Der vorliegende Essay analysiert die frühen Sanskritbelege zu Gott Krishna aus hinduistischen, buddhistischen und jainistischen Quellen und geht der Frage der Historizität des aus dem Mahabharata bekannten Helden nach. Anschaulich wird die Verschmelzung von Gopala und Vasudeva sowie deren Brahmanisierung dargestellt. Um die frühe Entwicklungsgeschichte des schwarzen Gottes weiter zu beleuchten, werden zusätzlich kunstgeschichtliche und archäologische Quellen berücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kúàóas zwei Aspekte
1. 1. Literarische Belege zu Kúàóa-Gopâla
1. 2. Literarische Belege zu Kúàóa-Vâsudeva
1. 2. 1. Kunstgeschichtliches und Archäologisches
1. 2. 2. Pûranisches, Astronomisches und Unwissenschaftliches
2. Fazit
Literaturverweise
Einleitung
paritrâóâya sâdhûnâì vinâáâya ca duàkútâm
dharma-saìsthâpanârthâya sambhavâmi yuge yuge.
Bhagavadgîtâ 4,8
Um die Frommen zu retten, die Gottlosen zu zerstören und um die rechten religiösen Prinzipien durchzusetzen, erscheine ich in jedem Zeitalter.
Die Frage nach Entwicklungsgeschichte und Geschichtlichkeit einer göttlichen oder göttergleichen Gestalt ist weit mehr als die einfache Festmachung einer möglicherweise menschlichen Existenz an Leben und Sterben irgendeiner möglicherweise historischen Persönlichkeit und berührt schon aus strukturellen Gründen ganz fundamentale Fragen zu Ambivalenz und Authenzität religiöser Offenbarungstraditionen, zum Realitätsgehalt religiöser Sinnsysteme, ja quasi zu Richtigkeit von Religion überhaupt. Die Frage nach Lebendigkeit, Realität und Mortalität eines religiösen Reformers, der zur Herabkunft Gottes geworden ist, berührt notwendigerweise auch Vorstellungen von Sterblichkeit und Postmortalität des gemeinen Angehörigen dieser Religion. Insbesondere weil Kúàóa dem Gläubigen heute als Hochgott und nicht als Religionsstifter wie Jesus Christus, Buddha Gautama oder Prophet Muhammad gegenübertritt, werden sein geschichtliches Werden, Sein und Vergehen von den Nachfolgern der ihm zugeschriebenen Lehren mit zahlreichen Erhöhungen in den Himmel enthoben und von vorwiegend philologisch oder historisch arbeitenden Akademikern als Glaubensfragen gemieden. Trotz der Verknüpfung von menschlichen und übermenschlichen Mortalitätsvorstellungen, soll die Frage nach der Historizität des zunächst aus dem Mahâbhârata bekannten Helden und späteren Gottes Kúàóa aufgeworfen werden, ohne damit einen modernen Trend von Verwissenschaftlichung und Intellektualisierung sämtlicher Kultursphären bedienen zu wollen.
Kúàóa ist einer der schillernsten Helden der indischen Mythologie und möglicherweise die bekannteste aller hinduistischen Gottheiten. In den USA und Europa ist Kúàóa vor allem seit den Missionsaktivitäten der Hare Krishna-Bewegung (ISKCON) in den späten 1960er Jahren bekannt geworden. Er soll vor über 5.000 Jahren im heutigen Maôhurâ, im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, geboren worden sein, um die Frommen zu erretten, die Gottlosen zu vernichten und die Prinzipien der Religion wiedereinzuführen. Später wurde er als achter Avatâra von Viàóu zu einem der wichtigsten Götter des Hinduismus und wohl zur zentralen Figur des Viàóuismus und des Kúàóaismus. In den unzähligen Legenden, die seine Lebensgeschichte lobpreisen, erfahren wir von zahllosen Dämonen, die er tötet, von seinen Liebesspielen (lîlas) mit den Kuhhirtenmädchen (gopis) sowie von den 16.108 durch ihn geraubten Ehefrauen. Als er die Erde verließ, leitete er der Legende nach am 18. Februar 3.102 v. Chr. das gegenwärtig wütende grausame Zeitalter des Streits und der Unsicherheit, das Kali-yuga, ein.
Nicht zuletzt wegen dieses reichhaltigen mythologischen Überbaus und der zahlreichen volkstümlich ausgeschmückten Legenden wird Kúàóa im akademischen Diskurs der Religionswissenschaften opinio communis als rein mythologische Gestalt betrachtet und nicht als historischer Religionsreformer wie etwa Jesus, Buddha oder Mahâvîra. Aber für diese letztlich an der Religion festgemachte Unterscheidung gibt es keine rationale Basis. Die Sonderstellung der Hindu-Religionen in der Religionswissenschaft ist teilweise bedingt durch den exklusiven Charakter des Hinduismus. Wie im Judentum ist Proselytentum in den hinduistischen Religionen weder üblich noch vorgesehen. Aufgrund hierin mitbegründeter Unterschiede in den Identitätskonzepten gibt es unter westlichen Indologen und Religionswissenschaftlern weit weniger, die sich als Hindus bezeichnen würden, als bekennende Buddhisten – wie eine Umfrage unter den zu Südasien arbeitenden Religionswissenschaftlern der American Academy of Religion aus dem Jahre 2007 anschaulich belegt.[1]
Für die „ob“-Frage der historischen Existenz des Kúàóa kann es freilich keine Beweise im harten physikalischen Sinne geben, wie etwa christliche Gläubige im Falle Jesu das Turiner Grabtuch[2] bemüht haben, oder buddhistische Fromme die angeblichen Knochenreste des Buddha, die Peppe 1898 in einem Stûpa bei Piprâva gefunden haben will.[3] In allen Fällen gibt es aber wegweisende Indizien[4] - Indizien, die bei Jesus, Buddha und Mahâvîra, – die gemeinhin durchaus als historische Personen betrachtet werden – manchmal nachweislich künstlich geschaffen wurden.
Die von dem Protestanten Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) eingeführte Unterscheidung zwischen dem historischen Jesus von Nazareth und dem Christus des Glaubens ist bis heute gültig. Nachdem Albert Schweitzer (1875-1965) in seinem Standardwerk zur Leben-Jesu-Forschung (1906) die Unmöglichkeit der Rekonstruktion des historischen Jesus erschließt und aufzeigt, in welchem Ausmaß bisherige Rekonstruktionsversuche die Vorlieben und Wünsche ihrer Schöpfer widerspiegeln, erklärt Rudolf Bultmann (1884-1976) später die Frage nach der historischen Person Jesu für theologisch überflüssig, weil der durch zahlreiche Mythologisierungen gewachsene Graben zwischen Jesus von Nazareth und dem kerygmatischen Christus zu breit geworden sei:[5] „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“[6]
Der gegenwärtige Stand der Debatte wird von Schröter (2002) und auch Scriba (2007) zusammengefasst. Crossan (1995) übernimmt Schweitzers Thesen, wenn er schreibt: „Man kann sich des Verdachtes nicht erwehren, dass bei der Forschung um das Leben Jesu unter dem Vorwand der historischen Untersuchung Theologie getrieben wird und die Forscher statt der vorgeblichen Biographie Jesu Autobiographien verfassen.“[7]
Die Standardwerke zum historischen Buddha, resp. der von Schumann in Analogie zur Unterscheidung des Reimarus benutzte „historische“ Name „Gautama“, sind die frühen Arbeiten von Thomas (1931) und Schumann. Die gegenwärtige Debatte wird einerseits von Strong (2004) und der Frage nach den Relikten bestimmt, und andererseits von Bechert (1997), der die Datierung des historischen Buddha nun etwas näher an uns rückt – aus dem sechsten ins fünfte und gar vierte vorchristliche Jahrhundert.[8] Schopen (1997) kommentiert: “The way in which the history of Indian Buddhism has been studied by modern scholars is decidedly peculiar.”[9] “Embedded, for example, in apparently neutral archaeological and historical method might very well be a decidedly nonneutral and narrowly limited Protestant assumption as to where religion is actually located. (…) Our picture of Indian Buddhism may reflect more of our own religious history and values than the history and values of Indian Buddhism.”[10]
Es ist nachvollziehbar, wie Gelehrte aus dem 19. Jahrhundert in der Tradition der „protestant presuppositions“ beispielsweise die Entfiktionalisierung der hagiographischen Geschichten des Jesu und des Buddha als theologische Projekte vorantrieben. Diese Umschreibung heiliger Texte zu geschichtlichen Biographien ist im Falle des Kúàóa indes nicht nötig. In den frühesten literarischen Erwähnungen tritt uns Kúàóa nicht als Gott, sondern als einfacher Hirte gegenüber (und diese Ausgestaltung des Lebenslaufs ist offensichtlich nicht in Anlehnung an die Christologie entstanden). Je später dann die literarischen Quellen über sein Leben, desto wundersamer und göttlicher die ihm zugeschriebenen Taten.
Für die „wann“-Frage werden wir im Folgenden aufgrund der literarischen Belege termini ante quem festsetzen und über die Verknüpfung mit angenommenen parallelen Ereignissen, wie etwa dem Kurukàetra-Krieg, den Kàatriya-Brâhmana-Kompetenzkonflikten oder der Blüte Dvârakâs weitere Anhaltspunkte für eine mögliche Datierung finden. Dies ist durchaus kühn, da sämtliche dieser Ereignisse in weit vorhistoriographischer Zeit stattfinden und es in der Terminierungspolitik der Geschichtsschreiber Indiens zwei komplementäre, aber konträre Tendenzen gibt: zum einen, die zumeist religiös motivierten traditionalistischen Datierer, die analog zum Dekadenzmodell des in Oxford lehrenden deutschen Indologen Friedrich Max Müller (1823-1900) bemüht sind, möglichst weit in die unbeflekte Vergangenheit zurückzugehen, und zum anderen die eher reformierten wissenschaftlich-geläuterten Datierer, die in Annäherung der Geschichtsschreibung Europas möglichst spät datieren – als ob eine spätere Datierung und Parallelisierung indischer Geschichten mit mitteleuropäischen Trends in den Geschichtsschreibungungen eo ipso die Wahrscheinlichkeit vermuteter Ereignisse erhöhe.
Die folgenden Betrachtungen untersuchen die grundsätzliche Frage der Historizität des Kúàóa, also ob die frühen Belege zu seiner Gestalt eine komplexe, aber doch klare Entwicklung zeigen, die auf einen möglicherweise historischen Kern zurückweist, also zu einer bestimmten Zeit an einem eingrenzbaren Ort mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Person existiert hat, die einige der Eigenschaften gehabt haben könnte, um die herum im Laufe der Zeit, durch Prozesse der Sanskritisierung, der Brâhmaóisierung und der Identifizierung mit anderen Gottheiten die gegenwärtige Gestalt des Kúàóa entstanden ist, hier also ein historischer Held in den Götterhimmel enthoben wurde. Die Grundfrage nach der Historizität einer Gottheit sollte dabei nicht konfundiert werden mit Fragen zur Richtigkeit religiöser Sinnsysteme, die in jedem Fall durch Prozesse der Modifikation von Mythen, Prozesse der Aktualisierung, Institutionalisierung und Traditionsbildung fiktionale Handlungssubjekte hervorbringen, die sich im Rückblick jeglicher reifizierender Festlegung entziehen.[11]
1. Kúàóas zwei Aspekte
Bei der Betrachtung der Gestalt Kúàóas, wie sie in der Gegenwart gezeichnet wird, fallen zwei grundverschiedene Charaktere auf, die offenbar durch Prozesse von Verschmelzung, Brâhmaóisierung und Sanskritisierung, d. h. Angleichung an den heiligen Textkorpus der brâhmaóischen Priesterklasse, zusammengekommen und ausgeformt worden sind.
Zum einen ist Kúàóa als Gopâla der flötenspielende Hirte aus Vúndâvana, der als Kind Butter stiehlt um die Affen zu füttern und klare Bezüge zur autochtonen tribalen Bevölkerung aufweist. In seinem verschlagenen Spiel mit den Gopis, den Kuhhirtenmädchen, denen er beispielsweise während ihres Bades im Fluss die am Ufer zurückgelassenen Kleider raubt oder sie des Nächtens im Hain allesamt einzeln mit seinem Flötenspiel beglückt, entfaltet er eine legendäre erotische Attraktionskraft. Seine Abenteuer mit monströsen Schlangendämonen weisen möglicherweise auf eine Verbindung zum Schlangenkult hin. Diese Gestalt hat in der jahrhundertelangen Tradition von Dichtung, Geschichtenschreibung und von Frömmigkeit und unterhaltenden Unterweisungen geprägten Erzählungen die deutlich stärkere Prägekraft auf die gegenwärtige Gestalt des Kúàóa ausgeübt.
Auf der anderen Seite begegnet Kúàóa dem religiösen Laien und Leser von Sanskritschriften als Vâsudeva, Sohn des Vasudeva und der Devakî, der Anführer der Yâdavas von Dvâraka und der lokale Held der Bhâgavata-Sekte. Dieser eher heroische Charakter scheint einigen Indologen und Religionswissenschaftlern[12] historisch zu sein und gilt als ein Indiz für eine mögliche Historizität Kúàóas. Rein literarische Gestalten bedürfen nicht der Verschmelzung verschiedener Charaktere. Die Deifizierung von lokalen Helden mit späterer äquitheistischer Sanskritisierung regionaler Gottheiten ist im Hinduismus indes nicht unüblich:
„Der Prozess verläuft in etwa so: Zunächst gibt es einen lokalen Helden, dieser wird durch seinen oft gewaltsamen Tod zu einem Halbgott und nach einiger Zeit in Tempeln als lokaler Gott verehrt; durch seine Identifizierung als Erscheinungsform eines Hochgottes rückt er in das Pantheon der übrigen Hochgötter auf. Gegenwärtig zeigt sich zum Beispiel ein solcher allmählicher Aufstieg Mahatma Gandhis.“[13]
[...]
[1] Vgl.: http://e-tidsskrift.dk/rel/Preliminary_results_Buddism_vs_Hinduism.pdf (2007) und: http://e-tidsskrift.dk/rel/results_RISA.html (2007).
[2] Vgl. Scannerini 2000 und Kuhnke 2004.
[3] Vgl. Strong 2004 und Meisig 1998, S. 22. Letztlich zeigen diese „physikalischen Beweise“ gar nichts, denn ihre Verbindung zu den als historisch angenommenen Personen, denen sie zugeschrieben werden, ist nicht belegbar.
[4] „Die Linien, die von den entwickelten Legenden auf die ursprüngliche Gestalt zurückführen, können nicht mit mathematischer Genauigkeit gezogen werden. Die Einwirkungen unbekannter Faktoren auf das sichtbare Ergebnis lassen sich nicht ausschließen. Infolgedessen können Schlüsse aus diesem nie mehr als Wahrscheinlichkeit beanspruchen; aber „Wahrscheinlichkeit“ ist doch, wie Bischof Butler sagte, „so recht des Lebens Wegweiserin.““ (Smith, Morton: Jesus the Magician, 1978, S. 6; zit. in Crossan 1995, S. 27).
[5] Siehe Bultmann 1941 (nachgedruckt 1985), 1926 und 1955 (deutsche Ausgabe: Geschichte und Eschatologie. Tübingen: Mohr 1958). Vgl. hierzu Kinder 1952. Als aktuelle Studie zu Bultmann ist Dreher 2005 interessant.
[6] Bultmann 1941, S. 18.
[7] Crossan 1995, S. 28.
[8] Bechert 1997, S. 1-13.
[9] Schopen 1997, S. 1.
[10] Schopen 1997, S. 13-14.
[11] Vgl. Graf 2006.
[12] Unter anderem Garbe, Michaels, Beck, Ruben und Gail.
[13] Michaels 1998, S. 236.
- Citar trabajo
- M. A. Thomas K. Gugler (Autor), 2005, Anmerkungen zur Historizität des Krishna, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84669
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