Der Begriff der „europäischen Öffentlichkeit” erfährt seit geraumer Zeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eine große Beachtung. Die Debatte über die Kriterien einer europäischen Öffentlichkeit zeichnet sich jedoch analog zur politischen Debatte des Themas durch ein hohes Maß an Komplexität und Unterschieden bei der Begriffsdefinition aus. Es besteht kein einheitliches Verständnis darüber wodurch sich eine europäische Öffentlichkeit konstruiert, wie sie aussieht oder wie eine solche demokratischen Ansprüchen genügen könnte. Eindeutige empirische Aussagen, was „europäische Öffentlichkeit” ausmacht, lassen sich gegenwärtig nicht erschließen (RISSE 2002).
Die ablehnende Haltung der französischen und niederländischen Wähler zum europäischen Verfassungsentwurf im Frühjahr 2005 macht die Krise, in der sich die Europäische Union momentan befindet, deutlich. Hierbei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dennoch 15 Mitgliedstaaten der EU die Verfassung bereits ratifiziert haben und weitere dies in der nahen Zukunft tun wollen (HTTP://EUROPA.EU/ CONSTITUTION/RATIFICATION_EN.HTML). Ungeachtet dessen nehmen EU-Richtlinien und Verordnungen einen immer größeren Platz in der nationalen Gesetzgebung ein, ohne dass der Wähler als Souverän direkte Einflussmöglichkeiten besitzt (GERHARDS 2002: 141). Dieses von einigen Autoren bemängelte Demokratiedefizit der Europäischen Union durch eine gemeinsame Verfassung wenn nicht aufzulösen, so doch wenigstens zu mindern, ist ein Ziel der europäischen Regierungen. Die Ablehnung der Verfassung durch die Volksentscheide in Frankreich und den Niederlanden zeigte die große Skepsis der Bürger gegenüber der momentanen Beschaffenheit der EU. Sie war Wasser auf die Mühlen der Europa-Skeptiker, die für eine politische Union die Existenz einer gemeinsamen Zivilgesellschaft, einer gemeinsamen Identität und einer gemeinsamen Öffentlichkeit als Voraussetzung sehen. Die herausfordernde Frage nach der Existenz und den Strukturen einer europäischen Öffentlichkeit ist Untersuchungsthema der vorliegenden Arbeit.
Zu Beginn der Arbeit wird das schwer greifbare Phänomen von „Öffentlichkeit” näher betrachtet. Dabei werden die Konzeptionen der zwei großen deutschen Traditionslinien in der sozialwissenschaftlichen Forschung berücksichtigt, die „Frankfurter Schule” um Jürgen Habermas, sowie die Ansätze des Bielefelder Systemtheoretikers Niklas Luhmann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Problemaufriss, Fragestellungen, Vorgehensweise
- Theoretischer Hintergrund: Der Begriff Öffentlichkeit
- Das normative Öffentlichkeitsmodell von Habermas
- Öffentlichkeit aus der systemtheoretischen Perspektive
- Öffentlichkeit im intermediären Arenenmodell
- Öffentliche Meinungsbildung durch Massenmedien
- Das repräsentativ-liberale und das deliberative Modell von Öffentlichkeit
- Öffentlichkeit auf europäischer Ebene
- Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
- Das Öffentlichkeitsdefizit der Europäischen Union
- Modelle europäischer Öffentlichkeit
- Das pan-europäische Öffentlichkeitsmodell
- Das Modell segmentierter Teilöffentlichkeiten
- Das Modell europäisierter nationaler Öffentlichkeiten
- Empirische Probleme dargestellt anhand ausgewählter Literatur
- Die Produktionsbedingungen der Medien
- Die Problematik der Selektion
- Die Gatekeeper-Forschung
- Die Nachrichtenwert-Theorie
- Die News-Bias-Forschung
- Konsequenzen für Nachrichtensendungen
- Exkurs Nachrichtensendungen
- Die Problematik der Selektion
- ARTE, der deutsch-französische Kulturkanal im europäischen Kontext
- Entstehung des Senders
- Ausgangsposition der französischen Seite
- Ausgangsposition der deutschen Seite
- Technische Probleme nach dem Sendestart
- Aufbau und Struktur des Senders
- Programminhalte von ARTE
- Die europäische Ausrichtung von ARTE
- Vorläufer auf europäischer Ebene
- Die Erweiterung ARTES vom deutsch-französischen Kulturkanal zum europäischen Kultursender
- Zur Nachrichtensendung „ARTE-Info”
- Das Vergleichsmoment: Die Nachrichtensendung „heute” des ZDF
- Entstehung des Senders
- Untersuchung
- Zur Methode der Inhaltsanalyse
- Methodisches Vorgehen bei der Konzeption der Inhaltsanalyse
- Zur Definition der Auswahleinheiten
- Zur Definition der Analyseeinheiten (Untersuchungseinheiten)
- Zur Kategorienbildung und Definition der Codiereinheiten
- Die formalen Variablen
- Die inhaltlichen Variablen
- Stichprobencharakteristik
- Untersuchungsleitende Hypothesen
- Ergebnisse
- Häufigkeitsverteilung
- Themenkategorien
- Zur Methode der Inhaltsanalyse
- Ergebnisse
- Inhaltlicher Vergleich auf Themenebene
- Vergleich der nationalen Ausrichtung auf Beitragsebene
- Vergleich der Nachrichtensendungen in den europäischen Dimensionen
- Indikatoren für eine europäische Öffentlichkeit
- Generelle Europabezüge von „heute\" und ARTE-Info”
- Verteilung der Nachrichtenbeiträge auf der Europa-Ebene
- Verteilung der Nachrichtenbeiträge in der Vertikalen Europa-Dimension
- Verteilung der Nachrichtenbeiträge in der Horizontalen Europa-Dimension
- Verteilung der Nachrichtenbeiträge auf Ebene der schwachen Europaverweise
- Stellenwert der europabezogenen Inhalte
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Darstellung von Europa in den Nachrichtensendungen „ARTE-Info“ und „heute“, um die Frage nach dem Beitrag nationaler Medien zum Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit zu beantworten. Sie untersucht, ob und wie die Medien den Themenkomplex Europa in ihrer Berichterstattung behandeln und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.
- Konzeptionen von Öffentlichkeit und ihre Anwendung auf die europäische Ebene
- Das Demokratie- und Öffentlichkeitsdefizit der Europäischen Union
- Die Rolle von Medien in der politischen Meinungsbildung und im Aufbau einer europäischen Öffentlichkeit
- Die Analyse der Nachrichteninhalte von „ARTE-Info“ und „heute“ hinsichtlich ihrer Europabezüge
- Die Untersuchung von Selektionsmechanismen in der Fernsehberichterstattung und deren Einfluss auf die Themenwahl
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der europäischen Öffentlichkeit ein und stellt die Forschungsfrage sowie die Vorgehensweise der Arbeit dar. Das zweite Kapitel beleuchtet verschiedene theoretische Ansätze zum Begriff der Öffentlichkeit, insbesondere die Konzeptionen von Habermas und Luhmann, und setzt diese in Bezug zu den Herausforderungen einer europäischen Öffentlichkeit.
Kapitel 3 widmet sich der spezifischen Frage nach der europäischen Öffentlichkeit. Es werden unterschiedliche Modelle vorgestellt, um die Herausforderungen des Demokratie- und Öffentlichkeitsdefizits der Europäischen Union zu adressieren. Anhand von empirischen Untersuchungen wird die Komplexität des Themenfeldes in der Forschung aufgezeigt.
Kapitel 4 beleuchtet die Produktionsbedingungen von Nachrichtenmedien und geht auf die kommunikationswissenschaftliche Forschung zur Selektion von Themen in Fernsehnachrichtensendungen ein.
Kapitel 5 stellt ARTE, den deutsch-französischen Kulturkanal, und seine Nachrichtensendung „ARTE-Info“ vor. Es werden die Entstehung und Ausrichtung des Senders sowie dessen europäische Relevanz im Kontext der Debatte um ein „europäisches Fernsehen“ erläutert. Als Vergleichsmoment wird die Hauptnachrichtensendung „heute“ des ZDF vorgestellt.
Das Kapitel 6 beschäftigt sich mit der Methode der Inhaltsanalyse, die für die Untersuchung der Europabezüge in den Nachrichtensendungen verwendet wird. Es werden die methodischen Schritte der Inhaltsanalyse sowie die Kategorien und Hypothesen der Untersuchung beschrieben.
Kapitel 7 präsentiert die Ergebnisse der Inhaltsanalyse und analysiert den inhaltlichen Vergleich der beiden Sendungen auf Themenebene. Es werden die nationalen Ausrichtungen der Berichterstattung sowie die Europabezüge der Sendungen in verschiedenen Dimensionen beleuchtet.
Schlüsselwörter
Europäische Öffentlichkeit, Medien, Nachrichten, ARTE-Info, heute, Inhaltsanalyse, Demokratiedefizit, Öffentlichkeitsdefizit, Selektion, Nachrichtenwert, News-Bias, Europabezug, politische Kommunikation.
- Arbeit zitieren
- MA Thomas Feldmann (Autor:in), 2007, Europa in den Nachrichten - Ein Vergleich des Europabezuges der Nachrichtensendungen "ARTE-Info" und "heute", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84337