Miguel de Cervantes` virtuoser Roman „Don Quijote de la Mancha“ begeisterte seit seinem Erscheinen über die Epochen hinweg seine Leser und gilt heute mithin als einer der „Lieblingstexte des Abendlandes“ und sogar als „das nach der Bibel am meisten übersetzte Buch.“ Der Kreis der deutschen Rezipienten erweiterte sich vor allem in der Romantik mit der Übersetzung durch Ludwig Tieck, zu der sich der bedeutende deutsche Romantiker Friedrich Schlegel zwar gewohnt kritisch äußert, Cervantes selbst jedoch als einen Dichter rühmt, „der (…) im ersten Teil des DON QUIXOTE die ganze Blumenfülle seiner frischen Poesie aus des Witzes buntem Füllhorn in einem Augenblicke fröhlicher Verschwendung mit einemmale ausgeschüttet zu haben scheint“. Schlegel, als einer der Begründer der Literaturgeschichte und Verfasser von begriffsprägenden romantischen Poetiken, vereinnahmt Cervantes sodann auch für die Romantik, indem er ihn als jemanden lobt, der neben dem Quijote „doch auch noch andere ganz ehr- und achtbare Werke erfunden und gebildet hat, die dereinst wohl ihre Stelle im Allerheiligsten der romantischen Kunst finden werden.“
Wenngleich damit wohl noch keine endgültige literarhistorische Verortung vorgenommen werden sollte, so illustriert Schlegels Satz doch immerhin eine Problematik, vor der auch die heutige Forschung steht. Das ungebrochen immense Interesse am Quijote, das sich überdeutlich an der schier unüberblickbaren Forschungsliteratur zeigt, gilt häufig eben genau der Frage nach der Einordnung in die Literaturepochen. Dies fällt umso schwerer insofern, als nicht nur allein historisch das Jahr der Ersterscheinung mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zwischen ausgehender Renaissance und beginnendem Barock steht, sondern auch der Roman selbst sowohl Stilelemente der einen als auch der anderen Epoche in sich vereint.
In dieser Arbeit sollen nun anhand verschiedener Textstellen aus dem Don Quijote einige rinascimentale und barocke Merkmale herausgearbeitet werden. Dies geschieht vor allem auf der Grundlage der umfassenden Forschungsleistungen von C. Strosetzki, W. Matzat, H. Bihler und H.-J. Neuschäfer.
Inhalt
1. Einleitung
2. Rinascimentale Elemente im Quijote
2.1. Allgemeine Charakteristika
2.2. Die Selbstkonstitution im ersten Kapitel
3. Barocke Elemente im Quijote
3.1. Allgemeine Charakteristika
3.2. Die baciyelmo-Episode
4. Fazit
5. Literatur
Primärliteratur
Sekundärliteratur
1. Einleitung
Miguel de Cervantes` virtuoser Roman „Don Quijote de la Mancha“ begeisterte seit seinem Erscheinen über die Epochen hinweg seine Leser und gilt heute mithin als einer der „Lieblingstexte des Abendlandes“[1] und sogar als „das nach der Bibel am meisten übersetzte Buch.“[2] Der Kreis der deutschen Rezipienten erweiterte sich vor allem in der Romantik mit der Übersetzung durch Ludwig Tieck, zu der sich der bedeutende deutsche Romantiker Friedrich Schlegel zwar gewohnt kritisch äußert, Cervantes selbst jedoch als einen Dichter rühmt, „der (…) im ersten Teil des DON QUIXOTE die ganze Blumenfülle seiner frischen Poesie aus des Witzes buntem Füllhorn in einem Augenblicke fröhlicher Verschwendung mit einemmale ausgeschüttet zu haben scheint“.[3] Schlegel, als einer der Begründer der Literaturgeschichte und Verfasser von begriffsprägenden romantischen Poetiken, vereinnahmt Cervantes sodann auch für die Romantik, indem er ihn als jemanden lobt, der neben dem Quijote „doch auch noch andere ganz ehr- und achtbare Werke erfunden und gebildet hat, die dereinst wohl ihre Stelle im Allerheiligsten der romantischen Kunst finden werden.“[4]
Wenngleich damit wohl noch keine endgültige literarhistorische Verortung vorgenommen werden sollte, so illustriert Schlegels Satz doch immerhin eine Problematik, vor der auch die heutige Forschung steht. Das ungebrochen immense Interesse am Quijote, das sich überdeutlich an der schier unüberblickbaren Forschungsliteratur zeigt, gilt häufig eben genau der Frage nach der Einordnung in die Literaturepochen. Dies fällt umso schwerer insofern, als nicht nur allein historisch das Jahr der Ersterscheinung mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zwischen ausgehender Renaissance und beginnendem Barock steht, sondern auch der Roman selbst sowohl Stilelemente der einen als auch der anderen Epoche in sich vereint.
In dieser Arbeit sollen nun anhand verschiedener Textstellen aus dem Don Quijote einige rinascimentale und barocke Merkmale herausgearbeitet werden. Dies geschieht vor allem auf der Grundlage der umfassenden Forschungsleistungen von C. Strosetzki[5], W. Matzat[6], H. Bihler[7] und H.-J. Neuschäfer[8].
2. Rinascimentale Elemente im Quijote
2.1. Allgemeine Charakteristika
Bevor im einzelnen Textstellen auf rinascimentale Elemente hin genau untersucht werden sollen, gilt für den Quijote allgemein hervorzuheben, dass sich bereits einige seiner grundlegenden Charakteristika der Renaissance und dem Humanismus zuordnen lassen. So seien laut Strosetzki bereits per se die Genres der „Parodie und Satire bei den Humanisten besonders beliebt“[9] gewesen. Hierzu führt er unter anderem Erasmus` Moriae Encomium an, die von einem armen Mann handelt, der sich für Krösus hält. Laut Strosetzki kann Erasmus` Werken durchaus Vorbildcharakter für Cervantes` Don Quijote beigemessen werden, da sie die Meinung hinterließen, „daß die Torheit einen Wert haben kann“[10] und „daß für die Torheit die eigene Vorstellungswelt eine größere Rolle spielt als die Sinneswahrnehmung in der Außenwelt.“[11] Für die Parodie oder Satire gilt das gleiche wie für die im Don Quijote häufig dominierende Struktur der Karnevalisierung, die laut Matztat „auf eine zumindest momentane Infragestellung der offiziellen Kultur“ abziele.[12] Unter Bezugnahme auf Michael Bachtin bezeichnet er die Renaissance als „Zentralepoche der karnevalisierten Literatur“[13], dessen Verfahren die historische Funktion innewohne, „die Befreiung aus dem mittelalterlichen Korsett zu inszenieren.“[14]
Strosetzki führt weiterhin an, dass es in der Renaissance üblich gewesen sei, die einem humanistisch gebildeten Publikum bekannten antiken Epen zu parodieren.[15] Ein solches Publikum habe Cervantes für seine Parodie der Ritterromane hingegen nicht benötigt, da diese in allen Bevölkerungsschichten gelesen worden seien.[16] Bihler weist darauf hin, dass die Entstehung des Quijote gar „wesentlich mit der literarischen Wirklichkeit der Besessenheit vieler spanischer Leser von den Ritterromanen und deren scharfer Verurteilung durch die Humanisten“ zusammenhänge.[17] Im Quijote wird also deutlich das „bloße Bücherwissen“[18] kritisiert, was Strosetzki zu folge durchaus „im Sinne der spanischen Humanisten“[19] gewesen sei. Die Anwendung des Gelesenen auf das eigene Leben sei hingegen „ein konstantes Postulat der Humanisten des 16. Jahrhunderts“[20] gewesen, durch Wiederbelebung antiker Bildung wurde die höchste Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit als Ideal erstrebt.[21] So werde im Don Qujote auf die humanistische Idee zurückgegriffen, dass die Lektüre der ruhmreichen Taten zum Beispiel Caesars, Scipios oder Hannibals den Wunsch hervorrufe, „ihnen nachzueifern und wie sie ewigen Ruhm zu erlangen.“[22] Dieses Konzept findet sich im Quijote besonders deutlich, wenn er, was im Nachfolgenden eingehend erläutert wird, seiner Selbstkonstitution als fahrender Ritter das Streben nach unsterblichem Ruhm zugrunde legt.
Die besondere Komik des Quijote erwächst nun daraus, dass er das durchaus rinascimentale Streben nach Bildung eben nicht auf das Fundament der antiken Literatur stellt, sondern sich stattdessen an den trivialen Klischees der Ritterromane orientiert. Don Quijote ist also hier sogar eine Kritik an der rückwärtsgewandten Ausrichtung des Humanismus. Strosetzki schreibt ihm in diesem Zusammenhang gar „eine gewisse antihumanistische Dimension“ zu.[23]
Ein weiteres Merkmal der Renaissance des Quijote ist die Tatsache, dass der Roman in der Volkssprache und nicht, wie noch im Mittelalter üblich, in Latein verfasst wurde, eine bereits im Hochmittelalter bei Dante und Boccaccio, die als Vorläufer des Humanismus gelten, wurzelnde Entwicklung, der wir auch in Spanien das Herausbilden der Volkssprache als Schriftsprache zu verdanken haben.
2.2. Die Selbstkonstitution im ersten Kapitel
Der Begriff der Renaissance ist im Sinne der europäischen Kulturepoche zwischen Mittelalter und Neuzeit geprägt durch das Streben nach geistiger Erneuerung und meint dem Wortsinne nach die Wiedergeburt des diesseitigen Menschen. Als abendländische Erneuerungsbewegung steht die Renaissance für die Überwindung des mittelalterlichen theozentrischen Weltbildes, an dessen Stelle ein individualistisches Persönlichkeitsideal gesetzt wird.[24]
Wenn Don Quijote sich im ersten Kapitel also selbst neu erfindet, so liegt der Schluss nahe, dieses Verfahren der Selbstkonstitution als rinascimental anzusehen. Doch vielmehr als das, ist es eine Parodie des humanistischen Bildungsanspruches: Statt der in der Renaissance als nachahmenswert empfundenen antiken Literatur greift Don Quijote zu den vom Humanismus stark kritisierten Ritterromanen und richtet sein Leben konsequent nach deren Vorbild aus. Dementsprechend fasst er den Plan, zu einem fahrenden Ritter zu werden und ewigen Ruhm zu erlangen:
„(...) le pareció convenible y necesario (…) hacerse caballero andante y irse por todo el mundo con sus armas y caballo a buscar las aventuras y a ejercitarse en todo aquello que él había leído que los caballeros andantes se ejercitaban, deshaciendo todo género de agravio y poniéndose en ocasiones y peligros donde, acabándolos, cobrase eterno nombre y fama.“[25]
An dieser Stelle wird das Streben nach Ruhm als grundlegende Motivation des Quijote deutlich, ein Konzept, das wie bereits erwähnt durchaus als humanistisch bezeichnet werden kann. Wenngleich es im Humanismus galt, die Taten antiker Figuren nachzuahmen, so ist die Motivation doch die gleiche. Schließlich sollte ebenfalls die Aussicht auf ewigen Ruhm dem humanistischen Leser Ansporn sein, Caesar oder Alexander dem Großen nachzueifern. Das Streben nach individuellem Ruhm an sich kann allein bereits als rinascimentales Konzept gelten, ein Konzept, das als die fama -Idee, gar fama -Besessenheit des Helden den ganzen Roman durchzieht.[26]
[...]
[1] J. Gómez-Montero, „Der Leser Don Quijote in Text und Bild“, in: ders./Martín, I./Trujillo, J. (Hg.), Don Quijote Ilustrado. Don Quijote als Leser und die spanische Renaissance, Madrid/Kiel 2004, 41.
[2] H. Bihler, „Miguel de Cervantes Saavedra, El Ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha”, in: V. Roloff/ H. Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Der spanische Roman. Vom Mittelalter zur Gegenwart, Düsseldorf 1986, 82-108.
[3] F. Schlegel, „Über Tiecks Don Quixote“, in: ders. , Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801), Hg. und eingeleitet von Hans Eichner, München 1967, 282.
[4] Ebd.
[5] Ch. Strosetzki, Miguel de Cervantes. Epoche-Leben-Wirkung, München 1991.
[6] W. Matzat, , „Die Welt des Don Quijote: Wirklichkeitskonstruktion und romanhistorischer Ort“, in: Ch. Strosetzki (Hg.), Miguel de Cervantes` ‚Don Quijote`. Explizite und implizite Diskurse im Don Quijote, Berlin 2005, 177-193. Ebenso: W. Matzat, „Frühneuzeitliche Subjektivität und das literarische Imaginäre. Vom Schäferroman zum Don Quijote“, in: ders./B. Teuber (Hg.), Welterfahrung-Selbsterfahrung: Konstitution und Verhandlung von Subjektivität in der spanischen Literatur der frühen Neuzeit, Tübingen 2000, 345-361.
[7] H. Bihler,, „Miguel de Cervantes Saavedra, El Ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha”, in: V. Roloff/ H. Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Der spanische Roman. Vom Mittelalter zur Gegenwart, Düsseldorf 1986, 82-108.
[8] H-J. Neuschäfer, „Boccaccio, Cervantes und der Diskurs der Utopie“ in: Ch. Strosetzki (Hg.), Miguel de Cervantes´ Don Quijote. Explizite und implizite Diskurse im Don Quijote, Berlin 2005, 149-160.
[9] Ch. Strosetzki, Miguel de Cervantes. Epoche-Leben-Wirkung, München 1991, 170.
[10] Ebd.
[11] Ebd.
[12] W. Matzat, „Die Welt des Don Quijote: Wirklichkeitskonstruktion und romanhistorischer Ort“, in: Ch. Strosetzki (Hg.), Miguel de Cervantes`,Don Quijote’. Explizite und implizite Diskurse im Don Qujote, Berlin 2005, 188. Unter Bezugnahme auf: Michal M. Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt am Main 1995.
[13] Ebd.
[14] Ebd. Matzat weist jedoch an gleicher Stelle darauf hin, dass dies nicht in gleicher Weise für den Don Quijote gelten kann wie für Rabelais, der Bachtins Beispiel ist, da er vielmehr durch die vom Skeptizismus der Spätphase der Renaissance geprägt sei.
[15] Ebd. Als Beispiel nennt er die „in der Renaissance sehr bekannten Batracomiomaquia, in der (…) als Parodie der Ilias die Schlacht zwischen Mäusen und Fröschen erzählt wird.“
[16] Ebd.
[17] H. Bihler, „Miguel de Cervantes Saavedra, El Ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha”, in: V. Roloff/ H. Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Der spanische Roman. Vom Mittelalter zur Gegenwart, Düsseldorf 1986, 88.
[18] Ch. Strosetzki, Miguel de Cervantes. Epoche-Leben-Wirkung, München 1991, 169
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Siehe auch: G. von Wilpert, „Humanismus“, in: ders., Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 71989, 391.
[22] Ebd.
[23] Ebd, 172.
[24] G. von Wilpert, „Renaissance“, in: ders., Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 71989, 763.
[25] Cervantes Saavedra, Miguel de, Don Quijote de la Mancha, Bd. 1, hg. Von F. Rico, Barcelona 1998, 31.
[26] H. Bihler, „Miguel de Cervantes Saavedra, El Ingenioso Hidalgo Don Quijote de la Mancha”, in: V. Roloff/ H. Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Der spanische Roman. Vom Mittelalter zur Gegenwart, Düsseldorf 1986, 92.
- Citation du texte
- Julian Philipp Schlüter (Auteur), 2006, Don Quijote zwischen Renaissance und Barock, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85252
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