Im Frühjahr 2006 erließ die Bundesregierung ein Gesetz, dass deutsche Spargel- und Obstbauern dazu verpflichtet, mindestens 20 % ihrer Erntehelferstellen mit deutschen (Langzeit-) Arbeitslosen zu besetzen.
In einer Reportage der ARD, die auch die Idee zu dieser Hausarbeit lieferte, wurde deutlich, dass dieses Gesetz, mittlerweile bekannt unter dem Begriff ’Erntehelferregelung’, keineswegs so leicht in die Realität umzusetzen ist.
Landwirte berichteten in dieser Sendung von ihrer Unzufriedenheit ob dieser neuen Regelung, die zum einen auf der geringen Produktivität der deutschen Arbeitnehmer gründete und zum anderen auf die viel zu geringe Anzahl Arbeitsloser zurückzuführen war, die überhaupt bereit waren ein solches Jobangebot anzunehmen.
Tatsache ist, dass heute so gut wie kein deutscher Arbeitnehmer auf einem Spargelfeld einer Beschäftigung nachgeht und nahezu der gesamte Arbeitsaufwand von osteuropäischen Erntehelfern bewältigt wird.
Worauf ist diese Unproduktivität deutscher Arbeiter zurückzuführen? Liegt es etwa daran, dass die notwendigen Bewegungen von polnischen Arbeitern einfach besser ausgeführt werden können? Sind ihre motorischen Voraussetzungen geeigneter als die ihrer deutschen Kollegen? Oder sind die tatsächlichen Gründe in einer völlig anderen Richtung zu finden?
Der Anspruch dieser Hausarbeit liegt darin, mögliche Gründe für die skizzierte Diskrepanz mit Bezug auf betreffende Bereiche der Bewegungswissenschaft, die während des Semesters Gegenstand des Seminars waren, aufzuzeigen.
Unterstützt durch verschiedene Autoren und ihre Theorien, die sich mit dem Erlernen und Ausführen von Bewegungen beschäftigen, sollen zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden.
Zur Beobachtung der Bewegungsausführung unter authentischen Bedingungen, habe ich im Mai 2006 ein Spargelfeld eines Landwirtes in Nordrhein-Westfalen besucht und die Tätigkeit eines Arbeiters dort gefilmt.
Des Weiteren sei darauf verwiesen, dass das Filmmaterial eine Fülle von Informationen bereitstellt die in der Hausarbeit aufgrund des ansonsten zu großen Umfangs nicht thematisiert werden können.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Problembeschreibung
Versuch einer morphologischen Bewegungsanalyse
Versuch einer funktionalen Bewegungsanalyse
Das Lehren des Spargelstechens
Die Bedeutung der Motivation und Zielsetzung für die Bewegungsausführung
Fazit
Einleitung
Im Frühjahr 2006 erließ die Bundesregierung ein Gesetz, dass deutsche Spargel- und Obstbauern dazu verpflichtet, mindestens 20 % ihrer Erntehelferstellen mit deutschen (Langzeit-) Arbeitslosen zu besetzen.
In einer Reportage der ARD, die auch die Idee zu dieser Hausarbeit lieferte, wurde deutlich, dass dieses Gesetz, mittlerweile bekannt unter dem Begriff ’Erntehelferregelung’, keineswegs so leicht in die Realität umzusetzen ist.
Landwirte berichteten in dieser Sendung von ihrer Unzufriedenheit ob dieser neuen Regelung, die zum einen auf der geringen Produktivität der deutschen Arbeitnehmer gründete und zum anderen auf die viel zu geringe Anzahl Arbeitsloser zurückzuführen war, die überhaupt bereit waren ein solches Jobangebot anzunehmen.
Tatsache ist, dass heute so gut wie kein deutscher Arbeitnehmer auf einem Spargelfeld einer Beschäftigung nachgeht und nahezu der gesamte Arbeitsaufwand von osteuropäischen Erntehelfern bewältigt wird.
Worauf ist diese Unproduktivität deutscher Arbeiter zurückzuführen? Liegt es etwa daran, dass die notwendigen Bewegungen von polnischen Arbeitern einfach besser ausgeführt werden können? Sind ihre motorischen Voraussetzungen geeigneter als die ihrer deutschen Kollegen? Oder sind die tatsächlichen Gründe in einer völlig anderen Richtung zu finden?
Der Anspruch dieser Hausarbeit liegt darin, mögliche Gründe für die skizzierte Diskrepanz mit Bezug auf betreffende Bereiche der Bewegungswissenschaft, die während des Semesters Gegenstand des Seminars waren, aufzuzeigen.
Unterstützt durch verschiedene Autoren und ihre Theorien, die sich mit dem Erlernen und Ausführen von Bewegungen beschäftigen, sollen zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden.
Zur Beobachtung der Bewegungsausführung unter authentischen Bedingungen, habe ich im Mai 2006 ein Spargelfeld eines Landwirtes in Nordrhein-Westfalen besucht und die Tätigkeit eines Arbeiters dort gefilmt.
Des Weiteren sei darauf verwiesen, dass das Filmmaterial eine Fülle von Informationen bereitstellt die in der Hausarbeit aufgrund des ansonsten zu großen Umfangs nicht thematisiert werden können.
Problembeschreibung:
Wie bereits erwähnt ist es eine Tatsache, dass der Anteil deutscher, ehemaliger Arbeitsloser am Gesamtbeschäftigungsverhältnis eines entsprechenden agrarwirtschaftlichen Betriebes so gut wie nie erreicht wird. In dem von mir besuchten Betrieb lag dieser Anteil gar bei 0 %.
Und sollte sich doch ein deutscher Arbeiter auf eine Beschäftigung als Spargelstecher einlassen, wird dies vom zuständigen Landwirt meist zähneknirschend hingenommen, da diese Stelle folglich nicht mehr mit einer vermeintlich produktiveren, polnischen Arbeitskraft besetzt werden kann.
Ausnahmen hierzu mag es sicherlich geben, am Gesamteindruck ändert sich dadurch jedoch wenig.
Warum gibt es dieses Phänomen der vorhandenen Arbeit die nicht besetzt werden will bzw. kann? An einer unzureichenden Planung der Regierung kann es doch sicherlich nicht liegen:
Der vorgesehene Weg, den ein deutscher Arbeitsloser nach Vorstellungen der Behörden durchlaufen soll, gestaltet sich wie folgt:
Zuerst ist ein 1-2tägiger Lehrgang zu absolvieren, der von der jeweils zuständigen Landwirtschaftskammer durchgeführt wird und die potentiellen Erntehelfer auf die zukünftige Tätigkeit vorbereiten soll, indem notwendige Fertigkeiten gelehrt und gelernt werden.
Auf den Aspekt des Lehrgangs und die Art und Weise wie dort vermittelt wird, werde ich unter dem Punkt ‚Das Lehren des Spargelstechens’ noch näher eingehen.
Nach dieser Einweisung erfolgt im Idealfall die Durchführung der Zieltätigkeit auf dem zugewiesenen Betrieb. Die Regel, so bestätigte mir ein Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer Münster-Wolbeck, ist es aber, das über 90% der deutschen Teilnehmer nicht einmal den Lehrgang abschließen und folglich auch nie die Zieltätigkeit in einem Betrieb ausüben.
Hier offenbart sich ein Knackpunkt des Problems:
Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass ein neuer, ungeübter Arbeiter nicht die Produktivität während seiner ersten Arbeitstage erreicht, die ein erfahrener Erntehelfer erreicht. Diese Vermutung bestätigt sich auch in der Praxis. Die durchschnittliche Erntemenge eines Novizen erreicht hier nach Auskunft des befragten Landwirtes nur einen Bruchteil der Produktivität einer seiner polnischen Mitarbeiter.
Logischerweise erreichten diese ‚guten’ Arbeiter zu Anfangszeiten auch nur geringe Erntemengen. Ein erster Unterschied, der dazu führt, dass sich kein einziger deutscher Arbeitnehmer auf dem von mir beobachteten Feld befand, liegt meines Erachtens in der Tatsache, dass sich die heutigen ‚guten’ Arbeiter früher die Zeit genommen haben zu lernen um so ihre Arbeitsleistung zu optimieren.
Gerade diesen Lernprozess machen die deutschen Arbeitslosen nicht durch, sie gestatten sich diesen Prozess selbst nicht, weil sie sich nicht die Zeit nehmen, zu lernen,
Laut Aussage des Landwirtes erscheinen diese neuen Arbeiter nach 1-2 Tagen nicht mehr zur Arbeit, „weil ihnen irgendetwas weh tut“ und sie ein dementsprechendes ärztliches Attest vorweisen.
Ein entscheidender Faktor scheint also neben dem hervorgehobenen Lernprozess vor allem auch die psychische Willensbereitschaft oder Motivation zu sein.
Auf diese Aspekte soll im Folgenden weiter eingegangen werden.
Zunächst soll jedoch der Versuch einer morphologischen und funktionalen Bewegungsanalyse die Verbindung zur Bewegungswissenschaft verdeutlichen und dem Leser eine genauere Vorstellung von der hier behandelten Bewegung vermitteln. Zur visuellen Unterstützung empfiehlt es sich das Filmmaterial zu betrachten.
Versuch einer morphologischen Bewegungsanalyse
Die morphologische Bewegungsanalyse zählt zu den klassischen Phasengliederungen. „Die Morphologie ist die Lehre von der äußerlich wahrnehmbaren Form oder Gestalt eines Sachverhalts“ (Olivier & Rockmann 2003, S.73). Da es sich dabei um direkt wahrnehmbare Merkmale eines Bewegungsablaufs handelt, ist diese Art der Analyse recht einfach durchzuführen.
Die klassischen Phasengliederungen lassen sich weiterhin in ein Drei-Phasen-Modell und ein Zwei-Phasenmodell unterteilen, wobei ersteres die Ausführung von azyklischen Bewegungen charakterisiert und letzteres zur Strukturierung von zyklischen Bewegungen genutzt wird.
„Als Phasenstruktur für jede ganzkörperliche Arbeits - und sportliche Bewegung ergibt sich demnach die Dreigliederung Vorbereitungsphase, Hauptphase, Endphase“ (Meinel 1971, S. 149).
Basierend auf meinen Beobachtungen und der Auswertung des Filmmaterials folgt nun eine kurze Dreiphasengliederung der Arbeitsbewegung des Spargelstechens:
Laut Definition soll die Vorbereitungsphase die Hauptphase optimal vorbereiten. Dies beschreibt deren Zweckbeziehung. Die Ergebnisbeziehung ergibt sich durch den Umstand, dass „das Lösen der gestellten Bewegungsaufgabe vom Ergebnis der Vorbereitungsphase abhängt“ (Olivier & Rockmann 2003, S.77).
Zur Vorbereitungsphase des Spargelstechens zählen demnach das Suchen und Finden der Spargelstange, das Einnehmen der Fußposition, das Beugen des Rumpfes im Hüftgelenk, sowie das Freilegen der Stange um 10cm. Ohne diese Bewegungen wäre die folgende Hauptphase nicht durchführbar und eine unvollständige Ausführung der Vorbereitungsphase, wie etwa das Freilegen der Stange um nur 2cm, würde das Ergebnis der Hauptphase negativ beeinflussen, womit Zweck- und Ergebnisbeziehung ausreichend erklärt sein dürften.
In der Hauptphase soll die gestellte Aufgabe direkt gelöst werden. Demnach kann die Hauptphase hier nur aus dem Einführen des Messers und dem Stechen des Spargels bestehen.
Die Endphase beinhaltet das Stabilisieren eines am Ende der Hauptphase oft labilen Zustandes. Auch hier finden sich Zweck- und Ergebnisbeziehungen in Relation zur Hauptphase.
Abstrahiert auf das Spargelstechen besteht der Zweck der Endphase im Wiederauffüllen des hinterlassenen Lochs. Hier klärt sich auch die Beziehung zur Hauptphase, in der versucht wird das Loch möglichst klein zu lassen, um so eine Minimierung der Endphase zu erreichen. was wiederum auch die Ergebnisbeziehung verdeutlicht, da das (ein) Ergebnis der Hauptphase (Größe des Lochs) die Ausführung der Endphase beeinflusst.
Versuch einer funktionalen Bewegungsanalyse
Als zweites analytisches Mittel soll die Einteilung der Elemente der Bewegung des Spargelstechens in Funktionsphasen nach Göhner dienen.
Wiederum muss hier von der Ausführung sportlicher Bewegungen auf solche einer Arbeitstätigkeit abstrahiert werden.
Die Phasen der Bewegung werden in Haupt- und Hilfsfunktionsphasen unterteilt, wobei die Hauptfunktionsphase funktional unabhängig ist und ihre Funktion nur in Zusammenhang mit dem Bewegungsziel besteht.
Die Hilfsfunktionsphasen sind folglich funktional abhängig und lassen ihren Sinn nur in Verbindung mit nachfolgenden oder vorangehenden Funktionsphasen erkennen (vgl. Göhner 1979, S. 178-180).
Als eindeutig erkennbare Hauptfunktionsphase beim Spargelstechen ist das eigentliche Abstechen der Spargelstange mit dem Spezialmesser zu nennen, denn sie charakterisiert das Bewegungsziel.
Alle anderen Teilbewegungen lassen sich in die Kategorien vorbereitende, unterstützende und überleitende Hilfsfunktionsphasen einordnen.
Das Suchen der Stange, Einnehmen der Standposition und Freilegen der Stange, fallen somit in die Kategorie der vorbereitenden Hilfsfunktionsphasen, die laut Definition das Erreichen bestimmter Ortsstellen, bestimmter Lagen und Positionen zum Ziel haben (vgl. Göhner 1979, S.184-193). Eine indirekt unterstützende Hilfsfunktionsphase könnte die Stabilisation der Standposition in den Knie- und Sprunggelenken sein, die einen sicheren Stand gewährleistet und somit auch die Durchführung der gleichzeitig ablaufenden Hauptfunktionsphase ermöglicht.
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- Arbeit zitieren
- Ingo Westermann (Autor:in), 2006, Deutsche Arbeitslose und polnische Spargelstecher: Erklärungsversuche für ein erfolgloses Gesetz aus bewegungswissenschaftlicher Perspektive , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84087
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