In den letzten Jahren zeichnet sich in Deutschland ein deutlicher Trend zur Enthospitalisierung psychisch kranker Menschen im Bereich der klinischen Psychiatrie ab. So stiegen die Zahlen der aus dem Krankenhaus entlassenen vollstationär bhandelten Patienten zwischen 1994 und 1997 um 7.3% (vgl. StAB, ICD-3, 94-97). Im gleichen Zeitraum wurde die Anzahl der Betten in Krankenhäusern mit ausschließlich psychiatrischen Belegplätzen um 18.4% reduziert und 16 der ursprünglich 216 Kliniken gar ganz geschlossen (vgl. StAB, 12, 6.1, 93-97).
An die Stelle der vollstationären Behandlung tritt mehr und mehr das Konzept der „gemeindenahen Betreuung“ psychisch Kranker. Bei dieser Betreuungsform wird dem Kranken im Rahmen einer ambulanten Therapie das Verbleiben in seinem all-täglichem sozialem Umfeld ermöglicht. Eine Behandlung bringt so nicht mehr zwangsläufig eine Entfremdung des Kranken von der Gesellschaft und mühsame Wiedereingliederung mit sich.
Diese begrüßenswerte Entwicklung, psychisch Kranke nicht länger nur wegzuschließen, stößt jedoch immer wieder auf große Ablehnung in der Bevölkerung.
Obwohl psychische Erkrankungen zu den häufigsten Leiden in Deutschland zählen, ist das Thema noch immer tabuisiert und von Vorurteilen behaftet. Gängige Redewendungen, wie „in der Klappse“ oder „gestört sein“, sowie das Klischee des un-
berechenbaren und gefährlichen Geisteskranken bezeichnen die vorherrschende Distanz „gesunder“ Menschen zu psychisch Kranken.
1. Einleitung
In den letzten Jahren zeichnet sich in Deutschland ein deutlicher Trend zur Ent-hospitalisierung psychisch kranker Men-schen im Bereich der klinischen Psychia-trie ab. So stiegen die Zahlen der aus dem Krankenhaus entlassenen vollstationär be-handelten Patienten zwischen 1994 und 1997 um 7.3% (vgl. StAB, ICD-3, 94-97). Im gleichen Zeitraum wurde die Anzahl der Betten in Krankenhäusern mit aus-schließlich psychiatrischen Belegplätzen um 18.4% reduziert und 16 der ursprüng-lich 216 Kliniken gar ganz geschlossen (vgl. StAB, 12, 6.1, 93-97).
An die Stelle der vollstationären Behand-lung tritt mehr und mehr das Konzept der „gemeindenahen Betreuung“ psychisch Kranker. Bei dieser Betreuungsform wird dem Kranken im Rahmen einer ambulan-ten Therapie das Verbleiben in seinem all-täglichem sozialem Umfeld ermöglicht. Eine Behandlung bringt so nicht mehr zwangsläufig eine Entfremdung des Kran-ken von der Gesellschaft und mühsame Wiedereingliederung mit sich.
Diese begrüßenswerte Entwicklung, psy-chisch Kranke nicht länger nur wegzu-schließen, stößt jedoch immer wieder auf große Ablehnung in der Bevölkerung.
Obwohl psychische Erkrankungen zu den häufigsten Leiden in Deutschland zählen, ist das Thema noch immer tabuisiert und von Vorurteilen behaftet. Gängige Rede-wendungen, wie „in der Klappse“ oder „gestört sein“, sowie das Klischee des un- berechenbaren und gefährlichen Geis-teskranken bezeichnen die vorherrschende Distanz „gesunder“ Menschen zu psy-chisch Kranken.
Blasius spricht hier von der „Kontinuität eines gestörten Verhältnisses der Gesell-schaft zum Bereich der psychischen Krankheiten“ (Blasius 1980, S.172).
Diese Kluft gilt es im Zuge der Enthospi- talisierung zu überwinden. Einen ent- scheidenden Beitrag hierzu würde die Verbesserung des geringen Informations-standes der Bevölkerung leisten. So halten beispielsweise annähernd ein Drittel der Deutschen fälschlicherweise Willens-schwäche und einen ausschweifenden Le-bensstil für typische Ursachen einer psy-chischen Erkrankung, und 40% glauben sogar, daß ein Großteil der gemeldeten Sexualdelikte von psychisch Kranken be-gangen wird. Diese Vorstellungen wider- sprechen eklatant den kriminalstatisti-schen Fakten (vgl. Angermeyer 1991, S. 39ff).
Ausgehend von diesem Aufklärungsdefizit scheint es nicht verwunderlich, daß die Einstellung der Bevölkerung weitgehend durch Unsicherheit, Ablehnung und Angst bestimmt wird.
In folgender Studie soll nun sowohl die oben beschriebene soziale Distanz ge-genüber psychisch kranken Menschen, als auch der Aufklärungsmangel seitens der „Gesunden“ belegt werden.
2. Methoden
Im Zeitraum vom 20. Oktober bis zum 23. Oktober 1999 führten wir zum Thema „Psychisch kranke Menschen“ eine halb-standardisierte, schriftliche Befragung in Zügen der „Deutschen Bahn“ auf der Fahrtstrecke zwischen Köln und Bonn durch. Befragt wurden 118 Personen im Alter zwischen 16 und 83 Jahren. Elf der bearbeiteten Fragebögen mußten als un-gültig eingestuft werden, so daß 107 Fragebögen tatsächlich ausgewertet wer-den konnten. Zur Ermittlung quantitativer Daten wählten wir die einmalige Einzel-befragung, da sie als Instrument der Ein-stellungsmessung eine kostengünstige und wenig zeitaufwendige Erhebungsmethode darstellt. Diese Befragung führten wir schriftlich durch, um etwaige Interviewer-effekte, die bei einer mündlichen Befra-gung hätten auftreten können, auszu-schließen. Gerade bei einem so heiklen Gebiet, wie der Einstellungsmessung schien uns dies angemessen.
Bei unserer Befragung wurde den Teil- nehmern der psychisch Kranke als Mensch erläutert, der „an einer seelischen, nervlichen oder geistigen Störung leidet“. Diese Definition wurde bewußt möglichst offen gehalten. Da wir an sozialen Vorur-teilen und Einstellungen interessiert waren, hielten wir es für vorteilhaft beim Befragten eine eigenständige Definition zu provozieren.
In unserer Studie gehen wir deshalb von psychisch Kranken als Personen aus, „die in einem gegebenen Zusammenhang von den Beteiligten dafür gehalten werden und mit denen die Umwelt wie mit einem psychisch Kranken umgeht“ (Wieser 1973, S.13).
Auf der Grundlage dieser Begrifflichkei-ten ließen wir die Befragungsteilnehmer positive und negative Attribute als typisch für psychisch kranke Menschen bestä-tigen bzw. ablehnen. Die Befragten konn-ten hierbei zwischen den Antwortalterna-tiven „stimme eher zu“, „lehne eher ab“ und „weiß nicht“ wählen. Auf die gleiche Weise ermittelten wir Einstellungen der Befragten, die uns Aufschlüsse über eine soziale Distanz gegenüber psychisch Kranken geben sollten.
Um unsere Hypothese der mangelnden Aufklärung in der Bevölkerung zu unter- stützen, sollten die Befragten bei einer ge-schlossenen Fragestellung zweier von uns vorgegebenen Personenbeschreibungen Krankheitsbilder zuordnen (Personenbe-schreibungen in Anlehnung an Dilling/ Weyerer/ Castell 1984, S.196ff). Außer- dem wollten wir den Befragungsteil-nehmern die Möglichkeit geben, eine Selbsteinschätzung ihres Wissensstandes in Bezug auf psychisch Kranke vorzuneh-men. Dabei interessierten uns unter ande-rem die von den Befragten genutzten In- formationsquellen. Aufgrund der Allge-genwärtigkeit und der leichten Verfügbar-keit der Medien, gingen wir davon aus, daß die Medien die wichtigste Informa-tionsquelle darstellen.
Diese Annahme führte uns zu unserer zweiten Erhebungsmethode, der Medien-analyse.
Die Medienanalyse sollte die quantitativen Daten der schriftlichen Befragung qualita-tiv und quantitativ ergänzen und unter-mauern. Von diesem Meßverfahren er-hofften wir uns, aufgrund seiner Non-reaktivität weitere aussagekräftige Daten. Im Verlauf unserer Untersuchung werte-ten wir drei regionale und überregionale Tageszeitungen, sowie eine überregiona-le Monatszeitung („Die Zeit“) im Zeitraum von einem Monat inhaltsana-lytisch aus. Hierbei wählten wir alle Beiträge aus, welche sich mit psychischen Krankheiten und/ oder psychisch kranken Menschen befaßten (vgl.Tab.2.1 und Tab.2.2). Unberücksichtigt von uns blie-ben Beiträge zu Suchtkrankheiten und Suchtkranken.
Tab.2.1: Anzahl der ausgewerteten Zei-tungen vom 08.10.99 bis 07.11.99
Bild, Kölner Ausgabe 28 36%
Süddeutsche Zeitung 23 29% Kölner Stadt-Anzeiger 24 30%
Die Zeit 4 5%
Gesamt 79 100 %
Tab.2.2: Anzahl der Artikel über psy-chische Kranke/ psychische Krankheiten in den ausgewerteten Zeitungen
Bild, Kölner Ausgabe 23 47% Süddeutsche Zeitung 15 31% Kölner Stadt-Anzeiger 8 16%
Die Zeit 3 6%
Gesamt 49 100 %
Unter dem Begriff „Medien“ verstehen wir demnach bei der inhaltsanalytischen Untersuchung ausschließlich Zeitungen. Wohingegen die Befragung keine genaue Differenzierung des Begriffes vornimmt.
Bei der Analyse teilten wir die Artikel nach ihrem Inhalt ein in die Kategorien:
1. Schweres Gewaltdelikt
2. Geringfügiges Delikt
3. Selbstmord/ Selbstmordversuch
4. Krankheitsgeschichte/ Biographie
5. Gesundheitliche Aufklärung
Wir gingen davon aus, daß diese Katego-rien uns Einblicke in das in den Medien vorherrschende Meinungsklima gewähren. Überprüft werden sollte nun, ob sich das von uns erfaßte Meinungsklima der Me-dien in den ermittelten Einstellungen der Bevölkerung wiederfindet. Hierbei beru-fen wir uns auf das Medienwirkungsmo-dell der Schweigespirale (s.Abb.2.1), wo-nach es einen korrelativen Zusammenhang zwischen der Einstellung der Rezipienten und ihrer Einschätzung des medienvermit-telten Meinungsklimas gibt (vgl. Scherer 1990, S.66ff ).
Ferner sollte untersucht werden, inwieweit die Medienberichterstattung als sachlich bzw. unsachlich einzustufen ist. Für diese Einstufung bedienten wir uns der Symbol-analyse, welche wir sowohl an den Arti-kelüberschriften, als auch an der Wort-wahl der Artikel selbst vornahmen.
Abb.2.1: Das Medienwirkungsmodell der Schweigespirale nach Helmut Scherer
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Der Aufklärungsstand der Be-völkerung
Unserer Untersuchung liegt unter anderem die bereits oben angesprochene Vermut-ung zugrunde, daß in der Bevölkerung ein erkennbares Defizit an Informationen über psychisch Kranke und psychische Krank-heiten vorherrscht. Dieses Defizit soll im Folgendem als Aufklärungsmangel be-zeichnet werden, worunter wir einen lückenhaften, verzerrten oder sogar fal-schen Informationsstatus verstehen.
Die von uns erhobenen Befunde bestäti-gen diese Vermutung jedoch nicht.
So geben in einer Selbsteinschätzung ihres Wissensstandes bezüglich psychisch Kranker 41% der Befragten an, daß sie ihr Wissen für ausreichend halten und 17% halten ihr Wissen sogar für gut. Wenn-gleich diese subjektive Einschätzung nicht mit der tatsächlichen Lage der Aufklärung verwechselt werden darf, so zeigt sie den-noch die (zumindest angebliche) Bereit-schaft des geringfügig größeren Teiles der Bevölkerung, sich mit dem Themenkom-plex der psychischen Krankheiten ausei-nanderzusetzen. Diese Bereitschaft findet ihre Entsprechung darin, daß 36% der Befragten angaben, sich für psychisch Kranke zu interessieren, wohingegen 31% dem nicht zustimmten.
Es läßt sich bereits jetzt ausmachen, daß der Teil der Bevölkerung, welchen wir als mangelhaft aufgeklärt bezeichnen, entge-gen unserer Annahme kleiner zu sein scheint, als der Teil der aufgeklärten Men-schen.
Auch die Berichterstattung durch die Mas-senmedien weisen ein Bild auf, daß sich zu nahezu gleich großen Teilen in aufklär-ende und in nicht-aufklärende Artikel ein-teilen läßt (vgl. Abb.3.1). So berichten zwar 43% der Artikel über Straffälligkei-ten psychisch Erkrankter und hierbei zum Großteil über schwere Gewaltdelikte (31%), dennoch muß festgehalten werden, daß sich ein ebenso großer Teil der Be-richtertattung, nämlich 47%, mit gesund-heitlicher Aufklärung und biographischen Hintergrundinformationen zu psychisch kranken Menschen befaßt.
[...]
- Citar trabajo
- M.A. Tanja Witzel (Autor), Markus Weber (Autor), 2001, Psychisch kranke Menschen: Krankheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85324
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