Der Begriff der „europäischen Öffentlichkeit” erfährt seit geraumer Zeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eine große Beachtung. Die Debatte über die Kriterien einer europäischen Öffentlichkeit zeichnet sich jedoch analog zur politischen Debatte des Themas durch ein hohes Maß an Komplexität und Unterschieden bei der Begriffsdefinition aus. Es besteht kein einheitliches Verständnis darüber wodurch sich eine europäische Öffentlichkeit konstruiert, wie sie aussieht oder wie eine solche demokratischen Ansprüchen genügen könnte. Eindeutige empirische Aussagen, was „europäische Öffentlichkeit” ausmacht, lassen sich gegenwärtig nicht erschließen (RISSE 2002).
Die ablehnende Haltung der französischen und niederländischen Wähler zum europäischen Verfassungsentwurf im Frühjahr 2005 macht die Krise, in der sich die Europäische Union momentan befindet, deutlich. Hierbei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dennoch 15 Mitgliedstaaten der EU die Verfassung bereits ratifiziert haben und weitere dies in der nahen Zukunft tun wollen (HTTP://EUROPA.EU/ CONSTITUTION/RATIFICATION_EN.HTML). Ungeachtet dessen nehmen EU-Richtlinien und Verordnungen einen immer größeren Platz in der nationalen Gesetzgebung ein, ohne dass der Wähler als Souverän direkte Einflussmöglichkeiten besitzt (GERHARDS 2002: 141). Dieses von einigen Autoren bemängelte Demokratiedefizit der Europäischen Union durch eine gemeinsame Verfassung wenn nicht aufzulösen, so doch wenigstens zu mindern, ist ein Ziel der europäischen Regierungen. Die Ablehnung der Verfassung durch die Volksentscheide in Frankreich und den Niederlanden zeigte die große Skepsis der Bürger gegenüber der momentanen Beschaffenheit der EU. Sie war Wasser auf die Mühlen der Europa-Skeptiker, die für eine politische Union die Existenz einer gemeinsamen Zivilgesellschaft, einer gemeinsamen Identität und einer gemeinsamen Öffentlichkeit als Voraussetzung sehen. Die herausfordernde Frage nach der Existenz und den Strukturen einer europäischen Öffentlichkeit ist Untersuchungsthema der vorliegenden Arbeit.
Zu Beginn der Arbeit wird das schwer greifbare Phänomen von „Öffentlichkeit” näher betrachtet. Dabei werden die Konzeptionen der zwei großen deutschen Traditionslinien in der sozialwissenschaftlichen Forschung berücksichtigt, die „Frankfurter Schule” um Jürgen Habermas, sowie die Ansätze des Bielefelder Systemtheoretikers Niklas Luhmann.
Inhaltsverzeichnis
Gliederung
1. Einleitung: Problemaufriss, Fragestellungen, Vorgehensweise
2. Theoretischer Hintergrund: Der Begriff Öffentlichkeit
2.1 Das normative Öffentlichkeitsmodell von Habermas
2.2 Öffentlichkeit aus der systemtheoretischen Perspektive
2.3 Öffentlichkeit im intermediären Arenenmodell
2.4 Öffentliche Meinungsbildung durch Massenmedien
2.5 Das repräsentativ-liberale und das deliberative Modell von Öffentlichkeit
3. Öffentlichkeit auf europäischer Ebene
3.1 Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
3.2 Das Öffentlichkeitsdefizit der Europäischen Union
3.3 Modelle europäischer Öffentlichkeit
3.3.1 Das pan-europäische Öffentlichkeitsmodell
3.3.2 Das Modell segmentierter Teilöffentlichkeiten
3.3.3 Das Modell europäisierter nationaler Öffentlichkeiten
3.4 Empirische Probleme dargestellt anhand ausgewählter Literatur
4. Die Produktionsbedingungen der Medien
4.1 Die Problematik der Selektion
4.1.1 Die Gatekeeper-Forschung
4.1.2 Die Nachrichtenwert-Theorie
4.1.3 Die News-Bias-Forschung
4.1.4 Konsequenzen für Nachrichtensendungen
4.2 Exkurs Nachrichtensendungen
5. ARTE, der deutsch-französische Kulturkanal im europäischen Kontext
5.1 Entstehung des Senders
5.1.1 Ausgangsposition der französischen Seite
5.1.2 Ausgangsposition der deutschen Seite
5.1.3 Technische Probleme nach dem Sendestart
5.2 Aufbau und Struktur des Senders
5.3 Programminhalte von ARTE
5.4 Die europäische Ausrichtung von ARTE
5.4.1 Vorläufer auf europäischer Ebene
5.4.2 Die Erweiterung ARTEs vom deutsch-französischen Kulturkanal zum europäischen Kultursender
5.5 Zur Nachrichtensendung „ARTE-Info”
5.6 Das Vergleichsmoment: Die Nachrichtensendung „heute” des ZDF
6. Untersuchung
6.1 Zur Methode der Inhaltsanalyse
6.1.1 Methodisches Vorgehen bei der Konzeption der Inhaltsanalyse
6.1.2 Zur Definition der Auswahleinheiten
6.1.3 Zur Definition der Analyseeinheiten (Untersuchungseinheiten)
6.1.4 Zur Kategorienbildung und Definition der Codiereinheiten
6.1.4.1 Die formalen Variablen
6.1.4.2 Die inhaltlichen Variablen
6.2 Untersuchungsleitende Hypothesen
6.3 Stichprobencharakteristik
6.3.1 Häufigkeitsverteilung
6.3.2 Themenkategorien
7. Ergebnisse
7.1 Inhaltlicher Vergleich auf Themenebene
7.2 Vergleich der nationalen Ausrichtung auf Beitragsebene
7.3 Vergleich der Nachrichtensendungen in den europäischen Dimensionen
7.3.1 Indikatoren für eine europäische Öffentlichkeit
7.3.2 Generelle Europabezüge von „heute” und ARTE-Info”
7.3.3 Verteilung der Nachrichtenbeiträge auf der Europa-Ebene
7.3.4 Verteilung der Nachrichtenbeiträge in der Vertikalen Europa-Dimension
7.3.5 Verteilung der Nachrichtenbeiträge in der Horizontalen Europa-Dimension
7.3.6 Verteilung der Nachrichtenbeiträge auf Ebene der schwachen Europaverweise
7.4 Stellenwert der europabezogenen Inhalte
8. Schlussbemerkung
9. Literaturverzeichnis, Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
10. Anhang
1. Einleitung:
Problemaufriss, Fragestellungen, Vorgehensweise
Der Begriff der „europäischen Öffentlichkeit” erfährt seit geraumer Zeit in der wissen- schaftlichen Auseinandersetzung eine große Beachtung. Die Debatte über die Kriterien einer europäischen Öffentlichkeit zeichnet sich jedoch analog zur politischen Debatte des Themas durch ein hohes Maß an Komplexität und Unterschieden bei der Begriffs- definition aus. Es besteht kein einheitliches Verständnis darüber wodurch sich eine europäische Öffentlichkeit konstruiert, wie sie aussieht oder wie eine solche demokrati- schen Ansprüchen genügen könnte. Eindeutige empirische Aussagen, was „europäische Öffentlichkeit” ausmacht, lassen sich gegenwärtig nicht erschließen (RISSE 2002).
Die ablehnende Haltung der französischen und niederländischen Wähler zum europäischen Verfassungsentwurf im Frühjahr 2005 macht die Krise, in der sich die Europäische Union momentan befindet, deutlich. Hierbei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dennoch 15 Mitgliedstaaten der EU die Verfassung bereits ratifiziert haben und weitere dies in der nahen Zukunft tun wollen (HTTP://EUROPA.EU/ CONSTITUTION/RATIFICATION_EN.HTML). Ungeachtet dessen nehmen EU-Richtlinien und Verord- nungen einen immer größeren Platz in der nationalen Gesetzgebung ein, ohne dass der Wähler als Souverän direkte Einflussmöglichkeiten besitzt (GERHARDS 2002: 141). Dieses von einigen Autoren bemängelte Demokratiedefizit der Europäischen Union durch eine gemeinsame Verfassung wenn nicht aufzulösen, so doch wenigstens zu mindern, ist ein Ziel der europäischen Regierungen. Die Ablehnung der Verfassung durch die Volks- entscheide in Frankreich und den Niederlanden zeigte die große Skepsis der Bürger gegenüber der momentanen Beschaffenheit der EU. Sie war Wasser auf die Mühlen der Europa-Skeptiker, die für eine politische Union die Existenz einer gemeinsamen Zivil- gesellschaft, einer gemeinsamen Identität und einer gemeinsamen Öffentlichkeit als Voraussetzung sehen. Die herausfordernde Frage nach der Existenz und den Strukturen einer europäischen Öffentlichkeit ist Untersuchungsthema der vorliegenden Arbeit.
Zu Beginn der Arbeit wird das schwer greifbare Phänomen von „Öffentlichkeit” näher betrachtet. Dabei werden die Konzeptionen der zwei großen deutschen Traditions- linien in der sozialwissenschaftlichen Forschung berücksichtigt, die „Frankfurter Schule” um Jürgen Habermas, sowie die Ansätze des Bielefelder Systemtheoretikers Niklas Luhmann. Es wird sich zeigen, dass Öffentlichkeit in modernen westlichen Gesellschaften mit massenmedialer Öffentlichkeit nahezu gleichzusetzen ist. Um der Charakteristik europäischer Öffentlichkeit gerecht zu werden, ist an dieser Stelle besonders die medi envermittelte politische Öffentlichkeit von Interesse (VGL. SCHULZ 1997: 86F).
Wie gehen die Medien mit dem Thema „Europa” um? Können nationale Medien zum Entstehen oder dem Ausbau einer europäischen Öffentlichkeit beitragen? Welchen Beitrag leisten Nachrichtensendungen zum Entstehen einer wie auch immer gearteten europäischen Öffentlichkeit?
Um diesen Fragen nachzugehen, wird in Kapitel 3 der Begriff der europäischen Öffentlichkeit näher beleuchtet. Um dem oft unterstellten Demokratie- und Öffentlichkeitsdefizit der Europäischen Union Abhilfe zu schaffen, werden verschiedene Modelle vorgestellt: Von der eher utopischen Vorstellung einer pan-europäischen Öffentlichkeit über das Modell segmentierter Teilöffentlichkeiten bis hin zur Konzeption von zum Teil schon bestehenden europäisierten Öffentlichkeiten. Eine Auswahl von vorliegenden empirischen Untersuchungen zeigt die Komplexität und uneinheitliche Behandlung, der dieses Themenfeld in der Forschung unterliegt.
Auf der Suche nach Orten der medialen Vermittlung politischer Kommunikation bieten sich Fernsehnachrichten an. Sie bilden mit ihrer hohen Reichweite und regel- mäßigen Berichterstattung zu politischen Themen eine wesentliche Informationsquelle und damit Voraussetzung für breit angelegte politische Diskurse (KAMPS 1999: 211FF). Allerdings müssen an dieser Stelle auch die medialen Produktionsbedingungen mit berück- sichtigt werden. In Kapitel 4 wird deshalb kurz auf die kommunikationswissenschaftliche Forschung zur Selektion von Themen im Focus der Fernsehnachrichtensendungen einge- gangen.
Die Wahl, Beiträge der Hauptnachrichtensendung von ARTE - „ARTE-Info” - zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit zu machen, entsprang der Überlegung, die Thesen von der sich entwickelnden europäischen Öffentlichkeit an einer Sendung zu verifizieren, die selbst den Anspruch erhebt, „europäisches Nachrichtenmagazin” (HTTP:// WWW.ARTE.TV/DE/GESCHICHTE-GESELLSCHAFT/ARTE-INFO/103288.HTML VOM) zu sein. Zudem lohnt eine nähere Betrachtung des deutsch-französischen Kultursenders, der in seiner bina- tionalen Ausrichtung dem Thema Europa schon strukturell verbunden ist. In Kapitel 5 werden zudem die Vorläufer eines „europäischen Fernsehens” betrachtet. Erste Ideen zu einem solchen staatenübergreifenden Fernsehen wurden schon in den 1950er Jahren in die Realität umgesetzt.
Das Vergleichsmoment zu den im empirischen Teil untersuchten Strukturen euro- parelevanter Nachrichtenvermittlung bildet „heute”, die Hauptnachrichtensendung des ZDF. Sie bietet sich an dieser Stelle als Referenzobjekt an, da sie einen vergleichbaren Magazincharakter wie „ARTE-Info” besitzt und sich in ihrem Ausstrahlungszeitpunkt nicht mit dieser überschneidet.
Für die Untersuchung wird die Methode einer quantitativen Inhaltsanalyse, die in Kapitel 6 näher vorgestellt wird, verwendet. Das entwickelte Untersuchungsinstrument berücksichtigt sowohl die für beide Sendungen charakteristische Themenauswahl und den Einsatz unterschiedlicher journalistischer Darstellungsformen, als auch den Anteil und Stellenwert der europarelevanten Merkmale, deren Ausprägungen als eigentliches Ergebnis der Studie in Kapitel 7 vorgestellt werden.
2. Theoretischer Hintergrund: Der Begriff Öffentlichkeit
Um sich dem schwer greifbaren Schlagwort „europäische Öffentlichkeit” zu nähern, scheint es sinnvoll, zunächst den Begriff „Öffentlichkeit” und seine Bedeutung genauer zu betrachten.1
Die Recherche in Standardwerken zur Publizistik hinsichtlich des Begriffs „Öffent- lichkeit” führte zunächst nicht weiter. Das Register des Fischer Lexikon Publizistik / Massenkommunikation greift den Begriff der Öffentlichkeit auf beinnahe 600 Seiten ganze dreimal auf (FISCHER LEXIKON 1999: 666). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich zudem, dass zwei dieser drei Erwähnungen Öffentlichkeit im Rahmen der Pressege- schichte oder der historischen Entwicklung der Technik von Nachrichtenübertragungen behandeln. Eine theoretische Auseinandersetzung findet der Begriff ausschließlich in dem Kapitel „Öffentliche Meinung” von Elisabeth Noelle-Neumann, das stark auf die psychologische Begründung ihrer Schweigespiralen-Theorie zugeschnitten ist. So erfährt „Öffentlichkeit” hier nur in ihrer sozialpsychologischen Deutung Aufmerksamkeit, als Zustand, in dem jeder einzelne von allen gesehen und beurteilt wird, „wo sein Ruf und seine Beliebtheit auf dem Spiel stehen” (NOELLE-NEUMANN 1999: S. 376). Als Fazit dieser kurzen ersten Recherche liegt es nahe, die Suche nach dem Begriff der Öffentlichkeit in anderen sozialwissenschaftlichen Forschungsrichtungen fortzusetzen, um dort Schnitt- mengen zu finden, die eine globalere Sicht erlauben.2
Unstrittig in der einschlägigen Literatur ist die zentrale Stellung und Bedeutung von „Öffentlichkeit” für die politische und gesellschaftliche Kultur westlicher Demokratien.
Mit verwandten und auf sie bezogenen Begriffen wie „öffentliche Meinung”, „Publikum”, „privat” oder „geheim” ist Öffentlichkeit ein in die politische Ordnung eingebetteter Leitbegriff, teils theoretisch systematisiert, teils in Gesetzen und Verfassungsdokumenten explizit artikuliert. Die Auslegungen und Interpretationen in den verschiedenen Bereichen unterscheiden sich jedoch teilweise eklatant: „ Wir haben es [...] mit einem beweglichen semantischen Feld zu tun mit vielen teilsüberlappenden, teils konfligierenden, teils ambigen Bedeutungen ” , so Bernhard Peters. (PETERS 1994: 42)
Nähern wir uns diesem Feld zunächst aus der historischen Perspektive. Die Karriere des Begriffs „Öffentlichkeit” hängt eng mit gesellschaftlichen Strukturveränderungen und Demokratisierungsprozessen zusammen. Im 18. Jahrhundert aus dem Adjektiv öffentlich entstanden, drückt es die Vorstellung aus, das jeder einzelne Mensch sich als freier Bürger über staatliche Angelegenheiten eine Meinung bilden soll und kann. Poli- tische Herrschaft ist im Gegenzug von den Willensbekundungen der Bürger abhängig und durch sie legitimiert. Hier zeigt sich Öffentlichkeit als ein Kollektiv, das gleichsam Souverän politischer Entscheidungen sein soll (GERHARDS 1998: 270).
Zentrale normative Implikation des Begriffs ist, dass politische Entscheidungsfindungen für die Allgemeinheit transparent sein sollen und durch eine im Vorfeld stattgefundene Diskussion und Argumentation der Bürger hergestellt worden sind (GERHARDS 1998: 272).
Bei den Klassikern der Soziologie wie Karl Marx, Emile Durkheim oder Max Weber, findet der Begriff Öffentlichkeit keine systematische Ausarbeitung. Erst 1962 wurde durch die von der Kritischen Theorie geprägte Arbeit „Strukturwandel der Öffentlichkeit” von Jürgen Habermas das Begriffsinventar der Sozialwissenschaften entscheidend erweitert.
Habermas konstatiert in seinem wegweisenden Werk das Verschwinden der „bürger- lichen Öffentlichkeit” der liberalen Ära der 1870er Jahre, hin zu einer Verschränkung von öffentlicher Sphäre mit dem privatem Bereich. Die wirtschaftlichen Probleme der damaligen Zeit, wie Konzentration des Kapitals und Marktversagen, führten zu einem Funktionszu- wachs des Staatsapparats, der nun neben seiner traditionellen Ordnungsfunktion auch regulierend in Bereiche der Gesellschaft bis in die Privatsphäre der Bürger eingreift. Als Folge entsteht ein Sozialstaatsmodell, in dem sich die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum nicht mehr klar ziehen lassen, wodurch eine „repolitisierte Sozial- sphäre” geschaffen wird (HABERMAS 1962: 226FF). Der veränderte Mediengebrauch führt zusätzlich zu einer Bedrohung der familiären Privatsphäre, die durch die Eingriffe der Gesellschaft ohnehin von ihrer Sozialisations- und Integrationskraft einbüßte. Auch die Kultur verlor an emanzipierender Kraft, indem sie zum konsumierbaren und in die Wirtschaft der Warenkreisläufe integriertem Gut wurde. Weiteres Kennzeichen für das Verschwinden der überkommenen, historisch-liberalen Öffentlichkeit ist für Habermas der Wandel des politischen und literarischen Räsonnements hin zum Konsum kultureller Erzeugnisse mit Warencharakter. Die Illusion des sozialen Austauschs bei der Aneignung dieser Erzeugnisse, etwa das gemeinsame Ansehen einer Fernsehsendung oder eines Kinofilms, löst die eigentlich erforderliche Diskussion über das Angeeignete ab: „ [...] der Resonanzboden einer zumöffentlichen Gebrauch des Verstandes erzogenen Bildungsschicht ist zersprungen; das Publikum in Minderheiten von nicht-öffentlich räsonierenden Spezialisten und in die große Masse vonöffentlich rezipierenden Konsumenten gespalten ” (HABERMAS 1962: 226).
Die strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft haben Auswirkungen auf die Erzeu- gung von Publizität. Nicht mehr das Publikum, sondern spezialisierte Kreise generieren diese nun und sorgen so, da diese Kreise wiederum Einflüssen privater Interessenten unterliegen, für die Verdrängung kritischer Publizität durch manipulative Publizität (HABERMAS 1962: 270).
Im Folgenden werden drei Entwürfe theoretischer Öffentlichkeitskonzepte kurz vorgestellt. Zunächst wird das normativ-historische Modell von Jürgen Habermas vertieft, dann als Kontrast die systemtheoretische Sichtweise von Niklas Luhmann gegenübergestellt und schließlich die auf eine empirisch-operative Umsetzung zielende Konzeption von Friedhelm Neidhardt und Jürgen Gerhards skizziert.
2.1 Das normative Öffentlichkeitsmodell von Habermas
Für Habermas bilden Versammlungen, Kaffeehäuser und Gesellschaften die ersten Formen einer differenzierten Öffentlichkeit. Wichtig für diese Ausdifferenzierung, die eng mit der Ausdifferenzierung des politischen Systems verbunden ist, ist das Kriterium der prinzipiell freien Zugangsmöglichkeit, das für diese Öffentlichkeiten Geltung besitzen muss. Hier bilden sich unabhängig von Stand und Herkunft der Personen öffentliche Foren in denen politische Themen diskutiert werden können. Mit Durchsetzung der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit geht ein weiterer Autonomiegewinn von Öffentlichkeit einher, die jetzt vor politischer und religiöser Bevormundung geschützt ist. Habermas entwickelt auf dieser Basis das normative, basisdemokratisch orientierte Idealmodell von Öffentlichkeit, in dem Öffentlichkeit einen kommunikativen Bereich bezeichnet, in welchem alle Bürger mit Argumenten öffentliche Belange diskutieren, an deren Ende eine von Vernunft getragene öffentliche Meinung steht, welche die Grundlage politischer Entscheidungen bildet.
Die Entstehung der Massenmedien sorgte für die Möglichkeit einer Institutionali- sierung von Öffentlichkeit. Die physische Anwesenheit der Kommunikationspartner ist nun nicht mehr nötig, die technische Weiterentwicklung ermöglicht eine weitere Ausdeh- nung des Publikums, die schnelle Kommunikationsübermittlung eine weltweite, simultane Beteiligung fast aller Bürger an medial übertragenen Ereignissen. Mit dieser Entwicklung veränderte sich öffentliche Kommunikation grundlegend. Aus unmittelbarer wird die medial vermittelte Kommunikation, die ihrerseits wieder professioneller Vermittler bedarf.
In der idealtypischen Konstruktion des normativen Modells können drei wichtige Qualitäten der Kommunikationsformen beschrieben werden, ohne die Öffentlichkeit nicht besteht (PETERS 1994: 46F).
Erstens muß die Teilnahme an öffentlicher Kommunikation im Prinzip jedem offen stehen, der sich an ihr beteiligen möchte. Dabei sind Hörer- und Sprecherrollen rezi- prok verteilt, das heißt, nicht nur die Rezeption von Aussagen und Informationen, auch der Anspruch sich in der Öffentlichkeit zu äußern und Gehör zu finden sind gleicher- maßen verteilt. Niemandem darf die Teilnahme ohne spezielle Gründe verwehrt bleiben; familiäre, finanzielle oder durch den Status der Person erworbene Vorteile sollen die Chancen, an öffentlicher Kommunikation teilzuhaben, nicht beeinflussen.
Zweite Grundbedingung ist die generelle Offenheit der öffentlichen Kommunikation für alle Themen und Beiträge. Sofern sich die kommunizierten Inhalte an die Gebote von gegenseitiger Achtung und Integrität halten und keine speziellen Geheimhaltungs- pflichten oder Vertraulichkeitsgebote bestehen, sollen die Teilnehmer in der Lage sein, alle Fragen nicht nur zu thematisieren, sondern auch kompetent und sachlich ange- messen zu behandeln.
Der diskursive Charakter der Kommunikationsabläufe ist schließlich dritte Vorraussetzung für die idealtypische, normative Öffentlichkeit.
„ Auseinandersetzungenüber Problemdefinitionen [...] werden mit Argumenten ausgetragen, die Anspruch auf kollektive Akzeptanz erheben, welche auf geteilter zwanglos erzielter Ü berzeugung beruht ” (PETERS 1994: 47).
Wichtige Vorraussetzung ist hier natürlich das gemeinsame Verständnis aller für die Diskussionsbeiträge, sowie die schon angesprochene gegenseitige Achtung der Teilnehmer, welche Kommunikationsformen, die auf Überwältigung statt Überzeugung setzen, von vornherein ausschließen.
Als Funktion in diesem kurz skizzierten emphatischen Idealmodell der Öffentlichkeit ist die Fähigkeit des Publikums zu sehen, zu reflektierten Urteilen und Überzeugungen zu kommen. Kollektive Probleme lassen sich dann in demokratischer Form lösen, sind sie nicht lösbar, wird zumindest ein reflektierter, toleranter Dissens hergestellt.
Die Weiterentwicklung dieses normativen Modells durch Ralf Dahrendorf betont statt der utopischen Beteiligung aller Bürger die institutionelle Möglichkeit der Teilhabe, welche passive in aktive Öffentlichkeit verwandeln kann (GERHARDS 1998: 268F).
Neben diesem generalisierten normativen Model erfährt der Begriff „öffentlich” durch die Gegenüberstellung mit dem Begriff „privat” eine Abgrenzung von sozialen Handlungs- und Verantwortungsbereichen, in Kombination mit „geheim” wird zudem eine Grenze im Bereich von Kommunikation und Wissen gezogen (PETERS 1994: 44). Habermas bezeichnet die Privatsphäre als „Lebenswelt”. Sie ist durch einfache Inter- aktionen und Intimität gekennzeichnet. Tauchen Störungen und Probleme in dieser Lebenswelt auf, können sie nach Habermas durch das Medium der politischen Öffent- lichkeit artikuliert werden und so in die Öffentlichkeit gelangen (HABERMAS 1997).
2.2 Öffentlichkeit aus der systemtheoretischen Perspektive
Als großer theoretischer Gegenentwurf zu Habermas‘ normativem Model gilt die system- theoretische Perspektive von Niklas Luhmann. Im Unterschied zu Handlungstheorien, die ihre Begründungen vom Individuum her konstruieren, geht die Systemtheorie den umgekehrten Weg. Das sich selbst beobachtende Beobachtungssystem ist der Ursprung aller Überlegungen. Damit steht am Anfang nicht ein einheitlicher Perspektivpunkt, sondern die Differenz von Beobachtendem und Beobachtetem (REESE-SCHÄFER 1999: 14). Luhmann geht davon aus, dass die Gesellschaft sich in einzelne Systeme unterteilt, die alle eigenen Logiken folgen. Die Systeme definieren sich dabei allein über Kommuni- kation. Welche Kommunikation Erfolg im jeweiligen System hat, hängt allein von der Beachtung der binären Leitcodierungen der Systeme ab. Das System Wirtschaft operiert etwa nach dem Code Zahlung/Nicht-Zahlung, das der Politik nach dem Code Macht/Nicht Macht. Systeme benötigen Umwelt, um sich als System abgrenzen zu können; in dieser Hinsicht ist jedes System geschlossen. Auf der anderen Seite muss es mit der Umwelt in Kontakt treten können, also offen sein, um sich zu erhalten (DELHAES 2002: 29F). Ein weiteres wichtiges Merkmal von Systemen ist in der Theorie von Niklas Luhmann ihre Autopoiesis. Der Begriff wurde aus der Neurobiologie entlehnt, wo er die Selbstschöp- fung oder Selbsterzeugung von Zellstrukturen bezeichnet. In der Systemtheorie wird mit dem Begriff die Eigendynamik eines Systems hinsichtlich seiner Selbsterhaltung, also der Fortsetzung der Systemstrukturen beschrieben (REESE-SCHÄFER 1999: 43).
Autopoietische Systeme arbeiten selbstreferentiell, das heißt in einer rekursiven, zirkelhaften Geschlossenheit und sind dennoch, wie bereits oben angedeutet, offen für Fremdbezüge. Diese sind wichtig, um an Kommunikation wieder Kommunikation anschließen zu lassen. Die Umwelt der Systeme sorgt so für Irritationen in den einzelnen Systemen und kann zur Anschlussfähigkeit in den Kommunikationszirkeln untereinander führen (DELHAES 2002: 31).
Öffentlichkeit wird in der Systemtheorie oft mit dem Bild eines Spiegels umschrieben: „ Die Gesellschaft spiegelt sich mit dem, was sie von sich gibt, im Medium der Öffentlichkeit, und das zu beobachten, gibt instruktive Informationen für das Handeln in den Funktionsbereichen, die in irgendeiner Weise von den Publi- kumsresonanzenöffentlicher Kommunikation abhängen ” (NEIDHARDT 1994: 9).
Öffentlichkeit hat als entscheidende Funktion lediglich die Ansammlung von Themen und Meinungen, also die Input-Funktion; ihre entscheidende Leistung liegt im Sichtbarma- chen dieser Informationen. Auf eine normative Konnotation für Öffentlichkeit verzichtet die Systemtheorie folglich ganz. Öffentlichkeit erzeugt allenfalls eine „Institutionalisie- rung von Themen”, womit die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen gemeint ist (NEIDHARDT 1994: 9). Der völlige Verzicht einer Output-Funktion von Öffent- lichkeit, etwa dem Herstellen von öffentlicher Meinung, zeigt den reduzierten Stellenwert dieses Begriffes in der Systemtheorie Luhmanns (GERHARDS / NEIDHARDT 1991: 54).
In den 1970er Jahren sorgten die gegensätzlichen Entwürfe gesellschaftlicher Theorien von Habermas und Luhmann für große Kontroversen in der Sozialwissenschaft. Während die „Frankfurter Schule” um Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas den Streit als Kampf zwischen Fortschritt und Reaktion inszenierte und so Teile der Studen- tenbewegung direkt in die Auseinandersetzung mit einbezog, versuchte Luhmann durch Angebote zur Einbindung der gegnerischen Argumentation in seine Systemtheorie zu kontern (VGL. REESE-SCHÄFER 1999: 133FF).
Die einzelnen Streitpunkte hier aufzuführen, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen und nicht zielführend sein. Im Grundsatz wurde die Systemtheorie als „neue Form der Ideologie” eines „technokratischen Bewusstseins” gebrandmarkt; die Bestandserhaltung der Systeme sei gleichzusetzen mit der Unterstützung der Herrschenden (REESE-SCHÄFER 1999: 137).
Jenseits der ideologischen, fundamentalen Kritik an der Systemtheorie Luhmanns- wird ihr ein „Erklärungsdefizit” unterstellt. Systemtheorien beschreiben die Gesellschaft, erklären sie aber nicht. Die Frage, warum sich Gesellschaften und Strukturen wandeln, lässt sich systemtheoretisch nicht ausreichend beantworten (GERHARDS 1994: 79). Zwar liegt mit der Dissertation von FRANK MARCINKOWSKI (1993) eine Abhandlung über die Publizistik als autopoietisches System vor, eine erfolgversprechende Analyse von Öffent- lichkeit scheint jedoch nur in Verbindung mit einer Theorie, die den Akteur einbezieht möglich, wodurch sich der Maßstab der Perspektive allerdings verkleinert.3 Der folgende Abschnitt versucht Öffentlichkeit unter Rücksichtnahme sowohl normativer, handlungs- theoretischer, als auch systemtheoretischer Prämissen zu behandeln. Er beschränkt sich hierbei auf die politische Öffentlichkeit, die für den Untersuchungsgegenstand allein von entscheidender Bedeutung ist.
2.3 Öffentlichkeit im intermediären Arenenmodell
„Öffentlichkeit erscheint als ein offenes Kommunikationsforum für alle, die etwas sagen oder das, was andere sagen, hören wollen ” (NEIDHARDT 1994: 7).
Mit dieser knappen Formel sind die grundlegenden Merkmale von Öffentlichkeit umrissen. Das Produkt der öffentlichen Kommunikation der Akteure kann als öffentliche Meinung, besser öffentliche Meinungen bezeichnet werden (GERHARDS 1998: 269).
Dem politischen System kommt in dieser Situation eine doppelte Sonderstel- lung zu: Auf der einen Seite fungiert es als Problemadressat der übrigen Teilsysteme (Input), andererseits hat es durch seine Funktion allgemeinverbindliche Entscheidungen festzulegen, ein besonderes Zugriffs- und Bestimmungsrecht auf die Teilsysteme der Gesellschaft (Output). In der Demokratie soll dieser Prozess „von unten”, vom Bürger kontrolliert werden. Hier setzt die wichtigste Aufgabe von Öffentlichkeit ein: Öffentlich- keit bildet ein intermediäres System. Es leistet Orientierung und Kontrolle nach beiden Seiten, bietet sowohl dem grenzenlosen Publikum die Chance zur Artikulation von Meinungen und Interessen, als auch der Politik einen Prüfstand für die Verallgemeiner- barkeit derselben.
„Öffentlichkeit bildet ein intermediäres System, dessen politische Funktion in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehendenöffentlichen Meinungen (Output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht ” (GERHARDS / NEIDHARDT 1991: 54).
Die Funktionen im Einzelnen sollen nun kurz erläutert werden.
Input: Wie im normativen Idealmodell gefordert, ist die Offenheit des Zugangs für alle Bürger entscheidendes Qualitätskriterium von Öffentlichkeit. Auf der einen Seite kann Zugang für alle im gleichem Ausmaß nicht gewährleistet werden, da dies trotz neuer Kommunikationstechnologien wie dem Internet, technisch nicht machbar ist. Repräsen- tative Elemente sind deshalb unumgänglich, auch wenn sie die Gefahr beinhalten, dass die Vermittlungsfunktion asymmetrisch und einseitig wird. Entscheidend ist hier jedoch die institutionell verankerte Möglichkeit zur Teilhabe des Einzelnen an Inputprozessen von Öffentlichkeit. In Modellen repräsentativer Demokratie kann es so zur wünschens- werten Verwandlung von einer passiven hin zur aktiven Öffentlichkeit kommen.
Wird auf der anderen Seite der Input zu groß - entsteht ein zuviel an Öffentlichkeit - kann er durch Überladung, durch ständig wechselnde Themen und Meinungen, das Entscheidungssystem lähmen.
Troughput: Die Frage, ob die kommunikative Struktur innerhalb des Systems „Öffentlichkeit” durch Diskursivität geprägt wird, ist entscheidend zur Beurteilung der Qualität dieses Kommunikationsabschnittes. Empirisch scheint belegt zu sein, dass in einer massenmedialen Öffentlichkeit diskursive Argumentation nur eine von vielen legi- timen Strategien ist, um eigene Interessen zu verfolgen. Die Kommunikation der Akteure im öffentlichen Raum ist konkurrierend und deshalb durch zwei Strategien geprägt. Zunächst muss die Aufmerksamkeit des Publikums gewonnen werden. Probate Mittel wie Personalisierung von Sachfragen, Bevorzugung von konfliktbeladenen Themen oder Anbindung an zentrale Werte und Alltagserfahrungen kommen hier zum Einsatz. Darüber hinaus soll das Publikum von der kommunizierten Position überzeugt werden. Durch Framingtechniken werden Beiträge in ein vorhandenes Deutungssystem integriert. Der Diskurs somit „eingefroren”, bestehende gesellschaftliche Konfliktlinien eher bestärkt als überwunden.4
Output: Öffentliche Meinung als Ausstoß von Öffentlichkeit kann an ihrer Wirk- samkeit gemessen werden, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Entweder wird sie von den politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen und direkt umgesetzt oder sie beeinflusst den Bürger in seinem Wahlverhalten als Souverän des Staates. Die Vielzahl der Medien und öffentlich agierenden Personen generiert eine Vielzahl an öffent- lichen Meinungen, die sich gegenseitig neutralisieren können (VGL. GERHARDS 1998).
Der offene Zugang zum Kommunikationssystem „Öffentlichkeit” lässt es in seiner Größe als diffus und weitgespannt erscheinen. GERHARDS / NEIDHARDT (1991: 63FF) machen daher den Vorschlag, sich Öffentlichkeit als ein in mehreren Ebenen differenziertes System vorzustellen, wobei die Zahl der Kommunikationsteilnehmer und der Grad ihrer Organisation ausschlaggebend sind.
Wenn Menschen, mehr oder weniger zufällig, aufeinandertreffen und mitein- ander kommunizieren, bilden sie Interaktionssysteme der einfachsten Art. Gespräche in Verkehrsmitteln, beim Einkaufen oder in Gastwirtschaften bilden die elementarste Form von Öffentlichkeit, die Encounterebene. Luhmann spricht hier, jedoch ohne weiter zu differenzieren, von „Kommunikation au trottoir”, für Habermas wurde die öffentlichkeitsstiftende Rolle von Kneipen und Kaffeehäusern bereits erwähnt. Zur Informationssammlung sind dieser Ebene von Öffentlichkeit durch ihre relative Struktur- losigkeit und Offenheit kaum Grenzen gesetzt. Die Verarbeitung der Informationen gestaltet sich jedoch aus dem gleichen Grund problematisch. Fehlende Vernetzung untereinander und die Beschränkung der Kommunikation auf Anwesende machen den Episodencharakter der Meinungsgenerierung auf dieser Ebene aus. Die Chance auf Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist deshalb gering. In totalitären Herrschafts- systemen bietet Kommunikation auf der Encounterebene jedoch den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer flüchtigen Struktur kaum zu kontrollieren und oft Ausgangspunkt für gesellschaftsübergreifende Umgestaltungsprozesse ist. Auch als „Probebühne” für Meinungsführer kann diese Ebene von Öffentlichkeit dienen, da sie offen ist für die unmittelbare Reaktion des Publikums.
Als nächste Ebene im System „Öffentlichkeit” schlagen Gerhards und Neidhardt die Ebene öffentlicher Veranstaltungen vor. Sie ist gekennzeichnet durch einen höheren Organisationsgrad ihrer Akteure und Teilnehmer; strukturbildendes Merkmal ist ihre thematische Geschlossenheit. Das vorgegebene Thema muss von allen Kommunikati- onsteilnehmern beachtet werden, es selektiert den Input so auch auf der Akteursebene. Als weiterer Unterschied zum Encountermodell etablieren sich hier Publikumsrollen mit begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten. Melden sich Akteure aus dem Publikum zu Wort, müssen sie auf die Vorgaben des Redners oder Themas der Veranstaltung Bezug nehmen.
Kommt das Modell der öffentlicher Veranstaltungen dem Seminarmodell von Habermas am nächsten, so stellt Öffentlichkeit, hergestellt durch massenmediale Kommu- nikation, in modernen Gesellschaften das entscheidende Modell von Öffentlichkeit dar.
Massenmedienkommunikation setzt jedoch anspruchsvolle Bedingungen voraus. Zunächst muss die technische Infrastruktur in Form von Fernsehsendern, Empfangsgeräten oder Printerzeugnissen in hoher Auflage gegeben sein. Die Herstellung von medialer Öffentlichkeit mittels dieser Infrastruktur liegt in den Händen von darauf spezialisierten Akteuren. Damit verbunden ist auch die Herausbildung von Publikumsrollen, die ihrerseits als abstakte, disperse Größe auftreten, ohne die Chance von nennenswerten Handlungsmöglichkeiten zu besitzen.
2.4 Öffentliche Meinungsbildung durch Massenmedien
Folgende Überlegungen und Feststellungen beziehen sich überwiegend auf die zuletzt skizzierte massenmediale Öffentlichkeit. Sie stellt hinsichtlich ihres großen Potentials öffentliche Meinung zu generieren die wichtigste Ebene dar, Informationen massen- kompatibel zu übermitteln. Im Gegensatz zu Habermas, der in seiner idealtypischen, normativen Konstruktion die Vernunft des besseren Arguments als Sinnstruktur von Öffentlichkeit erkennt, sehen Gerhards und Neidhardt die konstitutiven Merkmale von Öffentlichkeit als sinngebend an. Sie muss durch ihre Laienorientierung Inhalte allgemein verständlich kommunizieren, darf weder hochspezialisierten Experten, noch personenorientierter Privatheit allein zugänglich sein (GERHARDS / NEIDHARDT 1991: 61). Ihrer einfachen, ersichtlichen Struktur stehen jedoch komplexe inhaltliche Selektions- mechanismen gegenüber, die nur von hochspezialisierten Akteuren getroffen werden können. Journalisten, Pressesprecher, Public-Relations-Fachleute usw. haben sich auf die Rolle des Kommunikators spezialisiert. Sie kommunizieren stellvertretend für politische Akteure und Bürger, „transportieren” die Informationen. Die Rollendifferen zierung ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen der Präsenzöffentlichkeit im normativen Idealmodell mit ihrer Reziprozität der Beteiligung der Akteure und der Medienöffentlichkeit. Neben den bereits erwähnten Kommunikatoren haben sich in der Medienöffentlichkeit vorwiegend handelnde Akteure (meist Politiker) und überwiegend passiv rezipierende Akteure ausdifferenziert. Die Möglichkeit einer direkten Interaktion ist in diesem Fall nicht gegeben, da sie der gleichzeitigen physischen bzw. virtuellen Präsenz bedarf (SCHULZ 1997: 95F). Auch in der Reichweite der Kommunikation zeigen sich die Unterschiede zwischen Präsenz- und Medienöffentlichkeit. Zwar ist der Zugang zu beiden Modellen von Öffentlichkeit prinzipiell unbeschränkt, doch in der Praxis der Präsenzöffentlichkeit schränkt er sich auf die teilnehmenden Personen am Ort ein. So sind die Konsequenzen der kommunizierten Inhalte, vor allem wenn die Kommunikati- onsteilnehmer persönlich identifizierbar sind, einigermaßen überschau- und kalkulierbar, ihre Reichweite demnach begrenzt. Mit der massenmedialen Aufbereitung der Kommu- nikation ändert sich dieser Umstand. Durch die technische Möglichkeit, Inhalte aufzuzeichnen und zu einem beliebigen Zeitpunkt auszustrahlen oder zu drucken, geht die zeitliche Kontrolle der Akteure über ihre Äußerungen weitgehend verloren. Aus dem Zusammenhang gerissen, können so Irritationen oder Missverständnisse ausgelöst werden, die ursprünglich nicht beabsichtigt waren. Neben der inhaltlichen ist auch die geographische und demographische Reichweite der Medienöffentlichkeit unübersicht- lich. Zumindest bei Funkmedien ist eine „Weltöffentlichkeit”, etwa bei spektakulären politischen Ereignissen, Sportveranstaltungen oder Katastrophen, technisch zu reali- sieren. Die Zahl der Rezipienten ist in diesem Fall nur aus statistischen Erhebungen, wie Messung der Einschaltquoten oder Druckauflage zu bestimmen. Massenmediale Öffentlichkeit kann sich jedoch auch an eine spezialisierte Teilöffentlichkeit wenden. Medien spezialisieren sich auf Gruppen, deren identitätsstiftendes Merkmal eben die thematisch abgegrenzte, spezielle Kommunikation ist (SCHULZ: 97FF). Bei der Erörterung einer europäischen Öffentlichkeit wird dieses Phänomen der spezialisierten Teilöffent- lichkeiten detaillierter zur Sprache kommen.
2.5 Das repräsentativ-liberale und das deliberative Modell von Öffentlichkeit
Um sich eine Vorstellung von dem, was europäische Öffentlichkeit sein könnte, machen zu können, erscheint es an dieser Stelle sinnvoll, bisher dargelegte Merkmale, Funkti onen und Teilaspekte von Öffentlichkeit in zwei reduzierten Modellen zu systematisieren. Die Einteilung orientiert sich dabei im wesentlichen an einer Gegenüberstellung von JÜRGEN GERHARDS (2002). Beide Modelle können als normativ bezeichnet werden, da sie einen Soll-Zustand beschreiben.
In der Demokratie ist die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen an den Willen und die Interessen des eigentlichen Souveräns, den Bürger, gebunden. Durch Wahlen werden deshalb die Herrschaftspositionen nur auf Zeit vergeben, bei nicht genü- gender Beachtung seiner Interessen, kann der Wähler die Regierung wieder entlassen und andere Akteure mit der Herrschaftsausübung betrauen. Um jedoch überhaupt eine Wahlentscheidung treffen zu können, muss der Bürger die Möglichkeit haben, sich über die Repräsentanten und deren Konkurrenten hinreichend zu informieren. Er muss sich über die verschiedenen Gesetzesvorhaben und die von der Opposition daran kritisierten Punkte ein Bild machen können. Hier setzt die politische Funktion von Öffentlichkeit ein. Ihr kommt in diesem Modell die Aufgabe der Informationsvermittlung, der Meinungs- bildung und der Kontrolle der politischen Eliten zu. Damit gleicht Öffentlichkeit einem Beobachtungssystem, das die politischen Akteure und ihr Kommunikationsangebot vor der Gesellschaft abbildet. Die Responsivität der Herrschaftsträger gegenüber den ihnen Unterworfenen wird durch den periodischen Wahlmechanismus gesichert, er zwingt die Mandatsträger sich in ihrer Kommunikation an den Präferenzen der Bürger zu orientieren, um nicht abgewählt zu werden. Dieses repräsentativ-liberale Modell von Öffentlichkeit konstruiert sich, wie schon an andere Stelle erwähnt, in erster Linie durch massenme- diale Öffentlichkeit. Nur sie vermag eine dauerhafte Beobachtung von Politik durch die Bürger zu gewährleisten.
Wesentlich anspruchsvoller im Hinblick auf die Funktionen von Öffentlichkeit ist dagegen das deliberative Modell von Öffentlichkeit konzipiert. GERHARDS (2002: 138F) unterscheidet es in drei, als Dimensionen bezeichneten Punkten vom repräsentativ-libe- ralen Modell.
Die erste Dimension bezieht sich auf die Ebene der Sprecher, die in der Öffentlichkeit agieren. Im repräsentativ-liberalen Modell sind es vor allem die Akteure im Zentrum des politischen Geschehens, die in der Öffentlichkeit stehen. Diese Sichtweise kann in Anlehnung an Habermas als „vermachtete Öffentlichkeit” bezeichnet werden. Besser sei jedoch eine „autochtone Öffentlichkeit”, die von Akteuren der Zivilgesellschaft, von den Bürgern selbst mitbestimmt wird.
Die Kommunikation dieser Öffentlichkeit ist geprägt durch ihre diskursive Struktur, sie stellt also nicht bloß dar, sondern begründet Positionen mit Argumenten. Als zweite Dimension ist die „autochtone Öffentlichkeit” grundsätzlich auf eine dialogische Orien- tierung ausgerichtet und sichert so die Rationalität einer Debatte. In der dritten Dimension unterscheiden sich die beiden Öffentlichkeitsmodelle in den Gütekriterien, die sie an den Verlauf einer öffentlichen Debatte anlegen. Sieht das representativ-liberale Modell bei der durch Veröffentlichung von Standpunkten erzeugten Transparenz das Ziel von Öffentlichkeit erreicht, gehen die Vorstellungen im deliberativen Modell hier weiter. Als Resultat einer Diskussion einer vermachteten Öffentlichkeit steht immer administrativ erzeugte Macht, eine „ beschaffte Massenlo- yalität für Entscheidungen des Zentrums der Politik durch das Zentrum der Politik ” (GERHARDS 2002: 139). Als Resultat einer Diskussion in einer autochtonen Öffentlichkeit steht dagegen ein diskursiv geprüfter Konsens, an dem alle gesellschaftlichen Akteure beteiligt waren.
Diese knappe Gegenüberstellung zweier Modellvorstellungen von Öffentlichkeit soll helfen, im nächsten Kapitel die Dimensionen von Öffentlichkeit europäischer Reichweite zu untersuchen. Zum Abschluss bietet sich die Zusammenfassung von „guter Öffentlichkeit” in beiden Modellen von Jürgen Gerhards an: „ Aus der Perspektive der repräsentativ-liberalen Theorie besteht eine gute Öffentlichkeit aus Kommunikationen gewählter Repräsentanten der Bürger, die miteinander um die Zustimmung der Bürger konkurrieren, indem sie ihre Positionen und Meinungen formulieren. Die Funktion von Öffentlichkeit besteht in der Erzeugung von Transparenz unterschiedlicher Positionen; ist die Trans- parenz hergestellt, können die gewählten Vertreterüber Mehrheitsentscheide kollektiv verbindliche Entscheidungen festlegen. Eine gute Öffentlichkeit im Sinn des deliberativen Modells umschließt hingegen die bürgernahen Grup- pierungen der Zivilgesellschaft, sie wird auf der Basis von Argumenten und im Dialog miteinander geführt. Dies ist die Vorraussetzung dafür, dass es zu Deli- berationsprozessen kommen kann, die wahrscheinlich nicht zu einem Konsens, wohl aber zu einer Annäherung der Kommunikationspartner führen können” (GERHARDS 2002: 139).
3. Öffentlichkeit auf europäischer Ebene
Eine Eigenschaft haben die bisher vorgestellten Konzepte und Modelle von Öffentlichkeit gemein: Sie setzen Gesellschaften voraus, die innerhalb bestimmter Grenzen bestehen, sei es territorial oder sprachlich. Es stellt sich somit die Frage, ob sich die Überlegungen ohne weiteres auf eine europäische Ebene, mit ihrer Vielzahl von Ländern, Sprachen und Kulturen übertagen lassen. Wenn nicht, wie ist es dann mit der Legitimität der Europäischen Union bestellt, die sich als herausbildende politische Gemeinschaft jenseits des einzelnen Nationalstaates versteht und der schon jetzt entscheidende Befugnisse der Gesetzgebung übertragen worden sind (VGL. GERHARDS 2002)?
Nicht erst seit der Ablehnung des Entwurfs einer Europäischen Verfassung durch die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 kann der Euro- päischen Union eine Krise attestiert werden. Peter Graf Kielmansegg führt breits zehn Jahre zuvor drei Gründe für die schwindende Zustimmung der Bürger zum Integrati- onsprozess in Europa an: Mit Einführung der Mehrheitsregel für die Entscheidungen des Ministerrates können Mitgliedsstaaten, die sich gegen einen Beschluss aussprechen, überstimmt werden. Dies führt zu Begründungs- und Akzeptanzproblemen in den unter- legenen Ländern, die es bei der Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips noch nicht gab. Außerdem führen die zunehmenden Kompetenzerweiterungen der Gemeinschaft zu Belastungen, die für die Betroffenen in den Mitgliedsstaaten schmerzhaft spürbar werden können. Beispiele hierfür wären die Möglichkeit der Union, Steuern zu erheben oder bei außenpolitischen Konflikten Fragen über Krieg und Frieden zu entscheiden (KIELMANNSEGG 1996: 50F).
Der Fortgang des Integrationsprozesses führt schließlich, durch die höhere Komple- xität der Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene, zu schwindender eigener Handlungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten, ohne dass die Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln im Gegenzug wächst. Diese „demokratische Kluft” verbreitert sich auch deshalb zunehmend, da die hauptsächlich an verbindlichen Entscheidungen von europaweiter Tragweite beteiligten Politiker, etwa im Europarat oder dem Ministerrat, in der Regel vom Wähler für die Umsetzung ihrer nationalen Programme ins Amt gehoben wurden (VGL. KANTNER 2004: 65).
3.1 Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
Die Frage nach einem möglichen Demokratiedefizit der Europäischen Union kann aus vielen Perspektiven, und auf Grundlage unterschiedlicher normativer Grundpositionen gestellt werden. Die liberale, verfassungsrechtliche Position zur Problematik stellt sich relativ einfach dar Ihre juristische Legitimation erhält die europäische Union auf der Grundlage zwischenstaatlicher, völkerrechtlicher Verträge, die von den demokratisch gewählten Vertretern der Mitgliedsstaaten beschlossen wurden. Da die Union jedoch keine eigene Verfassung besitzt, ist sie auch kein Staat.5 Nun üben jedoch ihre Gemeinschaftsorgane Hoheitsrechte aus, was bisher Privileg von Staaten war. Aus diesem Dilemma ergibt sich das demokratische Defizit der Europäischen Union (KANTNER 2004: 61).
Um mit dem normativen Begriffsvokabular von Jürgen Habermas zu sprechen, sorgen die Verträge also für die Legalität politischer Herrschaftsausübung in der Europä- ischen Union, nicht jedoch für deren demokratische Legitimität (VGL. KANTNER 2004: 64).
Hier könnte die legitimationsstiftende Funktion von Öffentlichkeit ansetzten und Abhilfe schaffen, dazu mehr im nächsten Abschnitt.
Die schlichte Tatsache, dass die europäischen Bürger zwar Adressat der Herr- schaftsbeschlüsse aus Brüssel sind, jedoch nicht identisch sind mit dem „demos”, der diese Herrschaftspositionen gewählt hat, charakterisiert das Demokratiedefizit deutlich. Sind der Europäische Rat als Versammlung der Regierungschefs der verschiedenen Nati- onalstaaten und der Rat der Europäischen Union mit seinen nationalen Fachministern noch indirekt durch die nationalen Wahlen legitimiert, fehlt dieser direkte Bezug bei der Europäischen Kommission völlig, trotz deren weitgehenden Möglichkeiten des Eingriffs in nationale Belange. Diese Problematik könnte durch die Stärkung der Position des europäischen Parlaments gelöst werden, da dieses ja direkt von einem europäischen „demos” gewählt wird und so legitimiert ist. Das Parlament bleibt jedoch, auch wenn sich eine Aufwertung seiner Position innerhalb des Institutionengeflechtes Europas langsam anbahnt, die schwächste von ihnen (GERHARDS 2002: 140FF).
PETER GRAF KIELMANSEGG (1996: 58F) geht in seiner Beschreibung des europäischen „demos” noch einen Schritt weiter, indem er ihn als ein „kollektives Subjekt”, mit einer übergreifenden politischen Identität beschreibt, ohne die Demokratie nicht möglich sei. Da jedoch Europa keine Kommunikationsgemeinschaft, kaum Erinnerungsgemeinschaft und nur sehr begrenzt eine Erfahrungsgemeinschaft sei, kann sich eine solche übergrei- fende Identität nicht bilden. Zur Kommunikationsgemeinschaft fehlt die gemeinsame Sprache; Erinnerungsgemeinschaften bilden sich aufgrund der in der nationalen Historie verhafteten Geschichte kaum, und Erfahrungsgemeinschafteten bedürfen einer Abgren- zung nach außen, zum nicht-europäischen, die heute nicht mehr zeitgemäß sei. Auch durch andere Perspektiven und Ansätze kann das Auftreten des Demokratiedefizits Europas beschrieben werden. JÜRGEN GERHARDS (1993: 98FF) kommt bei dem Vergleich der vier ausschlaggebenden Strukturmerkmale demokratischer Nationalstaaten mit der Europäischen Gemeinschaft zu ähnlichen Schlussfolgerungen: Die Kompetenzallokation beinhaltet das Recht einer auf Zeit bestimmten Regie- rung, kollektiv verbindliche Entscheidungen herzustellen. Die Regierung verfügt, hauptsächlich durch Steuereinnahmen, über die Möglichkeit der Strukturierung der Gesellschaft, der Ressourcenallokation und kann ihre Entscheidungen notfalls mit Gewalt durchsetzten (Kontrollallokation). Das vierte Strukturmerkmal, die Legitima- tionsallokation, bleibt jedoch beim Bürger, als eigentlichem Souverän der Demokratie behaftet. Im Wahlakt macht er von seiner Souveränität Gebrauch, wählt die Regierung auf Zeit und legitimiert sie so.
Die ersten drei Strukturmerkmale demokratischer Nationalstaaten sind für die Europäische Union gegeben. Sie verfügt mit ihren bindenden Beschlüssen, die nationales Recht brechen, über Kompetenzallokationen, hat in der Überwachung ihrer Beschlüsse Möglichkeiten der Sanktionierung und gewinnt durch autonome Finanzierung zunehmend eigenen Gestaltungsraum. Für die Notwendigkeit der Bindung der europäischen Struk- turen an die Bürger als Souverän fehlt jedoch nach Gerhards die notwendige politische Öffentlichkeit. Nur durch sie kann mit ihrer intermediären Charakteristik die Vermitt- lung und Rückkopplung von Interessen zwischen Regierenden und Regierten zustande kommen und so ausreichende Legitimation erzeugt werden. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union ist demnach direkt mit ihrem Mangel an politischer Öffentlichkeit verbunden (GERHARDS 2002: 288FF).
3.2 Das Öffentlichkeitsdefizit der Europäischen Union
Die wissenschaftliche Debatte über die Existenz einer europäischen Öffentlichkeit ist kontrovers und verworren. Es besteht zwar Einigkeit über die Notwendigkeit von Wegen zur Interessenvermittlung und Interessenaggregation zwischen dem politischem System einerseits und seinen privaten Akteuren und gesellschaftlichen Gruppen andererseits, wie jedoch eine solcherarten vermittelnde Öffentlichkeit auf europäischer Ebene auszusehen hat und wie sie demokratischen Ansprüchen genügt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander (VGL. RISSE 2002).
Als Vertreter einer Gruppe, für die europäische Öffentlichkeit schlichtweg nicht vorhanden ist, zählt der oben bereits zitierte Peter Graf Kielmannsegg. Da der von den Massenmedien getragene öffentliche politische Diskurs an Sprachräume gebunden ist, bleibt er auch weitgehend im Nationalen verhaftet; ohne eine gemeinsame, von allen beherrschte Sprache kann folglich nicht transnational kommuniziert werden (KIELMANN- SEGG 1996: 60F). Eine europäische Öffentlichkeit, mit europäischen Medien und einem europäischen Publikum gibt es deshalb nicht. Bisherige Versuche eigenständiger Tages- zeitungen eine europäische Zielgruppe anzusprechen, wurden nach kurzer Zeit aus ökonomischen Gründen wieder eingestellt, Fernsehsender wie Eurosport oder Euronews, die in verschiedenen Sprachen ausgestrahlt werden, weisen marginale Einschaltquoten auf, was als Beleg für ein Scheitern einer transnationalen, europäischen Öffentlichkeit gewertet wird.
JÜRGEN GERHARDS (2000) hat die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit durch Vergleich mit dem Heranwachsen nationaler Strukturen verglichen und systematisiert und dabei fünf Faktoren als Bedingungen identifiziert: Zunächst müssen die politischen Rahmenbedingungen der Meinungs- und Pressefreiheit gegeben sein. Das kann in einem deregulierten europäischen Markt als erfüllt betrachtet werden, in keinem Mitgliedsland der Union findet Zensur statt.
Als nächsten Punkt nennt Gerhards die technologische Entwicklung zur massenhaften Verbreitung von Informationen. Galt die Erfindung von Schnellpresse und Rotationsdruck als Vorraussetzung zur effizienten Verbreitung von Publikationen und damit als Schrittmacher einer modernen, nationalen Öffentlichkeit, so garantiert heute die Satellitenübertragung und das Internet die schnelle Überwindung von räumlichen Grenzen mit geringem finanziellen Aufwand. Die technologischen Voraussetzungen für eine europäische Öffentlichkeit bestünden somit.
Schwieriger gestaltet sich der dritte Punkt, das Vorhandensein eines rezeptionsfä- higen Publikums. Auf nationaler Ebene sorgte die Alphabetisierung der Bevölkerung für die notwenige Voraussetzung, sich an den Prozessen der sich entwickelnden Öffentlichkeit zu beteiligen. Diese Fähigkeit zur Beteiligung kann in den Ländern der EU als gegeben betrachtet werden, jedoch nicht in einer einheitlichen Sprache. Zwar bietet Englisch, als meistgesprochene und früh gelehrte Fremdsprache die besten Voraussetzungen in Zukunft von vielen Europäern benutzt zu werden, von einer „lingua franca” zu sprechen, ist jedoch verfrüht.
Die Professionalisierung der Kommunikationsberufe, die Ausdifferenzierung von Medienunternehmern und Journalisten, war ein weiterer Bedingungsfaktor für die Entstehung nationaler Öffentlichkeiten. Diese Bedingungen sind auf europäischer Ebene ebenfalls gegeben. Allerdings ist die wirtschaftliche Rentabilität europaweiter Medien, auch aufgrund der oben angeführten Sprachproblematik als niedrig anzusehen, was die massenmedialen Informationsverbreitung über die nationalen Grenzen hinweg erschwert. Am ehesten kann ein, der englischen Sprache mächtiges Elitepublikum aus einem Teilsystem der Gesellschaft, etwa der Wirtschaft, angesprochen werden.
Schließlich gehört zur Entstehung nationaler Öffentlichkeiten die Herausbildung kollektiver Akteure, die sich in der Öffentlichkeit zu Wort melden, in der Öffentlichkeit für ihre Programme werben oder sich zur Wahl stellen. Die Entstehung dieser nationalen Öffentlichkeit ist historisch eng mit dem Prozess der Demokratisierung verbunden.
Hier sieht Gerhards den Punkt, der die Entstehung einer europäischen Öffentlich- keit am meisten behindert, da die territorialen Grenzen von Öffentlichkeit meist identisch seien mit den territorialen Grenzen der Demokratie. Die politischen Akteure orientieren sich in ihrem Verhalten an der Bevölkerung, die sie gewählt hat, und von der sie deshalb abhängig sind. Das Demokratiedefizit der EU sei deshalb, neben dem Sprachproblem, eine der Ursachen des Öffentlichkeitsdefizits der Union (GERHARDS 2000: 292).
3.3 Modelle europäischer Öffentlichkeit
3.3.1 Das pan-europäische Öffentlichkeitsmodell
Gäbe es ein einheitliches europäisches Medienangebot und supranationale intermediäre Akteure wie europäische Parteien, Verbände oder Bewegungen, würde demnach euro- päische Öffentlichkeit entstehen. Eine solch geartete Öffentlichkeit wird in der Literatur unter dem Terminus „ pan-europäische Öffentlichkeit ” diskutiert (VGL. EILDERS / VOLTMER 2003: 251).
Dieser Beurteilung liegt, wie geschildert, die implizite Übernahme der nationalen Strukturen von Öffentlichkeit auf die transnationale Ebene zugrunde. Aus system- theoretischer Perspektive betrachtet, ist dieser Transfer jedoch mit grundlegenden Problemen behaftet. Die Ausdifferenzierung des Öffentlichkeitssystems ist Teil des historischen Trends der fortschreitenden funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Die Massenmedien als Leistungserbringer des Systems „Öffentlichkeit” machen dabei Zusammenhänge sowohl im Inneren der ausdifferenzierten Teilsysteme, als auch in ihrem Verhältnis zueinander transparent. So bieten sie eine Antwort auf die Probleme, die der Prozess der funktionalen Differenzierung in sich trägt. Als solche Probleme sei an dieser Stelle die Sozialintegration des Individuums und die Systemintegration der Teilsysteme mit ihren jeweils eigenen Codes in die Gesellschaft angesprochen (VGL. SCHIMANK / VOLKMANN 1999: 41). Massenmedien ermöglichen Sozialintegration dadurch, dass sie Leistungen bereitstellen, die zur Wahrnehmung der Publikumsrolle in anderen Teilsystemen befähigen, ohne dass diese Leistungen von den entsprechenden Teilsys- temen selbst erbracht werden müssten. Zur Systemintegration tragen sie bei, indem sie Abstimmungsprobleme oder Inkompatibilitäten der Teilsysteme untereinander sichtbar machen und so gesellschaftliche Integrationsbemühungen, die meist vom politischen System gesteuert werden, anregen (WESSLER 2004: 14).
Ein Blick aus dieser Makroperspektive auf die Struktur der Europäischen Union zeigt die Unterschiede: „ Während modere Gesellschaften vorrangig funktional in ungleichartige und (relativ) gleichrangige Teilsysteme differenziert sind, besteht die Europäische Union aus strukturell gleichartigen, nämlich modernen Gesellschaften, die in ein System der Interessenabstimmung eingebunden sind, das ihre (relative) Gleichrangigkeit gewährleistet. Die Integrationsprobleme und die Integrati- onsmechanismen in einem solchen segmentär differenzierten, internationalem System sind daher andere, als diejenigen in einer vorrangig funktional differen- zierten nationalen Gesellschaft. Eine Integration der Segmente ist grundsätzlich nicht - wie bei der funktionalen Differenzierung - durch die Ausdifferenzierung eines zusätzlichen Teilsystems gleichen Typs [...] lösbar ” (WESSLER 2004: 15) .
Einwände gegen das pan-europäische Öffentlichkeitsmodell können jedoch auch außer- halb systemtheoretischer Perspektiven gefunden werden. So gehört die Schweiz, trotz der Existenz von vier Landessprachen ohne „lingua franca” zu den stabilsten und erfolg- reichsten Demokratien in Europa (NEIDHARDT ET AL. 2000: 272F). Das Sprachenproblem wird auch durch den Einwand entdramatisiert, dass Kommunikation und Verstehen nicht an eine gemeinsame Sprache oder gemeinsame Medien gebunden ist. Da Inhalte jederzeit übersetzt werden können, ist eine gemeinsame, generelle Rationalitäts- und Verständlichkeitsunterstellung der Kommunikationsteilnehmer untereinander wesentlicher, als die gemeinsame gesprochene Sprache (VGL. KANTNER 2004: 122F).
Die Forderung nach einem einheitlichen, pan-europäischen Medienprodukt, um europäische Öffentlichkeit zu ermöglichen, relativiert sich im Vergleich zu nationalen Medien in einer sprachlich homogenen Gesellschaft. Hier ergeben sich die unter- schiedlichsten Perspektiven auf den Kommunikationsgegenstand, ohne dass dies als öffentlichkeitshemmend angesehen würde, im Gegenteil, die unterschiedlichen Sicht- weisen ermöglichen erst das Entstehen des öffentlichen Diskurses (KANTNER 2004: 123).
Eine direkte Übertragung der Strukturen nationaler Öffentlichkeiten auf die euro- päische Ebene erscheint in diesem Fall als unterkomplex und nicht aussagekräftig.
3.3.2 Das Modell segmentierter Teilöffentlichkeiten
In der einschlägigen Literatur wird, ohne Bezug zu nationalen Öffentlichkeiten, ein weiteres mögliches Konzept europäischer Öffentlichkeit diskutiert, das Modell segmentierter transnationaler Themenöffentlichkeiten.
Wendet man das Modell nationalstaatlich verfasster Öffentlichkeit auf Europa an, kommt man nach Klaus Eder zu folgender Schlussfolgerung: „ Es fehlt das homogene Publikum (das „ Volk ” , das spricht und zuhört). Damit fehlt ein Akteur, der den leerenöffentlichen Raum in Europa besetzten könnte. Wenn es keinen Akteur gibt, dann gibt es auch keine Öffentlichkeit und wenn es keine Öffentlichkeit gibt, dann ist auch das Öffentlichkeitsdefizit nicht zu beheben ” (EDER 2000: 171) .
Eder vertritt die These, es existiere dennoch bereits eine europäische Öffentlichkeit. Diese sei nicht von einer Sprachgemeinschaft abhängig, sondern basiere auf Netzwerken politischer Akteure, die über issuespezifische Kommunikationsgemeinschaften zusammengehalten werden. Die Netzwerke mit ihrer variablen, nicht-kontingenten Struktur ersetzten den „demos” der etablierten, nationalen Öffentlichkeitsmodelle.
„ An die Stelle von nationaler Sprache treten multisemantische Metapho- risierungen des Gemeinsamen, neue Metanarrative, dieüber Begriffe wie „ citizenship ” , „ Wertegemeinschaft ” oder „ Informationsgesellschaft ” (zu letz- terer braucht man keine nationale Sprache) laufen ” (EDER 2000: 178) .
Eder sieht diese Netzwerke an zwei unterschiedliche „Resonanzböden” mit gegensätzlicher „Ladung” gebunden. An positive oder negative Resonanz im Publikum und positive oder negative Resonanz von Institutionen. Je nach Beschaffenheit entstehen so unterschiedlich zu charakterisierende Öffentlichkeiten (EDER 2000: 177F): 1. Positive Resonanz von Publikum entspricht dabei dem Idealtypus einer kritischen Öffentlichkeit im normativ-deliberativen Modell. Akteure der Zivilgesellschaft oder der Politik setzten den „transnationalen Herrschaftsverband EU” unter Druck und erzeugen eine kritische Öffentlichkeit.
2. Schweigt das Publikum, nennt Eder diese Option negative Resonanz. Sie entzieht den herrschenden Institutionen Legitimität, allerdings nur, wenn für diese Institu- tionen dauernde Zustimmung Bestandteil ihrer Funktionslogik ist. Das komplexe institutionelle System der Europäischen Union sei jedoch anfällig für den Entzug von Zustimmung, in Zukunft bedarf es öffentlicher Zustimmung im gesteigertem Maße.
3. Negative institutionelle Responsivität, also Schweigen seitens der europäischen Institutionen bestimmte lange Zeit die politische Kommunikation der EU. Der Rückzug von Öffentlichkeit innerhalb die Institutionen ist jedoch gerade bei der Entstehung supranationaler Gebilde konstitutiv, da sie aufgrund ihrer hohen Komplexität zu anfällig für Störungen sind. Existiert eine schweigende Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung, kann diese so genannte Arkanpolitik legitimierende Kraft entfalten.
4. Da in jüngster Zeit diese schweigende Zustimmung schwindet, greifen die euro- päischen Institutionen zunehmend auf ein breites Arsenal zur Beeinflussung und Beobachtung der öffentlichen Meinung zurück. Inszenierungen öffentlicher Dialoge, PR-Kampagnen zur politisch-moralischen Werbung für die europäische Sache oder das permanente Monitoring der Öffentlichkeit durch Umfragen sind Methoden einer positiven institutionellen Responsivität (VGL. GERHARDS 2000: 260).
Das Modell der segmentiertern transnationalen Themenöffentlichkeiten löst das demokratietheoretische Problem des uneinheitlichen „demos” auf europäischer Ebene so per definitionem; diese Tatsache kann jedoch in gleicher Weise als seine größte Schwachstelle ausgemacht werden: Die transnationalen Netzwerke schließen nämlich durch ihren elitären Charakter den Großteil der Bürger von der Teilhabe am politischen Diskurs aus (VGL. EILDERS / VOLTMER 2003: 253). Auf diese Weise lassen sich segmentierte Themenöffentlichkeiten kaum in bestehende demokratietheoretische Konzepte mit normativer Ausrichtung integrieren, denn ein allen Bürgern offenstehender und freier Diskurs lässt sich allein massenmedial und nicht in der Präsenzöffentlichkeit von Eliten realisieren (VGL. GERHARDS 2000: 300).
3.3.3 Das Modell europäisierter nationaler Öffentlichkeiten
Als ein weiteres Modell entstehender europäischer Öffentlichkeit, wird die Europäisie- rung nationaler Öffentlichkeiten zur Lösung des europäischen Öffentlichkeitsdefizits angeboten.
Jürgen Gerhards schlägt als Gegenmodell zur oben erläuterten segmentierten europäischen Öffentlichkeit das Modell einer europäisierten Öffentlichkeit vor. Durch Thematisierung europabezogener Inhalte unter einer nicht nationalstaatlichen Pers- pektive wird europäisierte Öffentlichkeit in den nationalen Medien konstituiert (GERHARDS 2003: 102).
Europäische Themen und Akteure müssen im nationalen politischen Diskurs berücksichtigt werden und die Interpretation nationaler Politik beeinflussen, damit man von europäisierter Öffentlichkeit sprechen kann (EILDERS / VOLTMER 2003: 253). Durch Verbindungen und den wechselseitigen Austausch nationaler Öffentlichkeiten entwickelt sich die europäische Perspektive.
Diese Europäisierung kann sich nach KOOPMANS / ERBE (2003) in drei Dimensionen abspielen:
- Durch Zunahme von europäischen Akteuren und Themen in nationalen Medien entsteht eine supranationale europäische Öffentlichkeit, im Idealfall begleitet durch das Entstehen europaweiter Medien.
- Parallel geführte nationale Debatten können zu einer vertikalen Europäisierung führen, wobei die Bezugnahme von nationalen Akteuren auf europäischen Akteure oder Themen (bottom-up), oder in der anderen Richtung (top-down), erfolgen kann.
- Horizontale Europäisierung entsteht bei kommunikativer Verbindung zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten, wobei die reine Berichterstattung über andere Länder die schwächste Variante darstellt, direkte Bezugnahme von nationalen Akteuren auf andere Länder als stärkere Variante gezählt werden kann.
Das Konzept der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten hat in politikwis- senschaftlichen Studien zu einem Perspektivenwechsel gegenüber den traditionellen Ansätzen einer genuin europäischen Öffentlichkeit geführt. Während der Schwerpunkt der Analysen bisher auf dem Wandel der Institutionen und der Vermittlung von Politik auf europäischer Ebene lag, rückt nun der Einfluss der EU auf die nationale Mediena- genda in den Mittelpunkt. Die Argumentation dafür beruht auf zwei Annahmen. Zum einen existiert auf nationaler Ebene der Mitgliedsstaaten bereits eine flächendeckende Infrastruktur der Massenkommunikation, die auf die jeweiligen Rezeptionsmuster ihres Publikums ausgerichtet ist und es so am besten erreichen kann. Sprachliche und kulturelle Besonderheiten der Mitgliedsländer finden so von Beginn an Berücksichti- gung. Zum anderen sind die entscheidungsrelevanten Institutionen der EU, wie der Ministerrat, nach wie vor eng mit den nationalen Regierungen der Länder verbunden. Die Legitimation ihrer europapolitischen Entscheidungen suchen die verantwortlichen Politiker deshalb bei ihren nationalen Wählern, umgekehrt sind für den Bürger die von ihnen gewählten nationalen Vertreter für Europapolitik verantwortlich.6 Erst eine deutliche Aufwertung der Machtbefugnisse des von allen EU-Bürgern gewählten euro- päischen Parlaments, würde der zweiten Annahme entgegensprechen (EILDERS / VOLTMER 2003: 253).
THOMAS RISSE (2002) definiert eine idealtypische europäisierte Öffentlichkeit, die demokratischen Kriterien genüge, wenn drei Punkte als gegeben betrachtet werden können: - Es müssen die gleichen europäischen Themen zur gleichen Zeit mit ähnlich hoher Aufmerksamkeit in den nationalen Öffentlichkeiten und deren Medien diskutiert werden.
- Die Bedeutungsstrukturen und Interpretationsmuster der Berichterstattung nationaler Medien müssen sich ähneln.
[...]
1 Der Begriff „europäisch” wird in diesem Zusammenhang im folgenden Kapitel näher untersucht.
2 Gerhards und Neidhardt verweisen auf ein ähnliches Phänomen in den Sachregistern der meisten soziologischen Lehrbüchern, bei denen die Begriffe „Öffentlichkeit” und „öffentliche Meinung” ebenfalls kaum auftauchen und wenn meist als Randnotiz in kleinen Passagen (GERHARDS / NEIDHARD 1991: 53).
3 In Umkehrung kann natürlich argumentiert werden, dass den Akteurstheorien der Bezug zu einer Makroperspektive, also zu den übergeordneten Strukturen einer Gesellschaft, fehlt.
4 Selektions- und Aufbereitungsstrategien der Massenmedien werden in Kapitel 4 ausführlicher erläutert.
5 Dass es auch funktionierende, nationale Demokratien ohne explizite Verfassung gibt, beweist das Beispiel Großbritannien. Hier übernimmt jedoch ein im historischen Kontext gewachsenes Konglomerat aus Rechtstexten, Konventionen und richterliche Entscheidungen verfassungsähnliche Funktionen (VGL. KANTNER 2004: 62).
6 Jürgen Gerhards kommt bei dieser Konstellation freilich zur entgegengesetzten Schlussfolgerung. Solange die gewählten Repräsentanten europäische Fragen ausschließlich aus der Perspektive der Folgen für den „demos” , der sie gewählt hat, diskutieren, kann von europäischer Öffentlichkeit nicht gesprochen werden (GERHARDS 2002: 152).
- Citar trabajo
- MA Thomas Feldmann (Autor), 2007, Europa in den Nachrichten - Ein Vergleich des Europabezuges der Nachrichtensendungen "ARTE-Info" und "heute", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84337
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