieser – seiner Bildung und seines Alters entsprechend – Methoden und Selbst- sowie Sozialkompetenzen, die in seiner Kultur einen konfliktarmen Umgang mit dem Gegenüber ermöglichen. Er ist in seiner Muttersprache zu einem gewissen Grad kommunikationsfähig und hat auch den Willen, überhaupt mit anderen zu kommunizieren. Fehlt dieser Wille ist eine intrakulturelle Kommunikation schwierig und interkulturelles Lernen wird wohl kaum initiiert werden. Der Lerner muss in dieser Phase ein Bewusstsein bezüglich seiner eigenen Kultur und die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu beurteilen (Selbstkompetenz, Teilkompetenz 2 der Delphi-Stufe[5]). Außerdem muss er umfassendes Wissen über die eigene Kultur erworben haben (Sachkompetenz, Teilkompetenz 10). Dazu benötigt er die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit (Selbstkompetenz, Teilkompetenz 17).
Ist der Lerner willig und motiviert zum interkulturellen Lernen, werde er nach BENNETT (3) beim Kontakt mit anderen Kulturen in die nächste Unterphase des Ethnozentrismus übergehen: der Verteidigung. Hier würden kulturelle Unterschiede wahrgenommen, aber als bedrohlich empfunden. Daher müssten sie mit bestimmten Strategien bekämpft werden (wie z.B. der Negativbewertung anderer Kulturen, Entwicklung von Stereotypen, einem Überlegenheitsgefühl oder Rassismus).
In dieser Unterphase des Ethnozentrismus muss der Lerner die andere Kultur wahrgenommen haben, er muss wissen, dass es das „Andere“ gibt. Er braucht also die Methoden- und Sozialkompetenzen, zuzuhören und (aufmerksam) zu beobachten, zu analysieren, zu deuten und zuzuordnen (Teilkompetenz 4) und ein Verständnis für die Fremdkultur zu entwickeln. Dazu benötigt er als Selbstkompetenz einen gewissen Grad an Neugier und Entdeckergeist (Selbstkompetenz, Teilkompetenz 19), ohne die er nicht motiviert wäre, etwas über das „Andere“ herauszufinden. Somit kennt er Unterschiede in Werten und Normen und ist fähig, diese mit bestimmten Methoden zu bekämpfen. Es sei in dieser Phase nicht unbedingt nötig, dass der Sprecher linguistische Kompetenzen besitzt. Er müsse nicht zwingend mit der anderen Kultur interagieren. Er agiere „über“ sie.
Nach BENNETT (5) muss es dabei nicht bei einer Verteidigung der eigenen Werte und Normen bleiben. Der Lerner könne in der dritten Phase auch Unterschiede erkennen, werde sie aber nicht bekämpfen, sondern herunterspielen oder nach Ähnlichkeiten in der eigenen Kultur suchen. Die Ähnlichkeiten würden als größer und entscheidender wahrgenommen und darum über diese Unterschiede gestellt. Der Lerner besitzt nun Sachkompetenz über Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Sachkompetenz, Teilkompetenz 10). BENNETT kritisiert hier, dass viele internationale Organisationen diesen Prozess als die höchste Stufe von interkultureller Entwicklung ansehen und somit nach einer Welt streben würden, die auf gemeinsamen Grundlagen und Wertvorstellungen beruhe. Es müsse aber noch weitere Stufen geben, die einen differenzierteren Umgang mit fremden Kulturen ermöglichen. Dieser sollte nicht darauf beruhen, Unterschiede zwischen den Kulturen zu leugnen. Denn gerade die Erkenntnis, dass es Unterschiede gibt, die das interkulturelle Leben bereichern, macht die interkulturelle Kompetenz aus. Wenn es keine Unterschiede gäbe, bräuchte man auch keine Kompetenz zu erwerben, die zwischen ihnen vermittelt.
2.2.2 Stufe 2 – Ethnorelativismus
BENNETT (Europarat 30) betont, dass „Ethnorelativismus […] auf der Annahme [beruht], dass Kulturen nur in Bezug aufeinander und bestimmte Verhaltensweisen nur innerhalb eines kulturellen Kontextes verstanden werden können“. Dabei sei es wichtig, Unterschiede nicht als Bedrohung anzusehen, sondern diese in Korrelation mit der eigenen Kultur zu erfassen und auszuwerten (Methodenkompetenz, Teilkompetenz 8). Die erste Unterphase des Ethnorelativismus sei dabei die Akzeptanz des kulturellen Unterschieds (Bennett 7).
Hier muss der Lerner die meisten Kompetenzen erwerben, die es ihm ermöglichen, mit der anderen Kultur zu agieren. Er muss allgemein offen sein für interkulturelles Lernen und für die Menschen anderer Kulturen (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 5) und unvoreingenommen (Selbstkompetenz, Teilkompetenz 18) und flexibel bleiben (Selbstkompetenz, Teilkompetenz 7), auch wenn er unbekannten Kulturaspekten begegnet. Dann kann er fremde Weltanschauungen verstehen (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 1). Um diese zu verstehen, benötigt er Wissen über sie (Sachkompetenz, Teilkompetenz 10). Wenn sich der Lerner mit verschiedenen Orientierungssystemen auseinandersetzt, muss er sich mit Ambiguität beschäftigen und Ambiguitätstoleranz entwickeln (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 9). Er entwickelt ein gewisses Verständnis für die Fremdkultur (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 10), die er auf der Basis seiner eigenen bewerten kann. Dabei soll er Respekt für die Fremdkultur entwickeln (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 11), kulturübergreifende Empathie üben (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 12) und den Wert der kulturellen Vielfalt verstehen (Sachkompetenz, Teilkompetenz 13). Er benötigt in diesem Stadium soziolinguistische Kompetenz, die sich als Sozial- und Sachkompetenz gestaltet (Teilkompetenz 16), da er Wissen über die Sprache und ihre Bedeutung im kulturellen Kontext erwerben muss. In diesem Stadium wird in hohem Maße durch Interaktion gelernt (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 20) und der Schüler verlässt die ethnozentrische Sicht Schritt für Schritt (Teilkompetenz 21). Er erlangt immer mehr fremdkulturspezifisches Wissen (Sachkompetenz, Teilkompetenz 22) und versteht ihre Traditionen (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 22). Die enge Verflechtung der vier Kompetenzbereiche ist erkennbar. Der Lerner erlangt durch seine Sachkompetenz Fähigkeiten und Strategien zur Akzeptanz wie z.B. die Fähigkeit, wie man Unterschiede aushält. Er lernt, die Perspektive zu wechseln, Ängste und Unsicherheiten zu reduzieren sowie andere Verhaltensweisen einschätzen.
Mit dem erarbeiteten Wissen, dass nur aus Interaktionen mit fremdkulturellen Partnern hervorgehen kann, blieben dem interkulturellen Lerner nach BENNETT (9ff.) noch zwei Stufen des interkulturellen Lernprozesses: die Anpassung und die Integration.
Die Kompetenz, die der Lerner in der Anpassungsphase erwirbt, ist die Anpassungsfähigkeit (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 3). Passt er sich an, übernimmt er zwar andere Werte, Weltsichten und Verhaltensweisen, gibt aber nicht – wie bei der Assimilierung – seine eigene Identität auf. Dies ist ein Prozess der Ergänzung, in dem Verhaltensweisen flexibel erlernt und dem eigenen Verhaltensmusterrepertoire hinzugefügt werden (Selbstkompetenz, Teilkompetenz 7).
Die Integration als dritte Stufe des Ethnorelativismus erfordere eine ständige Neudefinition der eigenen Identität auf Grundlage der erlebten Erfahrungen. Im ersten Stadium der Integration finde nach BENNETT (11) eine Kontextbewertung statt, bei der verschiedene Situationen und Weltsichten auf der Grundlage mehrerer kultureller Hintergründe bewertet werden, damit der „intercultural speaker“ in der Lage ist, je nach Situation von einem kulturellen Kontext in einen anderen zu wechseln, um angemessen zu handeln. So (re)agiert er kontextbezogen und nicht danach, was „eigentlich“ angemessen für eine Kultur wäre.
Hier muss der Lerner fähig sein, sich wechselnden interkulturellen Kommunikations- und Lernstilen anzupassen (Sozialkompetenz, Teilkompetenz 6), da er als „intercultural mediator“ verschiedene kulturelle Orientierungen zusammenbringt. So fragt er sich in einer bestimmten Situation, ob es z.B. gut sei, den Gegenüber auf einen gemachten Fehler hinzuweisen. In den meisten USA-Kontexten ist dies der Fall, in den meisten japanischen nicht. BENNETT bemerkt, dass es vielleicht gerade in dieser speziellen Situation, in der sich dieser befindet (in Japan zusammen mit japanischen und US-amerikanischen Kollegen) vielleicht doch wichtig sei, um schwerwiegende Folgen zu vermeiden. Der „intercultural mediator“ versteht die Rolle und Wirkung der Kultur und der Wirkung entsprechender situativer, sozialer und historischer Kontexte (Sachkompetenz, Teilkompetenz 14). Außerdem muss der Lerner kognitiv flexibel sein (Sach- und Methodenkompetenz, Teilkompetenz 15).
Die zweite Phase der Integration und in BENNETTs (11) Aufzählung das letzte Stadium des interkulturellen Lernens ist die „konstruktive Marginalität“. Dies sei das Stadium der uneingeschränkten Selbstreflexion. Der „intercultural mediator“ gehöre keiner Kultur mehr an, sei aber ein Vermittler zwischen ihnen und habe die Fähigkeit, im Rahmen verschiedener Weltsichten zu handeln. Ein Vermittler sei nach BENNETT ein „integrierter Außenseiter“ (Europarat 31). Da er meines Erachtens die Wertvorstellungen beider Kulturen verinnerlicht hat, ist er mehr als dies. Würde er keiner dieser Kulturen angehören – also ein Außenseiter sein –, wäre er nach BENNETT ohne Orientierungssystem und somit ein „kulturfreier“ Mensch. Dies ist meiner Meinung nach nicht möglich. Denn ein Mensch, der die Stufe der konstruktiven Marginalität erreicht hat, besitzt auch ein moralisches Wertgefüge, an dem er sich orientiert – eine Metakultur. Die Elemente, aus denen dieses Gefüge besteht, konstituieren sich meines Erachtens aus den für ihn angemessenen Elementen der Kulturen, die dieser Mensch in seinem Leben kennen gelernt und zwischen denen er interkulturell kommuniziert hat. Somit gehe ich mit BENNETT zwar konform, dass die letzte Phase des Ethnorelativismus eine uneingeschränkte Selbstreflexion umfasst. Sie schließt aber nicht den Verlust der kulturellen Identität mit ein. Ob das Stadium der konstruktiven Marginalität in der Schule erreicht wird, oder erreicht werden muss, um erfolgreich interkulturell zu kommunizieren, ist fraglich. Auch wenn das interkulturelle Lernen Teil der Schule sein muss, ist es doch ein lebenslanger Prozess.
Die Schule leistet durch Unterricht, Exkursionen und Auslandsaufenthalte einen entscheidenden Beitrag zum interkulturellen Lernen. Dabei gilt immer ein lern- und prozessorientierter Ansatz, damit der Schüler ein hohes ethnorelatives Stadium erreicht. Johannes-Peter TIMM (9f.) hat sechs Faktoren zusammengetragen, die für solch einen Unterricht gelten. Da die Einhaltung der Faktoren auch in internationalen Begegnungssituationen wichtig ist, da nicht durch den Auslandsaufenthalt per se interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden,[6] erweitere ich TIMMs Erkenntnisse auf das Lerngebiet der internationalen Klassenfahrt.
2.3 Grenzen eines lern- und prozessorientierten Englischunterrichts, ein Plädoyer für die internationale Klassenfahrt
Der erste Faktor eines lern- und prozessorientierten Englischunterrichts ist nach TIMM (10) das rich learning environment. Dieser besagt, dass die Schüler in der Schule mit vielfältigen, inhaltlich motivierenden Medien in Kontakt kommen sollen und ein offener Englischunterricht stattfinde, der den Schülern vielfältige Impulse zum ganzheitlichen Lernen biete. So können themenspezifische Exkursionen stattfinden oder Muttersprachler eingeladen werden. Im klassischen Schulunterricht bieten sich als Medien Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, DVDs, CDs und auch Bilder an. Meistens werden diese Medien von Schulbuchverlagen zur Verfügung gestellt oder von den Englischlehrern selbst (durch eigene Urlaubsaufenthalte oder Abonnements) erworben. Die internationale Klassenfahrt bietet authentische Möglichkeiten, Medien im gesellschaftlichen Umfeld der fremden Kultur zu nutzen. Die Schüler kommen in ihren Gastfamilien in Kontakt mit Tageszeitungen und Fernsehnachrichten, schauen mit ihren Gastschülern englische Fernsehserien, -filme und Jugendzeitschriften an. Die Schüler werden oft schwierige Momente erleben – z.B. verstehen sie zu wenig, um einer Nachrichtensendung folgen zu können –, die mit einer guten Betreuung durch Gastfamilie und Lehrer aber zur Erhöhung der Frustrationstoleranz beitragen können. Ebenfalls werden die linguistische Kompetenz und die Medienkompetenz erhöht.
Der zweite Faktor des lern- und prozessorientierten Ansatzes ist der comprehensible input (Timm 10) . Dieser besagt, dass die Lehreräußerungen und Lernmaterialien inhaltlich und formal dem Niveau des Schülers angepasst sein müssten. In der Schulsituation wird dies mit einer angepassten englischen Sprache (dem Fehlen von Dialekten, einem langsamen, deutlichen Sprechen, einem immer gleichen Geräuschehintergrund, einem homogenen Register mit minimalen Störungen) und der Bereitstellung angemessener Texte ermöglicht. In der Austauschsituation müssen die Programmpunkte schülerorientiert geplant und durchgeführt werden, so dass vielfältiger Kontakt mit Gleichaltrigen ermöglicht wird. So begegnen den Schülern verschiedene Redegeschwindigkeiten, Register und prosodische Charakteristiken. Sie treffen z.B. auf im Unterricht erlernte Sprechakte, die in der Realsituation schon nicht mehr aktuell sind und müssen lernen, diese zu modifizieren. Auch hier ist es abermals die Aufgabe der Betreuer, Hilfestellungen zu geben und Feedbackzeiten einzurichten, die den Schülern Rückmeldungen über erlebte Situationen geben und die Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz schulen.
Den dritten Faktor bezeichnet TIMM (10) als comprehended input und meint damit, dass der Lerner den Inhalt des Gesagten verstehen müsse, denn nur dann sei er zum Lernen fähig. Dieser Faktor steht in direkter Verbindung zum comprehensible input. Es ist ein schwieriger, aber in der Entwicklung des Schülers wichtiger Lernschritt, mit Nicht-Verstehen umzugehen. Außer der Sprache hat der Schüler auch nonverbale und prosodische Faktoren zur Verfügung, die ihm beim Verständnis helfen. So kann er einer Nachricht zwar nicht ihren exakten Inhalt entnehmen, aber z.B. erkennen, ob es eine negative oder positive Aussage war. Neben der eigentlichen Sachinformation erfährt der Schüler also etwas über den Appellaspekt, den Beziehungsaspekt und den Selbstkundgabeaspekt (vgl. Schulz von Thuns Vier-Ohren-Modell). Mit Hilfe dieser Faktoren sowie der Methode des Nachfragens und Umformulierens muss der Schüler in der Lage sein, unbekannte Vokabeln zu erschließen und für sich nutzbar zu machen. Diese Fähigkeit muss er aber erst entwickeln. Im Englischunterricht wird bei Verständigungsproblemen oft nach der deutschen Bedeutung des eben Gesagten gefragt. Dies ist aber in einer realen Kommunikation unrealistisch, da der Gegenüber nicht immer Deutsch versteht. Schüler müssen, um sich in der Berufs- und Alltagswelt zurechtzufinden, lernen, den input, den sie von fremden Menschen bekommen, in allen vier „Ohren“ verstehbar zu machen und Unbekanntes mit erlernten Methoden zu erschließen. Das ist besonders dann wichtig, wenn man sich im Ausland befindet, wo wenig Rücksicht auf den eigenen Hintergrund genommen wird. Auch hier greifen Reparaturmaßnahmen wie die Sätze „Could you explain this to me?“ oder „Could you use another word for this?“. So ist eine gut geplante Vorbereitung und Betreuung während der Begegnung sehr wichtig, die Ängste der Schüler zu mindern und ihnen Mut zu machen, Verständnislücken immer wieder zu schließen. Im Austausch können die Schüler – bei guter Betreuung und Vorbereitung – nicht in alte Muster verfallen und deutsche Übersetzungen erbitten. Sie müssen lernen, sprachlich flexibel zu sein. Auch wenn ihnen bei eigenen Formulierungen Vokabeln und Wendungen fehlen, müssen sie in der Lage sein, ihre eigenen Sätze umzuformulieren und sich somit verständlich zu machen.
Der vierte Faktor eines lern- und prozessorientierten Ansatzes ist die meaningful interaction (Timm 10) . Diese Forderung besagt, dass Gesprächs- und Textangebote im Unterricht die Schüler inhaltlich ansprechen und für sie bedeutsam sein sollten. Im Schulunterricht ist es oftmals schwierig, Texte und Themen zu finden, die für den größten Teil der Klasse so interessant sind, dass sich die Schüler motiviert damit beschäftigen. In einer internationalen Begegnungssituation unternehmen die Schüler viel mit ihren gleichaltrigen Gastgebern und kommunizieren dabei in einer Art, wie sie es auch zu Hause mit Freunden tun würden. Defizite in der Fremdsprache können in diesen Gesprächen als weniger hemmend empfunden werden, da die Schüler über die Inhalte kommunizieren wollen und somit auch bei Verständnislücken nachfragen. Besonders Begegnungen, in denen Englisch lingua franca – also nicht Muttersprache einer der Schülergruppen – ist, fehlt dieses Autoritätsgefälle von Lerner und Lehrer. Schüler lernen voneinander und nehmen somit beiden Rollen ein. Sie unterhalten sich mit einer bestimmten Motivation, die z.B. aus dem Interesse am Gegenüber oder einer authentischen Situation besteht. Dieser intrinsische Lernprozess ist wahrscheinlich der nachhaltigste.
Der fünfte Faktor – der comprehensible output (Timm 10) – besagt, dass sich Schüler um eine sprachlich angemessene Form der Äußerungen bemühen sollten. In vielen Unterrichtssituationen beantworten die Schüler vom Lehrer gestellte Fragen nur mit einem Wort oder einer Wortgruppe. Die paradoxe Situation, dass der Fragende die Antwort immer schon kennt, wird in einer internationalen Klassenfahrt im Kontakt mit den Gastgebern aufgehoben. Ich habe oft erlebt, dass Diskussionen im Unterricht abgebrochen wurden, da der Lehrer befürchtete, zu viel Zeit für den im Lehrplan geforderten Stoff zu verlieren. Aber gerade Diskussionen sind für die Schüler von Bedeutung. Hier können sie ihre eigene Meinung einbringen und sich zusammenhängend äußern. Während des Austauschs werden die Jugendlichen nur auf Kommunikationssituationen stoßen, in denen sie verstanden werden müssen, weil es um dem Gegenüber unbekannte Inhalte geht, die die Schüler vermitteln wollen. So werden sie auch darum bemüht sein, angemessen zu sprechen, d.h. die richtigen Vokabeln, Zeitformen und grammatischen Formen zu nutzen. Dabei werden natürlich weiterhin Fehler auftauchen, die vom fremdsprachlichen Gegenüber aber nur dann korrigiert werden (sollen), wenn sie zu Verständigungshindernissen führen. So werden den Schülern die Hemmungen vor sprachlichen Äußerungen genommen, da sie auch Inhalte vermitteln können, wenn sie Fehler machen. Auch im Deutschen würde man jemanden nur korrigieren, wenn man ihn z.B. auf Grund der falschen Verwendung einer Zeitform nicht versteht.
Der letzte Faktor eines lern- und prozessorientierten Ansatzes ist das training of learning strategies (Timm 10). Dieser stellt wahrscheinlich die wichtigste Funktion des Englischunterrichts dar, denn er besagt, dass der Unterricht die Vorraussetzungen und Hilfen für Lernwege vermittle. Nur wenn Lernstrategien von Beginn der Schulzeit an geübt werden, können die Schüler auf unbekannte Situationen in ihrem Leben vorbereitet werden. Nicht das Wissen ist das an sich Entscheidende. Es ist für Schüler wichtig, mit welchen Strategien sie unbekannte Situationen bewältigen, wie sie sich neue Vokabeln zu Eigen machen und wie sie Verständnislücken schließen können. Dabei ist die Forderung nach Handlungsorientierung immanent: Das Ziel des Englischunterrichts – und der schulischen Bildung per se – ist das Lernen für das Leben in einer globalisierten Welt mit Englisch als Verkehrssprache. Die beste Methode hierfür ist das learning by doing (Timm 10) . Und wo kann man learning by doing besser praktizieren als in einem internationalen Austausch? Hier bekommen die Schüler intrinsische Anreize für den Gebrauch sprachlicher Mittel, wodurch ihre fremdsprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert werden.
In der Schule soll mit internationalen Klassenfahrten ein Impuls gesetzt und den Schülern dabei Grundbausteine einer erfolgreichen interkulturellen Kommunikation vermittelt werden, die sie dazu befähigen, individuell weiter zu lernen.
3 Internationale Klassenfahrten – Begegnung mit anderen Kulturen
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Buber 15). Schüler begegnen in ihrer Lebenswelt immer wieder neuen, unbekannten Dingen, mit denen sie umzugehen lernen und die sie zu reiferen Menschen werden lassen. Im Englischunterricht begegnen sie einer fremden Sprache, die sie erlernen, um mit den Menschen, die auch diese Sprache sprechen, kommunizieren zu können. So liegt es auf der Hand, den Englischunterricht unter einen begegnungstheoretischen Ansatz zu stellen – und nichts ist authentischer als eine face-to-face- Begegnung im fremden Land.
Zu Beginn der Austauschforschung, die sich mit internationalen Begegnungen zwischen Jugendlichen beschäftigt, gab es andere Ziele als die Herausbildung von interkulturellen Kompetenzen. Die Idee von Jugend- und Schülerbegegnungen entstand in Deutschland in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese waren geprägt vom Gedanken der Völkerverständigung in Europa und der Verständigung mit den USA. Die Schuld Deutschlands durch den Zweiten Weltkrieg sollte „abgetragen“ werden (Thomas 1988 78f.). Erst in den 70er Jahren kam dann der Aspekt des gegenseitigen Lernens hinzu, der dann in den 80er Jahren durch den Begriff des „Interkulturellen Lernens“ im Sinne von Kompetenzgewinnung und Kompetenzzuwachs zum interkulturellen Handeln, der Verbesserung der fremdsprachlichen Leistung und dem Verstehen der Gastkultur erweitert wurde. Erst seitdem finden sich Begriffe wie „Identitätsbildung“ (Thomas 1988 66) oder „Horizonterweiterung“ (Thomas 1988 27) in den Zielen von internationalen Begegnungen.
Elisabeth BÖCKER und Anke IKELLE-MATIBA-KOHLHAUSEN (202) definieren einen Begegnungsansatz, der für internationale Klassenfahrten angewendet werden soll. Beide setzen Begegnung gleich mit internationaler Begegnung. Dieser Kontakt sei geplant, unausweichlich, könne eine Nah- oder Fernbegegnung sein, sei zeitlicht begrenzt und habe nicht die „totale Übereinkunft“ (Böcker und Ikelle-Matiba-Kohlhausen 203) zum Ziel, sondern das Bestehen des Fremden, die Rückkehrbewegung zum Eigenen und das Finden von Zwischenräumen im Verstehen. Diese Ziele werden auch im interkulturellen Lernen innerhalb einer internationalen Klassenfahrt angestrebt. Auch BENNETT vertritt die Meinung, dass interkulturelles Lernen Unterschiede anerkenne, Eigenes bewusst mache und so eine Kommunikation ermögliche (siehe Kapitel 2.2.2). Erst wenn der Schüler sich auf seine eigene Kultur besinnt und sie kennt, kann er offen auf eine neue Kultur zugehen und seine eigenen Vorstellungen über diese Kultur kritisch bewerten. So erst ist eine Kommunikation auf der Basis einer der beiden Kulturen oder einer Metaebene möglich. BÖCKER und IKELLE-MATIBA-KOHLHAUSEN (203) stellen fest, dass die Auseinandersetzung dann in Abgrenzung oder Ausgrenzung, in Rassismus, Voreingenommenheit, in eine höhere Bewertung der eigenen Kultur, oder eine Machtdemonstration münden kann. Sie erwähnen nicht, welche positiven Auswirkungen eine internationale Begegnung hervorrufen kann. Ich lese aber aus der Auflistung heraus, dass sie eine gemeinsame Sinnproduktion und das kritische Überprüfen der eigenen Vorurteile als positive Ergebnisse einer Begegnung ansehen. Diese Punkte sind auch Ziele des interkulturellen Lernens.
BÖCKER und IKELLE-MATIBA-KOHLHAUSEN (203) kennen drei unterschiedliche Begegnungsarten: die intrapersonale Begegnung, welche eine Begegnung im Bewusstsein von Wertmustern, Bildern, Einstellungen und Verhaltensweisen sei (z.B. beim Anschauen von Filmen oder Lesen von Büchern), die interpersonale Begegnung, also Interaktionen, in denen unterschiedliche Sinnwelten aufeinander treffen und schließlich die interkulturelle Begegnung, welche eine Begegnung zwischen Repräsentationsformen zweier Kulturen, zwischen Ausdrucksformen (Alltagskultur, Kommunikationsformen, Kunst, Medien…) und Umgangsformen der Kulturen sei. Meiner Meinung nach ist eine Dreiteilung aber überflüssig. In der interkulturellen Begegnung finden auch intrapersonale und interpersonale Begegnungen statt. Man kommt mit Wertmustern, Einstellungen etc. in Kontakt und setzt sich mit ihnen auseinander. Gerade das macht eine interkulturelle Begegnung aus. Meines Erachtens finden daher intra- und interpersonale Begegnungen im Rahmen der interkulturellen Begegnung statt, so dass Interkulturalität als Oberbegriff verwendet werden muss. Jede interkulturelle Begegnung ist demnach intra- oder interpersonal, nicht jede intra- oder interpersonale Begegnung muss hingegen interkulturell sein (sie kann auch zwischen zwei Vertretern einer Kultur – also intrakulturell – stattfinden).
Ein Kontakt zwischen fremden Kulturen ist im Englischunterricht allein nicht durchführbar.[7] Auch das interkulturelle Lernen kann im Klassenraum nur ungenügend stattfinden, wenn Kommunikation und Begegnung oberste Prämissen sein sollen. Schüler müssen sich aber intra- und interpersonell mit anderen Werten und Normen auseinandersetzen, um interkulturelle Kompetenzen zu erlangen. Dem lehrerzentrierten Unterricht fehle es nach Wolfgang STEINIG (305) an Lebendigkeit, Authentizität, selbstbestimmten Schüleraktivitäten, Freude, Natürlichkeit, dem Nutzen aller Sinne, engagierten Gesprächen und vielem mehr. Ein spannender Englischunterricht erfordere vom engagierten Lehrer, der einen kommunikativen, handlungs- und schülerorientieren Unterricht gestalten will, immense Vorbereitung. Dieser Aufwand könne gerade in der internationalen Begegnung sinnvoller eingesetzt werden. Auch die Zweitsprachenerwerbsforschung stellt fest, dass viel native speaker input, der das Niveau der Lerner immer ein wenig überschreitet, wichtig für das Lernen einer Fremdsprache sei (Steinig 307). Auch sei das Lernen einfacher, wenn Schüler keine Angst vor dem Fehlermachen haben, sich für den Gesprächspartner und dessen Leben und Kultur interessieren und sich seinem Alltag aussetzen, um gemeinsame Erfahrungen zu sammeln. Gerade Studienanfänger, die schon Erfahrungen mit schulischen Begegnungssituationen gemacht haben, stellen immer wieder fest, dass durch diese Begegnungen ihr schon vorhandenes Interesse am Fach Englisch stark gestützt wurde oder sie überhaupt einen von ihnen nicht erwarteten Zugang zur Fremdsprache durch den Auslandsaufenthalt bekommen haben (Müller-Hartmann und Grau 3). In interkulturellen Begegnungen setzen sich die Schüler intra- und interpersonal mit ihren Gegenübern auseinander und erlangen dadurch bestimmte interkulturelle Kompetenzen.
Im schulisch organisierten Auslandsaufenthalt befinden sich die Schüler in authentischen, von Pädagogen überwachten Situationen und entwickeln Handlungskompetenzen, die sie dazu befähigen, interkulturell zu kommunizieren. Die Begegnung ist auch eine gute Möglichkeit mit Schule ohne Schule zu lernen, denn neben der Schule bekommen Schüler einen großen Teil ihres Wissens aus außerschulischen Situationen (Byram 1999 358). Sie verbringen ihre Freizeit im Sportverein und lernen dort, im Team zu spielen, sie gehen mit Freunden in die Disko und eignen sich dort mit der Zeit einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld und Alkohol an. Sie schauen Filme und Fernsehen und bekommen verschiedene Weltbilder vermittelt und lernen, sie zu unterscheiden, mit ihnen umzugehen und sie anzuwenden. Die Länge des Lernprozesses ist dabei bei jedem Schüler individuell. In den Medien lernen sie auch unterschiedliche Stereotypen über bestimmte Länder kennen: US-Amerikaner gehen gern zu McDonalds (zu sehen im Film Supersize Me von Morgan Spurlock), tragen gern Waffen (zu sehen in vielen Filmen von Michael Moore) und haben in der High School kein leichtes Leben (z.B. im Film High School Musical von Disney). Solche Stereotypen können schnell zu Vorurteilen avancieren. Auch von Verwandten und Bekannten, die schon in fremden Ländern waren, erlangen sie vermeintliches Wissen, was aber immer Wissen aus zweiter Hand bleibt. Schüler müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, die sie dazu befähigen, eigene Urteile zu fällen und Vorurteile abzubauen. Das Lernen im Klassenraum kann dabei nur eine stellvertretende und relativ limitierte Version des interkulturellen Lernens darstellen. Auch wenn das Hessische Kultusministerium 1996 konstatierte, dass Fremdsprachenunterricht „Kulturen und Sprachen, die ausserhalb [sic] des bisherigen Erfahrungsbereiches der Schülerinnen und Schüler liegen, [erschließt] und […] damit einen Beitrag zur interkulturellen Kommunikationsfähigkeit [leistet]“ (Byram 1999 360), wird dieses interkulturelle Lernen immer initiiert und künstlich sein. Kulturen kann man nur kennen lernen, wenn man sie erlebt, sich mit ihnen beschäftigt und kritisch auseinander setzt. Einige Dimensionen des Fremdsprachenlernens können besser im Klassenraum, andere durch internationale Klassenfahrten erworben werden (Byram Introduction 13). Kognitives Wissen allein erfordert nicht immer einen fremdkulturellen Rahmen – was am 11. September 2001 in New York City passiert ist, können die Schüler im Englischunterricht erlernen. Was dieser Tag aber für die Amerikaner bedeutet, wie sich für sie die Realität geändert hat, kann nur der direkte Kontakt klären. Dabei stellt BYRAM (Introduction 1) fest, dass das einzige Mal, dass Schüler ihre Englischkenntnisse in der Schule anwenden, der Besuch eines fremden Landes sei. Ich möchte mich hier seiner Position anschließen. So treffen während einer internationalen Klassenfahrt zwei Komponenten des Englischunterrichts aufeinander: einerseits lernen Schüler ihre Fremdsprache in einem realen Rahmen, andererseits findet interkulturelles Lernen statt, welches erfordert, dass der Lerner etwas selbst erlebt und fühlt (Byram Introduction 1).
Die Zeit zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr diene nach THOMAS (1988 60) der Entwicklung der persönlichen Identität und sei dadurch besonders für die Durchführung einer internationalen Begegnung geeignet. In dieser Lebensphase verarbeiten die Jugendlichen körperliche Veränderungen und integrieren sie in ein neues Bild ihrer Selbst. Sie vollziehen eine soziale Veränderung: langsam lösen sie sich von ihren Eltern ab und wenden sich Gleichaltrigen – den peers – zu. Sie beschäftigen sich mit ihrer eigenen Persönlichkeit und entwickeln im Einklang mit ihr ein eigenständiges Werte- und Einstellungssystem. In dieser Phase kann die Schule hilfreich zur Seite stehen, wenn sie die affektiven, sozialen und kognitiven Bewältigungsprozesse der Schüler aktiv fördert und fordert und somit eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten anbietet (Thomas 1988 61). Lehrer müssen Schülern die Möglichkeit geben, sich mit anderen Jugendlichen und Erwachsenen sowie mit Medien und Institutionen auseinander zu setzen, damit ihnen eine Orientierung in der Welt möglich ist. Während einer internationalen Klassenfahrt können Schüler ihr eigenes Werte- und Einstellungssystem testen und neue Handlungsmöglichkeiten erproben.
3.1 Der Wert internationaler Klassenfahrten
Für den Wert internationaler Klassenfahrten für den Erwerb interkultureller Kompetenzen ergeben sich aus den oben dargestellten Erkenntnissen acht Thesen, die THOMAS in seinem 1988 herausgegebenen Buch Interkulturelles Lernen im Schüleraustausch formuliert hat. Weil sich aktuelle Publikationen auf THOMAS’ Erkenntnisse beziehen, sehe ich seine Thesen als aktuell und in diesem Gebiet führend an.
Beobachten, Erfahren und Bewußtwerden [sic] fremdkultureller Formen sozialer Interaktion mit gleich- und gegengeschlechtlichen Altersgenossen hat einen hohen Aufforderungswert. Es fördert das Gewahrwerden eigener Interaktionsgewohnheiten, erweitert das Spektrum der sozialen Interaktionsformen und erhöht somit die soziale Handlungskompetenz (Thomas 1988 66).
Es wird deutlich, dass Schüler, die in Kontakt mit peers kommen, motiviert sind, mit ihnen zu interagieren. Dabei tritt der besondere Faktor der Interkulturalität hinzu, der Schüler neugierig machen soll auf das Unbekannte. Zu erfahren, wie andere Jugendliche in ihrem Alter leben, was sie denken und fühlen, wie ihr Schulalltag aussieht und mit diesen Jugendlichen Freundschaften zu schließen, ist ein hoch motivierender Faktor.
Die Beobachtung und der Umgang mit der Ausprägung und der Beziehung zwischen männlichen und weiblichen Rollen in fremden Kulturen fördert das eigene geschlechtsspezifische Rollenverständnis und Rollenlernen (Thomas 1988 66).
Schon der Umgang mit andersgeschlechtlichen Menschen ist für Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren eine Herausforderung. Für sie tritt der sexuelle Aspekt immer mehr in den Vordergrund und wird oft zum Hindernis in Interaktionen. Neues Rollenverständnis erschwert den ungezwungenen Umgang miteinander. In fremden Kulturen gibt es oft unterschiedliche Rollennormen für Mann und Frau. Diese kennen zu lernen und sich mit ihnen auseinander zu setzen, ermöglicht den Jugendlichen einen neuen Blick auf ihre eigene Identität. Sie lernen, mit Unterschieden umzugehen und sie nutzbar für Interaktionen zu machen. Mit Hilfe der englischen Sprache können Rollendifferenzen kommuniziert und Missverständnisse besprochen werden. Mit den Erfahrungen, die in der Begegnung gemacht wurden, erschließen die Schüler neue Blickwinkel auf ihre Kultur und werden befähigt, erfolgreich eigene Rollenverständnisse auszuprägen.
Ein Schüleraustausch mit dem Ausland fördert die emotionale Unabhängigkeit von der elterlichen Autorität (z. B. sich ohne elterliche Hilfe in einer fremden Sprache verständigen und im fremden Land zurechtfinden) und stärkt die Orientierung und Zuwendung des Jugendlichen zur Gruppe der Gleichaltrigen (peer group). Bewährung in Situationen mit einem hohen Grad an Ungewißheit [sic] (z. B. Gastfamilienaufenthalt, Schulbesuch, gemischt-kulturelle Projektgruppenarbeit) verstärkt die Selbsterfahrung und Selbstdefinition (Thomas 1988 66f.).
Das Alter zwischen 12 und 18 Jahren ist vornehmlich eine Zeit der Identitätsfindung. Die Jugendlichen orientieren sich an anderen Menschen, meist Gleichaltrigen oder Idolen. Sie nehmen bestimmte Verhaltensweisen an und erproben und bewerten sie. Sie versuchen, individuell zu handeln und sich von anderen abzuheben. Ohne elterliche Kontrolle, aber mit Hilfe einer vorbereiteten pädagogischen Umgebung ist es ihnen in einer internationalen Begegnung nun möglich, vom heimischen Umfeld unabhängige Erfahrungen zu machen, in einem Kontext, der sie selbst ohne Vorwissen als Mensch aufnimmt. Sie können Situationen meistern, in denen ihnen daheim wahrscheinlich die Eltern zu Hilfe gekommen wären. Die Schüler erarbeiten zusammen mit Gleichaltrigen Bewältigungsstrategien, die sie auch im Heimatland auf neue Situationen anwenden können. Sie lernen, ihre eigene Meinung ernst zu nehmen, aber auch andere Ansichten kritisch zu hinterfragen. Dadurch bildet sich ihre Identität.
Beobachtung und Umgang mit elterlicher Autorität im Gastland und das Erleben fremdkultureller Generationenbeziehungen fördert den Prozeß [sic] der Selbstreflexion und der Analyse des eigenkulturellen sozialen Beziehungsgeflechts, in das der Schüler zwar eingebunden ist, das aber zur Neubewertung und eigenverantwortlichen Gestaltung ansteht (Thomas 1988 67).
Die Schüler sind daheim selten in fremden Familien. Vielleicht übernachten sie manchmal bei Freunden und erleben ein Stück fremder Familienkultur mit, doch das vorrangig erlebte Familienleben ist das eigene. So kennen sie bestimmte Strukturen und Verhaltensweisen, die ihre Realität konstruieren. Dieser Realität können die Schüler negativ oder positiv gegenüber stehen. Sie können es gut finden, dass es keine gemeinsamen Abendessen gibt, weil sie so von ihren Eltern „in Ruhe gelassen“ werden, oder sie können gemeinsame Abendessen vermissen, weil die Eltern sowieso wenig Zeit mit ihnen verbringen und sie sich mehr Kontakt wünschen. Kommen diese Kinder nun in eine fremde Familie, lernen sie auch neue Strukturen und Verhaltensweisen kennen, finden aber auch Gemeinsamkeiten zu ihrem Familienleben. So können sie unabhängig vom eigenen familiären Gefüge diese Strukturen bewerten und für sich entscheiden, ob sie sie annehmen oder ablehnen wollen. Auch lernen die Jugendlichen mit anderen Erwachsenen – besonders mit ihren Gasteltern – erfolgreich zu kommunizieren. Durch Anpassungs- und Konfliktbewältigungsstrategien werden sie sich in das fremde Familienleben einfügen. Dabei kann es natürlich zu Differenzen kommen. Diese müssen kommuniziert werden, so dass auch aus ihnen interkulturell gelernt werden kann.
Schulbezogenes soziales Handeln, schulische Lernbedingungen, Lernformen und Lernresultate, Berufsvorbereitung und Berufstätigkeiten sind Themen, die den altersgemäßen Entwicklungsaufgaben entsprechen und, im interkulturellen Vergleich erlebt und reflektiert, die Bildung eines eigenen Standpunkts erzwingen (Thomas 1988 67).
Kommen die Schüler durch die internationale Begegnung in Kontakt mit fremdkulturellen Bildungsinstitutionen, so können sie diese mit denen ihres Heimatlandes vergleichen. Sie können eigene Vorlieben und Abneigungen erkennen (z.B. im Hinblick auf eine Ganztagsschule oder Schuluniformen) und sich ihre eigene Meinung darüber bilden. Dies fördert wiederum die Identitätsbildung und die Entwicklung einer reifen Persönlichkeit. Schüler in dem Alter möchten auch lebensbezogene Erfahrungen machen, so dass ihnen in der Begegnung auch entsprechende Angebote unterbreitet werden müssen wie z.B. der Besuch einer Universität oder anderer Bildungseinrichtungen – immer angepasst an den Alters- und Erfahrungsstand der Schüler.
Interkulturelle Lernerfahrungen fördern das Erkennen und Überdenken eigener Einstellungen, Werte, Normen und Gewohnheiten und sie erzwingen entweder eine (neue) Identifikation oder ihre Modifikation (Thomas 1988 67).
Das Leben ist ein umfassender Lernprozess, der immer wieder eine auf Erfahrungen basierende Standortverschiebung nötig macht. Ständig kommen Menschen in Kontakt mit neuen Werten, Normen und Gewohnheiten und müssen ihre eigenen überdenken. Gerade in einer internationalen Begegnung ist der Prozentsatz an fremden Einstellungen enorm, so dass hier viele Veränderungen stattfinden. Die Schüler können dabei nach der Reflexion ihre eigenen Werte und Normen bestätigen, sie verwerfen oder anpassen und gegebenenfalls ein neues Werte- und Normensystem aufbauen.
Interkulturelle Lernerfahrungen führen über den Prozeß [sic] der sozialen Identität zum Aufbau einer kulturellen Identität, einem Bewußtsein [sic] der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur und Nation, was insbesondere durch die Erfahrung fremdsprachlicher Kommunikation gefördert wird (Thomas 1988 67).
Befinden sich Menschen ihr ganzes Leben lang in einem relativ begrenzten Lebensraum, kommen sie selten in die Situation, ihre eigenen Werte, Normen und Einstellungen zu verteidigen und sie als Konstituenten ihrer eigenen Identität anzuerkennen. Sie nehmen ihr Orientierungssystem als selbstverständlich an und reflektieren es nicht. Erst im Kontakt mit anders denkenden Gegenübern wird ihnen klar, dass es bestimmte Einstellungen zu verteidigen gilt. So könnte für den Westeuropäer die Gleichstellung von Frau und Mann verteidigungswert sein, so dass er sich besonders dafür einsetzt. Gleichzeitig identifiziert sich dieser Mensch dann mit anderen Menschen der gleichen Einstellung und formt eine kulturelle Identität. In internationalen Begegnungen werden einerseits Unterschiede erkannt, die den Schülern ihre Zugehörigkeit zu ihrer eigenen Kultur bewusst machen, andererseits werden sie aber auch Gemeinsamkeiten feststellen, die sie auch mit dem fremden Gegenüber eine gewisse Verbundenheit spüren lassen. Es gibt gemeinsame Vorstellungen, die unser Menschsein begründen und eine globale – sei es politische, wirtschaftliche oder soziale – Interaktion möglich machen. Über Sprachgrenzen hinaus werden dann Identitäten geschaffen, die wichtig für das friedliche Zusammenleben auf der Erde sind. Eine interkulturelle Begegnung mit Schülern bietet eine sehr gute Möglichkeit, schon in der Schulzeit Ängste vor dem Fremden abzubauen.
[...]
[1] Der besseren Lesbarkeit wegen beschränkt sich diese Arbeit weitgehend auf die Nennung männlicher Bezeichnungen, selbstverständlich sind Frauen immer mit eingeschlossen. Nur wenn explizit weibliche Personen gemeint sind, wird die feminine Form genutzt.
[2] so z.B. Europarat oder Huse, Brigitta. Interkulturelles Lernen: Materialien für offenen Unterrichtsformen. Braunschweig: Westermann, 2003.
[3] Brizendine, Louann. Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2007.
[4] In mehreren Teilkompetenzen überschneiden sich Sach-, Methoden-, Selbst- oder Sozialkompetenzen.
[5] vgl. Kapitel 2.2 dieser Arbeit
[6] Die Kontakthypothese wurde widerlegt (Bernhard 194).
[7] Eine gute Ergänzung wäre hier aber die Sprachlernmethode „Tandem“.
- Citation du texte
- Juliane Schicker (Auteur), 2007, Klassenfahrten und interkulturelles Lernen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85580
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