Manch einer wählt bewusst eine "sachliche" Schrift, um nicht als "Spielkind" zu gelten. Ein anderer setzt auf "verschnörkelte" Buchstaben, um seine Individualität zu unterstreichen. Mit Typografie kann man Eindruck schinden. Das war's dann aber auch schon. Wer versucht, anhand der Schriftart Rückschlüsse auf den Inhalt, sogar auf den Autor eines Textes zu ziehen, der wird auf die Nase fallen. Die Seminararbeit sagt warum.
1. Einleitung
2. Form und Inhalt
2.1 Inhalt
2.2 Form
2.3 Lesbarkeit
2.3 Schrift als Präsupposition
2.5 Schrift als Ausdrucksmittel
3. Charakteristik der Schriften
3.1 Schrift-Moden
3.2 Schrift als Ideologieträger
4. Physiognomik der Typographie
5. Schluß
Literatur
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Phy- siognomik der Typographie. Dabei wird untersucht, ob oder wie weit es zulässig ist, vom Schriftbild auf den Inhalt des Textes oder sogar auf den Charakter des Au- tors zu schließen. Dem Thema liegt folgendes Erlebnis zugrunde:
Bei einem Praxisseminar über das Schreiben von Dreh- büchern riet der Seminarleiter, Drehbücher möglichst in einer Schrift zu schreiben, die "Manuskriptcharakter" hat. Dies sei zum Beispiel die Courier. Ein Filmprodu- zent könne so erkennen, daß es sich um einen Arbeitstext handelt, über den noch verhandelt werden kann. Eine ver- schnörkelte Schrift lasse hingegen den Schluß zu, daß der Autor an seinem Text hängt, keine Änderungen zulasse und per se als schwierig einzustufen ist. Die Wahl der Schrift könne auf diese Weise zur Ablehnung beziehungs- weise Annahme eines Autors führen.
Johannes Gutenberg orientierte sich bei der Herstel- lung seiner beweglichen Lettern an der Handschrift. Da- mit wurde graphologischen Studien eigentlich der Boden entzogen. Unabhängig vom Inhalt des Textes und der Per- sönlichkeit des Autors und Schreibers, kann seitdem "neutral" ein Text zu Papier gebracht werden. Doch wenn die Druckschrift sich aus der Schreibschrift entwickelt hat, so könnte man argumentieren, dann transportiert sie aufgrund ihrer äußeren Form, ihrer Linienführung, Strichstärke und Ausrichtung noch viele außertextliche Merkmale, die aus graphologischer Sicht untersucht wer- den könnten. Je nachdem, welche Schrift dem Autor am an- genehmsten erscheint, könnten Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit gezogen werden. Eine solche Argumentation führt natürlich niemand explizit, schließlich kann ein in der Graphologie bewanderter "Experte" - überspitzt gesagt - nur signifikante Charaktereigenschaften der Druckerpresse erkennen. Doch ist es durchaus denkbar, daß in Ermangelung aussagefähiger Bewerbungsunterlagen, ein Personalchef sich die Typographie der Bewerbung an- schaut. Dies meist nicht unter der Maßgabe, ob der Be- werber Fachkenntnisse in Typographie besitzt, sondern ob sich durch die Schriftwahl Sachlichkeit, Kompetenz oder Naivität und Verspieltheit oder einfach nur Hausbacken- heit und Engstirnigkeit ausdrückt. Abseits des Hauptkri- teriums, welches eine Schrift erfüllen muß, nämlich Les- barkeit, wird anhand der Schrift ein Rückschluß auf die Person gezogen. Bei zwei inhaltlich ähnlichen Bewerbun- gen kann dies wiederum bei der einen zur Ablehnung und bei der anderen zur Annahme führen. In diesem Fall wird eine Graphologie der Typographie betrieben. Daß dies nicht abwegig ist, zeigen zahlreiche typo- graphische Ratgeber. So suggeriert beispielsweise die Anleitung für ein Schriften-Softwarepaket der Firma Data Becker, daß die Wahl der "richtigen Schrift" von großer Bedeutung sei.1 Eine maschinelle Druckschrift, die der Handschrift ähnelt, weise einen dynamischen und persön- lichen Charakter aus. Deshalb werde sie oft in der Anre- de von Werbebriefen verwendet: "Dadurch soll der Eindruck entstehen, der Brief sei extra für Sie geschrieben worden, und der Ge- schäftsführer habe diesen Brief persönlich an Sie adressiert."2 Der bewußten Manipulation durch das Schriftbild sind keine Grenzen gesetzt.
Im Rahmen der Hausarbeit wird fast ausschließlich die Schrift und nicht ihre Größe, Anordnung, oder Merkmale wie Fett, Kursiv und Unterstrichen untersucht. Zur Ver- deutlichung werden gegebenfalls einige Sätze in anderen Schriften gesetzt - ein Zeichen, daß schon fast jeder Computernutzer gezielt eine Unsumme von Schriften ein- setzen kann; der Verfasser kann aus über 700 verschiede- nen Schriften wählen. Damit ich am Ende - trotz des an- gestrebten Gegenbeweises - nicht als "Spielkind" gelte, werden nur einige Hauptschriftarten der Fraktur, Antiqua oder Grotesk auf diese Weise hervorgehoben, wenn das erste Mal im Text auf sie eingegangen wird.
2. Form und Inhalt
Der Inhalt bestimmt die Form, und die Form bestimmt den Inhalt. Doch bleibt eine Flasche eine Flasche, unab- hängig davon, ob Wein, Wasser oder Benzin eingefüllt wird. Im Vordergrund steht die Funktion, ein transpor- tables Behältnis für Flüssigkeiten zu sein. Wird von der Form der Schrift auf den Inhalt des Textes geschlossen, so kann sich schnell Wein als Wasser entpuppen, die ver- meintliche Belobigung zur Kündigung werden.
2.1 Inhalt
Der Inhalt ist das Was in dem Wie der Form.3 So ist der Inhalt eines Textes das Insgesamt seiner Merkmale. In den typographischen Ratgebern und der typographischen Fachliteratur wird jedoch in erster Linie auf die Gat- tung des Textes eingegangen. Die "richtige" Schrift des Geschäftsbriefes, des Romans, des Groschenheftes oder der wissenschaftlichen Arbeit steht im Vordergrund. Wei- tere Merkmale des Inhaltes bleiben unberührt. Was ist die Schrift für einen Roman? Goethes "Die Leiden des jungen Werther" wurde in der gothischen Fraktur herausgegeben und später in Renaissance-Antiqua neu aufgelegt. Es ist schwer einsehbar, daß sich durch die Verwendung der "mo- dernen" Futura Schrift, einer Grotesk, Werther nicht am Ende des Romans umbringt. Eine Schrift kann das vorherrschen- de ästhetische Bewußtsein einer Zeit offenbaren, nicht jedoch den Inhalt ändern. Der erfährt im Laufe der Zeit immer neuere Interpretationen. Es erschließen sich Zu- sammenhänge mit aktuellen Gegebenheiten und Lebenssitua- tionen. Doch waren diese schon immer geborgen im Inhalt eines Textes, und nicht in der beliebigen, äußerlichen Form der Schrift.
2.2 Form
Die heutige, westliche Schreib- und Druckschrift hat sich aus zwei Schriften entwickelt.4 Die Römischen Versa- lie stellt die Großbuchstaben und die Karolinger Mi- nuskel die Kleinbuchstaben. Wichtige Wörter wurden mit der Versalie geschrieben, später nur der Anfangsbuchsta- be. Diese Mischform aus Groß- und Kleinbuchstaben, die sogenannte Humanistische Minuskel, besteht also aus zwei völlig verschiedenen Schriften.5 Dies unterstützt die Gliederung von Subjekt, Prädikat und Objekt im Deut- schen. Mit weniger Großbuchstaben kommen hingegen die englischen Schriftregeln aus. Hier wird nur der erste Buchstabe eines Satzes und eines Eigennamens mit Groß- buchstaben geschrieben.
Groß- und Kleinbuchstaben können sich entscheidend auf den Inhalt eines Textes auswirken. Aus "Ich habe in Moskau liebe Genossen" wird ohne Änderung der Buchsta- ben, sondern nur durch Variation der Schriften "Ich habe in Moskau Liebe genossen." Doch wird hier mittels der Schrift ein Inhalt festgelegt, der im Text eigentlich nicht explizit festgelegt ist. Die Äußerung lautet nur: "ICH HABE IN MOSKAU LIEBE GENOSSEN." Selbst eine Beto- nung der einzelnen Wörter gibt noch keinen eindeutigen Sinnzusammenhang, sondern nur das Textumfeld. Groß- und Kleinschrift engen also im Zusammenspiel den Interpreta- tionsspielraum ein. Dies funktioniert nur, weil es nor- mative Regeln für ihr Zusammenspiel im Sinne der Recht- schreibregeln gibt.
Die Humanistische Minuskel ist die Grundschrift, die seit dem 15. Jahrhundert in zwei Schriftformen anzutref- fen ist: Die runde (Antiqua) und die gebrochene Schrift (Fraktur). Alle anderen Schriften sind Mischformen. Wel- che Schriftart ausgewählt wird, ist hingegen keinen nor- mativen Regeln unterworfen, und deskriptive erweisen sich als an vorherrschende Schriftmode angelehnt.
Eine Schrift hat die Funktion zu erfüllen, den Inhalt zu transportieren. Die Schriftform mag Assoziationen zum Inhalt beim Leser hervorrufen. Doch sind diese individuell und nicht generalisierbar.
2.3 Lesbarkeit
Das Alphabet besteht aus optisch so differenzierten Elementen wie möglich: aus Waagerechten, Senkrechten, Schrägen und Gebogenen. Das Auge gleitet ruckartig über die Schriftzeichen eines Textes und erfaßt gleichzeitig drei bis zehn Buchstaben. Die Ausmaße der einzelnen Ab- schnitte, die Fixationen genannt werden, richten sich vor allen nach dem Informationsgehalt der Zeichen und brauchen nicht mit der Worteinteilung übereinstimmen.6 Die Ober- und Unterlängen von b, d, t, f, h, k, l g, p, q der karolingischen Minuskel erteilen den Wortbildern charakteristische Umrisse.7 Beim Lesen werden nach Phi- lipp Luidl die Wortumrisse mit bereits bekannten Umris- sen verglichen.8 Identifiziert wird das Wort hauptsäch- lich an der oberen Worthälfte. Wörter in Großbuchstaben erschweren das Lesen deutlich, da die römischen Versa- lien nur verschieden lange Rechtecke als Umriß erzeugen, die buchstabiert werden müssen. Kleinbuchstaben können hingegen als Wortbilder im Zusammenhang erfaßt werden.
Eine optimierte Typographie kann die Lesbarkeit wei- ter erhöhen. Dazu gehören zum Beispiel die Wahl der Zei- lenlängen und -abstände, Schriften mit Serifen, die das Auge auf einer Linie führen, und die Abstände zwischen den Buchstaben. Die Lesbarkeit eines Textes ist jedoch zum großen Teil von der Gewöhnung an die Wortbilder ab- hängig. Der Leser liest sich in die Schrift ein.9
"Lesbarkeit ist doch keine Garantie für Verständnis. [...] Konservative Buchtitel, Lexika, die junge Leute gar nicht anfassen würden, könnten vollkommen anders gestaltet sein. [...] Wesentlich wichtiger als reine Lesbarkeit sind doch die Emotionen"10, bekennt David Car- son, der die Typographie von modernen Life-Style Zeit- schriften maßgeblich beeinflußte.
[...]
1 Almsick (1997). S. 9.
2 Almsick (1997). S. 12.
3 Vgl. Schischkoff (1991). S. 335 (Stichwort: Inhalt).
4 Im Jahre 1966 wurde "nach strengen Maßstab" der DIN 16518 etwa 190 grundsätzlich verschiedene Schriftcharaktere ausgemacht. Vgl. Mengel (1966). S. 3. 5 Vgl. Luidl 1989. S. 34ff.
6 Vgl. Gerstner 1985. S. 23.
7 Vgl. Tschichold 1988. S. 38.
8 Vgl. Luidl 1989. S. 92f.
9 Vgl. Gerstner 1985. S. 130ff.
10 Blackwell 1995. Keine Seitenangaben.
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