Warum Chiles politische Linksentwicklung Anfang der 70er Jahre von den Amerikanern besonders kritisch beäugt wurde und welche Konsequenz diese Tendenz weltpolitisch nach sich zog, soll in der vorliegenden Arbeit ansatzweise beantwortet werden. Handelte es sich lediglich um die häufig propagierte Sorge Washingtons die Etablierung eines zweiten Kubas könne bereits als Beweis für die Domino-Theorie auf amerikanischem Kontinent gelten? Oder befürchtete die Nixon Administration im Rahmen des Kalten Krieges das Experiment der demokratisch gewählten Regierung Allendes – ein friedlicher Weg zum Sozialismus – könne gar zum Erfolg führen und somit eine falsche Signalwirkung für ausstehende Wahlen in Europa haben? Für letztere Annahme würde Kissingers klare Aussage sprechen, in der er die Bedeutungslosigkeit des südamerikanischen Kontinents betont:
“You come here speaking of Latin America, but this is not important. Nothing important can come from the South. History has never been produced in the South. The axis of history starts in Moscow, goes to Bonn, crosses over to Washington, and then goes to Tokyo.”
Vielmehr bereitete den USA die Entwicklung des Eurokommunismus, besonders des italienischen Kommunismus, starkes Kopfzerbrechen, war doch ein etwaiger Erfolg der kommunistischen Partei durch ihre Abkehr vom Moskauer Diktat und durch ein eigenständiges, reformiertes Konzept nun nicht mehr völlig auszuschließen. Zwar verfolgte Nixon vorgeblich eine Politik der Détente, dennoch durfte im Nullsummenspiel des Kalten Krieges der eigene Einfluss in Westeuropa nicht geschmälert werden. Der außen- und sicherheitspolitischer Berater sowie späterer Außenminister Henry Kissinger stand als Vertreter der Realpolitik einer sozialistisch-kommunistischen Ausbreitung in Südamerika besonders skeptisch gegenüber, was sich in seinem vehementen Engagement in der Angelegenheit Chile widerspiegelte.
Um die Ereignisse vor und während der Regierung Allendes bis hin zu dessen Sturz einordnen und bewerten zu können, erscheint es mir sinnvoll den Weg bis zum tatsächlichen Amtsantritt Allendes zu untersuchen, die Politik der Unidad Popular und die Reaktion Washingtons darauf zu analysieren sowie die Position Kissingers als Vertreter der Realpolitik näher zu beleuchten.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der steinige Weg bis zum Amtsantritt Allendes – das Interesse der USA
3. Die Regierung der Unidad Popular: Innenpolitische Probleme – U.S. amerikanische Konsequenzen
4. Kissingers Politikverständnis des Realismus
5. Eurokommunismus
6. Schlussbetrachtung
7. Bibliographie
1. Einleitung
„I don't see why we need to stand by and watch a country go communist due to the irresponsibility of its own people. The issues are much too important for the Chilean voters to be left to decide for themselves.”[1]
Diese häufig zitierte Aussage Henry Kissingers in Bezug auf den sich abzeichnenden Wahlsieg des chilenischen Präsidentschaftskandidaten Salvador Allende 1970 ist bezeichnend für die U.S.-Außenpolitik unter Nixon.
Bereits 1958 und 1964 war der chilenische Arzt Salvador Allende von seiner Partei, der Unidad Popular, als Präsidentschaftskandidat aufgestellt worden, unterlag beide Male jedoch knapp. So wurde in den 1960er Jahren Chile zunächst vom Konservativen Jorge Alessandri (1958-1964) und danach vom Christdemokraten Eduardo Frei (1964-1970) regiert. In jener Zeit genossen die USA großen wirtschaftlichen Einfluss z.B. im Hinblick auf die von U.S. Corporation kontrollierten Kupferminen, die für immense Profite sorgten.[2]
Warum Chiles politische Linksentwicklung Anfang der 70er Jahre von den Amerikanern besonders kritisch beäugt wurde und welche Konsequenz diese Tendenz weltpolitisch nach sich zog, soll in der vorliegenden Arbeit ansatzweise beantwortet werden. Handelte es sich lediglich um die häufig propagierte Sorge Washingtons die Etablierung eines zweiten Kubas könne bereits als Beweis für die Domino-Theorie auf amerikanischem Kontinent gelten? Oder befürchtete die Nixon Administration im Rahmen des Kalten Krieges das Experiment der demokratisch gewählten Regierung Allendes – ein friedlicher Weg zum Sozialismus – könne gar zum Erfolg führen und somit eine falsche Signalwirkung für ausstehende Wahlen in Europa haben? Für letztere Annahme würde Kissingers klare Aussage sprechen, in der er die Bedeutungslosigkeit des südamerikanischen Kontinents betont:
“You come here speaking of Latin America, but this is not important. Nothing important can come from the South. History has never been produced in the South. The axis of history starts in Moscow, goes to Bonn, crosses over to Washington, and then goes to Tokyo.”[3]
Vielmehr bereitete den USA die Entwicklung des Eurokommunismus, besonders des italienischen Kommunismus, starkes Kopfzerbrechen, war doch ein etwaiger Erfolg der kommunistischen Partei durch ihre Abkehr vom Moskauer Diktat und durch ein eigenständiges, reformiertes Konzept nun nicht mehr völlig auszuschließen. Zwar verfolgte Nixon vorgeblich eine Politik der Détente, dennoch durfte im Nullsummenspiel des Kalten Krieges der eigene Einfluss in Westeuropa nicht geschmälert werden. Der außen- und sicherheitspolitischer Berater sowie späterer Außenminister Henry Kissinger stand als Vertreter der Realpolitik einer sozialistisch-kommunistischen Ausbreitung in Südamerika besonders skeptisch gegenüber, was sich in seinem vehementen Engagement in der Angelegenheit Chile widerspiegelte.
Um die Ereignisse vor und während der Regierung Allendes bis hin zu dessen Sturz einordnen und bewerten zu können, erscheint es mir sinnvoll den Weg bis zum tatsächlichen Amtsantritt Allendes zu untersuchen, die Politik der Unidad Popular und die Reaktion Washingtons darauf zu analysieren sowie die Position Kissingers als Vertreter der Realpolitik näher zu beleuchten.
2. Der steinige Weg bis zum Amtsantritt Allendes – das Interesse der USA
Mit der Machtergreifung Fidel Castros in Kuba 1959, der gescheiterten Schweinebuchtinvasion 1962 und dem bis 1975 anhaltenden Vietnamkrieg befand sich die Welt Mitte des 20. Jahrhunderts international in einer heißen Phase des Kalten Krieges. Es war ein Kräftemessen zwischen der UdSSR und der USA; Ziel war es die eigene Vormachtstellung in der Welt zu sichern.
Chile hatte bis dato eine eher untergeordnete Position im Spiel der beiden Großmächte eingenommen, obgleich die USA bereits während der Amtszeit Alessandris (1958-1964) und Freis (1964-1970) ihren Wirtschaftseinfluss in Chile geltend machen konnten und Allendes Kontrahenten im Wahlkampf finanziell unterstütze, um eine sozialistische Regierung zu verhindern.[4]
Bis zum Putsch Pinochets gilt Chile in der Literatur als eine der stabilsten Demokratien Südamerikas, da Chiles jeweilige Regierungen im Gegensatz zu ihren Nachbarstaaten stets über einen loyalen Militärapparat verfügen konnten.[5] Genau dies war nun der entscheidende Dreh- und Angelpunkt, an dem die U.S. Regierung ansetzte. Da Salvador Allende 1970 zwar nur mit knapper Mehrheit aber dennoch die Wahl gewonnen hatte, musste er – nach chilenischem Gesetz – vom Kongress bestätigt werden. Um die Abgeordneten nun moralisch und pekuniär unter Druck zu setzen, den zweitplatzierten Konservativen Jorge Alessandri an Stelle Allendes zum Präsidenten zu ernennen, sollten amerikanische Bestechungsgelder verwendet werden.[6] Dieses Vorhaben scheiterte kläglich, obwohl Alessandri den Christdemokraten, deren Entscheid ausschlaggebend war, einen bizarren Vorschlag unterbreitete: Sollte er bestätigt werden, so wolle er kurz darauf zurücktreten und Neuwahlen ausrufen lassen. Dies hätte dem Christdemokraten und scheidenden Präsidenten Eduardo Frei erneut die Möglichkeit gegeben zu kandidieren, da dies nach geltendem Recht nicht unter eine konsekutive Amtsperiode fallen würde.[7] Die Christdemokraten ließen sich jedoch nicht auf diesen Kuhhandel ein und auch Eduardo Frei lehnte den Vorschlag ab. Somit blieb den Gegnern Allendes lediglich eine letzte Möglichkeit das nahende Unheil einer demokratisch gewählten, sozialistischen Regierung abzuwenden: Man musste noch vor Allendes Amtsantritt einen Militärputsch initiieren. Was die konservativen Kräfte in Chile sowie in den USA am meisten fürchteten, war die Verwandlung der chilenischen Demokratie in eine Diktatur des Proletariats unter Allendes Führung. Die Verstaatlichung von Privatunternehmen würde zwangsläufig den amerikanischen Einfluss schmälern und die gesamte kapitalistisch orientierte Wirtschaft ruinieren.[8]
Kissinger verlangte vor der bevorstehenden Amtseinsetzung Allendes eine konkrete Einschätzung bezüglich eines erfolgreichen Militärputsches, woraufhin U.S. Botschafter in Chile Edward Korry zu bedenken gab:
„Opportunities for further significant U.S. government action with the Chilean military are nonexistent. Chile’s armed forces [are] in their current and customary state of flabby irresolution.[9] There is no reason to believe that the Chilean armed forces will unleash a civil war or that any other intervening miracle will undo his victory.”[10]
Bei einer Besprechung zwischen Nixon, Kissinger sowie CIA Chef Helms machte der Präsident aus seinem Standpunkt keinen Hehl, dass nämlich ein sozialistischer Regierungswechsels in Chile unter allen Umständen vereitelt werden müsse. Die Notizen Helms sprechen für sich:
„Not concerned risks involved. No involvement of embassy. $10,000,000 available, more if necessary. Full-time job – best men we have. ... Make the economy scream. 48 hours for plan of action.”[11]
Später würde Henry Kissinger den hochgeheimen – heute auch als Track II[12] bekannten – Plan gegenüber Helms herunterspielen: “You should not have paid such close attention to Nixon. He sometimes doesn’t mean to be taken seriously.“[13] Wahrscheinlich wäre in diesem Zusammenhang auch dann folgende Äußerung Nixons als bedeutungsloses Gerede zu interpretieren:
“I will never agree with the policy of downgrading the military in Latin America. They are the power centers subject to our influence. The others (intellectuals) are not subject to our influence.”[14]
[...]
[1] Henry Kissinger, June 27, 1970 zitiert u.a. in http://web.mit.edu/hemisphere/events/kissinger-chile.shtml, Stand: 20. Juli 2007
[2] Vgl. Seymour Hersh S. 259
[3] Kissinger 1969 zu Chiles Außenminister Valdés während eines Besuchs in Washington; zitiert in: Seymour Hersh S.263
[4] Vgl. z.B. Walter Isaacson S.286 sowie das National Security Archive www.nsarchive.org, Stand 20.7.2007
[5] Vgl. z.B. Mario Puelma S. 7
[6] Vgl. z.B. Walter Isaacson S. 286 ff.
[7] Vgl. z.B. Mario Puelma S. 9 ff.
[8] Vgl. Walter Isaacson S.289. (ITT, Pepsi-Cola und die Chase Manhatten Bank bangten bei dem sich abzeichnenden Regierungswechsel um ihre Geschäfte in Chile. Vgl. Christopher Hitchens S. 94)
[9] Zitiert in: Walter Isaacson S.288
[10] Zitiert in: Seymour Hersh S.269
[11] Ebd. S.290
[12] Im Gegensatz zum offiziellen „Track I“ – der finanziellen „Überzeugungsarbeit“ im chilenischen Kongress – wurde „Track II“ unter Ausschluss des State Department, des Botschafters Korry sowie des „Komitee der 40“, die über eine Lösung des „Chileproblems“ berieten, eingefädelt.
[13] Zitiert in: Walter Isaacson S.291
[14] Nixon on “military” at the US national security council 1970; zitiert in: Jonathan Haslam S.43f.
- Quote paper
- Julia Koehler (Author), 2007, Die USA und Chile - Kissinger und der amerikanische Einfluss auf die Politik Allendes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83416
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