Wenn Hans ein Treffen mit Tina per Nachricht auf Tinas Anrufbeantworter absagt, den Tina jedoch nicht mehr vor dem verabredeten Zeitpunkt abhört, fällt es leicht vorherzusagen, dass Tina dennoch am vereinbarten Treffpunkt erscheint.
In dieser Arbeit soll die Frage geklärt werden, ab wann auch Kinder in der Lage sind, diese Vorhersage zu machen und ihre mentalistische Theorie für Erklärungen und Täuschungen zu nutzen.
Dazu soll zunächst der Begriff der Theory of mind näher bestimmt werden und die von LEE & HOMER formulierten Grundannahmen für den Nachweis einer Theory of mind (Existenz-, Komponenten- und Kausalannahme) erläutert werden. Nach der Benennung der Forschungsbereiche soll dargestellt werden, in welchen Altersfeldern Kinder welche zentralen Entwicklungsschritte hin zu einer eigenen Theory of mind machen.
Auf das wichtige Grundkonzept der Lüge und Täuschung soll im Punkt 3 dieser Arbeit noch mal besonders eingegangen werden, da es die theoretische Basis für die unter 4. vorgestellte empirische Studie „Ruse and representations: On children´s ability to conceal information“ von Joan PESKIN aus dem Jahr 1992 bildet. Abschließend soll die von PESKIN vorgelegte Analyse ihrer Daten kurz anhand der bisherigen theoretischen Kenntnisse diskutiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung Theory of mind
2.1. Grundsätzliche Annahmen nach Lee & Homer
2.1.1. Existenz-Annahme
2.1.2. Komponenten-Annahme
2.1.3. Kausalitäts-Annahme
2.2. Bereiche der Theory of mind-Forschung
2.2.1. Wünsche
2.2.2. Überzeugungen
2.2.3. Lüge und Täuschung
2.2.4. Wahrnehmung
2.2.5. Wissen
2.3. Altersfelder und zugehörige Entwicklungsschritte
2.3.1. Anfänge im 1. bis 3. Lebensjahr
2.3.2. Wunsch- und Überzeugungspsychologen (3 bis 4 Jahre)
2.3.3. weitere Entwicklung
3. Lüge und Täuschung als Grundlage der empirischen Überprüfung
4. Empirische Überprüfung durch J. Peskin (1992)
4.1. Ziel der Studie
4.2. Design
4.2.1. Stichprobe
4.2.2. Material
4.2.3. Ablauf
4.2.4. Wertung
4.3. Ergebnisse
4.4. Interpretation
5. Resumé
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wenn Hans ein Treffen mit Tina per Nachricht auf Tinas Anrufbeantworter absagt, den Tina jedoch nicht mehr vor dem verabredeten Zeitpunkt abhört, fällt es leicht vorherzusagen, dass Tina dennoch am vereinbarten Treffpunkt erscheint.
In dieser Arbeit soll die Frage geklärt werden, ab wann auch Kinder in der Lage sind, diese Vorhersage zu machen und ihre mentalistische Theorie für Erklärungen und Täuschungen zu nutzen.
Dazu soll zunächst der Begriff der Theory of mind näher bestimmt werden und die von LEE & HOMER formulierten Grundannahmen für den Nachweis einer Theory of mind (Existenz-, Komponenten- und Kausalannahme) erläutert werden. Nach der Benennung der Forschungsbereiche soll dargestellt werden, in welchen Altersfeldern Kinder welche zentralen Entwicklungsschritte hin zu einer eigenen Theory of mind machen.
Auf das wichtige Grundkonzept der Lüge und Täuschung soll im Punkt 3 dieser Arbeit noch mal besonders eingegangen werden, da es die theoretische Basis für die unter 4. vorgestellte empirische Studie „Ruse and representations: On children´s ability to conceal information“ von Joan PESKIN aus dem Jahr 1992 bildet. Abschließend soll die von PESKIN vorgelegte Analyse ihrer Daten kurz anhand der bisherigen theoretischen Kenntnisse diskutiert werden.
2. Begriffsbestimmung „Theory of mind“
Die Theory of mind beschreibt das Verständnis von mentalen Zuständen eines Menschen. Wörtlich ins Deutsche übersetzt bedeutet sie die „Theorie über das Denken“ und beschreibt die Fähigkeit eines Menschen die physikalische von der mentalen Welt zu unterscheiden. Diese Fähigkeit ist jedoch nicht (vollständig) angeboren, sondern wird im Laufe der Kindheit entwickelt und immer mehr erweitert.
Als Teenager und Erwachsene ziehen wir dann zur Interpretation von Verhalten intuitiv nicht nur körperliche Empfindungen (z.B. Hunger oder Müdigkeit) heran, sondern schreiben unseren Mitmenschen mit Hilfe unserer Theory of mind mentale Zustände wie Wünsche, Motive oder Überzeugungen zu. Diese Zuschreibungen erfolgen automatisch und ohne bewusstes Nachdenken oder gar spezielles Training. Sie sind im wesentlichen intersubjektiv gültig bei allen Mitgliedern einer sozialen Gruppe. Da ihr Einsatz in der Regel nicht explizit sondern intuitiv erfolgt, kann man hier auch von einer Alltagspsychologie sprechen, d.h. von einer naiven psychologischem Theorie darüber, wie das Denken und die Vorstellungen von Menschen funktionieren.
Wie im einleitenden Beispiel können mit diesem Wissen aber Handlungen nicht nur erklärt werden, sondern auch anhand von Informationen über das Denken vorhergesagt werden. Dass Tina sich trotz der Absage zum vereinbarten Treffpunkt begibt, erscheint klar.
Diese zunächst trivial anmutenden Zuschreibungen von mentalen Zuständen bilden einen grundlegenden Baustein für die komplexeren Interpretationen des Verhaltens unserer Mitmenschen, die wir tagtäglich vornehmen. Für den Menschen als soziales Wesen stellen diese Interpretationen wiederum die Basis für eine gelungene Interaktion dar.
Die Theory of mind umfasst dabei nicht nur das Wissen zur Verhaltenserklärung, sondern ihr Erlangen wirkt sich auch auf andere kognitive Bereiche aus, wie z.B. die Interpretation von eigenen Wahrnehmungen und der Perspektivübernahme (wie sieht etwas aus der Perspektive des anderen aus?), der Wissenserlangung und des Wissens über das Wissen anderer.
Auch für die soziale Interaktion ergeben sich mit dem Wissen über mentale Zustände mehr Möglichkeiten, z.B. die der Täuschung oder des Helfens. Für beide ist ein Wissen über die Wünsche und Überzeugungen des anderen nötig.
2.1 Grundsätzliche Annahmen nach Lee & Homer
Die Frage, wann und inwiefern Kinder über eine solche Theorie über die mentalen Zustände von Menschen verfügen, hat in den vergangenen Jahren viele Forscher beschäftigt. Mit verschiedenen Aufgabentypen wurde versucht die von LEE & HOMER wie folgt formulierte Kernfrage zu lösen: „ Do young children understand that a person has a mind?“
Welche Voraussetzungen nach LEE & HOMER vorliegen müssen, damit man von einer Theory of mind sprechen kann, soll im folgenden kurz erläutert werden. Dabei liegt jeweils der nachfolgenden Annahme ein Verständnis der vorhergehenden Annahme zu Grunde.
2.1.1. Existenz-Annahme
Zunächst basiert die Theory of mind auf der Annahme, dass eine mentale Welt besteht, auch wenn das Denken nicht direkt sichtbar ist.
Die Differenzierung von der physikalischen Welt wurde von PIAGET erst mit Erreichen der konkret operationalen Stufe, d.h. mit etwa 7 Jahren erwartet. Doch bereits das Symbolspiel, das schon im 2. Lebensjahr zu beobachten ist, widerspricht dieser Annahme. Ein Kind, das Räuber und Gendarm spielt und dabei ein Stöckchen als Pistole benutzt, ist sich dabei des mentalen Charakters des Spielens bewusst.
Auch jüngere Kindern wissen, dass das Stöckchen in der Realität niemanden erschießen kann.
2.1.2. Komponenten-Annahme
Die Komponenten-Annahme besagt, dass ein Wissen darüber erlangt werden muss, dass verschiedene mentale Zustände und Prozesse existieren, die miteinander in Beziehung stehen.
Verschiedene mentale Zustände können beispielsweise Wünsche, Motive, Intentionen, Absichten, Überzeugungen, Glauben, falscher-Glaube, Gedanken oder Wissen sein.
2.1.3. Kausalitäts-Annahme
Die letzte Annahme stellt die Verknüpfung zwischen mentaler und physikalischer Welt wieder her: Es wird angenommen, dass kausale Beziehungen zwischen mentalem Zustand und dem Verhalten bestehen, d.h. dass Handlungen auf das Vorliegen von mentalen Zuständen ursächlich zurückgeführt werden können, bzw. dass es möglich ist, dass mentale Zustände aus Handlungen resultieren.
Beispiele hierfür sind „”seeing leads to knowing”, “desire leads to an intent to act”, and “false belief leads to misguided action““ (LEE & HOMER, 2000, 229).
2.2. Bereiche der Theory of mind-Forschung
Nach der Komponenten-Annahme sind verschiedene mentale Zustände bekannt, die die Grundlage für verschiedene Forschungen bieten; insbesondere deshalb, weil nicht alle Konzepte im selben Alter verstanden werden.
Die wichtigsten mentalen Zustände sollen im folgenden kurz dargestellt werden:
2.2.1. Wünsche
Das Konzept der Wünsche und Absichten als Motive für Handlungen wird schon sehr früh verstanden. Bereits vorsprachlich können Kinder eigene Wünsche gut äußern. Mit etwa 2 Jahren setzt dann auch das Verständnis der Wünsche anderer ein. Kinder verstehen, dass Menschen so handeln, dass ihre Wünsche erfüllt werden. Sie können die Wünsche der Menschen anhand von nonverbalen Gesten ablesen und erfüllen auch Wünsche ihrer Mitmenschen korrekt. Beispielsweise bieten bereits Kinder ab 18 Monaten in einer Studie von REPACHOLI dem Versuchsleiter, der eine Vorliebe für Broccoli äußert, zuerst den Broccoli an, auch wenn sie selbst die alternativ bereitstehenden Cracker bevorzugen.
In einem Experiment von WELLMAN & WOOLLEY aus dem Jahr 1990 zeigen 3-jährige Kinder, dass sie auch die kausale Verknüpfung zwischen der Handlung und dem zugrunde liegenden Wunsch verstehen. Sie verstehen, dass die Figur in dem Experiment, die ihr Kaninchen sucht, da sie es mit in den Kindergarten nehmen will, erst dann in den Kindergarten geht, wenn sie ihr Kaninchen gefunden hat. Den meisten 3-jährigen gelingt hier eine korrekte Handlungsvorhersage, ob die Figur weitersucht oder in den Kindergarten geht.
Ferner gelingt den Kindern durch das Verständnis der Wünsche auch die Differenzierung zwischen Zufall und Absicht, da auch Nicht-Gewünschtes erkannt werden kann.
[...]
- Quote paper
- Michaela Stahl (Author), 2005, Theory of mind - Was Kinder über das Denken denken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85230
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.