Das Buch „Angst in der Eidgenossenschaft“ ist ein Beitrag zur historischen Angstforschung und bietet einen Überblick über das Angstverständnis der Neuzeit (1300-1800). Zwei Hauptthemen stehen im Mittelpunkt der Arbeit: einerseits die natürliche Funktion der Angst (Lebenserhaltung und Fortpflanzung) und andererseits die kulturellen Ängste, die durch den Menschen und seine Institutionen geschaffen werden (u.a. Religion, Politik, Recht). Im ersten Teil der Arbeit werden individuelle und kollektive Angstauslöser sowie Taktiken zur Angstbewältigung aufgezeigt. Das zweite Kapitel widmet sich der mündlichen und schriftlichen Überlieferung der Angsterfahrungen über die Generationen hinweg (Kollektivgedächtnis). Im dritten Teil steht die während der Neuzeit und insbesondere durch die Juristen und Mediziner injizierte Neubewertung der Angst als eine Krankheit im Mittelpunkt. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sich das heutige Angstverständnis von demjenigen der Neuzeit unterscheidet – oder auch nicht. Dazu werden die Ergebnisse der Arbeit mit dem heutigen Gesundheitszustand der schweizerischen Bevölkerung verglichen.
INHALTSVERZEICHNIS
EINFÜHRUNG
Forschungslage und Begriffserklärung
Quellen und Aufbau der Arbeit
1. Die Definition der sozialpolitischen Angst
1.1. Das Weltbild: christliche Vorstellungswelten
1.1.1. Weltende und Sünde
1.1.2. Teufel- und Hexenglauben
1.2. Das Menschenbild: soziale Abgrenzungsmerkmale
1.2.1. Zugehörigkeitszeichen: äusserliche Merkmale und Kleidung
1.2.2. Körpermerkmale und Verhaltensweisen des Bösen
1.2.3. Heldentum und die Angst vor Angstverdacht
1.2.4. Mutlosigkeit und Armut
1.3. Gemeinschaften: individuelle und kollektive Angstvorstellungen
1.3.1. Die Klostergemeinschaft und die Angst der Mönche
1.3.2. Die Lebensgemeinschaft und die Ängste des weltlichen Mannes
1.3.2.1. Liebe und Ehe
1.3.2.2. Unkeuschheit und Kuckuckskind
1.3.2.3. Nachkommenschaft und erbberechtigte Söhne
1.3.2.4. Fremde und Mitmenschen
2. Die Rezeption der sozialpolitischen Angst
2.1. Die Kommunikation
2.1.1. Mündliche Überlieferung der Angst
2.1.2. Angstverbreitung durch Klerus und Obrigkeit
2.1.3. Die Hexen, die jedermann doch nur mit der eigenen Zunge geschaffen hat
2.2. Die Angsträume
2.2.1. Das Haus: Schutzlosigkeit und Enge
2.2.2. Die Stadt: Überbevölkerung, Lebenserwartung und Fortpflanzung
2.3. Individuelle und kollektive Reaktionsmechanismen
2.3.1. Das Misstrauen des geistlichen und weltlichen Mannes
2.3.2. Exkurs: Beispiel Kollektivängste
2.3.2.1. Hungersnöte
2.3.2.2. Pest
2.3.2.3. Krieg
2.3.3. Reaktionen auf Raumabgrenzung und Engeerfahrung
2.3.3.1. Städtische Abwehrreaktionen
2.3.3.2. Verursacher der Angstwellen und Angst-Aggressions-Antagonismus
3. Die Einflüsse auf das kollektive Gedächtnis
3.1. Politische Vorstellungswelten und die Angst als Instrument der Ordnungserhaltung
3.1.1. Vereinigung von Haus- und Regierungsmacht
3.1.2. Regierungsführung und Strafandrohung
3.1.3. Erste demokratische Strukturen und Gruppenabgrenzung
3.2. Kirchliche Vorstellungen der Krankenheilung und ihre Auswirkungen auf moderne Denkmuster
3.2.1. Abgrenzung von der „Krankheit“ Aberglauben
3.2.2. Rationalität und Neubeurteilung der Angst
3.2.3. Krankenheilung und Kollektivausschluss
3.2.4. Melancholie und Isolation
4. Zusammenfassung und Vergleich (Neuzeit und Gegenwart)
4.1. Welt- und Menschenbild
4.1.1. Abgrenzung und Mitmenschen
4.1.2. Angstverdacht und Mittel der Angstabwehr
4.2. Angstverbreitung und Bildung
4.3. Enge und Lebenserwartung
LITERATURVERZEICHNIS
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Internetdokumente
Nachschlagewerke
EINFÜHRUNG
Die Zähmung des Feuers war vermutlich die erste Handlung des Menschen als Kulturwesen und gleichzeitig eine erstmalige Kampfansage an die Angst, die es dafür zu überwinden galt. In der antik-griechischen Mythologie war es Prometheus, der einen Stängel an Zeus` Sonnenwagen entzündete und der Menschheit das Feuer brachte. Der Göttervater, der den Menschen diese letzte Gabe, die es zu seiner vollendeten Gesittung bedurfte, verweigern wollte, rächte den Diebstahl in der Gestalt der Pandora, die den Erdenbewohnern die Krankheit, den schnellen Tod sowie ein Leben ohne Hoffnung brachte. Eine ähnliche Metapher findet sich in der neuzeitlichen Literatur wieder: „So wie das Scheit ohne Feuer nicht brennen kann, so kann der Edelmann ohne Heldentaten weder zu vollkommenen Ehre noch zu weltlichem Ruhm gelangen“[1] (Froissart). Mit diesen Worten pries der bedrohte Adel seinerseits die ritterliche Tapferkeit, um sich vom Bürgertum abzugrenzen.
In der antiken Philosophie wurde die Angst bzw. Furcht als Emotion negativ bewertet resp. als „pathos“ (Affekt) prinzipiell abgelehnt.[2] Erstmals in einem sittlichen Zusammenhang deutete der griechische Denker Platon (347 v. Chr. †) die Furcht und verlangte, dass man sich ihrer mittels Tapferkeit zu erwähren hätte. Der römische Philosoph Seneca (65 †) definierte sie seinerseits als eine Krankheit der Seele. Während der Spätantike kam erstmalig eine „seltsame“ Grundstimmung auf, die als Weltangst (Gnosis und frühes Christentum) bezeichnet wird.[3] Dabei handelte es sich um eine universalisierte Vorstellung der Angsterfahrung, nach welcher die Welt einen vom Göttlichen abgefallenen Ort darstellt, der vom Dämonischen, Dunklen und Feindlichen regiert wird, womit alleine der Gedanke an das „in der Welt Sein“ die Angst bewirke.[4] Am Ende der Antike wandelte sie sich zur Grundanschauung des Christentums und sollte mittels der christlichen Lehre bzw. dem Glauben aufgehoben werden.
Die christliche Lehre verlangte, dass der Christ auf die Angst resp. die „Bedrohung“ des Bösen mit Demut und passiver Hinnahme reagiere. Der Kirchenvater Augustinus (430 †), der alle Angst des Menschen aus der Liebe ableitete, die befürchtet, ein geliebtes Gut zu verlieren oder nicht erhalten zu können, konstruierte zwei verschiedene Stufen der Furcht: einerseits die timor servilis (eine Form der Gottesfurcht, wie sie Sklaven vor ihrem Herrn haben) und andererseits die timor castus (die Furcht eines Gerechten, wie sie ein Sohn vor dem Vater hat). In der christlichen Tradition stellte die Angst, der seit dem 4. Jh. mittels Angriffsverhalten (Kampf gegen das Böse) begegnet wurde, das Gegenteil zur Hoffnung und somit Teufelswerk dar.[5] Im 11./12. Jh. wurde das Angstthema zwar mehrheitlich durch die Gelehrten zu unterdrücken versucht, doch nahm das Gefühl von allgegenwärtigen bösen Geistern Ende des 12. Jh. zu. Gleichzeitig erfuhr die Darstellung des Angstgefühls in den künstlerischen Dämonenbildern sowie den schriftlichen Zeugnissen eine Zunahme. Im 13.-16. Jh. wurde die Macht des Bösen als akute Gefahr betrachtet und fand als Verursacher jeglicher geistiger sowie körperlicher Anfechtungen Eingang in die erfahrbare Welt. Augustinus` geistiger Nachfolger Thomas von Aquin (1274 †) leitete schliesslich im 13. Jh. die Zaubereiverfolgung (gerichtliche Ahndung) ein, der sich im 15. Jh. der Hexenwahn anschloss, womit erneut die Hinwendung zu einem aggressiven Kampfverhalten gegen das Böse deutlich wird.
Die Angst entsteht in der Konfrontation des Menschen mit dem Unbekannten bzw. Ungewissen und ist eine zukunftsgerichtete Empfindung.[6] Die Angst bzw. Furcht war und ist zwar für das menschliche Überleben notwendig und damit in gewissen Situationen erwünscht, aber innerhalb eines Kulturkreises und je nach gerade regierendem Welt- und Menschenbild kann ihre Wirkung unerwünscht sein oder als lebensbeherrschend empfunden werden. Ihre Auslöser verändern sich stets im Verlaufe der Geschichte, doch beeinflusst jede ihrer Formen auch das politische Handeln.[7] Ihre natürliche Funktion dient der Lebenserhaltung; ihre kulturelle indes besitzt gleichzeitig eine politisch instrumentalisierte Funktion zur Kollektiverhaltung bzw. Kulturerlangung.[8] Es sind somit die sozialen sowie kulturellen Normen, die das Angstverständnis einer Gesellschaft bestimmen und vorschreiben, was als akzeptabel bzw. als furchteinflössend betrachtet werden darf.[9] Dass die Angst negativ bewertet wird, ist fast eine universell-kulturelle Selbstverständlichkeit, da der Mensch dieses „dunkel-chaotische Gefühl“, das ihn zu beherrschen und zu zerstören droht, von tiefstem Herzen fürchtet.[10] Die schrecklichste Angst des Kulturmenschen ist daher die Angst vor der Angst, kann der Zustand in allen seinen Facetten von den Mitmenschen abgelesen werden.[11]
Mit der mentalitätsgeschichtlichen Umwälzung, die während des hohen Mittelalters begann und sich durch die Neuzeit hindurch vollzog, ging gleichzeitig ein Wandel der Ängste einher.[12] Die Bevölkerungszunahme und -Umstrukturierung (Bildung neuer Schichten, Ablösung der Grossfamilie durch die Kleinfamilie etc.) sowie die Entstehung einer neuen Lebensform (Stadtkultur) prägten diese Epoche entscheidend. Im Verlaufe der Neuzeit wurde die Angst immer mehr zu kultivieren versucht, d.h. man glaubte, den Mensch mittels der Bildung zur Furchtlosigkeit erziehen zu müssen und zu können. Tatsächlich handelte es sich dabei um den Versuch, gleichzeitig Gottesfürchtigkeit zu demonstrieren und der Angst vor dem Angstverdacht entgegenzuwirken, denn auch die Aufklärer deuteten die Furcht in einem sittlichen Zusammenhang und verlangten, dass man sich ihrer durch die Tugend der Tapferkeit zu erwehren hätte.[13] Erst als im 19. Jh. das rational-aufgeklärte Weltbild ins Wanken geriet, gelangten die Philosophen zu der Auffassung, dass der Mensch trotz aller Bemühungen zur tugendhaften Tapferkeit seine Angst nicht bewältigen könne und grundsätzlich nicht gefeit sei vor irrationalen und unberechenbaren Angsteinwirkungen. Das Menschen- und Weltbild veränderte sich erneut von Grund auf. Nach dem Versagen der platonischen „Verhaltenstherapie“ wandten sich die Gelehrten, wie bereits zu Beginn der Aufklärung, dem römischen Konzept zu und erklärten die Angst erneut bzw. fortan zur Krankheit.
Innerhalb von 3-5 Generationen bildet sich eine Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft aus. Der Wortschatz der Angst ist insbesondere aus der Erfahrung abgeleitet.[14] Das Angstverständnis wiederum wird mittels Gelerntem und Angelesenem in der Erinnerung manifestiert sowie an die nächste Generation weitergegeben.
Für die menschliche Kultur spielen u.a. die Erinnerung und das Gedächtnis eine äusserst wichtige Rolle, um die gemeinsame Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Die Erinnerung ist ein Prozess der Rückholung oder Rekonstruktion individueller Erfahrungen bzw. Erlebnisse (episodisches Gedächtnis) sowie ein Produkt von Angelesenem und Gelerntem (semantisches Gedächtnis). Sie kann nur mittels der Kommunikation, d.h. im Austausch mit Mitmenschen aufgebaut und verfestigt werden. Das Generationengedächtnis vereint sowohl individuelle als auch kollektive Erinnerungen und findet eine Steigerung im Kollektivgedächtnis.[15] Das Gedächtnis ist ein Kollektivbegriff für angesammelte Erinnerungen.[16] Die persönliche Erinnerung wird nicht vom eigenen, primären Erleben bestimmt, sondern ist Teil grösserer Zusammenhänge und damit Teil des kollektiven Gedächtnisses.[17] Dieses wiederum stellt insbesondere ein politisches bzw. ein politisch instrumentalisiertes Gedächtnis dar, das entweder von einer Unrecht- oder einer Opfererfahrung geprägt ist und in der Öffentlichkeit u.a. durch Institutionen, Denkmäler oder Gedenkstätten versinnbildlicht wird.[18] Sowohl das kollektive als auch das kulturelle Gedächtnis transportieren Erfahrungen und Wissen über Generationen hinweg und bilden damit ein soziales Langzeitgedächtnis aus. Ein kulturelles Gedächtnis kann sich aber nur durch Institutionen und Kommunikation (Medien) entwickeln und braucht die Bildung zur Erhaltung. Die heutige Forschung geht davon aus, dass eine in der Gesellschaft herrschende Angst sowohl geistige (Bildung) als auch institutionelle Mängel signalisiere.[19]
Forschungslage und Begriffserklärung
Die zwei wichtigsten Impulse zur Erforschung der Angst, welche die Wissenschaften noch heute wesentlich bestimmen, gingen von der (Existenz-) Philosophie des 19./20. Jh. und der modernen Tiefenpsychologie (Psychoanalyse) von S. Freud aus.[20] Besonders die drei psychologischen Richtungen der Psychoanalyse, Reiz-Reaktions-Psychologie (Lerntheorie) und kognitiven Psychologie haben sich um eine theoretische Analyse der Angst bemüht.[21] Die einzige Gemeinsamkeit dieser drei theoretischen Systeme ist die Tatsache, „daß es sich bei der Angst um einen als hochgradig unangenehm erlebten Erregungsanstieg angesichts der Wahrnehmung bestimmter Gefahrenmomente handeln soll“.[22] Der weit wichtigere Impuls ging von der Philosophie des 19. Jahrhunderts aus. Diese rückte die Weltangst in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, da das rational-aufgeklärte Weltbild zu diesem Zeitpunkt ins Wanken geriet und das durch Fortschritt gefestigte Sicherheitsgefühl in sich zusammenbrach. Die führende Forschungsmeinung ging davon aus, dass diese „seltsame Gemütsstimmung“ eine Folge sozialer und politischer Probleme war, die im Zusammenhang mit der Industrialisierung zu sehen sind (W. Schulz).[23]
In vielen Wissenschaftsbereichen wird immer wieder auf die Angsttheorien der Soziologie zurückgegriffen. Innerhalb der soziologischen Deutung hat die Angst bzw. Furcht einerseits eine (Gruppen-) Funktion.[24] Sie wird direkt oder indirekt durch andere Menschen hervorgerufen, da diese Zwänge aufeinander ausüben, und jeder Zwang sich wiederum bei dem unter Zwang Gesetzten in Angst umsetzt.[25] Ihre Bedeutung zeigt sich insbesondere in ihrer Instrumentalisierung als Sanktionsmittel, um andere Mitmenschen zur Anpassung zu zwingen, d.h. um die Menschen dazu zu bringen, die gesellschaftlich erwünschten Verhaltensweisen und Normen anzunehmen bzw. zu verinnerlichen.[26] Mit der Abnahme von unmittelbaren, äusseren Ängsten nahmen die Vermittelten oder Verinnerlichten proportional zu und zeigten sich im Gegensatz zu den Äusseren als vielseitiger und andauernder.[27] Die Spannung zwischen Mensch und Mensch wandelte sich somit zur Spannung im Inneren des Menschen. N. Elias sah diese Veränderung im Prozess der Zivilisationsbildung begründet.[28] Andererseits stellt die Angst, die einem konstitutiven Zwang gleichkommt, eine Störung der Gruppenidentität dar, wobei die Zwangsausübung selbst zu einer Zerstörung aber auch zu einem Neuaufbau dieser beiträgt.[29]
Die Ansätze zu einer historischen Bearbeitung des Angstthemas weisen grundsätzlich eine unterschiedliche Herangehensweise und Theorienwahl bzw. Vermischung von u.a. philosophischen, psychologischen und soziologischen Thesen auf. Die Mentalitätsgeschichte versucht Empfindungen, die verbreitet auftraten, als zeittypisch zu beurteilen.[30] Entsprechend der Theorie von N. Elias betont auch sie eine Zunahme der innerlichen Angst seit dem Spätmittelalter, die mit der Abnahme der Gefahren von aussen im gleichen Verhältnis mit der Sicherheitszunahme einherging. Des weiteren deutet sie die Angstwellen (Ketzer-, Juden- und Hexenverfolgung) gleichfalls als Folge des zivilisatorischen Fortschritts. Die Kultur- und Geistesgeschichte sieht im Allgemeinen die sozialpolitische Angst nicht überwiegend durch den Mitmenschen (Feind) ausgelöst, sondern vielmehr durch eine unbestimmte bzw. überpersönliche Situation, d.h. durch ein Lebensgefühl oder eine Weltanschauung, die von den Gruppenangehörigen gemeinsam getragen und verwirklicht wird.[31] In ihren Untersuchungen stehen die irrationalen, weltanschaulich-religiös bedeutsamen Ängste im Vordergrund (bes. Ideologien), womit ihre Ansätze vielmehr in der philosophischen Deutung zu suchen sind.
Die Mentalitätsgeschichte bezeichnet die Aufteilung des Angstverständnisses in zwei Bereiche (Kollektivängste des Volkes und theologische Ängste) als einen Ausdruck der frühneuzeitlichen Spaltung der Kultur in eine Volks- und eine Elitenkultur.[32] Diese Forschermeinung vertrat bereits der Historiker Jean Delumeau in seiner Arbeit Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts.[33] Er selbst folgte in seiner Untersuchung u.a. den Ergebnissen des Sozialhistorikers Georges Lefebvre, dessen Werk die Große Furcht von 1789 leider bis heute wenig Beachtung fand. Obwohl bereits älteren Datums, stellen diese beiden Analysen in Bezug auf eine historische Verarbeitung des Angstthemas noch heute die bedeutendsten Arbeiten dar. Einen sehr grossen Beitrag zur historischen Bearbeitung dieses Themas lieferten aber auch die Sprachwissenschaft und Philologie. Besonders Mario Wandruszka, der die europäischen Kultursprachen nach dem „Phänomen“ der Angst untersuchte, stellte mit seinem Werk Angst und Mut nicht nur dem Historiker einen ungeheuer Quellenschatz zum Angstthema, sondern der gesamten Wissenschaft ein interdisziplinäres Forschungswerk zur Verfügung.
Der Wortschatz der Angst ist sowohl aus körperlichen Erscheinungsformen (u.a. Zittern, Beben) als auch besonderen Angsterfahrungen (u.a. Waffenruf) abgeleitet.[34] „Wir dürfen wohl fast dessen gewiß sein – soweit überhaupt Gewißheit je errungen werden kann –, daß alles menschliche (vielleicht gar animalische) Leben in seiner körperlich-seelischen Unversehrtheit grundsätzlich bedroht, gefährdet ist und daß somit Angst, Furcht, Besorgnis zu den immerwährend-unvermeidlichen Begleiterscheinungen und Triebkräften des Daseins gehören“.[35] Nebst der Frage nach der Identität der Angst sowie ihrer Verhaltensbedeutung gehört besonders diejenige nach der exakten Definierbarkeit zum grössten Problem der Angstforschung überhaupt.[36] In der Philosophie und Theologie sowie zum grössten Teil auch in der Psychologie, wird seit Kierkegaard zwischen Angst (kein bestimmtes Objekt) und Furcht (bestimmtes Objekt) sowie zwischen Realangst (objektive äussere Begebenheit) und Binnenangst (subjektiv bedrohlich erfahrene Instanz) unterschieden.[37] In vielen wissenschaftlichen Arbeiten wurde diese Differenzierung zwar übernommen, sie blieb aber bis heute umstritten.[38] Tatsächlich ist sich die Forschung insgesamt nur darin einig, dass der Begriff der Angst weder in der Forschungsliteratur noch im alltäglichen Sprachgebrauch eine einheitliche Verwendung findet, womit auch eine exakte Unterscheidung zwischen Angst und Furcht unmöglich erscheint. In der Literatur sowie in der alltäglichen Umgangssprache ist „die Angst das durch die Furcht hervorgerufene Beklemmungsgefühl“.[39] Seit Martin Luthers Definition, die von den Grimmbrüdern übernommen wurde, bis hin zu Freud und Kierkegaard besteht jedoch eine völlige Einstimmigkeit in der Bedeutung des Wortes „Angst“ selbst, das die „Enge“ benennt.[40] Es ist ein Lehnwort und geht auf das althochdeutsche „angust“ zurück, das sich wiederum auf das lateinische „angustia(e)“ (Enge, Beengung, Bedrängnis) zurückverfolgen lässt.[41] Während des Mittelalters benutzte man öfters das Hauptwort „Angest“ (Bedrängnis) sowie das Adjektiv „angestlich“ (gefahrumringt, gefahrvoll). Die Unterscheidung der Philosophen zwischen Angst und Furcht ist offensichtlich insbesondere durch Luthers Definitionen begründet. Den Begriff der Furcht benutzte er in Verbindung mit der Gefahr und der Pflichterfühlung vor/gegenüber einem höheren Wesen (Teufel, Gott), der Obrigkeit sowie den Mitmenschen.[42]
Quellen und Aufbau der Arbeit
Das Gefühl der Angst historisch untersuchen zu wollen, zeigt sich als äusserst gewagtes Unternehmen, denn nicht nur die Angst bzw. Furcht besitzt ein sprachliches Doppelgesicht (sich vor/um etwas fürchten), sondern auch die aus ihr entstandenen religiösen bzw. politischen Institutionen zeigen einen Doppelcharakter auf, da sie zwar als Mittel der Angstbewältigung auftreten sollten, aber gleichzeitig als Angstquellen fungieren.[43] In der Schrifttradition stellt die Erwähnung dieses Gefühls sowohl einen Erfahrungswert als auch die Auffassung des zu einer bestimmten Zeit herrschenden sozialkulturellen Angstverständnisses dar.[44] Damit sich die hier vorliegende Analyse nicht als eine rein subjektive Interpretation gestaltet, wurde in den Quellen nach wörtlichen Erwähnungen von Angstgefühlen resp. des Wortes Angst/Furcht sowie nach dessen Bezug gesucht. Um genügend Material für die Arbeit zusammenzubekommen, war nicht nur eine vielfältige Auswahl an lebensnaher Literatur von Nöten, sondern auch ein breiter Zeitrahmen. Für die Untersuchung wurden fast ausschliesslich deutschsprachige bzw. „schweizerische“ Texte verwendet, die innerhalb eines Zeitraums von ungefähr fünfhundert Jahren (1300-1800) verfasst wurden. An wenigen Stellen wurden auch europäische Schriftdarstellungen herangezogen, um gewisse Verbindungen möglichst genau aufzuzeigen.
An dieser Stelle soll kurz auf die Ergiebigkeit der benutzten Quellen eingegangen werden. Die Chroniken besonders des 14./15. Jhs. offenbaren ein grosses Interesse an der gemeinschaftlichen Vergangenheit und damit an der Kulturentwicklung bzw. -erlangung.[45] Ihre Schreiber versuchten zumeist das herrschende kollektive Selbstverständnis aufzuzeigen und schrieben ihre Texte unter der Berücksichtigung der Publikumserwartung. Interessanterweise bzw. verständlicherweise fand besonders in den für diese Arbeit herangezogenen Chroniken die Angst bzw. Furcht kaum (wenn überhaupt) Erwähnung. Einzig in J. Salats umfassender Darstellung der Reformationszeit aus katholischer Sicht (Glaubenskriege) fand die Angst auf beinahe jeder geschriebenen Seite eine wiederholende Benennung. Auch der Dichter gibt stets das Denkmuster seiner Zeit wieder.[46] In den bürgerlichen Fastnachtsspielen des 16. Jhs. (u.a. Z. Bletz, J. Salat) und teilweise in den zeitkritischen Komödien (u.a. T. Stimmer) sowie der erzählenden Literatur des 14. - 19. Jhs. (u.a. H. Wittenwiler, J. Gotthelf) wird zumeist ein irreales Bild des Bauern gezeichnet, das vielmehr die Schwächen (und Angst) des Städters aufzeigt und damit um so aussagekräftiger ist.[47] Der Künstler und Staatsmann Niklaus Manuel seinerseits zeichnete wortwörtlich mit seinem Bilderzyklus und den dazu verfassten Totentanzverse (1516-1519) ein zeitgenössisches Angstbild der verschiedenen Gemeinschaftsgruppen. Die ergiebigsten Quellen zum Angstthema stellen die für die Kultur- und Sozialgeschichte bedeutenden Lebensgeschichten und „autobiographischen“ Aufzeichnungen des 14. - 18. Jhs. dar. Vertreten werden diese u.a. durch die erste Schriftstellerin der Limmatstadt Elsbeth Stagel, dem Schultheiss Ludwig Diesbach oder Thomas Platter und seinem Sohn Felix.[48] Mit der Lebensdarstellung von Ulrich Bräker, der ein Beispiel dafür ist, dass nicht alle armen Leute der Neuzeit ungebildete und grobe Zeitgenossen waren, fand auch der kleine Mann eine Stimme. Die Hexenprozesse der Schweiz wiederum sind leider sehr schlecht erforscht und meist älteren Datums.[49] Nichtsdestotrotz stellten sie für diese Arbeit einen grossen Wert dar, da die Geständnisse einerseits in der Sekundärliteratur oftmals im genauen Wortlaut wiedergegeben wurden und damit einer edierten Quellensammlung nahe kommen und andererseits, weil sie schriftliche Beschreibungen der Kollektivängste par excellence darstellen.
Die sozialpolitische Angst wird als eine Angst definiert, die durch eine Welt- und Lebensanschauung sowie den Mitmenschen (Feind) ausgelöst wird. Für eine Analyse des Angstverständnisses ist folglich die Untersuchung des Welt- und Menschenbilds der Neuzeit entscheidend. Der Wandel der Angst zeigt sich auf dreierlei Arten: erstens in der Angst, seinen Platz in der Weltordnung nicht einnehmen zu können, zweitens, bei den Mitmenschen seine Ziele nicht durchsetzen zu können sowie deren Achtung nicht zu erhalten, und drittens, vor der Einengung oder Vernichtung des Raums, in dem das Vertrauen herrscht.[50] Dementsprechend lauten die forschungsleitenden Themen dieser Arbeit: nach welchen Kriterien wurde entschieden, welcher Platz ein jeder in der Weltordnung einzunehmen hatte und wie gestaltete sich dieser; wer konnte durch welche Position Angst bei seinen Mitmenschen erzeugen und wer hatte sich dieser zu unterwerfen; welche Einflüsse führten zu einer Enge oder Zerstörung der Räume und was waren die Folgen.
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Kapitel wird das neuzeitliche Welt- und Menschenbild aufgezeigt, um die sozialpolitische Angst dieser Zeit zu definieren. Es soll eine Ausgangslage geschaffen werden, die aufzeigt, wie sich die verschiedenen Gruppengemeinschaften zusammensetzten, welche Abgrenzungskriterien sie beherrschten und welches sozialkulturelle Angstverständnis sie prägte. Sowohl individuelle und insbesondere männliche als auch kollektive Angstvorstellungen sollen analysiert werden, da sich beide in Bezug auf das Angstthema stets ergänzen resp. eine Einheit bilden. Die Rezeption der sozialpolitischen Angst, d.h. die gedankliche oder erlesene Aufnahme und Einverleibung der Angsterfahrung mittels der Kommunikation sowie das körperliche Empfinden resp. Erfahren der Enge durch die häusliche und städtische Raumabgrenzung stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Einerseits soll die Verbreitungsart und Überlieferung der Angsterfahrung geklärt sowie die Umstände untersucht werden, die zu den kollektiven Angstwellen resp. Hexenverfolgungen der Neuzeit beitrugen. Andererseits werden die Bedeutungen der Angsträume Haus und Stadt erläutert, die zwar ein Symbol für Sicherheit und Schutz darstellen, aber auch unmittelbare Gefahren wie u.a. die Einengung in sich bergen. Dazu wird u.a. die Wynne-Edwards-These herangezogen, die besagt, dass bei einer zunehmenden Enge sowohl die Lebenserwartung als auch die Fortpflanzungsfähigkeit erheblich sinken.[51] Am Beispiel des häuslichen und besonders des städtischen Raums, der während der Neuzeit erstmalig mit dem Problem der Überbevölkerung konfrontiert wurde, soll diese Theorie überprüft werden. Da natürlich auch die Reaktionen resp. Auswirkungen auf die Angsterfahrung von Interesse sind, werden diese anhand der für den Menschen typischen Abwehrmechanismen sowie der Kollektivängste näher beleuchtet. Aus Platzmangel wird nur auf drei bedeutende kollektive Ängste, d.h. auf die Hungersnöte, die Pest und den Krieg eingegangen. Das Kollektivgedächtnis stellt ein politisch instrumentalisiertes Gedächtnis dar, das stets auch sozialkulturelle Anschauungen längst vergangener Zeiten mit einbezieht. Im dritten Kapitel wird auf die m.E. wichtigsten Einflüsse auf das kollektive Gedächtnis eingegangen, auf die das heutige Angstverständnis in der Gesellschaft sowie ihr Umgang mit „Geängstigten“ zurück zu führen ist. Einerseits wird die Verschmelzung von innerfamiliären und politischen Angstanschauungen und ihre Bewältigung sowie die Umwälzung der verschiedenen Schichten (Bildung neuer Tätigkeitsbereiche) thematisiert. Andererseits wird die Krankenbeurteilung (Berufsunfähigkeit), die auf christlichen Vorstellungen basierte aber zu dieser Zeit durch die Auffassung der Medizinwissenschaft abgelöst wurde, näher beleuchtet, da (religiös-) politische und wirtschaftliche Aspekte heutzutage oftmals eine Einheit bilden bzw. aufeinander einwirken. Als besonderes Beispiel wird die Melancholieauffassung (Depression) erläutert, da das Angstthema in der westlichen Welt heutzutage grösstenteils durch sie beherrscht wird. Das kollektive Gedächtnis fasst die Geschichtsereignisse aus einer einzigen Perspektive auf, die keine Mehrdeutigkeit zulässt, wodurch der Zeitspanne, die zwischen den gerade betrachtenden Geschehnissen liegt, keinerlei Bedeutung zugemessen wird.[52] Es beharrt darauf, dass Vergangenheit und Gegenwart als ein und dasselbe zu betrachten sind. Die Angst wird heutzutage fast ausschliesslich anhand einer Beurteilung des Gesundheitszustandes einer Bevölkerung thematisiert. Im vierten und letzten Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit den heutigen Gegebenheiten in Bezug auf die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung verglichen und es wird überprüft, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen neuzeitlicher und gegenwärtiger Angstauffassung besteht.[53]
Angst in der Eidgenossenschaft
1. Die Definition der sozialpolitischen Angst
Die (kollektive) Angst, die durch eine Weltanschauung sowie den Mitmenschen ausgelöst wird, wird als „sozialpolitische“ Angst bezeichnet. Dieser Definition entsprechend wird in diesem ersten Kapitel auf das Welt- bzw. Menschenbild sowie auf das individuelle und kollektive Angstverständnis der Neuzeit eingegangen.
1.1. Das Weltbild: christliche Vorstellungswelten
Das Christentum bzw. der Katholizismus basiert auf der Überzeugung, dass die Angst entstehe, da es einen Gott gibt, der seinen Zorn gegen die ungläubige Menschheit wendet.[54] Die Institution Kirche bezog nicht nur ihre Macht und ihre Bedeutung aus einem unerschöpflichen Angebot von Ängsten, sondern verdankt diesen auch ihre Entstehung, da sie dem Menschen die Ursachen (u.a. Heiden, Juden und Frauen) für das Leid auf Erden vor Augen führte.[55] Sowohl die öffentliche als auch private Religiosität des Katholizismus war von Angstvorstellungen und aus Ängsten geborenen Symbolhandlungen durchsetzt. Viele alltägliche Formen der Frömmigkeitsbezeugung (z.B. Heiligenverehrung) dürfen unter dem Aspekt des Angstabbaus betrachtet werden. Von besonderer Bedeutung waren präventive Massnahmen, um das Unheil der Zukunft abzuwenden (u.a. Almosen und Gaben, Gebete und Beichte, Askese und Busse). Die Reformation, die weniger das Bild des zornigen als des gnädigen Gottes verbreitete, änderte nichts an den Vorstellungen der Angstursprünge, sondern erschuf vielmehr weitere Angstauslöser bzw. wandelte Alte in Neue um.
Nach heutigem Verständnis stellen die religiösen Anschauungen und Ängste der Neuzeit Phantasien dar.[56] Es ist die Ungewissheit über das zukünftige Geschehen, das Phantasien heraufbeschwört. Ist der Mensch stark daran interessiert zu erfahren, was die Zukunft bringt, so versucht er sie mittels seiner Gedanken vorwegzunehmen. Je ungewisser dabei die Zukunft ist, umso mehr lässt er seinen Phantasien dabei freien Lauf. Um einer unsicheren Situation entgegenzuwirken und seine Angstgefühle zu beschwichtigen, versucht er dem gedanklich vorweggenommenen und damit erwartenden Ereignis vorzubeugen, indem er präventive Massnahmen ergreift, die Einfluss auf die Zukunft nehmen sollen.[57] Die Phantasien stellen eine besondere Form der Angstverleugnung dar.[58] Ihre Auswirkungen zeigten sich besonders schwerwiegend in Bezug auf die von den Mönchen propagierte Vorstellungswelt, die zumeist in den Studierzimmern der Kleriker bzw. in der Isolation und Distanz zum realen Leben entworfen wurde. Vermutlich ist die übertriebene Ängstlichkeit der Mönche mit der Nicht-Erfahrung zu erklären, kann doch die Erfahrung oft angstlösend wirken. Dass die Christenerziehung durch die Kirche erst recht Angst unter den Menschen zu erzeugen wusste, ist in der Forschung unbestritten.[59] Die Aufstellung von angsterzeugenden und beinahe unerfüllbaren Verhaltensnormen rief sowohl bei den Gläubigen als auch bei den Geistlichen tiefgreifende Schuldgefühle hervor. Ohne die Einhaltung von Verhaltensnormen jedoch wäre sowohl der gesellschaftliche wie auch klösterliche Frieden nicht gewährleistet gewesen.[60] Damit keine Unsicherheit unter den Christen entstehen konnte, bekämpfte die Kirche andere Deutungsversuche, die das Leiden auf Erden hätten erklären können und setzte den Gläubigen um so mehr mit dem Glauben unter Druck, dass Gott keine Sünde ungestraft durchgehen lasse.[61]
1.1.1. Weltende und Sünde
Die allgemeine Lebensgestaltung der Christen war ganz auf den Tag des Jüngsten Gerichts ausgerichtet, da man erwartete, dass das Ende der Welt in unmittelbarer Zukunft eintreten würde. In der Deutung von Naturereignissen, die als Vorzeichen des Weltendes gesehen wurden, gab es keine konfessionellen Unterschiede.[62] Bis ins 18. Jh. wurden diese mit Ereignissen (u.a. Seuchen, Stürmen und Wetterlagen) in Verbindung gebracht und galten als göttliche Botschaft an den Menschen.[63] F. Platter berichtet von einem Erlebnis: „Es ging zuvor ein Geschrei aus, auf Magdalenentag, den 22. Juli, würde der jüngste Tag kommen, was die Angst desto größer machte bei denen, die glaubten, diese Wetter wären die Vorboten“.[64]
Während der ganzen Epoche beherrschte die Angst vor der göttlichen Bestimmung nach dem Ableben die Menschen. Spätestens seit dem 16. Jh. bestand in Europa ein religiöser Grundkonsens, der sich in der Orientierung auf das Diesseits richtete.[65] Einerseits war die Heilsvermittlung durch die Kirche unbestritten, andererseits war die Auffassung dominierend, nach der jeder Christ durch eigene religiöse Leistung zur eigenen und zur gesellschaftlichen Heilserlangung beitragen konnte und sollte. Es lag also in der Entscheidung des Menschen ein christliches oder ein sündiges Leben zu führen.[66] U. Bräker erzählt, wie der Gedanke an die Endzeit sowie die Eigenverantwortung in ihm „allerley jammerhafte Vorstellungen“ aufkommen liess und er durch diese „alle Freud` und Muth“ verlor.[67]
Für die Forschung steht fest, dass die Weltuntergangsstimmung und die daraus resultierende Frömmigkeit schichtübergreifend das Zeitalter beherrschten, wobei der Hoffnung auf das Paradies mehr Bedeutung zukam, als der Weltenderwartung.[68] Es lassen sich jedoch auch Äusserungen finden, die dieser Verallgemeinerung widersprechen. Der Reformator Martin Luther teilte die Menschheit in drei Gruppen ein: „Es gibt drei Arten von Menschen: 1. der größte Haufe der Menschen, die sicher ohne Gewissensschmerz und ohne irgendwelches Empfinden für den Zorn Gottes dahinleben; 2. diejenigen, die, schon durch das Gesetz erschreckt, Gott fliehen und mit der Verzweiflung kämpfen wie Saul; 3. die Schar derjenigen, die erschrocken sind, dann aber die Stimme des Evangeliums von der gnadenweisen Vergebung der Sünden hören und es ergreifen“.[69] Wie Luther in diesem Zitat aufführt, fürchtete sich „der größte Haufe der Menschen“ nicht vor dem Gotteszorn. In F. Platters bereits erwähntem Erlebnisbericht wird von dem selbst Gottesfürchtigen erwähnt, dass die Angst vor dem Weltuntergang nur bei denjenigen gross war, die „glaubten, diese Wetter wären die Vorboten“.[70] Besonders U. Bräkers Bericht über seine hochverschuldeten aber durchaus fröhlichen Nachbarn sollte Beachtung finden: „So viel weiß ich wohl, sie steckten damals beyde in schweren Schulden, und hofften vielleicht durch das End der Welt davon befreyt zu werden: Wenigstens hört` ich sie oft vom Neufunden Land, Carolina, Pensylvani und Virgini sprechen [...]“.[71] Tatsächlich deutet diese Aussage an, dass sich bereits während der Neuzeit ein Wandel der Zukunftsperspektive abzeichnete, der vermehrt auf das Erlangen finanziellen Wohlstandes im Diesseits abzielte.
Die Geistlichen übten zwar Zwang auf das Volk aus, ihre Sicht der Weltuntergangsvorstellung sowie der Sünde anzunehmen, aber im Gegensatz zum mittelbaren Weltende wirkte sich die Kontrolle des unmittelbar wahrnehmbaren Sündenverhaltens durchaus prägender auf die Gesellschaftsbildung aus. Das Sozialverhalten wird sowohl mit juristischen als auch nichtjuristischen Sanktionsmechanismen zu beeinflussen versucht. Diese Präventionsversuche lassen sich in sämtlichen Bereichen des sozialen Lebens ausmachen.[72] Die Sündenvorstellung erwies sich als stabilisierendes Instrument zur Kulturbildung und konnte von jedem Kollektivmitglied als Verhaltensprinzip angewandt werden, um die Mitmenschen zu beurteilen. In der christlichen Vorstellung wird die Sünde – wie auch die Angst – mit einem dämonischen Fremdkörper oder mit Gift (Ketzerei) verglichen, das in den Körper einzudringen vermag, da beide das seelische Gleichgewicht des Christen beeinträchtigen können.[73] In den Hexenschriften des 15. - 17. Jhs. wurde gezielt auf Frauen als unheilbringende und magische Giftmischerinnen – ein seit der Antike gängiges und traditionelles Frauenbild – hingewiesen.[74] H. Wittenwiler führt in seinem Ring an: „Eine alte Jungfer ist, wie man so sagt, für jedes Haus ein Gift“, und die verheiratete Frau ihrerseits vergiftet ihren Mann, wenn dieser ihrem Willen nicht Folge leistet.[75] L. Diesbach glaubte, dass seine hinterlistige Schwägerin, die seiner Ehefrau ohne sein Wissen einen Trank gab, diese vergiftet habe.[76]
Der schlimmste Feind des Christen war laut der Kirchenlehre die Sünde und der Teufel. Die sexuelle Angst der Mönche, die seit dem 12. Jh. verstärkt zunahm und stets auf den Teufel bzw. auf weibliche Sündenböcke projiziert wurde, führte zu einer Verschmelzung beiderlei Vorstellungen.[77] Die Sündhaftigkeit des Menschen war verantwortlich für Krankheiten und Tod. Diese wiederum waren die Folge von Unzucht und somit Schuld der Frau, da sich diese der Hurerei hingibt.[78] Bereits im 13. Jh. ist die Vorstellung vom Geschlechtsverkehr zwischen Dämonen und Menschen sowie von der schädigenden Zauberei entstanden. Nebst Krankheiten und Todesfällen (zumeist durch Gift) wurde diesem auch die Verantwortung für die männliche Impotenz zugeschrieben.[79] Die Ehe war ein kirchliches Mittel um die Unzucht zu bekämpfen, womit gleichzeitig die Überzeugung aufkam, dass der Ehebruch ebenfalls zu Krankheit bzw. Tod führen würde.[80] Auf Grund dieser Ideenfolge sind die vielen Ängste des – weltlichen wie auch geistlichen – Mannes zu verstehen, der dem unzüchtigen, weiblichen Geschlecht den Kampf ansagte, um die Welt von der Sünde zu befreien.
1.1.2. Teufel- und Hexenglauben
Die Vorstellung des Teufels als Widersacher Gottes wurde von der nahöstlichen Glaubenswelt übernommen und durch das Christentum ausführlich propagiert.[81] Der Teufelsglaube spielte im Alten Testament eine unbedeutende Rolle, erfuhr im Neuen Testament aber eine starke Aufwertung. Vorerst eine Komponente der monastischen Religiosität (Studium der Dämonologie und des Dämonenpakts), fand der Glaube während des europäischen Mentalitätsumbruchs eine Steigerung, d.h. die Angst vor dem Teufel wurde zum Hauptgegenstand der christlichen Lehrverbreitung. Interessanterweise waren es seit dem 13. Jh. grösstenteils die Nonnen, die von Teufelserlebnissen berichteten und die schriftliche Verbreitung derartiger Erfahrungsberichte schliesslich auf ein vielfaches ansteigen liess. Gleich der Angst vor dem Gotteszorn blieb die Teufelsangst bis zur Zeit der Aufklärung primärer theologischer Angstauslöser überhaupt.
Die erstmalige Erwähnung einer Hexe findet sich vermutlich um 1383 in Justingers Berner Chronik und des Wortes „hexerye“ lässt sich in einem Luzerner Ratsprotokoll aus dem Jahre 1419 nachweisen.[82] Der Begriff „Hexe“ muss als Sammelbegriff bezeichnet werden, da ihr Wirken vielerlei Facetten aufzeigte und unterschiedlich benannt wurde. Das Volk verstand unter den Namen „Hexen“, „Unhulden“ oder „Strudlern“ (vermutlich von Drut oder Drude herzuleiten) eine Person, die geheime bzw. übernatürliche Zauberkünste anzuwenden versteht.[83] Im Gegensatz zum weiblichen Begriff hat sich weder im schriftlichen noch im sprachlichen Gebrauch die männliche Form des „Hexers“ durchsetzen können. Im schweizerischen Idiotikon gibt es nur einen einzigen mündlichen Beleg aus Bern (Simmental), der die männliche Bezeichnung in einer Prozessakte erwähnt.[84]
Das Heidentum ist in der Eidgenossenschaft nie für immer und vollständig eliminiert worden.[85] Keltische Inschriften und bildliche Darstellungen aus allen Gegenden der Schweiz bezeugen das Weiterleben volkstümlicher Vorstellungen in den verschiedensten Schichten auch während der römischen Herrschaft, die sich schliesslich grösstenteils mit dem Christentum vermischten. Diese Verschmelzung heidnischer und christlicher Glaubenselemente offenbart sich insbesondere im Hexenglauben, der seinen Ursprung in der germanischen Mythologie hat.[86] Die letzten Lebensformen verdrängter heidnischer Götter waren die Kobolde, Zwerge und Wichtelmännchen, die nach der Christianisierung u.a. in Unholde oder Wichteln umbenannt wurden.[87] Interessanterweise wurde in den schweizerischen Protokollen der Hexenprozesse die weibliche Hexe wie auch ihr männlicher Vertreter zumeist als „Unholdin“ bzw. „Unhold“ bezeichnet.[88] U. Bräker seinerseits betitelte die unzüchtige Frau als „Hudlerin“.[89]
Der Kirchenvater Augustin benannte Krankheiten, Gewitter und Stürme sowie Missernten als Teufelswerk.[90] Sein geistiger Nachfolger Th. von Aquin leitete schliesslich im 13. Jh. die Zaubereiverfolgung bzw. deren gerichtliche Ahndung ein. Bereits um 1238 wurde die Anwendung von Zauberei auf schweizerischem Gebiet mit dem Feuertod bestraft.[91] Die Gleichstellung mit der Ketzerei jedoch erfolgte erst ungefähr hundert Jahre später (um 1326) und auch die Auffassung von Zauberei, die bereits um das Jahr 1400 in alter Tradition fortlebte, ist nicht mit dem späteren Hexenglauben, der das 15. Jh. prägte, gleichzusetzen.[92] Der Hexenwahn wird von der Vorstellung des „Schadenzaubers“ dominiert, dessen Auffassung durch die kirchlichen Inquisitionsprozesse geprägt wurde, welche die Begriffe der Zauberei und der Hexerei miteinander verband.[93] Diese neue Lehre des Hexenglaubens basierte auf der Anschauung, dass der Teufel mit der Hexe Buhlschaft betreibe, womit die Vorstellung vom Geschlechtsakt zwischen Teufel/Dämon und Mensch in den Vordergrund rückte. Auf Grund dieser Ideenfolge ist es nicht verwunderlich, dass grösstenteils Frauen bezichtigt wurden, einen Teufelspakt eingegangen zu sein. Diesen warf man vor, Regen, Hagel und Schnee gemacht, das Vieh verderbt und den Menschen Krankheit und Tod gebracht zu haben.[94]
Der Hexenwahn auf schweizerischem Gebiet, der sich vom Südwesten nach Nordosten ausbreitete, drang gegen Ende des 14. Jh. in Form der ersten Zaubereiprozesse ins Wallis und das Berner Oberland ein, wo sich um 1400 auch der eigentliche Hexenwahn ausbildete.[95] Die Zahl der hingerichteten Hexen wird insgesamt auf über 5000 geschätzt.[96] Dabei fielen in den grossen Städten erheblich weniger Menschen dem Hexenwahn zum Opfer. Die meisten Hexenprozesse wurden in den ländlichen Regionen geführt. Wie andernorts verlief die Hexenverfolgung in Wellen, zwischen denen längere Ruheperioden lagen. War die Verfolgung so intensiv geworden, dass sich jedermann bedroht fühlte und auch auf wohlhabende oder angesehene Leute übergriff, brach sie zusammen. Wurde jedoch ein neues Verfahren eingeleitet, so nahmen sie wieder zu.[97] Der Hexenwahn in der Schweiz, wo man während des 16. Jh. glaubte, dass „vnholden vnnd hexen jm ganntzen land syent“, erreichte im letzten Drittel des 16. Jhs. und in der ersten Hälfte des 17. Jh. seinen Höhepunkt, als die Lebensbedingungen europaweit durch konfessionelle Konflikte, Kriege, Epidemien und Klimaverschlechterung, Missernten und Teuerungen am schlimmsten waren.[98] Angst und Realitätsverlust begleiteten die Hunger- und Pestzeiten, während derer die Anzahl Hinrichtungen zu-, bei Gefahr von aussen bzw. bei drohender Kriegsgefahr jedoch wieder abnahm.[99] Nach 1700 wurden die Prozesse zur Ausnahmeerscheinung.[100] Die Schweiz geniesst den traurigen Ruf, die letzte Hexe im westlichen Europa hingerichtet zu haben (Glarus, 1782).[101] Tatsächlich wurde im Jahre 1823 an einer Frau in Holland die „Wasserprobe“ vorgenommen, welche diese gewiss nicht überlebt hat.[102]
1.2. Das Menschenbild: soziale Abgrenzungsmerkmale
Die Ausgestaltung von Gesellschaftsformen resp. die Kultur ist nicht biologisch festgelegt. Der Gruppenzusammenhalt wird durch eine kulturelle Ritualisierung bzw. gruppenspezifische Verhaltensweisen gefestigt. Dieser Tradition folgend haben sich im Verlaufe der Kulturgeschichte in den einzelnen Kulturgruppen spezifische Handlungsmuster ausgebildet (u.a. Sprachgewohnheiten), die durch die Abgrenzung einer Gruppe gegen fremde Einflüsse noch verstärkt werden. Die soziale Rangordnung innerhalb der Gemeinschaft wird schliesslich durch die Schaffung von Statussymbolen (u.a. Bekleidung, Titel) und durch das Streben nach sozialem Aufstieg definiert.
Die Furcht vor dem Ausschluss aus der Gesellschaft ist die bedeutendste Angstvorstellung überhaupt. Der Wortschatz der Angst ist sowohl aus körperlichen Erscheinungsformen wie auch aus Angsterfahrungen abgeleitet.[103] Bereits in dieser Definition wird auf die zwei bedeutendsten sozialen Abgrenzungsmerkmale (äusserliche Anzeichen, Verhaltensweisen) hingewiesen.[104] Im Verlaufe der Zivilisationsbildung fiel das Augenmerk vermehrt auf den Mitmenschen, der „in höherem Maße zur Quelle einer Augenlust oder umgekehrt auch zur Quelle einer durch das Auge vermittelten Unlust, zu Erregern von Peinlichkeitsgefühlen verschiedenen Grades“ wurde.[105] Um die Arterhaltung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, nicht nur in tatsächlich lebensbedrohenden Situationen Furcht zu empfinden, sondern desgleichen und im Besonderen in Momenten, die sowohl die Lebenswartung als auch die Fortpflanzung beeinträchtigen.[106] Der kollektive Zusammenschluss verbessert zwar die Chancen länger zu leben und sich fortzupflanzen, verlangt aber des weiteren eine gesellschaftlich-normative Anpassung, die mit einer Zwangspflicht einhergeht. Durch das Aufstellen von Verhaltensanweisungen wiederum werden gleichzeitig auch deren Verstösse definiert, die von der Gesellschaft mit Sanktionen bestraft werden und damit erneut Angst erzeugen.[107]
1.2.1. Zugehörigkeitszeichen: äusserliche Merkmale und Kleidung
Der Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit drängt den Menschen zur Anpassung.[108] Folglich demonstriert die körperliche Unversehrtheit bzw. Gleichheit auch Zugehörigkeit.[109] Körperliche Merkmale (u.a. Haar- und Augenfarbe) sowie die Art der Kleidung demonstrieren die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv. Körper- und Modekulte sind ein „durchgängiges Phänomen aller Gesellschaften“, wobei der menschliche Wille stets darauf ausgerichtet ist, den Körper selbst zu einem Kulturphänomen umgestalten zu wollen resp. ihn „in die Kultur zu überführen“.[110] Dieser Drang nach Perfektionierung prägt alle Menschen dieser Welt. Das Menschenbild der Neuzeit war durch Schichtzugehörigkeit und Geschlecht geprägt.[111] Das primäre Anzeichen für das “Gutsein“ während der Neuzeit war die Schönheit und damit die körperliche Makellosigkeit, wodurch ein weniger ansprechendes Aussehen resp. die körperliche Unvollkommenheit gleichzeitig als Verkörperung des Bösen verstanden wurde.[112]
Der „primäre Schutzraum“ des Menschen ist seine Haut. U. Bräker, der in seiner „Bubenhaut ein [...] kummer- und sorgenloser Junge“ war, vergegenwärtigt die Furchtlosigkeit der Jugend.[113] Bei Tod „müeszent ir ein Hutt gäben“ wiederum mahnte N. Manuel das Volk und erinnerte es damit an dessen Vergänglichkeit.[114] Die Haut ist ein natürlich-biologischer Schutzmantel und besitzt eine kommunikative Bedeutung, denn Hautveränderungen sowie körperliche Merkmale wie starkes Schwitzen, Zittern oder Beben deuten auf ein Angstgefühl hin und informieren die Mitmenschen über den Gefühlszustand eines Menschen.[115] Der menschliche Körper wird entweder aus einem Schutz- und Schmuckbedürfnis oder Schamgefühl heraus vor der Aussenwelt abgedeckt. Die Kleidung ist eine anthropologische Konstante und diente besonders in älterer Zeit gleichfalls als wichtiges Kommunikationsmittel (Gruppen- oder Standeszugehörigkeit), da sie sowohl Distanz und Zugehörigkeit zu einem Kollektiv als auch Regenerationsfähigkeit verdeutlicht.[116] Im Gegensatz zur Haut ist sie aber kultureller Natur und kann je nach Gemeinschaft variieren.[117]
Als moralische Instanz regelte die Sittenvorstellung einer Gemeinschaft die Beziehungen zwischen Geschlechtern und Gesellschaftsmitgliedern. Da Sitte und Moral auf allgemeines öffentliches Ansehen abzielten, unterstand ihre Aufsicht einer stärkeren sozialen Kontrolle. Gleichzeitig wurden rechtliche Institutionen geschaffen, um Umgangsformen und Kleiderordnungen zu überwachen und durchzusetzen. Die Bedeutung des Statussymbols „Kleidung“, d.h. die Demonstration ökonomischer Überlegenheit durch diese wird besonders in den spätmittelalterlichen Kleiderordnungen offenbar.[118] Anhand eines Kleiderschnitts oder Accessoires, der Farbe und Stoffqualität konnten die Menschen die Gruppen- bzw. Standeszugehörigkeit einer anderen Person genauestens bestimmen, denn die Kleidung durfte niemals über deren finanziellen Status hinwegtäuschen. Das städtische Gemeinwesen vollzog während der Neuzeit einen starken kulturellen Wandel, der sich in allen Bereichen des Lebens zeigte. Die Ausbildung eines “bürgerlichen“ Standes führte zum Bruch mit alten Traditionen, die sich u.a. in der Kleiderwahl äusserte. Der sogenannte Twingherrenstreit, dem eigentlich eine Auseinandersetzung zwischen ländlichen und städtischen Herrschaftsansprüchen zugrunde lag, ging als Streit um die Kleiderordnung in die Geschichte ein und demonstriert die Wichtigkeit dieses Zugehörigkeitszeichens.[119] Dass man aus weniger sittlichen oder moralischen Überlegungen heraus trotz allem das Kleidergebot zu übertreten wagte, zeigen u.a. folgende Beispiele: F. Platter berichtet von einem Pfaffen, der sich verkleidete, um unentdeckt von der Öffentlichkeit mit einer verheirateten Frau ein Schäferstündchen abzuhalten.[120] U. Bräker wiederum erzählt von Deserteuren, die sich manchmal als „Schiffer und andre Handwerksleuthe, oder gar in Weibsbilder verkleidt“ hatten.[121]
1.2.2. Körpermerkmale und Verhaltensweisen des Bösen
Der Mensch kann das Unregelmässige wie auch das Unerwartete gleichzeitig wahrnehmen, wodurch ein Gegenüber, das nicht entstellt ist und sich der sozialen Norm entsprechend verhält, der Wahrnehmung entgeht.[122] Der menschliche Wille, äusserliche Unregelmässigkeiten vernichtet zu sehen, deutete beispielsweise Z. Bletz in seinem Narrenfresser an: „der bott ist so ein grülich man / das einer ab sim gsicht erschrickt / ich wöllt das er weri erstickt“.[123] In der Literatur sind es öfter Frauenfiguren, die eine Buhlschaft mit dem Teufel eingehen und daher sowohl äusserliche Mängel als auch unchristliche Verhaltensweisen aufweisen. In J. Gotthelfs Erzählung beispielsweise verwandelt der Teufel die furchtlose Christine in eine Spinne bzw. entstellt er ihr Gesicht derart, dass die Menschen im Dorf „voll Angst und Grauen“ fliehen, als sie ihrer ansichtig werden.[124] Das hemmungslos veranlagte Mätzli in H. Wittenwilers Ring wiederum besitzt ein durch Inzucht degeneriertes Äusseres.[125]
Besonders die Menschen mit nachteiligen Körpereigenschaften waren dazu prädestiniert, in den Verdacht der Hexerei zu kommen und vererbte Körpermerkmale konnten sogar die Verfolgung weiterer Familienangehöriger nach sich ziehen.[126] Auffällige Hautstellen oder Muttermale, Narben und Warzen wurden jeweils als Hexenmale bezeichnet und die Suche nach diesen besass für die Justiz höchste Priorität im Umgang mit Beschuldigten.[127] Wie hartnäckig sich das Vorurteil der Makellosigkeit als Zugehörigkeitsbeweis hielt, zeigt die Tatsache auf, dass nach zunehmender Kritik an der Folter zwar deren Anwendung eingeschränkt wurde, die Suche nach Hexenmalen aber um so mehr an Bedeutung gewann.[128] Im Umgang mit Hexendelikten schenkte die Justiz den Augen besondere Aufmerksamkeit.[129] Waren Augäpfel oder Lider rötlicher Farbe, besass man Triefaugen oder schielte, funkelten diese oder schienen sie ganz einfach zu gross oder zu klein, betrachtete man das Verdachtsmoment als bestätigt. Umgaben die Augen „Narben“ und hatten die Verdächtigen auch noch einen auffällig „gebrechlichen“ Gang, so nahm man dies als ein sicheres Zeichen dafür, eine Hexe vor sich zu haben.[130] Es zeigt sich, dass sowohl körperliche Auffälligkeiten als auch die Veränderung des Körpers durch den Alterungsprozess Angst hervorriefen und zu Kollektivausschluss führen konnten.[131] Aber nicht nur Anzeichen des Alters, sondern auch des Hungers liessen die Menschen ein „unmenschliches“ Äusseres annehmen und Angst aufkommen.[132] Dass vorwiegend arme und ältere Leute dem Hexenwahn zum Opfer fielen, ist vermutlich insbesondere durch ihre äusserlichen „Entstellungen“ zu begründen, die Krankheit und Tod resp. eine kurze Lebenserwartung symbolisierten.
Seit M. Luther seinen christlichen Mitbürgern zugemutet hatte, selbst zu Theologen zu werden, war das Christ-Sein und die Kontrolle der Mitmenschen zur täglichen Aufgabe geworden. Der Mensch war daran interessiert, in der Gemeinschaft nicht aufzufallen, um einer möglichen Strafe vorzubeugen.[133] Folgte er aber seinem natürlichen Verlangen oder zeigte der Kirche resp. der christlichen Gesellschaft widersprechende Verhaltensweisen auf, wurde er zum Aussenseiter und damit zum Feind klassifiziert.[134] Da die Kirche seit dem Spätmittelalter besonders die Furcht vor dem Teufel verbreitete und den Christen predigte, dass jeder von ihnen zu seinem Handlanger werden könnte, lebten die Menschen natürlich auch in der ängstlichen Erwartung, diesem eines Tages leibhaftig zu begegnen.[135] In der politischen Propaganda wurde eine feindliche Person oft in Tiergestalt dargestellt und jegliche Menschenqualität abgesprochen, um diese als unkultiviert zu klassifizieren oder aber um kein Mitleid für das Opfer aufkommen zu lassen.[136] Wie sich ein Mensch vor den Augen seiner Zeitgenossen in den Teufel verwandeln konnte, zeigt sich in einem Erfahrungsbericht von U. Bräker. In der Schweiz war es üblich, dass Dorfkommunen, Gemeinden oder auch Private für arme Leute sorgten und sie im eigenen Haus aufnahmen.[137] Auch unter dem Dach der Familie Bräker wohnte ein solches „Bettlerwesen“, das „sich besoff, so oft es ein Kirchenalmosen erhielt, und auf diese Art zu Wein kam“.[138] Ulrich erzählt von seiner Furcht: „Dieß Ungeheuer war dann noch über alles aus sehr erpicht auf junge Leuthe, und wollte – Puh! Mir schaudert`s jetzt noch – auch mich anpacken“.[139] Sein Vater betitelte ihn auch als „Thiermensch“ oder „Katze“ und erklärte seinem Sohn, was er darunter zu verstehen habe, worauf Bräker berichtet: „Nun bekam ich erst einen solchen Eckel vor diesem Thier, daß mir ein Stich durch alle Adern gieng, so oft es mir unter Augen kam“.[140] Er verbrachte wegen der „Creatur“ soviel Zeit wie möglich ausserhalb des Hauses und erzählte, dass sich jedermann vor dieser fürchtete „wie vor dem bösen Geist“.[141] Dass nicht nur U. Bräker den Vergleich zwischen einem Betrunkenen und einer teuflischen Kreatur zog, zeigt eine Zeile aus A. Hallers die Alpen, wo es heisst: „Der Mensch allein trinkt Wein / und wird dadurch ein Thier“.[142]
In den Hexengeständnissen wurde auch der Teufel öfters in Tiergestalt beschrieben, doch zumeist erschien er den Leuten in Menschengestalt.[143] Die als Hexen angeklagten Frauen bezeichneten ihn entweder als einen hübschen, liebhabenden Mann oder aber als ihren Ehemann. Dem Mann wiederum erschien er zumeist in Gestalt eines hübschen Mädchens. Zumeist nahm das Böse die Rolle des Liebhabers bzw. der Geliebten ein. Interessanterweise zeigte sich diese „Materialisierung“ des Teufels auch in der Kunst. Im 16. Jh. veränderte Z. Bletz, der J. Salat als Luzerner Festspielleiter ablöste, die Spielvorschriften und verlangte, dass der Teufelsdarsteller zukünftig, anstatt wie in den Osterspielen üblich, keine Fratzen, sondern edle Kleider (Versucher) tragen sollte.[144] Dass die Bezeichnung des Teufels bzw. des Bösen in den Geständnissen zumeist auf reale Personen hindeutet, die gegen bestehende moralische und sittliche Gesellschaftsnormen verstiessen, zeigen auch die folgenden Beispiele auf. Die Prozessakten berichten von einer der Hexerei angeklagten Frau, die „sich selbst zu einem Teufel gemacht“ habe, indem sie, „um ein ihr gestohlenes Kleidungsstück wieder zu bekommen, sich das Angesicht geschwärzt, Männerkleider angezogen, einen Degen unter den Arm genommen, das Vermißte von der präsumtiven Diebin in deren Wohnung mit dem besten Erfolge zurückgefordert“ hat und schliesslich den Fehler begann, mit ihrer Tat zu prahlen, was sie am Ende den Kopf kostete.[145] In den Geständnissen der Hexenprozesse finden sich des weiteren die Kleiderbeschreibungen des Teufels wieder. Die Vergleiche der Aussagen zeigen, dass sich dieser der gerade aufkommenden Kleidermode bzw. vorherrschenden Hof- und Modefarben der Zeit anpasste.[146] Nicht selten wurde der Teufel auch nach seinem Berufsstand benannt (u.a. Jäger).[147]
Der Teufel verlangt von seinem Opfer stets Gehorsam, und dass dieses selbst „böses tut“.[148] Bei Gehorsamsverweigerung oder bei dem Versuch der Flucht drohte diesen ansonsten schwerste Misshandlung bzw. Schläge und Strafen. Die Zeit des Gehorsams und damit des Pakts war unterschiedlich lang. Manchmal sah man den Peiniger wieder, doch zumeist verschwand er nach der Tat für immer. Den Kindern erschien der böse Feind nicht selten in der Gestalt eines Soldaten oder eines Priesters.[149] Durch den Hunger und die Liebe kann die Angst am leichtesten zum Schweigen gebracht werden.[150] Der Sinnspruch, dass „die Liebe durch den Magen geht“ bekommt in Bezug auf die Hexengeständnisse eine ganz neue und schaurige Bedeutung. Dass es sich bei dem vermeintlichen Teufel zumeist um eine reale männliche Person resp. um einen verwegenen Gesellen, der sich den Teufelsglauben zu nutze machte, um arme Frauen und Kinder für die Befriedigung seiner Begierden zu gewinnen und auch vor einer Vergewaltigung nicht zurückschreckte, wird in den Prozessakten offensichtlich.[151] Der sexuelle Missbrauch von Frauen und im Besonderen von Kindern, der weniger Befriedigung als vielmehr das Ausleben von Machtgelüsten darstellt, da dem jeweiligen „Verführer“ die gewünschte Achtung von der Gesellschaft verwehrt blieb, wird in der Hexenforschung – auch der Moderne – tabuisiert.[152] Es wird in der Schweizer Forschungsliteratur zwar ein einziger Fall aufgeführt, in welchem eine Frau die Blutschande mit zwei Brüdern gesteht, doch auf den Umstand des Missbrauchs wird nicht eingegangen, sondern ausschliesslich die Schandtat aus religiöser Sicht betont.[153] Die Aussagen von Kindern wiederum werden nur als Phantasien und Lügen gewertet.[154] Gewiss ist in Bezug auf die Angst der Aspekt des Missbrauchs, der zu Schuld- und Schamgefühlen führte, die sich in einer späteren Angstverbreitung oder mit Selbstmordgedanken auszudrücken wussten, nicht unerheblich. Dass es grösstenteils Frauen und Kinder waren, die oftmals voreilig Alarm schlugen, soll daher an dieser Stelle eine besondere Betonung finden.[155]
1.2.3. Heldentum und die Angst vor Angstverdacht
Die Sprüche des Hohen (Edda) definierten erstmalig den Begriff des Helden (Europa).[156] Der Held ist ein Symbol der körperlichen und geistigen Vollkommenheit und damit die Personifizierung des Mutes. Er erfüllt ausschliesslich seine vorbestimmte Pflicht und alleine sein Tod, der ihn als furchtlosen Kämpfer in der Erinnerung der Nachwelt erhält, legitimiert das Heldentum als solches. Während des Spätmittelalters wurden die Charakterzüge des Helden auf die Ritter übertragen und des weiteren mit Gottesfürchtigkeit gleichgesetzt.[157] Im Allgemeinen sah sich die männliche Bevölkerung diesem Vorbild verpflichtet resp. strebte dieses an.
[...]
[1] Siehe Zit. aus Delumeau: Angst im Abendland. S. 12.
[2] Die konkrete Furcht galt der Götterverehrung. Den Respekt der Götter bzw. die Angstbewältigung erreichte man mittels des Opferkults. Bei den Griechen sind Furcht und Angst an bestimmte Situationen und an bestimmte Haltungen und Verarbeitungen gebunden. Im Gegensatz zu den Griechen kannten die Römer die Angst vor einer als Person gedachter Gottheit nicht und verehrten vielmehr das „Wirken göttlicher Kräfte“ (numina). Der Begriff metus deorum (Furcht vor den Göttern) wiederum ist eng verbunden mit dem Wort religio, das ein Oberbegriff für den gesamten religiösen und kultischen Bereich darstellt. Böhme/Dinzelbacher: Mentalitätsgeschichte. S. 275-283.
[3] Besonders die Epochen der Spätantike, der Neuzeit und des nachklassischen 19. Jh. waren durch diese angstbeladene Grundstimmung geprägt. Wiesbrock: Politische Rolle der Angst. S. 8.
[4] Schulz: Problem der Angst. S. 14-15, 27.
[5] Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 25.
[6] Krohne: Theorien zur Angst. S. 7; Flohr: Angst und Politik. S. 44, 50; Claessens: Druck, Angst und Furcht. S. 135; Suter: Rechtsauflösung durch Angst. S. 21.
[7] Nitschke: Wandlungen der Angst. S. 34.
[8] Besonders die politische Rhetorik baut auf dem Affekt der Furcht und Hoffnung auf, um bestimmte Ziele bei den Zuhörern durchzusetzen. Böhme/Dinzelbacher: Mentalitätsgeschichte. S. 282.
[9] Kleining: Angst als Ideologie. S. 196; Lehmann: Angstbewältigung. S. 211.
[10] Siehe Schulz: Problem der Angst. S. 20.
[11] Kunz: Anthropologie der Angst. S. 65; Wandruszka: Angst und Mut. S. 13-14.
[12] Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 228.
[13] Wiesbrock: Politische Rolle der Angst. S. 11; Begemann: Furcht und Angst. S. 8. Die Angst vor Angstverdacht zeigt sich auf vielfältige Weise. Generell gesehen ist es die Angst, eine von der Gesellschaft nicht akzeptierte bzw. dem gerade herrschenden sozialkulturellen Angstverständnis widersprechendes Reaktion oder Verhalten auf Gefahr aufzuzeigen. Des weiteren handelt es sich um die Furcht, Angstzeichen (z.B. Zittern, Schwitzen) aufzuweisen, die von anderen Menschen wahrgenommen werden können oder die Angst, für ängstlich gehalten zu werden resp. die Furcht vor sozialer Blossstellung und Kollektivausschluss. Während der Neuzeit wurde auch die Armut als Anzeichen der Angst gedeutet, womit die Vermögensanhäufung vor Angstverdacht schützen sollte. Die Angst vor Angstverdacht fand in teilweise veränderter Vorstellungsform unter dem „psychologischen“ Begriff „Sozialphobie“ oder „soziale Angststörung“ Eingang in die Moderne und stellt heute die häufigst vorkommende Angstform dar.
[14] Wandruszka: Angst und Mut. S. 64.
[15] Das individuelle Gedächtnis (kommunikatives Gedächtnis) wird sowohl in seiner zeitlichen Erstreckung als auch in den Formen seiner Erfahrungsverarbeitung vom Generationsgedächtnis bestimmt. Es entsteht in einem Milieu räumlicher Nähe, das durch regelmässige Interaktion sowie gemeinsamer Lebensformen und geteilter Erfahrungen geprägt ist. Assmann: Geschichtsvergessenheit. S. 36-38.
[16] Je nach Zeitradius und Stabilität unterscheidet man zwischen einem individuellen, kollektiven und kulturellen Gedächtnis. Zur allgemeinen Gedächtnisgeschichte siehe Ebd. S. 30-52.
[17] Das Kollektivgedächtnis zeigt zwei Konstruktionsweisen auf: eine ist das kommunikative Gedächtnis (Erfahrungsaustausch in der Alltagskommunikation bzw. im sozialen Milieu), während die Zweite die Erinnerungskultur ist (diese ist nicht an die persönliche Erfahrung gebunden bzw. ist institutionalisiert und bezieht entfernte Zeiten mit ein). Zwischen der persönlichen Erinnerung oder dem Gruppengedächtnis einerseits sowie der öffentlichen Erinnerungskultur andererseits können immer wieder Spannungen auftreten. Hockerts: Erinnerungskultur. S. 44-45.
[18] Das Tätergedächtnis wehrt Erinnerung ab, leidet also unter „vitaler Vergesslichkeit“ und wird durch kollektives Schweigen und Verleugnen von einer Generation auf die andere übertragen. Das Opfergedächtnis wiederum appelliert stets an das Volk, Geschehenes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und hat viel mit dem Verlierergedächtnis gemein. Assmann: Geschichtsvergessenheit. S. 41-47.
[19] Flohr: Angst und Politik. S. 48.
[20] Die philosophische Strömung geht von der Grundannahme aus, dass die menschliche Verfassung eine gegenstandslose Grundstimmung der Angst sei, die auf einer Weltangst gründe und von der konkreten Furcht zu unterscheiden sei. Die psychologische Strömung lehrt, dass es neben der Angst, die aus realen Gefahren ausgelöst wird, Ängste gibt, die durch das persönliche Innere entstammen bzw. aus unbewusst-irrationalen Gefahren, die aus dem Bereich der Triebe (Es) und durch die Herrschaft der Gewissensinstanzen (Über-Ich) entstehen. Krohne: Theorien zur Angst. S. 7.
[21] Psychoanalyse: betrachtet die Angst als Sachverhalt, der „das aktuelle neurotische Verhalten von Erwachsenen mit den Erfahrungen ihrer frühen Kindheit verbinden soll.“Lerntheorie: Versucht die Angst in Verbindung mit Abläufen von Leistungs- und Lernprozessen zu erklären. Kognitionspsychologie: definiert die Angst als eine Emotion (physiologischer Erregungszustand), die bestimmte Prozesse der Informationsverarbeitung begleitet. Ebd. S. 6-9.
[22] Zit. nach Krohne: Theorien zur Angst. S. 8.
[23] Schulz: Problem der Angst. S. 26-27.
[24] Claessens: Druck, Angst und Furcht. S. 137-138.
[25] Elias: Prozeß der Zivilisation. S. 447.
[26] Flohr: Angst und Politik. S. 43-44.
[27] Elias: Prozeß der Zivilisation. S. 406-409 bzw. 445. M. Wandruszka betont die „Sorge“ als zwar schwache aber anhaltende Angst. Wandruszka: Angst und Mut. S. 53.
[28] Elias: Prozeß der Zivilisation. S. 408.
[29] Habermas: Résumé. S. 154.
[30] Zu den Theorien der Mentalitätsgeschichte siehe Dinzelbacher: Mentalitätsgeschichte. S. 285-289.
[31] Wiesbrock: Politische Rolle der Angst. S. 9.
[32] Vocelka/Dinzelbacher: Mentalitätsgeschichte. S. 296.
[33] Delumeau: Angst im Abendland. S. 38.
[34] Wandruszka: Angst und Mut. S. 64.
[35] Zit. nach Wiesbrock: Politische Rolle der Angst. S. 5.
[36] Ebd. S. 17.
[37] Kierkegaard: Der Begriff Angst. Düsseldorf 1952. „Kierkegaard unterschied zwischen Angst und Furcht; darauf hinweisend, dass Angst sich an Dingen der Aussenwelt orientiert, während Furcht Ausdruck eines inneren Konfliktes ist, welcher eine Disharmonie innerhalb des Ichs über seine eigene Existenz darstellt. Erkennbare Ereignisse und Objekte dienen dazu, der unerkannten inneren Furcht Bedeutung zu verleihen. Man kann vor Muslimen oder Juden Angst haben und dabei die Tatsache verleugnen, dass die Quelle dieser Angst eine innere Furcht ist. Diese Furcht entsteht durch den unerkannten Verlust persönlicher Ganzheit.“ Siehe ETH: Symposium Fear and Anxiety. 30.09.2005.
[38] Der Forschermeinung entsprechend werden in dieser Arbeit die Begriffe Angst und Furcht synonym verwendet.
[39] Zit. nach Wandruszka: Angst und Mut. S. 19.
[40] „Angst (angest, angist), [...] sowohl das beengende (bedrängnis, noth, gefahr), als auch den durch die beengung hervorgerufenen seelenzustand (bekommenheit, bange erwartung, furcht) ausdrückend [...]“. In der Mehrzahl: Ängsten (engsten) „bedrängen, beklommen machen, in angst versetzen“. (Zit. aus Wörterbuch Martin Luther. S. 82-83). Furcht (forcht): „die unangenehme seelenregung in beziehung auf eine gefahr, ein übel, oder auch auf ein wesen, das diese gefahr, dieses übel, zukommen läszt oder doch zukommen lassen kann.“ Des weiteren „die aus dem bewustsen des geringerseins hervorgehende seelenregung der pflicht und rücksicht gegenüber einem höheren (erhabenen) wesen oder überhaupt höherem“. (Zit. aus Wörterbuch Martin Luther. S. 743-744).
[41] Zur Definition sowie Wortschatzbildung der Angst und Furcht in anderen Sprachen und ihrem zumeist einheitlichen Entstehungsursprung siehe Wandruszka: Angst und Mut. S. 15-20 und 60-65.
[42] Wörterbuch Martin Luther. S. 744-745. In Bezug auf den Mitmenschen ist die Definition der Furcht in „der Große Duden“ (S. 220) interessant. In diesem wird u.a. der „Ritter ohne Furcht und Tadel“ aufgeführt sowie im Adjektiv ein „furchtbarer (unangenehmer) Mensch“ (ugs.).
[43] Wandruszka: Angst und Mut. S. 99; Wiesbrock: Politische Rolle der Angst. S. 20.
[44] Laut dem deutschen Philologen R. Alewyn stellt die Angst im Leben und in der Literatur nicht dasselbe, sondern das Gegenteil dar. D.h. die Furcht trat erst in der Literatur auf, als sie aus dem Leben der Menschen verschwunden war. (Alewyn: Literarische Angst. S. 39, 51). Wie kommt es aber, dass die Teufels- und Hexenangst, die während des Mittelalters aufkam, besonders die Vorstellungen der neuzeitlichen Zeitgenossen derart dominierten? Offensichtlich erweist sich die „erlesene Angst, die spontane Ängste kultiviert und öffentlich macht, [...] als Seismograph, der die Etablierung und Erschütterung verschiedener Welt- und Menschenbilder feinfühlig registriert.“ (Zit. nach Trautwein: Erlesene Angst. S. 12). Laut J. Delumeau hat das Studium des antiken Gedanken- bzw. Schriftguts (Humanismus) den Glauben an Hexen sowie an den Teufel und damit die Angst unter den Gelehrten gefördert, die ihrerseits ihre Welt- und Menschenvorstellung dem Volke aufzwangen. (Delumeau: Angst im Abendland. S. 564). Tatsächlich haben sowohl die antiken Philosophen als auch das mittelalterliche Christentum und die Aufklärer die Angst als eine negative Emotion betrachteten und die Gottesfürchtigkeit bzw. die Tapferkeit, mit der ihr zu begegnen sei, betont. Je mehr die Angst während dieser Zeit zu unterdrücken versucht wurde, umso mehr nahmen die schriftlichen und künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Angstthema zu. (Conrad: Literarische Angst. S. 9). Folglich führten vielmehr ihre Unterdrückung sowie das propagierte Bild des furchtlosen Menschen zur Verinnerlichung, d.h. zu einer Konservierung der Angst in der Literatur bzw. Kunst. Die Übernahme des antiken Menschen- und besonders des Frauenbilds zeigte sich während der Neuzeit von grösster Bedeutung, da die Geistlichen und Gelehrten diese verbreiteten und nicht nur als Vorlage zur Volksabgrenzung nutzten, sondern auch für die Beurteilung, wer zu den gesellschaftlichen Aussenseitern zu zählen sei. Mit dem Aufkommen der Schauerliteratur während des 18. Jhs. und insbesondere 19. Jhs., also in einer Zeit, als die Furchtlosigkeit ein weiteres Mal als Tugend bestätigt wurde, ging abermals eine veränderte Anschauung des Menschen bzw. Bürgers mit einer Verinnerlichung der Angst einher. (Trautwein: Erlesene Angst. S. 229; Vocelka: Mentalitätsgeschichte. S. 297).
[45] Zahnd: Stadtchroniken. S. 29-30, 35. Im 14./15. Jh. entstanden vermehrt Familienchroniken, die ein steigendes Selbstbewusstsein des Patriziats bzw. Adels aufzeigen. Die Privatchroniken (u.a. Th. Fricker, B. Tschachtlan) dokumentieren eine ausdrückliche Identifikation der Schreiber mit der Stadt. Wie u.a. die Zürcher Chronik, die zu Beginn des 15. Jhs. entstand, stellen die Chroniken eine Zusammentragung von einheimischen, annalistischen Quellenstücken aber auch von lokalen Aufzeichnungen und mündlichen Überlieferungen dar und wurden manchmal von mehreren Verfassern geschrieben. Nicht selten griffen die Stadtchronisten auf ältere Chroniken als Vorlage zurück. Zahnd: Diesbach. S. 309, 388; Bodmer: Chroniken. S. 7-9; Quellen Schweiz: Chronik Stadt Zürich. S. XI, XIX, XLIII.
[46] Kostüm: Mentalitäten. S. 177.
[47] Haas: Schweizer Texte. S. 7; Kostüm: Mentalitäten. S. 167.
[48] Die Nonne E. Stagel war eine Freundin des Konstanzer Mönchs Seuse und zeichnete das Leben des Geistlichen auf. Diese erste Biographie der deutschen Literatur ist keine Fiktion, sondern eine Darstellung des klerikalen Innenlebens. Leider hat Seuse das Werk nach Stagels Tod überarbeitet, wodurch heute nicht mehr nachzuvollziehen ist, welche Beschreibungen von ihr stammen. Stagel: Leben Seuse. S. 20.
[49] Kundert: Puschlav. S. 302.
[50] Nitschke: Wandlungen der Angst. S. 34.
[51] Leyhausen: Naturgeschichte der Angst. S. 95.
[52] Hockerts: Erinnerungskultur. S. 63.
[53] Da in der Literatur eine andauernde Kontroverse i.B. auf die Gestaltung der Fussnoten herrscht, soll an dieser Stelle kurz auf die benutzten Abkürzungen eingegangen werden. Die Angabe „siehe Zit. aus/nach“ weist auf eine wörtliche Zitierung hin. Ein „siehe“ macht darauf aufmerksam, dass ein Zitat in neuem aber entsprechendem Wortlauf wiedergegeben wird. Eine Datumsangabe (anstatt einer Seitenangabe) weist auf eine Website hin.
[54] Wandruszka: Angst und Mut. S. 81.
[55] Zur institutionalisierten Angst durch die Kirche siehe Delumeau: Angst im Abendland. S. 39; Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 17, 273-279; Schulz: Problem der Angst. S. 15.
[56] Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 18.
[57] Bleibt dem Menschen bzw. einem Volk negative Erfahrungen aber nicht erspart, werden deren Folgen auf unterschiedlichste Weise abgeschwächt (u.a. Verleugnung) und/oder hinterlassen über Jahre und Jahrzehnte einen tiefen Eindruck in dessen Erinnerung. Lefebvre: Große Furcht. S. 111.
[58] Suter: Rechtsauflösung durch Angst. S. 146.
[59] Vgl. Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 252.
[60] Claessens: Druck, Angst und Furcht. S. 148.
[61] Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 257, 279.
[62] Begemann: Furcht und Angst. S. 71f; Vocelka: Mentalitätsgeschichte. S. 295.
[63] Begemann: Furcht und Angst. S. 74-75; Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 244.
[64] Siehe Zit. aus Platter F.: Tagebuchblätter. S. 133.
[65] Moeller. Wirkung Luthers. S. 265; Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 19.
[66] Begemann: Furcht und Angst. S. 80.
[67] Siehe Zit. aus Bräker: Armer Mann. S. 42.
[68] Dinzelbacher: Mentalitätsgeschichte. S. 291.
[69] Luther: Tischreden. S. 323.
[70] Siehe Zit. aus Platter F.: Tagebuchblätter. S. 133.
[71] Bräker: Armer Mann. S. 42-43.
[72] Vgl. Flohr: Angst und Politik. S. 44-45.
[73] Lederer: Geisteskrankheiten. S. 28.
[74] Opitz: Hexenstreit. S. 235, 256.
[75] Siehe Zit. aus Wittenwiler: Ring. S. 111.
[76] Siehe Diesbach: Chronik. S. 93.
[77] Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 253-254.
[78] Hiestand: König – Bauer. S. 61; Völker-Rasor: Ehe. S. 91, 93.
[79] Schiess: Appenzell. S. 6-8.
[80] Völker-Rasor: Ehe. S. 90, 93.
[81] Zum Aufkommen des Teufelsglaubens und dessen Verbreitung siehe Dinzelbacher: Angst im Mittelalter. S. 27, 78-79, 99-101, 281; Schiess: Appenzell. S. 9; Begemann: Furcht und Angst. S. 78.
[82] Trechsel: Bern. S. 10 bzw. Schacher: Luzern. S. VIII.
[83] Trechsel: Bern. S. 13.
[84] Schacher: Luzern. S. VII.
[85] Zum Hexenglauben bzw. Verschmelzung heidnischer und christlicher Vorstellungen siehe Geschichte der Schweiz. S. 38, 52, 96, 122.
[86] Weitnauer: Keltisches Erbe. S. 63; Schacher: Luzern. S. VII.
[87] Weitnauer: Keltisches Erbe. S. 30.
[88] Fischer: Basler. S. 5, 7; Schacher: Luzern. S. VII.- VIII.; Kamber: Hexenverfolgung. 06.08.2005.
[89] Siehe Bräker: Armer Mann. S. 64.
[90] Wandruszka: Angst und Mut. S. 99; Schiess: Appenzell. S. 10, 26.
[91] Schiess: Appenzell. S. 13.
[92] Ebd. S. 13; Schacher: Luzern. S. VIII.- IX.
[93] Zur Vorstellung des Schadenzaubers in der Schweiz und dessen Verbreitung durch die Hexe siehe Fuchs/Raab: Geschichte. S. 338; Schiess: Appenzell. S. 6-7, 141-144; Kundert: Puschlav. S. 310; Diethelm: Obwalden. S. 11; Dettling: Schwyz. S. 4-5, 55; Schacher: Luzern. S. IX. 89, 111.
[94] Das Gericht führte drei Sorten von Hexen auf: eine erste, die von Gott abgefallen ist, Vieh und Menschen mit oder ohne Gift schädigt. Eine zweite, die zwar nicht mit dem Teufel geschlechtlich verkehrt, aber Zauberei anwendet, und eine dritte, die durch Zauberei und teuflische Künste heimlich zukünftige Dinge wahrsagt. Fischer: Basler. S. 11.
[95] Ein Einfluss von Norden aus (Basler Konzil und Hexenhammer) war ebenso gegeben. Der „maleus maleficarum“ (Hexenhammer) betonte besonders den Schadenzauber. Die Vorstellung der Teufelsbuhlschaft sowie des Hexensabbats hatte sich im Wallis bis zum Jahre 1430 fest eingebürgert und verbreitete sich von hier aus in die benachbarten Gebiete. In der deutschen Schweiz leitete erstmalig der Berner Kastellan Peter von Greyerz (um 1400) eine inquisitorische Massenverfolgung ein (Simmental). Kundert: Puschlav. S. 310; Schacher: Luzern. S. IX.; Schiess: Appenzell. S. 15-18.
[96] Die höchste Anzahl entfällt auf das Gebiet Berns (mit der dazugehörigen Waadt) mit über 1700 und auf Graubünden mit ca. 500 Opfern. Auf bernerischem Gebiet, das im Jahr 1536 die Waadt eroberte, führte besonders das Aufkommen der Reformation bzw. die Lehre Zwinglis, welche die Kontrolle der christlichen Lebensführung verschärfte, zu einer stärkeren Verfolgung. Ein Grossteil der Hinrichtungen fand Ende des 16. Jh. statt, während die Berner Vogteien bzw. Twingherren in der Verfolgung miteinander wetteiferten. Das Bündnerland wiederum galt im 16. Jh. als Zufluchtsort italienischer Protestanten, wodurch das Land als von Ketzern und Hexen verseuchter Ort galt. Im frühen Kanton Bern fanden in den Jahren 1591-1600 alleine 311 Hexenprozesse statt. Kamber: Hexenprozesse. 06.08.2005; Trechsel: Bern. S. 56.
[97] Kundert: Puschlav. S. 316.
[98] Siehe Zit. aus Acten zur Geschichte des Kriegsjahres 1531. S. 168; Kamber: Hexenprozesse. 06.08.2005.
[99] Kamber: Hexenprozesse. 06.08.2005.
[100] Kundert: Puschlav. S. 328-329.
[101] Anna Göldin wurde nicht
[102] Dinzelbacher: Heilige oder Hexen. S. 141.
[103] Vgl. Wandruszka: Angst und Mut. S. 64.
[104] Drei Faktoren haben seit dem Mittelalter auf besondere Art und Weise die Zugehörigkeit von Menschen zu sogenannten Randgruppen gefördert: körperliche bzw. geistige Gebrechen, die Ausübung von „unehrlichen“ Berufen (u.a. Totengräber, Henker) sowie ethnische und religiöse Unterschiede. In Bezug auf die Bestrebungen der „Kultivierung“ in den Städten, soll an dieser Stelle betont werden, dass sogenannte Randgruppen zwar nicht ausschliesslich, jedoch vorwiegend in Städten zu finden waren, was eine Fokussierung bzw. Auseinandersetzung mit ihnen vorantrieb und zur Suche nach Mitteln zu derer Bekämpfung anregte. Kostüm: Mentalitäten. S. 136-137.
[105] Siehe Zit. aus Elias: Prozeß der Zivilisation. S. 407.
[106] Leyhausen: Naturgeschichte der Angst. S. 95.
[107] Vgl. Claessens: Druck, Angst und Furcht. S. 143.
[108] Suter: Rechtsauflösung durch Angst. S. 137.
[109] Ein sehr schönes Beispiel für das Streben nach Körperkultivierung sowie für die latente Angst vor Kollektivausschluss zeigt folgendes Beispiel: die Kelten waren weder so gross noch so blond und blauäugig wie die Germanen – und auch nicht so stark wie diese. Um jedoch ihre Stammeszugehörigkeit zu demonstrieren, bleichten sich die dunkelhaarigen und dunkeläugigen Männer die Haare mit Kalklauge, um sie aufzuhellen. Einige Jahrhunderte später beschrieb H. Wittenwiler in seiner Erzählung der Ring das neuzeitlich-christliche Schönheitsideal, das eine Modifizierung des nun keltischen Erbes offenbart. In dieser führt der weise Dorfälteste auf, wie ein “guter“ Mann auszusehen hat: „der Christ ist, [...] kräftig am Körper, [...] Haar und Bart sollen in ihrer Erscheinung [...] ein wenig auf das Braun hin gefärbt (sein). Ein Mann mittlerer Größe ist uns lieb.“ Ein paar Jahrhunderte später findet sich bei U. Bräker eine Verschmelzung keltischer und germanischer Merkmale in einem sprachlichen Ausdruck wieder, der die Verquickung von Angst und Zugehörigkeit verdeutlicht. So umschreibt er sein “angstvolles Staunen“ mit der Redensart: es „ward mir`s braun und blau vor den Augen“. Weitnauer: Keltisches Erbe. S. 17; Wittenwiler: Ring. S. 133; Bräker: Armer Mann. S. 76.
[110] Siehe Zit. aus Delta: Vollkommenheit. 21.06.2005.
[111] Elias: Höfische Gesellschaft. S. 410.
[112] Tatsächlich ist die Bezeichnung der „Hässlichkeit“ nur ein anderer Name für die Angst. Wandruszka: Angst und Mut. S. 62.
[113] Siehe Zit. aus Bräker: Armer Mann. S. 141.
[114] Siehe Zit. aus Manuel: Totentanz. Tafel XVIII. (66.).
[115] Aus anthropologischer bzw. biologischer Sicht ist der Angstschweiss einerseits ein Mittel des Körpers, um einen Gegenüber für sich einzunehmen. Der Körpergeruch eines Menschen entscheidet oftmals darüber, ob sein Gegenüber ihn für sympathisch oder unsympathisch hält. Andererseits stellt der Schweiss ein Verteidigungsmittel dar, da er den Angreifer am Zupacken hindert. Auch das Zittern und Beben ist ein derartiges natürliches Körperzeichen, das „Gebrechlichkeit“ vortäuscht, was auf einen Angreifer eine hemmende Wirkung auslösen soll. Durch die Kleidung wurde der Körper schliesslich seiner natürlichen Abwehrmechanismen beraubt.
[116] Aus einem Modewandel können auch Traditionen entstehen (u.a. schweizerische Trachten). Burckhardt-Seebass: Trachten. 09.08.2005.
[117] Delta: Vollkommenheit. 21.06.2005. Die kulturelle Komponente der Kleidung wird u.a. in der Überzeugung offenbar, dass das Böse den Kleidern der Hexerei Beschuldigter anhaftete und diese als Überträger dienten. Die Vorstellung, alleine durch das Anfassen oder blosse Streifen der Kleidung einer verhexten Person gelähmt oder zumindest dem Bann des Bösen ausgesetzt zu sein, dominierte in allen Gesellschaftsschichten. Zur Vorbereitung einer Folterung gehörte daher auch, die Kleidung des Beschuldigten durch einen Priester segnen zu lassen, um die Zauberkräfte zu vertreiben. Trechsel: Bern. S. 30, 32; Dettling: Schwyz. S. 64-65; Kundert: Puschlav. S. 327.
[118] Kostüm: Mentalitäten. S. 117; Gyr: Bräuche. 09.08.2005; O.N.: Kleidung. 09.08.2005.
[119] Tschachtlan: Twingherrenstreit. S. 262-298.
[120] Siehe Platter F.: Tagebuchblätter. S. 195.
[121] Siehe Zit. aus Bräker: Armer Mann. S. 101.
[122] Delta: Vollkommenheit. 21.06.2005.
[123] Siehe Zit. aus Bletz: Narrenfresser. S. 7 (210-212).
[124] Siehe Zit. aus Gotthelf: Spinne. S. 61.
[125] Wittenwiler: Ring. S. 45.
[126] Schacher: Luzern. S. 90, 93, 110; Diethelm: Obwalden. S. 12.
[127] Im Gebiet Puschlav beispielsweise suchte man in insgesamt 89 Fällen nach einem Hexenmal, davon 71mal mit Erfolg. Wurde das „Hexenmal“ gefunden, so durchstach man es mit einer Nadel, um festzustellen, ob es blutete oder nicht. Falls dies nicht der Fall war, zeigte sich der Vorwurf als bestätigt. Im Verlaufe der Zeit aber wuchs die Unsicherheit, da man bei einigen Angeklagten vor der Folterung ein Zeichen gefunden hatte, nach ihr aber keines mehr entdecken konnte. Daraufhin führte die Justiz eine dreimalige Untersuchung der Hexenmale ein. Kundert: Puschlav. S. 318-319; Trechsel: Bern. S. 80.
[128] Trechsel: Bern. S. 58.
[129] Schacher: Luzern. S. 94-95; Dettling: Schwyz. S. 37-38.
[130] Interessanterweise wird an dieser Stelle die Gebrechlichkeit, die eine hemmende Wirkung auf den (feindlichen) Gegenüber ausüben und einen möglichen Angriff abwenden sollte, zum Auslöser der Gewaltanwendung.
[131] Auch ein Eintrag F. Platters macht auf die mit den Jahren zunehmende Veränderung des Körpers aufmerksam: „Eine schöne Frau von Solothurn war einmal in Basel bei meinem Vater; die küßte mich stets, was ich, obwohl ich noch ein Kind war, gern hatte. Aber wann meiner Mutter Schwester, die ein altes arbeitseliges (abgearbeitetes) Mensch war, mich küssen wollte, floh ich und fing an zu schreien.“ Siehe Zit. aus Platter F.: Tagebuchblätter. S. 28.
[132] Camporesi: Brot der Träume. S. 24.
[133] Suter: Rechtsauflösung durch Angst. S. 139.
[134] Schoene: Frühgeschichte der Angst. S. 120.
[135] Delumeau: Angst im Abendland. S. 40.
[136] Claessens: Druck, Angst und Furcht. S. 142; Suter: Rechtsauflösung durch Angst. S. 166.
[137] Zit. aus Bräker: Armer Mann. S. 51.
[138] Siehe Zit. Ebd. S. 50.
[139] Siehe Zit. Ebd. S. 50.
[140] Siehe Zit. Ebd. S. 50 bzw. 51.
[141] Siehe Zit. Ebd. S. 52.
[142] Siehe Zit. aus Von Haller: Alpen. S. 12.
[143] Zur Darstellung des Teufels in den Hexengeständnissen siehe Trechsel: Bern. S. 22, 26; Diethelm: Obwalden. S. 6-7; Fischer: Basler. S. 6.
[144] Egloff: Bletz. 26.06.2005.
[145] Siehe Zit. aus Trechsel: Bern. S. 42.
[146] Trechsel: Bern. S. 22.
[147] Dettling: Schwyz. S. 20; Diethelm: Obwalden. S. 6, 8.
[148] Trechsel: Bern. S. 24-28, 38; Diethelm: Obwalden. S. 7.
[149] Diethelm: Obwalden. S. 6, 8.
[150] Wandruszka: Angst und Mut. S. 70.
[151] Vgl. Dettling: Schwyz. S. 102; Schiess: Appenzell. S. 149. 1665 u.a. wurde eine Ottilia Lindauer, die in Hunger und Kummer lebte, hingerichtet, nachdem sie gestand, dass ein Fremder sie vierzehn Jahren zuvor vergewaltigt hatte. (Dettling: Schwyz. S. 58). Ein 14jähriges sowie 12jähriges Mädchen wurden vom Verführer „im kleinen Stübeli des hiesigen Spitals“ (das zumeist unter der Leitung der Priester stand) mit seiner Anwesenheit „beehrt“. (Zit. aus Diethelm: Obwalden. S. 7); Ein 12-14 jähriger Junge erzählte, wie ihn sein Vater in den Wald brachte, wo der Teufel bereits auf ihn gewartet habe. (Trechsel: Bern. S. 21-22); Ein 9jähriges Mädchen wiederum kam in den Verdacht der Hexerei und legte folgendes Geständnis ab: „Als ich aus der Schule gekommen, ist ein schwarzer Mann mir begegnet. Er hat mich gefragt, wie ich heiße. [...] Ich habe ihn auch des Nachts gesehen. Doch weiß ich nicht, ob es mir geträumt hat. Ich habe alle Nächte vermeint, er stehe vor meinem Bettli, er nehme mich bei der Hand und führe mich ob das Dorf zur Scheune.“ (Zit. aus Diethelm: Obwalden. S. 28-29).
[152] Während der Analyse zu dieser Arbeit ist von mir keine einzige Angabe entdeckt worden, die auch nur in Ansätzen auf das Thema des sexuellen Missbrauchs von Frauen oder Kinder eingeht. In Bezug auf das Angstthema wird damit einerseits die Angst vor einer Auseinandersetzung mit diesem Problem offenbar und andererseits die aus der Schändung resultierende Angsterfahrung des Opfers tabuisiert. Dass es den sexuellen Missbrauch innerhalb der Familie oder deren Verwandten- und Freundeskreises überhaupt gibt, wurde erstmalig Ende des 19. Jh. von Sigmund Freud in seiner „Verführungstheorie“ aufgezeigt. Nachdem seine Berufskollegen ihn zu boykottieren bzw. aus ihrem Gremium auszuschliessen drohten, zog Freud seine Ergebnisse wieder zurück. Zu diesem Thema siehe: Jeffry M. Masson: Was hat man dir, du armes Kind, getan? Sigmund Freuds Unterdrückung der Verführungstheorie. Hamburg 1984.
[153] Schiess: Appenzell. S. 122.
[154] Kundert: Puschlav. S. 325.
[155] Lefebvre: Große Furcht. S. 108, 118.
[156] Die heute erhaltene Edda wurde im 13. Jh. aufgezeichnet, ist aber tatsächlich viel älter. Zur Definition des Helden siehe Gurjewitsch: Individuum. S. 33-48, 65.
[157] Lehmann: Angstbewältigung. S. 220.
- Arbeit zitieren
- lic.phil. Nicole J. Bettlé (Autor:in), 2006, Angst in der Eidgenossenschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85465
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