In vorliegender Arbeit werden zwei Beiträge vorgestellt, welche die Rolle der USA als Hegemonialmacht kritisch beurteilen bzw. gänzlich negieren: es handelt sich dabei um „Fear’s Empire“ von Benjamin R. Barber und „Après l’empire“ von Emmanuel Todd. Interessant ist ein Vergleich dieser beiden Beiträge insbesondere darum, weil er die Herangehensweise an den Problemkomplex des vermeintlichen „amerikanischen Imperiums“ aus zwei unterschiedlichen und für die gesamte weltpolitische Diskussion der Gegenwart geradezu sprichwörtlichen Perspektiven zu illustrieren vermag, nämlich einer französischen (und damit zutiefst europäischen) und einer amerikanischen. Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten möglichst deutlich hervorzuheben, wird folgendes Vorgehen gewählt: in einem ersten Schritt werden die Autoren und ihre Werke vorgestellt; sodann folgt ein Vergleich der Argumente, welche die Autoren für die Bestätigung ihrer jeweiligen These vorbringen; schliesslich werden beide Werke bezüglich ihrer inneren Stringenz und Plausibilität kritisch gewürdigt.
Inhalt
1. Einleitung
2. Amerikanische Hegemonie als Chimäre: die französische Perspektive
2.1. Porträt: Emmanuel Todd
2.2. Après l’empire
2.2.1. Bildung und Demographie als Triebfedern einer neuen Weltordnung
2.2.2. Das Scheitern am imperialen Status
2.2.3. Die imperiale Option
2.2.4. Machtzentrum Eurasien
3. Imperium der Angst: eine amerikanische Perspektive
3.1. Porträt: Benjamin R. Barber
3.2. Fear’s Empire
3.2.1. Pax Americana
3.2.2. Lex humana
4. Kritischer Vergleich
4.1. Politische und wirtschaftliche Aspekte
4.2. Weltanschauliche und kulturelle Aspekte
5. Schlussbemerkung
6. Bibliographie
1. Einleitung
Die Stellung der USA im Gefüge der internationalen Politik ist insbesondere seit Amtsantritt der Regierung von Präsident George W. Bush mit grosser Vehemenz erörtert worden und beschäftigt in zunehmendem Masse die Gemüter von Kommentatoren sowohl aus dem journalistischen, wie auch aus dem akademischen Lager, was sich deutlich in einer beinahe schon unüberschaubaren Publikationstätigkeit manifestiert. Nach der insgesamt recht zögerlichen und risiko-aversen Aussenpolitik der Clinton-Ära erscheinen die erstaunlich entschlossen wirkende und von hoher medialer Visibilität geprägte Antwort der US-Regierung auf die Anschläge vom 11. September und die anschliessende Einbezugnahme des Irak als Ziel im Kampf gegen den Terrorismus in der Tat als analysewürdig. Dies umso mehr, als die massiv verstärkte physische Truppenpräsenz der Armee in Zentralasien und am Persischen Golf sowie die von einigen Beobachtern mit Besorgnis wahrgenommenen diplomatischen Machinationen der USA bei der Rechtfertigung einer Intervention im Irak (nicht zuletzt die Vorgänge, welche zum Erlass der UN-Resolution 1441 führten) zu Erklärungsversuchen Anlass gegeben haben, die sich nunmehr in der Beschwörung eines neuen Weltbilds ausdifferenzieren, welches die USA in der Rolle einer imperialen Weltmacht sieht. Die gegenwärtig stattfindende Diskussion beschränkt sich seit Aufkommen dieser Behauptung längst nicht mehr auf die Grenzen der Disziplinen Politikwissenschaft bzw. Internationale Beziehungen, sondern ufert zunehmend aus; insbesondere ist eine merkliche Emotionalisierung der Debatte zu beobachten. Die alten Gräben zwischen Amerikakritikern – auch in den eigenen Reihen – und Amerikabefürwortern tun sich immer weiter auf, was einen sachlichen Diskurs zweifellos erschwert und die Gefahr mit sich bringt, dass die konstituierenden Merkmale der gegenwärtigen Situation der USA im Kontext internationaler Politik zu Gunsten persönlich gefärbter Stimmungsmache vernachlässigt werden.
In vorliegender Arbeit werden nun zwei Beiträge vorgestellt, welche die Rolle der USA als Hegemonialmacht kritisch beurteilen bzw. gänzlich negieren: es handelt sich dabei um „Fear’s Empire“ von Benjamin R. Barber und „Après l’empire“ von Emmanuel Todd. Interessant ist ein Vergleich dieser beiden Beiträge insbesondere darum, weil er die Herangehensweise an den Problemkomplex des vermeintlichen „amerikanischen Imperiums“ aus zwei unterschiedlichen und für die gesamte weltpolitische Diskussion der Gegenwart geradezu sprichwörtlichen Perspektiven zu illustrieren vermag, nämlich einer französischen (und damit zutiefst europäischen) und einer amerikanischen. Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten möglichst deutlich hervorzuheben, wird folgendes Vorgehen gewählt: in einem ersten Schritt werden die Autoren und ihre Werke vorgestellt; sodann folgt ein Vergleich der Argumente, welche die Autoren für die Bestätigung ihrer jeweiligen These vorbringen; schliesslich werden beide Werke bezüglich ihrer inneren Stringenz und Plausibilität kritisch gewürdigt.
2. Amerikanische Hegemonie als Chimäre: die französische Perspektive
2.1. Porträt: Emmanuel Todd
Emmanuel Todd, Jahrgang 1951, studierte am Institut d’Etudes Politiques de Paris Geschichte und Anthropologie und promovierte als Historiker in Cambridge. Mit seiner 1976 formulierten kühnen Prognose des Zerfalls der Sowjetunion, „La chute finale“, den er v.a. mit der zunehmenden Kindersterblichkeit im Land begründete, gelang ihm 15 Jahre später eine Sensation. Bereits hier zeigt sich die für Todd charakteristische Vorliebe für demographische Daten, die, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, auch in „Après l’empire“ von herausragender Bedeutung sind. Ab 1977 schrieb Todd als Literaturkritiker für „Le Monde“ und wechselte 1984 an das Institut National d’Etudes Démographiques, wo er bis heute tätig ist. Zudem wurde der Autor von so diversen politischen Kreisen wie der Regierung Chirac bzw. den Kommunisten als Wahlkampfhelfer engagiert.
2.2. Après l’empire
In der Einleitung zu „Après l’empire“ formuliert Todd den bedeutungsschweren Satz: „Die Vereinigten Staaten sind auf dem besten Weg, zu einem Problem für die Welt zu werden“ (S. 13), eine Aussage, welche die Grundhaltung des gesamten 2002 erschienenen Buches treffend reflektiert. Es geht von der Prämisse aus, dass die US-amerikanische Hegemonie, welche sich in den Jahren 1950-1990 auf dem Höhepunkt befand, in einem eigentlichen Zerfallsprozess begriffen ist und so gut wie alle ihrer einstigen Stärken eingebüsst hat. Um seine Schwäche zu kaschieren, so Todd, muss Amerika Stellvertreterkriege in entlegenen Winkeln der Welt führen (z.B. in Afghanistan oder Irak), gegen Regimes, die offensichtlich militärisch ineffektiv sind und keine ernsthafte Gefahr für den Weltfrieden darstellen. Im Folgenden soll nun die Argumentationskette im einzelnen dargelegt werden, auf welche Todd zur Formulierung seiner These zurückgreift.
2.2.1. Bildung und Demographie als Triebfedern einer neuen Weltordnung
Nach Ansicht von Todd hat sich die Welt ab Ende des 20. Jahrhunderts in einer Weise verändert, welche die Stellung der USA sukzessive untergräbt; dabei sind insbesondere zwei Phänomene von herausragender Bedeutung. Zum einen scheint die Suche nach der dominanten Staatsform mit dem Triumphzug der Demokratie im Sinne Fukuyamas beendet, was in den USA, einem jahrhundertealten Vorzeigemodell in Sachen Freiheit und Partizipation, zu Existenzängsten führt. Angesichts der „grossen demokratischen Bedrohung“ (S. 65) sieht das Land einerseits sein demokratisches Sendungsbewusstsein obsolet werden und fürchtet anderseits um den Status als Vorbildnation. Als unvermeidbare Konsequenz droht die weltpolitische Isolation. „In dieser Weise überflüssig zu werden, ist einer der beiden grossen Ängste Washingtons und ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der amerikanischen Aussenpolitik“ (Todd, S. 26). Diese Angst wird noch zusätzlich verstärkt, wenn die von Michael Doyle aufgestellte These des „Demokratischen Friedens“ in die Betrachtung miteinbezogen wird. Unter der Voraussetzung einer weltweiten Verbreitung demokratischer Staatsformen würde daraus ein wahrhaftig „ewiger Friede“ resultieren und die militärische Schlagkraft der USA damit bedeutungslos. Das zweite Phänomen, welches seine hegemoniale Stellung unterwandert, ist die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit Amerikas vom Rest der Welt. Todd (S. 30) verweist dabei hauptsächlich auf das wachsende Handelsbilanzdefizit und die steigende Staatsquote, welche nur mit Hilfe von ausländischem Kapital bereinigt werden können.
Insgesamt leitet Todd daraus eine eigenartige Verschiebung in der weltweiten Balance zwischen den unterschiedlichen Staatsformen ab: während die Demokratie ihre Stellung v.a. in ehemals unfreiheitlichen Teilen des Globus festigt, gerät sie an ihrer Geburtsstätte zunehmend unter Druck: „Die Demokratie wird dort stärker, wo sie schwach war, und sie wird schwächer, wo sie stark war“ (S. 32). Das schiere Ausmass der Demokratisierungswelle seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschleiert diesen Trend jedoch wirkungsvoll. Der Niedergang der USA vollzieht sich also weitgehend unbeachtet, aber unaufhaltbar, während sich mit Russland, Europa und Japan bereits die bestimmende Triade der Zukunft ankündigt. Als einzige Lösung bietet sich für Amerika die Demonstration einer vermeintlichen „All-Macht“ (S. 37) an, deren Ausdruck Todd (S. 38) in einem „theatralischen Militarismus“ erkennt. Dieser besteht u.a. in der Erhaltung latenter Konflikte, in der Herausforderung nur unbedeutender und ungefährlicher Staaten und in einer unaufhörlichen Entwicklung neuer Waffensysteme.
Den weltweiten Siegeszug der Demokratie begründet Todd mit zwei ungewöhnlichen Argumenten. Zum einen verweist er auf die zunehmende Alphabetisierungsquote der Weltbevölkerung und deren Einfluss auf die geistige Entwicklung. Ein Grundmass an Bildung ist einerseits notwendige Voraussetzung für die Globalisierung, anderseits erhöht sie auch das Bewusstsein für wirtschaftliche und politische Prozesse, was zu einer geistigen Emanzipation von autoritären Strukturen führt. Zum anderen konstatiert Todd (S. 44 ff.) als direkte Folge der Alphabetisierung eine weltweit abnehmende Geburtenrate, was er als Zeichen eines umfassenden gesellschaftlichen Fortschritts betrachtet. Das Auftreten beider Phänomene zusammen hat für den Autor nun revolutionären Charakter und markiert einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung der betroffenen Kulturen, weil archaische Wertvorstellungen – insbesondere die Religion – zu Gunsten einer wachsenden Individualisierung an Bedeutung verlieren. Aus einer derartigen Zäsur ergeben sich jedoch auch negative Implikationen: „Der Eintritt in die geistige Moderne wird oft von einer Eruption ideologischer Gewalt begleitet“ (S. 49). Diese Eruption der Gewalt interpretiert Todd als letztes Aufflammen reaktionärer und fortschrittsfeindlicher Tendenzen vor dem endgültigen Übertritt in die Moderne; damit erhält der islamische Fundamentalismus eine neuartige Konnotation, die ihn als notwendiges, vorübergehendes Phänomen erscheinen lässt, das den gegenwärtig stattfindenden demographischen Transformationsprozess der muslimischen Länder auf natürliche Weise reflektiert. Der weltweite Terrorismus wird dabei als Mythos entlarvt, den die USA zwecks Selbstinszenierung konstruiert haben, um sich „in einem universellen ‚Kreuzzug’ neu zu definieren“ (S. 63).
2.2.2. Das Scheitern am imperialen Status
Das zentrale Thema in „Après l’empire“ ist die Aussage, dass sich das amerikanische Imperium im Niedergang befindet. Für den Nachweis dieser Behauptung betreibt Todd einen entsprechend grossen Aufwand, wobei es an dieser Stelle ungeeignet erscheint, sämtlichen argumentativen Exkursen zu folgen. Vielmehr soll im folgenden versucht werden, die grundlegenden Gedankengänge losgelöst von einer z.T. fragwürdigen Rhetorik nachzuzeichnen.
Für Todd beginnt das US-amerikanische Imperium mit der „Eroberung“ der westdeutschen und japanischen „Protektorate“ (S. 85). Die damit etablierte wirtschaftliche Dominanz erscheint entsprechend als direkte Folge der politischen und militärischen Stärke Amerikas nach dem 2. Weltkrieg. Eine Kritik am imperialen Status der USA muss also in erster Linie bei der ökonomischen Potenz ansetzen. So stellt Todd denn auch prompt die Validität des Freihandels in Frage und bezeichnet ihn als „kulturellen Exportschlager“ (S. 87). Die Globalisierung ist entgegen der Theorie von schwerwiegenden Asymmetrien geprägt, wobei die wachsenden Handelsbilanzdefizite der USA als gewichtigster Indikator für eine „industrielle Schwäche“ zu betrachten sind. Amerika tritt immer mehr als Konsument statt als Produzent auf und begibt sich damit in ein Abhängigkeitsverhältnis zu China, Japan und der EU. Die zahlreichen und prominenten Rechnungslegungsskandale bei Unternehmen wie Enron lassen nach Todd auf eine allgemeine Praxis schliessen, woraus er auf ein systematisch zu hoch ausgewiesenes BIP schliesst, das nicht der realen Wertschöpfung entspricht. Mit diesem Phänomen geht wiederum ein gesellschaftlicher Wandel einher, der zunehmend plutokratisch-oligarchische Tendenzen aufweist und die soziale Ungleichheit in den USA aufgrund einer sich öffnenden Einkommensschere fördert. Insgesamt bietet sich damit ein recht negatives, von Abhängigkeit geprägtes Bild der gegenwärtigen Situation der amerikanischen Volkswirtschaft. Neben der ökonomischen Potenz nennt Todd (S. 105) noch zwei weitere Merkmale, an denen Weltreiche gemessen werden müssen. Zum einen verdanken sie ihre Existenz einer militärischen Notwendigkeit, für deren Bewältigung sie eine Form von Kompensationszahlung (einen „Tribut“) beanspruchen können; zum anderen entwickeln Weltreiche einen Universalismus – verstanden als „die Fähigkeit, Menschen und Völker gleich zu behandeln“ (S. 131) – unter dessen Dach sie die Gesamtheit ihrer Untertanen vereinen. Die USA, so Todd, vermögen beide Kriterien nicht zu erfüllen.
Während das erste Kriterium wenig überzeugend erscheint und argumentativ nicht verfängt, verdient das Konzept des Universalismus eine eingehendere Betrachtung. Es beschreibt die integrative bzw. inklusive Qualität einer Kultur, d.h. die Fähigkeit, „Besiegte von gleich zu gleich zu behandeln“ (S. 132) und somit ein assimilationsfreundliches Umfeld zu schaffen. Als Beispiel für ein universalistisches Weltreich verweist Todd auf Rom, welches sein Bürgerrecht grosszügig an eroberte Völker vergab. Auch für die Begründung des US-amerikanischen Weltmachtstatus war eine bemerkenswerte Integrationsfähigkeit ausschlaggebend. Dieser Universalismus erweist sich aber als instabil und ist von einer ständigen Tendenz hin zu einer differenzierenden, ausgrenzenden, ja sogar diskriminierenden Geisteshaltung geprägt. Nach Todd (S. 139) erreichte der amerikanische Universalismus seinen Höhepunkt in der Epoche des Kalten Krieges, als die USA mit dem (vermeintlich) universalistischen Weltbild des Kommunismus gleichziehen mussten, und befindet sich seither in einem kontinuierlichen Auflösungsprozess. Im Innern lässt sich der Rückgang des Universalismus einerseits an der tendenziell sinkenden Rate gemischter Ehen zwischen Afro-Amerikanern und Weissen ablesen (dasselbe trifft auf die hispanische Bevölkerung zu), anderseits an einer leicht steigenden Kindersterblichkeit in den schwarzen Bevölkerungsteilen. Für Todd (S. 143) ist damit die Integration der Afro-Amerikaner gescheitert. Während er die fortschreitende Erosion des Universalismus bestätigt, unterstellt er den USA gleichzeitig eine selektive Anwendung des Konzepts, die sich in einer Bevorzugung der jüdischen Bürger manifestieren soll. Mit dieser äusserst problematischen und an rhetorische Brandstiftung grenzenden Behauptung leitet der Autor auf den Rückgang des Universalismus in den Aussenbeziehungen über, der sich in der „Entscheidung für Israel“ (S. 146) manifestiert. Die USA beweisen mit ihrer Unterstützung Israels im Nahostkonflikt ihre gleichheitsfeindliche Geisteshaltung und wähnen sich, erfasst von einem geteilten „Fieber der Ungleichheit“ (S. 150), in einem beruhigenden Gemeinschaftsgefühl: „Wenn man selbst das Lager der Gerechten verlassen hat, gibt es nichts Beruhigenderes, als zu sehen, dass auch andere Unrecht tun“ (S. 151). Die dadurch ausgedrückte differenzierende Haltung, so Todd, verunmöglicht eine effektive Hegemonialstellung der USA, die sich nur unter dem inklusiven Schirm des Universalismus realisieren lässt.
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