Märchen übten seit jeher eine große Faszination auf mich aus. Umso erstaunter war ich, dass die Mädchen bei PHANTALISA - einem Berliner Mädchentreff, wo ich vor zwei Jahren mein studiumbegleitendes Praktikum absolvierte - speziell Grimms Märchen gar nicht kannten bzw. nichts (mehr) von ihnen wissen wollten. Mädchen zwischen 10 und 12 Jahren wussten nicht, wer Dornröschen war, noch hatten sie den Froschkönig vorgelesen bekommen, geschweige denn selbst gelesen!? So entstand die Idee, bei PHANTALISA ein Märchenprojekt auf die Beine zu stellen. Allerdings reagierten auch die Erzieherinnen anfangs eher verhalten. Grimms Märchen, meinten sie misstrauisch, wären doch viel zu grausam und das dargestellte Frauen- und Männerbild zudem völlig veraltet! Erst da begann ich, Fragen zu stellen: Wie sind Märchen zu bewerten? Wie bewerten MärchenpädagogInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen sie, wie andere KollegInnen in der Praxis? Mit ihren Vorbehalten, erkannte ich nach einer ersten Literaturrecherche, standen die Erzieherinnen von PHANTALISA nicht allein da. Nichtsdestotrotz fand ich aber auch gegenteilige Meinungen, BefürworterInnen von Märchen, die sagen, (auch Grimms) Märchen seien für die geistige Entwicklung von Kindern unerlässlich. Zwei Fronten. Einen Mittelweg zwischen diesen fand ich vorerst nicht. Und damit hatte ich mein Diplomarbeitsthema gefunden: Das Für und Wider der Märchen der Grimms in der feministischen Mädchenarbeit und mögliche Alternativen.
Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert: Im Theorieteil erkläre ich mein Befürworten von geschlechtergetrennter Jugendarbeit auch im 21. Jahrhundert. Dazu zählen Begriffe wie Geschlechtsspezifische Sozialisation, Doing Gender, Gender Mainstreaming und Sexualpädagogik sowie meine Definition von pädagogischer Mädchenarbeit. Was folgt, ist ein Kapitel über geschlechtsspezifische Medienpädagogik, speziell Leseförderung, um zu erklären, warum ich mir das Feld der Literatur als Arbeitsmittel der Jugendarbeit herausgegriffen habe; gefolgt von einem geschichtlichen Exkurs zur Entstehung der Volksmärchen sowie der Textsammlung der Gebrüder Grimm. Merkmale und Analyseformen ihrer Märchen, aber auch Besonderheiten von Kunstmärchen und Verfremdungsformen werden dabei genannt. Ziel dieser Arbeit ist es, die konträren Richtungen der Märchenforschung dazustellen und – anhand der Auswertung eines Fragebogens, der einen Einblick gibt in die Sichtweise von Pädagoginnen deutschlandweit agierender Märchenzentren...
Inhaltsangabe
Einleitende Gedanken
Teil I: Begriffsklärungen
1. Kapitel: Feministische Mädchenarbeit
1.1. Sozialer Wandel: Weibliche Realität(en) heute
1.2. Geschlechtertrennung – Pro & Kontra:
1.3. Definition feministischer Mädchenarbeit
1.4. Die Queer-Theorie und Judith Butler
1.5. Theorien zur Herausbildung der Geschlechtsidentität
1.6. Geschlechtsspezifische Sozialisation nach Hagemann-White
1.7. Zusammenfassung
2. Kapitel: Lesekompetenzförderung
2.1. Medienkompetenz
2.2. Geschlechtsspezifische Medienpädagogik
2.3. Buchlesen im Medien- und Freizeitvergleich
2.4. Drei Instanzen der Lesesozialisation
3. Kapitel: Kinder brauchen Märchen?
3.1. Märchenforschung
3.2. Die Märchensammlung der Gebrüder Grimm
3.3. Pädagogischer Nutzen
3.4. Merkmale des Volksmärchens: Aufbau, Symbole & Motive
3.5. Märchenanalysen
3.6. Bedenkliche Elemente der KHM?
3.7. Moderne Märchen
Teil II: Praxis
1. Kapitel: Fragebogen
1.1. Fragestellung
1.2. Rahmenbedingungen & Grenzen
1.3. Instruktion / Einleitungstext
1.4. Verfälschungstendenzen
1.5. Frageformat
1.6. „Pretest“?
1.7. Vorbereitung der Auswertung
1.8. Kritische Interpretation der Ergebnisse
2. Kapitel: Umsetzung in die Praxis
2.1. Zielbestimmung
2.2. Erlangen von Medienkompetenz
2.3. Zur Vortragsweise von Märchen
2.4. Märchen analysieren
2.5. Märchen verändern
2.6. Förderung anderer kognitiver und künstlerischer Fähigkeiten
2.7. Rollenwechselspiele
2.8. Projektvorschlag in Tabellenform
3. Kapitel: Resümee
Abschließende Gedanken
Literaturangabe
Fragebogen Druckversion
Codierungsbogen
Kontaktierte Mädchenzentren
Ich danke allen, die mich bei dieser Arbeit in verschiedenster Form unterstützt haben.
Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, Dajana Schon, Dennis Mitterneder, allen fleißigen Korrekturleserinnen (Anne, Christa, Marie) und natürlich Frau Dr. Althans für die gute Betreuung.
Kathrin Schultz, Juli 2007
Einleitende Gedanken
Märchen übten seit jeher eine große Faszination auf mich aus. Mit ihnen bin ich aufgewachsen und ich lese sie noch heute, still für mich oder vor Kindern im Familien- und Freundeskreis, beim Babysitten. Umso erstaunter war ich, dass die Mädchen bei PHANTALISA - einem Berliner Mädchentreff, wo ich vor zwei Jahren mein studiumbegleitendes Praktikum absolvierte - speziell Grimms Märchen gar nicht kannten bzw. nichts (mehr) von ihnen wissen wollten. Mädchen zwischen 10 und 12 Jahren wussten nicht, wer Dornröschen war, noch hatten sie den Froschkönig vorgelesen bekommen, geschweige denn selbst gelesen!? So entstand die Idee, bei PHANTALISA ein Märchenprojekt auf die Beine zu stellen. Allerdings reagierten auch die Erzieherinnen anfangs eher verhalten. Grimms Märchen, meinten sie misstrauisch, wären doch viel zu grausam und das dargestellte Frauen- und Männerbild zudem völlig veraltet!
Erst da begann ich, Fragen zu stellen: Wie sind Märchen zu bewerten? Wie bewerten MärchenpädagogInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen sie, wie andere KollegInnen in der Praxis?
Mit ihren Vorbehalten, erkannte ich nach einer ersten Literaturrecherche, standen die Erzieherinnen von PHANTALISA nicht allein da. Nichtsdestotrotz fand ich aber auch gegenteilige Meinungen, BefürworterInnen von Märchen, die sagen, (auch Grimms) Märchen seien für die geistige Entwicklung von Kindern unerlässlich. Zwei Fronten. Einen Mittelweg zwischen diesen fand ich vorerst nicht. Und damit hatte ich mein Diplomarbeitsthema gefunden: Das Für und Wider der Märchen der Grimms in der feministischen Mädchenarbeit und mögliche Alternativen.
Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert: Im Theorieteil erkläre ich mein Befürworten von geschlechtergetrennter Jugendarbeit auch im 21. Jahrhundert. Dazu zählen Begriffe wie Geschlechtsspezifische Sozialisation, Doing Gender, Gender Mainstreaming und Sexualpädagogik sowie meine Definition von pädagogischer Mädchenarbeit. Was folgt, ist ein Kapitel über geschlechtsspezifische Medienpädagogik, speziell Leseförderung, um zu erklären, warum ich mir das Feld der Literatur als Arbeitsmittel der Jugendarbeit herausgegriffen habe; gefolgt von einem geschichtlichen Exkurs zur Entstehung der Volksmärchen sowie der Textsammlung der Gebrüder Grimm. Merkmale und Analyseformen ihrer Märchen, aber auch Besonderheiten von Kunstmärchen und Verfremdungsformen werden dabei genannt.
Ziel dieser Arbeit ist es, die konträren Richtungen der Märchenforschung dazustellen und – anhand auch der Auswertung eines Fragebogens im Praxisteil, der einen Einblick gibt in die Sichtweise von Pädagoginnen deutschlandweit agierender Märchenzentren den KHM gegenüber – Anregungen zu bieten für die Umsetzung eigener Märchenprojekte.
Wichtig ist hierbei, dass es sich bei vorliegender Arbeit um keine quantitative, sondern um eine qualitative wissenschaftliche Arbeit handelt, da weder der Fragebogen noch mein Projektvorschlag einen repräsentativen Anspruch verfolgen, sondern lediglich ein Meinungsbild darstellen bzw. einen ANSATZ bieten sollen, wie Märchen in die feministische Mädchenarbeit integriert werden könnten: Durch eine feministische bzw. queere Auseinandersetzung mit diesen.
Selbstredend habe ich mich in meiner Arbeit um eine geschlechtergerechte Sprache bemüht, auch wenn dies zuweilen die Lesbarkeit beeinträchtigen sollte, da geschlechtsneutrale Begrifflichkeiten zu finden mir im Einzelnen (aufgrund fehlender Alternativen) nicht immer geglückt sein mag.
Teil I: Begriffsklärungen
1. Kapitel: Feministische Mädchenarbeit
„Jungs sind anders, Mädchen auch.“ So lautet der Titel eines Sachbuches von Melitta Walter, erschienen 2005, das den Blick schärfen soll für eine geschlechtergerechte Erziehung. Und das zu Zeiten, wo andere Stimmen aus Pädagogik-Kreisen und Politik behaupten, geschlechterdifferenzierte Jugendarbeit sei nicht mehr zeitgemäß?
Gender Mainstreaming (kurz: GM) heißt das Schlagwort dieser Tage. Dahinter verbirgt sich, nach der Definition des Europarates, eine „[...] politische Strategie mit dem konkreten Ziel, durch Maßnahmen in Politik, Wissenschaft und Praxis eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure und Akteurinnen einzubeziehen“[1]. Seit 1997 durch den Amsterdamer Vertrag gesetzlich nun auch in der Europäischen Union (EU) verankert, könnte diese politische Strategie jedoch, wie KritikerInnen befürchten, implizieren, eine Gleichberechtigung der Geschlechter sei bereits erreicht. Und somit, weiter gedacht, hätte auch die besondere Förderung und Unterstützung von Mädchen, d.h. emanzipatorische Mädchenarbeit, bald ausgedient? So sagen die einen, während andere, wie Melitta Walter, betonen, die Geschlechterdebatte sei auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach wie vor hochaktuell, sowohl für Eltern und ErzieherInnen, als auch für Kinderlose! Divergierende Positionen, die ich einander gegenüberstellen möchte:
1.1. Sozialer Wandel: Weibliche Realität(en) heute
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ heißt es im Grundgesetz der Bundes-republik Deutschland (GG) seit 1949. Die Realität jedoch ist eine andere: Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familien, Seniorinnen, Frauen und Jugend (kurz: BMFSJ) im Dezember 2003 verrichten Frauen global noch immer 65% der Arbeit, ihr Anteil am weltweiten Einkommen liegt allerdings bei nur 10%. Und auch ihr Anteil am Eigentum ist verschwindend gering. Doch Geld und Eigentum verschaffen Unabhängigkeit, also kann laut BMFSJ (auch in Deutschland!) noch lange nicht von Gleichheit gesprochen werden. Dabei hat die Frauenbewegung[2] viel erreicht: Frauen haben mehr Selbstbewusstsein und bessere berufliche Chancen als noch vor 30 Jahren, sie sind rechtlich endlich in allen Bereichen den Männern gleichgestellt. Dementsprechend hat sich auch das Bild in den Medien gewandelt: In Kinderbüchern und –filmen werden Mädchen immer häufiger als mutig, klug und frech dargestellt. Es gibt inzwischen Pfarrerinnen und Museumsdirektorinnen, Pilotinnen und Chefärztinnen, Schreinerinnen und nun sogar eine Bundeskanzlerin. Und das World-Wide-Web bietet Frauen eine Fülle an Informationen, was sonst noch alles möglich ist.
Die Mechanismen, mit denen polare geschlechterspezifische Zuordnungen auftreten, sind, zumindest in unserer Gesellschaft, insgesamt subtiler geworden. Und auch die konstruierte Vorstellung, ein befriedigendes Frauenleben sei nur in der Mutterrolle gelungen, ist längst überholt. Doch solange Frauen in Führungspositio-nen nach wie vor unterrepräsentiert sind und eher Berufe mit reinen Dienstleistungs-aufgaben ergreifen, wobei sie im Schnitt noch 23% weniger als die Männer verdienen, werden Männer auch weiterhin als die „Ernährer“ der Familie gelten, während Frauen, selbst bei voller Berufstätigkeit, noch immer einen Großteil ihrer Freizeit der Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen widmen werden. Unbezahlt, wohlgemerkt.[3]
Das Leben eines Menschen wird durch gesellschaftliche Rollen diktiert: Student / Studentin, Arbeitgeber / Arbeitnehmerin etc. - die wichtigste Rolle dabei aber ist und bleibt das Geschlecht. Doch was machen die heutigen Mädchen mit diesen Fakten? „Mädchen und junge Frauen im Jahre 2005“, so formulierte es die Regionalstelle Frau & Beruf in NRW, „verfügen über ein starkes Selbstbewusstsein, Mut und zukunftsorientierten Pragmatismus. Sie planen ihr Leben und ihre berufliche Zukunft jenseits alter Frauenmuster und nehmen sich nicht mehr wie ihre Mütter und Großmütter zugunsten weiblicher Rollenzuweisungen zurück.“ (Newsletter der Regionalstelle Frau & Beruf in NRW, April 2005)
Laut der SHELL-Jugendstudie (2002) hat also auch bei Mädchen und Jungen ein Wertewandel stattgefunden: Auf erhöhte Leistungsanforderungen und damit verbundene Risiken reagiert die Hälfte von ihnen optimistisch und mit hoher Leistungsbereitschaft; gerade Mädchen streben eine optimale Vereinbarkeit von Karriere und Familie ohne Abstriche an. Das sich wandelnde Elternhaus trägt dazu einiges bei: In Zeiten von Globalisierung, Medienvielfalt und einer immer differenzierteren Welt werden familiäre Entscheidungen nicht mehr ausschließlich durch die Eltern getroffen, sondern zunehmend im Familienteam gefällt. „Erziehung zur Selbständigkeit“ – so lautet die Losung, die eine Individualisierung der Jugendlichen mit sich bringt und somit auch eine (scheinbare) Auflösung geschlechtsspezifischer Zuschreibungen. Geplante Lebensentwürfe von Mädchen und Jungen unterscheiden sich immer weniger voneinander (vgl. ebd.). Wovon Feministinnen Ende der 1970er Jahre noch träumten – die gleichberechtigte Teilhabe von Mädchen und Frauen an Gesellschaft und Arbeitsmarkt, ist also in Erfüllung gegangen?
Erziehung hat im Verlauf der Jahrhunderte einige einschneidende Veränderungen erfahren; gerade in den 1970er Jahren wurden verschiedene Sozialisationsmodelle neu erprobt. Bildungsreform, Verhütungsmittel und das Recht auf Abtreibung ermög-lichen Frauen heute einen ganz anderen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, die Partnerschaft mit einem Mann gilt nicht mehr als einzige Garantie für finanzielle Sicherheit, und auch der Anteil von Frauen in gehobenen Positionen wächst langsam, aber stetig. „Doch Vorsicht, der erkämpfte Platz ist und bleibt anfechtbar!“ (Walter 2005: 78) Schließlich sei die „Dominanz des männliches Geschlechts“ in fast allen Gesellschaften allgegenwärtig, sie präsentiert sich jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen: Mit zunehmender Partizipation der Frau im Berufsleben erlangen Frauen in der westlichen Gesellschaft zwar eine größere Unabhängigkeit vom Mann, der Identifikationsprozess aber verlangt oftmals wiederholte Umorganisationen. Verunsicherungen und Beschränkungen bleiben da nicht aus (vgl. ebd.).
Betrachten wir bspw. allein den Bereich der Berufsfindung, so zeigt sich nach Walter auch im Jahre 2005 die noch immer starke geschlechtsspezifische Trennung des Ausbildungsmarktes: Mädchen besuchen zu einem hohen Anteil Berufsfachschulen im gesundheits- und sozialpflegerischen sowie im hauswirtschaftlichen Bereich. Der weibliche Nachwuchs, gibt auch die Politologin Antje Schrupp zu bedenken, verfüge zwar tatsächlich über ein „kraftvolles Selbstbewusstsein“ – „[...] die neuen Mädchen sind stark, von Benachteiligung wollen sie nichts mehr hören, sondern sagen, was sie denken, anstatt sich zu ducken, sie verfügen über bessere Schulabschlüsse als die Jungen und sind der festen Überzeugung, dass ihnen die „Hälfte des Himmels“ gehört; frei nach der Parole: Anything goes!“ (Newsletter s.o., zu beziehen unter www.frau-und-beruf-nrw.de) – doch in der Praxis würden sie hart mit der Realität konfrontiert: Die geschlechtsspezifische Ausrichtung des Arbeitsmarktes auf Jungen und Männer und Stichworte wie unzureichende Kinderbetreuung, Zuschreibung von Familienaufgaben an Frauen und Verhinderung von Frauenkarrieren jenseits mittlerer Positionen lassen laut Schrupp „ehrgeizige Mädchenträume wie Seifenblasen zerplatzen“ (vgl. ebd.). Dabei haben Großkonzerne (wie Deutsche Telekom, Deutsche Bahn, FORD etc.) längst erkannt, welche Verluste ihnen durch die Nichtbeteiligung von Frauen drohen. Durch Diversity-Konzepte[4] versuchen sie nun, junge Frauen in ihre Betriebe einzubinden; die Verliererinnen aber sind wieder jene, die trotz Karriere nicht auf eigene Kinder verzichten wollen. An ihrer Seite stehen junge Frauen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und / oder Migrations-hintergrund.
Wiewohl: „Die“ Mädchen gibt es nicht, sondern die Shell-Studie unterteilt sie in vier Gruppen, die:
- selbstbewussten Macherinnen (25%)
- pragmatischen Idealistinnen (25%)
- zögerlichen Unauffälligen (40%)
- robusten Materialistinnen (10%)
Abgesehen von noch weiteren Ost-West-Unterschieden und einem Stadt-Land-Gefälle sind es hauptsächlich die „selbstbewussten Macherinnen“, die Aufsteiger-gruppe aus der breiten Mitte der Gesellschaft, sowie die „pragmatischen Idealistinnen“ aus den bildungsbürgerlichen Schichten, die in scharfe berufliche Konkurrenz mit den Jungen treten, da sie den Hintergrund, das Selbstbewusstsein, die nötige Portion Egoismus und auch die Mobilität haben, die der gehobene Arbeitsmarkt der Zukunft fordert. Viele von ihnen werden kinderlos bleiben.
Die „zögerlichen Unauffälligen“ hingegen schauen eher skeptisch in die Zukunft und kommen mit Leistungsanforderungen schlechter zurecht. Hier finden sich die Mädchen wieder, die aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Bedingungen (wie sozialer und ethnischer Herkunft) keine so energische Beteiligung erbringen können. Gerade Mädchen mit Migrationshintergrund (laut PISA-Studie 2003 ein Drittel aller in Deutschland lebenden weiblichen Jugendlichen!) benennen die Familie als „Basisstation“, sowohl räumlich als auch emotional[5] – ein extrem gegenläufiger Wert zur geforderten Mobilität am Arbeitsmarkt. Das bedeutet, dass sie, insofern sie Mütter werden, kaum Zugang zu hochqualifizierten und gut bezahlten Jobs haben werden. Dabei verfügen auch diese Mädchen über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und weitreichende Träume und tragen aufgrund ihrer Mehr-sprachigkeit und ihrem ausgewiesenen Optimismus eigentlich das optimale Potential für eine multikulturelle Gesellschaft in sich? Ganz im Sinne von Diversity und fortschreitender Europäisierung.
Während die „zögerlichen Unauffälligen“ ihr Selbstbewusstsein dazu nutzen könnten, „ihre Hälfte des Kuchens“ nicht nur zu fordern, sondern tatsächlich auch zu BEKOMMEN, und dabei auch hinlänglich unterstützt werden sollten, ist die Gruppe der „robusten Materialistinnen“ noch am schwierigsten zu motivieren, ihre Wunsch-träume mit der Realität in Einklang zu bringen. Stattdessen übernehmen diese Mädchen häufig die männliche Norm der Gewalt, um Stärke zu demonstrieren und angestauten Frust abzubauen; und werden dabei doppelt gestraft: Ihre Träume sind nicht zu verwirklichen und gleichzeitig werden sie geächtet, weil sie zu einer wenn überhaupt dann noch eher Männern gestatteten (Gewalt)-Strategie greifen[6].
Von den „zögerlichen Unauffälligen“ und den „robusten Materialistinnen“ aber wird noch im Praxisteil die Rede sein, da hauptsächlich sie die Angebote von Mädchen-projekten nutzen, während Migrantinnen und Mädchen mit Migrationshintergrund, wenn überhaupt, noch eher multikulturelle Zentren frequentieren.
Zusammenfassend ist zu sagen: Individuelle Sehnsüchte und kollektive Erwartungen kollidieren. Junge Frauen sollen sowohl Kinder bekommen, als auch Karriere machen, doch gerade mal 3% der Männer sind bereit - bzw. sehen überhaupt die Möglichkeit – in Erziehungsurlaub zu gehen. Gesetzliche Neuregelungen, wie z.B. der erst kürzlich durchgesetzte Anspruch auf einen Kindergartenplatz zumindest in einigen Bundesländern und andere, mögen da in naher Zukunft einiges in Bewegung bringen. Ein Vergleich der Jahre 1990 und 2003 aber hat gezeigt, dass Männer trotz politischer Kampagnen und sich verändernder Gesetzeslage ihren Zeitaufwand für Familie und Haushalt innerhalb dieser dreizehn Jahren eben nicht erhöht haben, während wir noch immer von einer Doppel- und Dreifachbelastung der Frauen sprechen (Studie BMSFJ 2004).
1.2. Geschlechtertrennung – Pro & Kontra:
Seit den Anfängen der offenen Jugendarbeit in den 1970er Jahren zeigte sich die Ungleichstellung von Frauen und Männern auch in diesem Bereich. Jugendtreffs wurden und werden hauptsächlich von männlichen Jugendlichen in Anspruch genommen, Mädchen und junge Frauen treten eher als Freundinnen und Begleiterinnen der männlichen Jugendlichen auf oder als passive Zuschauerinnen, die kaum motiviert werden, aktive Rollen einzunehmen.
Hinzu kommt, dass Strukturen und Konzepte von Jugendtreffs sich bis heute vor allem nach den Bedürfnissen der männlichen Besucher richten: Soziale Kompeten-zen wie Kooperations- und Vermittlungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Offenheit und Flexibilität werden bei Mädchen mehr oder weniger vorausgesetzt, da diese ein günstiges soziales Klima schaffen, was letztlich wiederum den Jungen zugute kommt. Dabei sind gerade diese Komponenten nicht explizit als Leistungen anerkannt, noch werden sie (anders als bspw. sportliche Leistungen) explizit gelobt, wohingegen Jungen für die gleichen Leistungen zwar gelobt, für deren Ausbleiben aber nicht getadelt werden.
Der männliche Habitus genießt nach wie vor gesellschaftlich ein deutlich höheres Prestige und diese Vermittlung geschlechtsspezifischer Rollenbilder schränkt BEIDE Geschlechter gleichermaßen ein in ihren optimalen Entfaltungsmöglichkeiten, am ehesten aber immer noch die Mädchen. Die tägliche Arbeit mit Jugendlichen zeigt, dass Mädchen auch heute noch nicht die gleichen Rechte und Privilegien wahrnehmen wie die Jungen, sondern durch deren Überpräsenz Schwierigkeiten haben, eine selbstbewusste und selbstdefinierte Identität zu entwickeln. Meist zeigen Mädchen weniger Selbstbewusstsein. Dadurch fällt es PädagogInnen oft schwer, ihre Probleme wahrzunehmen. Das geringere Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten aber trägt ebenfalls dazu bei, dass Frauen / Mädchen durch Misserfolgserlebnisse stärker beeinträchtigt werden und sich deshalb niedrigere leistungsbezogene Ziele setzen - z.B. sichtbar in der selteneren Wahl anspruchsvoller Schul- oder Studien-fächer oder in der selteneren Absicht, zu promovieren, was auch die Unterrepräsen-tanz von Frauen in beruflichen Positionen mit Prestige, hohem Einkommen und Führungsverantwortung erklären würde (vgl. u.a. Friedel-Howe 1995; Nolen-Hoeksema et al. 1999).
Unterstützt und weiter verfälscht wird das unterschiedliche Bewusstsein von Frauen und Männern durch Bilder aus der Öffentlichkeit, insbesondere aus den Medien (Filmindustrie, Werbung, usw.), die Frauen trotz positiver Einzelbeispiele einerseits weiterhin als „Reizfiguren“ missbrauchen, und ihnen (aber auch den Männern!) andererseits vermitteln, erfolgreiche Frauen könnten Karriere, Beziehungsleben und Mutterschaft leicht unter einen Hut bringen. Durch diese medial produzierten Bilder steigt die Ambivalenz zwischen den Wünschen und der Lebenswirklichkeit für Mädchen und Frauen. Einen erheblichen Anteil daran hat aber ebenfalls das, was in öffentlichen Einrichtungen (Schule, Hort, Jugendzentren) passiert; aufweichbar nur durch, wie Antje Schrupp und andere feministisch orientierte PädagogInnen behaupten, eine Erziehung in gleichgeschlechtlichen Gruppen?
Benachteiligungen für Mädchen und Frauen können nur durch eine Stärkung des Selbstvertrauens abgebaut werden. Denn bereits im Vorschulalter halten sich Mädchen, wie Studien von Carol Hagemann-White, Dozentin für Frauenforschung in Osnabrück[7], belegen, für weniger intelligent, und zwar besonders in „maskulin konnotierten Inhaltsdomänen“. So unterschätzen sie bspw. ihre Fähigkeiten in Mathematik und Naturwissenschaften und definieren sich stärker über Expressivität und ihre Verbundenheit mit anderen Menschen als Jungen / Männer dies tun. Die Folge: Trotz gleicher Bildungsangebote entscheiden sich Mädchen nicht im gleichen Ausmaß für naturwissenschaftliche und technische oder technologische Ausbil-dungsberufe wie Jungen, sondern ergreifen zu 90% die Berufe mit der schlechtesten Bezahlung und den wenigsten Aufstiegsmöglichkeiten. Und wenngleich auch die meisten Kinder und Jugendlichen verneinen, dass sie lieber die jeweils andere Geschlechtszugehörigkeit hätten, so zeigen diese Studien dennoch konsistent, dass Jungen mit ihrer Geschlechtszugehörigkeit zufriedener sind als Mädchen (vgl. Hagemann-White 1988: 32).
Aus dieser Erkenntnis heraus entstanden ab Mitte der 1980er Jahre Forderungen nach eigenen Räumen für Mädchen und junge Frauen zur Entfaltung ihrer eigenen Wünsche, Fähigkeiten und Bedürfnisse, da nur so eine Grundlage für die Weiterentwicklung der Einzelnen sowie ein Erproben von neuen Lern- und Handlungsstrategien erreicht werden kann. Praktische Konsequenzen ergeben sich für die Gestaltung jener Kontexte, in denen eine Trennung der Geschlechter möglich ist, z.B. in der Schule. So wird gegenwärtig als eine Maßnahme, um Benachteiligun-gen von Mädchen abzubauen, auf politischer und pädagogisch-psychologischer Ebene die Möglichkeit der zeitweise getrennt geschlechtlichen Unterrichtung (Monoedukation) von Schülerinnen und Schülern in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern diskutiert. Ein vielleicht lohnenswerter Ansatz, dem weiter nachgegangen werden sollte. Mein Hauptaugenmerk allerdings gilt, als Studentin der Sozialpädagogik, nicht der Unterrichtsgestaltung im Schulbetrieb, sondern dem Bereich der offenen Jugendarbeit.
Hier nun zeigt sich, dass in den 1980er Jahren Mädchenprojekte tatsächlich wie „Pilze aus dem Boden schossen“ (Walter 2005: 43). Seit Ende der 1990er Jahre aber ist eine Trendwende zu verzeichnen, denn Genderforschung und Gender Mainstreaming führen in der Kinder- und Jugendhilfe verstärkt dazu, dass BEIDE Geschlechter in den Blick genommen werden und Mädchen- und Jungenarbeit verstärkt wieder als EINHEIT gesehen wird. Und keine Frage, auch Jungen und Männer stehen zu Beginn des neuen Jahrtausends ambivalenten Rollenentwürfen gegenüber; seit Ende der 1990er Jahre geistert ein „neues Männerbild“ durch die Medien und somit auch durch die Köpfe der Menschen und seither wurden verschiedene Studien durchgeführt, wie Männer in der Gesellschaft wahrgenommen werden und welches Idealbild sie verkörpern sollten bzw. selbst anstreben, mit recht unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. ebd.)[8].
Weinen dürfen ja oder nein, Mithilfe im Haushalt, Kinderwunsch und Teilhabe an der Erziehung, Karriereplanung, das äußere Erscheinungsbild? Nur hierin sind sich die meisten ForscherInnen einig: Weder der „Macho“ noch der „Softie“ entspricht dem heutigen Ideal, weder aus Frauen- noch aus Männersicht. Die Vorstellungen darüber, wie ein Mann / Junge sein sollte und wie nicht, sind nicht klar umrissen, d.h. neue Rollenentwürfe müssen her! Vermittelt durch das Elternhaus und die Medien, aber parallel dazu eben auch über die in öffentlichen Einrichtungen geleistete Erziehungsarbeit, die deshalb neu überdacht werden muss. „Die aus diesen gesell-schaftlichen Umwälzungen resultierenden Unsicherheiten aber betreffen wieder eher die Mädchen und Frauen; der Aspekt des sozialen Wandels und der nivellierten Mittelstandsgesellschaft greift hier nur allmählich und erneut sind es eher die Jungen und Männer, die davon profitieren“. (Walter 2005: 23)
Anstatt also zu behaupten, dass nur in gemischtgeschlechtlichen Projekten diese neuen Rollenentwürfe entwickelt werden könnten, wie es derzeit geschieht, und somit getrennte Mädchen-, aber auch Jungenräume als überflüssig zu deklarieren, sollten Mädchen- und Jungenarbeitskreise zwar tatsächlich miteinander kooperieren, zur gemeinsamen Ausgestaltung einer WIRKLICH geschlechterbewussten Jugend-hilfe, aber dennoch sollten sie auch eigenständige Bereiche bleiben, ausgestattet mit ihren jeweils eigenen Handlungsspielräumen und –möglichkeiten. Die Anleitung von Mädchenarbeit durch Frauen nämlich ist letztlich schon deshalb unabdingbar, da sie ähnliche Formen der Benachteiligung erlebt haben / erleben. Und Männer bringen in die pädagogische Arbeit ebenfalls ihre Erfahrungen als Mann mit hinein.
Erste Anläufe zu einer Zusammenarbeit wurden bereits unternommen. Und auch ich möchte „die“ Jungen in meiner Arbeit als keineswegs ausgeklammert verstanden wissen, und doch befasst sich meine Diplomarbeit aus eigenem Interesse heraus hauptsächlich mit diesem Bereich der Jugendarbeit:
1.3. Definition feministischer Mädchenarbeit
Bereits ab Mitte der 1970er Jahre entstanden erste Ansätze zu einer pädagogischen Mädchenarbeit mit dem Ziel, die Position der Mädchen zu stärken. Doch während der Begriff Jugendarbeit bereits seit dem 19. Jahrhundert existiert, konnte die geschlechtsspezifische Jugendarbeit erst 1991 durch das Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (kurz: KJHG) auch gesetzlich verankert werden. Auslöser war der 1984 im Auftrag der Bundesregierung verfasste 6. Jugendbericht zur Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutsch-land - eine erste umfassende Bestandsaufnahme zu den Leistungen der Jugend-arbeit und Jugendhilfe, über deren Defizite und den entsprechenden Handlungs-bedarf, der sich in einem Katalog von Empfehlungen niederschlug.
Erschreckenderweise hat dieser 24 Jahre später, im direkten Vergleich mit dem 11. Kinder- und Jugendbericht (2002 herausgegeben vom BMFSJ), nichts oder nur wenig an seiner Aktualität eingebüßt, sondern liefert bis heute ein differenziertes Bild über die Lebensmöglichkeiten von Mädchen und gibt Auskunft über Formen und Wege weiblicher Sozialisation und Entwicklung, wie ich sie in Ansätzen bereits beschrieben habe.
Der Begriff der feministischen, sprich: parteilichen Mädchenarbeit (ein heute häufig benutztes Synonym) wurde im Kinder- und Jugendplan des Bundes im Jahr 1995 folgendermaßen definiert: „Parteiliche Mädchenarbeit versteht sich als ein Arbeits-ansatz der Jugendarbeit, der Mädchen und junge Frauen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt, ihre geschlechtsbedingten und individuellen Lebensumstände berücksichtigt und sie darin unterstützt, zu selbständigen und eigenverantwortlichen Frauen heranzuwachsen und den eigenen Lebensweg bewußt und aktiv zu gestalten.“ (Kinder- und Jugendplan des Bundes 1995: 3)
Eine wichtige Zielsetzung ist hierbei die Schaffung von eigenen Räumen, ein im doppelten Sinne gemeinter Begriff: Zum einen brauchen Mädchen selbstbestimmte Handlungs- und Orientierungsräume zum Abbau formaler und normativer Einschränkungen und Ausgrenzungen; hierfür ist die Bereitstellung von Ressourcen wie Geld, Zeit und Personal Voraussetzung. Zum anderen aber geht es auch um die Schaffung von „Frei-Räumen“ für Mädchen und junge Frauen zur Erprobung ihrer Fähigkeiten, unabhängig von männlicher Bewertung und Beeinflussung.
Während emanzipatorische Mädchenarbeit vornehmlich die Verwirklichung von Gleichberechtigung und damit gleiche Chancen für Mädchen und junge Frauen beim Zugang zur Ausbildung und zum Beruf sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einfordert, beinhaltet feministische Mädchenarbeit darüber hinaus eine grundlegende gesellschaftliche Kritik am hierarchischen Verhältnis der Geschlechter und „[...] umfasst somit gleichzeitig drei Dimensionen: Geschlechtsidentität, Pädagogik und Politik und wirkt demnach sowohl individuell fördernd als auch gesellschaftsverändernd.“ (Kinder- und Jugendplan des Bundes 1995: 4)
Auf diesem weitergefassteren Verständnis von pädagogischer Mädchenarbeit fußt auch meiner Weigerung, den Begriff der parteilichen Mädchenarbeit außer in Zitaten weiter zu verwenden, schließlich geht es nicht allein darum, „Partei“ für Mädchen (oder Jungen) zu ergreifen, sondern weitergedacht vielmehr um eine Verknüpfung, um ein gegenseitiges Einwirken von feministischer Theorie und Praxis!
Im Kinder- und Jugendplan des Bundes heißt es dazu: „Feministische Mädchen-arbeit setzt sich gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Mädchen und Frauen und für ein gleichberechtigtes Miteinander der Geschlechter ein, das nicht länger bestimmt ist von männlicher Gewalt und Herrschaft gegen bzw. über Mädchen und Frauen, und zwar durch die Erweiterung und Neubestimmung der weiblichen Geschlechtsrolle JENSEITS der Erwartungen einer von Männern beherrschten Gesellschaft.“ (Kinder- und Jugendplan des Bundes 1995: 5)
Mädchen sollen hiernach ihr Leben in erster Linie nach eigenen Wünschen und persönlichen Bedürfnisse einrichten können! Voraussetzung dafür aber ist meiner Meinung nach, dass die Mädchen / jungen Frauen ihre eigenen Wünsche, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Eigenschaften und persönlichen Neigungen überhaupt erst entdecken und ihr Selbstwertgefühl stärken und weiterhin begreifen, dass es „das“ Frauenleben nicht gibt, sondern viele Arten und Weisen, das eigene zu gestalten. Und teilweise wissen die Mädchen das sogar selbst – ihre Zukunftsvorstellungen von partnerschaftlichen Modellen decken sich sogar oft mit denen der Jungen. Doch aus der praktischen Erfahrung heraus, dass diese sich nach wie vor biografisch und strukturell durchsetzen, hat feministische Mädchenarbeit, so heißt es wiederum bei Schrupp, vor allem die Aufgabe, „[...] Mädchen und junge Frauen bei der Durchsetzung ihrer modernisierten Vorstellungen zu unterstützen, und zwar immer durch Betonung der erweiterten Perspektive, dass eben auch SIE mitverantwortlich sind für die Geschlechterverhältnisse und mit ihren Mitteln durchaus die Möglichkeit haben, diese aktiv mitzugestalten.“[9]
1.4. Die Queer-Theorie und Judith Butler
Die Frage, ob Geschlechtsunterschiede „biologisch bedingt“ oder „gesellschaftlich konstruiert“ sind, beschäftigt die Wissenschaft seit Jahrzehnten und stößt auch in der Öffentlichkeit auf reges Interesse[10].
Doch ohne die Debatte neu aufrollen zu wollen, orientiere ich mich am Konzept des Doing Gender, das nach Auswertung kulturvergleichender Studien Geschlecht nicht länger als eine interne Eigenschaft von Personen begreift, wie biologisch ausgerichtete Theorien, sondern als Produkt gesellschaftlicher Interaktionen.
Die erste Geschlechtszuordnung im Leben erfolgt mit der Namensgebung, doch während im Deutschen nur die Bezeichnung GESCHLECHT für biologisches und soziales bzw. soziokulturelles Geschlecht existiert, hat sich im Englischen und Französischen der Unterschied zwischen SEX (biologisches) und GENDER (gesellschaftliches Geschlecht, Geschlechterrollen) herausgebildet.
Geschlechterrollen von Frauen und Männern werden dabei als kulturell, gesellschaft-lich und individuell differenziert ausgeprägt beschrieben. Sie werden gestaltet, indem Individuen bestimmte körperliche Merkmale herausstreichen, geschlechtstypische Verhaltensweisen zeigen und geschlechtsuntypische Verhaltensmuster unter-drücken. Diese Aktivitäten sind während der Sozialisation erlernt und eingeübt worden, sie werden oft nicht bewusst praktiziert, sondern von den handelnden Personen als selbstverständlich und „natürlich“ erlebt, d.h. aber auch, dass sie beeinflussbar und veränderbar sind. Menschen werden nicht als Opfer der jeweiligen Verhältnisse angesehen, sondern als autonome Subjekte, die neben ihrer Anpassung an die Gesellschaft / Umwelt diese gleichzeitig auch beeinflussen können, z.B. durch das eigene aktive Tun oder die Veränderung von Rahmen-bedingungen.
[...]
[1] Quelle: www.gendermainstreaming.com – Auf das Thema gestoßen bin ich erstmals während meines zweiten studiumbegleitenden Praktikums bei PFEFFERWERK e.V., einem generationsübergreifenden Berliner Projekt, wo ich im Zuge der gesetzlichen Neuregelungen 2004 ein halbes Jahr lang zuständig war für den Bereich Gender Mainstreaming und dessen Umsetzung innerhalb des Büros.
[2] Frauenbewegung hier verstanden als soziale Bewegung, die sich für die Rechte der Frauen in der Gesellschaft einsetzt. Die Anfänge reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, wo FrauenrechtlerInnen grundsätzliche politische und bürgerliche Rechte der Frauen erkämpften, wie z.B. das Frauenwahlrecht - in Deutschland erst im November 1918 rechtlich verankert - sowie das Recht auf eine Erwerbstätigkeit und Bildung. Die zweite Welle der Frauenbewegung, seit den 1960er Jahren, stellte über den Feminismus ein Theoriekonzept her und forderte eine ‚Gleichberechtigung’ von Mann und Frau auf sowohl politischer, sozialer und beruflicher, aber zudem auch privater Ebene. Inspiriert vom politischen Umbruchklima der 1960er Jahre und als Teil der neuen sozialen Bewegungen, die in dieser Zeit entstanden, ging es nicht mehr nur um eine Teilhabe an den von Männern geprägten Institutionen, sondern auch um ein generelles Infragestellen dieser insbesondere aufgrund ihres hierarchischen Charakters. 1990er Jahren zeichnete sich vor allem in den USA eine dritte Welle (Third Wave) der Frauenbewegung ab, die die Ideen der zweiten Welle in modifizierter Form fortsetzt. Neue Aspekte sind vor allem eine globalere, weniger eurozentrische Sichtweise, die Betonung der Notwendigkeit, dass auch Männer kollektiv ihr Selbstbild überdenken müssen, weil beide Geschlechter von ihrer Rolle eingeengt würden und nur so eine wirkliche Gleichberechtigung entstehen könne. Einen ausführlichen Überblick bieten die in der Literaturliste zum Thema angeführten Bücher. (Quelle hier wie bei allen weiteren Fußnoten: Meyers Taschenlexikon)
[3]...in den Vorständen der 30 DAX-Unternehmen bspw. sitzt keine einzige Frau, und nur 8% der Professuren in der höchsten Besoldungsgruppe sind weiblich besetzt (Quelle: Gender-Report des BMFSJ 2005: 35)
[4] Definition Diversity-Ansatz: Managementkonzept, das die Unterschiedlichkeit der Belegschaft berücksichtigt und den unterschiedlichen Formen der Benachteiligung durch positive Aktionen und MitarbeiterInnenförderung gezielt entgegen zu wirken versucht. Diversity kommt vor allem den Interessen der (mehrfach benachteiligten) Frauen entgegen. Mehr dazu siehe: www.gleichstellung.info
[5] nachzulesen in der Studie „Viele Welten leben“ (BMFSJ 2004: 15)
[6] BILD-Schlagzeile Juni 2004: „Das ist aus unseren Mädchen geworden; sie zünden Obdachlose an.“ Aktivitäten, die zwar im Vergleich zu den Gewalttaten von Jungen selten vorkommen und doch ein breites Medienecho finden.
[7] Carol Hagemann-White (* 15. August 1942 in New Jersey, USA), US-amerikanische Soziologin, die seit 1964 in Deutschland lebt und arbeitet.
[8] Nina Baur, Juniorprofessorin für Methoden der empirischen Sozialforschung an der TU Berlin, bspw. befragte in einer aktuellen Studie (2005) 709 Männer und Frauen aller Generationen und verschiedener Bundesländer zum „Bild des Mannes in der Gesellschaft“; ihr Fazit: Zwischen dem Männerbild der Frauen und dem der Männer liegen Welten. Während eine deutliche Mehrheit der Männer annimmt, Frauen erwarten von ihnen Statussymbole (guten Verdienst, Universitätsabschluss, tolles Auto, muskulösen Körper, teure Geschenke), passt ihr „Traummann“ eher in die Kategorie „humorvoller Techniker“, der auch mal einen defekten Toaster reparieren kann, viel Zeit für seine Partnerin hat und vor allem kinderlieb sein sollte. Die Vorstellungen klaffen laut dieser Studie also weit auseinander. (Quelle: www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/120145/)
[9] Newsletter zu beziehen unter www.frau-und-beruf-nrw.de
[10] Als Beispiel genannt sei die TIMS-Studie (Third International Mathematics and Science Study), eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung aus dem Jahre 2001, durchgeführt von der IEA (International Accociation for the Evaluation of Educational Achiefvement)
- Citar trabajo
- Kathrin Schultz (Autor), 2007, Die Bedeutung von Märchen in der feministischen Mädchenarbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83679
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