In dieser Zwischenprüfungsarbeit (Philosophie - Humboldt Universität zu Berlin) wird Sören Kierkegaards radikale und zerschmetternde Kritik an der System-Philosophie Hegels dargestellt.
Kiergekaards Position - zwischen Philosophie und Theologie - wird dabei berücksichtigt.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Verhältnis Kierkegaards zu Hegel
3. Hegels Systemtheorie
4. Kierkegaards Antwort: Philosophische Brocken
4.1 Sören Kierkegaard alias Johannes Climacus
4.2. Mäeutik versus Begriffsdialektik
4.3. Gott als sokratischer Lehrer
4.4. „Angriff“ auf Hegels Synthese der Gegensätze
4.5. Das Historische oder das Ewige
4.6. Hegels Skepsis oder Kierkegaards Innerlichkeit
4.7. Antike Philosophie kontra Spekulation
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
„Was die Philosophen über die Wirklichkeit sagen, ist oft ebenso irreführend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: Wäschemangel. Würde man mit seiner Wäsche kommen, um sie mangeln zu lassen, so wäre man angeführt; denn das Schild steht dort nur zum Verkauf.“ (Kierkegaard, Entweder Oder[1] )
1. Einleitung
Die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels war nach Einschätzung vieler Philosophen die einflußreichste im 19. Jahrhundert. Auf den jungen dänischen Philosophen Sören Kierkegaard übte sie eine starke Anziehungskraft und Faszination aus. Kierkegaard studierte Hegels Schriften zunächst nicht im Original, sondern hat sie „durch seine theologischen Lehrer an der Universität Kopenhagen vermittelt bekommen“.[2] Zunächst war er stark von ihm beeindruckt, doch wendete er sich von ihm ab und entwickelte eine eigene auf Ästhetik, Ethik und Religion zielende Philosophie. Er hat Hegel zeit seines Lebens dafür kritisiert, dass seine Philosophie nichts mit der empirischen Wirklichkeit oder Existenz des Menschen zu tun habe.
In dieser Arbeit werde ich die Kritik Kierkegaards an der Philosophie Hegels in den Philosophischen Brocken[3] herauskristallisieren. Da des Thema sehr umfangreich ist, handelt es sich hierbei um eine skizzenhafte Darstellung der Grundgedanken Kierkegaards.
Zunächst soll auf das Verhältnis der beiden Philosophen eingegangen werden, was auch den philosophiegeschichtlichen Kontext einschließt. Dem folgt eine Darstellung der wesentlichen Grundzüge von Hegels Systemtheorie, auf die Kierkegaard in den Philosophischen Brocken rekurriert. In der Analyse der Kritik an Hegel werden die Wahl des Titels und des anonymen Verfassers Johannes Climacus erläutert. In den Philosophischen Brocken führt Kierkegaard Sokrates und Jesus Christus als Lehrer an, zu denen ein Bezug zu Hegel hergestellt wird. Diese Analyse umfasst auch die unterschiedliche Auffassung des Paradoxes beider Philosophen. Es soll unter anderem aufgezeigt werden, wie Kierkegaard Hegels Begriffe von Logik und Dialektik aufgreift und sie durch seine Konzeption des Glaubens in die menschliche Existenzform integriert.
Ein weiteres Thema ist die differierende Auffassung von „Wissen“ bei Kierkegaard und Hegel. Dies umfasst auch die Vorstellung Gottes bei Kierkegaard beziehungsweise des Absoluten bei Hegel sowie ihr jeweiliges Verständnis des Historischen. Wesentlich ist auch das Argument Kierkegaards gegen Hegels Skepsis durch Einführung des Begriffs der Freiheit, das abschließend behandelt wird.
Eine relevante Fragestellung, die im Fazit der Arbeit geklärt werden soll, ist die nach dem Einfluss Hegels auf die Philosophie Kierkegaards. Die dabei zu verifizierende These ist, dass Kierkegaards Philosophie trotz der Kritik an Hegel ohne sie letztendlich nicht existieren kann.
2. Das Verhältnis Kierkegaards zu Hegel
Für ein fundiertes Verständnis der Kritik Kierkegaards an Hegel ist es notwendig, das Verhältnis Kierkegaards zu Hegel genauer zu betrachten.
Das scheint nicht ausschließlich negativ zu sein, denn neben den Offensiven finden sich auch positive Aussagen über Hegel, was aber eine klare Positionierung Hegel gegenüber erschwert. So schreibt der Ästhetiker in Kierkegaards Entweder Oder, welcher einer der beiden Hauptprotagonisten des Werkes ist:
„Es ist überhaupt hinsichtlich der Hegelischen Philosophie eine traurige Wahrheit, daß sie, weder für die Vergangenheit noch für die Gegenwart, keineswegs die Bedeutung erlangt hat, die sie erlangt haben würde, wenn die Vergangenheit es nicht so eilig damit gehabt hätte, die Menschen in sie hineinzuscheuchen, sondern hingegen etwas mehr präsentische Ruhe bei ihrer Aneignung, die Gegenwart nicht so unermüdlich gewirkt hätte, um die Menschen über sie hinaus zu hetzen.“[4]
Zu mehr Transparenz im Verhältnis beider Philosophen zueinander kann eine Annäherung vom philosophiegeschichtlichen Ansatz her führen. Merold Westphal sieht eine direkte Linie von Hegel zu Kierkegaard, doch nicht in der Hegelschen orthodoxen Tradition, sondern vielmehr als eigenständige Philosophie, die auf der Basis der Kritik an Hegel entsteht.[5] Doch handle es sich nicht lediglich um eine simple Negation der Philosophie Hegels, sondern um einen Prozess, den er als „Aufhebung“ bezeichnet. Wahrscheinlich ist damit gemeint, dass Kierkegaard Hegel eine eigene Philosophie entgegensetzt, die über die Kritik an Hegel hinaus geht und zudem einen anderen Ansatz verfolgt. Man könne ihn daher zwischen Denkern wie Feuerbach und Marx einordnen. Eine eindeutiges Verhältnis Kierkegaards zu Hegel scheint meines Erachtens nur auf der Basis einer Auseinandersetzung mit seinem Werk möglich, wie dies nachfolgend anhand der Philosophischen Brocken geschehen soll.
3. Hegels Systemtheorie
Um einer Analyse der Hegelkritik in den Philosophischen Brocken gerecht zu werden, ist es notwendig, sich die wesentlichen Elemente der Philosophie Hegels zu vergegenwärtigen, auf die sich Kierkegaard in den Philosophischen Brocken bezieht.
Hegel studierte Theologie, doch wendete er sich der Philosophie zu, da er davon ausging, dass sie dasjenige objektiv darzustellen vermag, was in der Theologie nur der Glaube vermitteln kann. Ihm geht es um eine Darstellung der Wahrheit in einem wissenschaftlichen System, in dem Erkenntnis und Wissen organisiert werden sollen. Im Vorwort zur Phänomenologie des Geistes erklärt er:
„Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme – dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein -, ist es, was ich mir vorgesetzt.“[6]
Das Wahre könne sich nur in diesem System realisieren.[7] Hegel geht von einer absoluten, sich dialektisch entfaltenden Idee der Erkenntnis aus. Diese Systematik umfasst die Wissenschaft der Logik, die Naturphilosophie und die Philosophie des Geistes nach einer dialektischen Methode, welche einer spekulativen Grundfigur folgt.[8] Hegel zufolge zielt die Wahrheit auf das Absolute, welches bei ihm die Idee oder auch der absolute Geist ist.
Das 20-bändige Projekt Hegels einer spekulativen Wissenschaft erscheint aus einer äußeren Perspektive monumental und in sich kohärent. Was vermag Kierkegaard dem entgegenzusetzen? Ist es etwa sein Anliegen, dieses System zum Einsturz zu bringen?
4. Kierkegaards Antwort: Philosophische Brocken
Im Vergleich zu Hegel handelt es sich bei Kierkegaard um ein Werk geringeren Umfangs, das nicht auf der Basis einer Systematik entstand. Im Jahre 1844 erscheint unter dem Kierkegaards Philosophiske Smuler – den dänischen Originaltitel könnte man mit Philosophischen Brocken oder ein Bißchen Philosophie übersetzen. Kierkegaard veröffentlicht unter dem Pseudonym Johannes Climacus, sich selbst gibt er als Herausgeber an. Die Philosophischen Brocken sind in fünf Kapitel unterteilt, denen ein Vorwor t und eine Propositio vorangestellt sind. Zwischen Kapitel II und III ist eine Beilage eingefügt und dem Kapitel IV und V eine Zwischenspiel und eine weitere Beilage. Dem Kapitel V schließt sich eine Schlußbetrachtung an, die Kierkegaard alias Johannes Climacus Die Moral betitelt.
In der ungefähr hundert Seiten umfassenden Schrift macht er sich Gedanken über die menschliche Existenz und den Übergang in eine religiösere Lebensform.
Der Bezug zu Hegel ist oft direkter, manchmal aber auch latenter Art. Eindeutig hingegen ist die Rekurrenz auf Hegel durch den Titel Philosophische Brocken oder ein Bißchen Philosophie. Ein Hinweis auf die Wahl dieser Bezeichnung findet sich in dem Vorwort von Kierkegaards Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken[9] von Johannes Climacus, die 1846 erschienen ist. Dem Vorwort ist ein Zitat aus Platons Hippias Major vorangestellt: „Aber, mein Sokrates, was ist denn nun alle diese deine Weisheit, wenn du dir´s recht überlegst? Nichts als Brocken und Splitter von Reden, zerstückelte Teilchen, wie ich sie eben erst nannte.“[10]
Diese Aussage, dass die Weisheit lediglich als Brocken und in Splittern darstellbar sei, enthält immanent einen Affront auf Hegels Philosophisches System. Kierkegaard setzt sich somit durch die Wahl des Titels Philosophische Brocken oder Ein Bißchen Philosophie in Opposition zu Hegel. Daran wird Kierkegaards Auffassung von Philosophie deutlich, die darin besteht, dass das vollständige Wissen über die „Wahrheit“ sich einer systematischen Darstellung entzieht. In logischer Konsequenz daraus verwirft Kierkegaard die Idee eines Systems der Wahrheit, daher wäre jede Darstellung einer Erkenntnis in einem systematischen Zusammenhang unzulänglich.
Es ist eine gewisse Ironie darin enthalten, in dem Jahrhundert, das durch die Philosophie Hegels und seinem Systementwurf maßgeblich beeinflusst wurde, dem Anspruch auf Wahrheit mittels „Brocken“ oder „Häppchen“ gerecht werden zu wollen. Eine solche Argumentation scheint mutig und risikoreich, womit sich Kierkegaard zur „philosophischen Inkongruenz“ oder zum „Bruch“ mit der Hegelschen Tradition bekennt. Hegels System, das durch seine Struktur und inneren Bezüge wie eine Art Holismus erscheint, wird dadurch in Frage gestellt und unterminiert.
Ein weiteres äußeres Kriterium für die Beurteilung der Philosophischen Brocken ist die von Johannes Climacus verwendete Sprache, die sich stark von der Hegels unterscheidet. An vielen Stellen ist der Stil literarisch und voller Metaphern, Allegorien und Redewendungen. Auch durch humorvolle Wendungen wird der philosophische Ernst Hegels konterkariert. Dadurch signalisiert Kierkegaard, dass es möglich ist auf andere Weise als mit Ernst und verbindlichem Anspruch auf Wahrheit zu philosophieren.
4.1 Sören Kierkegaard alias Johannes Climacus
Kierkegaard setzt mit Johannes Climacus als imaginären Verfasser seine Reihe der anonymen Autorenschaft fort. Er gebraucht dieses Pseudonym bereits in der 1842 erschienen autobiographischen Erzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est. Was verfolgt Kierkegaard für ein Ziel der anonymen Autorenschaft?
Es handelt sich um eine Form der indirekten Darstellung, wodurch sich Kierkegaard gewiß von dem Geschriebenen distanziert. Bedeutet das auch, das Kierkegaard nicht die Verantwortung für den Inhalt übernehmen will, was auch die Kritik an Hegel einschließt? Kierkegaard bestreitet nicht der Urheber der Philosophischen Brocken zu sein, sondern zeigt dadurch auf, dass diese Tatsache unerheblich ist. Letztendlich ist der imaginäre Autor Climacus auch Bestandteil des Plans, der den Philosophischen Brocken zugrunde liegt. Eine weitere Absicht Kierkegaards ist, dass dadurch symbolisiert wird, dass die Gedanken und Äußerungen in den Philosophischen Brocken auch von einem anderen stammen könnten, wodurch sie einen universalen Charakter erhalten.
[...]
[1] Kierkegaard, Sören: Entweder Oder. Teil I und II. München 2000.
[2] Pieper, Annemarie: Sören Kierkegaard.. München 2000. S.10.
[3] Ich beziehe mich auf die Ausgabe: Kierkegaard, Sören . Philosophische Brocken oder Ein Bißchen Philosophie. Frankfurt am Main 1984.
[4] Kierkegaard, Sören: Entweder Oder. S. 65.
[5] Vergl. Westphal, Merold: Kierkegaard and Hegel. In: The Cambridge Companion to Kierkegaard. Hrsg. von Alastair Hannay and Gordon D. Marino. Cambridge. 1998. S. 101.
[6] Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke: [ in 20 Bänden]. Bd. 3. Phänomenologie des Geistes. Frankfurt am Main 1986. S. 14.
[7] vergl. ebd. S. 28.
[8] vergl. Schnädelbach, Herbert: Hegel zur Einführung. Hamburg 1999. S. 79.
[9] Kierkegaard, Sören: Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken. Erster Teil. Köln 1988. S. 2.
[10] Vergl.: Platon. Sämtliche Werke in zehn Bänden. Griechisch und Deutsch. Übersetzung: Friedrich Schleiermacher, ergänzt von Franz Susemihl und anderen. Hrsg. von Karlheinz Hülser. Bd III. S. 441.
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