„Und do dem baupst sölliche frölich bottschaften kommen waren, do ließ' [man] fröd lüten mit allen gloggen, das man in latin nembt laudes [...]“ .
Die hier in der Konstanzer Konzilschronik von Ulrich Richental erwähnten „frölich bottschaften“ verkünden den Abfall der Stadt Rom und des Römer Umlandes von Papst Gregors XII. und die nunmehr dem Papst Johannes XXIII. gelobte Treue dieser, betreffen also direkt die Lösung des Abendländischen Schismas und somit den weiteren Fortgang des in Konstanz stattfindenden Konzils. Bemerkenswert ist allerdings, dass zur Verkündigung dieser Nachricht und zur Betonung der Freude darüber die Glocken in Konstanz geläutet werden. Dieses Ereignis soll also keineswegs nur den Konzilsteilnehmer vorbehalten bleiben, sondern wird in Konstanz durch das Läuten der Freudenglocken veröffentlicht. Es wird also ein Teil der öffentlichen Vorkommnisse in der Stadt selbst.
Daher soll untersucht werden, wie Richental das Läuten der Glocken als ein Signal anlässlich eines bisher unerhörten Ereignisses – also sozusagen als ein neutrales Verlautbarungsorgan – beschreibt und wie dadurch eine Öffentlichkeit hergestellt wird. Um nun die spezifische Wirkung allein der Glocken bei der Erzeugung von Öffentlichkeit in möglichst reinster Form erkennen zu können, sollen nur solche Ereignisse – bei denen der Einsatz der Glocken anlässlich eines bisher unerhörten Ereignisses und nicht oder zu mindestens nicht vornehmlich im Rahmen eines zeremoniellen Aktes erfolgt – zur Analyse dienen. Der Unterschied sei noch einmal verdeutlicht. Das Läuten einer Glocke als akustische Sinneswahrnehmung in einer Zeremonie ist nur ein Teil verschiedener Darstellungsmodi und kann daher nur bedingt singulär untersucht werden. Zudem handelt es sich hierbei um einen formalisierten Ritus , in dessen Verlauf das Erklingen der Glocken vorhersehbar ist bzw. von den Beteiligten sogar erwartet wird. Genau dies kann vermieden werden, wenn die Glocke als wirkliches Verlautbarungsorgan betrachtet wird.
Zu Beginn der Arbeit soll ein Überblick über die methodischen Zugänge zur mittelalterlichen Öffentlichkeit stehen. Dies meint, welche Forschungsansätze können zum Verständnis von öffentlichen Kommunikationsstrukturen im Mittelalter beitragen.
Anschließend soll die Quelle selbst, also die Konzilschronik, thematisiert werden. Hierunter zählen biographische Daten des Autors, der Inhalt und die Überlieferung der Quelle sowie Fragen der Quellenkritik.
Nun kann die von Richental genutzte Präsentationsweise von Glockengeläut beschrieben und analysiert werden, womit der Grundstein für die dann folgende Interpretation der Rolle von Glocken bei der Öffentlichkeitserzeugung gelegt ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Annäherung an die mittelalterliche Öffentlichkeit
3. Die Chronik des Konstanzer Konzils von Ulrich Richental
3.1. Der Autor Ulrich Richental
3.2. Die Chronik des Konzils von Konstanz
4. Die Präsentation von Glockengeläut als Verlautbarungsorgan in der Richental-Chronik
5. Die Herstellung von Öffentlichkeit durch den Einsatz von Glockengeläut in der Richental-Chronik
6. Zusammenfassung
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
7.1. Quellenverzeichnis
7.2. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Und do dem baupst sölliche frölich bottschaften kommen waren, do ließ' [man] fröd lüten mit allen gloggen, das man in latin nembt laudes [...]“[1].
Die hier in der Konstanzer Konzilschronik von Ulrich Richental erwähnten „frölich bottschaften“ verkünden den Abfall der Stadt Rom und des Römer Umlandes von Papst Gregors XII.[2] und die nunmehr dem Papst Johannes XXIII.[3] gelobte Treue dieser,[4] betreffen also direkt die Lösung des Abendländischen Schismas[5] und somit den weiteren Fortgang des in Konstanz stattfindenden Konzils. Bemerkenswert ist allerdings, dass zur Verkündigung dieser Nachricht und zur Betonung der Freude darüber die Glocken in Konstanz geläutet werden. Dieses Ereignis soll also keineswegs nur den Konzilsteilnehmer vorbehalten bleiben, sondern wird in Konstanz durch das Läuten der Freudenglocken veröffentlicht. Es wird also ein Teil der öffentlichen Vorkommnisse in der Stadt selbst.
Daher soll untersucht werden, wie Richental das Läuten der Glocken als ein Signal anlässlich eines bisher unerhörten Ereignisses – also sozusagen als ein neutrales Verlautbarungsorgan – beschreibt und wie dadurch eine Öffentlichkeit hergestellt wird. Um nun die spezifische Wirkung allein der Glocken bei der Erzeugung von Öffentlichkeit in möglichst reinster Form erkennen zu können, sollen nur solche Ereignisse – bei denen der Einsatz der Glocken anlässlich eines bisher unerhörten Ereignisses und nicht oder zu mindestens nicht vornehmlich im Rahmen eines zeremoniellen Aktes erfolgt – zur Analyse dienen. Der Unterschied sei noch einmal verdeutlicht. Das Läuten einer Glocke als akustische Sinneswahrnehmung in einer Zeremonie ist nur ein Teil verschiedener Darstellungsmodi und kann daher nur bedingt singulär untersucht werden. Zudem handelt es sich hierbei um einen formalisierten Ritus[6], in dessen Verlauf das Erklingen der Glocken vorhersehbar ist bzw. von den Beteiligten sogar erwartet wird. Genau dies kann vermieden werden, wenn die Glocke als wirkliches Verlautbarungsorgan betrachtet wird.
Zu Beginn der Arbeit soll ein Überblick über die methodischen Zugänge zur mittelalterlichen Öffentlichkeit stehen. Dies meint, welche Forschungsansätze können zum Verständnis von öffentlichen Kommunikationsstrukturen im Mittelalter beitragen.
Anschließend soll die Quelle selbst, also die Konzilschronik, thematisiert werden. Hierunter zählen biographische Daten des Autors, der Inhalt und die Überlieferung der Quelle sowie Fragen der Quellenkritik.
Nun kann die von Richental genutzte Präsentationsweise von Glockengeläut beschrieben und analysiert werden, womit der Grundstein für die dann folgende Interpretation der Rolle von Glocken bei der Öffentlichkeitserzeugung gelegt ist.
2. Annäherung an die mittelalterliche Öffentlichkeit
Die grundsätzliche Problematik in der Erforschung einer Öffentlichkeit des Mittelalters ist bereits im Fehlen einer allgemein anerkannten Begriffsdefinition dieser begründet. Daher muss eine Annäherung an die mittelalterliche Öffentlichkeit immer noch mehr über methodische Idealtypen denn über gesicherte Erkenntnisse erfolgen. Nicht etwa dass die habermassche Prämisse – das Mittelalter kenne nur eine „repräsentative Öffentlichkeit“[7] – zutreffend sei, sondern vielfach müssen diverse Beschreibungsmodelle, die sich zum Teil in aspektischen Betrachtungen erschöpfen, eine umfassende Charakteristik von Öffentlichkeit und seiner Wirklichkeit im Leben der Menschen des Mittelalters ersetzen. Eigen ist all diesen Modellen allerdings die Hervorhebung einer gewissen Beschränkung oder Begrenztheit der mittelalterlichen Öffentlichkeit.[8] Insbesondere ist hier das Paradigma der Binnen- und Teilöffentlichkeit zu nennen. So hat sich beispielsweise Werner Faulstich im Rahmen seiner Untersuchung der Medien des Mittelalters den Kommunikationsstrukturen einzelner Teilöffentlichkeiten[9] und deren jeweils spezifischen Medien genährt. Jedoch müssen die Ergebnisse – aufgrund des rein medienzentrierten Zugangs und der Reduktion der Kommunikationsträger auf Mensch- und Schreibmedien, was in der Konsequenz ein viel zu statisches und immobiles Bild zeichnet – hinsichtlich ihrer Aussagekraft für ein wirkliches Verständnis der mittelalterlichen Öffentlichkeit angezweifelt werden. Denn gerade dadurch werden zeremonielle und rituelle Akte als besondere Form von öffentlicher Kommunikation sowie als Repräsentation von Herrschaft und sozialer Ordnung zu wenig berücksichtigt. Demgegenüber entwickelte Bernd Thum das Modell der „plurale[n] 'okkasionellen Öffentlichkeiten' des Hoch- und Spätmittelalters“[10]. Konstitutiv hierfür ist die Betonung des „polyzentrischen, hierarchischen und situationsbezogenen Charakters“[11]. Besonders dieser situative Aspekt – d.h., im wahrsten Sinne des Wortes okkasionell, aus der Gelegenheit entsteht Öffentlichkeit – ermöglicht es, die Öffentlichkeit als ein nicht statisches sondern dynamisches Moment in der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Mittelalters zu begreifen, und nicht länger von einer nach belieben instrumentalisierbaren Repräsentationsöffentlichkeit, die mehr den Charakter einer bloßen Kulisse trägt, auszugehen.
3. Die Chronik des Konstanzer Konzils von Ulrich Richental
3.1. Der Autor Ulrich Richental
Der Verfasser der Konstanzer Konzilschronik Ulrich Richental ist wahrscheinlich zwischen 1356 und 1365 als Sohn des Konstanzer Stadtschreibers Johann Richental in Konstanz geboren worden.[12] Als Zäsur im Leben des Ulrich Richental sind wohl die Zunftaufstände des Jahres 1389 in Konstanz zu bezeichnen.[13] In dessen Folge verließ die Familie Schnewiss, der Großvater des Chronisten hatte in diese Konstanzer Patrizierfamilie eingeheiratet, Konstanz, wodurch die Richentals eine wichtige Beziehung und somit auch innerstädtischen Einfluss einbüßten.[14]
Er erhielt vermutlich eine klerikale Bildung sowie die niederen Weihen, was Dieter Mertens an einem Rotulus an Papst Clemens VII. vom 7. 1. 1380, in dem er als Konstanzer Geistlicher aufgeführt wird, festmacht.[15] Mit Blick auf die Chronik erklärt Thomas Rathmann, dass Richental dem Lateinischen mächtig war und durch die Tätigkeit seines Vaters als Stadtschreiber in Fragen der Verwaltung nicht unkundig war, was er auch durch dessen Beauftragung von Landgraf Eberhardt von Nellenburg bestätigt sieht.[16] So sollte Richental noch vor Beginn des Konzils die Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten der Stadt Konstanz überprüfen.[17]
[...]
[1] Richental, Ulrich von, Chronik des Constanzer Concils: 1414 Bis 1418, hrsg. von Michael Richard Buck, unveränd. reprograf. Nachdr. d. Ausg. Stuttgart 1882, Hildesheim 1962, S. 32. Im Folgenden steht hierfür lediglich Richental-Chronik sowie die jeweilige Seitenangabe.
[2] Gregor XII., mit richtigem Namen Angelo Correr, wahrscheinlich vor 1335 geboren, gehörte dem venezianischen Adel an. Er wurde am 30. November zum Nachfolger Innozenzs VII. gewählt. Nach Verlusten weiter Teile seiner Obödienz und nach Verhandlungen mit dem Konstanzer Konzil trat er freiwillig am 4. Juli 1415 zurück. Er starb als Kardinal von Porto am 18. Oktober 1417 in Recanati. Vgl. Frenken, A, Gregor XII., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4 Erzkanzler bis Hiddensee, hrsg. von Norbert Angermann, Robert Auty, Robert-Henri Bautier u.a., München und Zürich 1989, Sp. 1674f.
[3] Johannes XXIII., mit richtigem Namen Baldassare Cossa, entstammte einer Neapolitanischen Adelsfamilie und wurde am 17. Mai 1410 zum Nachfolger Alexanders V. gewählt. Er berief 1413 u.a. zur Auflösung des großen Abendländischen Schismas das Konzil von Konstanz ein, in dessen Verlauf Johannes XXIII. am 12. März 1415 als Papst zurücktrat. Er starb am 27. Dezember 1419 in Florenz. Vgl. Frenken, A., Johannes XXIII., Frenken, A., Johannes XXIII., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5 Hiera-Mittel bis Lukanien, hrsg. von Norbert Angermann, Robert Auty, Robert-Henri Bautier u.a., München und Zürich 1991, Sp. 546f.
[4] Vgl. Richental-Chronik, S. 32.
[5] Das Abendländische Schisma spaltete aufgrund der Frage nach einem rechtmäßigen Papst die lateinische Kirche von 1378 bis 1417. Infolge einer überhasteten Wahl Urbans VI. zum Papst im April 1378, und aufgrund nationaler Uneinigkeiten des Kardinalskollegium wählten frz. Kardinäle Clemens VII. zum Gegenpapst, was das Schisma auslöste. Nach fehlgeschlagenen Verhandlungen brachte ein nach Pisa bestelltes Konzil keine Lösung, aber einen dritten erwählten Papst Alexander V. Erst im Verlauf des Konstanzer Konzils, nach Absetzung der Päpste Johannes XXIII. und Benedikt XIII. sowie dem Rücktritt Gregors XII., gelang es mit der Wahl Martin V. das Schisma zu beenden. Vgl. Tüchle, H., Abendländisches Schisma, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1 Aachen bis Bettelordenskirchen, hrsg. von Norbert Angermann, Robert Auty, Robert-Henri Bautier u.a., München und Zürich 1980, Sp. 19- 22.
[6] Vgl. Schenk, Gerrit Jasper, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters; Bd. 21), Köln, Weimar, Wien 2003, S. 68.
[7] Zur Argumentation und Entfaltung dieser These vgl. Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchung zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, S. 58ff.
[8] Vgl. Schenk, Gerrit Jasper, Zeremoniell und Politik, S. 60.
[9] Werner Faulstich unterscheidet die Sphären Hof/ Burg, Land/ Dorf, Kloster/ Universität, Kirchenraum und Stadt als Binnenöffentlichkeiten des Mittelalters. Vgl. hierzu Faulstich, Werner, Medien und Öffentlichkeiten im Mittelalter: 800- 1400 (Die Geschichte der Medien; Bd. 2), Göttingen 1996, S. 20ff.
[10] Thum, Bernd, Öffentlichkeit und Kommunikation im Mittelalter. Zur Herstellung von Öffentlichkeit im Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen im 13. Jahrhundert, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hrsg. von Hedda Ragotzky u. Horst Wenzel, Tübingen 1990, S. 70.
[11] Ebenda, S. 70.
[12] Hinsichtlich des Geburtsdatums und weiterer biographischer Eckdaten gibt es unterschiedliche Angaben. Vgl. Matthiessen, W., Ulrich (von) Richental, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7 Planudes bis Stadt (Rus'), hrsg. von Norbert Angermann, Robert Auty, Robert-Henri Bautier u.a., München und Zürich 1995, Sp. 1201f; Mertens, Dieter, Richental, Ulrich, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, Bd. 8 'Revaler Rechtsbruch' – Sittich, Erhard (Veröffentlichungen der Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ), hrsg. von Kurt Ruh, Gundolf Keil, Burghart Wachinger u.a., 2. völlig neubearb. Auflage, Berlin, New York 1992, Sp. 55- 60; Rathmann, Thomas, Geschehen und Geschichten des Konstanzer Konzils. Chroniken, Briefe, Lieder, Sprüche als Konstituenten eines Ereignisses (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur; Bd. 25), München 2000, S. 212ff.
[13] Vgl. Rathmann, T., Geschehen und Geschichten des Konstanzer Konzils, S. 212f.
[14] Vgl. ebenda, S. 213.
[15] Vgl. Mertens, D., Richental, Ulrich, Sp. 55.
[16] Vgl. Rathmann, T., Geschehen und Geschichten des Konstanzer Konzils, S. 213.
[17] Vgl. ebenda.
- Quote paper
- Robert Dambon (Author), 2007, Glockengeläut als Mittel zur Erzeugung von Öffentlichkeit anhand der Chronik des Konstanzer Konzils von Ulrich Richental, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84811
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.