Nicht unweit des Vulkankegels der Amöneburg findet sich südöstlich der Universitätsstadt Marburg das Dorf Rauischholzhausen (Gemeinde Ebsdorfergrund) mit seinen 1071 Einwohnern (2007). Das heute mehr oder weniger unbedeutende Dorf erlebte seinen Höhepunkt mit dem Ende der Rau'schen Grundherrschaft und dem Aufkauf derer Besitzungen durch die Diplomatenfamilie von Stumm. Innerhalb weniger Jahre rissen diese die Wasserburg ab und erbauten sich ein eigenes Schloss im Stile des Historianismus mit angrenzender Parkanlage. Der Aufsatz behandelt die Bedeutung derer von Stumm für den Ort sowie deren Eigeninszenierung als grundherrschaftliche Familie. Bau von Schloss und Parkanlage haben eine zentrale Bedeutung für den Essay, der ursprünglich ein Vortrag im Rahmen einer Veranstaltung zur mentalitätsgeschichtlichen Betrachtung von Gärten und Parks gewesen ist. Der Autor ist u.a. Dozent am Ostasienzentrum der TU Dresden, Fachgebiet Japan.
Inhaltsverzeichnis
1 Das Dorf Rauischholzhausen
1.1 Die Geschichte des Dorfes Rauischholzhausen bis 1871
1.2 Die Ära der Familie von Stumm
2 Schloss und Park Rauischholzhausen
2.1 Der Park Rauischholzhausen
2.2 Das Schloss Rauischholzhausen
3 Ferdinand von Stumm und sein Dorf – Eine Mentalitätsbetrachtung
Literatur
Parkbetrachtungen
Der Essay basiert auf einem Frühjahr 2001 gehaltenen Vortrag im Rahmen einer Veranstaltung zur sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Betrachtung von Gärten und Parks am Institut für Europäische Ethnologie/ Kulturforschung der Philipps-Universität Marburg.
1 Das Dorf Rauischholzhausen
Nicht unweit des Vulkankegels der Amöneburg findet sich südöstlich der Universitätsstadt Marburg das Dorf Rauischholzhausen (Gemeinde Ebsdorfergrund) mit seinen 1071 Einwohnern (2007). Während es in früheren Zeiten aufgrund seiner Lage an der alten Heerstraße des 'Langen Hessen' von der guten Anbindung und relativ zentralen Lage sowohl profitierte als auch während des 30jährigen Krieges hierunter sehr leiden musste, drängten die heutigen Fernstraßen Rauischholzhausen in die Abgeschiedenheit eines weitgehend landschaftlich geprägten Ortes mit abnehmender Einwohnerzahl. Allein in den beiden vergangenen Jahrzehnten sank diese über 10 %[1].
1.1 Die Geschichte des Dorfes Rauischholzhausen bis 1871
Erstmals im Jahre 781[2] wurde Holzhausen anlässlich einer Besitzübertragung von Ländereien an das Kloster Fulda durch Kaiser Karl den Großen (742-814) namentlich erwähnt. In den folgenden Jahrhunderten wurde der Landstrich von wechselnden Vasallen verwaltet, bis das nunmehr Mainzer Allod Holzhausen zum Lehen der Herren von Eppstein wurde, welche es wiederum an ihren Vasallen Gernaud von Rau vergaben, dessen Familie seit 1330 in Holzhausen lebte. Ab 1369 erhielt die Familie von Rau ihr Lehen dann direkt vom Erzbischof in Mainz.[3]
Als Grund- und Gerichtsherren waren sämtliche, dem Schollenzwang unterliegende Höfe und Mühlen der örtlichen Hintersassen gegenüber der Familie von Rau zinspflichtig und mussten gemessene als auch unangemessene Gesindezwangs-, Hand- und Spanndienste (Frondienste) leisten. Die Abgaben wurden dabei zuerst in Natural- später auch in Geldform geleistet. Ihre als Vasall idealiter an den Tag zu legende Schutzfunktion gegenüber den lokalen Hörigen übte die Familie Rau ab dem 16. Jahrhundert von der Alten Mühle (heutiger Schlossparkeingang) her aus, die sich in unmittelbarer Nähe zur nicht mehr erhaltenen Wasserburg fand. Bis 1749 wurde der Familienbesitz auf zwei adlige Burgsitze – die untere Burg oder Wasserburg und die obere Burg als Herrenhaus mit Gutshof – sowie fünf Mühlen ausgebaut. 1803 endete die persönliche Grund- sowie Gerichtsbarkeit der Familie von Rau und Holzhausen fiel an das Kurfürstentum Hessen-Kassel, bevor letzteres 1866 von Preußen besetzt worden ist. Fünf Jahre Später endete die über 500 Jahre andauernde Ära der Familie von Rau in Holzhausen mit dem Verkauf der Besitzungen an den damaligen Botschaftsrat in Petersburg Ferdinand von Stumm (1843 - 1925).
Seinen heutigen Namen erhielt der Ort im Zuge der Eingliederung des Kreises Kirchhain in den Landkreis Marburg im Jahr 1934, als er zur besseren Unterscheidung anderer 'Holzhausen' in 'Rauischholzhausen', d. h. das Rau'ische Holzhausen, umbenannt wurde. zwei Jahre später verkaufte der gleichnamige Sohn des Parkerbauers Ferdinand von Stumm Schloss und Park an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, die hier eine Schule zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen errichtete.[4] Gegen Ende des Krieges kaufte 1944 die in Bad Nauheim ansässige Kerckhoff-Stiftung den Besitz und verpachtete ihn an die Universität Gießen. Mit Kriegsende wurde das Gut von den Alliierten zunächst konfisziert und dann dem neugegründeten Land Hessen übergeben, das es wiederum der Universität Gießen zur Nutzung und Liegenschaftsverwaltung übertrug. Seit 1949 ist das Schloss universitäres Tagungs- und Fortbildungszentrum.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Allee neben den ehemaligen Ställen.
1.2 Die Ära der Familie von Stumm
Ferdinand von Stumm entstammte einer der vermögenden Familien des Saarlands. Dort hatte die im 19. Jahrhundert von vier Geschwistern gehaltene Firma Gebr. Stumm verschiedene Eisenwerke, Zechen sowie Hütten erworben und konnte von der aufkommenden Eisenindustrie profitieren. Carl F. von Stumm, Industrieller, Reichtagsabgeordneter und ein persönlicher Freund des deutschen Kaisers, residierte auf Schloss Halberg bei Saarbrücken. Bei ihm zeigt sich ein Charakterzug, welcher später in Rauischholzhausen auch bei seinem Bruder Ferdinand hervortreten sollte. Carl F. von Stumm verband aktive Sozialpolitik mit einer strikten politischen, ökonomischen und sozialen Kontrolle seines Umfeldes, wobei den Kern das persönliche Verhältnis zwischen dem Unternehmer und seinen Arbeitern sowie Angestellten darstellte. Das bedeutete Verantwortung für das Wohlergehen der Belegschaft, aber zugleich die Voraussetzung ihrer unbedingten Betriebstreue, so dass der nationalliberale Publizist Friedrich Naumann die saarländischen Verhältnisse in Anlehnung an orientalische Herrschaftsformen als „Saarabien“ bezeichnete. Passend hierzu titulierte ihn Bismarck gerne als „König Stumm“.[5]
Als Ferdinand von Stumm das Anwesen der Rau erwarb, war er Botschaftsrat in St. Petersburg und mit Pauline von Hoffmann, einer Bankierstochter aus Leipzig liiert. Zuvor nahm er an den drei Kriegen Preußens zwischen 1864 und 1871 teil und kämpfte im Kolonialkrieg der Engländer 1868 in Abessinien. Als Diplomat stellte er keineswegs einen typischen Vertreter des deutschen Korps dar, das vom Adel dominiert wurde, da er und seine Familie erst 1888 von Kaiser Friedrich in den Adelsstand erhoben worden sind – Kaiser Friedrich wollte einen ‚Auszeichnungsadel’ schaffen, der auch dem Großbürgertum offen stehen sollte. Nach Russland war der weit gereiste Legationssekretär von Stumm 1875 für zwei Jahre preußischer Gesandter in Darmstadt, daraufhin bis 1879 in Kopenhagen und ein weiteres Jahr in Madrid. Nach der Entlassung Bismarcks 1890 erbat auch er – wie es heißt – aus gesundheitlichen Gründen seine Versetzung in den Ruhestand, womit ihm für den Ausbau von Schloss und Park Rauischholzhausen bis zu seinem Ableben noch mehr als dreißig Jahre Zeit blieben. Sofort nach der Übernahme der Rauschen Besitzungen – mit Ausnahme der Mühlen, die bereits verkauft waren – sowie dem Zukauf von Wiesen und Waldstücken von der Gemeinde und privaten Eigentümern, hatten die umfangreichen Ausbaumaßnahmen bereits begonnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Ferdinand Eduard Freiherr von Stumm und Pauline Freiin von Hoffmann.[6]
Obwohl die Ära der von Stumm nur zwei Generationen währte, war ihr Einfluss auf den Ort von großer Bedeutung. Ähnlich Carl F. von Stumm im Saarland zeigten sich auch bei der Familie von Stumm in Rauischholzhausen die beiden Aspekte Herrschaftsdenken und sozialpolitisches Engagement. Sie führten in den Monaten, die sie im Dorf verbrachten – bis 1912 besaßen sie eine Winterresidenz in Florenz –, ein durch Mauern abgeschirmtes, herrschaftliches Leben und ihr Kontakt zu den Bewohnern beschränkte sich neben dem Personal auf den Personenkreis um Bürgermeister und Pfarrer, welcher sie selber hierher geholt hatten. Lediglich bei Abwesenheit der Herrschaft war es anlässlich der Dahlienschau des Obergärtners Carl Dissel dem Dorf erlaubt, das Anwesen zu betreten. Aber aufgrund der Unterstützung durch die Familie Stumm konnten auch eine Schule, ein Gemeindehaus, ein Kindergarten und später eine Wasserleitung, ein Alten- und Erholungsheim sowie eine Molkerei gebaut werden. Von Stumm stellten den größten Arbeitgeber und sorgten, aus nicht ganz uneigennützigen Gründen dafür, dass ein Arzt und ein Apotheker nach Rauischholzhausen kamen. Kranke und Bedürftige erhielten Essen aus der Schlossküche und an bedürftige Kinder wurden Schuhe ausgeteilt. Bei seinem Tode 1925 setzte Ferdinand von Stumm für das Personal testamentarisch 1 Mill. Goldmark für Legate und Pensionen fest, die von den Erben in vollem Umfang erfüllt wurden.
Auf einem neu angelegten Friedhof wurde 1879, zur Hochzeit der von Stumm, dem Ort eine neue Kirche gestiftet, die bereits 1881 vollendet werden konnte. Diese Kirche ist, wie die vorherige, eine Patronatskirche, d. h. der Patron ist für Bau und Unterhalt der Kirche verantwortlich und hatte dafür das Recht, den Pfarrer einzusetzen. Patronatsherren waren ursprünglich die von Rau, später die von Stumm und seit dem zweiten Weltkrieg die Familie von Waldthausen. Die Kirche weist einen separaten Familienfriedhof aus, auf dem allerdings nur der 1954 verstorbene Sohn Ferdinand von Stumm beigesetzt ist. Die alte Kirche, die in der Nähe des Gutshofes stand, wurde abgerissen, die in ihr vorhandenen Gräber der von Rau in die Mauer des Friedhofes eingearbeitet.
Der besagte Gutshof nimmt eine große Fläche des Dorfes ein und wurde von den von Stumm zu einem Ökonomiehof umgebaut. In der Mitte des Hofes steht ein besonders stattliches Gebäude im Stile der Spätgotik, das Herrenhaus der von Rau aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Als gegen Ende der 30er Jahre dieser Gutshof die Unterhaltskosten für das Schloss und den Park nicht mehr aufbringen konnte, wurde der gesamte Besitz zwischen 1938 und 1941 von Ferdinand von Stumm, welcher seit 1918 ebenfalls in diplomatischen Dienst stand, an die nationalsozialistische Volkswohlfahrt verkauft, womit die Ära von Stumm im Ort endete.
[...]
[1] Vgl. Einwohnerzahlangabe von 1987 bei Fezer-Modrow 1991:1 mit den Angaben des Statistischen Landesamtes Hessen.
[2] Als Jahr der ersten namentlichen Erwähnung werden je nach Quelle auch die Jahre 759 oder 779 genannt.
[3] Die offizielle Internetpräsenz der Justus-Liebig-Universität tradiert eine hiervon abweichende Geschichte, der zufolge 1248 Adolfus von Schrikede (Schröck) im Zuge der Fehde zwischen Sophie von Brabant und den umliegenden Burgherren den landgräflichen (sic!) Ort Holzhausen als Ersatz für die Burg Frauenberg (südlich von Marburg) erhielt. Von da an soll sich die Familie Schrikede Ruwe (Rau) von Holzhausen genannt haben (http://www.uni-giessen.de/uni/einrichtungen/ Rauischholzhausen /geschichte.html).
[4] Die angrenzenden Waldgebiete wurden zu diesem Zeitpunkt von der Familie von Waldthausen erworben und bis heute bewirtschaftet.
[5] Vgl. zur damaligen Situation im Saarland die Homepage der Universität des Saarlandes: http://www.memotransfront.uni-saarland.de/htm/4x58.htm; Stand: 27.10.2007.
[6] Gemalt von Salvador Martinez Cucells (1845-1914) um 1889/1890. von Stumm trägt die Uniform eines Majors des 8. Husarenregiments sowie zahlreiche Orden (u. a. den russischen St.-Wladimirs-Orden und das Großkreuz des Danebrogordens. Quelle: http://www.dhm.de/ausstellungen/bildzeug/qtvr/DHM/n/BuZKopie/raum_27.03.htm; Stand 27.10.2007.
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