Im Zuge der fortschreitenden wirtschaftlichen Integration der EU gewinnt die Region als Analyseebene zunehmend an Bedeutung. Während auf europäischer Ebene Konvergenzprozesse zwischen den Mitgliedstaaten zu beobachten sind, zeigen sich abhängig von den verwendeten Kriterien die regionalen Disparitäten weitgehend persistent oder vergrößern sich noch.
Als wichtiges Merkmal zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Region gilt dabei die Beschäftigung. Diese Arbeit konzentriert sich daher auf die Identifizierung der empirisch entscheidenden Determinanten der Beschäftigungsentwicklung, die Darstellung der theoretischen Grundlagen ihrer Wirkungsweise und die Diskussion der Umsetzbarkeit dieser Mechanismen in einem regionalen CGE Modell.
Untersucht werden die systematischen Auswirkungen des regionalen Lohnniveaus, der Branchenstruktur, der Betriebsgrößenstruktur, der Qualifikationsstruktur und der Siedlungsstruktur. Vor allem die Wirkungsweise der Branchen- und der Qualifikationsstruktur erweist sich als empirisch bedeutsam und theoretisch fundiert. Die Analyse der Siedlungsstruktur ermöglicht darüber hinaus Erkenntnisse über den Einfluss der ländlichen Regionen auf deren Beschäftigungsentwicklung. Dabei wird deutlich, dass der Effekt der ländlichen Regionen in der Nähe von urbanen Zentren deutlich positiver ausfällt, als der Effekt der peripheren Regionen. Die Abgelegenheit einer Region lässt sich somit als entscheidender Bestimmungsfaktor ihres Entwicklungspotentials einstufen.
Für die Simulierung der Beschäftigungsentwicklung in regionalen CGE Modellen bieten die bislang zur Analyse von Handelspolitiken eingesetzten Modelle eine erste Grundlage. Besonderes Augenmerk bei der Erweiterung sollte auf die Modellierung des Arbeitsmarktes inklusive einer Differenzierung des Faktors Arbeit gelegt werden. Dies ermöglicht es, den Einfluss der Qualifikationsstruktur zu berücksichtigen und genauere Informationen über Arbeitsmarktsegmente zu erhalten. Für die Abbildung der ländlichen Entwicklung ist es entscheidend, eine räumliche Modellstruktur zu schaffen. Dies ist über die Modellierung von eins zu eins Handelsströmen zwischen den Regionen und entfernungsabhängigen Transportkosten möglich.
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der Tabellen
Verzeichnis der Karten
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
2 Region als Analyseebene
2.1 Vorbemerkungen
2.2 Definition des Begriffs Region
2.2.1 Allgemein
2.2.2 Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS)
2.3 Regionale Unterschiede in Europa
3 Regionale Arbeitsmärkte
3.1 Identifikation der Determinanten
3.1.1 Vorbemerkungen
3.1.2 Methodenbeschreibung
3.2 Wirkung der Einflussfaktoren auf die Beschäftigungsentwicklung
3.2.1 Lohnniveau
3.2.1.1 Arbeitsmarkt aus mikro- und makroökonomischer Perspektive
3.2.1.2 Wirkung des Lohnniveaus auf das Beschäftigungswachstum
3.2.2 Branchenzusammensetzung
3.2.2.1 Determinanten der Spezialisierung von Regionen
3.2.2.2 Auswirkung auf die Beschäftigungsentwicklung
3.2.3 Betriebsgrößenstruktur
3.2.4 Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte
3.2.4.1 Externalitäten und Wachstumstheorie
3.2.4.2 Empirische Ergebnisse
3.2.5 Regionale Standortbedingungen
3.2.5.1 Individuelle Bedingungen der Region
3.2.5.2 Siedlungsstruktur
3.3 Ländliche Regionen
4 Regionale Computable General Equilibrium modelle
4.1 Entstehung, Aufbau und Funktionsweise
4.2 Umsetzung der beschäftigungsrelevanten Determinanten
4.2.1 DREAM Modell
4.2.2 Erweiterungsmöglichkeiten
5 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang I
Anhang II
Anhang III
Anhang IV
Verzeichnis der Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1: Klassische Arbeitsmarktdarstellung
Abbildung 2: Lohn- und Preissetzungsdiagramm
Abbildung 3: Wirtschaftszweigspezifische Isobeschäftigungskurven
Abbildung 4: Produktlebenszyklus, Innovationen und Produktabsatz im Zeitverlauf
Abbildung 5: Aus der Produktnachfrage abgeleitete Arbeitsnachfrage bei Produktivitätszuwächsen
Abbildung 6: Blasenförmiges Bifurkationsdiagramm
Abbildung 7: Struktur eines Agglomerations-Wachstums Modells der NÖG
Abbildung 8: Stabilisierende und destabilisierende Wirkung von zunehmender Integration
Abbildung 9: Erreichbarkeit, Transport und regionale Entwicklung
Abbildung 10: Struktur einer SAM
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1: Durchschnittseinwohnerzahl der NUTS-Regionen gemäß der NUTS-Verordnung
Tabelle 2: Der Zusammenhang zwischen Lohn- und Beschäftigungswachstum verschiedener Branchen in Westdeutschland (1993-2001)
Tabelle 3: Branchenspezifische Beschäftigungswirkung im Vergleich zum durchschnittlichen westdeutschen Beschäftigungswachstum (1993–2001)
Tabelle 4: Wirkung der Betriebsgrößenstruktur auf das Beschäftigungswachstum in Westdeutschland (1993-2001)
Tabelle 5: Güterklassifikation des Wissens
Tabelle 6: Wirkung der Qualifikation auf das jährliche Beschäftigungswachstum in Westdeutschland (1993-2001)
Tabelle 7: Wirkung der Siedlungsstruktur auf das Beschäftigungswachstum in Westdeutschland (1993-2001)
Verzeichnis der Karten
Karte 1: BIP pro Einwohner auf NUTS 2 Ebene (in KKS) in Prozent des EU-25 Durchschnitts (2003)
Karte 2: Erwerbstätigenquote im Jahr 2004 auf NUTS 2 Ebene in der Altersklasse 15 bis 64 Jahre (in Prozent)
Karte 3: Entwicklung der Erwerbstätigkeit auf NUTS 2 Ebene in der Altersklasse größer als 15 Jahre, Veränderung in Prozent zwischen 2003 und 2004
Karte 4: Bereinigte Lohnstruktur auf Kreisebene in Westdeutschland
Karte 5: Lohneffekt in Westdeutschland
Karte 6: Brancheneffekt in Nordrhein-Westfalen
Karte 7: Betriebsgrößeneffekt in Nordrhein-Westfalen
Karte 8: Qualifikationsstruktureffekt in Nordrhein-Westfalen
Karte 9: Standorteffekt in Westdeutschland
Karte 10: Siedlungsstrukturelle Kreistypen in Deutschland
Karte 11: Einteilung der europäischen NUTS 3 Regionen basierend auf der OECD Klassifikation und einem Peripherieindex
Karte 12: Lohneinkommen pro Tag auf Kreisebene, Deutschland 1997
Karte 13: Siedlungsstruktur in Nordrhein-Westfalen
Karte 14: Jährliches Beschäftigungswachstum in Westdeutschland von 1993 bis 2001
Karte 15: Jährliches Beschäftigungswachstum in den ostdeutschen Kreisen von 1995 bis 2001
Karte 16: Jährlicher Brancheneffekt in Westdeutschland von 1993 bis 2001
Karte 17: Jährlicher Betriebsgrößeneffekt in Westdeutschland von 1993 bis 2001
Karte 18: Jährlicher Qualifikationseffekt in Westdeutschland zwischen 1993 und 2001
Karte 19: Erreichbarkeit der europäischen NUTS 3 Regionen nach dem Schürmann-Talaat Index
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Europäische Union besteht mittlerweile aus 27 Mitgliedstaaten mit unterschiedlicher ökonomischer Entwicklung und Leistungskraft. Jeder einzelne Staat wiederum ist nicht homogen, sondern durch regionale Unterschiede gekennzeichnet. Diese Differenzen zeigen sich oft besonders deutlich bei dem Vergleich zwischen urbanisierten Ballungsräumen und ländlichen, peripheren Gebieten. Dort findet sich häufig eine niedrige Wertschöpfung je Einwohner und eine höhere Arbeitslosigkeit.
Um das Ziel zu erreichen, der stärkste Wirtschaftsraum der Welt mit einer größtmöglichen Beschäftigung zu werden, beschloss der Europäische Rat im Jahr 1997 in Amsterdam die Europäische Beschäftigungsstrategie. Im Jahr 2000 wurde in Lissabon vereinbart, sich insbesondere auf die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen zu konzentrieren (Eurostat 2007a, S. 131). Die Halbzeitbewertung 2005 wies allerdings noch viele Umsetzungsschwierigleiten auf, so dass die Ziele bisher verfehlt wurden. Zum Beispiel erfolgte zwar eine Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den Mitgliedstaaten, jedoch zeigten sich die regionalen Disparitäten auch zwischen Agglomerationsräumen und ländlichen Gebieten überwiegend konstant oder vergrößerten sich sogar. Daher muss sich die Strukturpolitik der EU und die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zur ländlichen Entwicklung verstärkt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in ländlichen Gebieten konzentrieren (Kom 2005, S. 9). Diese Arbeitsplätze sind notwendig, um die ökonomische Stärke der EU auszubauen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Außerdem sorgen sie durch Erhaltung von Beschäftigung in den Regionen dafür, dass eine Reihe von öffentlichen Gütern wie z.B. der Erhalt der Kulturlandschaft, ländliche Traditionen und Umweltschutz auch in Zukunft bereitgestellt werden können (Agricultural Council 2003, S. 8).
Um dies vor dem Hintergrund der begrenzten finanziellen Mittel möglichst weitgehend erreichen zu können, ist es wichtig, die politischen Maßnahmen effizient und wirksam durchzuführen. Dazu ist es erforderlich, die Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Entwicklung von regionalen Arbeitmärkten zu identifizieren und die Wirkungszusammenhänge zu verstehen. Ohne diese Grundlagenforschung ist eine wissenschaftliche Politikberatung nicht möglich (Blien et al. 2001a, S. 48).
Eine Variante, die Erkenntnisse in quantitative Aussagen bezüglich der Beschäftigung umzusetzen, sind allgemeine Gleichgewichtsmodelle bzw. Computable General Equilibrium (CGE) Modelle[1]. Diese bieten die Möglichkeit einer expliziten Arbeitsmarktmodellierung und erlauben es, verschiedene Politikszenarien zu simulieren, um ex-ante Informationen zu erhalten.
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
Im Rahmen dieser Arbeit sollen daher die Determinanten der regionalen Beschäftigungsentwicklung theoriebasiert untersucht werden. Darauf aufbauend ist es das Ziel, den gegenwärtigen Stand der Umsetzung dieser Determinanten in CGE Modellen zu analysieren und zu bewerten.
Zuerst wird hierzu ein Überblick über die regionalen Disparitäten in Deutschland und der Europäischen Union gegeben. Daraus wird eine gegenüber der Problemstellung dieser Arbeit ausführlichere Motivation zur Regionalforschung abgeleitet. Im nächsten Abschnitt werden mehrere regressionsanalytische Untersuchungen mit dem Beschäftigungswachstum als erklärender Variable verwendet, um signifikante Einflussfaktoren für die regionale Beschäftigungsentwicklung zu identifizieren. Anschließend werden verschiedene theoretische Modelle wie z.B. die neue Wachstumstheorie und die neue ökonomische Geographie benutzt, um die Wirkungsweise dieser Faktoren zu verstehen. Davon ausgehend werden Schlussfolgerungen für die Arbeitsmärkte ländlicher Regionen gezogen. Das vierte Kapitel dient der Untersuchung verschiedener Ansätze zur Arbeitsmarktmodellierung in CGE Modellen und der Frage, ob sie die Wirkungsmechanismen der analysierten Determinanten abbilden können.
Auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit in Europa konzentriert sich diese Arbeit auf die Determinanten der Arbeitsnachfrage. Verzichtet wird daher weitestgehend auf eine Diskussion von prinzipiell eher arbeitsangebotsrelevanten Fragestellungen. Hierzu zählen die Migration von Arbeitskräften, sowie die zunehmende Alterung der Gesellschaft[2].
2 Region als Analyseebene
2.1 Vorbemerkungen
Der folgende Abschnitt soll dem Leser einen Überblick über die regionalen Unterschiede in der Europäischen Union und in Deutschland liefern. Die dargestellten regionalen Disparitäten orientieren sich an ökonomischen Indikatoren wie dem regionalen BIP und der Erwerbstätigenquote.
In diesem Zusammenhang sollen folgende Fragen beantwortet werden: Was versteht man überhaupt unter einer Region? Wie groß sind die regionalen Unterschiede in Europa? Wie definieren sich ländliche Regionen? Für welche Art von ökonomischen Fragestellungen ist die Region die geeignete Bezugsebene zur Beantwortung? Wie lassen sich regionale Disparitäten erklären?
Die letzte Frage leitet zum dritten Abschnitt dieser Arbeit über. Dieser untersucht explizit regionale Unterschiede bezüglich der Beschäftigung und versucht, diese mit Hilfe von theoretischen Modellen und fundiert durch empirische Erkenntnisse zu erklären.
2.2 Definition des Begriffs Region
2.2.1 Allgemein
Unter dem Begriff Region wird allgemein ein zusammenhängendes geographisches Gebiet von mittlerer Größenordnung zwischen Volkswirtschaften und Lokalitäten verstanden. Der Zweck ist die Kennzeichnung einer Ebene zur räumlichen Analyse (Gabler 1992, S.2790). Eine ähnliche Einordnung der Region nehmen Maier und Tödtling (2002, S.36) im Kontext der Standorttheorie vor[3].
Bei der wissenschaftlichen Betrachtung von Regionen werden im Hinblick auf das Kriterium zur Aggregation von Standorten zu Regionen drei Arten unterschieden. Man differenziert zwischen homogenen Regionen bzw. Strukturregionen, funktionalen Regionen bzw. Nodalregionen und technischen Regionen, die auch Programmregionen genannt werden. Unter einer Strukturregion versteht man die Zusammenfassung von mehreren Beobachtungseinheiten, z.B. administrativen Gebieten, die sich in einem oder mehreren Merkmalen sehr ähnlich sind. Demgegenüber definiert sich eine Nodalregion durch ein oder mehrere Bewegungsphänomene, wie Pendlerverflechtungen oder Finanzströme, durch welche die Einheiten einen prozessualen Zusammenhang bilden. Ein anderer Ansatz liegt den Programmregionen zugrunde. Diese werden auf der Basis von vorab festgelegten Kriterien zum Zweck politischer oder raumplanerischer Maßnahmen gebildet (Gabler 1992, S.2790ff).
Wie aus diesen Begriffsbestimmungen deutlich wird, sind die Ausmaße und die Bedeutung einer Region immer durch bestimmte Kriterien definiert, die sich je nach wissenschaftlicher oder politischer Fragestellung ändern können. Die Einteilung eines Raumes in Regionen ist somit nicht absolut. Aus diesem Grund gibt es auch keine eindeutigen räumlichen Abgrenzungen und auch keine für alle analytischen Probleme geeignete Definition von ländlichen Regionen oder ländlichen Räumen[4]. Dieser Begriff ist deshalb so schwer zu fassen, weil er von sehr vielen sozioökonomischen Kriterien bestimmt wird. Zu nennen sind u.a. eine geringe Bevölkerungsdichte, die Absenz von urbanen Zentren, die relative Bedeutung der Landwirtschaft und das Vorhandensein und Pflegen von Traditionen. Hinzu kommt, dass Regionen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern die Wechselwirkungen zu benachbarten, sowohl städtischen als auch ländlichen Gebieten, berücksichtigt werden müssen (SERA 2006, S.159).
Es sei zur Vertiefung dieser Thematik auf den Abschnitt 3.3 verweisen, der sich eingehender mit den Charakteristika ländlicher Regionen beschäftigt. An dieser Stelle soll die Einführung in die Problematik der Abgrenzung von Regionen dazu genutzt werden, das hierzu auf europäischer Ebene verwendete Klassifikationsschema vorzustellen. Auf dessen Basis werden im Abschnitt 2.3 regionale Unterschiede in Europa erläutert.
2.2.2 Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS)
Schon vor mehr als 25 Jahren wurde begonnen, eine auf normativen Kriterien beruhende Systematik für die Einteilung von Regionen in Europa zu entwickeln. Diese wird als NUTS[5] (Nomenclature des unités territoriales statistiques) bezeichnet. Unter normativ gebildeten Regionen versteht man Regionen, deren Basis eine politische Willensäußerung ist. Das bedeutet, es sind Gebiete, die auf Grund ihrer Einwohnerzahl oder historischer und kultureller Ereignisse entstanden sind, um politische und wirtschaftliche Aufgaben effizient zu erfüllen. Es handelt sich also um institutionelle Gebietseinheiten. In Deutschland sind dies z.B. Bundesländer oder Kreise. Der Vorteil dieser Einteilung ist eine einfache Datenverfügbarkeit und eine schnelle Umsetzbarkeit von regionalpolitischen Maßnahmen, da die entsprechende Region, natürlich im Rahmen ihrer Kompetenzen, politisch eigenständig agieren kann (Eurostat 2007b).
Die NUTS ist ein hierarchisches System mit drei Ebenen. Da die meisten Mitgliedstaaten nicht aus drei Verwaltungsebenen oberhalb der Gemeinden bestehen, ist nicht zwingend jeder NUTS Region genau eine institutionelle Gebietseinheit zugeordnet (Eurostat 2007b). Zum besseren Verständnis sei dies kurz am Beispiel der deutschen Verwaltungsstruktur erläutert. Die NUTS 1 Stufe ist die erste Ebene unterhalb der Mitgliedstaaten und entspricht den Bundesländern. Der NUTS 3 Ebene sind die einzelnen Landkreise bzw. die kreisfreien Städte zugeordnet. Für die dazwischenliegende NUTS 2 Region gibt es jedoch keine entsprechende Verwaltungsebene. In den kleineren Bundesländern entspricht sie dem Land. NUTS 1 und 2 Region sind somit identisch. In Nordrhein-Westfalen werden die Regierungsbezirke als Maß für die NUTS 2 Regionen verwendet. In anderen Bundesländern entsprechen die NUTS 2 Regionen lediglich einer relativ gleichmäßigen Zusammenfassung von Kreisen[6].
Es wurde angestrebt, die NUTS Regionen so zu wählen, dass sie sowohl hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl als auch bezüglich ihrer Fläche in etwa vergleichbar sind. Einen Anhaltspunkt über die ungefähre Einwohnerstärke der einzelnen NUTS Ebenen gibt Tabelle 1.
Tabelle 1: Durchschnittseinwohnerzahl der NUTS-Regionen gemäß der NUTS-Verordnung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eurostat 2007b, Grundprinzipien der NUTS
Da es sich um Durchschnittswerte handelt, können einzelne Regionen auch deutlich davon abweichen. Beispielsweise leben in Nordrhein-Westfalen als größter NUTS 1 Region ca. 18 Mio. Menschen und in Åland, einer Region in Finnland, nur 25 000. Auf Ebene von NUTS 2 und 3 gibt es ähnliche Unterschiede. Die Spannweite ist dort allerdings etwas geringer. Allgemein sind diese Abweichungen durch die stark unterschiedliche Bevölkerungsstruktur in den einzelnen Mitgliedstaaten zu erklären.
Die Gebiete unterhalb der NUTS 3 Regionen, in Deutschland die Gemeinden, werden als lokale Gebietseinheiten (LAU) bezeichnet. Im engeren Sinne gehören sie nicht zur NUTS. Allerdings basiert ein gängiges Klassifikationsschema der OECD zur Einteilung der Regionen auf NUTS 3 Ebene nach ihrem Urbanisierungsgrad auf der Bevölkerungsdichte in den LAU. Das Schema wird in Abschnitt 3.3 in der Diskussion um die Differenzierung von ländlichen Regionen erläutert.
2.3 Regionale Unterschiede in Europa
Im Folgenden werden einige sozioökonomische Merkmale auf NUTS 2 Ebene europaweit verglichen. Anwendung finden das regionale BIP als Maß für die ökonomische Stärke einer Region und die Beschäftigung auf Grund ihrer erläuterten wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung. Dies dient der Schaffung eines Überblicks über die Struktur der institutionellen Regionen in der EU und einem Einstieg in die Untersuchung der ökonomischen und geographischen Lage von ländlichen Gebieten.
Das Bruttoinlandsprodukt wird oft als Kriterium für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region verwendet. Wenn man es allerdings zum Vergleich zwischen Regionen einsetzen möchte, muss man beachten, dass das absolute Niveau des BIP durch die Größe der Region und durch das Preisniveau beeinflusst wird. Deshalb ist es für einen sinnvollen Vergleich wichtig, das BIP auf die Einwohnerzahl umzurechnen und das Preisniveau durch die Verwendung von Kaufkraftparitäten zu berücksichtigen. Zu beachten ist außerdem, dass das BIP die in einer Region erbrachte wirtschaftliche Leistung misst und dabei nicht berücksichtigt, ob diese von Personen erwirtschaftet wird, die auch ihren Wohnsitz in dieser Region haben. Daraus resultierend ist zu beobachten, dass bei einer großen Anzahl von Pendlern das BIP je Einwohner in großen Städten sehr hoch ist und in angrenzenden Regionen eher gering (Blöchlinger 2004, S.10). Das entspricht jedoch nicht den Einkommen der Haushalte in diesen Regionen (Eurostat 2006, S.29).
Karte 1 zeigt das regionale BIP je Einwohner auf NUTS 2 Ebene des Jahres 2003. Es ist als Prozentsatz des EU-25 Durchschnitts angegeben. Dieser liegt in absoluten Zahlen bei 21741 Kaufkraftstandard (KKS) je Einwohner.
Karte 1: BIP pro Einwohner auf NUTS 2 Ebene (in KKS) in Prozent des EU-25 Durchschnitts (2003)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anm.: KKS ist eine künstliche Währung, welche die durchschnittlichen Wechselkurse zwischen und das unterschiedliche Preisniveau in den Mitgliedstaaten der EU berücksichtigt. Für die genaue Berechnung siehe Eurostat (2006, S.37).
Quelle: Eurostat (2006, S.32).
Wie zu erwarten zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den EU-15 und den neuen Mitgliedstaaten. Aber auch einige Regionen in der Peripherie der alten Mitgliedstaaten, Teile Portugals, Südspanien, Süditalien und Ostdeutschland, liegen deutlich unterhalb des EU-Durchschnitts. Insgesamt liegt das BIP pro Einwohner in 74 der 268 NUTS 2 Regionen bei weniger als 75 % des EU-Durchschnitts. Demgegenüber wird in 36 Regionen mehr als 125 % erwirtschaftet. Dazu gehört der Süden Englands und Deutschlands, Skandinavien, der Norden Italiens sowie Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Ebenfalls überdurchschnittlich schneiden viele Hauptstadtregionen wie Madrid, Paris und Prag und in Relation zum Landesdurchschnitt auch Lissabon, Bukarest, Budapest, Sofia und Bratislava ab. Das höchste BIP je Einwohner erreicht das Zentrum von London mit gut 275 %, das niedrigste verzeichnet der Nordosten Rumäniens mit weniger als 25 % des EU-Durchschnitts. Damit liegt die Spannweite bei 12,8 zu 1 und ist damit im Vergleich zu 2002 etwas geringer geworden. Dies kann als ein allerdings sehr geringes Anzeichen für eine zunehmende Konvergenz der europäischen Regionen interpretiert werden. Dafür spricht auch, dass die Anzahl der Regionen, die zwischen 125 % und 75 % des Durchschnitts erwirtschaften, im gleichen Zeitraum von 147 auf 158 gestiegen ist (Eurostat 2006, S.30ff). Gleichwohl sollte man bei Betrachtung dieser leichten Annäherung bezüglich des regionalen BIP nicht aus dem Blick verlieren, dass die absoluten Unterschiede immens sind.
Die Beschäftigung wird neben dem BIP als ein sehr wichtiges Kriterium für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Region angesehen. Gerade die Beschäftigung beinhaltet neben der rein ökonomischen Bedeutung, d.h. der Entlohnung des Produktionsfaktors Arbeit und damit der Erzielung von Einkommen durch die privaten Haushalte, auch eine zweite, eine soziale Komponente. Arbeit besitzt meist einen Wert an sich, indem sie es den Menschen ermöglicht, sich weiterzuentwickeln und soziale Kontakte zu knüpfen (Franz 1991, S.11). Ein hohes Maß an Beschäftigung und eine damit verbundene geringe Arbeitslosigkeit kann somit als ein Indiz für die Lebensqualität in einer Region gelten[7].
Die Karte 2 zeigt die Erwerbstätigenquote auf Ebene der NUTS 2 Regionen in der EU. Dargestellt ist der prozentuale Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung, jeweils in der Altersgruppe von 15 bis 64 Jahren. Als erwerbstätig gilt, wer zum Zeitpunkt der Erhebung einen Arbeitsplatz hatte oder mehr als eine Stunde pro Woche mit dem Ziel eines finanziellen Gewinns gearbeitet hat (Eurostat 2006, S.67). Auf Grund der ähnlichen Farbgebung, mit rot für niedrige Erwerbstätigenquote bzw. niedriges BIP und grün für eine hohe Erwerbstätigenquote bzw. ein hohes BIP, lassen sich die Karten 1 und 2 sehr gut auf regionale Übereinstimmungen dieser beiden ökonomischen Indikatoren untersuchen. Auf den ersten Blick ergibt sich eine sehr große Übereinstimmung. Regionen mit einer hohen Erwerbstätigenquote weisen tendenziell auch eine höhere Wertschöpfung je Einwohner auf und vice versa. Dieser Zusammenhang ist unter sonst gleichen Verhältnissen (ceteris paribus) begründbar. Beide Indikatoren sind mathematisch definiert als Bruch, dessen Nenner die Einwohnerzahl[8] der Region bildet. Wenn mehr Menschen pro Einwohner erwerbstätig sind, kann so auch ein höheres BIP pro Kopf erwirtschaftet werden.
Karte 2: Erwerbstätigenquote im Jahr 2004 auf NUTS 2 Ebene in der Altersklasse 15 bis 64 Jahre (in Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eurostat (2006, S.57).
Bei Unterschieden besonders hinsichtlich der Arbeitsproduktivität, der Arbeitszeit und der Bevölkerungsstruktur zwischen den Regionen verwischt dieser direkte Zusammenhang. So ist es möglich, dass bei einer niedrigeren Arbeitsproduktivität oder einer kürzeren Arbeitszeit in einer Region mit einem relativ geringen BIP pro Einwohner eine relativ hohe Erwerbstätigenquote erreicht wird. Sichtbar wird dies beispielsweise an einigen Regionen in Portugal und im Norden von Großbritannien. Die Vorraussetzung dafür ist ein regional geringeres Lohnniveau.
Beim Blick auf Karte 2 fallen zwei weitere Aspekte auf, die es bei der Interpretation der Erwerbstätigenquote im Vergleich zum BIP zu berücksichtigen gilt. Als erstes ist der Effekt von Berufspendlern zu nennen, der schon einmal angesprochen wurde. Für die Erwerbstätigenquote bedeutet eine hohe Anzahl von Pendlern, dass sie in der Region relativ hoch ist, in der die Pendler wohnen. Umgekehrt kann sie in den Regionen in die hineingependelt wird, das heißt in den großen Städten, auf Grund der größeren Konkurrenz um die Arbeitsplätze relativ geringer sein. Auf der Karte 2 ist dieser Einfluss z.B. bei den Regionen rund um London, Wien und Brüssel zu erkennen. Dadurch wird deutlich, dass sich Regionen nicht einzeln, unabhängig von ihren Nachbarregionen untersuchen lassen (Blien, Bogai, Fuchs 2007, S.15).
Als zweites fällt bei dem direkten Vergleich von den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien auf der einen Seite und auf der anderen Deutschland, Belgien und Frankreich auf, dass die Höhe der Erwerbstätigenquote anscheinend auch durch nationale und nicht nur durch regionale Einflüsse geprägt ist. Andernfalls lassen sich die großen Unterschiede benachbarter Regionen, die schon lange Teil eines gemeinsamen Marktes sind, nur schwer erklären. Als mögliche national geprägte Einflussfaktoren seien hier die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Flexibilität der Löhne und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit genannt (Enste und Hardege 2006, S.6f).
Zusammenfassend spielen alle Politikbereiche beim Vergleich von Regionen eine Rolle, die nicht von einer allen Regionen übergeordneten Instanz entschieden werden bzw. für alle Regionen gleichermaßen gültig sind. Bei einem europäischen Vergleich betrifft dies vor allem das Steuer- und Arbeitsrecht, aber auch die Sozial- und Familienpolitik. Genau genommen muss auch die Struktur- und regionale Entwicklungspolitik der EU berücksichtigt werden. Eine derart detaillierte Analyse würde jedoch zum einen den auf eine theoretische Breite ausgerichteten Rahmen dieser Arbeit verlassen und zum anderen den Fokus von der Region in Richtung der nationalstaatlichen Ebene verschieben. Außerdem wäre sie auch im Hinblick auf die Möglichkeiten bei der Modellierung von CGE Modellen an dieser Stelle nicht zielführend. Daher konzentriert sich diese Arbeit auf die Untersuchung der ökonomisch und wirtschaftsgeographisch wichtigsten Faktoren, auch und gerade im Hinblick auf die Situation von ländlichen Regionen.
Untersucht wird dabei die Wirkung auf die Entwicklung der Beschäftigung. Dies ermöglicht es, die Stellschrauben zu identifizieren, an denen für eine politisch gewollte Zunahme der Beschäftigung gedreht werden kann. Karte 3 zeigt die Entwicklung der Beschäftigung, ebenfalls auf Ebene der NUTS 2 Regionen. Auffällig ist, dass sich kein zumindest teilweise an Ländergrenzen orientierendes Schema finden lässt, wie es bei dem BIP und der Erwerbstätigenquote der Fall war. Die einzige Ausnahme stellt Spanien dar, in dem sich die Erwerbstätigkeit in allen Regionen gleichermaßen positiv entwickelt hat.
Karte 3: Entwicklung der Erwerbstätigkeit auf NUTS 2 Ebene in der Altersklasse größer als 15 Jahre, Veränderung in Prozent zwischen 2003 und 2004
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eurostat (2006, S.59).
Es lässt sich also vermuten, dass gerade die Entwicklung der Beschäftigung maßgeblich von regionalen Faktoren geprägt wird. Auch aus diesem Grund lohnt sich also eine genauere Betrachtung der Determinanten der regionalen Beschäftigungsentwicklung.
3 Regionale Arbeitsmärkte
3.1 Identifikation der Determinanten
3.1.1 Vorbemerkungen
In diesem Abschnitt wird nun die europaweite Perspektive verlassen. Stattdessen soll die Konzentration bei der Identifikation der Einflussfaktoren für die regionale Beschäftigungsentwicklung auf Deutschland gerichtet werden. Diese Fokussierung ermöglicht es, die Analyse auf einer kleinstrukturierteren regionalen Ebene, d.h. auf NUTS 3 Level durchzuführen. Eine solche genauere Aufgliederung liefert Regionen, die bezüglich bestimmter sozioökonomischer Kriterien homogener sind. So teilt sich beispielweise die NUTS 2 Region Schleswig-Holstein in 15 NUTS 3 Regionen auf. Darunter befinden sich strukturell sehr unterschiedliche Kreise wie das städtisch geprägte Kiel, die hochverdichtete an Hamburg grenzende Region Pinneberg und strukturschwache Kreise wie z.B. Nordfriesland (Niebuhr und Kotte 2005, S. 13). Vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Arbeit bietet sich so die Chance, trennschärfere Daten für ländliche Regionen zu erhalten.
Bei dieser Vorgehensweise ist zu berücksichtigen, dass die Daten möglicherweise durch spezifische deutsche Besonderheiten, sei es hinsichtlich der Politikgestaltung oder der Vergangenheit der Neuen Bundesländer, beeinflusst sind. Für das Bestreben, mit Hilfe der empirischen Ergebnisse die theoretischen Wirkungszusammenhänge darzustellen, spielt dies aber nur eine untergeordnete Rolle. Es wird nicht angestrebt, verallgemeinerbare quantitative Einflüsse der Determinanten der Beschäftigungsentwicklung zu ermitteln. Die im nächsten Abschnitt erläuterten Faktoren sollen vielmehr als Grundpfeiler dienen, um auf ihnen ein schlüssiges Theoriegebäude aufzubauen.
3.1.2 Methodenbeschreibung
Dabei stützt sich diese Arbeit auf zwei Forschungsprojekte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Beide Projekte verwenden zur Identifikation der Einflussfaktoren der regionalen Beschäftigungsentwicklung eine spezielle ökonometrische Modellierung im Rahmen einer Shift-Share-Regression[9] (Blien et al. 2002, 2006). Der Hauptvorteil dieser Regressionsmethode liegt in der Trennung der Zufalls- von den Standorteinflüssen.
Zur Verdeutlichung zeigt die Gleichung 1 eine sehr einfache Form dieser Methode mit drei erklärenden Variablen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei steht die endogene VariableAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür das regionale Beschäftigungswachstum[10] in der Branche i, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür den Effekt der Branche i, Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür den Periodeneffekt zum Zeitpunkt t und Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenden Effekt der Region r. Alle nicht erfassten Einflüsse werden in der StörgrößeAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten gesammelt (Blien und Wolf 2002, S.6f). Gerade im Hinblick auf die Analyse der Beschäftigungsentwicklung in ländlichen Gebieten ermöglicht die Isolierung der Standorteinflüsse die Messung des direkten Effektes der Region auf die Beschäftigung.
Zur Verbesserung des Modells ist es möglich, nahezu beliebig viele weitere exogene Variable in die Regressionsrechnung mit einzubeziehen. Die erste Studie des IAB, das sog. ENDOR-Projekt, verwendet als zusätzliche exogene Variable das Bildungsniveau der Erwerbsbevölkerung. Außerdem wird bei dem Regioneneffekt Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenexplizit zwischen einem Siedlungsstruktureffekt und einem Standorteffekt[11] differenziert. Dieses Projekt konzentriert sich dabei auf die Neuen Bundesländer. Die nachfolgende „Vergleichende Analyse von Länderarbeitsmärkten“ (VALA[12] ) erweitert die Untersuchung auf ganz Deutschland und bezieht als weitere unabhängige Variable das regionale Lohnniveau und die Betriebsgrößenstruktur mit ein. Zur Berücksichtigung der allgemeinen Konjunkturentwicklung wird ein Dummy für die Zeitperiode verwendet.
Die Einflüsse von Arbeitsmarktflexibilität und von Sozialleistungen, die auf nationalstaatlicher Ebene als mitentscheidend für das Beschäftigungswachstum diskutiert werden[13], sind nicht speziell in die Regressionsrechnungen integriert, da regionale Disparitäten durch sie nicht erklärt werden können. Andere Faktoren, wie z.B. lokale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, finden sich in der Standortkomponente einer Region wieder (Farhauer und Granato 2006, S.1ff).
Im nächsten Abschnitt werden nun die exogenen Variablen der beiden Studien einzeln genauer untersucht. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Beziehungen zwischen diesen Variablen und dem Beschäftigungswachstum theoretisch zu fundieren. So lässt sich aus einem rein statistischen ein kausaler Zusammenhang entwickeln.
3.2 Wirkung der Einflussfaktoren auf die Beschäftigungsentwicklung
3.2.1 Lohnniveau
Zur Einführung wird zuerst auf die Wirkung des Lohnniveaus eingegangen. Die grundlegende Funktion des Lohns als Preis für den Faktor Arbeit soll genutzt werden, um die prinzipielle Wirkungsweise des Arbeitsmarktes darzustellen. Das Augenmerk liegt hierbei zunächst auf der Frage, inwieweit das Lohnniveau die absolute Höhe der Beschäftigung determiniert und wie sich daher Arbeitslosigkeit erklären lässt. Daran anschließend werden verschiedene Theorieansätze diskutiert, welche die Wirkung auf die Beschäftigungsentwicklung beschreiben. Zum Abschluss werden die theoretischen Erkenntnisse mit Hilfe der empirischen Ergebnisse überprüft.
3.2.1.1 Arbeitsmarkt aus mikro- und makroökonomischer Perspektive
Mikroökonomisch basierte Fragestellungen bezüglich des Faktors Arbeit beziehen sich zum einen auf die individuellen Bestimmungsgründe der Arbeitsnachfrage der Unternehmen und zum anderen auf die Entscheidungsgrundlagen über die Höhe des Arbeitsangebotes der einzelnen Haushalte.
Im Rahmen der Haushaltstheorie ist unstrittig, dass sich das Arbeitsangebot der Haushalte von den individuellen Präferenzen bezüglich Arbeits- und Freizeit ableitet. Bei einem konstanten Grenznutzen der Arbeit, dem realen Lohnsatz[14], wird der Arbeitseinsatz so gewählt, dass der Grenznutzen der Freizeit mit dem der Arbeit übereinstimmt. Nicht eindeutig ist dagegen das Verhalten des individuellen Arbeitsangebots bei Variation des Lohnsatzes. Diskutiert wird, dass ein sehr hoher Lohnsatz dazu führen könne, dass schon mit einer relativ kurzen Arbeitszeit genug Einkommen erzielt würde, um alle Ansprüche zu befriedigen. Die Steigung der Arbeitsangebotskurve wäre somit im Bereich hoher Lohnsätze negativ. Man spricht in diesem Fall von einer atypischen Reaktion des Angebots (Schumann et. al. 1999, S.104f). Durch horizontale Addition der individuellen Arbeitsangebotskurven ergibt sich die gesamtwirtschaftliche (vgl. Abbildung 1). Für sie wird eine positive Steigung im relevanten Bereich angenommen. Grundlage dafür ist die Überlegung, dass der Lohnsatz, von dem aus das individuelle Arbeitsangebot zurückgeht, abhängig von den individuellen Präferenzen unterschiedlich hoch ausfällt (Schumann et. al. 1999, S.106). Es wird davon ausgegangen, dass der Lohnsatz, der die privaten Haushalte dazu führt, ihr Arbeitsangebot insgesamt zu reduzieren, deutlich über dem Gleichgewichtslohnsatz liegt.
Abbildung 1: Klassische Arbeitsmarktdarstellung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anm.: A* entspricht der Gleichgewichtsarbeitsmenge und W/P* dem Gleichgewichtslohnsatz.
Quelle: Eigene Darstellung nach Frank (2000, S.509).
Die Arbeitsnachfragekurve der Unternehmen beruht auf folgender Überlegung: Der nominale Lohnsatz bestimmt die Kosten, die eine Arbeitskraft verursacht. Die Leistung, die eine Arbeitskraft erwirtschaftet, ist der Erlös der zusätzlich produzierten Güter und Dienstleistungen. Wenn man einen abnehmenden Grenzertrag der Arbeit annimmt, sinkt dieser Erlös mit zunehmendem Arbeitseinsatz. Demzufolge ist es ökonomisch sinnvoll, genau so lange Arbeitskräfte einzustellen, bis der Wert der zusätzlich erzeugten Produkte gleich dem Lohnsatz ist. Bei diesem Arbeitseinsatz entspricht der Lohnsatz dem Wertgrenzprodukt der Arbeit und das Unternehmen erzielt den maximalen Gewinn[15] (Frank 2000, S.489). Die negative Steigung der Arbeitsnachfrage erklärt sich somit aus dem abnehmenden Grenzertrag der Arbeit.
Der Schnittpunkt der beiden Kurven ergibt das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt. In diesem Gleichgewicht herrscht per Definition Vollbeschäftigung. Alle Personen, die zu dem Gleichgewichtslohnsatz arbeiten wollen, werden auch von den Unternehmen nachgefragt. Diese Vollbeschäftigung ist jedoch nicht mit der vollständigen Nutzung des gesamten Arbeitskräftepotentials der Volkswirtschaft gleichzusetzen. Neben dieser prinzipiellen Schwäche bei der Erklärung von Arbeitslosigkeit basiert das neoklassische Modell noch auf zwei weiteren starken Vereinfachungen des Arbeitsmarktes. Zum einen werden wesentliche Faktoren bei der Bildung von Löhnen, wie z.B. die Verhandlungen der Tarifparteien, nicht berücksichtigt. Zum anderen führt die Annahme des vollständigen Wettbewerbs dazu, dass die in der Realität zu beobachtenden Einflüsse der Großunternehmen auf die Preissetzung nicht mit einbezogen werden können (Blanchard und Illing 2004, S.204).
Dennoch wird das klassische Modell in der Makroökonomie auf Grund der intuitiven Verständnismöglichkeit zur Erklärung der Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt verwendet. Aus dem keynesianischen Betrachtungswinkel, d.h. bei Untersuchung der Auswirkungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auf den Arbeitsmarkt, kann das Modell auch eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit erklären (Engelkamp und Sell 2005, S.189). In der modernen Makroökonomie wird jedoch angenommen, dass dieser dominierende Effekt der Nachfrage auf den Arbeitsmarkt nur kurzfristig von Bedeutung ist. Falls man annimmt, dass mittelfristig die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte bezüglich der Entwicklung des Preisniveaus richtig sind, bestimmen über diesen Zeithorizont strukturelle Faktoren, wie die angesprochene Wettbewerbsintensität und die Art der Lohnverhandlungen, den Arbeitsmarkt. (Blanchard und Illing 2004, S.198). Das in den 90er Jahren entwickelte europäische Arbeitsmarktmodell integriert diese Faktoren und eignet sich daher besser für eine Analyse der strukturellen Determinanten des Arbeitsmarktes.
Abbildung 2 zeigt die den Arbeitsmarkt betreffende graphische Umsetzung dieses Modells mit Hilfe einer Preissetzungs- und einer Lohnsetzungsgleichung. Die Lohnsetzungsgleichung beschreibt die Beziehung zwischen dem Beschäftigungsniveau und dem Reallohn aus Sicht der Beschäftigten und weist eine positive Steigung auf. Das bedeutet, eine höhere Beschäftigung (N) und damit, bei konstanter Erwerbsbevölkerung (L), eine niedrigere Arbeitslosigkeit (U) gehen mit höheren Löhnen einher. Man kann sie somit mit der klassischen Arbeitsangebotsfunktion vergleichen, jedoch ist der Blickwinkel ein anderer. Während die Arbeitsangebotsfunktion angibt, wie viele Beschäftigte bei einem bestimmten Lohnsatz arbeiten wollen, beschreibt die Lohnsetzungsgleichung umgekehrt, welcher Reallohn sich bei einem bestimmten Beschäftigungslevel bildet. Sie beschreibt gleichsam den Anteil des Nationaleinkommens, den die Beschäftigten bei einer bestimmten Arbeitslosenquote für sich beanspruchen (Blien 1999, S.56).
Während der als Lohnkurve bezeichnete empirische Zusammenhang zwischen dem Beschäftigungsniveau und dem Reallohn in sehr vielen Ländern als erwiesen gilt[16], ist die Erklärung dieses Phänomens nicht so eindeutig. Es bieten sich primär zwei verschiedene Theorien an, deren Einflüsse bei der statistischen Überprüfung oft nicht leicht zu trennen sind. Der Effizienzlohntheorie liegt die Annahme zugrunde, dass Arbeitnehmer in Beschäftigungsverhältnissen, bei denen ihre Arbeitsleistung nicht vollständig überwacht werden kann, dazu neigen, nicht mit vollem Einsatz zu arbeiten. Das Risiko, dadurch ihren Arbeitsplatz zu verlieren, gehen die Beschäftigten umso eher ein je geringer die Arbeitslosigkeit und je geringer ihr Gehalt ist (Blanchflower und Oswald 1996, S.3f).
Abbildung 2: Lohn- und Preissetzungsdiagramm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Blanchard und Illing 2004, S.203.
Im Rahmen dieses Ansatzes sind es also die Unternehmen, die bei geringer Arbeitslosigkeit mehr oder weniger freiwillig höhere Effizienzlöhne zahlen, um die Arbeitsleistung hoch zu halten. Umgekehrt geht die zweite Erklärungsvariante davon aus, dass in Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit die größere Verhandlungsmacht der Beschäftigten, bzw. die ihrer Interessenvertretung, zu höheren Lohnabschlüssen führt und vice versa (Blien 1999, S.55f).
Die Preissetzungsgleichung erweitert die klassische Arbeitsnachfragefunktion um den Einfluss von Marktmacht. Die Preise werden nicht mehr als gegeben angenommen. Stattdessen haben die Unternehmen je nach Wettbewerbsintensität in einer Branche die Möglichkeit, die Preise durch einen Gewinnaufschlag μ oberhalb ihrer Grenzkosten zu setzen. Das dadurch höhere Preisniveau führt zu einem geringeren Reallohn und höherer Arbeitslosigkeit als bei vollständigem Wettbewerb. Die Preissetzungsgleichung verläuft in Abbildung 2 waagerecht, da ein konstanter Grenzertrag der Arbeit angenommen wurde. Abnehmende Grenzerträge würden zu einer Gerade mit negativer Steigung führen[17] (Blanchard und Illing 2004, S.196ff).
Der Schnittpunkt der beiden Kurven bestimmt das sog. natürliche Beschäftigungsniveau Nn und dadurch die natürliche, unfreiwillige Arbeitslosenquote[18]. Der Begriff natürlich ist bei der Interpretation insofern nicht zweckmäßig, als das entsprechende Beschäftigungsniveau nicht durch natürliche, sondern durch die in diesem Abschnitt größtenteils besprochenen ökonomischen Faktoren bestimmt wird. Teilweise wird auch der Begriff strukturelle Arbeitslosenquote verwendet. Dieser bietet allerdings Verwechselungspotential mit dem Ergebnis des Mismatches am Arbeitsmarkt, das als strukturelle Arbeitslosigkeit bezeichnet wird (Blien 1999, S.58).
Es gibt somit verschiedene Varianten der Darstellung von Arbeitsmärkten. Bei der Verwendung sind die Annahmen des Modells und damit auch die Fristigkeit der Betrachtung zu berücksichtigen. Im Folgenden soll nun der Blickwinkel geändert werden. Das Lohnniveau wird nun nicht mehr als passives Resultat der statischen Untersuchung des Arbeitsmarktes behandelt. Stattdessen soll die Wirkung eines relativ gesehen hohen bzw. niedrigen Lohnniveaus auf die Entwicklung der Beschäftigung in einer dynamischen Betrachtung analysiert werden.
3.2.1.2 Wirkung des Lohnniveaus auf das Beschäftigungswachstum
Kaum ein volkswirtschaftlicher Zusammenhang ist in der öffentlichen und politischen Diskussion derart umstritten und häufig diskutiert wie der Einfluss von Lohnerhöhungen auf die Beschäftigung. Da auch die Wissenschaft zu diesem Thema auf den ersten Blick kein einheitliches Bild abgibt, ist es nicht verwunderlich, dass die Tarifparteien und auch die Politik häufig verkürzt dargestellte Einzelmeinungen verwenden, um ihre jeweilige Position zu untermauern (Jerger und Landmann 2002, S.1,10).
Grundlage für die kontroverse Diskussion sind die gegensätzlichen Wirkungen einer Anhebung des Lohnniveaus. Auf der einen Seite stellen Löhne für die Unternehmen Kosten dar. Gemäß der Arbeitsnachfragefunktion werden daher bei steigenden Löhnen weniger Arbeitskräfte beschäftigt. Hohe Löhne forcieren die Entwicklung von arbeitssparenden Technologien und fördern eine zunehmende Substituierung des Faktors Arbeit durch Kapital. Hohe Unterschiede im Lohnniveau können letztendlich auch der Grund für eine komplette Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer sein (Amend und Bauer 2005, S.39f).
Andererseits können hohe Effizienzlöhne die Motivation erhöhen und damit die Arbeitsproduktivität steigern. Eine größere Produktivität verschiebt die Arbeitsnachfragefunktion nach oben. Höhere Löhne müssen daher nicht zwangsläufig zu weniger Beschäftigung führen. (Böhme und Eigenhüller 2005, S.20). Außerdem sind die Löhne als Haupteinkommensquelle der Haushalte wichtig für den privaten Konsum und damit auch wertentsprechend ein großer Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Es wird daher häufig, insbesondere von Gewerkschaftern, das sog. Kaufkraftargument angeführt, um eine positive Wirkung höherer Löhne auf die Beschäftigung zu begründen (Jerger und Michaelis 2003, S.1f). Demnach führen höhere Nominallohnabschlüsse zu höherer Kaufkraft. Diese wiederum stimuliert den Konsum und induziert damit über eine gestiegene Produktion auch mehr Beschäftigung.
Diese Wirkungskette vernachlässig jedoch wichtige gegenläufige Prozesse, die u.a. durch die Reaktion des Preisniveaus ausgelöst werden[19]. Steigende Preise reduzieren direkt die reale Kaufkraft und können über eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sinkenden Exporte und damit zu einer geringeren gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führen (Jerger und Landmann 2002, S.11).
Auf Grund der Komplexität des Zusammenhangs zwischen Lohn und Beschäftigung ist dieses Problem theoretisch nicht eindeutig zu beantworten und bedarf somit einer empirischen Überprüfung (Blien und Südekum 2004, S.4). Es lassen sich sowohl Modelle konstruieren, die einen positiven Kaufkrafteffekt nachweisen, als auch andere, die das Gegenteil simulieren. Dies hängt von den getroffenen Annahmen und besonders von dem gewählten Zeithorizont ab. Jerger und Michaelis (2003) weisen mit Hilfe von allgemeinen Gleichgewichtsmodellen nach, dass der Kaufkrafteffekt auf kurze Sicht bei sich verzögert anpassenden Preisen in einer geschlossenen Volkswirtschaft positiv ist und die negativen Beschäftigungseffekte von höheren Löhnen überkompensiert. Dies basiert auf der Annahme, dass der von den Unternehmergewinnen zu den Löhnen umverteilte Teil des Volkseinkommens auf Grund von unterschiedlichen Sparraten in größerem Maße nachfragewirksam wird. Langfristig führen ein flexibles Preisniveau und ein sich anpassender Kapitalstock jedoch zu einer insgesamt geringeren Kaufkraft und damit auch zu einem negativen Gesamteffekt für die Beschäftigung[20].
Empirische Untersuchungen bestätigen dieses Ergebnis. Ebner und Schneider (2005, S.8f) weisen für den Zeitraum von 1960 bis 2004 eine negative Beziehung zwischen dem Lohn und der Beschäftigung nach. In diesem Zeitraum führte eine Erhöhung der Reallöhne um 1% zu einer Reduzierung der Beschäftigung um 0,25%. Ab den 90er Jahren ist dieser Effekt vermutlich auf Grund der zunehmenden internationalen Standortkonkurrenz größer geworden. Abhängig von der Wahl des Preisniveauindexes ergibt sich eine Reallohnelastizität der Beschäftigung von -0,5 bzw. -1[21]. Dieser deutlich negative Zusammenhang lässt sich zum Teil mit der empirisch geringen Wirkung von Reallohnsteigerungen auf den Konsum begründen. Die Reallohnelastizität des Konsums liegt bei lediglich 0,1 bis 0,3 (Lesch 2007, S.8). Als Erklärung hierfür lassen sich die mit steigendem Einkommen höheren Steuern und Abgaben sowie die wachsende Sparneigung anführen. Zudem wird ein Teil des Einkommens für die Nachfrage nach ausländischen Produkten verwendet (Ebner und Schneider 2005, S.1). Dieser geringen Wirkung des Lohns auf die Nachfrage steht eine quantitativ stärkere Beziehung zwischen der Beschäftigung und dem Konsum gegenüber. Lesch (2007, S.8) identifiziert abhängig von der Definition der Beschäftigung eine Elastizität von 0,6 bis 0,8.
In der Summe führt also die durch die klassische Arbeitsnachfrage beschriebene geringere Beschäftigung bei höheren Löhnen durch die ausgelöste geringere Güternachfrage zu einer unter dem Strich noch stärker gesunkenen Anzahl an Erwerbstätigen. Das Kaufkraftargument ist somit keine Stützung einer beschäftigungsmotivierten Forderung nach höheren Reallöhnen, sondern stärkt die beschäftigungspositive Tendenz von Lohnsenkungen.
Zum Abschluss der Untersuchung des Lohns als Determinante der Beschäftigungsentwicklung soll nun die makroökonomische Betrachtungsebene verlassen werden und sich die Untersuchung auf regionale Einflüsse konzentrieren. Dabei gelten im Prinzip dieselben Zusammenhänge wie auf nationaler Ebene. Allerdings ist zu erwarten, dass sich überhöhte Löhne je nach Sektor noch negativer auf die Beschäftigung auswirken, da nur ein relativ geringerer Teil des Einkommens in der Region nachfragewirksam wird. Zudem kann auch angenommen werden, dass es für die Unternehmen leichter ist, die Produktion zu verlagern. Einer unverhältnismäßigen Lohnniveaudivergenz zwischen Regionen wirkt jedoch eine größere Arbeitskräftemobilität entgegen[22]. Unverhältnismäßig meint, dass die regionalen Nominallohnunterschiede[23] isoliert betrachtet keine Aussage bezüglich einer Beschäftigungswirkung erlauben. So weisen Blien und Südekum (2004, S.24f) eine leicht positive Korrelation zwischen dem durchschnittlichen regionalen Lohnniveau und dem Beschäftigungswachstum mit Daten auf NUTS 3 Ebene für Westdeutschland nach. Diese Beziehung basiert allerdings nicht auf einem kausalen Zusammenhang. Vielmehr ist sie ein Hinweis darauf, dass in Regionen mit hoher Produktivität die Entwicklung der Beschäftigung positiv ist. Um die reine Wirkung des Lohns auf das Beschäftigungswachstum zu messen, wird daher im zweiten Modell der Studie in einer ersten Regressionsrechnung ein regionales Lohnniveau berechnet, das um den Einfluss der Qualifikation, des Altersdurchschnitts und des Anteils der männlichen Beschäftigten bereinigt wird. Zudem wird auch um den Effekt der Firmengrößen- und der Siedlungsstruktur kontrolliert (Blien und Südekum 2004, S.15). Für den unerklärten Rest werden Dummyvariablen für jede Region verwendet. Deren Koeffizienten sind auf der Karte 4 räumlich dargestellt. Obwohl der Einfluss der Siedlungsstruktur herausgerechnet ist, zeigt sich dennoch ein strukturiertes Bild mit Hochlohnregionen rund um große Agglomerationsräume wie Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und München. Da dies mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Daten nicht erklärt werden kann, werden diese Lohnniveaus als relativ „übertrieben“ bzw. „übermäßig“ bezeichnet. In dem Sinne finden sich auch übertriebene Niedriglohnregionen, die ebenfalls clusterartig und entlang der Grenzen auftreten (Blien und Südekum 2004, S.20).
Karte 4: Bereinigte Lohnstruktur auf Kreisebene in Westdeutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Blien und Südekum (2004, S.21).
Nach Meinung des Autors bietet der Standorteffekt[24], d.h. die Wirkung der wirtschaftsgeographischen Lage der Region eine Erklärungsmöglichkeit. In dem Sinne wäre zu prüfen, ob diese „übermäßigen“ Relativlohnniveaus trotz der Kontrolle um den Einfluss der Qualifikation und der Siedlungsstruktur nicht einfach ein Ergebnis höherer Produktivität in den jeweiligen Regionen sind (Glaeser und Maré 2001, S.317f). Im Rahmen dieses Teils der Arbeit soll jedoch nicht die Ursache von unterschiedlichen Lohnniveaus, sondern ihre Wirkung auf die Beschäftigungsentwicklung untersucht werden.
Ein hohes Relativlohnniveau kann als positiver exogener Lohnschock interpretiert werden, der für alle Branchen in einer Region in gleicher Weise gültig ist. Auf Basis der Daten für alle westdeutschen Kreise hat dieser Schock einen signifikant negativen Einfluss auf die Beschäftigungsentwicklung[25]. Ein um 1 % erhöhter Lohn führt demnach zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungswachstums um 0.085 %. Damit bestätigt diese Untersuchung mit stark disaggregierten Daten sowohl die theoretischen Überlegungen als auch die empirischen Analysen mit makroökonomischen Daten bezüglich des Zusammenhangs zwischen Lohn und Beschäftigung (Blien und Südekum 2004, S.23).
Auch auf regionaler Ebene dominiert also der Kosteneffekt einer Lohnerhöhung den möglichen Kaufkrafteffekt. Da prinzipiell diese beiden Antagonisten das Beschäftigungsresultat eines veränderten Relativlohnniveaus bestimmen, müsste eine Verschiebung ihrer jeweiligen Bedeutung das Ergebnis verändern. Es müsste also ein branchenabhängiger Lohneinfluss auf die Beschäftigung messbar sein.
Es ist zu erwarten, dass dieser umso negativer ausfällt je lohnintensiver die Produktion und je überregionaler das Vertriebsgebiet der jeweiligen Branche ist (Blien und Südekum 2004, S.25). Die Tabelle 2 zeigt eine Übersicht der Effekte bei ausgewählten Branchen. Es bestätigt sich, dass die für einen überregionalen bzw. globalen Markt produzierenden Branchen, wie z.B. die Automobilindustrie, einen deutlich negativen und signifikanten Zusammenhang zeigen. Demgegenüber weisen vergleichsweise arbeitsextensive verarbeitende Sektoren, beispielhaft sei hier die Metallverarbeitung genannt, sowie Dienstleistungsbranchen keine eindeutige Beziehung zwischen Lohn und Beschäftigung auf.
Die Branchenstruktur hat also einen indirekten Effekt auf die Beschäftigungsentwicklung. Sie kann die Auswirkungen der in Karte 4 dargestellten übermäßig hohen oder niedrigen Lohnniveaus dämpfen oder verstärken. Die regionale Beschäftigungsreaktion auf exogene Lohnschocks hängt somit zum einen von dessen Höhe, aber auch von der Branchenstruktur in der betreffenden Region ab. Um den reinen Effekt des Lohns zu messen, wird der indirekte Einfluss der Branche herausgerechnet. Dieses Ergebnis zeigt Karte 5 für Westdeutschland. Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt es zu berücksichtigen, dass der Bezugspunkt der angegebenen Abweichungen die durchschnittliche Beschäftigungsentwicklung der westdeutschen Regionen mit der jeweils gleichen Siedlungsstruktur ist. Das bedeutet, dass beispielsweise die Auswirkung des übermäßig hohen Lohnniveaus in München mit der Beschäftigungsentwicklung aller übrigen Regionen nur dieses Siedlungsstrukturtyps[26] (Kernstadt) verglichen wird. Dadurch sollen Unterschiede im regionalen Preisniveau berücksichtigt werden, für die auf Kreisebene keine Daten vorhanden sind (Böhme und Eigenhüller 2005, S.21).
Tabelle 2: Der Zusammenhang zwischen Lohn- und Beschäftigungswachstum verschiedener Branchen in Westdeutschland[27] (1993-2001)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Daten von Blien und Südekum (2004).
Neben der ungleichen Anzahl der Klassen, drei bzw. fünf, erklärt diese Wahl der Vergleichsgröße die Unterschiede der Karten 4 und 5. Es zeigt sich u.a., dass die Hochlohnlandschaft rund um München, welche die Karte 4 ausweist, sich sehr verschieden auf die Beschäftigungsentwicklung der einzelnen Regionen auswirkt. Während für die Regionen im Umland das Lohnniveau tatsächlich zu hoch ist und damit zu einer deutlichen Verringerung des Beschäftigungswachstums führt, scheint es für die Stadt München selbst angemessen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass trotz der negativen Wirkung von übermäßigen Löhnen ein Blick auf die Beschäftigungsentwicklung[28] insgesamt zeigt, dass gerade Regionen mit einem hohen Relativlohnniveau dort positiv abschneiden (Amend und Bauer 2005, S.58). Andere Faktoren, die im Laufe der Arbeit zu diskutieren sind, scheinen den Effekt überkompensieren zu können.
[...]
[1] Auf Grund der überwiegend englischsprachigen Literatur zu diesem Thema wird im Folgenden das Akronym CGE verwendet.
[2] Diese für die Entwicklung von ländlichen Regionen wichtigen Herausforderungen werden in der Studie SERA (2006) ausführlich problematisiert.
[3] Sie positionieren die Region als Analyseebene zwischen einem Nationalstaat und einer Stadt bzw. Kommune und isolieren so Kriterien zur Standortentscheidung von Unternehmen.
[4] Bengs und Schmidt-Thomé (2004, S.67ff) geben einen ausführlichen Überblick über verschiedene Herangehensweisen.
[5] In dieser Arbeit wird von nun an die europaweit übliche französische Abkürzung verwendet.
[6] Für eine strukturierte Darstellung aller NUTS Region in der EU siehe: http://ec.europa.eu/eurostat/ramon/nuts/codelist_de.cfm?list=nuts.
[7] Natürlich ist es nur ein Kriterium unter vielen. Für eine ausführliche Analyse dieses Themas sei auf Ausschuss der Regionen 1999 verwiesen.
[8] Im Falle der Erwerbstätigenquote allerdings nur die im Alter zwischen 15 und 64.
[9] Aufbauend auf der klassischen Shift-Share-Analyse findet sich eine Darstellung dieser Methode in Wolf (2002).
[10] Die Beschäftigung ist in dieser Studie definiert als die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Vollzeitäquivalenten.
[11] Ein solcher Standorteffekt kann durch eine besondere wirtschaftsgeographische Lage der Region zustande kommen (z.B. Grenzregionen). Weitere Ursachen werden in Abschnitt 3.2.5 diskutiert.
[12] Die Untersuchung erstreckt sich über den Zeitraum 1993 bis 2001 und wird für Ost- und Westdeutschland getrennt durchgeführt.
[13] Vgl. Enste und Hardege (2006).
[14] Der Reallohn gibt das Einkommen der Beschäftigten in Gütereinheiten an. Er ist ausschlaggebend für das Arbeitsangebot, da die Haushalte ihre Arbeitskraft anbieten, um gegenwärtigen oder zukünftigen Konsum zu finanzieren. Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsnachfrage ist ebenfalls vom Reallohn anhängig, da für die Unternehmen die Relation der Lohnkosten zu den Preisen der produzierten Güter von Interesse ist (vgl. Engelkamp und Sell 2005, S.160ff). Im weiteren Verlauf der Arbeit werden zur besseren Lesbarkeit nur dann zwischen realen und nominalen Größen differenziert, wenn es zum Verständnis der Zusammenhänge notwendig ist.
[15] Dieser einfache Zusammenhang gilt nur ceteris paribus, d.h. wenn das Einsatzniveau aller anderen Produktionsfaktoren nicht verändert wird.
[16] Für eine aktuelle Übersicht siehe Blanchflower und Oswald (2005).
[17] Blien (1999, S.56) argumentiert, dass auch bei einem konstanten Grenzertrag der Arbeit die Fähigkeit der Unternehmen, bei hoher Beschäftigung höhere Preise durchzusetzen, zu einem fallenden Verlauf der Preissetzungsgleichung führe.
[18] Die natürliche Arbeitslosenquote: un = (L-Nn)/L.
[19] Für eine genaue Analyse aller Wirkungskanäle einer Nominallohnveränderung auf das makroökonomische Gleichgewicht siehe Landmann (2001).
[20] Ohne eine Diskussion über die Lohnpolitik eröffnen zu wollen, sei an dieser Stelle auf die Wirkung der Arbeitsproduktivitätssteigerungen in einer wachsenden Volkswirtschaft hingewiesen. Nur wenn Nominallohnsteigerungen über die bereinigten Produktivitätssteigerungen hinausgehen, führen sie zu steigenden Preisen, einer relativen Verteuerung des Faktors Arbeit und damit zu den beschriebenen negativen Folgen (vgl. Lesch 2007). Dieser Zusammenhang gilt, wenn die aggregierte Nachfrage in gleichem Ausmaß wächst wie die Produktivität. Bei geringerem Wachstum sinkt die Beschäftigung. Dieses notwendige Mindestwachstum wird als Beschäftigungsschwelle bezeichnet.
[21] Die größere Elastizität entsteht bei der Verwendung des Verbraucherpreisindexes im Vergleich zum Erzeugerpreisindex (BIP-Deflator).
[22] In Europa ist diese allerdings auch regional relativ gering ausgeprägt (Tatsiramos 2002, S.2f).
[23] Vgl. Anhang I.
[24] Vgl. 3.2.5.
[25] Um sicherzustellen, dass wirklich die Wirkung des Lohns auf die Beschäftigung und nicht ein möglicherweise umgekehrter Einfluss gemessen wird, geht in die Regressionsrechnung zur Erklärung der Beschäftigungsentwicklung das bereinigte Lohnniveau der Vorperiode ein.
[26] Eine Übersicht über die in der VALA-Studie verwendeten Siedlungsstrukturtypen findet sich in Abschnitt 3.2.5.
[27] Die Koeffizienten sind folgendermaßen zu interpretieren: Ein Lohnanstieg um 1 % in der Automobilindustrie führt zu einem jährlichen Beschäftigungsrückgang von 0,14 % in dieser Branche.
[28] Vgl. Anhang III.
- Quote paper
- Dipl.Ing. agr. Robert Schulte-Drüggelte (Author), 2007, Determinanten der Beschäftigungsentwicklung in ländlichen Regionen - Diskussion der Arbeitsmarktmodellierung in Computable General Equilibrium Modellen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84399
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