Diese Arbeit beinhaltet die Skizzierung der wesentlichen Merkmale des Konzeptes der Salutogenese von Antonovsky sowie deren Anwendung auf das praktische Feld der Sporttalentförderung.
Unter der Fragestellung inwieweit Belastungen und Anforderungen an geförderte Talente sowohl Risiken als auch Chancen bieten können werden verschiedene Gesichtspunkte erörtert.
Eine Verbindung zur Empirie wird durch ein Interview sowie dessen Analyse mit dem 15-jährigen Basketballtalent Mathis M. von Bayer 04 Leverkusen hergestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Konzept der Salutogenese
2.1. Entstehung
2.2. Stressoren und generalisierte Widerstandsressourcen.
2.3. Kohärenzsinn (SOC)
2.4. Lebensgeschichte und Kohärenzsinn
2.5. Dialog und Spiel
3. Talentförderung- Anforderungen, Risiken und Chancen im Vergleich
mit den Aspekten des Salutogenesemodells
3.1. Doppelbelastung und Unvereinbarkeit von Spitzensport und Schule
3.2. Stressorenhäufung als Konsequenz der Talentwerdung
3.3. Verfügbarkeit von GRRs nach der Durchquerung der Statuspassage Talentwerdung
3.4. Bedeutung der Ressourcen Dialog und Spiel vor und nach der Durchquerung der Statuspassage Talentwerdung
4. Verbindung zur Empirie durch das Beispiel des 15-jährigen Basketballtalentes Mathis M. (Bayer Leverkusen)
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Anhang:
- Zeitungsartikel aus der Ibbenbürener Volkszeitung vom 06.09.2007
1. Einleitung:
Gesundheit kann definiert werden als der Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums für die wirksame Erfüllung der Rollen und Aufgaben, für die es sozialisiert worden ist.
-Talcott Parsons (aus: Schiffer 2001.S.39.)
Diese Definition von Gesundheit des amerikanischen Soziologen Talcott Parsons erscheint auf den ersten Blick durchaus plausibel: Man muss gesund sein, um seine Aufgaben anständig erledigen zu können.
Aus einer anderen Perspektive betrachtet, ergibt sich hingegen schnell eine problematische kausale Beziehung: Wer nicht gesund ist, ist folglich nicht leistungsfähig und kann seine Rollen und Aufgaben in der Gesellschaft nicht mehr wahrnehmen.
Schlimmer noch: Er wird der Gesellschaft so lange zur Last fallen, bis seine Leistungsfähigkeit wiederhergestellt ist.
Gesundheit verkommt in dieser durch eine steigende Konkurrenzszenerie bestimmten Denkweise zum Zweck für die Leistungsfähigkeit. Leistungsfähigkeit wird wiederum zum Kriterium von Gesundheit.
Der daraus resultierende Lebenswandel fokussiert demnach darauf, durch entsprechende Vorsorge und Pflege des gegebenen Materials, sprich des eigenen Körpers und der Psyche, eine möglichst lange und hohe Leistungsfähigkeit zu erzielen, um für die Gesellschaft von großem Nutzten zu sein; ähnlich einer Maschine, die durch regelmäßige Wartung eine optimale Arbeitsdauer liefern soll.
Ein analoger Ansatz findet sich auch im Bereich der Sporttalentförderung wieder.
Auch hier soll eine optimale Leistungsfähigkeit erzielt werden, die jedoch nicht primär auf eine langfristige Beständigkeit abzielt, sondern vielmehr möglichst schnell erreicht werden soll. Hierfür sind nahezu alle Mittel recht. Das Einstiegsalter der zukünftigen Top-Athleten sinkt, Trainingsintensität und Konkurrenzdruck nehmen zu.
Eine solche Ansicht dürfte sich auch im Meinungsbild der Gesellschaft überwiegend widerspiegeln, fragte man die Menschen nach ihrer Einschätzung der Belastungen, denen Sporttalente ausgesetzt sind.
Jeder scheint auf irgendeine Weise ein inhärentes (Pseudo-)Wissen zu besitzen, das in die Lage versetzt, die Anforderungen und Belastungen, denen ein Talent ausgesetzt ist, scheinbar adäquat einzuschätzen.
Doch inwieweit spiegeln diese Vermutungen die Realität tatsächlich wieder? Wie richtig oder wie falsch ist die verbreitete Meinung und worauf beruht sie eigentlich?
Ein ebenso homogenes Bild dürfte sich interessanterweise abzeichnen, wenn nach dem Image von (Sport)Talentförderung gefragt würde.
Da Sport in der Gesellschaft als etwas durchaus Positives angesehen wird, ist der Weg zur Wertschätzung der Förderung von begabten jungen Sportlern nicht weit und leicht nachzuvollziehen.
Zusammengefasst ergibt sich also ein kontrastierendes Bild von (negativer) hoher Belastung und (positiver) gesellschaftlicher Anerkennung. Dieses vermeintliche Paradoxon lässt sich möglicherweise mit der Idee von “harter Arbeit, die sich letztendlich auszahlt und zum Ziel führt“ auflösen.
Doch wie groß sind die Hürden wirklich, die es zu überqueren gilt, bevor das angestrebte Ziel erreicht wird und wie viele bleiben dabei auf der Strecke?
Inwieweit lässt sich die Vorstellung von Sport als etwas Positivem und Gesundem aufrechterhalten, wenn dafür andere Dinge, wie z.B. soziale Kontakte, in den Hintergrund treten müssen? Wäre es vielleicht sogar möglich, dass sich die Vorzeichen quasi umkehren und Sport zu einem negativen, krankmachenden Bestandteil des Lebens wird?
Im Rahmen dieser Hausarbeit werde ich versuchen mithilfe des Konzeptes der Salutogenese, das in einem ersten Schritt vorgestellt werden soll, die Anforderungen und Belastungen, denen Talente ausgesetzt sind einzuschätzen. Das von Aaron Antonovsky entwickelte Modell soll dabei als eine Art Vergleichsgröße für die Risiken und Chancen von Talentförderung dienen.
Abschließend soll ein konkretes Beispiel in Form eines Interviews mit dem 15-jährigen Basketballtalent Mathis M, der zurzeit das Förderinternat Bayer Leverkusens besucht, die Verbindung zur Empirie herstellen und zur Überprüfung der theoretisch gesammelten Ergebnisse dienen.
2. Das Konzept der Salutogenese
Die nun folgende Skizzierung von Aaron Antonovskys Konzept der Salutogenese soll in einen fundamentalen Bereich des menschlichen Lebens eindringen: Die Gesundheit.
Wie bereits erwähnt, dürfte man im allgemeinen Zustimmung ernten, wenn man von den hohen Anforderungen und Belastungen an Leistungs- und Spitzensportler und denen, die es werden wollen, spricht. Es stellt sich die Frage. ob diese Belastungen mitunter auch in den Bereich der Überbelastung hineinragen können und womöglich mit gesundheitsgefährdenden Konsequenzen verbunden sind. In Zeiten von Burn-Out-Syndromen, chronischer Überarbeitung und Menschen im Dauerstress, erscheint es mehr als angebracht, die Frage der Gefährdung der Gesundheit auch auf ein so intensiv betriebenes Feld, wie das des Leistungssports zu beziehen.
Das Modell der Salutogenese stellt selbstverständlich nur eine Möglichkeit dar, Rückschlüsse auf die Gesundheit bzw. mögliche Erkrankung von Athleten zu ziehen. Es bietet allerdings aufgrund seiner unkonventionellen Kernfrage („Warum bin ich eigentlich gesund?“ anstelle von „Warum eigentlich bin ich krank“ (Schiffer 2001, S. 44)) und seiner relativ leichten Verständlichkeit den Vorteil, auch ohne fundierte Kenntnisse in der traditionellen Schulmedizin, begründete Vermutungen über den Gesundheits- bzw. Nicht-Krankheitszustand eines Menschen anzustellen.
Antonovsky betont allerdings, dass das Zusammenspiel von GRRs untereinander und in Verbindung mit dem SOC, Begriffe, die hier im Folgenden näher erläutert werden soll, von recht komplexer Natur ist (…the salutogenetic model […] is more complex than the line of argument may have suggested. […] Generalized resitance resources have a complex relationship to each other and to the sense of coherence“ (Antonovsky 1979, S.11)).
Die folgende Darstellungsweise, inklusive der zusammenfassenden Grafik(en) des Salutogenesemodells, können von daher in keiner Weise den Anspruch erheben, die Gesamtheit des Konzeptes mit all seinen Aspekten und Verkettungen zu diversen Facetten des Lebens zu erfassen und abzubilden. Es soll hier lediglich ein Überblick verschafft werden, der dem Zwecke dienen möge, die Fragestellung dieser Hausarbeit sinnvoll voranzubringen.
Dies soll nach der folgenden Präsentation von Antonovskys Ansatz mit Jugendlichen, die sich innerhalb eines Talentförderprogrammes befinden, geschehen.
2.1 Entstehung
Anfang der 70er Jahre beschäftigte sich der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky mit dem Gesundheitszustand von Überlebenden des Holocaust.
Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sich trotz der extrem belastenden lebensgeschichtlichen Ereignisse und Erfahrungen, etwa dreißig Prozent der untersuchten Personen in guter oder sogar sehr guter körperlicher und psychischer Verfassung befanden (vgl. Antonovsky 1988, S. xxi).
Dieses erstaunliche Ergebnis veranlasste Antonovsky, sich die Frage nach der Ursache der unerwarteten Gesundheit dieser Menschen zu stellen.
2.2. Stressoren und generalisierte Widerstandsressourcen
Die nahe liegende Antwort vermutete er in der Abwesenheit, oder in der zumindest sehr limitierten Existenz von jeder Art von Stressoren im Leben gesunder Menschen, oder im Fall der Holocaust-Überlebenden, in der Zeit nach ihrer Verfolgung.
Schnell wurde deutlich, dass er diese Ansicht wieder verwerfen musste:
„In the very nature of human existence, stressors are omnipresent. Yet many people, […], even with a high stressor load, survive and even do well” (Antonovsky xii, 1988).
Jeder Mensch ist also tagtäglich einer Vielzahl von Stressoren ausgesetzt.
Für Antonovsky sind diese Stressoren aber keineswegs von Natur aus als etwas negatives, also pathogenetisch, zu betrachten. Das Ziel sollte nicht sein, ihre Anzahl auf ein Minimum zu reduzieren.
Dass sie auch salutogenetisch wirksam werden können, ergibt sich aus der Art des Stressors und dessen erfolgreicher Bewältigung. (“…the consequences of stressors are viewed not as necessarily pathological but as quite possibly salutary, contingent on the character of the stressor and the successful resolution of tension” Antonovsky S.12).
In diesem Zusammenhang spielen die generalisierten Widerstandsressourcen (Jerusalem/Weber 352, 2003; generalized resistance resources, im Folgenden auch GRRs genannt) sowie das zentrale Element des Salutogenesemodells, der Kohärenzsinn (sense of coherence, im folgenden auch SOC genannt), eine entscheidende Rolle.
Der Schlüssel liegt also vielmehr in der Bearbeitung, der Art der Bewältigung der Belastung, die über Krankheit und Gesundheit entscheidet.
Über welche inneren und äußeren (vgl. Schiffer 14, 2001), bzw. personalen und sozialen Ressourcen (vgl. Kaluza 2003, S. 352) eine Person verfügt, wird zu einem ganz bedeutsamen Faktor bei der Belastungsbewältigung und bestimmt, ob die Art der Bewältigung einen heilsamen, krankhaften oder neutralen Effekt haben wird (vgl. Antonovsky 1988, S. xii). Diese GRRs umfassen alle denkbaren Merkmale, die möglicherweise bei der Bewältigung von Belastung effektiv sein könnten. Hierzu können z.B. materieller Wohlstand, Selbstbewusstsein, stabile kulturelle Eingebundenheit, Wissen, Intelligenz, Ich-Stärke, soziale Unterstützung und alle weiteren Dinge zählen, die einem Menschen auch nur im Entferntesten bei der Belastungsbewältigung hilfreich sein könnten (vgl. Kaluza 2003, S.352):
Diese GRRs sind nun wiederum ein wichtiger Bestandteil der bedeutendsten Komponente des Salutogenesemodells, dem Kohärenzsinn/Kohärenzgefühl bzw. sense of coherence (SOC), der im folgenden Punkt eingehender beleuchtet werden soll.
2.3. Kohärenzsinn (SOC)
Der SOC selbst ist nicht als Ressource zu verstehen, sondern als eine obere Steuerungsinstanz, welche über den Einsatz von verfügbaren Ressourcen entscheidet (vgl. Schiffer 2001, S.31).
In der Theorie ergibt sich somit eine denkbar einfache Gleichung:
Je größer die Anzahl an Ressourcen, über die ein Mensch verfügt und je besser ausgebildet der Kohärenzsinn dieses Menschen ist, der diese Ressourcen sinnvoll einsetzt, desto größer ist die Chance, dass es sich um eine gesunde Person handelt.
Diese einfache Gleichung beinhaltet aber selbstverständlich Raum für Interpretationen und Erklärungsbedarf.
Zum einen erscheint das Wort ‚Gesundheit’ nicht als eindeutig definiert und zum anderen dürfte nicht klar sein, wie sich ein gut bzw. schlecht ausgebildeter Kohärenzsinn eigentlich äußert, und was er in jedem der beiden Fälle bewirkt.
Was den Kohärenzsinn betrifft, so kann zumindest partiell für mehr Klarheit gesorgt werden:
Antonovsky definiert den SOC als bestehend aus drei Komponenten:
- Verstehbarkeit (comprehensibility):
Beschreibt die Wahrnehmung der inneren und äußeren Welt als verständlich, strukturiert und erklärbar. Die Dinge lassen sich in einen größeren Zusammenhang einordnen. (vgl. Antonovsky 1988, S.16).
- Handhabbarkeit (manageability):
Beschreibt die Wahrnehmung der Aufgaben, die das Leben stellt, als lösbar. Hervorgerufen vor allem durch das Bewusstsein, über entsprechende Ressourcen zu verfügen, die in der Auseinandersetzung mit der Umwelt wiederholt und konsistent eingesetzt werden und bei der Lösung von Problemen hilfreich sein können. (vgl. Antonovsky 1988, S.17).
[...]
- Citation du texte
- Ingo Westermann (Auteur), 2007, Talentförderung und Gesundheit: Versuch einer Betrachtung von Anforderungen, Belastungen, Risiken und Chancen aus salutogenetischer Perspektive , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85332
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