Das Werk „Zettel’s Traum“ von Arno Schmidt gilt „in Deutschland [als] die literarische Sensation des Jahres 1970“ . Die Erstauflage des Werks ist innerhalb von zwei Monaten vergriffen. „Zettel’s Traum“ wird der größte Erfolg für den Autor Arno Schmidt, macht ihn bekannter als all seine vorherigen Werke. Der Popularität von „Zettel’s Traum“ verdankt Schmidt den Goethepreis 1973 – dem höchstdotierten deutschen Kulturpreis, verliehen von der Stadt Frankfurt. „Zettel’s Traum“ wird in den siebziger Jahren zum Kultbuch, Schmidts Anhängerschaft verehrt ihn als Großmeister der Literatur. Paradoxerweise ist die literarische Sensation „Zettel’s Traum“ gleichzeitig das „wohl ungelesenste und unerforschteste Hauptwerk der deutschen Literatur“ . Das ungewöhnliche Din-A-3-Format, der einschüchterne Umfang von 1330 Seiten, die unkonventionelle Orthographie und Interpunktion sowie der in drei Stränge aufgeteilte Text erklären den unzureichenden Forschungsstand nur unzureichend. Ebenso scheinen die philologischen, werkimmanenten Schwierigkeiten wie die Zitatenfülle, die enthaltene Wortursprungs-Theorie sowie die Einordnung des Werks in Gattung und Epoche keine Rechtfertigung dafür, dass das Rätsel um „Zettel’s Traum“ nach 30 Jahren noch immer nicht gelöst ist. Die von Schmidt geäußerten unrealistisch hohen Ansprüche an seine Leser kann die bruchstückhaften, oberflächlichen Rezensionen ebenso wenig rechtfertigen, schließlich sollte eine Literaturkritik nicht von der Autorintention bestimmt werden. Es scheint, als sei der Mythos um „Zettel’s Traum“ auf das Zusammenspiel aller genannten – und vermutlich noch weiteren – Faktoren zurückzuführen. Im Folgenden werden einige dieser Aspekte anhand der ungewöhnlichen Rezeptions- und Rezensionsgeschichte von „Zettel’s Traum“ beleuchtet. Daran anschließend wird erörtert,
inwieweit „Zettel’s Traum“ Merkmale einer postmoderner Literatur enthält.
Gliederung
1. Einleitung
2. Formale und inhaltliche Besonderheiten
2.1 Die „Verpackung“
2.2. Der Inhalt
3. Entwicklung zum Mythos
4. Rezeptionsgeschichte
5. Das problematisches Selbstverständnis des Autors
6. „Zettel’s Traum“ als ein Werk der Schmidt’schen Postmoderne
7. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Werk „Zettel’s Traum“ von Arno Schmidt gilt „in Deutschland [als] die literarische Sensation des Jahres 1970“[1]. Die Erstauflage des Werks ist innerhalb von zwei Monaten vergriffen. „Zettel’s Traum“ wird der größte Erfolg für den Autor Arno Schmidt, macht ihn bekannter als all seine vorherigen Werke. Der Popularität von „Zettel’s Traum“ verdankt Schmidt den Goethepreis 1973 – dem höchstdotierten deutschen Kulturpreis, verliehen von der Stadt Frankfurt. „Zettel’s Traum“ wird in den siebziger Jahren zum Kultbuch, Schmidts Anhängerschaft verehrt ihn als Großmeister der Literatur. Paradoxerweise ist die literarische Sensation „Zettel’s Traum“ gleichzeitig das „wohl ungelesenste und unerforschteste Hauptwerk der deutschen Literatur“[2]. Das ungewöhnliche Din-A-3-Format, der einschüchterne Umfang von 1330 Seiten, die unkonventionelle Orthographie und Interpunktion sowie der in drei Stränge aufgeteilte Text erklären den unzureichenden Forschungsstand nur unzureichend. Ebenso scheinen die philologischen, werkimmanenten Schwierigkeiten wie die Zitatenfülle, die enthaltene Wortursprungs-Theorie sowie die Einordnung des Werks in Gattung und Epoche keine Rechtfertigung dafür, dass das Rätsel um „Zettel’s Traum“ nach 30 Jahren noch immer nicht gelöst ist. Die von Schmidt geäußerten unrealistisch hohen Ansprüche an seine Leser kann die bruchstückhaften, oberflächlichen Rezensionen ebenso wenig rechtfertigen, schließlich sollte eine Literaturkritik nicht von der Autorintention bestimmt werden. Es scheint, als sei der Mythos um „Zettel’s Traum“ auf das Zusammenspiel aller genannten – und vermutlich noch weiteren – Faktoren zurückzuführen. Im Folgenden werden einige dieser Aspekte anhand der ungewöhnlichen Rezeptions- und Rezensionsgeschichte von „Zettel’s Traum“ beleuchtet. Daran anschließend wird erörtert,
inwieweit „Zettel’s Traum“ Merkmale einer postmoderner Literatur enthält.
2. Formale und inhaltliche Besonderheiten
2.1 Die „Verpackung“
Das große öffentliche Interesse an „Zettel’s Traum“ ist zu einem nicht geringen Teil auf die Gestalt der Werkausgabe zurückzuführen.
Obwohl Schmidt behauptet, dass es „keine Rolle“ spiele, „ob man das [Buch] nu’ mal ins Regal stellt oder’s auf’n Tisch legt“[3], hebt sich das über acht Kilo schwere, 1330 Seiten umfassende Riesenwerk in DIN- A-3-Format in jedem Leserzimmer von allen anderen Büchern ab – was der Intention des Autors entsprechen dürfte. Die Beharrlichkeit Schmidts, das Werk als fotomechanisch reproduziertes Typoskript zu veröffentlichen, zahlte sich aus. Die Originalausgabe, von Schmidt handsigniert, wurde zu einem Verkaufsschlager. „Zettel’s Traum“ überrascht jedoch nicht nur durch seine äußere Gestalt, sondern auch sprachlich – durch eine unkonventionelle Orthographie und Interpunktion. Schmidt nutzt die „heute noch erlaubten Vielfalt, einen Laut durch ganz verschiedene Buchstaben darzustellen“[4], um sich von „Dudens Rechtschreibregelungen“[5] abzulösen und gleichzeitig seine „Etym-Theorie“ zu demonstrieren, die im nächsten Abschnitt zum Inhalt erläutert wird. Die Lektüre wird dem Leser nicht nur durch die Schreibweise und die Zeichensetzung, sondern auch durch die „Spaltentechnik“[6] erschwert. Jede Seite teilt sich in drei Textstränge mit unterschiedlicher Breite und Umfang. Die mittlere, breite Spalte nennt Schmidt „reale [ ] Mittelkolumne“[7], da sie die Handlung wiedergibt. Die linke Spalte enthält Zitate des Dichters Edgar Allan Poe, der das zentrale Gesprächthema darstellt und dessen Aussagen von den Hauptfiguren erinnert werden. Schmidts orthographische Verfremdungen betreffen darum nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die vielen eingestreuten englischen Passagen. Den rechten Rand bezeichnet Schmidt selbst als „zeitlos“[8], hauptsächlich finden sich darin jedoch die Gedanken des fiktiven Ich-Erzählers Daniel Pagenstecher. Die rechte Spalte kann zur Erklärung der linken dienen und umgekehrt. Die Textstränge gehen hin und wieder ineinander über. In allen Strängen sind zudem Zitate aus den verschiedensten Quellen eingearbeitet. Neben englischen enthält das Werk auch französische Zitate.
2.2. Der Inhalt
Die Handlung von „Zettel’s Traum“ ist angesichts des Buchumfangs verhältnismäßig einfach, sie lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen:
An einem Julitag des Jahres 1968 besucht Familie Jacobi, bestehend aus dem Ehepaar Paul und Wilma Jacobi und deren 16-jähriger Tochter Franziska den Schriftsteller Daniel Pagenstecher, in dessen Wohnort Ödingen bei Celle. Der Übersetzer Paul Jacobi lässt sich bei seiner Arbeit an den Werken Edgar Allen Poes von seinem herausragend belesenen Freund und Übersetzer-Kollegen Pagenstecher um Rat. Während die Gruppe durch die Heide spaziert, badet oder im Haus verweilt, wird über den englischen Lyriker Poe gesprochen. Zwischendurch fällt die Unterhaltung auch auf poetische oder musikalische Werke wie Shakespeares Sommernachtstraum, Alfred Tennysons „Merlin und Vivian“ oder die Opern von Jacques Offenbach. Bei diesen Gesprächsthemen wird schnell klar, wie ernst es Schmidt
meint, wenn er vom Leser die Erfüllung von gewissen „Bildungsprinzip[ein]“[9] und eine „polyhistorische Belesenheit“[10] fordert. Neben den zahlreichen Anspielungen wird in „Zettel’s Traum“ von Daniel Pagenstecher die „Etym-Theorie“ erörtert, vorgeführt und wie bereits erwähnt durch die Schreibweise sprachlich dargestellt. Diese angeblich sprachwissenschaftliche „Etym-Theorie“ besagt, dass sich bestimmte Wörter auf in vielen Sprachen gemeinsame Urwörter, die „Etyms“, zurückführen lassen. Dabei handele es sich jedoch nicht um Wörter im gemeinen Sinn, sondern um eine „akustische Basis“[11], die unterbewusst wahrgenommen werden und in Anlehnung an die Freud’schen Psychologie oft sexuelle Vorstellungen ausdrücken.
Bei der Betrachtung der Inhaltsebene wird deutlich, dass es weniger die Handlung ist, als vielmehr das „Drumherum“, welches „Zettel’s Traum“ zu einem ungewöhnlichen Werk machen – und zwar im buchstäblichen Sinn, da die Handlung auch auf dem Papier von zahlreichen Nebengedanken umgeben ist. Die Bedeutungsentschlüsselung der zahlreichen Zitate, Randbemerkungen, Assoziationen, Querverweisen und Anspielungen stellen selbst für Literaturwissenschaftler und erfahrene Schmidt-Leser eine große Herausforderung dar.
[...]
[1] Drews, Jörg, Art.: „Schmidt, Arno. Zettels Traum“. In: Kindlers neues Literaturlexikon, Bd. 14, Radler, Rudolf (Chefredaktion). München: Kindler 1991, S.1003-1005, hier: S.1005
[2] Strick, Gregor: Der Traum vom Kultbuch. „Zettel’s Traum“ bei Arno Schmidt, besonders in „Die Schule der Atheisten“. In: Drews, Jörg/Plöschberger, Doris (Hrsg.): „Des Dichters Aug’ in feinem Wahnwitz rollend…“: Dokumente und Studien zu „Zettel’s Traum“. München: Edition Text und Kritik 2001, S. 293
[3] Schmidt, Arno: Vorläufiges zu Zettels Traum.
Ein Gespräch des Autors mit dem NDR über Entstehung, Aufbau und Absicht seines Typoskriptbuches Zettel’s Traum. Montage aus einer Originalaufnahm des Norddeutschen Rundfunks von 1969 (Gesprächspartner Dr. Christian Gneuß) und einer Privataufzeichnung von Alice Schmidt von 1968. Zwei Schallplatten in Holzkassette mit einem Begleitheft und neun Faksimiles. Frankfurt / M.: S. Fischer 1977, Begleitheft S.3
[4] Carstenn, Max: Art.: „Schmidt, Arno. Zettels Traum“. In: Der Romanführer. Der Inhalt der Romane und Novellen der Weltliteratur, Bd. 16, Baumgärtner, Alfred Clemens (Hrsg.). Stuttgart: Hiersemann 1979, S.257
[5] Ebd.
[6] Drews, Jörg, Art.: „Schmidt, Arno. Zettels Traum“. In: Kindlers neues Literaturlexikon, Bd. 14, Radler, Rudolf (Chefredaktion). München: Kindler 1991, S.1003-1005, hier: S.1005
[7] Schmidt, Arno: Vorläufiges zu Zettels Traum, S.4
[8] Ebd.
[9] Ebd., S.6
[10] Ebd.
[11] Ebd., S.4
- Quote paper
- Juliana Hartwig (Author), 2007, Der Mythos um "Zettel's Traum", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84520
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