Eingetragene Partnerschaft und Gay-Pride-Großveranstaltungen hin, Transsexuellengesetz und Queer-Theorie her: Homophobie, die irrationale, angsterfüllte Ablehnung aller individuell mit Homosexualität assoziierten Außenreize, ist trotz erster sozialpolitischer Teilerfolge einer wachsend selbstbewußt und politisch offensiv auftretenden Liberations- und Gleichstellungsbewegung nach wie vor im patriarchalisch fundierten Gesellschaftsgefüge fest verwurzelt. Benachteiligungen, Spott, sogar Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit schlagen sich in allen Facetten homo- und transsexueller Lebenswelt kontinuierlich und hartnäckig nieder – wie sich en detail an wiederkehrend negativen Alltagserfahrungen Betroffener ebenso wie en gros in der allgemeinen Legislation beobachten läßt. Die vorliegende Arbeit soll zeigen, daß das psychologische Konzept der Homophobie unverzichtbar kausal mit dem soziologischen Konzept der Heteronormativität verbunden ist, welches wiederum sozialgeschichtlich und sozialstrukturell ursächlich hergeleitet wird. Dabei wird Aufschluß über die aktuelle Diskussion psychologischer Ursachen homophober Einstellungsmuster und korrespondierenden Verhaltens gegeben. Schließlich werden die theoretischen Überlegungen anhand der Ergebnisse einer im Februar und März 2003 telefonisch durchgeführten bundesweiten Bevölkerungsbefragung illustriert und empirisch untermauert. Mittels linearer Strukturgleichungsmodellbildung soll insbesondere beurteilt werden, inwieweit hohe Grade an Wertkonservatismus, an Ethnozentrismus und im Verhaftetsein an traditionellen Geschlechtsrollenkonzepten homophobe Einstellungen im Individuum nicht nur begünstigen, sondern geradezu bedingen.
Inhalt
1) Einleitende Bemerkungen
1.1) Formulierung des Erkenntnisinteresses
2) Zur Interdependenz von Homophobie und Heteronormativität
2.1) Definitionen und terminologische Diskussion
2.1.1) Weinbergs Homophobiekonzept: Präliminarien, Inhalte, Weiterentwicklungen
2.1.2) „Sexual Prejudice“ als terminologischer Reformversuch
2.1.3) Heteronormativität als Metakonzept
2.2) Manifestationsweisen von Homophobie
2.2.1) Homophobe Ausdrucksformen nach Young-Bruehl
2.3) Erklärungsansätze zum Ursprung homophober Einstellungen
2.3.1) Furcht vor Werteverfall und Orientierungsverlust
2.3.2) Die besondere Labilität adoleszenter Selbstkonstruktion bei Jungen
2.3.3) Naturalistische homophobe Argumentationsweisen als Spiegel dahinterstehender Tiefenmotivation
2.4) Empirische Erkenntnisse zur Prävalenz homophober Einstellungen
2.4.1) Zur doppelten Relevanz der Kategorie „Geschlecht“
3) Zur Beobachtbarkeit der Kontextualität homophober Einstellungen: Ergebnisse einer bundesweiten telefonischen Bevölkerungsbefragung
3.1) Entdeckungszusammenhang
3.1.1) Begriffsklärungen und initiale Forschungshypothesen
3.2) Begründungszusammenhang
3.2.1) Operationalisierung, Faktoren- und Variablenbildung
3.2.2) Datenauswertung
3.3) Verwertungszusammenhang
3.3.1) Bewertung der Forschungshypothesen
4) Fazit
5) Literatur- und Abbildungsverzeichnis
5.1) Literatur
5.2) Abbildungen
6) Anhang
6.1) SIMPLIS-Syntax des Modells aus Abschnitt 3.2.2.3
6.2) Ausgabe der Parameterschätzungen und Modelldiagnostik
1) Einleitende Bemerkungen
Werden westlich sozialisierte Menschen gebeten, eine dem Fragenden unbekannte dritte Person so kurz und effizient wie möglich zu beschreiben, so werden dabei in der Antwort allgemein nicht ausschließlich die Funktion dieser Person, deren Fähigkeiten, Interessen oder etwa deren geographische Herkunft an sich thematisiert. Elementar zu einer solchen Schilderung gehören im Gegenteil auch, explizit oder implizit durch den Sprachgebrauch ausgedrückt, Aspekte der physischen Erscheinung, der körperlichen Gestalt des zu beschreibenden Individuums bzw. deren konsensuelle soziale Überformungen, denen der Beschreibende einen hohen Informationswert[1] für das abhängig von den eigenen Prioritäten und Erfolgsinteressen zu konstruierende Bild beim Empfänger zuschreibt[2] - im Bestreben, auf diese Weise gesellschaftliche Horizontal- und Vertikalpositionen zu verorten[3]. Charakteristisch selektierte Merkmale sind diesbezüglich Haarfarbe, Lebensalter, gegebenenfalls Hautfarbe, Körpergröße, Kleidungsstil[4] – und als sehr grundlegende, nahezu unverzichtbare Kategorisierung die Geschlechtszuschreibung, deren soziale Omnirelevanz, etwa als notwendige Startbedingung für neue Interaktionen, in ihrer Bipolarität von Garfinkel 1967[5] sowie auf dessen ethnomethodologischen Untersuchungen zur Transsexualität aufbauend von Kessler/McKenna 1978[6] entscheidend und eindrucksvoll herausgearbeitet wurde. Gerade durch Transsexuelle nämlich werden diese Bipolarität sowie die „Unentrinnbarkeit“ eindeutigen Geschlechtszuschreibungszwanges sowohl plastisch in Frage gestellt als auch bestätigt, was die Feststellungen Hirschauers 1993 zu diesem Psychologie, Soziologie, Rechtswissenschaft und Medizin in ihren fachspezifischen Perspektiven und Gewichtungen beschäftigenden Phänomen illustrieren: Er konstatiert, daß das
„[...] Behandlungsprogramm für Transsexuelle [...] ein Arbeitszusammenhang von unabhängig operierenden, aber seriell aufeinander bezogenen Stationen“[7]
sei, wobei er sich auf ein „professionelles Accomplishment“[8] zwischen Endokrinologen, Chirurgen, Psychiatern und Richtern bei der anatomischen, sozialen und juristischen Herstellung einer möglichst hohen Deckungsgleichheit zwischen Selbst- und Außenkategorisierung hinsichtlich des Geschlechts des Patienten bezieht. Hier werden die im Alltagsverständnis nicht gleichermaßen offensichtlich zugänglichen Dimensionen der Kategorie „Geschlecht“ an sich aufgedeckt, ergibt sich die Notwendigkeit zur Unterscheidung von hormonellem, anatomischen, genetischem, sozialem, emotionalem und sexualpräferenzbezogenem Geschlecht – wobei sich sämtliche dieser „Untergeschlechter“ wiederum selten plausibel in ein bipolares Kategorienschema pressen lassen und schon gar nicht zwangsläufig ein konsensuellen Erwartungen gegenüber stimmiges Gesamtbild ergeben müssen.
Diese Differenzierungen lassen das Ausmaß erahnen, in dem auch die alltäglichsten sozialen Interaktionen wie selbstverständlich „geschlechtlich“ durchwirkt sind, was Treibel – einleitend zu ihrer Abhandlung von 2000 zum Verhältnis von Mikrotheorie und Geschlechtersoziologie – als bereits vom Säuglingsalter an begründet und unausweichlich erachtet:
„Die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern wird im Alltag als fundamental empfunden. Schon bei der Geburt eines Kindes (häufig auch schon vor der Geburt) lautet die erste Frage meist nicht, ob Mutter und Kind wohlauf sind, sondern: ,Was ist es denn?' Unmittelbar nach der formellen Geschlechtszuweisung durch Klinikpersonal, Hebamme oder anwesenden Vater beginnt die Umwelt mit der informellen Geschlechtszuschreibung: weil es ein Mädchen ist, reagieren Bezugspersonen z. B. noch ungehaltener als bei einem Jungen auf anhaltendes Schreien.“[9]
Während bereits Garfinkel die normativen Alltagsvorstellungen von „Geschlecht“ als von Dichotomie, Eindeutigkeit, lebenslanger Invarianz, Kongruenz zwischen Anatomie und Identität sowie von der Medikalisierung von Abweichungstendenzen gekennzeichnet sieht[10], weisen Kessler/McKenna zusätzlich auf das Bestreben speziell Transsexueller hin, von der Außenwelt unstrittig als das empfundene Geschlecht im bipolaren Modell wahrgenommen zu werden, und nicht etwa als eigenständige Gruppierung oder gar „drittes Geschlecht“[11]. Auch wenn Geschlechtsrollenerwartungen ganz allgemein aufweichen und, wie Hirschauer anmerkt, „ein großer Teil der Angehörigen der westlichen Kultur selbst zu Geschlechtsmigranten geworden ist“[12], so bedingt diese neue Unübersichtlichkeit erst gerade die Notwendigkeit der konstanten Rückversicherung seitens der verunsicherten Individuen, daß die alten Geschlechtskategorien nach wie vor valide seien, und ein umso hartnäckigeres Festhalten an den noch existenten Codes[13] für eindeutige Geschlechtlichkeit. Als nicht nur unter diesen Bedingungen sozialisierte, sondern auch fundamental durch die Diskrepanz zwischen Körperideal und grob abweichender sozialer Geschlechtszuschreibung desorientierte Menschen neigen Transsexuelle zur Überanpassung in einer mutmaßlich erwarteten Rolle des empfundenen Geschlechts, wie Schmidt 2000 herausstellt:
„Im Prozeß des Übergangs konstituieren sich Transsexuelle in allen Alltagssituationen als das Geschlecht, das sie sein möchten, indem sie willkürlich, bewußt steuernd Techniken anwenden, die gewährleisten, daß sie von anderen Personen dem gewünschten Geschlecht zugerechnet werden. Dabei machen sie explizit das, was Nicht-Transsexuelle quasi-natürlich, unwillkürlich machen: ,doing gender' oder ,working at gender', Frau-Sein und Mann-Sein als Resultat von Darstellungsleistungen.“[14]
Wo also keine soziale Situation ohne die gegenseitige Zuschreibung und Versicherung der ihr unterworfenen Teilnehmenden hinsichtlich einer Geschlechtskategorie denkbar ist, wo entweder Frau- oder Mann-Sein als unausgesprochene Verpflichtung unterstellt wird, und wo Anatomie, Sozialisation, Biographie und chromosomales Geschlecht im Vergleich zur Wichtigkeit einer konsistenten und gegenseitig erwartungskonformen Konstruktion von Geschlechtlichkeit geradezu irrelevant erscheinen[15], dort sind auch traditionell geschlechtlich eindeutig attribuierte, „aufgeladene“ Verhaltensweisen Teil dieser konsistenten Konstruktion. Diese Verhaltensweisen und deren konsensuelle Bewertung werden gewöhnlich bereits in primärer Sozialisation erworben[16] sowie in sekundärer Sozialisation, nach Gildemeister 1992 sogar „in lebenslanger Teilnahme bestätigt, gefestigt und modifiziert [...].“[17] Zimmermann 2000 hierzu:
„Qua Tradition haben Mädchen und Jungen vorbestimmte ,Geschlechter-Skripts' mit Leben zu füllen. Sie haben nichts zu tun mit Alternativen und Weggabelungen, an denen sie sich entscheiden müssen. Das vorherrschende geschlechtsrollentypische Bild steht nicht zur Disposition und wird imitiert und auch von den Erwachsenen rigide als Verhalten gefordert [...] Für meine Ausgangsfrage – wie werden Jungen zu Jungen und Mädchen zu Mädchen – bedeutet dies, dass geschlechtsspezifische Sozialisation sich über geschlechtsbezogene Interaktionen innerhalb einer Gesellschaft aufbaut, in der bestimmte Bilder und Vorstellungen [...] vorherrschen, die sich die Kinder aneignen und subjektiv verorten, und zwar als Kultur der Zweigeschlechtlichkeit. [...] Es ist immer wieder zu beobachten, wie sich schon Drei- oder Vierjährige aufregen, wenn sie tatsächlich einmal verkannt werden.“[18]
Als unmittelbar mit der Geschlechtsrolle verbundene, nach außen sichtbare Manifestation von Geschlechtlichkeit, von Sexualität, ist die Partnerwahl eines Individuums – nicht nur im Sinne der ganz allgemeinen persönlichen Eigenschaften dieses Partners, sondern ganz speziell in Hinblick auf dessen Geschlechtszuschreibung im Kontext zu der eigenen – ein wichtiges Determinationskriterium für Beobachter, um dessen Konsistenz im Geschlechtsrollenverhalten zu beurteilen. Nach wie vor, massenmedial vermittelt, und ohne Schwierigkeiten exemplarisch illustrierbar, herrscht Heterosexualität als geschlechtsrollenspezifische Verhaltenserwartung implizit auch bei durchaus aufgeklärten und toleranten Betrachtern vor – einerseits, weil diese Erwartung in der Mehrheit der Beobachtungen sich letztlich als korrekt herausstellt (bzw. als korrekt affirmiert wird, was ja noch keine Schlüsse über die tatsächliche Richtigkeit der Vermutung zuläßt – vor ihrem Coming-Out sind nicht wenige Homo- und Bisexuelle bemüht, den äußeren Anschein von reiner Heterosexualität nicht zu erschüttern[19]). Andererseits erhält Heterosexualität durch deren Institutionalisierung und positive Sanktionierung seitens der politischen Administration den auch Kindern bereits früh vermittelten Nimbus der (Quasi-)Gesetzlichkeit – die erstens in den Strafgesetzbüchern nicht weniger Staaten sogar fest verankert ist (durch die negative Sanktionierung von Devianz) und zweitens durch religiösen und säkularen Fundamentalismus regelmäßig aus der jeweils zugrundeliegenden Heilslehre heraus zum apriorischen (Gottes-)Gebot erhoben und vervollständigt wird.
Wo liegen, wie angeführt geschlechterrollen-dekonstruktivistisch und geschlechterpolitik-analytisch vorgehend, die historischen und sozialpolitischen Wurzeln dieser Heterosexualitätserwartung, oder kurz: Heteronormativität? Wie äußert sie sich konkret im heutigen postindustriellen Sozialgefüge westlichen Charakters? Welche psychologischen und dafür grundlegend makrosozialen Hintergründe haben, darauf aufbauend, Angst- und Ablehnungsgefühle hinsichtlich der Konfrontation mit Verletzung von Heteronormativität? Wie argumentieren Menschen, die diese Gefühle empfinden, begründend? Und: Wie verbreitet, wie verwandt mit anderen Ablehnungsphänomenen sind antihomosexuelle Einstellungen?
Diese Fragen zu erörtern, und in den Grenzen des zur Verfügung stehenden Materials sowie der angemessen erscheinenden Methoden vielleicht auch ein Stück weit zu deren Klärung beizutragen, soll Leitgedanke der vorliegenden Ausarbeitung sein.
An dieser Stelle sei bereits folgenden Wegbegleitern, die durch ihre vielfältigen Anregungen, stetige Diskussionsbereitschaft und kontinuierliche Motivation zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, für ihre unentbehrliche Unterstützung und Geduld gedankt:
Edgar und Ingrid Welz, Bad Lauterberg,
Stefanie Lohmann, Leipzig, sowie
Dennis Holzapfel, Herzberg am Harz.
Göttingen, im Juli 2004
Maren Sophie Arnhold
1.1) Formulierung des Erkenntnisinteresses
Antihomosexuelle Handlungen und Einstellungen lassen sich zwar selten seitens der betreffenden Akteure bzw. Einstellungsträger selbst rational begründen, sie werden als „unbestimmte Antipathie“ bzw. deren Ausdruck wahrgenommen. Üblicherweise ist jedoch eine Kontextualität in diesem Sinne „homophober“ Haltungen und Verhaltensmuster zu einem ganz allgemein stark normativen und autoritären Gesellschaftsideal zu beobachten, das im Rahmen der eigenen Möglichkeiten nicht selten in die Tat umzusetzen gesucht wird und in seinem scharfen Differenzierungscharakter zwischen „In-Group“ und „Out-Group“ parallel auch die Ablehnung anderer willkürlich definierter Personengruppen begünstigt (beschrieben etwa in den Studien von Fulton 1997[20] zum Verhältnis zwischen Homophobie und Rassismus sowie von Plugge-Foust/Strickland 2000[21] zu Homophobie und religiösen Fundamentalismus). Ausgehend von einem Verständnis von Homophobie als weder monokausal erklärbarer noch losgelöst von ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu anderen Ablehnungsphänomenen befriedigend in konkreter Manifestation und Ursächlichkeit betrachtbarer Verhaltensgrundlage, verfolgt die Arbeit insgesamt drei Ziele.
Erstens soll, nach genauerer begrifflicher Eingrenzung des Terminus „Homophobie“ an sich im fachgeschichtlichen Zusammenhang, der Versuch angestellt werden, Heteronormativität im Sinne einer (freilich ursächlich noch weiter zu begründenden) omnipräsenten Verhaltenserwartung der Heterosexualität als für das Zustandekommen homophober Einstellungen notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung herauszuarbeiten und zu plausibilisieren. Dabei wird auch auf die mikro- und makroperspektivischen Effekte der Reproduktion homophoben Verhaltens unter Berücksichtigung der sich charakteristisch dahinter äußernden psychischen Motivationen bzw. politischen Ziele eingegangen, was bereits zum zweiten Ziel der Ausarbeitung hinführt. Hier werden synoptisch verschiedene Erklärungsansätze für das Zustandekommen homophober Einstellungen und Handlungen vorgestellt und diskutiert, um daraus weitere, neben der Heteronormativitätsgrundlage ebenso konstitutive bzw. Heteronormativität wiederum erst begründende Einflußfaktoren zu entwickeln. Schließlich wird die anhand dieser Faktoren unterstellte Kontextualität homophober Einstellungen einer empirischen Überprüfung unterzogen, indem auf Datenbasis einer bundesweiten quantitativen telefonischen Bevölkerungsbefragung ein lineares Strukturgleichungsmodell als die im Lauf der Argumentation entwickelten Hypothesen nicht nur verbildlichendes, sondern auch deren Gütebeurteilbarkeit herstellendes Kausalmodell entwickelt wird. Es soll gezeigt werden, wie und ob insbesondere Geschlechtszugehörigkeit sowie der individuelle Grad an Wertkonservatismus, Geschlechtsrollentraditionalismus sowie Normativierung der eigenen Lebensweltlichkeit (Ethnozentrismus) als Einflußfaktoren für homophobe Einstellungen und homophobes Verhalten angenommen werden können, und wie historisch-patriarchal gewachsene Machtgefälle sich in den gefundenen Kausalitäten nicht nur abbilden, sondern auch und vor allem reproduzieren.
2) Zur Interdependenz von Homophobie und Heteronormativität
2.1) Definitionen und terminologische Diskussion
Wie bereits impliziert, werden die zentralen Termini „Homophobie“ sowie „Heteronormativität“ trotz deren intuitiv möglicherweise unterstellbarer Äquivalenz im folgenden nicht synonym verwendet. Im Gegenteil handelt es sich um zwei hinsichtlich ihrer Reichweite und ihres Erklärungsanspruchs sehr unterschiedliche theoretische Konzepte, deren Signifikate in der Praxis aber von jeweils eigener Ebene aus miteinander wechselwirken, was für eine soziologische Untersuchung zu berücksichtigen und in deren Rahmen angemessen zu integrieren ist. So ist Heteronormativität – im Sinne eines Homophobie hervorrufenden Faktors – als Aggregationsphänomen zu verstehen und damit treffend durch soziologisch-sozialpsychologische Theorien und Methoden erfaßbar, während sich Homophobie an sich, trotz aller zweifellos möglichen kollektiven Beobachtbarkeit, letztlich im (Unter-)Bewußtsein jedes Individuums effektiv ähnlich, aber ätiologisch anders konstituiert und damit als nicht aggregierbar, mithin nur psychologisch an singulären Fällen wirklich erklärbar, anzusehen ist. Das soziologische Interesse kann daher auch nicht in der reinen Auseinandersetzung mit den psychologischen Ursachen von Homophobie liegen, sondern äußert sich eher in der Frage, inwieweit das Phänomen der Heteronormativität als schon primärsozialisatorisch vermittelt internalisierte Verhaltenserwartung[22] sich mit den Erklärungsansätzen für Homophobie aus der Psychologie in Verbindung setzen läßt – so daß der argumentative Fokus auf der sozialen und sozialstrukturellen Kontextualität bzw. Fundamentierung homophober Einstellungen sowie homophoben Verhaltens liegt, und erst sekundär (hier insbesondere ab Punkt 2.3f.) auf der Explikation konkreter kognitiver Abläufe im homophob denkenden und handelnden Individuum.
Um die unterstellte Interdependenz jenes gesellschaftswissenschaftlichen Konzeptes der Heteronormativität einerseits und des psychologischen Konzeptes der Homophobie andererseits zu illustrieren, theoretisch zu fundieren und dadurch soziologisch faßbar zu machen, bietet sich eine Integration zwischen einer sozialen Theorie mittlerer Reichweite sowie einer Handlungstheorie auf der Mikroebene an. Ein entsprechender Vorschlag wird im Abschnitt „Heteronormativität als Metakonzept“ (Punkt 2.1.3) entwickelt, wobei auch die gegenseitige Reproduktionsdynamik beider Phänomene berücksichtigt wird. Zuvor jedoch sollen deren Begrifflichkeiten zwecks Diskutabilität noch genauer eingegrenzt werden.
2.1.1) Weinbergs Homophobiekonzept: Präliminarien, Inhalte, Weiterentwicklungen
Der Homophobiebegriff bezeichnet ursprünglich, den Erstfestlegungen Smiths von 1971[23] sowie hauptsächlich George Weinbergs von 1972 gemäß, eine irrationale, faktisch unbegründete Angst vor homosexuellen Aktivitäten, vor dem Kontakt mit homosexuell identifizierten Menschen und vor Verhaltensweisen, die ganz individuell mit homosexueller Konnotation besetzt sind – wobei nicht ausschließlich Heterosexuelle, sondern auch durchaus eine beträchtliche Anzahl Homosexueller selbst betroffen sein können und diese Ängste und Verunsicherungen auch noch nicht regelhaft in destruktives Verhalten münden. Weinberg selbst definiert Homophobie kurz als
„[...] the dread of being in close quarters with homosexuals – and in the case of homosexuals themselves, self-loathing“[24],
wobei er die Gründe für das Zustandekommen dieser Furcht noch primär aus psychiatrischer Sicht diskutiert – so daß der Homophobiebegriff in der Rohfassung zunächst eher eine medizinische Zustandsbeschreibung denn ein Ergebnis von Ergründung oder gar Kritik dahinterstehender sozialisationsprägender Werte- und Normengeflechte darstellt. Als praktizierender Psychotherapeut konzentriert sich Weinberg noch hauptsächlich darauf, die Besonderheit der Homophobie (als Kondition mit Krankheitswert) unter anderen gerichteten Angsterscheinungen wie etwa der Agoraphobie oder der Klaustrophobie hervorzuheben: Da Homophobie unmittelbar auf andere Menschen bezogen sei, begünstige sie wie keine andere Angsterkrankung brutales Verhalten als Lösungsstrategie der durch sie hervorgerufenen inneren Anspannung. Trotz dieser noch naiv-medikalisierend erscheinenden (gleichwohl im zeitgeschichtlichen Kontext ungemein innovativen und polarisierenden) Argumentation – schließlich wird hier die bereits intuitiv ins Auge stechende manifestative und ursächliche Ähnlichkeit sowie Verbundenheit der Homophobie mit anderen Ablehnungsphänomenen wie etwa der Hetero- und Xenophobie ausgeblendet - erkennt auch Weinberg schon den Zusammenhang zwischen homophober Prägung und einem starken, selbst verlustangstbesetzten Bestreben nach Konformität, Sicherheit und Zugehörigkeitsgefühl, so daß Homophobie wiederum nur als Konsequenz tieferliegender Verunsicherungen zu verstehen sei. Weinberg hat damit, ohne tiefer auf die soziale bzw. sozialisatorische Einbettung dieser Verunsicherungen einzugehen, zumindest die Grundlagen auch für eine sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Rahmenbedingungen und Konsequenzen antihomosexueller Einstellungen geschaffen – auch wenn die wirkliche Krankhaftigkeit homophober Gefühle durchaus diskutiert werden kann, was an dieser Stelle aber weder beabsichtigt noch angemessen ist; es seien in Hinführung auf die Diskussion des Heteronormativitätsbegriffes vorerst nur kurz einige Deutungsansätze angerissen. Britton 1990[25] etwa erkennt in anti-homosexuellen Gefühlen keine pathologischen Eigenschaften, sondern faßt sie als durchaus wert- und eventuell auch zweckrational erklärbare Reaktionen auf die Bedrohung auf, die Homosexualität gegenüber dem heterosexuellen Privileg des Mannes in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung darstellt. Herek 1988[26] stellt fest, dass es elementar zur traditionellen heterosexuellen männlichen Rolle dazugehören müsse, homophob zu sein, da die männliche Identität sich an erwünschten Eigenschaften wie Unverletzlichkeit, emotionaler Kontrolle, Ehrgeiz, Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit konstituiere. Kontrastiv dazu seien Heterosexualität und Homophobie weitaus weniger fundamental für das traditionelle weibliche Rollenbild, was nicht nur Männer im Schnitt deutlich homophober eingestellt sein lasse als Frauen, sondern auch dazu führe, dass Schwule signifikant stigmatisierter seien als Lesben. Dieser Denkrichtung folgend, wird Homophobie also als Effekt einer starken Verbundenheit mit traditionellen (nicht nur geschlechtsspezifischen, sondern auch allgemein ethisch-moralisch begründeten) Rollenerwartungen aufgefaßt, was auch Dunkle/Francis 1990[27] sowie Polimeni/Hardie/Buzwell 2000 bestätigen:
„Research has shown that individuals who do not support equality between the sexes, believing that men should maintain seperate and traditional gender roles, tend to be more negative towards homosexuality in comparison to individuals who possess an egalitarian attitude towards gender roles. These findings are not surprising since both homosexuality and feminism represents departures from, and challenges to, traditional gender roles. As homophobia operates in favor of traditional masculine heterosexual men, such men are subsequently more likely to be homophobic than women.“[28]
Mit einer Initialprägung vor etwa dreißig Jahren ist das Wort „Homophobie“ als eigene Sammelbezeichnung für antihomosexuelle Empfindungen noch auffällig jung und konnte in der Tat erst in der Konsequenz der sexuellen Revolution der endenden 1960er Jahre sowie der US-Bürgerrechtsbewegungen der 1950er Jahre entstehen: Erst als die Stigmatisierung sexuell oder geschlechtsidentitätsbezogen abweichender Menschen, die Bewertung ihrer Existenz und Handlungen als unmoralisch, kriminell und krank, zunehmend in Frage gestellt wurde, entwickelte sich überhaupt eine Notwendigkeit der gezielten Forschung, was hinter starken antihomosexuellen Emotionen in großer Vielfalt und Verbreitung eigentlich fundamental steht: Der Erklärungsbedarf folgte aus dem Verlust sozialer Selbstverständlichkeit von Ausgrenzung, und zwar mittelbar nicht nur von Ausgrenzung aufgrund der sexuellen Orientierung. Die Grundlagen für jene moralische Wende legte bereits die zunehmende soziologische und politologische Beschäftigung mit der Natur und Funktion von Vorurteilsbildung ganz allgemein in der Nachkriegszeit seit 1945, die etwa ungenau definierte und willkürliche Sozialkategorien wie „Rasse“ und auch „Geschlecht“ erfolgreich angriff, deren Validität zuvor auch für Wissenschaftszwecke apriorisch verbreitet angenommen worden waren. Bereits 1949 legte Simone de Beauvoir mit ihrer radikalen Kritik an einem naturalistischen Geschlechterbegriff die Grundlagen für die Geschlechterforschung als eigenständige akademische Disziplin:
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt.“[29]
Freilich wagte de Beauvoir es ihrerzeit noch nicht, im Gegensatz zu etwa vierzig Jahre später publizierenden postmodern-poststrukturalistischen Philosophen wie Judith Butler[30] oder kulturwissenschaftlich geprägten Soziologen wie der bereits genannten Carol Hagemann-White[31], die Natürlichkeit von Zweigeschlechtlichkeit an sich anzuzweifeln – de Beauvoir als sogenannter Gleichheitsparadigmatikerin der „ersten Welle“[32] ging es eher um eine Gleichberechtigung von prinzipiell als unterschiedlich Angenommenem denn um grundlegende Zweifel am, oder gar eine Differenzierung des, Geschlechterbegriffs an sich:
„Man kann also sagen, daß das Gender-Konzept im Gleichheitsparadigma zwei Gender vorsieht – wie es dazu kommt, bleibt unhinterfragt. Das eine Gender (Männer) verkörpert in dieser Denkweise ein Ideal, an das sich das andere Gender (Frauen) anpassen muß, soll Gleichheit erreicht werden.“[33]
Diese Dichotomie samt verdecktem Maskulinitätsideal wurde erst langsam im Verlauf der 1960er Jahre diskutabel, als insbesondere durch die Hermaphroditenstudie von Stoller 1968[34] sowie darauf aufbauend die sozialpolitischen Schlüsse von Oakley 1972[35] eine Unterscheidung zwischen „Sex“ als Kategorie biologischer Unterschiede und „Gender“ als sehr beliebiger und weitläufiger kultureller Überkonstruktion dieser Unterschiede plausibilisiert wurde, was in der feministischen Diskussion die Entstehung zweier Strömungen zur Folge hatte. Einerseits bildete sich der Liberalfeminismus (etwa um Betty Friedan) in gleichheitsparadigmatischer Tradition, der die Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Gender“ als Perspektive für die Beseitigung kultureller Überformungen von Biologie, und damit zur Gleichstellung aller Menschen unabhängig von deren anatomischen Status, auffaßt. Andererseits begründete sich hier auch der z. B. von Daly[36], Rich[37] und in geringerem Maße Gilligan[38] vertretene Differenzfeminismus, der gerade das Gleichheitsideal und die Variabilität des Genderbegriffs anzweifelt. Vielmehr strebt der Differenzfeminismus an, spezifisch positive Merkmale von Weiblichkeit im Gegensatz zu den als zerstörerisch und gewalttätig aufgefaßten Männlichkeitsmerkmalen herauszustellen und eine soziale Struktur zu errichten, die auf diesen (wie auch immer gearteten) „weiblichen“ Normen aufgebaut ist, die besser, moralischer, menschlicher seien – ganz in der „femininen Natur“, die bewahrend und verantwortlich beschaffen sei:
„Diese essentialistischen Ansätze lehnen die Unterscheidung zwischen Sex und Gender weitgehend ab, da sie davon ausgehen, daß das biologische Geschlecht das soziale Verhalten beeinflußt, wenn nicht sogar bestimmt: Sex determiniert also Gender, die Unterscheidung zwischen Sex und Gender wäre eigentlich überflüssig. Zudem sagen insbesondere einige Ökofeministinnen, daß Frauen durch biologische Fähigkeiten wie Gebären und Stillen eine besondere Beziehung zur Natur besäßen, die sich auch in ihren sozialen Rollen zeigen müsse.“[39]
Diese sich durchaus Sexismusvorwürfen aussetzen lassen müssende Sichtweise treibt übrigens insbesondere in der Abhandlung von Raymond 1979 zur Transsexualität aggressive Blüten; Raymond spricht Transsexuellen hier ihre empfundene Geschlechtsidentität radikal ab:
„Men have always fetishized women's genitals. Breasts, legs, buttocks are all parts of a cultural fixation that reduces women not even to a whole objectified nude body but rather to fetishized parts of the female torso [...]. Transsexualism is thus the ultimate, and we might even say the logical, conclusion of male possession of women in a patriarchal society. Literally, men here possess women.“[40]
Mann-zu-Frau-Transsexuelle seien also lediglich verwirrte oder bösartige Männer, die durch ihre körperliche Verweiblichung das Besitzstreben „des“ Mannes nach Frauen nur auf die Spitze trieben und diese mit der Groteske ihrer Außendarstellung verhöhnten, während es sich bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen um Lesben handle, die von patriarchalischen Sozialstrukturen unwiederbringlich dazu geprägt worden seien, sich ihrer Homosexualität qualvoll zu schämen und daher als kompensatorischer Ausweg in die männliche Rolle flüchteten, in der sie sich das erträgliche Gefühl der Heterosexualität erhofften. Beachtlich hierbei ist das für das Differenzparadigma typische Festhalten an der Zweigeschlechtlichkeit, wobei eine strikte Trennung zwischen patriarchalisch-oppressiver Täter- und Opferseite vollzogen und die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer dieser Seiten als unrettbar durch dessen Biologie vorherbestimmt gesehen wird: Genitalien wirken nicht nur determinativ, sondern auch normativ, Abweichungen vom fest erwarteten Verhalten werden bereits von einer dogmatischen Theorie her ausgeschlossen bzw. argumentativ in das Täter-Opfer-Schema zurückgebogen, und die Existenz Intersexueller wird völlig ausgeblendet. Derart restriktive Positionen sind übrigens erst deutlich im Rückzug begriffen, seitdem Butler in den 1990er Jahren eine breit rezipierte wirkliche dekonstruktivistische Fundamentalkritik auch biologischer Differenzen, insbesondere der Genitalien, als aussagekräftiges Geschlechtereinordnungskriterium formulierte.
So restriktiv, aggressiv, monokausalistisch und rigide das Differenzparadigma auch erscheinen mag, geben die Umstände seines Entstehens einen direkten Hinweis auf die sich bereits seit Ende der 1960er Jahre in den westlichen Gesellschaften weithin ausbreitende (und zunehmend sozialwissenschaftlich und politisch thematisierte) Verunsicherung bezüglich der individuellen (dabei insbesondere der männlichen) Geschlechtsrollenintegrität. Im Zuge der Studierenden- und Emanzipationsbewegungen jener Zeit wurde nicht nur (was wohl am ehesten in der breiten zeitgeschichtlichen Erinnerung zurückgeblieben ist) die kapitalistische Wertschöpfung als sozialkonstitutives Grundprinzip – also die sich unter Anerkennung des marxistisch postulierten Primates der ökonomischen über die Sozialordnung aus der liberalen Marktwirtschaft ergebenden Gesellschaftsstrukturen – ganz allgemein hinterfragt und angegriffen. Vielmehr bildete sich mit dem Entstehen einer feministischen Sozialwissenschaft auch ein ganz spezielles Bewußtsein darüber heraus, welche (möglicherweise sogar elementare) Funktion die Unterdrückung weiblicher Identitätsbildung und -entfaltung im kapitalistischen System einnimmt – wie stark das System also dadurch stabilisiert wird, daß etwa durch Niedrigerentlohnung, Dequalifizierung, Exklusion und wirtschaftliche Entmündigung von Frauen ein patriarchalischer, d. h., bezüglich der materiellen Ressourcenverteilung in allen sozialen Konstellationen zugunsten der männlichen Gesellschaftsmitglieder hierarchischer, status quo erhalten wird. Wo traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilungsformen, die Männern ausschließlich produktive (subsistenzsichernde) und Frauen ausschließlich reproduktive (z. B. versorgende und gebärende) Aufgaben zuordneten, immer stärker in ihrer Berechtigung angezweifelt und letztlich als durch die Industrialisierung angestoßene Erfindung des erstarkenden Bürgertums im späten 18. Jahrhundert entzaubert wurden[41], ergab sich zunehmend auch ein starkes Desorientierungspotential bezüglich der Konsequenzen dieser Erkenntnisse – und zwar nicht nur in der Sozialwissenschaft, sondern auch von dort massenmedial und über persönliche Kanäle ausstrahlend in die Alltagsdiskussion und -wirklichkeit:
„Dieser ,Geschlechtsrollen-Nivellierung', ,Individualisierung', ,Genus-Verlust', aber auch ,Emanzipation' genannte kulturelle Wandel der Zweigeschlechtlichkeit, in dem viele Tätigkeiten, Gesten, Räume und Positionen bereits ihr Geschlecht verloren haben und die Geschlechtsunterscheidung von Personen kontinuierlich Funktionen einbüßt, hat eine optimistische und kämpferische Seite, die sich vor allem gegen das sexistische Durchhalten der Geschlechtsunterscheidung in Feldern richtet, in denen Gleichheit versprochen wird. Aber er hat auch eine ,Rückseite' aus verschwundenen Orientierungen und verlorenen Sicherheiten, aus zögernden Suchbewegungen nach neuer oder ängstlicher Rückkehr zu alten Lebensstilen und aus hastigen Reaffirmationen ,der' Differenz.“[42]
Diese in den 1960er Jahren noch neue Unsicherheit führte für das wissenschaftliche und politische Arbeiten in bezug auf sozial-ökonomische Funktionen, Geschichte, definitorische Breite und Perspektiven der Kategorie „Geschlecht“ zu ganz grundlegenden Fragen, etwa: Welche Dimensionen hat „Geschlecht“? Wie wird „Geschlecht“ instrumentalisiert? Welches Sozialideal wäre im Vergleich zur gegenwärtigen Situation erstrebenswerter? Welche Terminologien sind diesbezüglich zu fassen, welche Schritte zu ergreifen? Die mannigfaltigen feministischen Theorierichtungen fanden darauf, wie Hirschauer im vorangegangenen Zitat auch bereits andeutet, sehr unterschiedliche Antworten in allen Abstufungen sozialrevolutionärer Radikalität, wobei der genannte Differenzfeminismus als extremes Beispiel für eine militante, antiegalitäre Sozialutopie zu verstehen ist. Alle Richtungen seit dem Gleichheitsparadigma vereint aber, daß sie erst als (bestätigende oder eben ablehnende) Reaktion auf das Postulat entstanden sind, daß die Geschlechtsrolle eines Menschen von dessen biologischen Gegebenheiten zu trennen sei.
Und erst mit dieser sozial- und kulturwissenschaftlichen Unterscheidung von biologischem und kulturellem Geschlecht wurde auch ganz direkt der Weg für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Homophobie bereitet: Sexuelle Orientierung folgte nun nicht mehr selbstverständlich aus der körperlichen Beschaffenheit, sondern wurde als Forschungsgegenstand über die wenigen Pionierarbeiten etwa eines Magnus Hirschfeld der 1910er Jahre[43] hinaus ernstgenommen – und dies galt fortan auch für die Untersuchung von insbesondere negativen Gefühlen und Handlungen, die sich auf die eigene oder bei anderen wahrgenommene erotische Orientierung bezogen. Zunächst in den USA entstanden zielgerichtete Bündnisse wie das sogenannte Gay Liberation Movement als Selbstvertretungsorgan homo-, bi- und transsexueller Interessenträger, das zeitverzögert auch in den übrigen westlichen Industrienationen zunehmend Nachahmung fand und gegen Diskriminierung immer stärker mit Worten und Taten zugange trat. Für Deutschland stellt Stümke 1989 insbesondere die inzitative Funktion des Dokumentarfilms „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (unter der Regie Rosas von Praunheim) fest, der Anfang der 1970er Jahre bundesweit – mit Ausnahme Bayerns, das sich aus Protest aus der ARD-Fernsehkette ausblendete – ausgestrahlt wurde:
„Der Film [...] löste nicht nur eine heftige Debatte unter den Betroffenen aus, sondern trug vor allem dazu bei, daß sich innerhalb weniger Jahre eine neue Bürgerrechtsbewegung der Homosexuellen bildete, die sich nun als Schwulenbewegung verstand. Durch die Übernahme des in der Gesellschaft abwertend benutzten Ausdrucks ,schwul' sollte vor allem zum Ausdruck gebracht werden, daß man sich als Mitglied der Bewegung den gesellschaftlichen Repressionen stellte und bereit war, sich gegen sie zu wehren. [...] Besonders in der ersten Hälfte der siebziger Jahre erlebte die Schwulenbewegung, deren Mitglieder sich vorwiegend aus der Schicht der Studenten und Jungakademiker rekrutierten, eine rasche Ausdehnung in den Groß- und Universitätsstädten. [...] Unter der Parole ,Die Unterdrückung der (Homo-)Sexualität ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Unterdrückung' marschierte 1972 erstmals in West-Berlin eine Gruppe von etwa zweihundert offen Homosexuellen in einem eigenen Block bei einer Mai-Demonstration mit und setzte damit ein Beispiel für andere homosexuelle Aktionsgruppen in West-Deutschland.“[44]
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Berufsvereinigung der US-Psychiater APA im Jahre 1973 – nahezu zeitgleich zu Weinbergs Arbeit und einem umwälzenden professionellen Paradigmenwandel im philosophischen, soziologischen, psychologischen, juristischen und politischen Geschlechterverständnis – Homosexualität als Diagnoseschlüssel abgeschafft und damit entmedikalisiert hat. Young-Bruehl 2002 sieht diese Entscheidung direkt mit dem durch das Gay Liberation Movement ausgeübten Druck verbunden:
„Science that was certainly not objective or impartial had been deployed for defining the homosexual group and for emphasizing its pathology relative to the heterosexual majority. So the Gay Liberation Movement set its sights right on this science and its definitions, which, practically, implied doing things like urging the American Psychiatric Association to stop classifying homosexuality as a pathology.“[45]
Ebenso wurden im deutschen Strafrecht etwa zur selben Gelegenheit, im November 1973, der Paragraph 175 StGB („Unzucht zwischen Männern“) entscheidend entschärft und homosexuelle Handlungen unter Personen über 18 Jahren Lebensalter straffrei gestellt (diese Version galt bis 1994 und wurde dann ersatzlos gestrichen, womit zwischen den Beteiligten einer strafrechtlich relevanten sexuellen Handlung für Jugendschutzbegriffe nun nicht mehr geschlechtsspezifisch unterschieden wird).
In der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Diskussion über den Homophobiebegriff spaltete sich in den auf Weinbergs Publikation folgenden Jahren der etwa gleichzeitig entstandene und zuvor nahezu synonym gebrauchte Begriff des „Heterosexismus“[46] zunehmend ab, der fortan immer näher das bezeichnete, was später Heteronormativität genannt werden würde:
„Although usage of the two words has not been uniform, homophobia has typically been employed to describe individual antigay attitudes and behaviors, whereas heterosexism has referred to societal-level ideologies and patterns of institutionalized oppression of nonheterosexual people.“[47]
Seit seiner Erstveröffentlichung vor drei Jahrzehnten hat der Homophobiebegriff – neben einer Popularisierung im Sinne einer zunehmenden Verwendung auch außerhalb der sozialwissenschaftlichen und (sozial-)psychologischen Fachdiskussion – eine diffuse Erweiterung seiner Intension erfahren. Während Homophobie nun angesichts der trennscharfen Gegenüberstellbarkeit zur Heteronormativität als klar auf der Individualebene angesiedeltes abstraktes Konzept zu verstehen ist, bezeichnet sie andererseits nicht mehr nur eine eher passive Ablehnung der Konfrontation mit homosexualitätsassoziierenden Reizen, sondern auch aktive (dabei aggressive oder auch subtile) Diskriminierungshandlungen als Reaktion auf diese Reize.
2.1.2) „Sexual Prejudice“ als terminologischer Reformversuch
Die resultierende Suggestivität und definitorische Schwäche eines Homophobiebegriffes, der Attitüden und deren Konsequenzen unscharf vermengt, gar gleichsetzt, wurden in jüngerer Zeit daher mehrfach kritisiert – auch unter dem Argument, dass anti-homosexuelle Einstellungen und insbesondere entsprechende Verhaltensweisen nicht befriedigend aus persönlichen Psychopathologien, d. h., Angstphänomenen, per se heraus erklärt werden könnten. Zu dieser Annahme könne der phobische Wortteil jedoch verleiten, der geradezu instinktives Flucht- und Abwehrverhalten impliziere; Rauchfleisch 1998[48] erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß homophobe Menschen Lesben und Schwule keineswegs immer mieden, wie es als Konsequenz von Angstgefühlen naheläge, sondern sich im Gegenteil teils exzessiv mit ihnen beschäftigten und gerade deren Nähe suchten, um aggressiv gegen sie vorzugehen.
Vielmehr müßten also erstens die zu Homophobie (im Sinne von emotional hochbesetzten antihomosexuellen Einstellungen und nicht Aktivitäten) führenden individuellen Psychodynamiken primär aus einer flächendeckend sozialisatorisch geförderten Tendenz zur Vorurteilsbildung (und nicht vorrangig aus einer psychosozialen Deformation) heraus verstanden werden (vgl. z. B. Haaga 1991[49]); zweitens seien die letztlichen Motivationen für aktiv, gegebenenfalls aggressiv diskriminierendes Verhalten (also das Überschreiten bzw. der Abbau konfrontativer Hemmschwellen) auch in Biographie und Persönlichkeitsstruktur des Homophobikers zu suchen und nicht nur in seiner Homophobie selbst, die der Aggression hauptsächlich den Kontext verleihe. Es wurde also vor allem ein Begriff gesucht, der jenen der Homophobie dahingehend adäquat zu ersetzen imstande wäre, daß deren kausale Abhängigkeit von Heteronormativität bereits durch den Terminus selbst ausgedrückt würde und gleichzeitig Einstellungs- und Handlungsdimension des bisherigen Homophobiebegriffs nicht mehr vermischt würden. Herek 2000[2] hält „sexual prejudice“, also sexuelle Vorbefangenheit, für eine korrekte Eingrenzung, da dieser Begriff von medikalisierenden Assoziationen unbelastet sei und damit keine Wertung dieser Vorbefangenheit in sich trage. Den Vorurteilsbegriff zu wählen, erlaube in der Forschungsarbeit zudem die Anknüpfung an sozialpsychologische Erkenntnisse bezüglich des Zustandekommens und der Funktion von Vorurteilen in einem ganz grundlegenden Sinn. Denn wie andere, etwa rassistische oder ethnische, Vorurteile sei „sexual prejudice“ erstens eine feste und im Bezugsrahmen des eigenen Werte- und Normenmaßstabs als vollkommen angemessen wahrgenommene Überzeugung der Einstellungsträger, zweitens auf eine Personengruppe mit klar definierten Eigenschaften gerichtet und drittens dezidiert negativen Charakters. Dabei müsse sich der bewußt allgemein gefaßte Begriff auch nicht notwendigerweise nur auf die Ablehnung Homo- und Bisexueller beziehen, sondern könne auch negative Einstellungen gegenüber Heterosexuellen einbeziehen – was aber zugegebenermaßen angesichts der sozialen Konstruktion von Sexualität in der Realität eine hypothetische Dimension besitze:
„As an alternative, I have recently proposed that the phenomenon usually labeled homophobia instead be called sexual prejudice, defined simply as negative attitudes toward an individual because of his or her sexual orientation.“[50]
Die angeführten Vorteile dieser Formulierung sind offensichtlich und in der Tat vielversprechend, da gerade der Vorurteilsbegriff bereits auf die sozialisatorische Dependenz und akut milieuabhängige Instrumentalisierung von Einstellungsfassung hinweist; er ermöglicht theoretisch gut fundierte Einblicke und Deutungsansätze bezüglich der bewußt oder unbewußt in Verbindung mit der Vorurteilsbildung erhofften psychischen und sozialen Ziele, was im weiteren Argumentationsverlauf auch noch genutzt werden wird. Fraglich erscheint allerdings, ob „sexual prejudice“ – im Sinne eines wirklich alle Vorurteile bezüglich der sexuellen Orientierung generalisieren sollenden Begriffes – nicht auch die durchaus kontinuierlich beobachtbare positive Vorurteilsbildung berücksichtigen müßte, die sich etwa in Sätzen wie „Die Schwulen haben alle so einen Sinn für Ästhetik“ oder auch „Lesben sind viel durchsetzungskräftiger als Heterofrauen“ widerspiegelt. Tatsächlich bemerkt Peuckert 1995:
„Die Auffassung von Vorurteilen als negativ wertende, irrationale Einstellungen und die damit verbundene Konzentration der Forschung auf die Untersuchungsgegenstände Antisemitismus, nationale Vorurteile, Minoritäten, Randgruppen und Intergruppenphänomene wird zunehmend von Sozialpsychologen kritisiert, die den Begriff Vorurteil weiter fassen und hierunter alle unbegründeten, nur durch Minimalinformationen abgesicherten Urteile über andere Menschen, Objekte, Beziehungs- und Bedeutungszusammenhänge verstanden wissen wollen.“[51]
Damit würde „sexual prejudice“ allerdings nicht mehr intensiv pragmatisch-emotional besetzte Beurteilungen sexueller Partnerwahl, sondern eher die bei jedem Menschen vorhandenen, relativ gefühlsneutralen Heterostereotype[52] mit ganz allgemeiner sozialer Orientierungsfunktion bezeichnen – was vielleicht noch Untersuchungen über das individuelle Zustandekommen dieser Stereotype zuließe, jedoch wenige Perspektiven für die breite Erforschung von Handlungskonsequenzen bieten würde, da diese Stereotype zwar negativ wie positiv gepolt sein können, aber für die meisten Untersuchungsglieder emotional viel zu gering aufrührend wären – sie hätten zwar eine Meinung, aber eigentlich wäre ihnen das Thema egal. Das Homophobiekonzept umfaßt aber gerade auch die intensiven Ablehnungsgefühle, die mit der antihomosexuellen Einstellung verbunden sind, und nicht nur die bloße Einstellung selbst, die ja durchaus auch vorgespiegelt und im Sozialen zweckrational eingesetzt werden kann: Es geht um außergewöhnliche emotionale Bewertung eines Reizes, der diese Reaktion an sich nicht vermuten ließe, deren Eigenschaft als Handlungsgrundlage, und deren sozialisatorische und biographische Hintergründe, die wiederum durch das Heteronormativitätskonzept gerahmt werden. In der von Herek formulierten Weise ließe sich „sexual prejudice“ zwar als Ersatz für den Homophobiebegriff verwenden, sie erscheint jedoch nicht konsequent; in der entsprechend erweiterten Definition hingegen wäre „sexual prejudice“ keine wirkliche Reformierung des Homophobiebegriffes mehr, sondern ein viel genereller gefaßtes Konzept. Und nicht zuletzt unterscheiden sich Negativattitüden bezüglich der sexuellen Orientierung im Vergleich zu rassistischen, ethnischen, sexistischen oder religiösen Anti-Haltungen, trotz aller erkennbarer motivationaler und empirischer Parallelität, in einem wichtigen Punkt: Hautfarbe, Geschlecht, kulturelle Identität und Religionszugehörigkeit sowie deren antizipierte Konsequenzen für das Verhalten Angehöriger der zu beurteilenden Gruppen werden im allgemeinen auch von Trägern diesbezüglich negativer Einstellungen als unveränderlich erachtet, ihre unterstellte Konstanz wird sogar argumentativ dringend benötigt („der ewige Jude“, „der schmutzige Türke“, „die technisch unfähige Frau“), um sich und anderen die weitere Geltung der Beurteilung zu versichern. Die sexuelle Orientierung aber wird nicht selten als bewußte Entscheidung und damit variables Merkmal angesehen, das zudem eng mit der Geschlechtskategorie verbunden ist, welche wiederum als unveränderlich wahrgenommen wird. Dies hat, wie noch genauer beschrieben wird, Konsequenzen auf der Ebene der Handlungsselektion homophober Einstellungsträger in direkter Konfrontation mit dem Objekt ihrer Antipathien: Es fällt hinsichtlich der zu erwartenden sozialen Negativsanktionierung leichter und ist risikoloser, Homosexuelle zu beleidigen als Dunkelhäutige oder Körperbehinderte (wie Herek 1984 selbst feststellt[53]), da Homosexuelle sich nach dem Empfinden der Aggressoren nicht auf den Standpunkt zurückziehen können, ihre Gruppenzugehörigkeit nicht selbst beeinflußt zu haben (mithin also auf die Stufe von Straftätern gestellt werden), und damit als gerechtfertigteres Aggressionsziel erscheinen als die anderen genannten Personenkreise. In bezug auf die Einstellungs konsequenzen, den Handlungsaspekt müßte „sexual prejudice“, wieder entgegen Hereks Definition, also eben nicht als ein Vorurteil unter vielen anderen verstanden werden, sondern als Ablehnungsphänomen eigener Art, das zwar häufig mit anderen ähnlich stark emotional besetzten Ablehnungsphänomenen positiv korreliert ist und auch gleiche Wurzeln trägt, aber hinsichtlich der Einstellungsfolgen heraussticht. Es erscheint nicht praktikabel, der Handlungsdimension des bisherigen zugegebenermaßen unscharfen Homophobiebegriffes ihre Kontextualität zur Einstellungsdimension zu entziehen, und das würde im Falle einer Gleichsetzung antihomosexueller Einstellungen mit negativ gerichteten Einstellungen gegenüber anderen sozialen Gruppen vorgenommen: Gerade aufgrund der Eigenschaft der sexuellen Präferenz als von der Geschlechtszuordnung abhängig bewertetes Merkmal eines Menschen[54] sind antihomosexuelle Einstellungen als Ausdruck besonders fundamentaler Verunsicherung des Einstellungsträgers zu verstehen – und als in der Folge irrationales Verhalten besonders begünstigender Umstand:
„Homophobia is grounded in heterosexuals’ fear that they are gay, may become gay, or may simply be perceived as being gay by others […]. The ability to conceal sexual orientation also fuels homophobia by allowing others to speculate about an individual’s sexual orientation. This fear does not readily translate to emotions underlying racism and sexism; individuals usually are not afraid that they may become or be viewed as another race or gender. […] Although various religious groups throughout history have promulgated racism and sexism, the current focus of religious-based heterosexism has no direct parallel with race and gender. […] A compounding factor is the idea that homosexuality is a ‘lifestyle choice’, and this concept of choice is an important predictor of antigay attitudes. In contrast, race and gender are not viewed as immoral life choices that violate religious beliefs.“[55]
Daher wird im folgenden darauf verzichtet, den Terminus „sexual prejudice“ anstelle von „Homophobie“ zu verwenden; vielmehr soll, zwecks klarerer begrifflicher Unterscheidung anti-homosexueller Attitüden von anti-homosexuell motivierten Handlungen, einerseits von homophoben Einstellungen und andererseits von homophoben Aktivitäten die Rede sein.
2.1.3) Heteronormativität als Metakonzept
Wo sich homophobe Einstellungen in konkret-individuellen Verhaltensweisen als Reaktion auf signifikant erlebte Reize und in Konsequenz spezifischer biographischer Prägung niederschlagen, ist Heteronormativität, wie bereits mehrfach expliziert, als soziologischer Begriff auf einer abstrakten Ebene der wertefundamentierten konsensuellen Verhaltenserwartungen, also der Verhaltensnormen, anzusiedeln. Sie bezeichnet nach Warner 1993 die Gesamtheit der komplexen Wechselwirkungen zwischen konstanter gegenseitiger informeller wie administrativ-institutioneller, mikro- und makrokommunikativ übertragener Rückversicherung von Heterosexualität als nicht nur naturgegeben optimaler und „normaler“, sondern auch ethisch einzig vertretbarer Form menschlichen Sexualverhaltens:
„Heterosexual culture thinks of itself as the elemental form of human association, as the very model of intergender relations, as the indivisible basis of all community, and as the means of reproduction without which society wouldn't exist.“[56]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Beispiele für Heteronormativität in der Produktwerbung, hier: Anzeigen für Mobilcomputer (oben) sowie Eau de Toilette (unten). Quelle: Frauenzeitschrift AMICA 4/2004, S. 53, 212.
Heteronormativität beschreibt damit einen Kulturstandard, der als mit dem bipolaren Geschlechterkonzept unverzichtbar verbundene Verhaltensgrundlage außerordentlich fundamental in die alltäglichen uni- und multilateralen, direkten und indirekten, öffentlichen und privaten Interaktionen bzw. Kommunikationsakte sämtlicher Gesellschaftsglieder und der durch sie konstituierten Kollektiventitäten ausstrahlt. Ob in Werbeanzeigen und –spots (vgl. Abb. 3), ob in Steuer-, Ausländer- und Bürgerlichem Recht, ob in der Trennung von Herren- und Damentoiletten oder in der Trivialliteratur: Überall spiegelt sich nicht nur der schon angesprochene Zwang zur Geschlechtsrollenkonformität und -konstanz wider, sondern auch eine institutionell (z. B. staatlich und kirchlich) geförderte und sozial positiv sanktionierte Selbstverständlichkeit heterosexueller Präferenzen sowie der Ehe als Krönung und letztliche Veredelung, „Legalisierung“ heterosexueller Zweisamkeit, als Keimzelle heteronormativ vorstrukturierter Familienform.
Auch in der sozialwissenschaftlichen, insbesondere in der theoretischen Beschäftigung mit Ausdrucksformen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Paarbeziehungen wird oft Heterosexualität als nicht weiter hinterfragte Basis dieser Beziehungen vorausgesetzt, bzw. es werden bereits feste Vorannahmen über Kategorien wie Geschlecht, Geschlechtsrollenverhalten und davon abhängige sexuelle Bedürfnisse angestellt[57], was Auswirkungen sogar bis in die Populärrezeption (etwa am Beispiel essentialisierender Partnerschafts-Ratgeber von Autoren aus der Psychologie wie John Gray oder Allan und Barbara Pease) mit sich bringt und gleich in mehrerer Hinsicht problematisch erscheint. Erstens existiert „das“ heterosexuelle Paar nicht (mehr, sofern es je existiert hat), auf das die unterstellten Rollenverhalten, gegenseitigen Verhaltenserwartungen und Beziehungsziele vollständig zuträfen:
„Hetero- und Homosexuelle erleben Ehe und Kernfamilie nicht mehr als auf ewig bestehende Institutionen: Beziehungen sind im Zeitalter der Partnerschaft als Quelle persönlichen Glücks zeitlich begrenzt. Promiskuität und serielle Monogamie werden in hetero- wie in homosexuellen Partnerschaften gelebt. […] Verloren gegangen sind grundlegende Aspekte von auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften, die diese als heterosexuelle Partnerschaften konstituiert haben. Hinzugekommen sind solche Aspekte, die früher Homosexuellen und ihren Partnerschaften zugeschrieben wurden. […] Sowenig Heterosexuelle heute ausschließlich als verheiratetes Paar ein Leben lang zusammenleben, so wenig schließt eine gleichgeschlechtliche Orientierung eine dauerhafte Lebensgemeinschaft zu zweit aus.“[58]
Und zweitens sind diese bereits auf Heterosexuelle nicht befriedigend anwendbaren „Erkenntnisse“ erst recht nicht auf Homosexuelle übertragbar; ein solcher Versuch sei vielmehr noch zusätzlich irreführend und grotesk (obwohl die alltäglich beobachtbaren praktischen Interpretationen von Heterosexualität nach Hark 1993 ohnehin schon eine „oft genug zum Schreien komische Imitation ihrer selbst“[59] darstellten), wie Rose 2000 bemerkt:
„Although current models of relationships do not explicitly demean homosexuals or homosexuality, they generally are derived from cultural scripts that hold heterosexual relationships to be the norm. This assumption has limited research on women’s relationships in at least two ways. First, it has caused lesbian relationships to be understudied or studied primarily along dimensions deemed relevant to heterosexual relationships. For example, research has examined whether lesbians have or want enduring relationships or adopt ‘husband’ and ‘wife’ roles […]. Second, heterosexist biases have defined what is studied or neglected in terms of heterosexual women’s experience. For instance, research on sexuality often focuses exclusively on behaviors or outcomes that are mutually preferred or preferred by men (e.g., sexual intercourse) but excludes others that women considered to be important as well (e.g., touching, female orgasm).“[60]
Ursächlich hinterfragt wird Heterosexualität in Medizin, Biologie, Soziologie, Psychologie etc. nur selten – im Gegensatz freilich zur Homosexualität, bezüglich derer sich die intra- und interdisziplinären Deutungsversuche anhand von biologistisch-genetischen bis hin zu psychosozial-traumatologischen Erklärungsansätzen nur so überschlagen (vgl. dazu Opler 1980[61] sowie Werner 1979[62]). Heteronormativität setzt das Idealbild der sexuellen Beziehung als dauerhafte Paarbeziehung zwischen Mann und Frau als komplementäre Teile eines Ganzen; gleichzeitig stellt sie homosexuelle Praxis, die dieser Komplementaritätsforderung nicht entsprechen kann und will, als Abweichung, Mangelerscheinung, fehlerbehaftet dar:
„Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, daß zur Klärung der Frage der Ursache von Homosexualität im Laufe dieses Jahrhunderts alle erdenklichen psychofamiliären Konstellationen (abwesender Vater und starker Vater, abweisende Mutter und überbehütende Mutter) bemüht wurden. Die meisten Erklärungsansätze gehen davon aus, daß Homosexualität durch einen Mangel konstituiert sei, durch das nicht-komplett sein, da sie sich auf das eigene Geschlecht richte und so dem Komplement des Gegengeschlechtes ermangele. Aus heteronormativer Perspektive ist Essentialität vorbehaltlos Merkmal der Heterosexualität, es scheint undenkbar, diese Essentialität zu hinterfragen, da sie von eben jener Komplementarität ausgeht, die ihr als Mangelphänomen projiziertes Alter Ego, der Homosexualität gar nicht erfüllen kann. Während Heteronormativität Homosexualität als Konstrukt darstellt, wird Heterosexualität essentialisiert.“[63]
Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang, daß trotz der erwähnten breiten Auflösungstendenz traditionaler (Zusammen-)Lebensformen und Lebensideale seit Mitte des 20. Jahrhunderts nach wie vor keine analoge Auflösungstendenz bezüglich der ebenso breiten Internalisierung von Heteronormativität zu erkennen ist. Zweifellos hat die flächendeckende Negativsanktionierung von sexualpräferenzbezogener Abweichung seit den 1960er Jahren frappierend abgenommen, was aber weder Rückschlüsse auf eine gesteigerte Toleranz oder gar Akzeptanz seitens heterosexuell Identifizierter zuläßt noch die perpetuierte grundlegende „Andersartigkeit“ Homosexueller auflöst[64], sondern diese vielmehr pseudoliberal zementiert und am ehesten auf Mechanismen sozialer Mikro- und Mesokontrolle unter den Bedingungen massenmedialer Vollversorgung zurückzuführen ist, die später noch genauer beleuchtet werden sollen. Es stellt sich also die Frage nach den Gründen einer solchen Konzeptstabilität, wie sie in bezug auf die Heteronormativität – im Gegensatz zu etwa der Pflichtehe oder der außerehelichen sexuellen Enthaltsamkeit – zu beobachten ist; dies desto mehr, als daß gerade durch diese sexuelle (Selbst-) Befreiung weiter Bevölkerungsteile der Gedanke ad absurdum geführt wird, Heteronormativität sei monokausal aus dem Umstand heraus zu erklären, Mann und Frau seien in intimer Zweierverbindung naturgegeben zur Fortpflanzung bestimmt, was den naturgewollten, idealen Beziehungstypus festlege – auch jeder (zumal unverheiratete) noch so heterosexuell definierte Homophobiker mit Freude am körperlichen Aspekt erotischer Liebe muß sich prinzipiell mit jedem Akt des nicht pragmatisch auf Nachkommenschaft gerichteten Begehrens erneut eingestehen, daß menschliche Sexualität deutlich vielschichtiger ist, als daß sie auf die generative Funktion beschränkbar sei (wobei hier berücksichtigt sei, daß die Lehrmeinung insbesondere diverser, auch etablierter religiöser Gemeinschaften von dieser Feststellung abweicht):
"Heterosexualität ist so alt wie die Fortpflanzung, so alt wie das Begehren von Adam und Eva. Wir nehmen an, daß diese erste Lady und dieser erste Gentleman sich selbst genauso wahrnahmen, sich verhielten und fühlten wie Heterosexuelle heutzutage. Wir nehmen an, daß Heterosexualität unwandelbar, universell, essentiell, kurz: ahistorisch ist."[65]
Wie sich zudem etwa an der Studie Sarah Franklins[66] von 1993 bezüglich des Zusammenhangs künstlicher Reproduktionstechniken mit der Versorgung solcherart entstandener Kinder abbildet, ist der Fortpflanzungsgedanke nicht als ursächlich für das Zustandekommen von Heteronormativität anzusehen – denn diese Techniken (vor allem die artifizielle Insemination) stehen von vornherein nur heterosexuellen Ehepaaren offen, obwohl sie grundsätzlich nicht abhängig von der Fähigkeit beider Ehepartner zur gemeinsamen Fortpflanzung sind: Vielmehr scheint erst aus der heterosexuellen Lebensgemeinschaft die Legitimität des Kinderwunsches zu erwachsen, so daß sich die soziale Bewertung des Generativitätsanliegens ganz offensichtlich nach der Konformität des zugrundeliegenden Beziehungsgefüges richtet.
Auch die weniger restriktive Annahme, daß nun einmal eine überwältigende Mehrheit der Menschen heterosexuell orientiert sei und damit gerechtfertigterweise den konsensuellen Erwartungsmaßstab setze, wird durch sexualwissenschaftliche Erkenntnisse entkräftet, daß (bei unbekannter Dunkelziffer) von einem stabilen rein homosexuell identifizierten Bevölkerungsanteil bei etwa 10 Prozent sowie einem zusätzlichen Anteil im weitesten Sinne Bisexueller von bis zu 25 Prozent ausgegangen werden kann, wobei beide anerkannten Geschlechter einbezogen sind[67]. Es existiert damit eine beträchtliche Anzahl an Menschen, die gleichgeschlechtliche Sexualkontakte durchaus nicht nur potentiell zu genießen in der Lage sind, sondern diese auch praktisch pflegen – die es aber aus verschiedenen persönlichen Gründen vorziehen, der Heterosexualitätsannahme seitens ihrer Umwelt gänzlich oder auch partiell zu entsprechen, einerseits zur Vermeidung von Diskriminierung, andererseits aber auch aus internalisierten Schamgefühlen, aus Autohomophobie heraus. Warum also ist Heterosexualität auch für zumindest teilweise homosexuell Lebende – im Sinne eines Bildes menschlicher Sexualpräferenz als Kontinuum – ein derart hoch positiv bewertetes Ideal, daß es sich subjektiv lohnt, den entsprechenden konstanten Schein nach außen zu wahren und wichtige Elemente der eigenen Identität zu verbergen?
Es wurde bereits betont, daß die sexuelle Präferenz im herkömmlichen Verständnis eine Eigenschaft darstellt, die untrennbar mit einem bipolaren Geschlechtersystem zusammenhängt. Erst durch die von Garfinkel (s. Pkt. 1) dargestellten Vergeschlechtlichungszwänge des Individuums in Selbst- und Fremdwahrnehmung konstituieren sich Kategorien wie „homosexuell“, „bisexuell“ und „heterosexuell“, deren Definitionen sämtlich Vergröberungen der Realität darstellen, deren Existenz in dieser Ausschließlichkeit empirisch invalidierbar ist, die daher vor der Verwendung für wissenschaftliche Zwecke grundsätzlich situativ zu hinterfragen sind – und die dennoch immer erneut als apriorisch gegeben verwendet werden, da sie ebenso wie das sie begründende Geschlechtersystem als axiomatisch wahrgenommen werden, was sie freilich nicht sind:
"Ein Grund dafür, daß die meisten Menschen heterosexuell sind [...] liegt darin, daß ihre religiösen und sozialen Traditionen direkt das Leben in der Familie begünstigen, wie auch die Partnerschaften, die auf diesen basieren. [...] Die meisten Menschen begreifen ihre heterosexuelle Prägung als angeboren, sie sehen sie als automatisch an. Ausgebildete Beobachter verstehen jedoch, daß Menschen deshalb heterosexuell sind, weil sie so erzogen worden sind und weil man ihnen beigebracht hat, so sein zu wollen."[68]
Ohne ein zugrundeliegendes Geschlechterkonzept fiele die Notwendigkeit zur Kategorisierung von Personen gemäß ihrer geschlechtsbezogenen Sexualpartnerwahl ersatzlos weg; gleichermaßen ist auch die Bewertungsverteilung dieser Präferenzkategorien in der Gesamtgesellschaft abhängig von der Art und Weise, wie die Geschlechterkategorien mit Sinn und Leben gefüllt werden, und somit rein kulturspezifisch:
„Das gesellschaftlich bestimmte Geschlechterverhältnis bestimmt die Erscheinungsformen gegengeschlechtlicher Sexualität, Beziehungen und Liebe. Kultureller Wandel des Geschlechterverhältnisses hat Veränderungen der heterosexuellen Verhältnisse unausweichlich zur Folge. Die allgemeine Geschlechtsmigration [...], also die Auflösung oder Milderung der geschlechtsgebundenen Verteilung von Ausbildung, Arbeit, Aufgaben (in Familie und Haushalt) und Macht ist während der letzten 100 Jahre, vor allem aber während der letzten drei Jahrzehnte, unaufhaltsam vorangeschritten – zäh, langsam und holperig für viele Zeitgenoss/innen, in historischer Perspektive jedoch atemberaubend schnell. Dieser kulturelle Wandel der Zweigeschlechtlichkeit hat die Heterosexualität entscheidend verändert – und vieles beim alten belassen.“[69]
Eine ethnokomparative Perspektive hilft dabei, die eurozentrische Selbstverständlichkeit der alltäglichen Heterosexualitätsannahme gerade anhand ihrer Wurzel, nämlich der apriorischen Existenzhypothese eines vollständig binären Geschlechtersystems, zu erschüttern; so existieren durchaus Ethnien, die mehr als zwei Sexualkategorien sozial institutionalisiert haben und/oder die Determinativität anatomischer Unterscheidungsmerkmale in Frage stellen – von den „two-spirited people“ unter der indigenen nordamerikanischen Bevölkerung[70] und den Fa’afafine[71] Samoas, welche unter europäischen Maßstäben am ehesten das Etikett „homosexueller Transvestit“ erhalten würden, über die eher „transsexuellen“ Hijras (frühkastrierte Eunuchen mit religiösen Aufgaben) Indiens[72] bis zur zentralasiatischen Kultur der Tschuktschen, welche neun soziale Geschlechterkategorien[73] (!) aufweist.
Es ist also festzustellen, daß Heteronormativität, wie jede Norm, als ausgesprochen kulturspezifisch anzusehen ist – sowohl in ihrer Rigidität, die sich in den vergangenen Jahrzehnten von der Ebene der Verrechtlichung auf die Ebene der Sitte reduziert hat, als auch bezüglich der konkreten erwarteten Umsetzungsweise der Heterosexualitätserwartung (etwa in der moralischen Höherbewertung der Einehe gegenüber der nichtverrechtlichten Zweierbeziehung von Mann und Frau oder gar der Mehr-Personen-Beziehung oder der Vielehe). Wo sind jedoch die kulturellen Grenzen in einer gesellschaftlichen Realität der immensen Partikularisierung biographischer Verläufe unter den Bedingungen globalisiert-neoliberaler Sozial- und Wirtschaftsordnung zu ziehen? Ist „westliche Kultur“ als solche überhaupt legitim pauschalisierbar? Ist sie als gemeinsamer Nenner der mannigfaltigen in ihr eingebetteten Milieus mit extrem unterschiedlichen Sozialinteressen und ökonomischen Prekaritätssituationen nicht inzwischen zu klein geworden, um noch – im Gegensatz etwa zur ständisch gegliederten Gesellschaft des kaiserzeitlichen Deutschland – befriedigend und zutreffend innerhalb nationalstaatlicher oder auch staatenbündischer Grenzen die Gesamtheit der sie konstituierenden Individuen hinsichtlich gemeinsamer Wertvorstellungen zu beschreiben?
Mit diesen ganz grundlegenden Fragen nach der Voraussetzbarkeit kollektiver Kulturalität ergeben sich direkte Konsequenzen bezüglich der angemessenen Theoriewahl zu Verständnis und Erklärung von Genese, Stabilitätserhalt und Verfallsvoraussetzungen von Heteronormativität: Wie können auf Makrotheorien basierende Heteronormativitätserklärungen allein noch erschöpfend greifen, wenn ihr Grundparadigma, ein kollektivistisches Gesellschaftsverständnis (im Sinne von aus beliebig definierten, kooperierenden und konkurrierenden Großkollektiven zusammengesetzter Sozialordnung), nicht anerkannt wird? Und weiter: Wenn ein methodologischer Individualismus als angemessener betrachtet werden kann, wie ist dann befriedigend zu erklären, wie die Heterosexualitätsnorm ihre Gültigkeit in fast allen Milieus der industriestaatlichen Bevölkerung immer noch kontinuierlich aufrechterhält? Die bisher mehrfach zur Sprache gekommene Ethnomethodologie etwa beschreibt die Konsequenzen und Symptome von Heteronormativität und Geschlechterdualismus durchaus umfassend und zutreffend, erklärt die beiden Phänomene selbst aber ausgesprochen unzureichend radikalursächlich. Welche Rolle spielen angesichts der Tatsache, daß auch im Falle der Heteronormativität konkrete Sender und Empfänger von Verhaltensforderungen (Normensender bzw. –adressaten) sowie Sanktionssubjekte (die die Verhaltensweise des Adressaten bewerten und entsprechende Sanktionen ausüben) existieren müssen, die Wechselwirkungen zwischen Individuum und sozialer Umgebung dahingehend, daß das Individuum sozialisatorisch und habitualisiert nicht nur die Gültigkeit dieser Norm oder zumindest deren Existenz erfaßt, sondern auch diese Norm gegebenenfalls internalisiert und deren Gültigkeit situationsspezifisch durchzusetzen bestrebt ist?
Weder Makro- noch Mikrotheorien allein scheinen, trotz wichtiger Impulse von beiden Seiten, wirklich detaillierte Antworten auf die Frage nach der lebensweltlichen Abhängigkeit von Heteronormativitätsakzeptanz sowie deren wiederum lebensweltlicher Instrumentalisierung (bzw. Instrumentalisierungsnotwendigkeit) seitens des betreffenden Individuums geben zu können: Wie gelangt die Norm zum Menschen, was macht der Mensch mit der Norm – bewertend und handelnd? Offenbar ist ein verbindender Theorieansatz notwendig, der erstens für Anschlüsse nach beiden Seiten der Partikularisierung hin offen ist und zweitens einen angemessenen, d. h., genügend hoch aufgelösten Kulturalitätsbegriff zuläßt.
Am vielversprechendsten erscheint hier eine Diskussion der aktuellen, meist makrodimensionierten poststrukturalistischen und/oder marxistisch fundierten sozialwissenschaftlichen Theorieansätze zur Heteronormativität im Kontext der Eliasschen Figurationssoziologie, kombiniert mit der Rational-Choice-Theorie nach Esser. Eine solche Integration von Theorie mittlerer Reichweite und Mikrotheorie, in deren Licht eine Kritik der Makroansätze erfolgen kann, ermöglicht es in besonderer Schärfe, die reproduktiven Effekte antihomosexueller Einstellungen jeweils gleichermaßen dadurch zu beschreiben, wie sich diese Einstellungen einerseits im Individuum als Resultat persönlicher Entscheidungsfindung heranbilden – und welche aktive (im Sinne direkt auf ein soziales Ziel gerichteter Verhaltenskonsequenzen) wie passive Funktion (bezüglich der Umgangsweise anderer angesichts der Konfrontation mit Homophobie) diese Einstellungen zum anderen in der Interaktion mit der sozialen Lebenswelt einnehmen.
In dieser Vorgehensweise ist also im folgenden unter Rückgriff auf Elias zunächst der kollektivistische Kulturbegriff zu dekonstruieren, um weiterhin einen Theorieanschluß zu Esser zu entwickeln. Anschließend wird mittels Anleihen bei Foucault, Beer, Wittig sowie Butler ein eigener Erklärungsansatz vorgestellt.
2.1.3.1) Zur Kritik des kollektivistischen Kulturbegriffes
Wie bereits angesprochen, erscheint für die Forschungspraxis bezüglich sämtlicher Gegenstandsbereiche sozialwissenschaftlicher Betrachtung, die eine Operationalisierung von Kultur erfordern – und das ist in der Beschäftigung mit Heteronormativität der Fall – ein methodologischer Kollektivismus wenig angezeigt: Auf Grundlage eines kollektivistischen Kulturbildes können keine Schlüsse unterhalb der sozialen Makroebene gezogen werden. Einer Forschungsperspektive, die den Gesellschafts-, Kultur- und möglicherweise noch den Nationenbegriff gleichsetzt und soziale Prozesse ausschließlich aus den Aktionen und Reaktionen von Institutionen und Repräsentationen heraus erklärt, sind etwa Fragen nach Motivationen, Gestalt und Konsequenzen abweichenden Verhaltens (wie des Bruchs der Heterosexualitätskonvention) sowie des aus ihm folgenden sozialen Wandels vollkommen unzugänglich, denn abweichendes Verhalten ist ein grundlegend individueller Akt. Gleichzeitig wäre auch nicht ergründbar, inwieweit z. B. als ethnisch, weltanschaulich und/oder religiös attribuierte Konflikte, die sich auf der Makroebene manifestieren, sich tatsächlich durch alle Stufen gesellschaftlicher Interaktion ziehen: ob die Differenzen zwischen Gruppe A und Gruppe B also nur von politischen Führungskadern aus näher zu erörternden Beweggründen heraus thematisiert und aufrechterhalten werden, oder ob eine breite Basis der den Gruppen Zugeschriebener diesen Konflikt in der Tat mitträgt. Ein kollektivistischer Kulturbegriff gestattet diese Überlegung gar nicht erst, da abstrakte Kulturkonstruktionen hier stellvertretend für alle ihnen unterworfene Individuen als Ausdruck gemeinsamen, ungebrochenen Willens verstanden werden.
An diesen Umständen zeigt sich exemplarisch, dass der Kulturbegriff ausgesprochen vielschichtig und variabel einsetzbar ist. Er bezeichnet, ähnlich wie die ihm oft entgegengestellte „Natur“, keinen in der individuellen Erfahrungsreichweite liegenden sozialen Gegenstand, sondern ist aufgrund seines abstrakten Charakters auf ein ideologisches Fundament angewiesen. Dieses Fundament wird einerseits validiert durch seine kommunikative Übertragung in das Bewußtsein einer großen Zahl von Einzelpersonen (Zugänglichmachung der Ideologie für die individuelle Alltagserfahrung) zwecks Schaffung eines durch Fremd- und Selbstbeobachtung aufrechterhaltenen Konsens. Andererseits strukturiert diese Ideologie wiederum die Art und Weise der Fremd- und Selbstbeobachtung, so dass „Kultur“ im Sinne der transportierten Definition zu einer selbstverständlichen Prämisse des Alltagshandelns wird – sie wird, wie Norbert Elias herausstellt,
„eine Ordnung, die zwingender und stärker ist, als Wille und Vernunft der einzelnen Menschen, die sie bilden. Es ist diese Verflechtungsordnung, die den Gang des geschichtlichen Wandels bestimmt; sie ist es, die dem Prozeß der Zivilisation zugrunde liegt“[74].
Keller/Novak 1993 beschreiben die Funktion von „Kultur“ als
„zweite, vom ,Menschen sich selbst geschaffene bzw. veränderte Umwelt’. [...] Während sich das Tier aufgrund seiner instinktiven Ausstattung relativ sicher in seiner Umwelt bewegt, muß der Mensch sich Barrieren bauen, Regeln finden, Grenzen ziehen, Strategien benutzen; nur so ist es ihm möglich, in einer feindlichen Welt zu bestehen [...]. ,Kultur’ ist also sozusagen der Schutzschild, der den Menschen umgibt, ihm die Möglichkeit der Selbstentfaltung und der Weltgestaltung vermittelt“[75].
In diesem Verständnis läßt sich „Kultur“ auffassen als lebensweltliches Ordnungsprinzip, das die Komplexität des möglichen Verhaltens gesellschaftlicher Interaktionspartner unter Maßgabe eines sozialisatorisch erworbenen Metakonsens auf ein übersichtliches Maß reduziert: Soziale Situationen, Handlungen und Reaktionen werden vorhersehbarer, das Individuum erhält einen diesbezüglich orientierenden Rahmen, in dem es seinen sozialen und physischen Bedürfnissen entsprechend gemeinsam mit anderen Individuen geteilter und akzeptierter Regeln nachkommen kann. Der Umstand, daß die Überzeugung der Existenz der eigenen „Kultur“ sich dabei nur unter den Bedingungen aggregierter, überwiegend unbewußter Metakooperation verselbständigen kann, weist darauf hin, daß kulturelle Grenzen am ehesten dort zu setzen sind, wo diese Metakooperation nicht (mehr) zustandekommen kann: dort, wo lebensweltliche Interessen, akzeptierte Interaktionscodes und wertefundamentierte Verhaltenseinstufungen zwischen Individuen ganz grundlegend differieren und wo sich diese Individuen unter Rückzug auf ihre jeweils eigene „Kulturalität“ voneinander abgrenzen. Diese Kollisionen lassen sich entgegen der Trivialrezeption von Kultur also nicht zwischen Nationen oder Konfessionen konstatieren, sondern finden auf einer viel kleineren Ebene des Sozialen statt, wie neomarxistisch-materialistische Ansätze der Kulturkritik (etwa bei Clarke et al. 1979[76]) richtig erkennen:
„Der materialistische Kulturbegriff bezieht sich nicht auf etwas Schöngeistig-Höheres, sondern auf die Alltagspraxis der Menschen. Er bezeichnet die Lebensweisen mit ihren Traditionen, Selbstverständlichkeiten und Gestaltungsformen, in denen Individuen und Gruppen das praktizieren, was ihnen lebenswert erscheint. Die Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet ist so verstanden ebenso ein kultureller Zusammenhang wie der Golfklub im vorderen Taunus. Diese Beispiele weisen darauf hin, daß unter den Bedingungen der Klassengesellschaft auch Klassenkulturen entstehen, in denen sich die besonderen Lebensweisen, die speziellen sozialen Beziehungen, der spezifische Umgang mit den Dingen des materiellen Lebens ausdrücken.“[77]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Norbert ELIAS (1897-1990). Bild: Herlinde KOELBL.
Hier wird „Kultur“ – unter Berücksichtigung der Abhängigkeit alltagsweltlicher Gestalt des Individuums von dessen Ausstattung mit kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital[78] – ausschließlich als Terminus zur Abgrenzung individueller oder kleinkollektiver Lebenswelten angenommen. Eine solche Sichtweise gestattet es, auch Klassen- und Milieugegensätze innerhalb von Nationalstaaten und über diese hinaus zu verorten, die ethnisch attribuierten Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerungsgruppen eigentlich zugrunde liegen; sie wendet den Blick auf den Erfahrungshorizont des Individuums und dessen Formung durch die auf es einströmenden Reize, auf die Instrumentalisierbarkeit der Einzelperson durch ideologische Strömungen, die ihre Realitätswahrnehmung mittels kommunikativer Strategien umgestalten, auf die Handlungsentscheidungen des Individuums anhand des Kalküls, das es auf Basis der ihm zur Verfügung stehenden Informationen über seine Stellung in der von ihm perzipierten sozialen Wirklichkeit anstellt. Auf welcher Grundlage Klassen- und Milieugegensätze als solche allerdings zustandekommen, vermögen auch marxistische Ansätze nur unter Rückgriff auf eigene statisch-axiomatische Kategorien sozialer Existenz bzw. politisch-ökonomischer Einordnung des Individuums zu erklären: Sie seien „[...] zwar weniger ahistorisch als die systemtheoretischen, argumentierten aber zu monokausal entlang ökonomischer Kategorien“[79], wie Treibel über die diesbezüglich distanzierte Haltung Norbert Elias’ 1970 bemerkt[80], der sich mit der von ihm begründeten Prozeßsoziologie als Theorie mittlerer Reichweite allerdings gleichermaßen gegen eine zu kompromißlos vertretene Individualperspektive auf das Funktionieren sozialer Gefüge abgrenzt.
Für Elias kommt Sozialität durch das ständig seine Gestalt ändernde Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zustande; Gesellschaft ist dabei als Summe all jener Personen zu verstehen, die die Lebenswelt des Individuums direkt und indirekt zu beeinflussen in der Lage sind und auch umgekehrt lebensweltlich vom Individuum beeinflußt werden. Elias nennt diese unzähligen sich überschneidenden und wechselwirkenden Netzwerke verschiedenster Größe Figurationen, wobei der Figurationsbegriff nicht jeweils einen in sich geschlossenen Kulturraum beschreibt, sondern die Machtbalancen und –gefälle, die sich zwischen Individuen mit einem gemeinsamen Interessengegenstand (über den sie kooperieren oder konkurrieren) manifestieren, so daß jedes Individuum simultan eine Vielzahl von sehr kleinen bis sehr umfangreichen Figurationen mitkonstituiert. Figurationen sind somit zu verstehen als
„[...] Beziehungsgeflechte von Menschen, die mit der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit der Menschen untereinander immer komplexer werden. Die Mitglieder einer Figuration sind durch viele solcher gegenseitiger Abhängigkeiten (Interdependenzketten) aneinander gebunden. Figurationen sind soziale Prozeßmodelle.“[81]
Elias selbst verdeutlicht den Figurationsbegriff (siehe Abb. 5) im Jahr 1987 anhand eines Fußballspiels:
„In einem Fußballspiel ist es auch so, daß Sie die Figuration, die das eine Team bildet, nicht verstehen können, wenn Sie nicht die Verzahnung in die Handlungen des anderen Teams sehen. Die Figuration ist nicht die eine Seite und nicht eine andere Seite, sondern die Verzahnung zwischen den verschiedenen Seiten. So steht im Kern einer Figuration sehr oft eine Spannung und sogar ein Konflikt.“[82]
Abb. 5: Schematische Darstellung des Figurationsbegriffs in der ELIASschen Prozeßsoziologie. Quelle: ELIAS 1970, S. 10.
Kulturalität kann nach Elias’ Modell als Resultat der Verortung des Individuums in Macht- und Abhängigkeits-Balancen zu anderen Individuen aufgefaßt werden. Individuen mit Interessenkongruenz bringen abstrakte Meso- und Makrogebilde hervor, welche wiederum individuell instrumentalisiert werden, um sich reaktiv und funktional auf konkurrierende Kollektive bzw. die sie konstituierenden Individuen zu beziehen (womit sie eine Figuration aus Mitinteressenten und Interessengegnern bilden):
„Dörfer und Städte, Universitäten und Fabriken, [...] kommunistische und kapitalistische Staaten – sie alle sind Netzwerke von Individuen. Zu diesen Individuen gehört man auch selbst. Wenn man sagt ,mein Dorf, meine Universität, meine Klasse, mein Land‘, dann bringt man das zum Ausdruck. Aber sowie man heute von der Alltagsebene, auf der solche Ausdrücke ganz gebräuchlich und verständlich sind, auf die Ebene der wissenschaftlichen Reflexion hinaufsteigt, bleibt die Möglichkeit, von allen gesellschaftlichen Gebilden ,mein‘, ,dein‘ , ,sein‘ oder auch ,unser‘, ,euer‘ und ,ihr‘ zu sagen, außer Betracht. Statt dessen spricht man von allen diesen Gebilden gewöhnlich so, als ob sie nicht nur außerhalb und jenseits der eigenen Person, sondern außerhalb und jenseits von einzelnen Personen überhaupt existierten.“[83]
Im Sinne von gemeinsamen Sprachformen, Lebenslagen, Ritualen, Rollenerwartungen etc. ist Kulturalität demnach also als emergent zu bezeichnen – als Ausdruck des Engagements disperser Individuen in gegenseitige Verpflichtungen zur allseitigen Strukturierung und Stabilisierung der Lebenswelt nach Prinzipien maximaler individueller, aber grundlegend gemeinsam geteilter, Erwünschtheit. Gleichermaßen kommt hier der Überbau-Charakter der Kulturalität zum Tragen, die den individuellen Alltagshandlungen ihren Sinn dadurch verleiht, dass sie das Streben der Einzelpersonen nach höchstmöglicher Lebenszufriedenheit, namentlich sozialer Anerkennung und materieller Sicherheit (die als anthropologische Konstanten angenommen werden müssen), in konsensuelle Bahnen lenkt. Gerade in einem kapitalistisch strukturierten, stark arbeitsteiligen Wertschöpfungssystem mit intensiver Waren- und Arbeitsmarktkonkurrenz wirkt gemeinsame Kulturalität nicht nur als Instrument zur nachdrückliche(re)n Interessenvertretung, sondern gibt auch ganz persönlich psychische Sicherheit, orientierende Wertemaßstäbe und Legitimitätsempfinden bezüglich der Befriedigung der genannten Bedürfnisse (wobei diese Sicherheits- und Ordnungsgefühle freilich nicht immer der Realität entsprechen müssen):
„Die in einer Figuration miteinander verflochtenen Individuen bringen zwar soziale Entwicklungen in Gang, durchschauen diese aber nicht immer und können diese auch nicht kontrollieren; der Gang der Ereignisse entgleitet ihnen. Die Mitglieder einer Figuration haben Schwierigkeiten, sich von ,ihrer’ Figuration zu distanzieren“[84].
Wo erstens individuelle, auf einen sozialen Tatbestand gerichtete Strategien zur Bedürfnisbefriedigung, zweitens (noch wichtiger) die diesen zugrundeliegenden lebensweltlichen Ideale und drittens die entsprechend übergeordnete Ethik ganz grundsätzlich übereinstimmen, wo diesbezüglich bewußt oder unbewußt kooperiert wird, dort ist diesen Überlegungen gemäß eine gemeinsame Kulturalität[85] anzutreffen, womit freilich nichts über das Zustandekommen einer konkret-individuellen Strategie und deren Dauerhaftigkeit ausgesagt werden kann, da beide Aspekte als sehr variabel gelten können: Je nach biographischem Verlauf ist ein Individuum, sofern eine entsprechende Identifikations- bzw. Ablösungsgrundlage gegeben ist, durchaus in der Lage, aus seiner primärsozialisatorisch erworbenen Kulturalität in eine andere, angemessener erscheinendere, zu wechseln – und zwar nicht als bewußter Akt, sondern als allmählicher Wandel von Verhaltens- und Reaktionsmustern, die sich wiederum wenig bis sehr stark verändern können, abhängig von der ideologischen Nähe der Ausgangs- und Zielkulturalität. Dementsprechend sind Aussagen über einen spezifischen Kulturraum stets nur als Momentaufnahmen zu verstehen, die innerhalb eines geschichtlich kurzen Zeitraums sehr schnell veraltet, nicht mehr zutreffend sein können, was sich auch direkt auf die Betrachtung der Interaktionen von Kulturräumen auswirkt: Was verallgemeinernd als „Kultur“ z. B. eines Nationalstaats oder einer Region bezeichnet wird, sind vielmehr – ganz grob genommen – die sich ständig strukturell ändernden Figurationen jener Individuen, die sich den eigentlichen Kulturräumen zuordnen lassen, auf deren Basis miteinander kommunizieren und interagieren, und denen lediglich grundsätzliche Werte und Normen gemeinsam sind. Tatsächlich aber fällt eine adäquate Fixierung des Kulturbegriffs auf geographische, religiöse, ökonomische oder politische Grenzen schon deswegen schwer, da keine Kulturalität, wie eng oder weit sie auch bemessen sein mag, eine „Insel“ ist, sondern sich ständig auch mit jenen Kulturalitäten in Austausch und Konkurrenz (je nach Einfluß und Macht der betroffenen Kulturalitäten bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen) befindet, deren Werte und Normen sich wiederum grundsätzlich unterscheiden, wodurch beiderseits eine Veränderung bewirkt wird. Kulturalitäten, in ihrer Heterogenität und Diversität, differenzieren sich gleichzeitig kontinuierlich aus und verschwimmen miteinander, entstehen und verschwinden – als Resultat fortwährender Rekonfiguration durch die beteiligten, kooperierenden oder konkurrierenden Individuen, die durch ihre Kommunikationsakte (wozu auch direktes oder indirektes soziales Handeln zu zählen ist) mittelbar und unmittelbar einen ständigen gesamtsozialen Wandel hervorrufen:
„Aus dieser ständigen Verflechtung ergeben sich immer wieder langfristige Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen, die kein Mensch geplant und wohl auch niemand vorausgesehen hat“[86].
Auf allen Ebenen des Sozialen entstehen solcherart interessengeleitet fortwährend neue Vereinbarungen unterschiedlichen Verpflichtungsgrades und unterschiedlicher Sanktionierungsschärfe (Versprechen, Vereinbarungen, Verträge, Gesetze, zwischenstaatliche Abkommen) über das gemeinsame Zusammenleben, so daß zu jedem gegebenen Zeitpunkt ideologische und alltagsweltliche Elemente existieren, die in fast jeder am sozialen Wandel beteiligten Kulturalität gleich oder ähnlich sind, während sich diese Kulturalitäten in anderen Bezügen sehr stark unterscheiden können: So sind staatliche Strukturen und deren exekutive, legislative und judikative Manifestationen, kurz: die interkulturelle Legitimitätsakzeptanz staatlicher Autorität, als Ausdruck eines Konsens auf sehr hoher Ebene zu verstehen. Dabei ist Konsens in diesem Zusammenhang nicht als Übereinstimmung oder gar Zufriedenheit aller Individuen mit der staatlichen Gestalt zu verstehen, sondern zunächst als Arrangement mit den geschichtlich entstandenen Gegebenheiten – der staatskonstituierenden Rechtsordnung –, das freilich keine selbstverständliche Permanenz in sich trägt:
„Das Recht verkörpert die Interessen bestimmter Personen und Gruppen der Gesellschaft. Selten ist das Recht ein Produkt der gesamten Gesellschaft. [...] Recht wird von Menschen gemacht, die spezielle Interessen vertreten, und die die Macht haben, ihre Interessen politisch durchzusetzen.“[87]
Dieses Arrangement kann gegebenenfalls, eine spezifische Wandlungsdynamik vorausgesetzt, ausgesprochen schnell revidiert werden – dann nämlich, wenn dominante Kulturalitäten, die zuvor (entweder akzeptierend oder arrangierend) von weniger dominanten Kulturalitäten als orientierend, stabilisierend und leitend wahrgenommen wurden, diese Funktionen plötzlich einbüßen und ein Regelungsvakuum entsteht, das unvorhersehbare kulturelle Interaktionen und Makrokonsequenzen hervorruft. Es entsteht dann, unter dem griffigen Terminus Revolution gefaßt, ein völlig neuer, unvorhersehbarer Großkonsens.
Sozialer Wandel entspricht, wie Elias schon betonte, in der Tat selten jeglicher gesamtgesellschaftlicher Planung; er ist aber letztlich das, was der alltagssprachliche Kulturbegriff nur unzureichend zu fassen in der Lage ist: die Beschreibung des stetigen Veränderungsprozesses einer dispersen Landschaft kommunikativ und kompetetiv verbundener Kulturalitäten, die sich um konkrete soziale Tatbestände konstituieren und deren Vertreter aufgrund ihrer diesbezüglichen Interessen miteinander wechselwirken, wobei zwei beliebige Kulturalitäten in einem dieser Tatbestände (z. B. in den familienpolitischen Vorstellungen) allgemein durchaus stark abweichen, in einem anderen (z. B. hinsichtlich ihrer ökologischen Ideale) jedoch allgemein ebenso stark übereinstimmen können – wobei dann im letzteren Fall wiederum eventuell Unterschiede in der beabsichtigten Umsetzungsweise der umweltpolitischen Ziele festzustellen sind: Es sind nicht nur die sozialen Ziele, sondern auch die antizipierten Wege dorthin, es sind nicht nur Werte und Normen, sondern auch (und gerade) die Umgangsweisen mit diesen (ob eigen oder fremd), die Kulturalitäten unterscheiden, wie sich gerade am Gegenstand der Heteronormativität sehr anschaulich zeigt. Während Heteronormativität, wie bereits angeführt, als Verhaltensnorm einer Vielzahl von Kulturalitäten, die auf die christlich-europäische Ethikgeschichte rekurrieren, gemeinsam ist (und damit auf einer sehr hohen Ebene kulturspezifisch ist), ergibt sich dennoch ein breites Spektrum hinsichtlich der Starrheit dieser Verhaltensnorm und der Reichweite der positiven bzw. negativen lebensweltlichen Konsequenzen angepaßten bzw. abweichenden Handelns, wobei sich durchaus an diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen bzw. an Regelungsbedarf abbildet, welche Kulturalitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt als dominant, meinungsführend bezeichnet werden können.
In Hinblick auf das Erkenntnisinteresse sind somit im folgenden drei Aspekte zu klären: Zum ersten ist die offensichtliche ethische Kontextualität der Heteronormativität in den europäischen und europäisch geprägten Kulturalitäten ursächlich herauszuarbeiten, um zum zweiten bzw. zum dritten der Frage nach der suprakulturalen Stabilität der Heteronormativität dahingehend nachzugehen, welche Funktionen sie einerseits kulturalitätsintern bzw. kulturalitätsabhängig und andererseits für das kulturalitätskonstituierende und enkulturierte Individuum einnimmt. Da bisher versäumt wurde, ein allgemeines Handlungsmodell des Individuums bezüglich des Zustandekommens einer Entscheidung angesichts eines spezifischen Reizes zu explizieren, soll dieses vorbereitend auf den letztgenannten Punkt zunächst geschehen.
2.1.3.2) Zur Verbindbarkeit von Figurationssoziologie und Rational-Choice-Theorie
Elias selbst hat sich zeitlebens von einem reinen methodologischen Kollektivismus wie auch Individualismus unter dem Argument distanziert, er beobachte soziale Prozesse, keine Gesellschaften, Klassen oder auch einzelne Menschen[88]. Gleichwohl erscheint die Attraktivität seiner Figurationssoziologie insbesondere für Vertreter des methodologischen Individualismus nachvollziehbar; dies findet speziell in der Kritik Essers von 1984[89] Ausdruck, in der er Integrationsperspektiven anhand der bereits im vorangegangenen Abschnitt getroffenen Feststellung plausibilisiert, daß
„Elias keineswegs ohne Bezug auf eine universale Handlungstheorie auskommt. Und genau darauf besteht der MI [Methodologischer Individualismus, M. A.]: Ohne die Annahme einer universal gültigen Theorie des Lernens und des Handelns lassen sich kulturell, sozial und historisch unterschiedliche Prozesse nicht erklären. Erst von einer solchen Theorie her wird ein Verstehen überhaupt möglich und die historistische Falle der nicht weiter erklärbaren Singularität von Ereignissen umgehbar.“[90]
[...]
[1] im Sinne einer Orientierungsgrundlage bezüglich zulässiger Rollenzuschreibungen das entsprechende Individuum betreffend, analog Müller, H.: Sozialisation und Individualität. München: Kösel, 1977. S. 62: „Eine Frau steht am Fenster einer Schule und schaut hinaus. Draußen fährt ein Mercedes vor, in dem ein Mann sitzt. Sie nimmt wahr: Ein Autofahrer – ein Mercedesbesitzer. Ein Mann steigt aus, der einen blauen Overall trägt. Sie nimmt wahr: Ein Monteur – ein Arbeiter. Widerspruch zwischen Mercedesbesitzer und Arbeiter. Der Mann geht auf den Schulhof, auf dem die Schüler gerade Pause haben. Ein Kind rennt auf ihn zu. Sie nimmt wahr: Vater. Kein Widerspruch. [...] Auch der Mann hat diesen Rollenraster. Als er hochsieht zur Frau am Fenster, nimmt er wahr: Lehrerin.“
[2] Mann, L.: Sozialpsychologie. Weinheim und Basel: Beltz, 1972. S. 146: „Aus der Konsistenz der Generalisierungen aufgrund äußerer Erscheinungsbilder und Verhaltensweisen als auch der Stereotype hinsichtlich sozialer Gruppen geht klar hervor, daß diese Folgerungsprozesse bei der gegenseitigen Beurteilung der Menschen von großer Wichtigkeit sind, denn die hier involvierte psychologische Ökonomie ist evident. Immer wenn das Etikett [...] dick oder blond paßt, werden dem Betreffenden die allgemeinen Eigenschaften der Kategorie zudiktiert, und sein Verhalten wird ,verständlich' und ,voraussagbar'.“
[3] Henecka, H. P.: Grundkurs Soziologie. Opladen: Leske + Budrich, 1994. S. 78: „Mit den Positionen verbinden sich nicht nur entsprechende soziale Erwartungskomplexe, die rollengemäßes Handeln für die Akteure definieren, sondern auch bestimmte soziale Wertschätzungen. Wiederum unabhängig von der persönlichen Eigenart des Menschen, der eine Position zu einem bestimmten Zeitpunkt innehat, verknüpfen wir allein schon mit der Kenntnis einer bestimmten Position einen höheren oder niedrigeren sozialen Prestigewert.“ Hervorhebung im Original.
[4] Die Salienz der genannten und anderer denkbarer physischen Merkmale für den Kommunikator hängt dabei nicht so sehr von dessen Enkulturation bzw. gegebenenfalls dessen späterer Akkulturation in einen Makrozusammenhang von Werten und Normen ab, sondern stärker von milieuspezifischer Gewöhnung, was die Besonderheit etwa des Merkmals „Haarfarbe“ relativiert: Sie ist in den meisten Milieus ethnisch stark homogener Sozialgefüge wie z. B. der japanischen Gesellschaft in der Regel kein sinnvolles Unterscheidungskriterium und wird lediglich bei untypischen Abweichungen (etwa aufgrund künstlichen Färbens) thematisiert. Diese Thematisierung beschränkt sich nicht auf Skandalisierungen von Grenzübertritten in restriktiven Milieus, sondern findet auch paradoxerweise gerade dann statt, wenn die „Abweichungen“ in bezug auf ein milieuspezifisch erwartetes Erscheinungsbild der Mitmenschen gar keine sind, sondern Ausdruck einer milieutypischen äußerlichen Heterogenität. Im Hochschulbereich bzw. in den vielfältigen jugendlichen Subkulturen allgemein gelten etwa auch in Japan diesbezüglich größere Spielräume als im politisch-administrativen oder spitzenökonomischen Funktionszusammenhang, weshalb die Haarfarbe tendenziell eher zur Charakterisierung bzw. eindeutigen Identifizierung einer Studentin als einer Vorstandsvorsitzenden herangezogen würde. Angemerkt sei, daß sich diese Feststellungen nur auf die Üblichkeit der Kategorienwahl beziehen; die Bewertung, Deutung dieser Charakterisierung seitens Kommunikator und Adressat freilich ist nicht milieuspezifisch pauschalisierbar. Schließlich gefallen nicht jedem Studierenden Kommilitonen mit grellroten Haaren. Bezugnehmend auf Bruner, J: On perceptual readiness, in: Psychological Review 64, 1957, S. 123-151 merkt Brüß 2000 hierzu an: „Diesem Ansatz folgend, ist das Aufgreifen einer Kategorie aufgrund eines Stimulus abhängig von der Interaktion zwischen der relativen Zugänglichkeit im Wahrnehmungsbereich des Betrachters und der Passung zwischen dem Stimulus und den für den Betrachter verfügbaren Kategorien.“ (Brüß, J.: Onlar ve Biz. Wir und Die. Wechselseitige Wahrnehmungen und Bewertungen bei Jugendlichen deutscher und türkischer Herkunft. Diss./Univ. Bielefeld, 2000. S. 43.)
[5] Garfinkel, H.: Passing and the managed achievement of sex status in an ,intersexed' person. In: Garfinkel, H.: Studies in Ethnomethodology. Englewood Cliffs: 1967. S. 116-185.
[6] Kessler, S./McKenna, W.: Gender. An Ethnomethodological Approach. New York et al.: 1978.
[7] Hirschauer, S.: Die soziale Konstruktion der Transsexualität. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993. S. 321-322.
[8] Hirschauer 1993, S. 116.
[9] Treibel, A.: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 5. Aufl. Opladen: Leske + Budrich, 2000. S. 134. Hervorhebung im Original.
[10] Garfinkel 1967, S. 122-128.
[11] vgl. Kessler/McKenna 1978, S. 112ff.
[12] Hirschauer 1993, S. 351.
[13] vgl. Bilden, H.: Geschlechterspezifische Sozialisation. In: Hurrelmann, K./Ulich, K.: Neues Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim/Basel: 1991. S. 245ff.
[14] Schmidt, G.: Sexualwissenschaft. In: von Braun, C./Stephan, I.: Gender-Studien. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2000. S. 180-192. Zit. S. 185. Hervorhebung im Original.
[15] Schmidt 2000, S. 185-186: „Das Publikum, die Empfänger der Geschlechtsdarstellung affirmieren diese in der Regel zuverlässig, wenn sie sie einmal akzeptiert haben: Ihre Überzeugung, daß man das Geschlecht nicht wechseln kann, erlaubt dem Gegenüber, also auch dem oder der Transsexuellen, breite Abweichungen und Schnitzer in der Geschlechtskonformität der Darstellung.“
[16] Hierzu ist insbesondere die ganz in ethnomethodologischer Tradition stehende Arbeit von Carol Hagemann-White zur Geschlechtersozialisation in den westlichen Gesellschaften erwähnenswert. Erstmals in den 1980er Jahren rezipiert, entwickelt Hagemann-White eine dekonstruktivistische Theorie, die zuvorderst biologische Geschlechterunterschiede als irrelevant erachtet und Zweigeschlechtlichkeit radikal anzweifelt. Sie konzentriert sich vielmehr auf die kulturellen Konstruktionen dieser Zweigeschlechtlichkeit und auf die Gründe des Widerspruchs zwischen Alltagstheorie und sozialer Praxis. Die männliche Sozialisation etwa sieht Hagemann-White maßgeblich durch einen Zwang zur Abgrenzung von allen als feminin bewerteten Persönlichkeitsanteilen sowie zu deren Abwertung bestimmt; die weibliche Sozialisation wiederum sei geprägt von ständiger elementarer Verunsicherung über die Folgen eines Ausbruchs aus den vorgegebenen, durch Mutter und andere weibliche Bezugspersonen vermittelten Stereotypen femininen Verhaltens. Der Erwerb der Geschlechtsrolle komme also zustande über einen Identifikationsprozeß, in dem junge Menschen „[...] die ,verborgenen', von Erwachsenen gerade nicht bewußt vermittelten Signale und Zeichen für Geschlechtszugehörigkeit erlernen. [...] Unabhängig von der Art, wie konkrete Eltern und Erziehungspersonen die eigene Haltung zur Geschlechterordnung definieren, erzwingt unsere Kultur eine Selbstzuordnung als Mädchen oder Junge im Unterschied zum jeweils anderen Geschlecht als Bedindung der Möglichkeit von Identität.“ (Hagemann-White, C.: Wir werden nicht zweigeschlechtlich geboren. In: Hagemann-White, C./Reirich, M.: FrauenMännerBilder. Männer und Männlichkeit in der feministischen Diskussion. Bielefeld: 1988. S. 224-234. Zit. S. 233-234.)
[17] Gildemeister, R.: Die soziale Konstruktion von Geschlechtlichkeit. In: Ostner, I./Lichtblau, K. (Hg.): Feministische Vernunftkritik. Ansätze und Traditionen. Frankfurt am Main/New York: 1992. S. 220-239. Zit. S. 235.
[18] Zimmermann, P.: Grundwissen Sozialisation. Opladen: Leske + Budrich, 2000. S. 163-165.
[19] vgl. hierzu etwa Rauchfleisch, U.: Alternative Familienformen. Eineltern, gleichgeschlechtliche Paare, Hausmänner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1997. S.66: „Viele lesbische Frauen pflegen auch in Zeiten, in denen sie sich ihrer lesbischen Orientierung bereits weitgehend bewußt sind, weiterhin (auch sexuelle) Kontakte zu Männern – dies vor allem unter dem berechtigten Eindruck, daß sie durch ein offenes Auftreten als Lesbe auch die sozialen Privilegien noch verlören, die ihnen durch das Zusammenleben mit einem Mann in der Gesellschaft zugestanden werden. Angesichts der massiven sozialen Einschränkungen ziehen es manche Frauen mit lesbischer Orientierung vor, sich nicht als Lesben zu erkennen zu geben. Ähnlich ist es bei schwulen Vätern. Auch für sie ist es eine schmerzliche Erfahrung, wenn ihnen bei der Trennung oder Scheidung von ihrer Ehefrau der Kontakt zu den Kindern erschwert oder gar verunmöglicht wird.“
[20] Fulton, A. S.: Identity Status, Religious Orientation, and Prejudice. In: Journal of Youth and Adolescence 26. 1997. S. 1-11.
[21] Plugge-Foust, C./Strickland, G.:Homophobia, Irrationality, and Christian Ideology: Does a Relationship Exist? In: Journal of Sex Education and Therapy 25. 2000. S. 240-244.
[22] Zimmermann 2000, S. 194: „Das Regelsystem der Zweigeschlechtlichkeit, der sogenannte ,Heimliche Code' wird Kindern über Sprache und Körper vermittelt. Mit der Zeit eignen sich die heranwachsenden Kinder immer mehr Kompetenz im Umgang mit den Geschlechtersymbolen an. Jedes Kind ist auf diese Symbole angewiesen – um sich selbst zu verstehen, um sich intersubjektiv zu verständigen und um sich mitteilbar zu machen.“
[23] Smith, K.: Homophobia. A tentative personality profile. In: Psychological Reports 29. 1971. S. 1091-1094.
[24] Weinberg, G.: Society and the healthy homosexual. Garden City, New York: Doubleday, 1972. S. 4.
[25] Britton, D. M.: Homophobia and Homosociality: An analysis of boundary maintenance. In: The Sociological Quarterly 31. 1990. S. 423-439.
[26] Herek, G. M.: Heterosexuals’ attitudes toward lesbians and gay men: Correlates and gender differences. In: The Journal of sex Research 25. 1988. S. 451-477.
[27] Dunkle, J. H./Francis, P. L.: The role of facial masculinity/femininity in the attribution of homosexuality. In: Sex Roles 23. 1990. S. 157-167.
[28] Polimeni, A.-M./Hardie, E./Buzwell, S.: Homophobia among Australian Heterosexuals: The role of sex, gender role ideology, and gender role traits. In: Current Research in Social Psychology 5/4. 2000. S. 49-50.
[29] de Beauvoir, S.: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek: Rowohlt, 1997. S. 334. Originalausgabe: de Beauvoir, S.: Le deuxième sexe. Paris: 1949.
[30] v. a. Butler, J.: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991.
[31] grundlegend hierzu Hagemann-White, C.: Thesen zur kulturellen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit. In: Schaeffer-Hegel, B./Wartmann, B.: Mythos Frau. Berlin: 1984. S. 137 – 139.
[32] vgl. zum „Wellenbegriff“ Maihofer, A.: Gleichheit und/oder Differenz? Zum Verlauf einer Debatte. In: Politische Vierteljahresschrift 28. 1997, S. 155-176, sowie Plumwood, V.: Ecofeminism: An Overview and Discussion of Positions and Arguments. In: Australasian Journal of Philosophy. Supplement to Vol. 64. 1986. S. 120-138.
[33] Frey, R./Dingler, J.: Wie Theorien Geschlechter konstruieren. Ein Debattenüberblick. In: Alles Gender? Oder was? Dokumentationen der Heinrich-Böll-Stiftung 18. 2001. S. 7-25. Zit. S. 12.
[34] Stoller, R.: Sex and Gender. 1968.
[35] Oakley, A.: Sex, Gender and Society. London: Temple Smith, 1972.
[36] Daly, M.: Gyn-Ökologie. Eine Metaethik des Radikalen Feminismus. München: Frauenoffensive, 1978.
[37] z. B. Rich, A.: Zwangsheterosexualität und lesbische Existenz. In: Schulz, D. (Hg.): Macht und Sinnlichkeit. Ausgewählte Texte. Berlin: 1993. S. 138-168.
[38] Gilligan, C.: In a Different Voice. Cambridge: Harvard University Press, 1982.
[39] Frey/Dingler 2001, ebd.
[40] Raymond, J.: The Transsexual Empire: The making of the she-male. Boston: 1979. S. 30.
[41] Zur Historizität dieses Zusammenhangs stellten Bock/Duden 1977 bezüglich der konstitutiven Rolle unbezahlter weiblicher Hausarbeit in der heterosexuellen Lebensgemeinschaft für das Weiterbestehen des kapitalistischen Mehrwertsystems fest: „Der Übergang von der frühen, pauperistischen Phase der Kapitalakkumulation, die sich eines nahezu unerschöpflichen Arbeitskräfteangebots bedienen konnte, zum Reformkapitalismus des 20. Jahrhunderts, der höhere Löhne und Arbeitsmarktregulierung einschloß, war nur möglich auf Kosten der Frauen und als Reaktion auf ihre Kämpfe, die Frauenbewegung, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts: nämlich durch die Schaffung, Verallgemeinerung und Institutionalisierung der Hausarbeit. [...] Weil die Frauen für die Männer grundsätzlich unbezahlte Arbeit verrichten, ist es bis heute möglich, den Männern zu niedrige Löhne zu zahlen.“ (Bock, G./Duden, B.: Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus. In: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität. Berlin: 1977. S. 118-199. Zit. S. 177. Hervorhebung im Original.)
[42] Hirschauer 1993, S. 351.
[43] Hirschfeld, M.: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes. Berlin: 1914.
[44] Stümke, H. G.: Homosexuelle in Deutschland. Eine politische Geschichte. München: Beck, 1989. S. 161-162.
[45] Young-Bruehl, E.: Homophobias: A Diagnostic and Political Manual. In: Constellations 9. Issue 2. 2002. S. 263-273. Zit. S. 265.
[46] Die erste Erwähnung von „Heterosexismus“ ist in der Alternativzeitung „The Speckled Bird“ mit dem Erscheinungsort Atlanta im US-Bundesstaat Georgia belegt; am 10. Juli 1972 taucht der Begriff in zwei Beiträgen auf.
[47] Herek, G. M.: The psychology of sexual prejudice. In: Current Directions in Psychological Science 9. 2000 [1]. S. 19-22. Zit. S. 19.
[48] Rauchfleisch, U.: Zum Problem der Homophobie. In: Wort und Antwort 2. Themenheft Homosexualität. Mainz: Matthias-Grünewald, 1998.
[49] Haaga, D.: “Homophobia”? In: Journal of Social Behavior and Personality 6. 1991. S. 171-174.
[50] Herek, G. M.: Sexual Prejudice and Gender: Do Heterosexuals’ Attitudes Toward Lesbians and Gay Men Differ? In: Journal of Social Issues 56/2. 2000 [2]. S. 252. Hervorhebung im Original.
[51] Peuckert, R.: Vorurteil. In: Schäfers, B.: Grundbegriffe der Soziologie. Opladen: Leske + Budrich, 1995. S. 386–387. Zit. S. 387. Hervorhebung im Original.
[52] vgl. Lilli, W.: Grundlagen der Stereotypisierung. Göttingen: 1982.
[53] Herek, G. M.: Beyond “homophobia”: A social psychological perspective on attitudes towards lesbians and gay men. In: Journal of Homosexuality 10. 1984. S. 1-21.
[54] vgl. Hark, S.: Queer Interventionen. In: Feministische Studien 2. 1993. S. 103-109: „Geschlecht definiert Sexualität und umgekehrt. Innerhalb der Binaritäten homo/hetero und weiblich/männlich wird vom Geschlecht des ,sexuellen Objekts’ eines Individuums immer auf dessen sexuelle und geschlechtliche Identität geschlossen: Wenn eine als ,weiblich’ identifizierte Person eine andere ,weibliche’ Person begehrt, muß es sich um ein ,lesbisches’ Begehren handeln, die Person ist also ,homosexuell’. […] Der Effekt, daß Geschlecht und Sexualität als natürliche Kategorien verstanden werden, wird in dieser Matrix erneut produziert. Beide werden als Eigenschaften eines Individuums gewertet, die das Begehren nahezu instinkthaft oder auch psychogenetisch (was die gleiche Wirkung hat) strukturieren.“ Zit. S. 106-107.
[55] Ragins, B. R. et al.: Heterosexism in the Workplace. Do Race and Gender Matter? In: Group and Organization Management 28/1. 2003. S. 45-74. Zit. S. 49.
[56] Warner, M.: Fear of a queer planet: Queer politics and social theory. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1993. S. 21.
[57] Richardson, D.: Heterosexuality and social theory. In: Richardson, D. (Ed.): Theorising Heterosexuality. Buckingham: Open University Press, 1996. S. 1-20. Zit. S. 1: “Most of the conceptual frameworks we use to theorise human relations rely implicitly upon a naturalised heterosexuality, where (hetero-)sexuality tends either to be ignored in the analysis or is hidden from view, being treated as an unquestioned paradigm. Where sexuality is acknowledged as a significant category for social analysis it has been primarily in the context of theorising the ‘sexual other’, defined in relation to a normative heterosexuality.”
[58] Behrens, C.: Heterosexueller Imperialismus? Homosexuelle Subversion? In: Keil, S./Haspel, M. (Hg.): Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in sozialethischer Perspektive. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2000. S. 65-81. Zit. S. 76.
[59] Hark 1993, S. 106.
[60] Rose, S.: Heterosexism and the Study of Women’s Romantic and Friend Relationships. In: Journal of Social Issues 56/2. 2000. S. 315-328. Zit. S. 315-316.
[61] Opler, M. K. : Anthropological and Cross-Cultural aspects of Homosexuality. In: Marmor, J. (Hg.): Homosexual Behavior - a modern reappraisal. New York: 1980. S. 108-123.
[62] Werner, D.: A Cross-Cultural Perspective on Theory and Research on Male Homosexuality. In: Journal of Homosexuality 4/4. 1979. S. 345-362.
[63] Haller, D.: Zur Heteronormativität in der Ethnologie. In: Sie und Er - Frauenmacht und Männerherrschaft. Materialienband zur Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum, 25.11.1997-08.03.1998. Band I. 1998. S. 77-85. Zit. S. 85.
[64] Behrens 2000, S. 73: „Eine gestiegene Toleranz und eine gleichzeitige, latente bis zuweilen offene Homosexuellenfeindlichkeit erzeugen Skepsis hinsichtlich gesellschaftlicher Haltung und staatlichem Handeln. Martin Dannecker weist zu Recht hin auf die Fragwürdigkeit einer Akzeptanz an der Oberfläche, die mit einem erheblichen und weit verbreiteten Bedürfnis nach sozialer Distanz zu Homosexuellen einhergeht.“ Vgl. dazu Dannecker, M.: Deutschland – ein schwulenfreundliches Land? In: Zeitschrift für Sexualforschung 10. 1997. S. 229-232.
[65] Katz, J. N.: The Invention of Heterosexuality. Harmondsworth: 1995. S. 7.
[66] Franklin, S.: Essentialism, Which Essentialism? Some Implications of Reproductive and Genetic Techno-Science. In: Journal of Homosexuality 24/3. 1993. S. 27-39.
[67] Sommer, V.: Wider die Natur? Homosexualität und Evolution. München: 1990. S. 19ff.
[68] Tripp, C. A.: The Homosexual Matrix. 1975. S. 36.
[69] Schmidt 2000, S. 187.
[70] Lang, S: „Two-Spirit-People“: Gender Variance, Homosexualität und Identitätsfindung bei IndianerInnen Nordamerikas. In: kea 7. 1994. S. 70ff.
[71] Young, A.: Women Who Become Men. New York: Berg Publishers, 2000. S. 114ff.
[72] Nanda, S.: Neither Man nor Woman. The Hijras of India. Belmont: Wadsworth Publishing Company, 1990.
[73] Jacobs, S. E./Cromwell, J.: Visions and Revisions of Reality: Reflections on Sex, Sexuality, Gender and Gender Variance. In: Journal of Homosexuality, 23/4. 1992. S. 42-49.
[74] Elias, N.: Über den Prozeß der Zivilisation. In: Elias, N.: Gesammelte Schriften. Band 3.2. Frankfurt am Main: 1997. S. 325.
[75] Keller, J. A./Novak, F.: Kleines Pädagogisches Wörterbuch. Freiburg/Breisgau: Herder, 1993.
[76] Clarke, J. et al.: Jugendkultur als Widerstand. Frankfurt am Main: 1979.
[77] Tillmann, K. J.: Sozialisationstheorien. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1989. S. 173.
[78] um nicht zufällig die Sprachformen Pierre Bourdieus aus dessen Studien zum Habitus-Begriff zu gebrauchen – siehe Bourdieu, P.: Sozialer Raum und ,Klassen’. Zwei Vorlesungen. Frankfurt am Main: 1985. S. 17: „Die Wahrnehmungskategorien resultieren wesentlich aus der Inkorporierung der objektiven Strukturen des sozialen Raumes. Sie sind es folglich, die die Akteure dazu bringen, die soziale Welt so wie sie ist hinzunehmen, als fraglos gegebene, statt sich gegen sie aufzulehnen und ihr andere, wenn nicht sogar vollkommen konträre Möglichkeiten entgegenzusetzen: Der Sinn für die eigene soziale Stellung als Gespür dafür, was man ,sich erlauben’ darf und was nicht, schließt ein das stillschweigende Akzeptieren der Stellung, einen Sinn für Grenzen [...], oder, in anderen Worten, einen Sinn für Distanz, für Nähe und Ferne, die es zu signalisieren, selber wie von seiten der anderen einzuhalten und zu respektieren gilt.“
[79] Treibel 2000, S. 186.
[80] vgl. Elias, N.: Was ist Soziologie? München: 1970. S. 188ff.
[81] Treibel 2000, S. 188.
[82] Elias, N.: Über die Begriffe der Figuration und der sozialen Prozesse. Einführende Bemerkungen zu einem Colloquium über den historischen Charakter der Gesellschaft und die soziologische Theorie am 12. Mai 1987 in der TU Berlin, veranstaltet vom Institut für Soziologie. In: Diskussionsbeiträge IS/TUB 6. 1987. S. 6.
[83] Elias 1970, S. 12.
[84] Treibel 2000, S. 191.
[85] Die Nähe des im folgenden durchgängig verwendeten Kulturalitätsbegriffs zum Milieubegriff ist offensichtlich und beabsichtigt; die terminologische Entscheidung für den weiteren Argumentationsverlauf fiel aus jener Erwägung heraus, durch den in dieser Verwendungsweise ungebräuchlichen Einsatz des Kulturalitätsbegriffs gerade den Umstand herausheben zu wollen, daß kulturelle Fundamentierung individueller Realitätswahrnehmung mehr umfaßt als lediglich ein mit einer Vielzahl ansonsten sehr verschieden sozialisierter Individuen gemeinsam internalisiertes philosophisches oder religiöses Erbe, sondern notwendigerweise auch die lebensweltlich erworbenen diskursiven Orientierungsstrategien sowie die Bedingungen dieses Erwerbs. Vgl. hierzu Hradil, S.: Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen: Leske und Budrich, 2001. S. 425ff.: „In Untersuchungen des Gefüges sozialer Ungleichheit auf der Grundlage von Klassen- und Schichtkonzepten wird in der Regel davon ausgegangen, dass mit bestimmten äußeren Lebensbedingungen mehr oder minder eng bestimmte innere Haltungen (Klassenbewusstsein, Klassenpraxis, schichtspezifisches Denken und Verhalten etc.) einhergehen. Hinter diesen ,klassischen’ Konzepten stehen Vorstellungen und Erfahrungen, nach denen ,das Sein das Bewusstsein’ bestimmt. Demgegenüber geht in die Konzeption von ,Sozialen Milieus’ und ,Lebensstilgruppierungen’ die Annahme ein, dass die ,subjektiven’ Lebensweisen einer sozialen Gruppierung durch deren ,objektive’ Lebensbedingungen zwar angeregt, beeinflusst oder begrenzt sein mögen, keineswegs aber völlig geprägt sind. […]. Neuere soziologische Milieubegriffe beziehen neben dem Umfeld von Menschen auch dessen typische Wahrnehmung und die damit im Zusammenhang stehenden Werthaltungen der Menschen in die Betrachtung ein. So fassen auch die […] ,sozialen Milieus’ Gruppen Gleichgesinnter zusammen, die jeweils ähnliche Werthaltungen, Prinzipien der Lebensgestaltung, Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten aufweisen. Diejenigen, die dem gleichen sozialen Milieu angehören, interpretieren und gestalten ihre Umwelt in ähnlicher Weise und unterscheiden sich dadurch von anderen sozialen Milieus. Kleinere Milieus, zum Beispiel Organisations- oder Stadtviertelmilieus, weisen darüber hinaus häufig einen inneren Zusammenhang auf, der sich in einem gewissen Wir-Gefühl und in verstärkten Binnenkontakten äußert.“
[86] Elias, N.: Prozesse, soziale. In: Schäfers 1995, S. 248.
[87] Quinney, R.: Toward a Sociology of Criminal Law. In: Quinney, R. (Hg.): Crime and Justice in Society. Boston: Little, Brown 1969. S. 25.
[88] vgl. Korte, H.: Norbert Elias. In: Kaesler, D.: Klassiker der Soziologie. Band 1. München: Beck, 1999. S. 329: „Hierüber entwickelte sich eine intensive Diskussion in soziologischen Zeitschriften, an deren Ende Elias nachdrücklich darauf bestand, daß es wenig Sinn mache, nur die Handlungen der Individuen zum Thema zu machen und dabei die langfristigen gesellschaftlichen Prozesse, in die die individuellen Handlungen verflochten sind, zu ignorieren“
[89] Esser, H.: Figurationssoziologie und Methodologischer Individualismus: Zur Methodologie des Ansatzes von Norbert Elias. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie XXXVI/1984, S. 667 – 702.
[90] Esser 1984, S. 693.
- Arbeit zitieren
- M. A. Maren Arnhold (Autor:in), 2004, Heteronormativität und Homophobie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83848
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