Im Rahmen des thematischen Proseminars „Peter Handke“ galt es, sich unter anderem mit dessen 1972 veröffentlichter Erzählung „Wunschloses Unglück“ zu befassen. Da sich die Erzählung im Vergleich zu Handkes vorherigen Werken (Kaspar - 1967 / Die Angst des Tormanns beim Elfmeter – 1970) durch einen für Handke neuen Schreibstil auszeichnet, erscheint es interessant, „Wunschloses Unglück“ einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Um sich der Thematik anzunähern wird zunächst, nachdem der Kontext der Erzählung hergestellt worden ist, das gescheiterte Leben seiner Mutter und deren Freitod anhand der Geschichte aufgezeigt. Die darauf folgende Titelanalyse soll den Zusammenhang zwischen dem Titel und der gescheiterten Existenz der Mutter aufzeigen. Im folgenden werden anhand von drei Passagen Handkes Schreibreflexionen in Wunschloses Unglück analysiert. Dabei gilt es durch die Erzählung zu begründen, warum es Handke ein so großes Anliegen gewesen ist, das Leben seiner Mutter literarisch festzuhalten. Ein wei-terer Aspekt wird es sein, seine eigenen Erwartungen und seine Zielsetzung der Erzählung herauszustellen, um zu beurteilen, ob es ihm gelingen konnte, die Geschichte sei-ner Mutter auf seine literarische Weise zu verarbeiten. Der abschließende zentrale Aspekt wird die Problematisierung von Handkes Schreibstil sein. Dabei soll zum einen geklärt werden, welchem Schreibstil (Formalismus oder Realismus) sich Handke in seiner Arbeit verpflichtet. Die Untersuchung seines Schreibstils soll die Arbeit thematisch abschließen. Das zu entwickelnde Erkenntnisziel soll letztenendes aufzeigen, wie der Autor seine Sprach- und Schreibproblematik während der literarischen Arbeit in seine Erzählung einbezieht und wie er versucht sie zu bewältigen.
Inhaltsverzeichnis
1. Methodische Vorüberlegung
2. Kontext
3. Textinterne Analyse
3.1. Das Leben des wunschlosen Unglücks
3.2 Titelanalyse
4. Handkes Schreibreflexionen
4.1. Schreibanlass
4.2. Handkes Zielsetzung
4.3. Handkes abschließende Reflexion
5. Problematisierung von Handkes Schreibstil
5.1. Formalismus oder Realismus? Eine Erörterung
5.2. Analyse von Handkes Schreibstil
6. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
I. Primärliteratur:
II. Sekundärliteratur:
1. Methodische Vorüberlegung
Im Rahmen des thematischen Proseminars „Peter Handke“ galt es sich unter anderem mit dessen 1972 veröffentlichten Erzählung Wunschloses Unglück zu befassen. Da sich die Erzählung, im Vergleich zu Handkes vorherigen Werken (Kaspar - 1967 / Die Angst des Tormanns beim Elfmeter – 1970) durch einen für Handke neuen Schreibstil auszeichnet, erscheint es interessant, Wunschloses Unglück einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Diese herauszuarbeitende Neuartigkeit gilt es dann auch in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen.
Um sich der Thematik anzunähern wird zunächst, nachdem der Kontext der Erzählung hergestellt worden ist, das gescheiterte Leben seiner Mutter und deren Freitod anhand der Geschichte aufgezeigt. Die darauf folgende Titelanalyse soll den Zusammenhang zwischen dem Titel und der gescheiterten Existenz der Mutter aufzeigen. Im folgenden werden anhand von drei Passagen Handkes Schreibreflexionen in Wunschloses Unglück analysiert. Dabei gilt es durch die Erzählung zu begründen, warum es Handke ein so großes Anliegen gewesen ist, das Leben seiner Mutter literarisch festzuhalten. Ein weiterer Aspekt wird es sein, seine eigenen Erwartungen und seine Zielsetzung der Erzählung herauszustellen, um zu beurteilen, ob es ihm gelingen konnte, die Geschichte seiner Mutter auf seine literarische Weise zu verarbeiten. Der abschließende zentrale Aspekt wird die Problematisierung von Handkes Schreibstil sein. Dabei soll zum einen geklärt werden, welchem Schreibstil (Formalismus oder Realismus) sich Handke in seiner Arbeit verpflichtet. Die Untersuchung seines Schreibstils soll die Arbeit thematisch abschließen. Das zu entwickelnde Erkenntnisziel soll letzten Endes aufzeigen, wie der Autor seine Sprach- und Schreibproblematik während der literarischen Arbeit in seine Erzählung einbezieht und wie er versucht sie zu bewältigen.
Der allgemeine, literarische Forschungsstand in Zusammenhang mit Peter Handkes Wunschloses Unglück ist sehr überschaubar und seine Schreibproblematik nimmt in den Arbeiten eine zentrale Stellung ein. Folglich haben sich bei der Literaturrecherche keine Probleme aufgetan. Im Laufe der wissenschaftlichen Erarbeitung der Thematik kam es jedoch zu einigen Schwierigkeiten. Obwohl die Erzählung selbst viele Ansatzpunkte zur Untersuchung bietet, schließlich analysiert Handke fortlaufend in der Erzählung seine Vorgehensweise, bereitete es einige Probleme angesprochene Aspekte voneinander zu differenzieren, um sie gesondert zu analysieren. Der Grund hiefür liegt in Handkes Erzählweise, in welcher sich Erzählung, Analyse, Kritik und Zweifel vermischen. In dieser Schwierigkeit, eine `Ordnung´ in Handkes Reflexionen zu bringen, lag jedoch auch eine große Herausforderung dieser Arbeit.
2. Kontext
Peter Handke, am 6. Dezember in Griffen (Kärnten) geboren, verbrachte seine Kindheit im Berliner Ostsektor und in Griffen. Seine sechsköpfige Familie, die sich aus drei Geschwistern, der Mutter und dem Stiefvater zusammensetzte, lebte in ärmlichen Verhältnissen und war permanent in Geldnöten. Im Gegensatz zu seinem Stiefvater verband Handke mit seiner Mutter eine sehr enge Beziehung, die sich besonders in dem regen Briefkontakt zwischen Mutter und Sohn im August/September 1961, kurz nachdem Handke sein Jurastudium aufgenommen hatte, deutlich zeigte. In den Briefen, die Auszugsweise auch in Wunschloses Unglück einfließen[1], widmen sich Mutter und Sohn hauptsächlich ihren alltäglichen Problemen, wie die allgemeine Geldnot für das Studium und für den Lebensunterhalt oder den erdrückenden Lebensverhältnissen der Mutter. Nachdem Handkes Mutter ihre ausweglos erscheinende Lebenssituation nicht mehr ertragen konnte, beging sie im Oktober 1971 Selbstmord.
Sieben Wochen nach ihrem Tod schrieb Handke die Erzählung Wunschloses Unglück, in der er versucht, die gescheiterte Existenz seiner Mutter und deren Freitod literarisch zu beschreiben, um ihn dadurch zu bewältigen. In der literaturwissenschaftlichen Diskussion sprechen viele Autoren im Zusammenhang von Wunschloses Unglück von einem Wendepunkt in Handkes literarischer Entwicklung. Zu nennen wäre da beispielsweise Günter Renner: „Die Erzählung...[lässt] sich als eine Wende im Erzählen Handkes ansehen.“[2] Er löst sich in seiner Erzählung vom rein fiktionalen Erzählen und vom Kreieren künstlicher Figuren. Sein Schreibanlass ist diesmal konkret, da er die realen gesellschaftlichen und historischen Hintergründe in Verbindung mit dem Leben seiner Mutter darstellt. Diese, so stellt er heraus, sind als Ursache für das Schicksal seiner Mutter zu sehen. Obwohl Wunschloses Unglück Handkes bis dato persönlichstes Buch darstellt, lässt sich dennoch keine vollkommene Abkehr von seinen sprachexperimentellen Stücken feststellen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Weiterentwicklung seines individuellen, literarischen Wirkens. Näheres dazu soll im weiteren Verlauf aufgezeigt werden.
3. Textinterne Analyse
3.1. Das Leben des wunschlosen Unglücks
In der Vergangenheitsperspektive beschreibt Handke in Wunschloses Unglück das Leben seiner Mutter, die in einem bäuerlich-proletarischen Milieu in Österreich aufwuchs. Prägend in ihrer Kindheit waren vor allem die von ihrem Vater indoktrinierten Konditionierungszwänge. Das bedeutet, dass ihre achtköpfige Familie ein sehr sittenstrenges Leben führte, gekennzeichnet durch Armut, Entbehrung, Sparen als oberste Priorität und wirtschaftliche Katastrophen. Hinzu kam, dass „er [der Vater][3] die eigenen Bedürfnisse unterdrückte und diese gespenstige Bedürfnislosigkeit auch seinen Kindern zutraute.“[4]
„Dieser aus Armut und Selbstkasteiung erwachsende Puritanismus (...) stellt keine moralische Tugend dar, sondern ist ein Akt der Selbstverleugnung, der zusätzlichen Untergrabung der Individualitätsmöglichkeiten des eigenen Ichs, indem dessen vitale Bedürfnisse, seine Phantasie, sein Glücksbegehren, seine Genussfähigkeit unterdrückt werden.“[5]
Trotz dieser widrigen Umstände versuchte die Mutter aus ihrem vorgezeichneten Leben auszubrechen. „Es fing damit an, daß meine Mutter plötzlich Lust zu etwas bekam: sie wollte lernen; denn beim Lernen damals als Kind hatte sie etwas von sich selber gefühlt. (...) [aber] man winkte ab, es war undenkbar.“[6] Schließlich war der ` Werdegang ´ einer Frau gesellschaftlich schon vorbestimmt:
„Keine Möglichkeit alles schon vorgesehen: kleine Schäkereien, ein Kichern, eine kurze Fassungslosigkeit, dann zum ersten Mal die fremde, gefaßte Miene, mit der man schon wieder abzuhausen begann, die ersten Kinder, ein bißchen noch Dabeisein nach dem Hantieren in der Küche, von Anfang an Überhört werden, selber immer mehr Weghören, Selbstgespräche, dann schlecht auf den Beinen, Krampfadern, nur noch ein Murmeln im Schlaf, Unterleibskrebs, und mit dem Tod ist die Vorsehnung schließlich erfüllt. So hießen ja schon die Stationen eines Kinderspiels, das in der Gegend von den Mädchen viel gespielt wurde: Müde/Matt/Krank/Schwerkrank/Tot.“[7]
Dennoch entzog sich die Mutter mit 16 Jahren den väterlichen Unterweisungen und sie ging in die Stadt um Köchin zu lernen. Dort erlebte sie zur Zeit des Nationalsozialismus ein positives Lebensgefühl, geprägt von „Gemeinschaftserlebnissen“[8] und von Stolz „als Ausdruck eines endlich erreichten Lebensgefühls“.[9] /[10] Nach dem kurzen Glück eines freien, unbekümmerten Lebens musste sich die Mutter jedoch dem gesellschaftlichen Anspruch beugen und ging eine Pflichtehe ein, damit ihr uneheliches Kind (Peter Handke) nicht vaterlos und nicht geächtet aufwachsen würde. Das Abbrechen der Lehre und die Zwangsehe mit einem Mann den sie nie liebte, diese Entwicklung nahm langsam, zusätzlich verstärkt durch die allgemeinen gesellschaftlichen und familiären Anforderungen, eine zerstörerische Tendenz in ihrem Leben ein. „Sie war also nichts geworden, konnte auch nichts mehr werden, das hatte man ihr nicht einmal voraus zusagen brauchen.“[11] Dabei war sie zu diesem Zeitpunkt erst Mitte zwanzig! Nach ihrer Rückkehr in ihren dörflich-spießigen Geburtsort erhärtete sich der Konflikt zwischen ihrem anfänglichen Drang nach Individualität bzw. persönlichen Ansprüchen und den damaligen gesellschaftlich fest verankerten Ansprüchen an eine Frau. Obwohl sie Alternativen zu der hausfraulichen und mütterlichen Lebensform kennengelernt hatte, konnte sie sich von der augenscheinlichen Zwangsjacke nicht befreien, die ihr zunächst vom Vater und später von den Ansprüchen der Nachkriegsgesellschaft aufgezwungen wurde.
Ihr Mann wurde langsam zum Trinker, sie bekam weitere Kinder, einige heimliche Abtreibungen, der Haushalt und die Familie wurden ihre Lebensaufgabe. Die Träume der Jugend waren zerplatzt. Ein stereotypisches Frauenleben in einer ländlichen Gegend wurde zu ihrem Leben. Ein Leben des wunschlosen Unglücks. Die ihr vollkommen fremden Ansprüche kennzeichneten ihre soziale Konditionierung. Sie verdrängte ihre Ängste, entwickelte Ängstlichkeiten gegenüber Menschen und Dingen und es erwuchs ein Schamgefühl gegenüber ihres eigenen Körpers und ihrer Sexualität. „Aus Hilflosigkeit nahm sie Haltung an und wurde sich dabei selbst über. Sie wurde verletzlich und versteckte das mit ängstlicher, überanstrengter Würde (...).Sie war ganz leicht zu erniedrigen.“[12] Durch psychische Zwänge und zunehmender Kontaktunfähigkeit kam die Bewegungsfreiheit des Ichs im Alter vollkommen zum Stillstand. Das Leben der Mutter brachte keine Entwicklung mehr hervor. Es war vielmehr eine Abkehr von ihrer Selbstwahrnehmung und ihrer individuellen Identität. Die zaghaften Ausbruchsversuche der Jugend der Mutter sind vollständig negiert worden. Schwere Depressionen besiegelten das Scheitern der Mutter in der Gesellschaft, hervorgerufen durch die gesellschaftlichen Umstände. Die letzte Konsequenz dieses trostlosen Lebens fand ihren tragischen Höhepunkt in dem Selbstmord der Mutter. Obwohl ihr Leben scheitern musste, findet sie durch ihren frei gewählten Tod einen Weg Protest gegen das ihr aufgezwungene Leben zu Tage zu bringen. Schließlich hat die Gesellschaft ihr den Tod nicht vorschreiben oder nehmen können.
[...]
[1] Vgl. Peter Handke: Wunschloses Unglück. Salzburg 1972, S.86/87 – im Folgenden: WU, S. ...
[2] Rolf Günter Renner: Peter Handke. Stuttgart 1985, S. 84 – im Folgenden: Renner, S. ...
[3] Anmerkung des Autors
[4] WU, S. 15
[5] Manfred Durzak: Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur: Narziss auf Abwegen. Stuttgart 1982, S. 119 – im Folgenden: Durzak, S. ...
[6] WU, S.20
[7] WU, S. 17
[8] WU, S. 23
[9] WU, S. 24
[10] Anmerkung: Handke beschönigt nicht den Nationalsozialismus, sondern stellt eine zeitgenössische Sichtweise der Annexion Österreichs (10.04.1938) dar.
[11] WU, S.36
[12] WU, S.37
- Arbeit zitieren
- Carina Malcherek (Autor:in), 2004, Die Schreibproblematik des Autors in Peter Handkes „Wunschloses Unglück”, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85523
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