Der erste Teil der Arbeit bietet eine grundlegende Übersicht über die Ansätze und Dimensionen der Interkulturellen Kommunikation (Hofstede, Schroll-Machl, Trompenaars und Hampden-Turner u. a.).
Im zweiten Teil werden diese Ansätze miteinander verglichen. Darauf aufbauend wird ein Modell konstruiert, das alle relevanten Dimensionen integriert und sich zum Vergleich verschiedener Kulturen eignet.
Im dritten Teil der Arbeit werden unterschiedliche Tendenzen der deutschen und der französischen Kultur mit Hilfe dieses Modells in verschiedenen Dimensionen veranschaulicht. Die Methode der Arbeit ist eine Sekundärliteraturanalyse.
Inhalt
1. Einleitung
2. Begriffsklärung
3. Ansätze zu Erklärung kultureller Unterschiede
3.1 Die zwei Dimensionen Halls
3.2 Die vier Dimensionen Hofstedes
3.3 Der Beitrag von Trompenaars und Hampden-Turner
3.4 Die drei Typologien von Lewis
3.5 Der Ansatz von Schroll-Machl
3.6 Das GLOBE-Projekt
4. Kritik und Synthese
5. Kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich
5.1 Vorurteile und Stereotypen zwischen Deutschen und Franzosen
5.2 Zeitorientierung und Abstraktionsniveau
5.3 Kontextanteil der Kommunikation
5.4 Machtbegründung und Machtdistanz
5.5 Horizontale Sozialorientierung: Individualismus vs. Kollektivismus
5.6 Emotionalität
5.7 Historische Hintergründe
6. Fazit
1. Einleitung
Spannungen zwischen verschiedenen Kulturen sind so alt, wie die Menschheit selbst - und auch heute, im Zeitalter der Globalisierung, sind sie noch weit davon entfernt, sich aufzulösen: Sie reichen von Problemen bei der Integration von Zuwanderern über nachhaltige Missverständnisse im Alltag transnationaler Unternehmenskooperationen bis hin zu kulturgebundenem Krieg und Terrorismus. Dabei spielt die Ignoranz gegenseitiger Werte und kultureller Systeme eine zentrale Rolle und trägt dazu bei, dass Aussagen von Angehörigen einer fremden Kultur oft systematisch fehlinterpretiert werden. Auf der anderen Seite mischen sich abstruse Vorurteile häufig mit halbwahren Stereotypen, so dass generelle Aussagen und Bilder über fremde Kulturen vom vernunftorientierten Betrachter oft kaum noch als realistisch akzeptiert werden können. Man fragt sich, ob Unterschiede zwischen den Kulturen überhaupt existieren, und, wenn ja, in welchem Ausmaß, sowie in welchem Verhältnis sie zu den Stereotypen stehen, die ihrer tieferen Kenntnis meist zuvorkommen.
In dieser Arbeit wird argumentiert, dass Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen sehr wohl existieren. Mit Hilfe einer Sekundärliteraturanalyse werden Ansätze betrachtet, die verschiedene kulturelle Dimensionen skizzieren und daraus kulturelle Systeme bzw. kulturelle Charakteristika ableiten. Solche Charakteristika werden selbstverständlich nur Tendenzen einer Kultur benennen können. Sie werden viele Vorurteile widerlegen - die Möglichkeit, das Verhalten eines Angehörigen einer Kultur exakt vorauszubestimmen, wird es allerdings niemals geben. Dennoch besitzen die beschriebenen Unterschiede zum Teil enorme Aussagekraft. Sie stellen die Grundlage zur Lösung interkultureller Probleme einerseits dar, helfen aber auch bei der Lösung nationaler bzw. intrakultureller Probleme, indem sie neue Sichtweisen auf alte, fest gefahrene und kaum mehr reflektierte Werte und Verhaltensmuster liefern, und dabei viele, oft nur oberflächlich geortete Probleme auf einen viel tiefer liegenden Kern zurückführen können.
Inhaltlich haben die hier verwendeten Arbeiten zwar größtenteils die interkulturelle Wirtschaftszusammenarbeit zum Gegenstand. Dies hat vor allem den Grund, dass auf diesem Gebiet mit Abstand am meisten empirisch gesammelte Daten existieren. Zu glauben, dass die in diesem Kontext gefundenen Werte und Verhaltensmuster deshalb ausschließlich betriebswirtschaftliche Interessen berühren, wäre jedoch ein großer Irrtum. Ein so zentraler gesellschaftlicher Aspekt wie betriebliche Arbeit schließt grundlegende Aspekte menschlichen Verhaltens (z. B. Zeitorientierung, Personen- vs. Aufgabenorientierung, Sozialorientierungen) mit ein und gibt damit Auskunft über grundlegende kulturspezifische Verhaltenmuster. Die im Rahmen wirtschaftlicher Untersuchungen gefundenen Daten lassen deshalb zentrale Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Kultur „im Ganzen“ zu - auch wenn sie diese nicht komplett abdecken, da sie ihren Ausgangspunkt in der Untersuchung kultureller Differenzen in Unternehmen haben.
Konkret wird in der vorliegenden Arbeit so vorgegangen, dass zunächst grundlegende Begriffe wie Kultur, kulturelle Dimension und Kulturstandards geklärt werden (Kap. 2). Danach werden die wichtigsten Ansätze zur Erfassung kultureller Unterschiede vorgestellt und ihre Stärken und Schwächen kurz erörtert (Kap. 3). Dabei wird sich herausstellen, dass keiner der Ansätze in seinen Dimensionen vollständig ist und darauf abzielt, eine klärende Ordnung in die Vielfalt kultureller Dimensionen zu bringen. Da eine Begründung der Auswahl dieser Dimensionen jedoch für jedes weitere Vorgehen unerlässlich ist, sowie ihre Ordnung so weit möglich schon aus Gründen der Übersicht große Vorteile bietet, sollen die bestehenden kulturellen Dimensionen daraufhin gruppiert und ihre Zusammenhänge erklärt werden, womit ein grobes Raster zur Erfassung kultureller Differenzen konstruiert werden kann (Kap 4.). Um die Aussagefähigkeit dieses Rasters zu prüfen, sowie die in Kap. 3 gezeigten potentiellen Unterschiede anhand konkreter Fälle zu veranschaulichen, werden im Anschluss daran die Nationen Deutschland und Frankreich auf ihre kulturellen Unterschiede hin verglichen werden (Kap. 5). Dabei werden zunächst einige grundlegende, wechselseitige Stereotypen beschrieben, nach denen dann, mit Hilfe des in Kap. 4 erarbeiteten Rasters Vermutungen über die deutsche und französische Kultur angestellt werden, die schließlich anhand der vorhandenen empirischen Untersuchungen geprüft werden sollen. Zeitlich konzentrieren sich die Untersuchungen auf das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts, bei der Untersuchung von Vorurteilen und Stereotypen wird der Rahmen leicht ausgedehnt und es werden, sofern sie den aktuelleren Bildern ähneln, auch Aussagen aus der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg herangezogen. Insgesamt wird sich dabei herausstellen, dass nicht wenige wechselseitige Stereotypen tatsächlich wissenschaftlich untermauert werden können, auch wenn viele Vorurteile natürlich als grob und vereinfachend relativiert oder gar als schlicht falsch abgetan werden müssen.
2. Begriffsklärung
Die Zahl der Definitionen des Begriffs Kultur liegt mindestens im oberen zweistelligen Bereich und kann hier schon aus Platzgründen nicht umfassend reflektiert werden. Die Definitionen der in dieser Arbeit behandelten Autoren umreißen jedoch einen recht klaren Kulturbegriff und scheinen eine stabile Ausgangsbasis für diese Arbeit zu bieten. Dieser im Folgenden verwendete Kulturbegriff bezieht sich in erster Linie auf Kulturen im Sinne von Zivilisationen bzw. Gruppen von Individuen und weniger auf die ebenso oft primär mit dem Wort Kultur in Zusammenhang gebrachte Hochkultur (Musik, Kunst, etc.). In Anlehnung an Hofstede (1997) und Trompenaars/Hampden-Turner (2004) lässt sich Kultur grob in drei Schichten einteilen (“Zwiebelmodell“): Eine erste, unsichtbare Schicht, bestehend aus grundlegenden Annahmen und daraus folgenden Werten; eine zweite Schicht aus charakteristischen Verhaltensweisen und Ritualen, die nicht immer sofort als kulturspezifisch erkannt werden müssen; sowie eine dritte Schicht aus Symbolen und Artefakten, die direkt sichtbar ist und zu der auch die sog. Hochkultur zu zählen ist. Kerngedanke dieses Kulturbegriffes ist es, dass die äußeren Schichten durch die weiter im Innern liegenden Schichten beeinflusst bzw. angeleitet werden. Die grundlegenden Annahmen und Werte fungieren dabei als Handlungsorientierungen, die dem Individuum vorgeben, wie es sich in welcher Situation zu verhalten hat, bzw. welche Werte und Prioritäten es in unbekannten Situationen zu berücksichtigen hat (vgl. Schroll-Machl 2002: 33). Sie werden von Generation zu Generation weiter gegeben und müssen dem Individuum nicht immer voll bewusst sein. Hofstede nennt diese Orientierungssysteme „mental programs“ (Hofstede 1980), später „geistige Software“ (Hofstede 1997), was keinen wesentlichen Unterschied darstellt. Generell sind es insbesondere die beiden unteren Schichten, die den Kern des hier verwendeten Kulturbegriffs ausmachen, und auf deren Ausprägung im Weiteren (aufgrund deren Erklärungskraft) zuvorderst abgezielt wird.
Darüber hinaus lassen sich diese Werte bzw. die konkret daraus folgenden Verhaltensweisen auf verschiedenen kulturellen Dimensionen verorten (z. B. Individualismus-Kollektivismus). Welche Dimensionen dabei geeignet sind, um eine Kultur möglichst treffend zu charakterisieren, wird in Kapitel 3 und 4 erörtert werden. Die für eine Kultur charakteristischen Werte innerhalb dieser Dimensionen werden als Kulturstandards bezeichnet. Zusammen ergeben diese Kulturstandards ein kulturelles System, wobei die einzelnen Werte meist eng zusammen hängen und sich gegenseitig beeinflussen.
In Hinblick auf die personelle und räumliche Eingrenzung des Kulturbegriffs wird in der vorliegenden Arbeit der Nationalstaat als Abgrenzungskriterium benutzt. Dies stellt zwar keine Notwendigkeit dar, denn auch der Nationalstaat ist mit seinen Subkulturen, ethnischen Minderheiten etc. weit davon entfernt, eine homogene kulturelle Einheit darzustellen; es bringt jedoch eine Reihe methodischer Vorteile mit sich (z. B. gleiche Sprache, leichtere Verortung der Individuen etc.; vgl. Dahl 2004: 7f). Wie schon in der Einleitung erwähnt, stellen die Aussagen, die im Folgenden über Kulturen gemacht werden, lediglich Tendenzen einer Kultur dar, Wahrscheinlichkeiten, wie sich Angehörige einer bestimmten verhalten. Von einer Kultur direkt auf das Verhalten eines Individuums zu schließen, wird als „ökologischer Fehlschluss“ bezeichnet. Ebenso ist es unzulässig von einem Individuum direkt auf dessen Kultur zu schließen.
In Hinblick auf den zweiten Teil dieser Arbeit, die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich, werde Stereotypen als fest stehende, starre Vorstellungen über bestimmte Wesens- oder Verhaltensmerkmale anderer Menschen oder Gruppen definiert. Damit unterscheiden sie sich von Vorurteilen vor allem darin, dass letztere als „Vor-Urteile“ ausdrücklich nicht auf Erfahrung beruhen (BPB 2007).
3. Ansätze zur Erklärung kultureller Unterschiede
3.1 Die zwei Dimensionen Halls
Als der Begründer der interkulturellen Forschung in ihrem heutigen Sinne kann Edward T. Hall gelten. In seinen zwei Hauptwerken (1959, 1969) hat er zwei klassische kulturelle Dimensionen entwickelt: So unterscheidet er einerseits „high context“ und „low context cultures“, was sich auf die Ebene der Kommunikation, genauer auf den Anteil der in einer Botschaft enthaltenen Informationen bezieht. Kulturen mit starkem Kontextanteil, deuten danach Informationen oft nur an, drücken das zentrale Element der Botschaft auf nonverbale Art und Weise aus oder lassen es ganz weg. Kulturen mit schwachem Kontextanteil drücken sich demgegenüber sehr direkt aus und versuchen in der Regel alle wesentlichen Informationen in der Botschaft (also verbal, noch besser: schriftlich) unterzubringen. Bei Unklarheiten wird das Gesagte lieber noch einmal wiederholt, damit auch wirklich nichts verloren geht.
Halls zweite Dimension ist die Zeitorientierung, wobei er monochrone von polychronen Kulturen unterscheidet. Anstatt Zeitorientierung könnte man die Dimension auch Aufgabenorientierung nennen, da es darum geht, wie viele Aufgaben eine Person zur selben Zeit erledigt. Dabei charakterisiert Hall die Angehörigen von monochronen Kulturen derart, dass sie jeweils eine Aufgabe nach der anderen in Angriff nehmen, bzw. mit der nächsten Aufgabe erst anfangen, wenn die vorherige beendet ist. Angehörige von polychronen Kulturen nehmen nach Hall hingegen mehrere Aufgaben gleichzeitig in Angriff („Multitasking“), wobei das Abschließen einer Aufgabe im Vergleich zu monochronen Kulturen einen niedrigeren Stellenwert hat.
3.2 Die vier Dimensionen Hofstedes
Die umfassende Studie des Niederländers Geert Hofstede (1980) stellt den nächsten großen Schritt in der Entwicklung der interkulturellen Forschung dar, da sie den Dimensionen Halls vier neue Dimensionen gegenüber stellt, und darüber hinaus, im Gegensatz zu Halls Arbeiten, auf einer enormen Fülle empirischer Daten basiert. Zwischen 1966 und 1973 leitete Hofstede ein sechsköpfiges Forscherteam, das über 60.000 Mitarbeiter des Softwarekonzerns IBM aus 71 Nationen mit Fragebögen über Werte und Präferenzen in bestimmten Situationen befragte. Die Ergebnisse veranlassten Hofstede dazu, die verschiedenen Kulturen anhand von vier kulturellen Dimensionen zu ordnen: Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, Individualismus und Maskulinität.
Hofstedes Machtdistanzindex beschreibt das Ausmaß an Autorität, das Angestellte in Hinblick auf ihren Vorgesetzten akzeptieren, bzw. „das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist“ (Hofstede 1997: 26). Diese Dimension Hofstedes ist in jedem Fall bedeutend, da sie den Abstand zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen einer Gesellschaft misst - ein zentraler Bestandteil im Zusammenleben und gemeinsamen Entscheiden von Individuen. Allerdings wird später von Trompenaars eine ähnliche, jedoch leicht abgeänderte Dimension vorgeschlagen, die in Verbindung mit den übrigen kulturellen Dimensionen noch aussagekräftiger zu sein scheint (s. 3.3).
Als zweite kulturelle Dimension führt Hofstede Unsicherheitsvermeidung an, eine grundlegende kulturelle Dimension, die sich auf die Maßnahmen von Individuen zur Erlangung von Sicherheit über zukünftige, zunächst unsichere Situationen bezieht. Hofstede definiert sie als den „Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen“ (Hofstede 1997: 156). Diese Definition beschreibt jedoch nur eine, die emotionale Seite der Dimension Unsicherheitsvermeidung und lässt die andere, aktive Seite – was wird getan, um gegen Unsicherheit vorzugehen? – unberücksichtigt. Dies schlägt sich auch in der Operationalisierung des Begriffes nieder - Hofstedes Unsicherheitsvermeidungsindex mit den Indikatoren Regelorientierung, Beschäftigungsstabilität (employment stability) und Stress scheint tatsächlich nur zu einem Drittel (Regelorientierung) auf die wirkliche Vermeidung von Unsicherheit zu zielen.[1]
Ergänzend sollte man Hofstedes Definition von Unsicherheitsvermeidung deshalb einen zweiten Teil hinzufügen, wie „sowie der Anteil ihrer Zeit, den sie dafür aufwenden, dieser Unsicherheit durch Regeleinhaltung, Planung oder sonstige Absicherungsmaßnahmen entgegenzuwirken“. Damit würde das unterschiedliche Aktionsniveau von Kulturen, die sich hinsichtlich des Maßes an Unsicherheitsvermeidung unterscheiden, deutlich. Rituale z. B. würden danach nicht notwendigerweise, wie von Hofstede behauptet, für Unsicherheitsvermeidung sprechen, da sie mit Unsicherheit, oft nur nachträglich umgehen, sie verarbeiten, nicht jedoch Maßnahmen dagegen ergreifen. Falls Hofstede tatsächlich auch generelle Maßnahmen im Umgang mit Unsicherheit oder, wie in seiner Definition angedeutet, nur das Gefühl von Unsicherheit hätte konzeptualisieren wollen, ist seine Begriffswahl ungeeignet. Letztendlich ist es jedoch gerade das Konzept Unsicherheitsvermeidung, dass in interkulturellen Studien sehr aufschlussreich ist und auch an anderen Stellen übernommen wurde (s. 3.6 und Kap. 4)
Die dritte von Hofstede eingeführte Dimension, Individualismus, ist ebenfalls zum Klassiker geworden und bezieht sich auf das Verhältnis von Individuen und Gruppen bzw. auf die horizontale Sozialorientierung von Individuen einer Kultur. Die zentrale Frage lautet dabei: Wer steht im Vordergrund? Wessen Interessen wird im Zweifelsfall Vorrang gegeben – denen des Individuums oder denen der Gruppe? In individualistischen Gesellschaften wie z. B. den USA haben Werte wie Selbstständigkeit und Unabhängigkeit einen hohen Stellenwert. In kollektivistischen Gesellschaften wie z. B. China müssen die Interessen des Individuums hinter denen der Gruppe zurückstehen. In solchen Gesellschaften kann das Individuum oft gar nicht ohne seine Abhängigkeit von der Gruppe gedacht werden. Der soziale Aspekt der Identität ist vorrangig. So existiert in der chinesischen Sprache z. B. kein angemessener Begriff für das westliche Konzept der „Persönlichkeit“: Der Ausdruck „jen“ (japanisch: „jin“) schließt die Person sowie ihr intimes soziales und kulturelles Umfeld mit ein (Hofstede 1980: 215). Dies ist auch der Grund, warum es in den kollektivistischen Kulturen Ostasien so schwer wiegt, dass „Gesicht“ zu verlieren. Die gesellschaftliche Rolle ist hier die primäre Identität. Ihr Verlust wird als genauso schwer betrachtet wie der Verlust eines Körperteils. Für Angehörige einer individualistischen Kultur scheint so etwas nur schwer verständlich.
Als vierte Dimension führt Hofstede Maskulinität vs. Femininität ein. Als maskulin werden dabei Gesellschaften charakterisiert, in denen „die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt sind: Männer haben „bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität [im Ganzen] legen“ (Hofstede 1997: 113). Femininität kennzeichnet dagegen „eine Gesellschaft, in der sich die Rollen der Männer und Frauen überschneiden: sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen“ (Hofstede 1997: 113). Die Bezeichnung dieser Dimension wurde im Nachhinein häufig kritisiert. Treffender wäre vielleicht Geschlechterdistanz in, oder Härteniveau einer Gesellschaft. In der sich an Hofstede orientierenden GLOBE-Studie, wird die entsprechend konstruierte Dimension „Assertiveness“ genannt (Bestimmtheit, Selbstbewusstsein) (House et al. 2004). Generell bezieht sich die Dimension jedoch auf einen Teil gesellschaftlicher Emotionen und scheint damit eher als Unterpunkt der bei Trompenaars/Hampden-Turner angeführten Dimension Emotionalität (generell) bzw. Grad der Äußerung von Emotionen geeignet (3.3).
In seinen Veröffentlichungen der 1990er Jahre schlägt Hofstede neben den vier genannten dann noch ein fünfte Dimension vor, die er die „konfuzianische Dynamik“ nennt, (auch wenn sie eigentlich Zeitorientierung heißen müsste, das sie sich zwischen den Polen Langfristorientierung und Kurzfristorientierung erstreckt) (vgl. z. B. Hofstede 1997: 223-244): Als Langfristorientierung bezeichnet Hofstede dabei eine Orientierung an Werten wie „Ausdauer (Beharrlichkeit), Ordnung der Beziehungen nach dem Status und Einhaltung dieser Ordnung, Sparsamkeit und Schamgefühl“, während Kurzfristorientierung Werte wie „persönliche Standhaftigkeit und Festigkeit, Wahrung des „Gesichts“, Respekt vor der Tradition und Erwiderung von Gruß, Gefälligkeiten und Geschenken“ verkörpern soll (Hofstede 1997: 233). Die Bezeichnung nennt Hofstede auf Vorschlag seines Mitarbeiters und China-Experten Michael Bond konfuzianisch, da „nahezu alle Werte an beiden Polen aus den Lehren des Konfuzius zu stammen scheinen“ (Hofstede 1997: 233). Das Schaffen einer fünften Dimension sei notwendig gewesen, da diese fernöstlichen Werte in der ursprünglichen Befragung nicht klar genug berücksichtigt worden seien. Es mag sein, dass die Werte in Hofstedes IBM-Studie nicht alle Wertesysteme der verschiedenen Kulturen gleich gut widerspiegeln. Dennoch scheinen viele der in Hofstedes fünfter Dimension vertretenen Werte in anderen Dimensionen gut untergebracht zu sein: So passen z. B. Ausdauer und Sparsamkeit gut zu Unsicherheitsvermeidung, Statusorientierung gut zu Machtdistanz (noch besser zu Trompenaars’ Hierarchiedimension, vgl. 3.3), und Schamgefühl, Wahrung des Gesichts und Erwiderung von Geschenken etc. gut zu Kollektivismus. Dass Werte in einer anderen Kultur anders gestaltet und miteinander verknüpft sein können, ist möglich. Dennoch scheint Hofstedes fünfte Dimension eher ein neu gemischtes Konglomerat aus Bestandteilen der bereits existierenden Dimensionen zu sein, als wirklich substantielle Neuerungen zu beinhalten. Für den weiteren Gebrauch scheint sie deshalb im Gegensatz zu den ersten vier kulturellen Dimensionen nicht brauchbar.
3.3 Der Beitrag von Trompenaars und Hampden-Turner
Der Niederländer Fons Trompenaars hat in den 1980er Jahren ca. 45.000 Angestellte verschiedener Unternehmen aus 50 Ländern befragt und die sich daraus ergebenden Werte gemeinsam mit seinem amerikanischen Kollegen Charles Hampden-Turner in sieben kulturelle Dimension eingeteilt, die sich von denen Halls und Hofstedes weitestgehend unterscheiden (vgl. Hampden-Turner/Trompenaars 2004, Trompenaars/Hampden-Turner 2004): Universalismus vs. Partikularismus; Individualismus vs. Kollektivismus; neutral vs. emotional; diffus vs. spezifisch; erworbener Status vs. zugeschriebener Status; Zeitorientierung; sowie Verhältnis zur Natur.
[...]
[1] So könnte ein hohes Stressniveau in einer Kultur dazu führen, dass diese mehr Gewicht auf Unsicherheitsvermeidung legt (Hofstedes Position), andererseits kann jedoch gerade ein hohes Stressniveau auch als Folge einer niedrigen Unsicherheitsvermeidung sein. So erhält Frankreich in Hofstedes Untersuchung beispielsweise einen höheren Punktwert für Unsicherheitsvermeidung als Deutschland, was sich als fragwürdig darstellt (s. Kap. 5). Darüber hinaus scheint Beschäftigungsstabilität weniger mit dem UV-Grad einer Gesellschaft zu tun zu haben, als mit der Philosophie des jeweiligen Wirtschaftssystems: Häufige Arbeitswechsel können Anzeichen für permanente Krisen genauso wie für eine gut funktionierende Marktwirtschaft mit hoher Flexibilität sein. Ebenso kann eine hohe Beschäftigungsstabilität sowohl auf die erstarrte Bürokratie einer „Bananenrepublik“ hindeuten, deren Bewohner zu großen Teilen „in den Tag hinein“ leben, als auch auf einen umsorgenden Wohlfahrtsstaat, dessen Bürger sich vergleichsweise wenig Sorgen um ihr Einkommen oder ihre Karriere machen, sich aber dennoch an Regeln orientieren und die Zukunft gründlich planen.
- Citation du texte
- Jonathan Widder (Auteur), 2007, Von Chaos und Ordnung - Eine Untersuchung der kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84508
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