Ein Philosoph unserer ehrwürdigen Universität faßte einst das Problem des Anfangs ironisch-wehmütig so zusammen: Die Wissenschaft sagt: laßt uns anfangen! Und die Philosophie fragt darauf hin: Ja, aber wo und vor allem was ist Anfang? Das heißt praktisch: „Man würde nie anfangen können, wenn man alle Möglichkeiten des Anfangens gegeneinander abwägen müßte.“ (Luhmann 1995, 72.) Auf die Frage, was Anfang sei oder das Anfangen an sich, kann ich zuvorderst nur mit Edmond Jabès antworten: „Ich weiß es nicht. Aber wenn ich beispielsweise [Anfang] sage, und ich wiederhole [Anfang], und ich sage wieder [Anfang], so sagt nach und nach dieses Wort all das, was im Innersten meine Erfahrung enthält […].“ (Jabès 1989, 21. Ähnlich zurückhaltend äußert sich Heidegger in Sein und Zeit nur ein einziges Mal mit Blick auf das manchmal unerträgliche Grauen des Daseins: „Das Sein des Da ist in solcher Verstimmung als Last offenbar geworden. Warum, weiß man nicht.“ (Heidegger 1984, 134.))
Ein zur idealistisch-teleologischen Dialektik quer stehender Ansatz denkt einen willkürlichen Anfang als eine erste Unterscheidung. Danach ist eine Philosophie nicht mehr logisch-wissenschaftlich wie bei Hegel denkbar, da mit Begriffen wie Nicht-Sein und Denken schon ein Zentrum innerhalb des Feldes der Diskurse geschaffen wurde. Ohne ein solches Zentrum dagegen wird es entscheidend, an welcher Stelle ETWAS anfänglich statt hat, ohne an sich irgendeine Bedeutung zu haben. Genau diesen synchronen Charakter eines Anfangs bedeuten spätere Theorien, von der Semiologie Saussures bis zur Sprachphilosophie als Grammatologie Derridas oder des Formenkalküls Spencer-Browns und der Systemtheorie Luhmanns. Quer dazu wäre noch ein spezieller Ansatz einer Philosophie der Leerstelle bzw. Kenogrammatik und Polykontexturalität von Gotthard Günther zu nennen. (Siehe hierzu den einführenden Aufsatz von Kaehr 1994, 81 bis 125.) Sowohl die Hegelsche zirkuläre Dialektik als auch jene neueren Ansätze lassen einen topologischen Diskurs als Holismus nicht zu, jedoch einen selbst-ähnlichen Diskurs des Fraktals. Das Ganze ist dann das Wahre. Damit wird Sein im Sinne einer Arche, Entelechie oder vis vitalis epistemologisch ausgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
Vom Kreisen
und Kreuzen
Literaturverzeichnis
„Vereinige Sie. Das (göttliche) Licht und die Erde.“
aus: R. Abrahami Eleazaris, Uraltes Chymisches Werk, Erfurt 1735, S. 8.
Vom Kreisen
Immer von neuem entsteht die Frage: Was sollen wir tun? Es gibt täuschende Tage, da scheinen wir uns, gesichert, zu ruhn. Und die Erde ist ein für allemal rund. Doch hinter der scheinbar äus-sersten Klarheit gibt es noch einen dunkleren Grund. Zweifel sind möglich und finden uns wie-der, wenn wir endlich mit uns im reineren waren. So kann es geschehn: unsre süßesten Lieder sind gepreßt aus unseren bittersten Jahren.
Eva Strittmatter, Die eine Rose überwältigt alles.
Ein Philosoph unserer ehrwürdigen Universität faßte einst das Problem des Anfangs ironisch-wehmütig so zusammen: Die Wissenschaft sagt: laßt uns anfangen! Und die Philosophie fragt darauf hin: Ja, aber wo und vor allem was ist Anfang? Das heißt praktisch: „Man würde nie anfangen können, wenn man alle Möglichkeiten des Anfangens gegeneinander abwägen müßte.“[1] Auf die Frage, was Anfang sei oder das Anfangen an sich, kann ich zuvorderst nur mit Edmond Jabès antworten: „Ich weiß es nicht. Aber wenn ich beispiels-weise [Anfang] sage, und ich wiederhole [Anfang], und ich sage wieder [An-fang], so sagt nach und nach dieses Wort all das, was im Innersten meine Erfahrung enthält […].“[2] Mich wiederholend dem Denken über Anfang ― nicht: den Anfang ― schreibend zu nähern, kann nur Aufgabe der Arbeit als Text sein. Daß diese Arbeit auch das Aushalten von Angst und Grauen bedeuten kann, formuliert Foucault eindrucksvoll: „Eine Arbeit, die nicht zugleich ein Versuch ist, das, was man denkt, und sogar das, was man ist zu ändern, ist nicht sehr amüsant.“ Wie es vor dem vollendeten ersten Werk kein Talent geben kann, so kann ein Wort über Anfang sich nur als in der Zeit aufschreibende, in den Raum entfaltende Wörter mitteilen. Genau mit diesem paradoxen Grauen des Schriftstellers beschrieb Maurice Blanchot[3] einige Ge-danken Hegels mit den bewegenden Worten: „und er beginnt zu schreiben, von nichts ausgehend und auf nichts hingehend ― wie ein Nichts in das Nichts hineinarbeitend.“ Hegel selbst kann eben auch nur wiederholend feststellen, daß das Beste, was man machen kann, machen sei und schreibt mit Blick auf die Topologie des Kreises von Umständen, Talent, Interesse und Zweck: „Eben darum hat [das Individuum] unmittelbar anzufangen und, unter welchen Umständen es sei, ohne weiteres Bedenken um Anfang, Mittel und Ende zur Tätigkeit zu schreiten.“[4] Auf die Frage unseres Seminars Gibt es ein Problem des Anfangs in der Philosophie? wage ich anfänglich eine Antwort. Im Sine einer Gabe, so scheint es, gibt es ein Problem des Angfangs nicht, wohl aber ein Problem des Anfangens als Sprung in einen grundlosen Grund des Nicht-Anfang-Seins. Einen solchen entwerfenden Sprung möchte ich versuchen als kreisende Meditation über Hegel, Luhmann und einigen anderen Denkern und Dichtern.
Mit dem Erscheinen der beiden Bände Wissenschaft der Logik 1812 und 1816 legte Hegel das System der Wissenschaft vor als dasjenige, der in der Phänomenologie als objektiv bewiesenen Gedanken. Daß Philosophie als Me-tadiskurs über wissenschaftliche Diskurse selbst keine Wissenschaft in diesem Sinne sein kann, ist für Hegel evident und schreibt in seiner Einlei-tung, daß der wissenschaftliche Standpunkt „die Befreiung von dem Gegen-satze des Bewußtseins voraussetzt“[5], mithin die Befreiung von der Urszene der Metaphysik des Herausfallens eines Ich-Bewußtseins aus der Natur. In diesem Akt der Befreiung ist Hegels Antwort auf die Frage des Anfangens schon enthalten, denn indem sich Hegel von dieser absoluten epistemolo-gischen Leerstelle dieser Urszene befreit, kann er Philosophie erst anfangend denken: „ […] des Vorstellens von Absolutem oder Gott, dies ist im Anfange nur leeres Wort und nur Sein […] dies Leere ist also schlechthin der Anfang der Philosophie.“[6] Dieser im entscheidenden Gegensatz zu allen engels-züngigen signifikantenschweren Setzungen der Sprache:
Es gibt ja nichts und wird nichts anderes geben außerhalb des Seienden, da es ja das Schicksal an das unzerstückelte und unbewegliche Wesen gebunden hat. Darum muß alles leerer Schall sein, was die Sterblichen [in ihrer Sprache] festgelegt haben, überzeugt, es sei wahr: Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als Nichtsein, Veränderung des Ortes und Wechsel der leuchtenden Farbe.[7]
[...]
[1] Luhmann 1995, 72.
[2] Jabès 1989, 21. Ähnlich zurückhaltend äußert sich Hei-degger in Sein und Zeit nur ein einziges Mal mit Blick auf das manchmal unerträgliche Grauen des Daseins: „Das Sein des Da ist in solcher Verstimmung als Last offenbar geworden. Warum, weiß man nicht.“ (Hei-degger 1984, 134.)
[3] Blanchot 1982, 14.
[4] Hegel 1979, Bd. 3, 296f.
[5] Hegel 1979, Bd. 5, 43.
[6] Hegel 1979, Bd. 5, 96.
[7] Parmenides 1988, Bd. 1, 119.
- Citar trabajo
- Dr. des. Robert Dennhardt (Autor), 2000, Im Anfang war das Wort Im, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84873
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