Ausgehend von der Feststellung, dass es in der Bundesrepublik Deutschland spätestens seit den Montagsdemonstrationen im Zuge der Hartz IV Reformen zu einer Rückkehr der Gerechtigkeitsfrage in Deutschland (vgl. Leisering, 2003) gekommen ist, stellt sich die Frage worin die Ursachen für eine derartige Entwicklung zu sehen sind. Offen ist also, warum die angesprochenen Hartz- Reformen in der Bevölkerung auf solch negative Resonanz stießen.
Dabei wird hier die These vertreten, dass es dafür zweierlei Ursachen gibt. Zum einen handelt es sich sich bei dieser Krise des Sozialstaates um eine strukturelle Krise, insofern der bundesdeutsche Sozialstaat es nicht mehr schafft, Einkommensunterschiede und Vermögensungleichheiten auszugleichen, im Gegenteil, die soziale Polarisierung bei Einkommen und Vermögen steigt, wie Kapitel 2.1 zeigt.
Da es sich bei Fragen der Verteilung immer auch um Fragen von Gerechtigkeit handelt (ein Gedanke den Kapitel 2.2 ausformuliert) bedarf es immer auch der politischen Legitimation derartiger Verteilungen. Insofern wird in Kapitel 2.3 gezeigt, wie sich Verteilungsgerechtigkeit im bundesdeutschen Sozialstaat legitimatorisch entwickelt hat. Kapielt 2.4 zeigt dann gegenwärtige Diskurspositionen zu Arbeit und Einkommen auf und kommt zu dem Schluss, dass die Krise des bundesdeutschen Sozialstaates auch legitimatorisch ist. Im Fazit erfolgt eine Zusammenfassung und die Formulierung offener Fragestellungen.
-Inhalt-
1 Einleitung
2 Das Ende des deutschen Sozialstaatskonsenses?
2.1 Einkommens- und Vermögensentwicklung in der Bundesrepublik
2.1.1 Einkommen, Vermögen und soziale Polarisierung- eine Begriffsbestimmung
2.1.2 Skizzierung der Entwicklung von Einkommen und Vermögen
2.2 Verteilungsgerechtigkeit- eine konzeptionelle Betrachtung
2.3 Verteilungsgerechtigkeit und ihre politische Realisierung in der BRD
2.3.1 Die Konstitutionsphase des Sozialstaates (1949-1966)
2.3.2 Die Modernisierung des Sozialstaates 1966-1975
2.3.3 Sozialstaat in Bedrängnis 1975-1995
2.3.4 Die Krise des Sozialstaates seit Mitte der 1990er Jahre
2.3.5 Das Wesen des Werte- und Interessenkonsenses
2.4 Die Rückkehr der Gerechtigkeitsfrage oder quo vadis Sozialstaat?
2.4.1 Diskurspositionen zu Arbeit und Einkommen
2.4.2 Neue Gerechtigkeitsideale
3 Fazit
4 Literatur
1 Einleitung
Wer kennt sie nicht die Bilder der Montagsdemos gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV aus dem letzten Jahr? Tausende von Menschen schlängelten sich mehrere Wochen lang, jeden Montag durch die Innenstädte. Ein heißer Herbst sollte es für die Regierung werden, postulierte der Organisator der Montagsdemos in Magdeburg. Doch was ist daraus geworden? Heute, nicht mal ein Jahr danach, ist nichts mehr von den Protesten zu sehen, die Regierung ist immer noch im Amt und vieles hat sich wohl nicht geändert. Alles und jeder hat sich, so scheint es, mit dieser Gesetzgebungen abgefunden. Zum einen „die“ Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, die zu Anfang ihre Existenz bedroht sahen. Zum anderen die Arbeitgeber/ Unternehmer, denen diese Reformen nicht weit genug gingen und, die weitere Reformen zur „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes fordern. Doch, welche Folgen hatten die Hartz- Reformen? Nun, die Arbeitslosenzahlen sind dank neuer Statistik noch gestiegen. Die Konjunktur dümpelt momentan eher vor sich hin, als das sie wächst. Mehr noch, die Zahl der in Armut lebenden Kinder in Deutschland hat laut jüngsten Berichten sogar zugenommen. Letztlich scheint so die Sozialstaatspolitik in einer tiefen Krise zu sein. Aber ist die Krise neu?
Wohl nicht, denn über einen derartigen Krisenzustand der bundesdeutschen Sozialstaatlichkeit wird innerhalb der Wissenschaft bereits seit den 1970er Jahren debattiert. Anfangs war diese Kritik eher pragmatisch, wurde später dann aber von einer grundsätzlichen Kritik an der Bürokratisierung und Verrechtlichung des Sozialstaates abgelöst. Zudem wurden aufgrund zunehmender sozialer Polarisierung die Prämissen des bundesdeutschen Sozialstaates brüchig. Bei aller Kritik blieben die Grundlinien einer auf Konsens der Tarifpartner und der großen Parteien basierenden sozialstaatlichen Entwicklung intakt, so Nullmeier. (vgl. Nullmeier, 2004: 568-572) Erstaunlich ist jedoch die Beobachtung Leiserings, dass der Sozialstaat seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch in der Öffentlichkeit unter Druck geriet. Leisering geht sogar soweit und konstatiert eine „Rückkehr der Gerechtigkeitsfrage“. (vgl. Leisering, 2000: 45 ff.) Fraglich bleibt jedoch, worin die Ursachen dieser doppelten Krise liegen.[1]
Hier soll dabei die Auffassung vertreten werden, dass es seit einigen Jahrzehnten soziale Polarisierung innerhalb der Bundesrepublik gibt. Dabei ist es aber im Diskurs erst seit einigen Jahren strittig, ob die vorhandenen Verteilungsstrukturen eine ‚gerechte’ Verteilung erzeugen. Zudem werden auch neue Gerechtigkeitsideen formuliert. Folglich könnte man die These formulieren, die Krise des deutschen Sozialstaates ist keine, die allein aus Polarisierungstendenzen resultiert, sie ist vielmehr auch eine Legitimationskrise innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses. Kurzum, es handelt sich hierbei um eine ‚zweifache’ Krise.
Zur Thematisierung dieser Fragestellung bzw. um diese These belegen zu können, bedarf es zunächst eines grundlegenden Überblicks darüber, wie sich die beiden Größen Einkommen und Vermögen in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Hierbei soll vor allem der Frage nachgegangen werden, ob es in Deutschland zu einer zunehmenden sozialen Polarisierung gekommen ist und welches Bild sich gerade in den letzten Jahren abzeichnet? Ziel dieses Kapitels wird es sein, herauszustellen, dass es soziale Polarisierung in Deutschland gibt, diese tendenziell auch zugenommen hat, jedoch kann dies allein nicht die Krise der bundesdeutschen Sozialstaatlichkeit erklären, da es sich auch um eher „stabile Ungleichheiten“ handelt.
Im folgenden Kapitel soll es dann darum gehen, den Begriff Verteilungsgerechtigkeit zu charakterisieren, bzw. klar zu machen, was eine gerechte Verteilung meint und wie dies mit der Verteilung von Einkommen und Vermögen zusammenhängt, um eben den zweiten Teil der oben formulierten These im Anschluss hieran herausarbeiten zu können. Dabei ist dies eine rein theoretische Perspektive, die jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit konkretisiert wird.
Dies geschieht, indem aufgezeigt wird, wie sich Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der bundesdeutschen Wirklichkeit bislang realisiert bzw. entwickelt hat. Also mit Hilfe welcher politischen Ziele, Maßnahmen wurde Verteilungsgerechtigkeit verfolgt und wie realisiert. Dieses eher deskriptive Kapitel soll herausarbeiten, wie sich der Sozialstaat verändert hat und welche Elemente der Verteilungsgerechtigkeit hierbei eine Rolle spielten.
In einem weiteren Schritt werden dann die von Hengstbach/ Möhring-Hesse in einem „fiktiven Diskurs“ gegenübergestellten Positionen zum gegenwärtigen Sozialstaat/ zur gegenwärtigen Verteilungsgerechtigkeit bei Arbeit und Einkommen aufgezeigt und die Frage aufgeworfen, ob es innerhalb dieses „fiktiven Diskurses“ andere oder veränderte Positionen zum Sozialstaat bzw. zum Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit, seiner bisherigen Realisierung in der Bundesrepublik und seiner Funktionen gibt. Kurzum, gibt es im Diskurs eine Hinterfragung der aktuellen Sozialstaatskonzeption aufgrund neuer Gerechtigkeitsideen? Ziel dieser Bemühungen soll es sein, die oben aufgestellte These, dass es sich bei der Krise des Sozialstaates um eine zweifache Legitimationskrise handelt, belegen zu können.
Im Schlusskapitel der vorliegenden Arbeit soll ferner darüber nachgedacht werden, welche möglichen Fragestellungen sich aus der zuvor ausgeführten Analyse für weitere Forschungsvorhaben ergeben.
2 Das Ende des deutschen Sozialstaatskonsenses?
Um sich der eben aufgeworfenen Fragestellung nach den Ursachen der konstatierten Krise des deutschen Sozialstaates zu nähern, soll zunächst überprüft werden, ob sich dies aus einer zunehmenden sozialen Polarisierung erklären lässt. In einem nächsten Schritt soll dann aufgezeigt werden, dass es seit Mitte der 1990er Jahre wieder eine Konkurrenz verschiedener Gerechtigkeitsideen innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses gibt. Innerhalb dieser Diskussion jedoch wird der bisherige sozialstaatliche Grundkonsens durch die Konfrontation mit neuen Gerechtigkeitsideen in Frage gestellt. Eben dieses in Frage stellen und die zunehmende soziale Polarisierung stehen dem bisherigen Entwicklungslinien der Sozialstaatlichkeit und den bisher vermittelten Gerechtigkeitsbildern konträr gegenüber, so dass das Aufbrechen der jüngsten Konflikte, wie um Hartz IV, aus einem Ablehnen dieser neuen ‚Gerechtigkeitsideen’ und der Wahrnehmung sozialer Polarisierung erklärt werden kann.
2.1 Einkommens- und Vermögensentwicklung in der Bundesrepublik
Kann also eine zunehmende soziale Polarisierung konstatiert und damit das Aufbrechen neuer Verteilungskonflikte z.T. erklärt werden oder muss dieses als Erklärungsmodell eindeutig zurückgewiesen werden? Mit dieser ersten Fragestellung soll sich nun das erste Kapitel auseinandersetzen. Ferner soll dies die Basis bieten für die im folgenden zu belegende These, dass es innerhalb der gesellschaftlichen Diskussion zu einer Veränderung der Standpunkte kam.
2.1.1 Einkommen, Vermögen und soziale Polarisierung- eine Begriffsbestimmung
Wie in jeder empirisch fundierte Untersuchung, auch wenn sie nur auf andere Untersuchungen rekurriert, muss zunächst geklärt werden, was man unter Einkommen und Vermögen als solches versteht. Erst diese begriffliche Klarheit ermöglicht es zudem dann eine genauere Entwicklung dieser beiden Größen nachzeichnen zu können. Zudem muss noch bestimmt werden, was denn soziale Polarisierung meint.
Richard Hauser unterscheidet im Rahmen eines Beitrages zwischen mindestens sechs unterschiedlichen Vermögensbegriffen und beinahe noch einmal so vielen Einkommensbegriffen. Um sich hier nicht weiter in einer eher rein definitorischen Abhandlung zu verlieren seien hier nur einige Einkommens- und Vermögensbegriffe genannt. Zum genaueren Verständnis jedoch, lohnt ein Blick in die angegebene Literatur. (vgl. Hauser, Becker 2001; vgl. auch Becker, 2003) Einkommens- und Vermögensbegriffe unterscheiden sich hierbei meist hinsichtlich zweier Dimensionen. Zum einen in bezug auf das Verteilungsobjekt und zum anderen im Hinblick auf das Vereilungssubjekt.
[...]
[1] Zu den aktuellen Herausforderungen der Sozialpolitik: vgl. Ostner, Leitner, Lessenich 2001.
- Arbeit zitieren
- Mathias Buhtz (Autor:in), 2005, Das Ende des deutschen Sozialstaatskonsenses?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84590
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