Die zunehmenden Bemühungen um Vereinheitlichung der Studienabschlüsse innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU sind nun wirklich keine Neuigkeit mehr. Welchen Beitrag aber, muss gefragt werden, hat die europäische Soziologie zu einem einigermaßen homogenen akademischen Feld, zu vergleichbaren und gleichwertigen Qualifikationen geleistet? Oder besser, welchen Beitrag kann eine europäische (und hier insbesondere die deutsche) Soziologie auf den ihr gegebenen historischen und institutionellen Grundlagen überhaupt leisten? Ist die Professionalisierung dieser Disziplin ein gesamteuropäisches Problem, wie Lamnek fragt , oder zeigen sich im europäischen Vergleich Unterschiede in Voraussetzungen und aktueller Situation des Fachs?
Die Soziologie in Deutschland soll hierauf in vorliegender Arbeit untersucht werden. Wie keine zweite ist die deutsche Soziologie geprägt durch die Kriege des 20.Jahrhunderts, insbeson-dere des Zweiten Weltkriegs. Die Emigrationswelle und die Rückkehr der Fachvertreter zu Beginn und Ende des NS-Regimes v.a. in/aus den USA sollten die bundesdeutsche Soziologie nachhaltig beeinflussen. In neuerer Zeit zeigte sich das Erbe der Jahre 1933-45 in der Wiedervereinigung des geteilten Landes und somit auch der Soziologie.
Welche Probleme ergeben sich für die Professionalisierung des Fachs durch seine Teilung und Zusammenführung? Kann die Professionalisierung in Deutschland als ähnlich geglückt angesehen werden wie bspw. in den USA? Und wenn nicht, weshalb?
Im Folgenden sollen diese Fragen geklärt werden, und die deutsche Soziologie kontrastiv zur Situation des Fachs in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und den USA gesetzt werden. Als Leitfragen für den internationalen Vergleich sollen, in Anlehnung an Lamnek , folgende Punkte gelten:
- Welche historischen und institutionellen Rahmenbedingungen prägen das Fach, und welches Verständnis von Wissenschaft leitet sich daraus ab?
- Welche Inhalte und Schwerpunkte werden während der Ausbildung abgedeckt und wie werden Lernerfolge kontrolliert?
- Werden die Absolventen auf eine bestimmte Praxis vorbereitet, durch bspw. Kontakt der Universität zu externen Berufsfeldern, und was tut die Universität, um neue Berufsfelder zu erschließen?
Inhalt
I. Vorbemerkung
II. Die Entwicklung der deutschen Soziologie im 20ten Jahrhundert
II.1. Die deutsche Soziologie vor 1945 – Heterogenität und fehlende Akzeptanz
II.2. Die Soziologie der BRD – Wiederaufbau und Schulenbildung
II.3. Die Soziologie in der DDR – Isolation und fehlende Infrastruktur
II.4. Die Soziologie nach der Wiedervereinigung – Abwicklung und neuer Markt
II.5. Fazit
III. Ausgewählte Professionalisierungselemente und -probleme der deutschen Soziologie im internationalen Vergleich
III.1 Die Spaltung der deutschen Soziologie am Beispiel der Berufsverbände DGS und BDS
III.2. Die beruflichen Möglichkeiten und der Dienst der Soziologie an der Gesellschaft
III.3. Professionalisierung durch Erwartungskontrolle?
III.4. Die (professionelle?) Ausbildung der Soziologie
IV. Zukunftschancen der deutschen Soziologie
V. Resümee
VI. Literaturnachweis
I. Vorbemerkung:
Die zunehmenden Bemühungen um Vereinheitlichung der Studienabschlüsse innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU sind nun wirklich keine Neuigkeit mehr. Welchen Beitrag aber, muß gefragt werden, hat die europäische Soziologie zu einem einigermaßen homogenen akademi-schen Feld, zu vergleichbaren und gleichwertigen Qualifikationen geleistet? Oder besser, wel-chen Beitrag kann eine europäische (und hier insbesondere die deutsche) Soziologie auf den ihr gegebenen historischen und institutionellen Grundlagen überhaupt leisten? Ist die Profes-sionalisierung dieser Disziplin ein gesamteuropäisches Problem, wie Lamnek fragt[1], oder zei-gen sich im europäischen Vergleich Unterschiede in Voraussetzungen und aktueller Situation des Fachs?
Die Soziologie in Deutschland soll hierauf in vorliegender Arbeit untersucht werden. Wie kei-ne zweite ist die deutsche Soziologie geprägt durch die Kriege des 20.Jahrhunderts, insbeson-dere des Zweiten Weltkriegs. Die Emigrationswelle und die Rückkehr der Fachvertreter zu Beginn und Ende des NS-Regimes v.a. in/aus den USA sollten die bundesdeutsche Soziologie nachhaltig beeinflussen. In neuerer Zeit zeigte sich das Erbe der Jahre 1933-45 in der Wieder-vereinigung des geteilten Landes und somit auch der Soziologie.
Welche Probleme ergeben sich für die Professionalisierung des Fachs durch seine Teilung und Zusammenführung? Kann die Professionalisierung in Deutschland als ähnlich geglückt angesehen werden wie bspw. in den USA? Und wenn nicht, weshalb?
Im Folgenden sollen diese Fragen geklärt werden, und die deutsche Soziologie kontrastiv zur Situation des Fachs in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und den USA gesetzt werden. Als Leitfragen für den internationalen Vergleich sollen, in Anlehnung an Lamnek[2], folgende Punkte gelten:
- Welche historischen und institutionellen Rahmenbedingungen prägen das Fach, und wel-ches Verständnis von Wissenschaft leitet sich daraus ab?
- Welche Inhalte und Schwerpunkte werden während der Ausbildung abgedeckt und wie werden Lernerfolge kontrolliert?
- Werden die Absolventen auf eine bestimmte Praxis vorbereitet, durch bspw. Kontakt der Universität zu externen Berufsfeldern, und was tut die Universität, um neue Berufsfelder zu erschließen?
Es liegt auf der Hand, daß eine Analyse der Professionalisierung nicht auskommt, ohne einen geschichtlichen Abriß derselben. Die Entwicklung der deutschen Soziologie (also auch der Soziologie in der DDR) soll deshalb kurz in ihren geschichtlichen Abschnitten skizziert wer-den.
II. Die Entwicklung der deutschen Soziologie im 20ten Jahrhundert
II.1. Die deutsche Soziologie vor 1945 – Heterogenität und fehlende Akzeptanz:
Der erste Anlauf zu einer akademischen Verselbstständigung vor dem Ersten Weltkrieg war nicht, wie man annehmen könnte, die Verselbstständigung eines eigenen soziologischen Stu-dienganges, sondern die Einführung der Soziologie im Rahmen anderer Studiengänge. Die Soziologie vor 1914 war also, trotz der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) 1909 und deren Bemühungen um einen eigenen Studiengang, nicht mal als Nebenfach anerkannt[3]. Und auch nach dem Krieg konnte die Institutionalisierung der Soziologie an den Universitäten nicht voran getragen werden, obwohl der Preußische Landtag 1929 die Einrich-tung soziologischer Lehrstühle beschlossen hatte (die Weltwirtschaftskrise und der aufkom-mende Nationalsozialismus machten dies unmöglich[4] ). Zwar war das geistige Klima der Zeit ein anregendes, doch wurden die ohnehin knappen Arbeitskapazitäten in theoretischen Ab-grenzungskämpfen und internen Fachdifferenzen verschlissen[5]. Zudem war der Kreis der Fachvertreter nicht universitär organisiert, die Lehrstühle für Soziologen gering, und der wis-senschaftliche Nachwuchs sah sich einem sehr begrenzten Ausbildungs- und Prüfungsangebot gegenüber. Es verwundert deshalb auch nicht, daß die Soziologie in der Öffentlichkeit kaum
Bezugspunkte hatte und so gesellschaftliche Anerkennung oder Förderung missen mußte[6].
Die geringe Verankerung der noch jungen Disziplin in der Gesellschaft wuchs sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu einer kompletten Lähmung der Soziologie aus. Als „jüdische Wissenschaft“, welche den „Volkskörper zersetzt“, bezeichnet, wurden in der Zeit von 1933-36 nahezu 2/3 aller Lehrstühle von Sozialwissenschaftlern „geräumt“.
Nach der großen Emigrationswelle deutscher Soziologen v.a. in die USA und der Überführung der Disziplin in eine national orientierte Volkslehre[7] sollte es noch bis in die 50er Jahre dauern, bis sich die Wissenschaft von dieser Entwicklung erholt hatte.
II.2. Die Soziologie der BRD – Wiederaufbau und Schulenbildung:
Einige wenige Institutionen, wie Horkheimers Zeitschrift für Sozialforschung, überdauerten die Kriegsjahre (meist im Ausland), andere, wie die Kölner Zeitschrift für Soziologie oder die Soziale Welt, wurden nach Kriegsende neu gegründet. Im Frühjahr 1946 ruft Leopold von Wiese die DGS neu ins Leben, welche bereits im Herbst den 8. Deutschen Soziologentag in Frankfurt a.M. abhält.
Die reorganisierte DGS sah sich nach ´45 einer Fülle sozialer Probleme gegenüber. Dies be-deutete jedoch nicht bloß Druck, sondern war eine besondere Chance, sich als sozial kompe-tente und sozial rationale Wissenschaft in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen und zu eta-blieren. Doch anstelle einer geschlossenen Professionalisierung trat die vermehrte Kontrover-se verschiedener soziologischer Identitäten. René König, der 1949 den Lehrstuhl von Leopold von Wiese übernahm, setzte sich zusammen mit Erwin K. Scheuch für eine strenge Empirie und Methodologie in der Sozialforschung ein und begründete so die in den 50er Jahren do-minierende (von der UNESCO finanziell unterstützte) Kölner Schule. Weitere Schulen sollten die wiedererwachte Soziologie in den Folgejahren prägen; nicht nur durch ihre Universitäts-struktur, sondern auch durch den ungewöhnlich hohen Status und Einfluß einiger weniger Persönlichkeiten: Adorno und Horkheimer (Frankfurt), Schelsky (Münster)[8]. Alle Versuche zur einheitlichen Planung eines Studiengangs waren gescheitert (teilweise sogar innerhalb der einzelnen Schulen). In sich uneins steuerte die Soziologie auf den Tagungen der DGS 1948-54 (trotz oder wegen der Lockerung der restriktiven Mitgliedsbestimmungen), auf denen zu-letzt Fragen der Pädagogik und Entwicklungspsychologie diskutiert wurden, auf ihren „Tief-punkt des Selbstverständnisses“ (Lüschen) zu. Inhaltlich beschäftigte sich die Soziologie der 50er im Zeichen des wirtschaftlichen take-off der BRD v.a. mit Industriesoziologie und Schichtung und Mobilität. Jedoch wandelte sich dies in dem Maße, in dem die „Kohorte der Disziplinmacher“ von ihren Schülern in den 60ern abgelöst wurden.
[...]
[1] Vgl.: Lamnek, S. „Soziologie als Beruf in Europa – Ausbildung und Professionalisierung von Soziologen und Soziologinnen im europäischen Vergleich“, 1993, S.57ff
[2] ebenda, S.58f
[3] Vgl.: Lamnek, S. „Soziologie als Beruf in Europa – Ausbildung und Professionalisierung von Soziologen und Soziologinnen im europäischen Vergleich“, 1993, S.13
[4] Vgl.: Lüschen, G. „25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie – Institutionalisierung und Theorie“ in: Schaefers, B. „Soziologie in Deutschland“, Opladen 1995
[5] Eine ausführliche Behandlung der vor 1933 meistbehandelten Themen und Autoren findet sich bei Käsler, D. „Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungsmilieus“, Studien zur Sozialwissenschaft Bd.58, Opladen 1984. Zu nennen sind hierbei vor allem Max Weber, Karl Marx und Werner Sombart
[6] Vgl.: Lamnek, S. „Soziologie als Beruf in Europa – Ausbildung und Professionalisierung von Soziologen und Soziologinnen im europäischen Vergleich“, 1993, S.14
[7] Vgl.: Lüschen, G. „25 Jahre deutscher Nachkriegssoziologie – Institutionalisierung und Theorie“ in: Schaefers, B. „Soziologie in Deutschland“, Opladen 1995, S.12: Viele der emigrierten Sozialwissenschaflern, wie etwa Kurt Lewin, Reinhard Bendix oder Götz Briefs sollten auch nach dem Krieg nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, was für die Soziologie der frühen 50er einen schweren Verlust bedeutete.
[8] Ebenda, S.19ff, zusätzlich zu erwähnen sind noch Stammer (Berlin) und Plessner (Göttingen), welche jedoch keine eigene Schule begründeten oder einer der drei restlichen Schulen eindeutig zuzuordnen wären.
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- Magister Artium Markus Weber (Autor), 2002, Die Professionalisierung der deutschen Soziologie im internationalen Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85325