Die Geschichte Paraguays ist seit der Unabhängigkeit von 1811 mehrheitlich von Militärdiktaturen und damit von autoritären bis diktatorischen Führern geprägt. Als letzter setzte sich General Alfredo Stroessner an die Spitze des im Herzen Südamerikas liegenden Staates und regierte ihn zwischen 1954 und 1989 trotz demokratischer Verfassung mit diktatorischer Härte. Seit dem Ende der Ära Stroessner kämpft Paraguay neben anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten auch mit der Umsetzung des Demokratisierungsprozesses. Diverse Präsidenten missbrauchten ihr Amt zur persönlichen Bereicherung anstatt grundlegende Probleme des Landes ernsthaft anzupacken. Hohe Militärs und die aus dem Machtbereich Stroessners hervorgegangene Elite der Colorado Partei stehen als wichtigste Mitspieler oder Kontrahenten für oder gegen den Präsidenten und lähmen den Fortschritt des Demokratisierungsprozesses durch ihre persönlichen Machtansprüche.
In dieser Proseminararbeit sollen wichtige Faktoren auf dem Weg zur Demokratie von Paraguay herausgeschält und eine Bestandesaufnahme des gesamten Demokratisierungsprozesses gemacht werden. Es wird dabei auf die politische Entwicklung und im speziellen auf die Präsidenten der Republik eingegangen, welche die Entwicklung des Landes durch ihre Macht entscheidend geprägt haben. Dazu wird die Periode seit dem Fall von General Stroessner 1989 bis zum heutigen Präsidenten Paraguays, Nicanor Duarte Frutos anfangs 2006 betrachtet.
Disposition
1 Prolog
1.1 Eingrenzung des Phänomens
1.2 Fragestellung
1.3 Entdeckungs- und Verwertungszusammenhang
1.4 Forschungsstand
1.5 Formulierung und Spezifizierung der Hypothese
2 Fakten
2.1 General Alfredo Stroessner und sein politisches Ende
2.2 General Andrés Rodriguez
2.3 Wahlrechtsreform und neue Verfassung
2.4 Die politischen Parteien
2.4.1 Asociación Nacional Republicana - Partido Colorado
2.4.2 Partido Liberal Radical Autentico – los azules
2.4.3 Partido Encuentro Nacional
2.5 Die Präsidenten der Republik Paraguay und Lino Oviedo
2.5.1 Juan Carlos Wasmosy 1993
2.5.2 General Lino Oviedo
2.5.3 Raúl Cubas Grau 1998
2.5.4 Luis Gonzáles Macchi 1999
2.5.5 Nicanor Duarte Frutos
2.6 Paraguay heute
3 Konklusion
4 Epilog
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Prolog
1.1 Eingrenzung des Phänomens
Die Geschichte Paraguays ist seit der Unabhängigkeit von 1811 mehrheitlich von Militärdiktaturen und damit von autoritären bis diktatorischen Führern geprägt. Als letzter setzte sich General Alfredo Stroessner an die Spitze des im Herzen Südamerikas liegenden Staates und regierte ihn zwischen 1954 und 1989 trotz demokratischer Verfassung mit diktatorischer Härte. Seit dem Ende der Ära Stroessner kämpft Paraguay neben anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten auch mit der Umsetzung des Demokratisierungsprozesses. Diverse Präsidenten missbrauchten ihr Amt zur persönlichen Bereicherung anstatt grundlegende Probleme des Landes ernsthaft anzupacken. Hohe Militärs und die aus dem Machtbereich Stroessners hervorgegangene Elite der Colorado Partei stehen als wichtigste Mitspieler oder Kontrahenten für oder gegen den Präsidenten und lähmen den Fortschritt des Demokratisierungsprozesses durch ihre persönlichen Machtansprüche.
In dieser Proseminararbeit sollen wichtige Faktoren auf dem Weg zur Demokratie von Paraguay herausgeschält und eine Bestandesaufnahme des gesamten Demokratisierungsprozesses gemacht werden. Es wird dabei auf die politische Entwicklung und im speziellen auf die Präsidenten der Republik eingegangen, welche die Entwicklung des Landes durch ihre Macht entscheidend geprägt haben. Dazu wird die Periode seit dem Fall von General Stroessner 1989 bis zum heutigen Präsidenten Paraguays, Nicanor Duarte Frutos anfangs 2006 betrachtet.
1.2 Fragestellung
Welche Faktoren beeinflussen den Demokratisierungsprozess in Paraguay nach der Ära Stroessner?
1.3 Entdeckungs- und Verwertungszusammenhang
Ich bin seit 1996 immer wieder nach Südamerika und im Speziellen nach Paraguay gereist und habe ein knappes Jahr auch dort auf einer Farm gearbeitet. Mittlerweile bin ich mit einer Paraguayanerin verheiratet und erlebe die Probleme des Demokratisierungs-prozesses, das teilweise soziale Elend und die andauernde Wirtschaftskrise immer wieder sehr nah und eindrücklich mit. Die Zusammenhänge der politischen Situation und des Lebens in Paraguay interessieren und beschäftigen mich. Teilweise habe ich den Eindruck, dass in unseren Breitengraden das Interesse an Südamerika eher bescheiden ausfällt oder sich vor allem auf Fussball beschränkt. Durch diese Studie will ich meine persönlichen Kenntnisse vertiefen und mir eine Grundlage schaffen die politische und soziale Situation in Paraguay besser zu verstehen.
1.4 Forschungsstand
In den ersten Jahren nach der Absetzung Stroessners fand der Demokratisierungsprozess grosse internationale Resonanz. Da sich ganz Südamerika im Umbruch befand, erschienen diverse Studien und Artikel zum Thema. Auch zur Verfassungsdiskussion Anfangs der neunziger Jahre gibt es fundierte Analysen von Fachspezialisten. Für die Zeit nach 1995 sind die Informationen spärlicher, und ich stütze diese Proseminararbeit ab diesem Zeitraum mehrheitlich auf Zeitungsartikel aus der Neuen Zürcher Zeitung und auf Quellen aus dem Internet ab.
1.5 Formulierung und Spezifierung von Hypothesen
Demokratie ist ein Lernprozess der Bevölkerung, der sich kaum auf einen Schlag implementieren lässt. Demokratie ist ein Reifeprozess auf der Zeitachse. Der schnelle Wechsel von der Diktatur zur Demokratie hat in Paraguay Spuren hinterlassen. Seit der Absetzung Stroessners haben bereits einige Präsidenten versucht, das Land sozial, wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren. Trotzdem ist es zu unzähligen Skandalen, Mordanschlägen und Putschversuchen gekommen. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist arm.
Hypothese:
Je schneller die faktische Umsetzung des politischen Systemwechsels, desto länger dauert die Konsolidierungsphase für die politische Stabilität mit direkter Konsequenz für die soziale Sicherheit der Bevölkerung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Fakten
2.1 General Alfredo Stroessner und sein politisches Ende
Am 2. Februar 1989 kurz vor 22 Uhr verliessen die Panzer des 1. Armee Korps unter dem Kommando von General Rodriguez ihre Kasernen in den Vororten von Asuncion und nahmen Kurs auf das Zentrum der Hauptstadt. Der Putsch war kurz, gut geplant und ebenso gut ausgeführt. Nur das präsidiale Eskortenregiment leistete kurzen, hoffnungslosen Widerstand. Schon am nächsten Morgen erklärte General Rodriguez, einst ein treuer Mitstreiter des Diktators, die bestehende Regierung für abgesetzt und sich selbst zum Interimspräsidenten.
Die Absetzung Stroessners versetzte das Land in einen kollektiven Schock. 34 Jahre lang hatte dieser mit eiserner Hand regiert und sich dabei selbst zum Status Symbol gemacht. Sein Bild zierte Briefmarken, Geldnoten, Schulen und öffentliche Gebäude. Ein Flugplatz, eine Polka, unzählige Plätze und Strassen trugen seinen Namen und das heutige Ciudad del Este hiess bis dato Puerto Presidente Stroessner. 75 % der Bevölkerung kannten kein anderes System als das “stronato“ (Spanisch; Bezeichnung des Regierungsstils von Stroessner). Alfredo Stroessner, Sohn eines bayrischen Einwanderers und einer Paraguayanerin, verstand es wie kein anderer, die Elite des Landes zu vereinen. Mit einer Reihe strategischer Allianzen vereinte er seine Partei, die Armee und die Wirtschaftsspitze des Landes hinter sich und schaffte es gleichzeitig, mögliche Opposition mit einer Reihe von Kontrollmechanismen auszuschalten und die Zivilgesellschaft zu seinen Gunsten zu schwächen. Er war Staatspräsident, Kommandant der Streitkräfte und Ehrenpräsident der Colorado Partei.
Der Staatsstreich von General Rodriguez brachte zwar ein Ende des direkten Einflusses durch Stroessner auf Paraguay und eine demokratische Öffnung für ein Land ohne demokratische Erfahrung, aber es war von Anfang an klar, dass das politische, juristische, kulturelle und psychologische Erbe des “stronato“ den Demokratisierungsprozess von Paraguay noch lange beeinflussen sollte.[1]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Diktatoren unter sich: Alfredo Stroessner mit Chiles Diktator Pinochet während einer Militärparade in Asuncion.[2]
2.2 General Andres Rodriguez
Der Putsch gegen Stroessner wurde von seinem eigenen Schwiegersohn durchgeführt, der einer innerparteilichen Säuberungswelle durch eine Gruppe von fanatischen Stroessner-Anhängern um dessen Sohn Gustavo zuvorkam. Bezeichnend für den Umsturz in Paraguay ist, dass die Opposition sowie das Volk vom Putsch überrascht wurden. Die Opposition wies einen ungenügenden Organisationsgrad aus, der es ihr verunmöglichte aus einer starken Position heraus mit der Regierung zu verhandeln.[3] General Andres Rodriguez gehörte während der Diktatur zu den grössten Profiteuren des Systems. Er war hochgradig korrupt und hatte eine Schlüsselrolle in der Verwicklung der Armee in Schmuggel, Drogenhandel und Geldwäscherei. Er versuchte sein schlechtes Bild in der internationalen Presse zu verbessern, indem er seine politischen Gegner aus der Partei wegen Korruption und Missachtung der Menschenrechte verhaften liess. Es stellte sich schnell heraus wie General Rodriguez mit der Korruption umzugehen gedachte: Sieben Personen wurden wegen Korruption vor Gericht gebracht, alle waren Zivilisten. Den hohen Militärs bot er aussergerichtliche Einigungen und Immunität im Austausch gegen einen Anteil der unterschlagenen Vermögenswerte an. Der Staat hat in keinem der Fälle Geld zurückerhalten!
Am deutlichsten zeigte sich der eingeschlagene Weg von General Rodriguez in der Behandlung von Alfredo Stroessner selbst. Anstatt ihn vor Gericht zu bringen, entliess er ihn am 5. Februar 1989 zusammen mit seiner Familie ins Exil nach Brasilia, die Hauptstadt von Brasilien.[4] Dort lebt er bis heute.
Drei Monate nach dem erfolgreichen Putsch wurde General Andres Rodriguez, in als ’hinreichend frei’ bezeichneten Wahlen, als Staatspräsident bestätigt. Seine Wahl und die gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen wurden nach den Wahlbestimmungen der Ära Stroessner, aber mit freieren Grundbedingungen durchgeführt. Kurz nach seiner Machtübernahme leitete Rodriguez den Reformprozess ein. Liberale Freiheits- und Beteiligungsrechte wurden gewährleistet, die Pressezensur aufgehoben[5], früher verbotene Parteien und Interessenverbände wurden wieder zugelassen und es wurden Reformen auf der formal-rechtlichen Ebene eingeleitet.[6]
2.3 Wahlrechtsreform und neue Verfassung
Paraguay konnte für die geplanten Reformen und eine neue Verfassung nicht auf eine eigene demokratische Tradition zurückgreifen, da eine solche schlichtweg nicht existierte.[7] Der Prozess der Wahlrechtsreform und der verfassungsgebenden Versammlung, welche alle Gesellschaftlich relevanten Gruppen sowie zahlreiche NGO’s (Englisch; Nichtregierungsorganisationen) angehörten, war daher mehr eine Reaktion auf die politische und rechtliche Situation der Diktatur Stroessners, der seine Macht auf einer demokratischen Verfassung aufgebaut hatte. Entsprechend wurde versucht, die Schwachstellen der Verfassung von 1967 und der Kontrast von geschriebenen Recht zur Realität zu korrigieren. Dies betraf vor allem folgende Defizite: Mangelnder Grundrechtsschutz; unausgeglichenes Verhältnis zwischen Exekutive und Parlament; Verflechtung von Staat, Partei und Militär und die Abhängigkeit der Justiz.[8] Im Gegensatz zu anderen Ländern Südamerikas erfolgten die Reformen in Paraguay nicht als radikaler Bruch, sondern als Übergang und Entwicklung, die als konfliktreiche Übertragung von Kompetenzen eines langsam absterbenden autoritären Systems zu einem auflebenden demokratischen Staat charakterisiert wurden.[9] Es gab keinen Pakt zwischen Parteien und Institutionen, der etwa einen Zeitplan oder eine Prioritätenliste für den Übergang festgelegt hätte. Durch den Enthusiasmus, den die Absetzung Stroessners in der Bevölkerung verursachte und den Willen der Elite zu demokratischen Reformen, herrschte in Paraguay Einverständnis darüber, dass mit Hilfe der juristischen Mittel der legalen Ordnung der Diktatur, neue demokratische Institutionen begründet, und die Diktatur überwunden werden kann (“Mit den Regeln der Diktatur, aber um sie zu beenden“[10] ).[11]
1990 wurde das Wahlgesetz geändert. Unabhängige Kandidaten wurden zugelassen und als Hauptneuerung wurden die Parlamentsmandate in einem Proporzwahlsystem vergeben. Ende Mai 1991 kam es erstmals in der Geschichte Paraguays zu direkten Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen.[12] Die verfassungsgebende Versammlung nahm die neue Verfassung am 20. Juni 1992 einstimmig an und setzt diese verzugslos in Kraft. Wenige Tage zuvor wurde für die Übergangsbestimmungen eine Klausel eingebaut, die eine erneute Kandidatur von Rodriguez eindeutig untersagte. Der Übergangspräsident hatte mehrmals beteuert, dass er auf eine Wiederwahl verzichte, doch weigerte er sich zunächst, einen Treue-Eid auf die neue Verfassung abzulegen und schürte damit Gerüchte über einen möglichen präsidialen Staatsstreich.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Das Schema der Verfassung von 1992[13]
Die neue Verfassung Paraguays räumte dem Parlament (Kongress) erstmals Kompetenzen ein, die es zum ernstzunehmenden Gegengewicht der Exekutive (dem Präsidenten) machte. Ausserdem wurde die verfassungsrechtliche Grundlage für eine unabhängige Judikative geschaffen, sowie die Basis für eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit. Ebenfalls zum ersten Mal und ausdrücklich, wurden Regierung und Militär getrennt und Massnahmen getroffen, um dem Einfluss des Militärs auf die Politik entgegenzuwirken. Die Armee wurde erstmals den Staatsgewalten ein- und untergeordnet.[14]
2.4 Die politischen Parteien
Es gibt in Paraguay nur wenige Parteien, die massgeblichen Einfluss auf die nationale Politik haben. Die drei grössten werden hier vorgestellt, weitere Parteien sind im Anhang Abbildung 12 aufgeführt.
2.4.1 Asociación Nacional Republicana - Partido Colorado
Die Colorado Partei (Parteifarbe rot, daher ’Colorado’) wurde 1887 gegründet. Zwischen 1930 und 1940 driftete die Partei von ihrem liberalen Kurs ab und verfolgte eine stark nationalistische Strategie, in der die Staatsintervention zur Umstrukturierung der Gesellschaft im Zentrum stand. Heute ist sie eine populistische Mitte-Rechts Partei mit starker ländlicher Wählerunterstützung. Die Partei ist zentral organisiert, hält aber engen Kontakt zu ihren über das ganze Land verteilten Sektionen, welche unter Stroessner einen Teil der politischen Kontrolle auf die Bevölkerung ausübten. Staatsangestellte – uniformierte wie zivile – repräsentieren nach wie vor die grösste Mitgliedergruppe der Partei. Da die Mitgliedschaft bei den Colorados für viele der Türöffner zu einem sicheren Job und persönlichem Wohlstand ist, bleibt unklar, wie viel echten Support die Partei wirklich geniesst.[15]
In den späten 80er Jahren machten sich innerhalb der Colorado Partei Spaltungstendenzen bemerkbar. Die Frage der Nachfolge von Don Alfredo Stroessner und damit die zukünftige Ausrichtung der Partei wurde zur partei- und machtpolitischen Angelegenheit. Inoffiziellen Quellen zufolge soll einer der Hauptgründe für die wachsende Unzufriedenheit zwischen den ’Militanten’ um Stroessners Sohn Gustavo und den ’Traditionalisten’ um General Andres Rodriguez, die Benachteiligung bei der Verteilung von Gewinnen aus Waffen- und Drogengeschäften gewesen sein.[16]
Gestützt auf die Verflechtung mit dem Präsidenten und dem Militär, waren die Colorados seit 1947 ununterbrochen die regierende Partei. Nach 1989 wurden die unterschiedlichen Tendenzen innerhalb der Colorados noch offensichtlicher. Neben extremen Rechten und den ’Militanten’, die nach dem Putsch aus der Parteiführung gedrängt wurden, umfasste das Spektrum neben sehr konservativen Gruppen auch reformwillige, gemässigte Kräfte, die aus dem Widerstand oder dem Exil kommende Gegner der Administration Stroessner waren.[17]
2.4.2 Partido Liberal Radical Autentico – los azules
Formell gegründet 1977, ist die PLRA die eigentliche liberale Partei Paraguays, welche wie die Colorados 1887 gegründet wurde. Die Anführer der Partido Liberal (PL) wurden nach der Machtübernahme Stroessners des Landes verwiesen. Eine Splitterfraktion unter dem Namen Partido Liberal Radical (PLR) erklärte sich zur Unterstützung Stroessners bereit, bis dieser 1977 die Verfassung zugunsten seiner ständigen Wiederwahl abänderte. Die Parteiführung verliess die PLR und gründete die PLRA, los azules – die Blauen, benannt nach ihrer Parteifarbe. Daraufhin wurde die neue Partei verboten und blieb es bis im März 1989.
Obwohl die PLRA klassische Elemente einer liberalen Doktrin aufweist, kann sie eher als mitte-links Partei beschrieben werden, da sie auf den in den 90ern populären neo-liberalen Stil verzichtete. Auch die Liberalen decken ein grosses Spektrum politischer Ideen ab. Zum Teil klassisch liberal, kann die grösste innerparteiliche Gruppe als der Sozialdemokratie nahe stehend bezeichnet werden. Stark verankert ist der Liberalismus vor allem in den Städten des Landesinnern und den umliegenden Einzugsgebieten. Über regionale Komitees ist die Partei landesweit vertreten, und hat sogar ausländische Ableger in den Nachbarländern.[18] Als zweitstärkste Partei Paraguays ist die Partido Liberal Radical Autentico die einflussreichste Oppositionspartei auf nationaler Ebene.[19]
2.4.3 Partido Encuentro Nacional
Als grösster Herausforderer der alteingesessenen Parteien haben sich verschiedene soziale und politische Bewegungen unter dem Namen ’Constitución para todos’ (Spanisch; Verfassung für alle) bereits am Verfassungsgebungsprozess beteiligt. Vereinigt mit der Gruppe ’Asuncion para todos’ (Spanisch; Asuncion für alle) gewann diese Bewegung überraschenderweise die ersten freien Kommunalwahlen 1991 in der Hauptstadt. Diese Allianz, ebenfalls von einem Teil der Kirche unterstützt, alimentiert sich vornehmlich aus jungen Mitgliedern der städtischen Mittelklasse, Studenten, Gewerkschaften und mit Landwirten. Politisch wird auch sie mitte-links eingestuft und als die ’neuen’ Sozialdemokraten bezeichnet. Nach 1992 ging aus dieser Gruppierung die Partei Encuentro Nacional (Nationale Begegnung) hervor, die mit Aufnahme weiterer kleiner Parteien rasch erstarkte und zur drittstärksten Kraft im Land wurde.[20]
2.5 Die Präsidenten der Republik Paraguay und Lino Oviedo
2.5.1 Juan Carlos Wasmosy 1993
Am 9. Mai 1993 fanden gleichzeitig die Präsidentschafts- und die Parlamentswahlen statt. Die 45 Senatoren und die 80 Abgeordneten des Kongresses (siehe Abbildung 1) wurden nach Proporzsystem und Parteienlisten gewählt.
Da die Wiederwahl von General Rodriguez 1992 verfassungsmässig verboten worden war, entbrannten innerhalb der Colorado Partei heftige Debatten um die möglichen Nachfolgekandidaten. Die Armeespitze und Rodriguez selbst unterstützten dabei die Kandidatur des Ingenieurs und Bauunternehmers Juan Carlos Wasmosy, der während der Diktatur mit Staatsaufträgen ein Vermögen verdient hatte[21] und heute Besitzer der gesamten Autobahninfrastruktur des Landes ist.[22] Wasmosy besass bis dato wenig politischen Einfluss innerhalb der Partei und hatte auch kein Amt inne. Er stand für die Fortsetzung der Allianz mit den Militärs und war den politisch und wirtschaftlich einflussreichen Parteibonzen nahe, die schon Stroessners Rückgrat gebildet hatten.
Sein Gegenspieler aus der Colorado Partei war Luis Maria Argaña, der unter Stroessner Chef des obersten Gerichts des Landes und unter Rodriguez Aussenminister war. Er wollte die Partei entmilitarisieren, ohne die Militärs zu ’entcoloradisieren’, also von der Partei zu entfernen, was ihn für diese untragbar machte.
Im Dezember 1992 gewann Argaña mit 6% Vorsprung die innerparteilichen Wahlen zur Präsidentschaftskandidatur vor Wasmosy. Sofort kursierten hartnäckige Gerüchte eines Militärputsches, die erst auf grossen Druck der US Botschaft wieder nachliessen. Wasmosy scheiterte mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs vor dem parteieigenen Wahlgericht, erreichte aber, dass dieses Wahlgericht in einem ausserordentlichen Parteitag neu gewählt werden musste. Am 4. März 1993 bestätigte das neue Colorado Parteigericht – unter Ausschluss einiger Vertreter der Seite von Luis Maria Argaña – den Sieg der Präsidentschaftskandidatur von Juan Carlos Wasmosy.[23] Dieser Konflikt innerhalb der Colorados hatte beträchtliche Auswirkungen auf die spätere Regierungszeit von Wasmosy, da ein Teil der Partei ihm jegliche Unterstützung versagte.[24]
[...]
[1] Lambert, Peter & Nickson, Andrew; 1997; 4
[2] www.alfredo-stroessner.de (30. Januar 2005)
[3] Balmelli, Carlos Mateo; 1992; 97
[4] Lambert, Peter & Nickson, Andrew; 1997; 33
[5] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 14
[6] Sotterli, Susanna; 1996; 221
[7] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 18
[8] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 60
[9] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 16
[10] Zitat: José Luis Simón in: Balmelli, Carlos Mateo; 1992; 98
[11] Balmelli, Carlos Mateo; 1992; 98
[12] Sotterli, Susanna; 1996; 221
[13] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 88
[14] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 100
[15] Lambert, Peter & Nickson, Andrew; 1997; 50
[16] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 64
[17] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 73
[18] Lambert, Peter & Nickson, Andrew; 1997; 51
[19] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 76
[20] Schoeller-Schletter, Anja; 2001; 80
[21] Rodos, Raul Quinones; 1993; 36
[22] Interview Montserrat Rojas, 28. Dezember 2005
[23] Lambert, Peter & Nickson, Andrew; 1997; 56
[24] Sotterli, Susanna; 1996; 222
- Citar trabajo
- Marc Gugelmann (Autor), 2006, Welche Faktoren beeinflussen den Demokratisierungsprozess in Paraguay nach der Ära Stroessner?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83538
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